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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.05.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970501018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897050101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897050101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-01
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Reklamen unter demRedartionsstrich <tge» spalten) 50/H, vor den Familiennachrlchten (6 gespalten) 40^. Gröbere Schristen laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsatz - nach höherem Tarif. - vrtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. - Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. SI. Jahrgang. Zur Jubelfeier -er Universität Straßburg. ü Heute vor fünfundzwanzig Jahren ist die Universität Straßburg eröffnet, wiedereröffnet worden. Das alte Straß burg, einst einer der blühendsten Mittelpunkte geistigen und gewerblichen Leben- in Deutschland, hatte eine Hochschule be sessen, die Ludwig XIV., nachdem er die Stadt geraubt, und seine Nachfolger auf dem alten französischen Königsthrone ver gebens anzutasten versuchten. Erst die Revolution legte Hand an die Stätte deutschen Forschens, und Napoleon I. ver wandelte sie im Jahre 1802 in eine französische Abrichtungs anstalt. Ohne diese gerade siebzigjährige Unterbrechung würde die deutsche Universität am heutigen Tage — auch die alte wurde an einem ersten Mai eingeweiht — die dreihundert dreißigjährige Jubelfeier eines glänzenden Bestandes feiern dürfen. Sie war bis zu ihrer Vernichtung und besonders in der Zeit vor derselben eine weit berühmte Anstalt geblieben, der auch in der französischen Zeit deutsche Jünger in großer Zahl zuströmten. Goethe hat sich an ihr den Doctortitel er worben. Als Elsaß-Lothringen wieder deutsch geworden wa., (a schon an dem Tage, da über Straßburg eine deutsche Flagge rmporging, war eS der Wille aller am Geistesleben der Nation Theilnehmenden, daß in der deutschen Stadt wieder die deutsche Universität erstehe, und Dank Wilhelm I., Bis marck und dem badischen StaatSmanne Frhrn. v. Roggen bach, der sie organisirte, konnte die Hochschule, noch bevor der Frankfurter Friede sich gejährt hatte, als Morgengabe Deutschlands den wieder errungenen deutschen Ländern dar gebracht werden. Zn der jüngsten Zeit ist die rasche Gründung der Straß- burgerUniversität von Einigen als einFehler bezeichnet worden, (^sei durch sie, so hat man gesagt, den jungen Reichsländern Gelegenheit zu einer Äsolirung geboten worden, welche ihrem Ausgehen in deutscher Denkungsart ein dauerndes Hinderniß bereite. Dies jedoch ist die Stimme des Kleininuths. Straßburg und die Reichslande hatten vor allen Dingen ein geschicht liches Recht, von Deutschland wieder zu erhalten, was selbst die französischen Könige nicht zu nehmen gewagt hatten. Stadt und Land haben unter der deutschen Herrschaft un zählige Verbesserungen erfahren im Verkehrswesen, im Ge sundheitsweisen, in anderen Dingen, die das französische Frembregiment vernachlässigt hatte. Wie durste man ihnen die Wiedererstattung des werthvollsten Besitzes aus alter deutscher Zeit vorenthalten und dem anderthalb Millionen zählenden Lande eine Einrichtung versagen, deren sich, von den kleinsten abgesehen, alle deutschen Staaten erfreuen? Aber auch um seiner selbst willen mußte Deutschland das schlafende Dornröschen erwecken. Wollte es die Elsaß- Lothringer geistig mit sich verschmelzen, so konnte es auf dem Boden dieses Landes nicht eine Stätte entbehren, wo deutsche Art in ihrer edelsten Blüthe, der freien Forschung, der freien Lehre, sich offenbart. An der Wiederaufrichtung Deutschlands und somit an der Wieder gewinnung des Elsaß hatte der von den Universitäten aus gehende Geist seinen guten Antheil gehabt. Auch dieses Mittel der Erwerbung mußte zur Erhaltung herangezogen werden. Es wird sich als solches bewähren, wenn auch heute von dem jungen Baume noch wenig politische Früchte fallen. Den Muth, der von den deutschen Universitäten Segen erwartet, wollen wir nicht verlieren, nicht im Elsaß, nicht in Alldeutschland. ES fehlt ja in dieser verworrenen Zeil nicht an Bemühungen, Mißtrauen zu säen gegen den freien Luftzug, der durch die Hörsäle weht, um der studirenden Jugend den Weg zur Gewinnung einer eigenen wissenschaft lichen Ueberzeugung zu verlegen. Der Umstand, daß diese Versuche, daS Denken zu verkrüppeln, sich gegen Lehrer richten, die socialpolitisch anders denken als wir denken, kann uns nicht abhalten, sie zu verdammen. Gerade heute lesen wir, wie ein Berliner Blatt triumphirt, daß sich über den Häuptern der „kathedersocialistischen Professoren" ein Gewitter zusainmenziehe, und wie es trotz aller gegentheiligen Betheuerungen nicht zu verbergen ver mag, daß eS durch das Gewitter die Forschungs- und Lehr freiheit der Lehrer der Nationalökonomie erschlagen sehen möchte. DaS ist ein rauher Geburtstagsgruß für die jüngste deutsche Hochschule, und wir hoffen, vaß eine richtige Einsicht in die Bedingungen deutscher Entwickelung sie und ihre Schwestern vor der Erfüllung der bösen Prophezeiung be wahren werde. Victor v. Scheffel hat die Straßburger Universität bei ihrem Wiedererstehen als ein „kerngesund Wesen" begrüßt, und daS ist jede deutsche Universität, der Licht und Luft nicht verkümmert werden. Wer nicht erträgt, was von den Hoch schulen ausgeht, der ist nicht gesund und soll nicht verlangen dürfen, daß die deutsche Jugend nach Maßgabe seiner leiden den Constitution behandelt werde. Auch der RomaniSmus und ParticularismuS in Elsaß-Lothringen, dem die Gründung der Straßburger Universität angeblich zu statten gekommen sein soll, werden früher oder später erleben, daß sie als Kranke einem kerngesunden Wesen gegenüberstehen. Die junge deutsche Bildungsstätte verspricht allen bei der Stiftung gehegten Erwartungen gerecht zu werden. Möge sie blühen und gedeihen! ^ Deutsches Reich.' * Leipzig, 30. April. Wie wir aus dem heute uns zugegangenen Gesetzentwurf, betreffend den Servistarif und die Classeneintheilung der Orte, ersehen, ist die Stadt Leipzig nicht auS Classe I in Classe ver setzt worden. Die Begründung des Gesetzentwurfs besagt hierüber: Die Anträge aus Versetzung nach Classe ^ sind sämmtlich abgelehnt worden. Nachdem bei der letzten Revision die von den verbündeten Regierungen vorgeschlagene Versetzung von drei Städten nach Classe ^ im Reichstage Zustimmung nicht gefunden hat, liegt gegenwärtig kein Anlaß vor, durch eine Er weiterung dieser Classe den Charakter einer ausnabmsweisen Einrichtung, der ihr von vornherein zugedacht war, zu verwischen und den bestehenden fünf Classen eine sechste, etwa sür Städte von 100 000 Einwohnern ab, hinzuzusügen. Auch ist in den letzten zehn Jahren die Quartierlast gerade der großen Städte durch allmülige Durchführung des Casernirungssystems sehr erheblich erleichtert, während eine Steigerung der Wohnungs- und Lebensmittelpreise im Allgemeinen nicht stattgefunden hat. Unser Reichstagsabgeordneter Herr Prof. Or. Hasse, der bekanntlich für die Versetzung Leipzigs in die höhere Classe sich ausgesprochen hat, wird ohne Zweifel diese Angelegen heit im Reichstage weiter verfolgen. — Von anderen sächsischen Städten sind mehrere höheren Classen zugetheilt worden, und zwar der Classe II: Pirna (vorher III), Riesa (vorher III)> der Classe IV: Aue, Deuben, Amlshaupt- mannschast DreSden-Altstadt: EberSbach, Klingen thal, Marienthal, Reinsdorf, Schedewitz, Schöne feld bei Leipzig, Stötteritz bei Leipzig, Wilkau (vorher sämmtlich V). — Die neue Classeneintheilung rc. soll mit dem 1. April 1897 in Kraft treten. Die Mittel zur Bestreitung des infolge der veränderten Tarifsätze und der neuen Classeneintheilung für das Etats.ahr 1897/98 sich ergebenden Mehrbedarfs an Servis und Wohnungsgeld zuschuß für die Militairverwaltungen Preußens, Sachsens und Württembergs mit 630 000 sür die ReichS-Post- und Telegraphenverwaltung mit 115 000 ^6, für die Militairverwaltm.g Bayerns mit 80 415 treten den entsprechenden Ausgabetiteln deS ReichShaushaltsetatS für 1897/98 hinzu. Der Entwurf erhöht die geltenden Servissätze a. für das Quartier der Unterofficiere um 25 Procent, b. für das Quartier der Gemeinen um rund 33',/, Procent, c. für Stellung von Dienst pferden um 50 Procent, «I. für Geschäftszimmer um 75 Procent, jedoch mit der Maßgabe, daß die Erhöhungen zu u und d auf die Fälle des vorübergehenden Quartiers beschränkt bleiben. ES sind deshalb in dem Tarife für die betreffenden an Stelle der bisherigen einheitlichen Sätze zwei verschiedene Sätze eingestellt worden, von denen der eine bei Einquartierung in der Garnison und bei Cantonirungen, deren Dauer von vornherein auf einen sechs Monate über steigenden Zeitraum festgesetzt ist, der andere bei vorüber gehender Einquartierung zahlbar ist. ^ Berlin, 30. April. Mit dem Beschlüsse des Bund es- raths, daß bei Stichwahlen, die infolge der Ablehnung oder Ungiltigkeitserklärung einer Wahl nvthig werden, die Aufstellung neuer Wählerlisten dann erforderlich ist, wenn bereits ein Jahr seit der allgemeinen Wahl ver flossen ist, ist eine Streitfrage endgiltig entschieden, die vor Weihnachten bei der Entscheidung über die Schwetzer Reichstagswahl den Reichstag eingehend beschäftigt hat. Bei der im verflossenen Jahre — der vorletzten — in Schwetz abgehaltenen Reichstagsersatzwahl waren nämlich keine neuen Wahllisten ausgestellt worden, obwohl die Jahres frist seit den Hauptwahlen längst verstrichen war, weil die preußische Negierung darauf bestand, daß zwischen Ersatz wahlen und Nachwahlen zu unterscheiden sei und nur bei solchen Wahlen, in welchen durch den Tod des Abgeordneten das Mandat erledigt werde, eine Aufstellung neuer Wahllisten statthaben müsse. Die letzte Neuwahl in Schwetz hat in zwischen stattgefunden, — nach neuen Wahllisten. Damit war praktisch die Streitfrage erledigt. Der Beschluß des Bundesraths setzt nun in aller Form ein sür alle Mal, der Absicht des Wahlgesetzes gemäß, fest, daß, wenn eine Neuwahl stattfindet, gleichviel auS welchen Gründen, stets neue Wahl listen ausgestellt werden müssen, wenn seit der letzten Wahl ein Jahr verflossen ist. * Berlin, 30. April. Die erste freie kirchlich-sociale Conferenz, auf welcher Herr Stöcker seine Anhängerschaft wieder zu sammeln suchte, findet eine bezeichnende Beurthei- lung in den ihm einigermaßen nahestehenden Blättern. Das „Volk" heißt sie nur als „Parallelbewegung" willkommen und bemerkt reservirt: „Die Ausgaben einer politischen Zei tung decken sich nicht mit denen einer solchen Conferenz". In der „Zeit" führt der frühere Redacteur deS „Volk" und Mitkämpfer Stöcker's v. Gerl ach auS: „Schon der Besuch ließ zu wünschen übrig: Borversammlung etwas über 400, Hauptversammlung Vormittags etwas über 300, nach dem Frühstück etwa 150 Personen, die Besucher und Be sucherinnen der Galerie eingeschlossen. Und das, obwohl am Dienstag Nachmittag eine Versammlung des kurhessischen Pfarrervereins mit Stöcker als Redner über die Gehaltssrage der Geistlichen gewiß für manchen Pfarrer aus dem Re gierungsbezirk Kassel eine besondere Anziehungskraft besessen und obwohl Tamniann's Betheiligung gewisse pietistische Kreise berangezogen hatte, die sonst von allen socialen Veranstaltungen fern bleiben. Die Pietisten sind gute Leute, aber schlechte Musi kanten auf socialpolitischem Gebiete. Und wenn mir einer der Theitnehmer sagte: „Hier ist Alles vorhanden, vom weitslüchtigsten Gemeinschaftsmann bis zum kampsessreudigjten Socialisten", so waren nur eben der weltflüchtigen Pietisten sehr viele und der kampses- freudigen Socialpolitiker sehr wenige. Man kann Stöcker nur be dauern, daß er jetzt mit solchem Material arbeiten muß." Also auch auf dieser Seite ist man der Ansicht, daß Herr Stöcker „fertig" sei. F»r»rH»tsn. Straßburgs alte Universität. Ein Gedenkblatt zur 2b. Jubelfeier der Straßburger Universität, 1. Mai. - - Bon vr. Rudolf Schellenberg. s' (Nachdruck verboten.) Hätte StraßburgS alte Universität auch nicht fast zwei und ein halbes Jahrhundert lang auf daS Geistesleben Deutschlands einen bedeutsamen Einfluß ausgeübt und als treue Hüterin deS deutschen Geistes selbst dann noch, als sie bereit- der Krone Frankreichs unterstand, Wache an unserer Westmark gehalten, so genügte doch allein ein gewisses Blatt ihrer ehrwürdigen Matrikel, um ihr die Tbeilnahme jedes Deutschen zu sichern. Auf diesem Blatte hat sich am 18. April des Jahre- 1770 „llormues VVoIt'xaug Ooetbs Noeno-k'rauco- turtsueis" mit dem Vermerke „logiere bey H. Schlag, aus dem Fischmarkt" eingezeichnet, — Straßburgs berühmtester Student, dem die letzte Epoche der Universität einen eigenthümlichen Glanz verdankt. Erinnern wir uns, daß Goethe hier mir Männern wie Herder, Jnng- Stilling und Lenz zusammentraf, so erkennen mir, daß die Straßburger alma water damals eine ganz be sondere Anziehungskraft ausgeübt hat. Die Ursache hier von lag in der besonderen Pflege und Bevorzugung, die damals — in einer im Allgemeinen vorwiegend der Theorie zugeneigten Zeit — die exacten Wissenschaften hier fanden. Die Geschichte, die Staatswffsenschaft, die Medicin standen in Straßburg an der ersten Stelle. Der treffliche Schöpflin lehrte die Historie, die Mediciner fanden hier die erste theo retische und praktische Schule für Geburtshilfe, einen bota nischen Garten und ein Naturaliencabinet, das StaatSrrcht vertrat der berühmte C- W. Koch und in seinem Unterrichte, wie überhaupt m Straßburg, war besonders die Methode anziehend, daß Alles auf das Praktische gerichtet „und nach dem Sinne der Franzosen eingeleitet war, welche gern bei dem Gegebenen verharren". Hier wurde daS Abstruse — das Gothische, wie man damal- wohl sagte — fern gehalten und den Studenten daS Nöthige ihrer Wissenschaft kurz und klar beigebracht. DaS war nun ebenso dem Herrn Rath Goethe, wie dem klaren und energisch zufassenden Geiste seine- Sohnes ganz nach Gefallen, und so zog den jungen Goethe in da- liebliche Jllthal nicht eine Laune oder ein Zufall, sondern da« Wesen und Verdienst der alten Hochschule selbst. Wenn in diesem Wesen, wie Salzmann'S oben citirte Aeußerung an Goethe hervorhebt, der Einfluß des französi schen Geistes nicht verkannt werden kann, so darf doch dieser Einfluß nicht etwa in dem Sinne Überschätzt werden, als hätte er die innere Eigenart der Universität umgebildet. Vielmehr liegt gerade darin die geschichtliche Bedeutung von Straßburg- alter Universität, daß sie deutsch und protestantisch war und in einer französischen und katholischen Monarchie deutsch und protestantisch blieb. Wahr und tief sagt Ranke, daß die Ideen in ihrem Dasein auf immer durch den Mo ment des HervortretenS beherrscht seien^ „so leben sie fort, wie sie zum Leben gelangen". Also ist auch die Straß burger Hochschule selbst unter veränderten Umständen bis zu ihrem Ende das geblieben, was sie von Anfang an war, weil in ihrer Entstehung die starken Wurzeln ihrer Kraft lagen. Auf diese Entstehung müssen wir daher einen Blick werfen. « * » Mit dem Humanismus und der Reformation, die überall am Rheine ein neues, frisches Geistesleben erweckten, war auch in Straßburg eine erhöhte Regsamkeit eingezogen, und der Rath batte sich entschlossen, die verschiedenen Schulen der Stadt in einem einzigen „Gymnasium" zusammenzusaffen, in dessen unteren Classen die Grammatik, Rhetorik und Dialektik gelehrt wurden, während in der oberen Abtheilung die höheren Wissenschaften — Griechisch und Hebräisch, Logik und Ethik, Mathematik, Physik, Jurisprudenz, Geschichte, Theologie und Musik — behandelt werden sollten. Schnell füllten sich die unteren Classen und geduldig saßen die Knaben in ihnen die vorgeschriebenen zehn Jahre ab: aber kamen sie dann zur oberen Abtheilung, dann wollten sie nicht bleiben, weil sie hier doch keine richtigen Studenten wären, auch nicht promovirt werden könnten. So kam eS vor, daß in der ersten Classe nicht mehr als 9 Schüler saßen, und nothwendig drängten die Umstände daher zum Ausbau der Schule. Etwas zaghaft entschloß sich der Rath zunächst nur zur Bearündung einer „Akademie", daS heißt einer philosopischen Facultät mit allen einer solchen »»stehenden Rechten, und als das Privileg hierzu 1000 Gulden kosten sollte, da war er ganz erschrocken und der Plan hätte fast Schiffbruch gelitten. Doch die kaiserliche Kanzlei gab sich schließlich mit 500 Gulden zufrieden, und am 1. Mai 1567 fand die Eröffnung der Universität gar feierlich unter Reden, Promotionen und lateinischen Poemen statt. Der Universität — denn die „Akademie" mußte sich bald dazu auSwachsen. Freilich, der Rath hatte noch immer Be denken. Eine muver8itL8 Utterurum, rin selbstständiger Organismus im Gemeinwesen, — würde er nickt die städtische Freiheit, die schwer errungene, gefährden? So fragte man, und nicht ganz ohne Berechtigung; denn die glorreiche Stadt Bologna z. B. stand so manches liebe» Mal unter der tyrannischen Fuchtel der Herren Studiosen. Und dann befürchteten Uebrrängstliche, e- könnte, wenn gar so viele Menschen herbeiströmten, am Ende Theurrung ent stehen. Aber dem konnte entgegengehalten werden, „waS für eine unsägliche Summe geldtS von den StudiosiS hohe- und niedrigen Stande» järlichen allhie under gemeiner burger- schaft gelaffen wurdt", auch konnte der Rath nicht blind sein gegen den „mercklichen Abgang de» gemeinen FiSci oder Schulseckel»", wenn die Scholaren die Akademie verließen, um sich auf anderen Doll-Universitäten den Doktorhut zu erwerben. So begannen denn die Verhandlungen um daS Privileg, langsam und gemächlich, wie es jenem zähen Geschleckte anstand; und es war schließlich der Vorkämpfer des KatholiciSmuS im großen Kriege, es war Ferdinand II., der 1621 der Stadt gegen weibliche Zahlungen und gegen ihren Rücktritt von der Unterstützung des Winterkönigs die Gerechtsame einer vollen Universität ertbeilte. »je ^ H In Alt-Straßburg entwickelte sich nun das echte deutsche Studentenleben mit all' seinem frischen Uebermutbe, seiner Anregung und Regsamkeit, aber auch mit seinen Schatten seiten. Den Herren Scholarchen machten die Studenten gar vielen Kummer. Vor Allem durch ihre Neigung zu unge bührlicher oder allzu prächtiger Kleidung. Besonders wurde verlangt, daß sie Mäntel tragen sollten; aber die Studenten mochten den Mantel nicht, hatten vielerlei Ausreden, um sich seiner zu entledigen, und wiesen dem Wächter des Rechts, wie Schricker erzählt, zuweilen ein Stückchen als genügenden Er satz vor. Dann hatten die bösen Knaben eine üble Neigung zum — Pumpen, und die Scholarchen mahnten immer und immer wieder, es solle ihnen nicht mehr als ein halber Gulden geborgt, auch solle ihnen nicht Wein creditirt werden; über haupt sollten sie sich abends „nach gelittener Nachtglock" hübsch zu Hause hinter verschlossenen Thüren halten. Denn sonst gab'S leicht „umbschweiffen, grassiren, jauchzen, schreien, zehlen, aufspielen, balg- und rauffhändel", und leider! waren die Duelledicte meist ganz erfolglos. Aergerlicher als diese harmlosen Streiche des jugendlichen Uebermuths waren die wirklichen Rohheiten deS Studententhums, der Unfug des PennalismuS, der den jungen Studenten der Tyrannei seiner älteren Landsleute hilflos preiSgaö, der barbarische Brauch der Deposition, die ursprünglich den Neuling, den „Bacchanten", symbolisch daran erinnert hatte, daß er den alten Menschen zetzt ablegen müsse, aber zu einem gewaltthätigen und rohen Verfahren gegen die jungen Leute, an denen gehackt, gehobelt und herumgeschlagen wurde, ausgeartet war. * * » Die Jahre und Jahrhunderte gingen bin und über den stolz ausgewachsenen Baum der deutschen Universität rauschte manch ein Sturm daher, ohne ihn brechen zu können. Der dreißigjährige Krieg traf sie verhältnißmäßig mild, da die Stadt fest und dadurch leidlich geschützt war; Gustav Adolf s, deS Schwedenkönigs, Tod betrauerte sie in einer eigenen Feier. Es kam der Tag, wo Louvoiö' Soldaten das Reichsbanner von Straßburgs Wällen herabholten und die Universität an Frankreich überging. Da gab es wohl hier und da einen Angriff auf die alten Privilegien; die „Alternative" zwischen katholischen und protestantischen Professoren sollte z. B. ein geführt werden. Doch mannhaft widerstand die hohe Schule: als eine deutsche und protestantische müsse sie angesehen werden, stehe daher auch mit den französischen Universitäten in keiner Confraternität, drückte sich rin Memorandum von 1770 un zweideutig aus. Straßburg war in ganz besonderem Maße da» Ziel vornehmer junger Herren. Schon im 16. Jahr hundert wurden hier einmal an 200 Fürsten, Grasen und Herren gezählt; im 18. Jahrhundert zog die früher gekenn zeichnete praktisch-reale Eigenart der Schule viele künftige Staatsmänner an, unter denen nur Cobentzl, MontgelaS und Metternich erwähnt seien. So manche tüchtige Kraft gelangte von hier aus in den französischen Staatsdienst; fast hätte — wunderlich zu denken — auch Goethe das Geschick in die Versailler Kanzlei geführt. War daS ein Vortheil zu nennen, so muß auch gesagt werden, daß das officielle Frankreich der Universität keine Förderung, sondern nur Hemmnisse bereitete. Es hatte kein Verständniß für die ganz individualistisch, historisch, kurz: germanisch organisirte Anstalt, sür diesen Hort des deutschen Wesens und protestantischen Geistes; es stellte der Universität die katholische Akademie zur Seite, eS sah in seinen nivellirenden Neigungen die eigen artigen Privilegien der Hochschule und ihre Selbstverwaltung mißtrauisch und mißgünstig an. Und als dieser nivellirende Geist in der Revolution zur Herrschaft gelangte, da war eS um die alte Pflanzstätte der Wissenschaft geschehen. „Terror!^ har eine Hand kurz und vielsagend in die Matrikel geschrieben. Terror herrschte, viele der Professoren wanderten ins Gefängniß, die Universität hörte auf zu arbeiten, die Matrikel wird dürftig, mühselig schleppt sie sich bis zum Jahre 1802 fort. Innerlich war die Universität bereits vorher gebrochen. Vergeblich hatte der wackere Haffner ihre schöne Eigenart verkündigt: „eine deutsche Universität, liegend an der Grenze Frankreichs, bestimmt durch ihre Lage zu einen» Sammelpunkt wissenschaftlicher Schätz: der beiden erleuchteten Nationen", sie ward in ein französisch- mechanisches Lyceum verwandelt; die schönen Geschenke, die ihr der Sitte nach Fürsten und Herren beim Abgänge von der Schule verehrt batten, wurden ihr genommen und ihre Güter ihrer selbstständigen Verwaltung entzogen. Den Grund dieses gehässigen Vorgehen- enthüllt daS entscheidende Memorandum vom Jahre 1794: die „Hyder deS Deutsch thums und alle Einrichtungen, welche ihm noch sein Bestehen sichern", sollten vernichtet werden .... » Aber es wurde nicht vernichtet. An die 80 Jahre später waren am selben 1. Mai, der einst die Eröffnung der alten Universität grseben hatte, Männer der Wissenschaft auS allen deutschen Gauen in Straßburg versammeit und weihten die neue Kaiser-WilhelmS-Universität ein. Es war ein denk würdiger und feierlicher Moment, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart bedeutungsvoll gewissermaßen zu einem Ringe zusammenschlossen. Einst batten bei solchen Gelegenheiten die gelehrten Poeten in lateinischen Versen laucksm Xrgentvrati gesungen , jetzt erhob J.V. Scheffel seine Stimme und feierte diese altnene Hochschule, deren Geschick vor allen ihren Schwestern eigenthümlich ist, als Straße sür gristsrische» Streben, al» Burg der Drißhrtt am Rhein.
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