Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.05.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970501021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897050102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897050102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-01
- Monat1897-05
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis k der Hauptexpedition oder den im Stadt- bezirk und den Vororten errichteten AuS- aalcstellen abgcholt: vierteljährliches.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung uis Haus e 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich e L.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung ins Ausland: monatlich e 7.50. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,? Uhr. die Abrnd-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Re-action und Erve-ition: IohanneSgasse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend- 7 Uhr. Filialen: ktto Menim'S Tortiin. (Alfred Hahn), UniversitütSstraße 3 (Paulinumi, Louis Lösche, Katharinenstr. 14, part. und Königsplak 7. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Ätitlsökatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. AnzeigenPreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamrn unter dem Redactionsstrich (4g«« spalten) 50^Z, vor den Familiennachrichtea (6 gespalten) 40/>Z. Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit d» Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförveruntl e> 80.—, mit Postbesorderung e 70.—. Ännuhmeschluö für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. TAorgen-AuSgabe: Nachmittags 4Uhr. Vei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde sruher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 220. Sonnabend den 1. Mai 1897. 91. JahlMNg. Politische Tagesschau * Leipzig, 1. Mai. Infolge der Saumseligkeit der weitaus größten Mehrzahl der bürgerlichen Mitglieder des Reichstags ist dieser genöthigt, heute den „Wcltfcicrtag" durch Arbeitsruhe mit zufeiern. Trotz dieses Triumphes und trotz der Renommage ihrer Presse ist die Socialbemokratie von den Erfolgen ihrer Agitation zu Gunsten allgemeiner Arbeitsruhe am heutigen Tage wenig erbaut. Und wenn sie über den Widerstand, den hie Arbeitgeber der Einführung des „Weltfeiertagö" zu Ehren des „Achtstundentags" entgegensetzen, lies ergrimmt ist, so kann das nicht befremden, obgleich der „Genosse" vr. Lütgen au sicherlich nicht der Einzige ist, der den „Achtstundentag" für eine Utopie hält. Es kommt eben den socialdemokratischen Führern gar nicht auf den angeblichen Zweck des „Welt- sciertages", sondern lediglich darauf an, daß dieser trotz aller Widerstände durchgesetzt und der widerstrebenden „Bourgeoisie" aufgczwungen werde. Um so weniger ist eS begreiflich, daß in gewissen bürgerlichen Kreisen, die allerdings dem wirth- schaftlichen Leben ziemlich fern stehen, eine wenigstens Platonische Reizung für den „Weltfeiertag" sich kundgiebt. Ihn, so hört man sagen, den Arbeitern, die ihn doch nun einmal wollten, vorzuenthalten, sei eine unnöthige Provokation. Und doch ist die ganze Maifeier nichts, als die vor einigen Jahren in Scene gesetzte und seitdem immer wieder versuchte Provocation der bürgerlichen Gesellschaft. Ferner heißt eS, die Arbeiter als der wirthschaftlich schwächere Thcil seien überhaupt der Tyrannei des wirthschaftlich starken Theiles auSgesetzt; aber gerade die Maifeier erinnert daran, daß sehr häufig daö Verhältniß umgekehrt ist. Wenn der Hausherr sein Gesinde, der Fabrikant seinen Arbeiter, der Kaufmann seinen jungen Mann ohne einen gesetzlichen Grund plötzlich entläßt, so können sie ganz sicher sein, daß die auf diese Weise um ihre Stellung gekommenen Personen selbigen Tages zum Gerichte laufen und den ihnen bis zum Ablauf der contractmäßig aus- bcdungcnen Zeit zustehenden Lohn auf Heller und Pfennig einklagcn, der ihnen natürlicher und gerechter Weise von dem Gerichte zugebilligt wird. Wenn aber ein Dienstbote weg läuft oder Arbeiter streiken oder ein GeschäftSgehilfe contract- Lrüchig wird, so wird in der Regel der geschädigte Hausherr oder der Unternehmer den ihm dadurch erwachsenden Schaden tragen müssen, weil er ihn gar nicht gegen den Schädiger einzuklagen versucht, der ja ge wöhnlich nichts besitzt. Er hat somit, wie man sich in juristischen Kreisen ironisch ausvrückt, die vxeoxtio caesarea, d. h. er kann thun und lassen, was er will, da nach einem alten Sprüchlein selbst der Kaiser da, wo nichts ist, das Recht verloren bat. Man weist weiter darauf hin, daß der Hamburger Hafenarbeiterstreik, der Berliner Bierboycott, die großen Bergarbeiterauöstände Tausende von Arbeitern schwer geschädigt hätten; aber das ist doch klar, daß in nicht geringerer Weise die dadurch getroffenen besitzenden Kreise geschädigt worden sind. Der Schade also, der den „besitzende» Classen", oft genug ohne ihr Verschulden, zugefügt wird, wird nicht gesühnt. Umsoweniger wird man cS diesen Elasten verübeln können, daß sie da, wo sie in frivoler Weise provocirt werden, wie bei einer Arbeitseinstellung am 1. Mai, Las einzige Mittel ergreifen, von dem sie sich eine heilsame und abschreckende Wirkung versprechen können: die Entlassung der feiernden Arbeiter. Wir sind wahrlick dafür, daß die Arbeiter in jeder Weise zu ihrem Rechte kommen und daß ihre Lage durch sociale Maßregeln verbessert werde. Aber einen Terrorismus der arbeitenden Classen dürfen sich dir bürgerlichen Kreise nicht gefallen lassen, wenn sie sich nicht selbst das Todes- urtheil sprechen wollen. Diejenigen socialistischen Kreise aber, die die Arbeiter zu Unbesonnenheiten verführen, be weisen damit, daß ihre Versicherungen von den friedlichen Wegen, auf denen sie ihre Ziele erreichen wollen, eitel Schwindel sind. Denn die Arbeitseinstellung ist eine Propaganda der That. Sie macht ein friedliches und freundliches Ver hältniß zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Un möglichkeit, sie verschärft die Gegensätze, sie zwingt zu Gegenmaßregeln und bereitet dadurch Gewalltbätigkeiteu vor. Die Partei, die durch ihre Verhetzung schließlich derartige Gewallthätigkeiten herbeisührt, hat die volle Verantwortung für solche Thaten zu tragen, und die gleiche Verantwortlich keit fällt jenen bürgerliche» Elementen zu, die den Wider stand der Arbeitgeber tadeln; sie^verfübren durch diesen Tadel auch die noch nicht von der Socialdemokratie angesteckten Arbeiter und verdienen deren Mißtrauen ebenso, wie bas des gesammlen BürgerthumS. Die überaus schwankende Haltung, welche diejenigen Fractionen des Reichstags, die sich für besonders ooer ausschließlich „hanowerksfreundlich" ausgeben, bisher zu der Frage der Orgauisation des Handwerks eingenommen haben, läßt allerdings aus die künftige Haltung dieser Fractionen einen sicheren Schluß nicht zu, immerhin geht auS ihrer Presse hervor, daß sie zur Zeit nicht gesonnen sind, den Beschlüssen des deutschen Handwerkertags einen wesentlichen Einfluß auf ihre Entschließungen eiuzuräumen. Nur die antisemitischen Blätter stimmen diesen Be schlüssen unbedingt zu und verlangen, daß auä> der ReickS- tag sie sich aneigne. Die antisemitische Partei dürfte indessen kaum über bas Schicksal der Regierungs vorlage zu entscheiden haben. Das Centrum mit seinen Anhängseln, die Conservativen und die Reichspariei genügen zur Bildung einer Mehrheit, selbst wenn die anvern Fractionen, was aber nicht anzunehmen ist, geschlossen gegen die Vorlage stimmen sollten. Die conservative Presse ist nun mit Ausnahme deS „ReichLboten" keineswegs der Ansicht, Laß man entweder die die Regierungsvorlage wesentlich ver schärfenden, man kann sogar sagen, sie zu etwas ganz Anderem umgestaltenben Bestimmuugen durchdrücken oder überhaupt auf jedes Gesetz verzichten müsse. Selbst so weit rechts stehende Blätter wie die „Kreuzzeitung" und das „Volk" sind durchaus nicht für eine Politik deS Alles oder Nichts ein genommen. Noch weniger ist es die Ccntrumspresse, die von vornherein und schon einige Wochen vor der ersten Lesung erklärt hatte, daß es bester sei, sich mit Wenigem zufrieden zu geben, als gar nichts zu erhalten. Bei der Gelegenheit der Besprechung der Beschlüsse des Handwerker- lages entrüstet sich übrigens ein führendes utlramorttanes Blatt über die Unterstellung, daß Las Cenlrum bei der Handwerkervorlage der Regierung deshalb gern entgegen- kommen wolle, um den Eindruck der schroffen Opposition gegen die Marineforderungen etwas zu verwischen. Es mag sein, daß das Eentrum nicht nur, um der Regierung entgegenzukommen, in der Handwerkervorlage zu einem Compromisse geneigt ist. Das Centrum nimmt vielleicht dabei auch Rücksicht auf die allgemeine Stimmung, die durch seine bisherige Polin! der Negation in dieser Session erregt sein könnte. Es hat die Justiz- ncvelle zum Scheitern gebracht, eS hat die wesentlichsten Marineforderungen abgelehnt und eS hat sich auch der Dampser- subventtonSvorlage unfreundlich gegenübergestelll. Nachdem es sich im vergangenen Jahre gar nicht geniig mit dem An- theil batte brüsten können, den es an dem Zustandekommen deS Bürgerlichen Gesetzbuches gehabt, würde es ihm wohl als ein gar zu gewaltiger Abstand erscheinen, wenn eS in diesem Jahre Alles ablehnen wollte. Regierung und Volk sollen sehen, daß das Centrum auch in diesem Jahre Positives zu schaffen geneigt ist. So wird die Parteipolitik auch in der Handwerkerfrage beim Centrum den Ausschlag geben. Der gemeinsame Schritt der russischen und der österreichischen Regierung bei den Negierungen der Balkanstaatcn ist von ungleich größerer Bedeutung, als alle bisher unternommenen gemeinsamen Schritte der Mächte. Wenn die europäischen Großmächte gemeinsam vorgingen, so wußte man genau, welches die eine oder andere im Stillen an der Zerstörung des Werkes arbeitete, das sic öffentlich förderte Rußland und Oesterreich aber sind die beiden auf dem Balkan maßgebenden Staaten und gegen ihren Willen ist eine Verände rung auf der Balkanhalbinsel ausgeschlossen. Wenn sie also erklären, daß sie fest entschlossen seien, den Status guo auf der Balkan Halbinsel zu erhalten, so wäre es von Bul garien, Serbien und Montenegro lächerlich, wenn sie auch nur den Versuch machen wollten, den Status zu ihren Gunsten zu verändern. Diese Mächte dürften jetzt auch klug genug sein, sich nickt von England in gefährliche Abenteuer Hineintreiben zu lassen, denn Rußland und Oester reich können ihnen sehr viel leichter und rascher auf dem Nacken sitzen, als England ihnen helfen kann. Es ist nur zu bedauern, daß dieser entschiedene Schritt Rußlands und Oesterreichs nicht schon vor einem Vierteljahr geschehen ist, denn dann wäre Griechenland der bittere Kelch erspart geblieben, den es jetzt bis aus die Neige kosten zu sollen scheint. In jedem Falle aber sichert die gemeinschaftliche Note Goluchowski's und Murawjew's unbedingt die Localisirung des Krieges, und die Auslastung der französischen Blätter, daß weitere Waffenerfolge der Türken und über haupt die Fortdauer deS Krieges den allgemeinen Frieden gefährden würden, ist deshalb vollständig verkekxt. Die >, rvös: Ungeduld, mit der man in Frankreich die Beendigung des Krieges herbeiwünscht, wird durch die gemeinsame Action Rußlands und Oesterreichs nur noch gesteigert werden, denn das russisch-französische Bündniß bat noch keinen derartig wichtigen Act gemeinsamen Vorgehens aufzuweisen. Da weder die gemeinsame Note Rußlands und Oesterreichs auch nur mit einem Worte auf die Absicht dieser Mächte, in de» griechisch-türkischen Krieg einzugreifen, hinmeist, noch auch sonst irgendwie bekannt geworden ist, daß diese am meisten im Orient inleressirten Mächte aus eigenem Antriebe dem Kriege ein Ende bereiten wollen, so ist kaum anzu- nehmen, daß der Krieg durch eine Intervention der Mächte baldigst beendet wird. Viel eher ist es aber möglich, daß weitere Erfolge der Türken dem Kampfe in Bälde ein Ende bereiten. Nach Aeußerungen des neuen griechischen Minister präsidenten Ralli geht die Absicht der Regierung dahin, Zeit zu gewinnen, die Armee mittlerweile zu reorganisiren, jeden Mann, der eine Flinte tragen kann, zu den Fahnen zu rufen, die mililairische Ehre Griechenlands durch Ausnutzung der Scharten von Meluna und Mali zu retten und dann ohne Selbstdemüthigung die Intervention der Mächte anzurufen, um eine befriedigende Lösung der aus wärtigen Schwierigkeiten herbeizuführen, d. h. eine Recli- fication der griechisch-türkischen Grenze zu erreichen und — Kreta zu behalten. Letzteres, so meldet der Athener Correspondent deS „Daily Telegraph", wollte, wie verlautet, Delyannis preisgeben, dem aber habe der König ein „Niemals!" entgegengehalten, was zur Entlassung des Cabinets geführt habe. Ob der Flotte noch die Auf gabe zugedacht ist, durch ein großes Unternehmen die Niederlage des Landheeres wett zu machen, läßt sich mit Bestimmtheit nicht sagen, da hierüber die griechischen Staatsmänner sich in Schweigen hüllen. Nach Besetzung des von den Griechen verlassenen Trikkala wird augenblicklich, abgesehen von Epirus, wo nach Athener Meldungen die Türken bis Arta vorgedrungen sind, also alle von den Griechen eroberten Stellungen wieder genommen haben, nur noch bei Velestino, westlich von Volo, gekämpft. Mit welchem Erfolge, ist aus den vorliegenden Nackrichten nicht zu ersehen, da dieselben auS griechischer Quelle stammen, also sehr unzuverlässig sind. Man berichtet uns darüber: * Athen, 30. April. (Telegramm der „Agence Havas") Nach einer Meldung aus Volo lagern 15000 Griechen vor Velestino und schneiden dadurch Len Weg nach Volo ab. In der Umgebung von Velestino fanden seit gestern mehrere Zusammenstöße statt, über deren Ergebniß noch nichts bekannt ist. In Pharsala befinden sich nur 30000 Mann. Das griechische Geschwader ist vor Volo eingetroffe». * Athen, 30. April. („Agence Havas".) Der heutige Kampf bei Velestino war bedeutend. Die Brigade Smolenski kämpfte gegen 8000 Mann türkischer Truppe», die mit sehr großen Ver lusten zurückgeschlagen wurde». * Athen, 30. April. 5 Uhr Nachm. Die Türken sind bei Velestino endgiltig zurückgeworsen worden. Oberst Smolenski bat den Kronprinzen, die Truppen zu dem Erfolge zu beglückwünschen. Sollte es den Türken gelingen, Velestino zu nehme», so wäre das gleichbedeutend mit Unterbrechung der Verbinoungs- lmie Pharsala-Volo. Velestino liegt vom tetztgenamue» Hafrnplatze nur 18 km entfernt. Ihrer Verbindung mit der -L« beraubt, hätten die Griechen bei Pharsala im Falle einer abermaligen Niederlage nur die Straße nach Lamia zur Verfügung, welche aber schon bei Domoko aufhört. Von da giebt es nur noch Saumpfade bis Lamia, die durch Las OthrySgebirge führen. I» der Luftlinie ist Lamia von Pharsala nur 45 km entfernt. Aber selbst wenn es Len Griechen gelänge, dem stündlich zu erwarlenden türkischen Angriff gegen Pharsala Stand zu halten, so bliebe die Lage für sie schwierig, da die Armeeverpflegung, nach Unter brechung der Verbindung mit Volo, auf dem unwegsamen Pfade über das Gebirge erfolgen muß, was mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist und aus die Dauer kaum durch- zusühren sein dürste. Wenn es der griechischen Heerführung gelänge, aus der Defensive zur Offensive überzugeben, wäre eine Wendung deS KriegSglückes vielleicht denkbar. Aber dazu fehlt als erste Voraussetzung eine moralisch intacte Truppe. Alle Meldungen stimmen darin überein, daß, wenn auch die regulären griechischen Soldaten sich anfangs unter dem Elan patriotischer Begeisterung gut geschlagen haben, Loch das nachfolgende Mißgeschick den Geist des Heeres darnieder gebeugt und >>ie Disciplin in bedrohlichster Weise gelockert hat. DaS Einmischen der parlamentarischen Opposition in den Gang der militairiscken Dinge wird den Wirrwarr aller Wahrscheinlichkeit nach nur noch vergrößern, wie es schon die politische Lage in Athen an den Rand einer Katastrophe ge bracht hat. Feirilletsir» Sneewittchen. LSI Roman von A. I. Mordtmann. Nachdruck verboten. Als Zarnow mit Gerard allein war, beeilte er sich zunächst, diesen Argwohn zu zerstreuen, und es nahm ihn einigermaßen Wunder, daß Gerard diese Eröffnung wie die Vernichtung einer angenehmen Hoffnung zu empfinden schien. Er fügte daher hinzu: „Wie sollte ich auf den Einfall kommen, mich um Juanita zu bewerben? Was könnte ich ihr bieten? Ich habe nur ein bescheidenes, ungewisses Loos, sie dagegen ist schön, jung, reich . . . ." „Reich!" fiel Gerard ein. „DaS kann man doch nicht sagen!" „Ach so — ich vergaß", sagte Zarnow, „daß sich die Dinge seitdem anders gestaltet haben." „Das wohl, mein lieber Doctor", antwortete Gerard, „aber in einer Beziehung haben sie sich doch nicht ge ändert. Was ick Juanita in meinem Testament zugedacht habe, daS bleibt ihr, und daran ist durch meine Ver- heirathung nicht das Geringste geändert worden. Aber es ist nicht so viel, daß man sie reich nennen könnte. Eine gute Mitgift — nun ja — die auSreicht, um sie vor dem Betteln zu bewahren." Er schritt einige Male im Zimmer auf und ab und schien mit einer gewissen Befangenheit zu kämpfen. Zarnow wollte seine weiteren Mittheilungr» nicht gerade jetzt an- bringen, da er sah, daß Gerarv ihm noch etwas anzu vertrauen hatte. „Nehmen Sie eS mir nur nicht übel, lieber Zarnow", begann Gerard, immer noch umhergebend, „paß ich da vor Ihnen hrrumlaufe wie rin in Freiheit dressirtes Trampelthier. Wir wollen über Juanita spreche», da muß ich ein wenig weiter auSholen und weiß nickt recht — aber hole der Teufel die Verlegenheit zwischen zwei Männern! — Sie müssen doch dies und daS wissen, ehe Sie mit mir zum Esten gehen . . ." „Aber, Herr Gerard, daS kann ich doch nicht annehmen. Es geht doch nicht, daß ich Ihnen so unversehens . . ." „Unsinn!" unterbrach ihn Gerard. „Sie kommen natürlich mit mir zum Essen! — Darauf ist meine Frau seit gestern Abend schon gefaßt, wo wir Sie im Theater gesehen haben — warum sind Sie nur so ganz urplötzlich davongelaufcn?" „Ich war stark ermüdet und hatte mir doch Wohl zu viel zugetraut, als ich in'S Theater ging." „Ja natürlich! Und dann gleich in diesen greulichen Singsang und Brimborium hinein! Ich habe es auch meiner Frau gesagt, um so was auszuhalten, muß man die Nerven eines vorsintfluthigen Dickhäuters haben. Eine einzige schöne Stelle ist darin — wissen Sie die, wenn die schwarze Person unter dem Upas ihr Sterbelied singt — das da . . Und er summte die Melodie der letzten Arie Selica'S, unterbrach sich aber plötzlich und sagte: „Na, also. Sie essen bei mir, einen Löffel Suppt, etwas Rindfleisch oder Fisch — mit einem Wort, was eS gerade giebt — Sie wissen za, daß man bei Gerard nicht schlecht ißt." „Ich habe es von früher her in angenehmer Erinnerung", antwortete Zarnow lächelnd. „Gut. Das wäre also abgemacht, und jetzt können wir vernünftig mit einander reden. Sie wissen ja, wa« die Cilli für ein schönes Mädchen war, und werden sich also nicht wundern, daß sie mir nach und nach in'S Herz eingezogen ist. Sie nahm meinen Antrag an und wurde meine Frau. Ich war gefaßt darauf, daß alle meine Bekannten mich be dauern und über den steinalten Quadrates«! schimpfen würden, der sich noch eine blutjunge Frau nähme — aber eS ist mir nicht« Derartige« zu Obren gekommen. WaS speciell meinen Schwager Mauvillon betrifft, so hat er sich so herzlich und aufrichtig gefreut, daß mir damit ein Stein, und zwar ein ganz rentnerschwerer Felsblock, vom Herzen gefallen ist. Nur ein einziger Mensch hat, Gott mag wissen, welche, Be denken gehabt — ein Bonze!" „Ein Bonze?" „Na ja, ich meine einen Pastor. Der weigerte sich absolut, mich zu trauen, obgleich r» ein alter Schulfreund von mir ist — der Hauptpastor Ritza»." „Ah — Riyaul" murmelte Zarnow. E» wallte wie eine Fluth warmer Dankbarkeit in seinem Innern auf. Er erinnerte sich, daß Ritzau um sein Verlöbnis, mit Cäcilie gewußt Hab». „Ja, der Ritzau. Nun, es giebt ja mehrere Millionen anderer Pastoren in der Welt, und wir sind darum nicht in Verlegenheit gekommen. Wa» der Mann gegen die Hochzeit gehabt hat, weiß ich nicht. Na, es ist auch einerlei. Wir, Cäcilie und ich, leben sehr glücklich zusammen, und cs giebt nur ein Thema, worüber wir nicht allemal ganz einig sind. DaS ist Juanita." „Ich habe es mir gedacht", sagte Zarnow ehrlich. „Nicht wahr, es ist so natürlich, daß da etwas weibliche Eifersucht ins Spiel gekommen ist? Daraus erklärt sich ja so viel. Cilli hat ein Vorurtbeil gegen Juanita, das ich trotzdem nicht ganz begreife. Wenn ich es auch mit aller Macht bekämpfe, so habe ich dock eingesehe», daß eS nicht gut thun würde, zwischen zwei Frauen zu stehen, die man beide gleich lieb hat. So kommt eS, daß Sie das Mädchen nicht des uns sehen werden. Sie ist in Bergedorf." „Das wußte ick schon. Ich habe in Brasilien «in paar Mal Briese von ihr auS Bergedorf bekommen." „Sieb, sieh!" Gerard lächelte etwas gezwungen. „Die kleine Hexe! Hat sie nicht geschrieben, daß sie sich da wobl fühlt?" „Offen gestanden, nein, Herr Gerard. Sie fühlt, was sie verloren hat, seitdem sie nicht mehr Ihr Cello auf der Violine begleiten darf." „Als ob mir das nicht auch fehlte!" rief Gerard. „Aber Juanita kann sich doch leicht entschädigen. In der Pension fehlt es nicht an Gelegenheit, Duette, Quartette und alles Teufelszeug zu spielen." „Aha, also so ist es!" backte Zarnow. „Die gnädige Frau hat es vorgezogen, den Herrn Gemahl nicht- davon wissen zu lassen, daß wegen ihrer Eifersucht das arme Mädchen der Musik beraubt sein muß." Aber er sagte nicht«. Gerard sprach noch viel, und immer mit einer starken Befangenheit kampfend, über die Notbwendigkeit, im Jntereffe aller Betheiligten häusliche Conslicte und Unannehmlichkeiten fern zu halten und deshalb Cäcilie und Juanita zu trennen. AuS seinen Reden war deutlich herauSzubören» daß er fühlte, wie unrecht dem Mädchen geschehe, daß er in das jetzige Arrangement nur gewilligt habe, um Schlimmeres zu ver hüten, und daß er sich sehr anstrenge, »m Cäcilien'S Benehmen wenigstens einigermaßen zu entschuldigen. Je weniger er dafür stichhaltige Gründe anzugeben wußte, desto eifriger war er bemüht, sich selbst durch Worte zu betäuben. Zarnow empfand ein gewisses Mitleid bei diesen Be- mäntelungSversuchcn des sonst so freimüthigen und treuherzigen ManneS. Er benutzte die nächste Pause in dem ungewohnten Redefluß Gerard'», um zu bemerken r „Es läßt sich hoffentlich für Juanita bald eine Stellung ausfindig machen, die sie der Eifersucht ihrer schönen Stief mutter entzieht. Unser holdselige» Sneewittchen bat Anwart schaft, zwar nicht auf einen Prinzen, aber auf Reichtbümer, die ihr einen Prinzen verschaffen können." „WaS der Tausend — was sagen Sie da?" „Hören Sie mich einmal an." Zarnow erstattete ausführlich Bericht über die Auffindung von Juanita's Erbtheil. Staunend hörte Gerard Alles an. Mitunter Wellie cs ihm Vorkommen, als pbantasire der Herr vr. Zarnow. aber der Depotschein der englischen Bank über die von ib: ver wahrten Diamanten und die Wechsel der Anzle-Vrazilian Bank schlugen jeden Zweifel siegreich nieder. „Und jetzt, Herr Gerard", so schloß Zarnow seinen Be richt, „müssen wir uns darüber einig werten, was nun, wie die Dinge einmal liegen, am besten zu geschehen hat. Sie werden es mir nicht verdenken, wenn ich als Ueberbringer dieser freudigen Botschaft eine entscheidende Stimme bei den Berathungen über Juanita für mich m Anspruch nehme." „Selbstverständlich!" erklärte Gerard, dem seine gewöhn liche Neigung zu übertreibenden Redensarten auf einmal ganz abhanden gekommen zu sein schien. „Ich reise also morgen, als am Pfingstsonntag, nach Bergedorf und werde Juanita alles Da» erzählen, WaS ich Ihnen eben mitgctbeilt habe. Dann werde ich hören, welche Pläne und Ideen Juanita selbst für sich hat, und mich zu deren Träger in einer Berathung machen, die wir drei: Sie, Mauvillon und ich, abhalten werden." „Einverstanden!" „Mit Ihrer Frau Gemahlin werde ich, wenn Sie er lauben, über dieselbe Sache ein wenig reden, und ich hoffe, sie zu überzeugen, daß diese Art vorzugehen, die einzige ist, die rathsam erscheint." DaS war ein Vorschlag, der augenscheinlich Herrn Gerard sehr gelegen kam. Er zog seine Uhr und sagte: „Es ist jetzt halb zwölf Uhr. Ich muß bald zur Börse — wie wäre eS, wenn Sie sich aufmachten, sich bei meiner Frau als Mittagsgast anmeldeten und gleich diese Angelegen heit zur Sprache brächten? Um zwei Uhr essen wir, va hätten Sie also ganz prächtig Zeit." Nichts konnte Zarnow willkommener sein. Er ver abschiedet« sich von Gerard, dessen Schwager und Hartmann und fuhr, da es immer noch regnete, in einer Droschke nach . Fontenay hinaus.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite