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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.04.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970428021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897042802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897042802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-28
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Im Reichstage ist aber schon bei der Berathung des AuS- wanderungSgesetzcs eine namentliche Abstimmung zu erwarten. Vorläufig steht somit die Wiederholung der Komödie, die bei der zweiten Berathung der Margarine-Vorlage sich abspielte, in Aussicht. Dem Vernehmen nach werden weitere namentliche Abstimmungen bei der Handwerker-Borlage erfolgen, sodann natürlich bei dem Margarinegesetz, sobald man Len Muth hat, dem Reichstage damit wieder zu kommen. Vielleicht wird eö auf diese Weise sich schließlich ermöglichen lassen, daß die zur Beschlußfähigkeit erforderliche Hälfte des Reichstages sich zusammenfindet; sonst wird die Session „versumpfen". Auch inhaltlich bot die gestrige Reichstagssitzung wenig Erbauliches. Die Erfinder und sich gläubig stellenden Verbreiter der an geblichen Depesche des Kaisers an den Prinzen Heinrich konnten aus der Art, wie der Abg. Bebel diese angebliche Kundgebung ausbeutete, ersehen, daß sie der Social demokratie neues Wasser auf die Mühle geführt haben, und jene Kreise, deren Berus es wäre, derartigen Gerüchten recht- reitig entgegenzutreten, hatten Gelegenheit, sich zu über zeugen, daß es ein politischer Fehler war, die Veröffent lichung des wahren Wortlautes der Depesche, wenn eine solche überhaupt cxistirt, dem Gerüchte nicht auf dem Fuße folgen zu lassen. Hoffentlich wird das bisher Versäumte nachgeholt, bevor die Majorität des Hauses, die durch die angeblichen Auslassungen deS Kaisers gekränkt fühlt, Gelegenheit gefunden hat, diese Empfindung auch auf ihre Wähler zu übertragen und dadurch dieAussickten auf eine günstigere Lösung derFlöttenfrage in der nächsten Reichstagssession nicht nur, sondern auch in fernerer Zukunft noch mehr zu trüben, vr. Peters, dessen „Fall" einen breiten Raum in der Debatte einnahm, kann aus dem heißen Bemühen des Abg. Bebel und seiner Freunde, den verhaßten Eolonialmenschen einer noch härteren Strafe zu unterwerfen, ersehen, daß er sich entweder hätte hüten müssen, den Vorbereitern des „großen Kladderadatsch" die Aussicht ans Eintritt in ihre Reihen zu eröffnen, oder daß er, um mildere parlamentarische Richter auf den Bänken der Social- demokratie zu finden, sich in die Arme des Herrn Bebel hätte werfen müssen. Wie anders hätte sich in diesem Falle Herr Bebel gestern vernehmen lassen! Es waren ja aller dings keine Könige, keine Minister und nicht einmal ordinäre Angebörige der Bourgeoisie, die dem Urtheile des Or. Peters zum Opfer gefallen sind; in eine Linie mit Caserio und anderen „Wohllbätern der Menschheit" hätte er also von Herrn Bebel nicht gestellt werden können. Aber hätte er wenigstens als Zweck seines Verhaltens eine kleine Revolution unter den Schwarzen angeben und diesen Zweck durch sein sonstiges Verhalten wahrscheinlich machen können, so würde Herr Bebel für völlige Freisprechung oder doch mindestens für mildernde Umstände mit der ganzen Kraft seiner Beredtsamkeit eingetreten sein. Selbst Herr Lenzmann hätte vielleicht ein menschliches Rühren gefühlt. Den Gegnern der Socialdemokratie bat cs freilich Or. Peters sehr schwer gemacht, den Berfolgungseifer dieser seiner Feinde zu dämpfen, aber als eine Unterlassungssünde müssen wir cS trotzdem bezeichnen, baß die Borberciter des „großen Kladderadatsch" und Anwälte der anarchistischen Mordbuben sich ohne Widerspruch als die berufenen Schützer des „cultivirtcn, civilisirten christlichen Staates", als berufene Richter und Rächer brutaler Handlungen ausspielen durften. Daß Herr Bebel so thöricht gewesen sein sollte, wie die „Nat.-Ztg." berichtet, nach welcher er von dem „Rube- posten eines Senatspräsidenten beim Reichs gericht" gesprochen bat, glauben wir, im Gegensätze zu dem zecialdeiiiokratische» Führer, der jedes seinen Gegnern un günstige Gerücht als Tbatsache ansieht und ausbcnlet, vor läufig schon deshalb bezweifeln zu müssen, weil im ganzen Hause sich Niemand fand, der gegen eine solche Albernheit protestirte. Es trifft sich eigenartig, daß zur selben Zeit, in der in Deutschland wegen des Falles Peters bei den Einen eine gewisse Niedergeschlagenheit, bei den Anderen Schaden freude herrscht, in Frankreich gelegentlich eines an sich nicht allzu bedeutenden Ereignisses Betrachtungen über die Bedeut,,«» von Kolonie» ängestellt werken. In dem an der südöstlichen Küste von Tunis gelegenen Ssax ist ein Hafen angelegt worden, während man bisher etwa 4 Icm von der Stadt hatte Anker werfen müssen. Zur Feier dieses Ereignisses sind nicht weniger als drei Minister nach Ssax geeilt, um dem Feste durch ihre Anwesenheit den Stempel einer besonderen Feierlichkeit aufzudrücken. Der „Figaro" bemerkt dazu, dies sei ein erfreuliches Zeichen dafür, daß man in Frankreich von den verrotteten Anschauungen über den Werth von Colonien zurückzukommen beginne. Man habe noch vor einigen Jahrzehnten geglaubt, daß Colonien nur dazu da seien, Verbrecher aufznnehmeu und Beamte in gutdotirte Stellungen zu bringen. Jetzt sei man zu der Einsicht gelangt, welche hohe Bedeutung der Besitz von Colonien für die wirthschaftliche Bedeutung eines Staates habe. Frankreich werde wohl daran tbun, nicht auf dem Schlachtfeld«, sondern in den colonialen Fragen seine Gegnerschaft zu England und Deutschland auszutragen; aus diesem Gebiete Erfolge ru erringen, sei eine gute A't. der Revanche. Die Franzosen beweisen mit solchen Auf fassungen einen weiteren Horizont als z. B. die „Freisinnige Zcilung", die im Anschlüsse an den Fall Peters schreibt, dieser Fall fordere wieder dazu auf, die deutsche Colonial politik in einen möglichst engen Rahmen zu spannen. Diese Politik sei eine Unglückspolilik, die materiell nicht den mindesten Nutzen bringe. Außerdem leide das deutsche An sehen durch die Fälle L In Peters. Wenn der Fall Peters zu einer Einschränkung der Colonialpolitik führte, so wäre das genau so, als wen» man wegen einiger Soldaten mißhandlungen die deutsche Armee verringern wollte, weil dann weniger Unterosficiere vorhanden seien und damit die Anzahl der Mißhandlungen sich verringern würde. Es ist bedauerlich, daß auch einige Blätter des CentrumS sich die Logik der „Freis. Ztg." aneignen. So schreibt die „Germania", daß Fälle wie an die Namen Leist. Wehlau und Peters sich knüpfende die Neigung, die deutsche Colonialpolitik materiell zu unter stützen, verringern müßten. Die Geneigtheit, die coloniale Politik zu unterstützen, darf doch nur davon abhängen, ob man sie für aussichtsreich hält, nicht aber von den Empfindungen, die durch das schlimme Verhalten einzelner Personen erweckt werden. Die Wichtigkeit colonialen Besitzes sollte eben jetzt einleuchten, wo Amerika Prohibitivzölle ein führen will und wo großbritannische Colonien daran gehen, zur Förderung der Industrie deS Mutterlandes den Import der fremden Staaten durch Zollmaßrcgeln zu beschränken. Der „Figaro" nennt die für das Schicksal der Ausdehnung der französischen Colonien so bedeutungsvolle, auf colonialen Besitz keinen Werth legende Politik LuLwig's XIV. schwach köpfig; möge der deutschen Politik der Gegenwart ein so strenges Urtheil der Politiker des nächsten Jahrhunderts er spart bleiben. An den Besuch Kaiser Fra»; Joseph'» in Petersburg haben sich nicht mit Unrecht große politische Erwartungen geknüpft. Sie sind nicht getäuscht worden, denn die beiden Kaisertoaste auf dem gestrigen Prunkmahle sind historische Documente von weittragender Bedeutung für die Gestaltung der Dinge auf der Weltbühne und speciell in Europa auf geraume Zeit hinaus. Es wird unS darüber berichtet: * Petersburg, 27. April. Bei dem heutigen Prunkmahle brachte Kaiser Nicolaus folgenden Trinkspruch ans Kaiser Franz Joseph aus: „Glücklich über die Anwesenheit Ew. Majestät unter Uns, ist es Mir ein Bedürfnis!, Ihnen für diesen neuen Beweis der aufrichtigen Freundschaft, welche Uns um schließt, zu danken. Diese Freundschaft ist befestigt durch eine Gemeinsamkeit derAnsichten und der Grün dsätze, welche bezweckt, Unseren Völkern die Wohlthaten des Friedens zu sichern. Ew. Majestät können die herzlichen Gefühle, von denen Ich für Sie beseelt bin, ans dem ganz besonderen Werthe, de» Ich auf eine vollkommene Solidarität unter Uns lege, ermessen. Im Hinblick ans das erhabene Ziel, das Wir verfolgen, trinke Ich auf die Gesundheit Ew. Majestät, Ihrer Majestät der Kaiserin und der ganzen kaiserlichen Familie." Kaiser Franz Joseph antwortete mit folgendem Lrinkspruche: „Tiefgerührt von dem herzlichen und innigen Empfange, den Ew. Majestät Mir zu bereiten die Güte hatten, und von den vielfachen Aufmerksamkeiten, von denen Ich seit dem Augenblicke, da Ich dir Grenzen Ihrer Staaten überschritten habe, umgeben worden bin, liegt es Mir ganz besonders am Herzen, Ew. Majestät dafür Meinen lebhaftesten und aufrichtigsten Dank auszusprechen. Ich sehe darin gern einen neuen Beweis der engen Freundschaft, die Uns umschlingt und die, gestützt auf die Gefühle gegenseitiger Achtung und Loyalität für Unsere Völker, eine feste und sichere Bürgschaft des Friedens und Wohlstandes bildet. Unerschütterlich dem Siege dieser Sache hingegeben, werde Ich mich stets glücklich schätzen, zu diesem Zwecke auf die kostbare Mitwirkung Ew. Majestät rechnen zu dürfen, und in der Ueberzeugung, daß der Erfolg Unserer gemeinsamen Anstrengungen gesichert ist, trinke Ich auf die Gesundheit Ew. Majestät und der kaiserlichen Familie". Beide Trinksprüche wurden in französischer Sprache gehalten. Der Ton, der in diesen beiden Trinksprüchen angeschlagen wird, geht weit über den Ausdruck conventioneller Höflichkeit hinaus, er ist von einer Herzlichkeit und gegenseitigen Sym pathie, die an Tiefe und Aufrichtigkeit nichts zu wünschen läßt und sich in gleicher Weise in den Toasten des Zaren während seines Besuchs in Frankreich nickt findet. Aber von noch weit größerer Bedeutung ist die scharsaccentuirte Versicherung der Gemeinsamkeit der in der Erkaltung des Friedens gipfelnden Interessen der beiden Kaiserreiche, eine Gemeinsamkeit, die ihxe mächtige Stütze findet in der Uebereinstimmnng der Ansichten und Grundsätze beider Monarchen. Beide haben sich ihre gegenseitige Mitwirkung zu „gemeinsamen", auf die Erhaltung deS Friedens ab zielenden „Anstrengungen" zuzesagt in der zuversichtlichen Erwartung, daß dieselben von Erfolg gekrönt sein werden. Eine solche Aussprache im gegenwärtigen Augenblick, der den Weltfrieden durch den griechischen Völkerrechtsbruch, die fricdensfeindliche Politik Englands und die schwankende Haltung Frankreichs bedroht sieht, muß ebenso beruhigend, wie klärend wirke». Nicht ohne allen Grund hatte man Oesterreich eineZeit lang in Verdacht, daß es in der orientalischen Frage zu England hinneize und von Rußland abzurücken strebe. Nach den gestrigen Kaisertoasten ist allen derartigen Befürch tungen der Boden entzogen. Rußland und Oesterreich-Ungarn stehen Schulter an Schulter, um den Frieden zu hüten, d. h. im concreten Falle, für die Integrität deS osmanischen Reiches einzustehen, und da Englands Ziel gerade das Gegentheil, die Zertrümmerung und Auftbeilung der Türkei ist, so be deutet der Zusammenschluß Oesterreich-Ungarns und Ruß lands zugleich eine gemeinsame Frontstellung gegen England. Aber auch nach einer anderen Seite ist die österreichisch-russische Annäherung, diese „euteuts corclialo", wie man nach den Kaiserloasten wohl sagen darf, von nicht zu unterschätzendem Werthe. Als Rußland in Paris Fühlung suchte, als es mit Frankreich sich verbündete, geschah es auch zu dem Zweck, den Weltfrieden keinen Störungen auszusetzen. Man hielt ihn durch den Dreibund bedroht und sah in der französischen Republik ein gefügiges Werkzeug zur Erreichung dieses Zweckes. Heute reicht der Zar dem Kaiser Franz Josef die Hand, also einem der Lreibundfürsten, pm sich seiner Hilfe bei der um jeden Preis friedensfreundlichen Politik Rußlands zu versichern. DaS ist ein Abrücken Rußlands von Frankreich, dem man in Petersburg nicht mehr volles Vertrauen schenkt, und zwar mit Grund, da eS der russischen Action in den griechisch-türkischen Wirren nur mit höchstem Widerstreben und ohne Garantie für die Stetigkeit deS an der festen Hand Rußlands nun einmal eingeschlagenen CurseS gefolgt ist. Wie von ver Friedfertigkeit Oesterreichs hat der Zar sich auch von dem aufrichtigen Wunsch Deutschlands, der Welt die Seg nungen des Friedens zu erhalten, wiederholt überzeugen können, und wenn Kaiser Wilhelm in Petersburg vem Zaren seinen Gegenbesuch abstanet, wird eS aus dem gehaltenen Trink- sprucke herausklingen wie ein Echo der gestrigen Kaisertoaste. In Paris spricht man schon jetzt von einer Autiquirung der franto-russischen Allianz und einem neuen Dreikaiserbündniß. Soweit ist es allerdings noch nicht, obwohl die Entwicklung der Dinge daraus hinauszugehen scheint, aber thatsächlich stehen die drei Kaiser Hand in Hand, um Jedem, wer es auch sei, die Lust am FriedcnSbruch vergehen zu machen und das formell noch bestehende franko-russische Einvernehmen hat Alles Bedrohliche für Deutschland völlig verloren. Von kriegerischen Operationen auf dem thefsallsch-epi- rotischcu Kriegsschauplätze ist heute wenig zu melden. Die Griechen entschädigen sich für die schwere Niederlage bei Mali durch Meldungen, die, aus EpiruS datirt, aber höchst wahrscheinlich in Athen fabricirt, von dem siegreichen Vor dringen der griechischen Truppen zu berichten wissen, während Konstantinopeler Meldungen das Gegentheil besagen und in Athen eine Aufgabe des epirotischen Kriegsschauplatzes be schlossene Sache zu sein scheint. Wie die Lage sich dort in Wirklichkeit gestaltet hat, ist überhaupt von sehr geringen! Interesse angesichts der Vorgänge in Athen, wo die Nachricht von der Niederlage der griechischen Hauptmacht Feuilleton^ Sneewittchen. 221 Roman von A. I. Mordtmann. Nachdruck verbotkn. Gleich darauf erschien der Arzt. Er war überrascht, Paul in dem Krankenzimmer zu finden und machte ihm Bor würfe über seine Unvorsichtigkeit. „Reden Sie nur zu, Doctor", sagte Paul gleichmüthig. „Ich konnte meine Frau nickt allein sterben lassen." „Ach was, sterben!" bemerkte der Arzt, indem er sich neben die ununterbrochen schlafende Anna setzte. „Wer spricht davon?" Er beobachtete die Kranke sorgsam und stand dann wieder auf. „Es ist fast ein Wunder, daß Ihre Frau die Nacht noch überlebt hat — aber sie hat'S, und nun schläft sie wie ein Engel im Paradiese. Was wollen Sie mehr?" „Ist sie außer Gefahr, Doctor?" fragte Paul. Seine Stimme klang raub und unsicher. „Nach menschlichem Ermessen nicht. E« wird Alles gut werden." Er nahm seinen Receptirblock und schrieb. „So — das lasten Sie machen, eS ist nur zur Stärkung, die beste Medicin haben^ Sie ihr heute Nacht gebracht — gegen meine Vorschrift." Er sah Paul mit einem seltsamen Blick an, der unwillig sein sollte und das Gegentheil war. „Heute Abend komme ick wieder. Dann wirds wohl Zeit sein, daß ick den Herrn Mauvillon in die Cur nehme. Wenn die Menschen sich mit Gewalt krank machen, so müssen sie ihren Willen haben." Und wieder musterte er Paul mit jenem seltsamen Blick. Paul lachte und bemerkte, er fühle, daß die tückische Krank heit über ihn keine Gewalt habe. Und er behielt Recht. Die Sonne stieg höher, und als ibre ersten Strahlen in das Krankenzimmer fielen, erwachte Anna. Die Wärterin, die durch verdoppelten Eifer ihren Fehler gut machen wollte, war sofort zur Hand und sorgte für die Behaglichkeit der Kranken. Sie erzählte, daß der Arzt da gewesen sei und sich äußerst zufrieden ausgesprochen habe. Anna hörte kaum hin. „Mir hat geträumt, mein Mann war hier", sagte sie traurig. „So lebhaft, als wäre «S wirklich." „Der Herr Mauvillon war die ganze Nacht da", ant wortete die Wärterin. „Jetzt ist er müde und schläft dort in meinem Lehnstuhl." Es war so. Die Natur behauptete ihr Recht und Paul war, erschöpft durch die Spannung der letzten Stunden und beruhigt über die Zukunft, «ingeschlafen. Anna lächelte glückselig und sank wieder in ihr Kiffen zurück. Draußen flulbete und ebbte das lärmende Treiben der Großstadt. In dem Krankenzimmer aber herrschte friedliche Ruhe und lichter Sonnenschein — Sonnenschein, der durch die Fenster fiel und das Gemach mit leuchtendem Goldglanz erfüllte, Sonnenschein, der in den Gemülbern neue Lebens freude erweckte, Sonnenschein, der die EiSrinde der Ent fremdung von den Herzen wegschmolz . . . Paul war bald wieder munter geworden. Nun saß er am Bette Anna'S und ihr Haupt ruhte an seiner Brust. Sie hatten sich unendlich viel gesagt; merkwürdig, daß sich die unendliche Fülle diese- Gesprächs in so wenig Worte pressen ließ! „Mir war'-, als hättest Du mich gerufen", so beantwortete Paul eine Frage Anna'S. „Darum kam ich herüber." „Ich sehnte mich nach Dir, aber . . ." Und da sie verstummte, fuhr Paul fort: „Aber Du wolltest e- mir nicht sagen lasten, weil Du ja nicht wußtest, wie mir zu Muthe war . . . Weißt Du e- denn jetzt?" „Sag es mir." „Ich dachte, mein Aennchen könnte vergessen, wie noth- wendig sie in meinem Leben ist, und sie könnte. . seine Stimme ward so eigenthümlich bewegt, daß Anna sich fester an ihn schmiegte. „Da hielt ich eS nicht länger aus» und ich kam zu Dir, um Dich festzuhalten, wenn Du — fort wolltest." „O, ick will nicht fort", flüsterte Anna. „Jetzt nicht mehr." DaS war ihre kurze Unterredung, von der eS Beiden bedünken wollte, sie wurde, niedergeschrieben, einige Bände füllen. vr. Eberhardt konnte am Abend erklären, daß wirklich jede Gefabr vorüber sei, nur die Besorgniß um Anna'S Augen bliebe zurück, und daS deutele er Paul durch eine Handbewegung an. In die tiefe Traurigkeit, die sich bei dieser Ankündigung über Paul berabsenkte, mischte sich doch auch ein anderes Gefühl; er wollte seine dem Leben wieder gewonnene Gattin mit einer solchen Fülle von liebender Sorge umgeben, daß sie den Verlust deS Augenlichts ver schmerzen sollte. Die folgende Nacht schlief Paul auf einem Divan, der so dicht an Anna'S Bett herangezogen wurde, daß zwischen Beide» nur ein schmaler Raum als Durchgang frei blieb. Die Wärterin schwor hoch und theuer, daß sie heute Nacht wach bleiben würde, und Paul sah, daß er ihr Glauben schenken dürfe. Es mochte eine Stunde nach Mitternacht sein, als er Anna seinen Namen rufen hörte; augenblicklich war er ganz wach und dicht bei ihr. Sie zitterte am ganzen Leibe und schluchzte heftig. „Was ist denn, Aennchen?" fragte er ganz bestürzt. „O, ick erwachte mit einem solchen Schreck!" erklärte sie. „Es war so finster! Und da überkam mich die tödtliche Angst, daß ich nie wieder sehen würde. Nicht wahr, das kommt bei den Pocken oft vor?" Paul zog die untröstlich Weinende dichter an sich und sprach ihr beruhigend zu. Er streichelte ihr das Haar und die Wangen» trocknete ihre Thränen und flüsterte zärtliche Worte in ihr Ohr. Allmählich ward sie auch gefaßter. „Wenn ich Dich nur immer dicht bei mir hätte," sagte sie bittend. „Ich bleibe bei Dir," erklärte er. „Ich kann jetzt nicht ohne Dich sein — ich meine, wenn Du nicht da bist, muß ich sterben. Sonst würde ich daS Opfer nicht von Dir verlangen." Paul lachte und küßte sie. „Ein Opfer, mein Liebling? Etwa-, waS ich für Dich thue? Warum nicht gar!" Sie seufzte tief aus. „Sage das noch einmal," bat sie. „Ich habe eS lange nicht gehört." „Mein Liebling!" wiederholte Paul bewegt. „Und nun sei still und schlafe. Ich bleibe bei Dir." Wieder wie in der vorigen Nacht schlief Anna ein, seine Rechte fest umklammernd, und abermals hielt Paul treue Wacht bei seinem kranken Weibe. In der Frühe mußte ihn die Wärterin beinahe mit Gewalt entfernen. Anna schlief noch immer, einen so friedlichen Ausdruck im Gesicht, daß Paul darüber fast ängstlich wurde. Doch endlich gab er dem Zureden der Frau nach und warf sich auf sein improvisirteS Lager, um den versäumten Scklaf nachzuholrn. Die Sonne trat ihren gewohnten Lauf an; langsam wanderte sie am Himmel herauf und schoß kurz vor Mittag ihre Hellen Strahlen in daS Krankenzimmer. Da fuhr Paul auf, erweckt von einem lauten Iubelrus Anna'S: „Ich kann sehen! Ich sehe Dich, Paul!" 14. Capitel. In dem brasilianischen Staate — vormals Provinz — Espirito Santo, der sich in geringer BreitenauSdehnung zwischen den Höhen der Sierra de AimoreS und dem Meere von Norden nach Süden erstreckt, liegt die kleine Hafenstadt Caravellas. Vor dieser liegt im Meere die gefährliche Klippenreihe der Abrolhos, die schon manchem guten Schiffe verderblich geworden ist, das sich auf der Fahrt von Bahia nach Rio oder umgekehrt in zu großer Nähe der Küste hielt. Schon unter portugiesischer Herrschaft hatte man ans einer der größeren Klippen aus soliden Quadern einen Leuchtthurm errichtet, dessen fester Bau bis dahin allen Angriffen der mächtigen Wogen deS Atlantischen OceanS Trotz geboten. Jetzt ist er durch einen eisernen Leuchtthurm auf dem benach barten Jnselcben St. Barbara ersetzt. Der Lenchtthurmwärter hatte eS früher zwei gegeben, die sich allwöchentlich ablösten. DaS Boot, das die Ablösung hinüber führte, erneuerte auch die Lebensmittel und Getränke, wobei darauf Bedacht genommen werden mußte, daß der neue Dorratb nöthigenfallS auf einige Tage länger als bis zur nächsten Ablösung reichte. Denn die einzige Stelle, der zur Tbür des ThurmeS hinauf führenden steinernen Treppe gegenüber, wo ein Boot landen konnte, war nur bei einiger maßen ruhigem Wetter geschützt; bei stärkerem Winde war die Landung schon mit erheblichen Schwierigkeiten verknüpft, bei einem Winde aber» der die mittlere Stärke nur um ein weniges überschritt, ganz unmöglich. Hielt eine tüchtige Brise mehrere Tage an, so war jede Verbindung mit dem Lande abgeschnitten, und der da oben hausende Wärter hatte keine andere Gesellschaft als die gefräßigen Seevögel, die kreischend um die dicken Glasscheiben der sogenannten Laterne flogen, den heulenden Sturm und die brandenden Wellen, die ihm mit ihren abgerissenen Schaumflockrn bi- dort oben hin ihren unwillkommenen Gruß entboten. Vor etwa zehn Jahren war der eine der beiden Wärter gestorben, und seinem Gefährten, der ihn doch immer nur während der wenigen von der Ablösung in Anspruch ge nommenen Minuten gesehen hatte, ging dies so nahe, daß er die Provinzialbrhörden bat, ihn in den Ruhrstand zu
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