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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.04.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970430022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897043002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897043002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-30
- Monat1897-04
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Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzrichniß. Tabellarischer und giffernsatz nach höherem Tarif. - - Sptra-Beilage» (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbesörderunz; 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annuhmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets an die Expeditia» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz ip Leipzig. ^ 218. Freitag den 30. April 1897. 91. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 30. April. AuS den bisherigen Verhandlungen des Reichstags über ras Jnvalidcnversichernngsgcsetz kann, waö übrigens auch schon daraus hervorging, daß der Entwurf nicht vor Ostern zur ersten Lesung gestellt war, mit annähernder Sicherheit geschlossen werden, daß in der gegenwärtigen Tagung das Gesetz nicht mehr zu Stande kommt. Die Commission zur Borberathung der Unfallvcrsicherunzsnovelle hat noch so viel Arbeit zu erledigen, daß sie eine Borberathung des JnvalidenversicherungSgesetzes überhaupt nicht übernehmen könnte. Aber selbst wenn eine besondere Eommission eingesetzt würbe, so würde diese bei der Fülle tiefer Gegensätze, rie in der ersten Berathung bei verschiedenen Einzelsragen sich herausgestellt haben, zu einer baldige» Einigung mcht zu gelangen vermögen. Gerade die Herbeiführung von Eompromissen erfordert, wie die Erfahrung lehrt, geraume Zeit, und diese ist, wie allgemein angenommen wird, in der gegenwärtigen Tagung nicht vorhanden. Man sollte sich deshalb, bevor man an die Einzclberathung dcS Gesetzentwurfs in einer Eommission geht, erst darüber versichern, ob die Session geschlossen oder wieder, wie im Vorjahre, vertagt werden soll. Nur in letzterem Falle hätte es praktischen Werth, sicl, sofort an die Borberathung des Entwurfs zu machen, die nach Wiederaufnahme derSitzungcn im Herbst dieses Jahres fortgesetzt werden könnte. Daß der Ausweg, einige wenige Bestimmungen aus dem Entwürfe herauszuheben und den Versuch zu machen, wenigstens sic noch in der jetzigen Tagung zu verabschieden, bei den verbündeten Negierungen nicht ge billigt werden würde, war voranszusehcn. Der Hauptpunct, der nach der Ansicht der verbündeten Negierungen eine baldige Erledigung erheischt, ist die andere Vertheilung der Nentenlast. Aber gerade die hierauf bezüglichen Be stimmungen befinden sich nicht unter denen, die nach dem Vor schläge deS Abg. Rösicke vorweg erledigt werden sotten. Es war deshalb nicht überraschend, daß dieser Vorschlag von dem Ver treter der verbündeten Regierungen abgelehnt wurde. Auch die Pläne auf völlige Umgestaltung der Invalidenversicherung im Einzelnen und der Ärbeiterversichecung im .Allgemeinen haben keine Aussicht auf baldige Verwirklichung, das haben die Rcichstagserörterungen von Neuem bewiesen. Es ist deshalb zu empseblen, im Herbst so früh als möglich sich von Neuem mit der Novelle zu beschäftigen, um wenigstens die Abstellung der gröbsten Mißstände zu erzielen. Mit den Beschlüssen deS Reichstages in Sachen des Jesttitcngcsctzcö hat sich vorgestern der Bundesrath be schäftigt. Er hat die Anträge, das ganze Gesetz oder wenigstens § 2 aufzubeben, wonach ausländische Jesuiten ausgewiesen und inländische Aufenthaltsbeschränkungen auf erlegt werden können, dem zuständigen Ausschüsse überwiesen. Es ist unlängst eingehend berichtet worden, wie unter dem offensichtlichen Vorwissen der erzbischöflichen Behörde in Posen in Zirke und in Schwerin a. d. Warthe polnische Jesuiten aus Krakau Missionen abgchalten haben und auS- gewiesen worden sind, nachdem mit vieler Mühe die Be hörden batten feftstellen können, mit welchen Persönlichkeiten sie zu thun hatten. Es ist ferner berichtet worden, daß der Propst Hennig in Zirke sie bei sich beherbergt und der Polizei die vorgeschriebene Meldung verweigert hat, daß er deswegen von der Polizei in Strafe genommen und von dem Schöffen gericht in Birnbaum, weil er überdies gegen die Pollzeistrafe Beschwerde eingelegt hatte, verurtheilt worden ist. Gegen dieses Urtheil des Schöffengerichts Halle er wieder Beschwerde eingelegt. Wie der „Nat.-Lib. Eorr." aus Posen geschrieben wird, hat er nun die Beschwerde zurückgezogen und die Strafe und die Gerichtskostcn bezahlt, in Rücksicht darauf, daß bei der in Folge dieser Bescbwerde zu erwartenden neuen gerichtlichen Verhandlung aufs Neue hätte sestgcstellt werden müssen, wie offenkundig die geistliche Oberhörde in Posen dem Gesetze mit Hilfe des niederen Klerus eine „Nase ge dreht" bat. Es ist daher die Erwartung gerechtfertigt, daß der zuständige Ausscbus; des BundeSrathes an der .Hand dieses neuen Falles, über den genaue aclenmäßige Nachweise vorliegcn, in eine gründliche Erwägung der Frage eintritt, ob cS aiigezeigt ist, dem Ultramontanismus die vom streichs tage geforderten Zugeständnisse zu machen und durch sie die Begehrlichkeit und den Ucbermuth dcS Eentrums ebenso zu steigern, wie die ohnehin in weilen evangelischen Kreisen herrschende Besorgniß. Zu den PetcrSbnracr Kaiser toasten wird uns ans Berlin geschrieben: Ein Wort, das vielleicht die Richtung einer wichtigen Veränderung der europäischen Eonstellation an deutet, ist die Acußerung der „Deutschen St. Petersburger Zeitung", daß für die Völker des enropäiseben Eontinents die beste Friebensgewißhcit nicht in allgemeinen Friedens- Versicherungen liege, sondern in der Einigkeit der realen Ziele. In der That muß man sagen, daß nur gemeinsame reale Bestrebungen ein Gesühl der Solidarität erzeugen, während Friedensversicherungen nichts als Schall und Rauch sind. Nur solche gemeinsame reale Ziele können vor allen Dingen die Spannung auslöscn, die bisher noch immer die Einigkeit des continentalen Europas zu einer Ehimäre gemacht hat, die Spannung zwischen Deutschland und Frankreich. Zur Be seitigung dieser Spannung kann am ehesten die russische Diplomatie hinwirken, indem sie Frankreich auf den Weg des gemeinsamen realen Ziels hinlenkt. Sie kann das um so eher thun, als dieses Ziel gerade für Rußland am erstrebenswerthesten ist. Denn das Nächstliegende große Ziel der Eontinentalmächte muß die Beugung der Ver- gewaltigungSgelnste Englands sein. Hier ist ein gemen.- sameS Band für Rußland, Deutschland und Frankreich gegeben. Eben jetzt, wo die Engländer sich anschicken, nachdem es ihnen glücklich gelungen ist, der: Frieden im Oriente zu stören, um neue Verwirrung in Afrika an zurichten und eine unerhörte Suprematie über diesen Erdtheil zu erlangen, ist eine gemeinsame Action der drei größten Militairstaaten dcS EontinentS von höchster Bedeutung. Afrika wird für die Wirthschastspolitik der europäischen Staaten in künftigen Jahrhunderten von ungeheurer Wichtig keit sein und man darf deshalb die schon jetzt übertriebene Weltmachtstellung Englands nicht noch weiter verstärken, indem man dem britischen Leoparden mit seinen Raubthier krallen ein Stück nach dem andern an sich reißen läßt. Zur Verhinderung der englischen Raubgelüste ist die von der russischen Presse angestrebte Einigung der continentalen Mächte politisch wie militairisch viel werthvoller, als eS eine Wiederherstellung des Dreikaiserbundes sein könnte. Denn ein Dreikaiserbund würde voraussichtlich Italien vom Dreibunde, Frankreich vom Zweibunde ab sprengen und es würde gegenüber diesem Bunde eine Eonstellation der Westmächte und Italiens sich herausbilden. Nun würden die drei Kaisermächte zwar eine unüberwind liche militairische Macht darstellen, aber gerade diese Mächte stehen sämmtlich hinsichtlich der Entwickelung ihrer maritimen Streitkrafte beträchtlich hinter den Wesimäckten zurück, ckeußland, -Deutschland und Oesterreich haben zusammen »och nicht einmal so viel Kriegsschiffe, wie England allein und >cde der drei Kaiscrmächte steht auch hinter den maritimen Klaffen Frankreichs und Italiens bedeutend zurück. Deshalb ""'h ^ eiuc Eonstellation,dieEngland gegenüber das europäische O.eichgewickff, das bis jetzt Lurch die maritime Suprematie Englands illusorisch gemacht wird. Herstellen will, noth- wcndiger Weise Frankreich mit ausgenommen werden. Es wird für die nächste Entwickelung der politischen Ereignisse nicht nur in Europa, sondern in allen Welttheilcn von ent scheidender Bedeutung nur der eine Ilmstand sein, ob die Franzosen im Stande sein können, endlich aus ihre Revanche- ldeen zu verzichten, oder sie wenigstens ml culvmla^ graecL8 zu vertagen. Hoffentlich erleichtert ihnen der Gedanke an daS große gemeinsame reale Ziel diesen Entschluß und bosfenttich hilft ihnen dabei, wie schon erwähnt, Rußland. Dann wird die Reise des österreichischen Kaisers nach Ruß land ein Mcrkstcin der europäischen Geschichte sein. Noch iit der Königsthron nicht umgesalle», aver das Cabinet Dclyannis ist gestürzt. Der alte Ränkeschmied wollte durchaus nicht die Macht aus den Händen geben nnd seine Freunde versuchten durch Fernhaltung der Regierungspartei von den Sitzungen der Dcpntirtenkammcr den Zusammentritt derselben und somit ein Votum gegen Delhannis zu Hintertreiben. Diesen letzten Strohhalm, an dem sich der böse Geist Griechenlands über Wasser zu halten bemühte, wurde ihm aber von dem Sturm, den die Opposition ent fesselt hatte, fvrtgetriebe». DerKönig sab ein, daß erDelnanniS keinen Tag länger halten könnte, und forderte ihn aus, seine Entlassung zu geben und die Regierung der Opposition zu überlassen. Ueber die Neubildung des Eabinels meldet man uns: Athen, 29. April. („Agence HavaS".) Als voraussichtlich osficiell gilt folgende Ministe rlistr: Ralli Vorsitz und Marine, Oberst Tsamados Krieg, Simopulo Finanzen, Karapanos Unterricht, Theotoki Inneres. Ueber die Besetzung des Postens des Justizministers ist noch nichts bestimmt. Ralli sollte heute Slbend 8 Uhr dem Könige die endgiltige Liste vorlegen. Ueber das Nczierungsprogramm Ralli'S liegen uns folgende Andeutungen vor: 9. Athen, 29. April. Ralli stellte folgende Bedingungen: Fortführung des Kampfes mit Aufbietung der äußersten Kraft, Einberufung aller Jahrgänge der Landwehr bis zu 40 Jahren; bis diese kampffähig ist wird in Thessalien und au der Grenze von Epirus strengste Defensive innegehalten; sofortige Besetzung der größeren türkischen Inseln durch griechische Truppen; .Herabsetzung aller Bcamtengehälter und der könig- lichcn Civilliste während der Dauer des Krieges auf die Hälfte des jetzigen Betrages. — Der König erklärt« sich mit allen Pnncten einverstanden. Der Krieg wird also, woran von vornherein kein Zweifel war, fortgesetzt. Mit welchem Erfolge? Es wäre ja nicht absolut unmöglich, wenn auch in hohen: Grade unwahr scheinlich, daß in Folge des an der Spitze der Heeresleitung eingetretenen Personenwechsels das Kriegsglück sich den grie chischen Waffen in Zukunft minder ungnädig bewiese als seither, immerhin könnte eine Wendung zum Bessern alsdann nur der Opposition und dem von ihr empfohlenen Programm zu statten kommen und damit die Stellung deS Königs Georg nur nock- schwieriger gestalten, als sie ohnehin schon ist. Wären aber auch die jetzt zur Leitung der Operationen berufenen Persön lichkeiten außer Stande, dein Heere neue Niederlagen, dem Lande neue Hiobsposten zu ersparen, so ist eS nicht nur möglich, sondern beinahe gewiß, daß der parlamentarischen Opposition die Bewegung der Straße über den Kopf wächst und die republikanische Bewegung, noch ehe sie recht ihres Daseins froh geworden, durch das Chaos der Anarchie ab gelöst wird. Diese oder ähnliche Betrachtungen mögen dazu beitragen, dem Gedanken einer thunlichst ungesäumten Intervention der Mächte Anhänger zu erwerben. Daß gerade in England die öffentliche Meinung einer sofortigen Intervention zu Gunsten der Griechen so eifrig das Wort redet, wie es nach Berichten von dort der Fall sein soll, gereicht dieser Idee bei den continentalen Politikern nicht eben zur Empfehlung, da gerade die Gesammthaltung der englischen Orientpolitik an der jetzigen Verwirrung die Hauptschuld trägt unv mau es dem continentalen Europa nicht verargen könnte, wenn es allen von England kom menden Anregungen eben wegen dieser ihrer Provenienz das schärfste Mißtrauen > entgegenbrächte. So bleibt denn einstweilen der einzige Lichtblick die auS Peters burg kommende Botschaft von der völligen Uebereinstimmung zwischen Oesterreich-Ungarn und Rußland, welche ec» ixsu auch Deutschland in ihren Wirkungskreis einbezieht. Man glaubt, daß der gestrige Empfang des deutschen Botschafters durch deu Sultan mit dem Einschreiten der Mächte zusammenhängt. Türkischerseits bezeichnet man als Friedensbedingungen die Räumung Kretas, die Herstellung der Grenze von 1851, also Verzicht ans die dem Königreich vom Berliner Congreß (1878) zugesprochenen Provinzen, die eS nie in Besitz be kommen hat, den Ausschluß Griechenlands von Capitulations- vortheilen und die Zahlung einer Kriegsentschädigung. Mittlerweile sind die Türken bis Pharsalos vorgedrungen und es ist bereits zu einem neuen Zusammenstoß gekommen. Die uns hierüber zugegangenen Meldungen besagen: * Athen, 29. April. Abends. (Meldung der „Agence Havas".) Aus Pharsalos wird gemeldet, daß die Brigade Smolenski seit 6 Uhr Abends mit einem türkischen Corps bei Aivali im Gefechte steht. Die griechischen Truppen wurden durch ein Bataillon Evzonen und eine Batterie verstärkt. Falls die griechischen Truppen zurückgeschlagen werden, würde die chriechische Armee sich ans Domo kos concentriren. * London» 30. April. (Telegramm.) Ter „Standard" bc- richtet aus Athen: Es ist eine Nachricht eingetroffen, daß die türkische Armee oder deren Vorhut gestern Abend 6 Uhr einen Angriff auf die griechischen Stellungen bei Pharsalos be gonnen hat. Von großer Siegeszuversicht zeugt die Athener Mel dung nicht. Deutsches Reich. * Berlin, 29. April. Zu den Gerüchten, welche sich an die Entsendung deS Kreuzers I. Elasse „König Wilhelm" zu den Jnbiläumsseierlichkeiten nach England knüpfen, wird der „Post" von unterrichteter Seite geschrieben: „Nach den Bestimmungen über Beurlaubungen der königl. Prinzen, welche sich im Frontdienst deS Heeres oder der Marine be finden, haben sich diese direct an die Allerhöchste Stelle zu wendeu. Wen» ein Depeschenwechsel zwischen Sr. Maj. dem Kaiser und Sr. könial. Hoheit dem Prinzen Heinrich über eine Entsendung des letzteren zu Len Feierlichkeiten nach England bereits mehrere Wochen vor dem Antritt der Reise Fr»rillrtsir» Sneewittchen. 24j Roman von A. I. Mordtmann. Nachdruck verbot!». „Eigentlich schäme ich mich bis in den Mittelpunct der Erde hinein, daß ich da bin", sagte Gerard brummend zu seiner aninuthigen Frau. „Schau nur, Eilli, wie die Leute mich anseben! Es ist mir, als hörte ich sie sagen: WaS fällt denn dem alten Esel, dem Gerard, ein, daß er sich die er bärmlichste Pfuscharbeit ansieht, die je ein elender Blechpfeifer verbrochen hat?" Cäcilie lachte. „Nun sieh, Philipp, WaS für ein gutes Werk Du thust!" sagte sie neckend. „ES sollte mich gar nicht wundern, wenn eS morgen in den Kritiken der Zeitungen hieße, die „Afrikanerin" könnte doch keine unter geordnete Arbeit sein, da sogar der bekannte Musikfreund Gerard sich die Mühe genommen hätte, sie anzuhören." „Ja, das fehlte gerade noch!" zürnte Gerard. „Da werde ich heute Abend noch einen Brief an alle Redactionen der Erde schreiben, daß bloS die fortgesetzten Lockungen einer verführerischen Sirene den ergebenst Unterzeichneten zu der größten Narrheit seines Leben» verleitet haben." Er warf einen verliebten Blick auf daö leicht geröthete Antlitz seiner Gattin, was sie mit einem freundlichen Nicken erwiderte. Cäcilie war stolz auf ibren Einfluß über den viel älteren Gatten, aber mit einer einzigen Ausnahme mißbrauchte sie ihn nickt, und das schärsstc Auge, die boshafteste Zunge hätte an ihrem Benehmen in und außer dem Hause, in Gegenwart oder in Abwesenheit ihres Gatten nicht den leisesten Makel zu entdecken oder irgend etwas zu tadeln vermocht. Die einzige Ausnahme aber betraf die verlassene Waise, die sich draußen in Bergedorf in Sehnsucht nach einem verlorenen Heim nnd nach ihrer geliebten Musik verzehrte. Tie Ouvertüre begann, und Gerard horchte mit dem Verständniß des gewiegte» Musikers, aber häufiges Kops schütteln bewies, daß daS Tonwerk nicht seinen Beifall finde. „WaS daS für ein spectakelhafte» Brimborium ist!" rief er einmal unmuthig. „DaS macht ja ein Capellmeister bei den Botokuden und Hottentotten besser! DaS nennt so ein von Gott verlassener Dudler Orchestrirung! Ich möchte Wohl wissen, WaS Juanita zu dem Zeuge sagen würde!" Die Lippen der jungen Fra» kräuselten sich verächtlich. „Juanita! Als ob die einen andern Geschmack haben könnte als Du!" antwortete sie scharf. „Ein eigenes Urtheil hatte sie doch nicht. Wenn Du ihr einredest, das wäre die Ouvertüre zu „Rienzi", so würde sie eS auch glauben." Kaum hatte Cäcilie diese gehässigen Worte gesprochen, als sie sie auch schon bereute. Denn sie wußte bereits aus wiederholten Erfahrungen, daß Gerard zwar ihren Anord nungen bezüglich Juanita'S keinen Widerstand entgegensetzte, eS aber unter keinen Umständen duldete, daß über Juanita schlecht und ungerecht geurtheilt werde — so auch diesmal. „Da kennst Du das Mädchen verd.... schlecht, mein Kind", antwortete er. „Die hat ein Gefühl für die Eigen art eines jeden Musikers, daß ich gar nicht hinanreiche. Und ich schmeichle mir doch, ein ganz klein wenig von der Musik zu verstehen." Cäcilie, zu klug, um zu widersprechen, wo cs sich um die LieblingSncigmiH ihres ManncS handelte, war im Begriff, mit einer begütigenden Bemerkung einzulenken, als sie plötz lich verstummte und erbleichend zurückfuhr. Sie hatte, zu fällig in das Parquet hinunter blickend, ein bleiches Gesicht und zwei unverwandt nach ihr binauf schauende Augen be merkt, die il,r einen tödtlichen Schrecken einflößten. Zum Glück hatte Gerard gerade seine ganze Aufmerksamkeit auf da« Orchester gerichtet, sonst hätte ihm die Erregung seiner Frau nicht entgehen können. Cäcilie bewahrte mühsam" ihre Fassung nnd hatte, als der Vorhang aufging, so weit ihre Selbstbeherrschung wieder gewonnen, daß sie mit einem Scherz auf Gerard'S Bemerkung über den Meyerbeer'schen Schwindel von Schlittschuhläufern, zahmen Ziegen und echten Schiffen antworten konnte. Wiederholt sah sie verstohlen nach dem Parquet hinunter, und als daS Duett zwischen VaSco und Selica die allgemeine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, griff sie zn ihrem Opernglase . . . Sie hatte sich üicht geirrt, eS war vr. Zarnow! Als der Vorhang siel und Beifall für die treffliche Leistung der Primadonna immer und immer wieder ertönte, an dem sich aber Gerard grundsätzlich nicht betheiligte, um nicht den „gotteslästerlichen" Jrrthum aufkommen zu lassen, als ob „der grausliche Schunv deS BlechpfeiferS" seinen Beifall erhalten hätte, flüsterte Cäcilie ihrem Manne zu: „Sieh dorthin, Philipp, da sitzt ein alter Bekannter von uns!" „Wer denn? Wo denn?" fragte er. „In der vierten Parquetreihe, der zehnte oder elfte Herr!" „Ja, Herrgott, das ist ja der Zarnow!" rief Gerard so laut, daß man es im ganzen Hause gehört haben würde, wenn nicht gerade Selica eben jetzt den stürmischen Hervor rufen Folge geleistet und durch ihr Erscheinen einen tobenden Beifallssturm entfesselt hätte. Cäcilie wappnete sich mit der ganzen Entschlossenheit, deren sie bedurfte, um den, Manne gegenübcrzutreten, den sie so schmählich betrogen hatte. Sie athmete erleichtert auf, als Gerard, der hinunter gegangen war, um Zarnow zu begrüßen und in seine Loge zu holen, ohne ihn zurückkehrte. Zarnow war nicht mehr aufzusindcn, und es schien, als ob er daS Theater überhaupt verlassen hätte; denn während der folgenden Acte war er nicht mehr auf seinem Platze. Aber obwohl damit ein peinlicher Zwang beseitigt war, konnte Cäcilie doch nicht mehr zu einem richtigen und un befangenen Genuß an der Oper kommen. Alle möglichen Geschichten von Rachelhaten betrogener Liebhaber fielen ihr em, und während des ganzen übrigen Verlaufs der Auf führung ward sie von Schrcckbilvern und zitternder Angst vor Dem geplagt, WaS Zarnow etwa thun könnte. Bebend nnd fröstelnd hing sie an Gerard'S Arm, während sie die Loge verließ, die breite Treppe hinunterstieg und sich in ihren Wagen begab; jeden Angenblick glaubte sie Zarnow's wutb- verzerrte Züge an ihrer Seite auftauchen, seine Hand mit einer tödtlichen Waffe gegen ihre Brust erhoben zu sehen. Erst als sich die Thür ihres traulichen HeimS m Fontenay hinter ihr geschlossen hatte, fühlte sie sich wieder sicher; aber das Gespenst dieses bleichen Gesichtes und dieser finster blickenden Augen verfolgte sie Unheil drohend bis in ihre Träume hinein. Do. Zarnow war am Morgen dieses Tages aus Brasilien angekommen nnd hatte daS Theater ausgesucht, da er den Abend nicht besser verwenden konnte, als indem er sich wieder einmal einen lang entbehrten musikalischen Genuß gönnte. AlS Cäcilie in ihre Loge trat, ward er durch die Bemerkung eines Nebenmannes auf sie aufmerksam, und nun war eS mit dem erhofften Genuß für ihn vorbei. Er bemerkte ihr Erblassen und Erschrecken und sah daran«, daß auch sie ihn erkannt habe. Als beide Gatten nach ihn, hinunter schauten und unmittelbar darauf Gerard die Loge verließ, errieth Zarnow, WaS kommen würde, und entzog sich der Einladung durch die Flucht. Der Anblick CäcilienS in, vollen Glanze ihrer Schönheit hatte den Pfeil tief und schmerzend in die noch immer blutende Wunde gedrückt, uni» er fühlte sich ganz außer Stande, gerade jetzt der einstigen Geliebten unbefangen entgegenzutreten. Wohl hatte eS schon Augenblicke gegeben, in denen die Erinnerung an das verlorene Glück schwächer zu werden schien, aber die Erfahrungen des heutigen Abends ließen Zarnow erkennen, daß er sich in jenen Augenblicken selbst getäuscht habe. Ueber der rothglühenden Lava der Leiden schaft mochte sich eine dünne trügerische Decke gebildet haben, aber ein leiser Druck genügte, um sie zu sprengen und die feurig flüssige Gluth hervorquellei, zu lassen. Er konnte dein in seinem Innern tobenden Sturme nicht so rasch Rübe gebieten wie Cäcilie und, seiner selbst nicht gewiß, entzog er sich bei Zeiten der gefährlichen Probe. Draußen stürmte eS lustig, und gelegentlich fiel ein Regen schauer, der nicht zur behaglicheren Gestaltung des Daseins bei trug. Zarnow achtete dessen nicht, er bemerkte eS kaum. Erging durch die Esplanade, über die Lombardsbrücke und den Wall bis zum ehemaligen FerdinandSthor; der Wind, der in den Bäumen ächzte und stöhnte, der Regen, der ihn bis auf die Haut durchnäßte, kurz, die ganze ungemüthliche Außenwelt war für ihn nicht vorhanden. In ihm lebte nur daS Bild der schönen Ungetreuen, nnd rastlos war die Erinnerung thätig, ihre Gestalt in all den Momenten heraufzubeschwören, die sonst der köstlichste Schatz seines Gedächtnisses gewesen waren, wie sie jetzt auf dem Hintergründe deS heutigen AbenvS seine bitterste Qual bildeten. Ja, dieselbe Cäcilie, die damals den ungelenken Jüngling mit dem liebreizenden Lächeln empfangen, dieselbe, die den erste» Kuß von ihm geduldet, die ihm unzählige Male geschworen hatte, daß nichts aus Erden sie von ihm trennen würde, war eS, die er heute in, hellsten Glanze ihrer berückenden Anmiitb und des verräterisch erkauften ReichthumS als Gattin an der Seite eines andern Mannes gesehen hatte. ES war immer der gleiche Gedankengang, der sich, den peinigenden Phantasien eines Fieberkranken vergleichbar, mit quälender Eintönigkeit stets in derselben Folge abspielte. Ohne ans seinen Weg zu achte», schritt er durch Sturm und Regen dahin, und Plötzlich stand er draußen au der Alster vor dem Hause, in dem er so glücklich gewesen war. Er blickte nach den Fenstern hinauf, hinter denen er früher so manches Mal die Geliebte gesehen hatte, und cS durchzuckte
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