eine Aufgabe, die in der heutigen Zeil besonders schwierig geworden ist; denn wohl nie haben sich in 50 Jahren - einer kurzen Zeitspanne im Leben der Völker - so tief greifende, das Recht umformende Wandlungen der sozialen und wirtschaftlichen An schauungen vollzogen. Diese Zeit, sic ist gekennzeichnet durch den Übergang vom individualistischen zum sozialen Zeitalter. Die große Prozeßrechtskodifikation des Endes der siebziger Jahre ist noch die Schöpfung einer streng individualistisch denkenden Zeit, und auch das große Privatrechtswerk der Jahrhundertwende entstammt noch einer Zeit, in der sich die neuen Gedanken erst allmählich durchzusetzen begannen. Träger der sich allmählich vollziehenden Wandlungen ist in erster Linie die Recht sprechung gewesen. Sie hat ihre schöpferische lebendige Kraft erwiesen. Das Reichs gericht kann für sich in Anspruch nehmen, die Führung in dieser Entwicklung gehabt zu haben. Unter der Herrschaft der rcichsgerichtlichcn Rechtsprechung hat sich der Prozeß, der von den Schöpfern der Zivilprozeßordnung aus den Anschauungen der damaligen Zeit noch in erster Linie als der sich vor dem Richter vollziehende Kampf der Parteien gesehen war, zu dem sich in enger Wechselbeziehung von Gericht und Parteien ab spielenden, auf gemeinsame Rechtsfindung hinzielcndcn Verfahren entwickelt. Das Reichsgericht hat in die seinerzeit vom Gesetzgeber dem Gericht nur als Befugnis zugcwiescne Frage- und Aufklärungsfunktion aus dem Gedanken der netten Ent wicklung heraus die Frage- und Aufklärungspsticht hincingclegt. Es hat in zahl reichen Entscheidungen Abkehr von der dem früheren Zeitalter eigenen formal juristischen Betrachtung gefordert und ist selbst aus diesem Wege tatkräftig voran gegangen. In gleicher Weise hat das Reichsgericht auf dem Gebiete des materiellen Rechts gewirkt. Davon zeugen die vielen Entscheidungen, in denen es galt, Begriffe wie „Treu und Glauben" und „gute Sitten" aus der Erkenntnis der sich im Wirt schaftsleben vollziehenden Wandlungen immer wieder mit neuem Inhalt zu erfüllen. Diese Aufgabe des Reichsgerichts, sie wurde besonders bedeutsam in der Entwick lung des letzten Jahrzehnts, in dem die Gesetzgebung mit der sprunghaften Ent wicklung der Dinge nicht Schritt halten konnte. Niemals ist der Rechtsprechung und namentlich dem höchsten Gerichtshof in solchem Maße die verantwortungsvolle Aufgabe zugefallen, Mittler zwischen dem Gesetz und den veränderten Anschau ungen des Rechts- und Wirtschaftslebens zu sein. Das Reichsgericht ist sich, das kann es für sich in Anspruch nehmen, dieser seiner Führeraufgabc stets voll bewußt gewesen. Es hat das Rechtsmittel der Revision weit gefaßt, sicher weiter, als cs den Schöpfern der Prozeßordnung vorgeschwcbt hat, es hat von Anfang an die