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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.05.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970507029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897050702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897050702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-07
- Monat1897-05
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Die Auslassung lautet wörtlich: „Es ist nicht ganz zutreffend, wenn die „Kreuzzeitung" ausschließlich freisinnigen Blättern die Schuld'an der Verbreitung der neuesten falschen Nachrichten über Cabinetskrisen, beziehungs weise über die „schleichende Krisis" beimißt. Denn was freisinnige Blätter an beunruhigenden Artikeln während der letzten Zeit geleistet haben mögen, wird unstreitig weit übertroffen durch die kecken Erfindungen von Blättern anderer Richtung, wie „Täg liche Rundschau", „Staatsbürger-Zeitung", „Leipziger Neueste Nachrichten". Es ist die Rede gewesen von einem Kronrathe, der vor zwei Tagen gehalten worden wäre und sich mit dem Bercinsgesetze beschäftigt hätte. Ein solcher Kronrath hat jedoch bekanntlich gar nicht stattgefundcn. Dann lassen sich die „Leipz. N. Nachr." versichern, Fürst zu Hohenlohe hätte feine Entlassung eingereicht und das preußische Staatsministerium sich mit ihm solidarisch erklärt. Und zu derartigen dreisten Erfindungen wird von dem Blatte noch bemerkt, die Mittheilungen seien ihm „von einer als osficiös zu betrachtenden Seite" zugcgangen. Es scheint hier einmal wieder der alte verwerfliche Unfug vorzuliegen, der mit dem Worte „osficiös" getrieben zu werden pflegt. In das selbe Capitel der Erfindungen gehört die heute verbreitete Nachricht, 2e. Majestät der Kaiser hätte gestern den Reichskanzler Fürsten zu Hohenlohe durch einen besonderen Courier zu Iich entboten, um sich abermals über die Novelle zum Vereins gesetz und die Militair-Strasproceßnovelle Vortrag halten zu lassen. Wenn die „Kreuzzcitung" meint, die steten Krisen gerüchte würden von den freisinnigen Blättern verbreitet, weil ihnen jed e ruhige Entwickelung unserer politischen Verhält nisse unbequem sei, so ist ein solches Motiv jedenfalls mit größerer Sicherheit bei jenen anderen Blättern vorauszusetzcn, die bis jetzt den höchsten Record in der Ausstreuung von Krisengcrüchten erzielt haben." Ob aus dieser Auslassung auch geschlossen werden darf, daß man sich bemühen werde, die Ouellen der Falsch meldung auszusinden, bleibe dahingestellt. Man scheint aber wenigstens eine Bcrmuthung bezüglich Les Zweckes zu hegen, den die Ausstreuung verfolgte. Der „Münchener Allgem. Ztg." wird nämlich aus Berlin geschrieben: „Es ist unverkennbar, daß ein Theil der Presse durch Krisen- gerächte in dem Maße nervöser wird, als wir uns dem Beginn des Tausch-Processes nähern. Und manche Angriffe gegen den Staatssecrctair v. Marschall werden vielleicht nicht ganz mit Unrecht in Zusammenhang mit gewissen Bestrebungen gebracht, zu Hintertreiben, daß Frhr. v. Marschall sein Zcugniß in jenem Processe noch mit dem Ansehen seines Amtes ablegen könne. Bekanntlich war seinerzeit durch den Vortrag Marschall's beim Kaiser jedes Bedenken darüber zerstreut worden, daß Marschall und der Reichskanzler als Zeugen im Proceß Leckcrt ausgetreten waren. Solche Bedenken angesichts des Tausch-Processes neuerdings zu wecken, mag hier und dort wohl versucht werden. Berechtigt sind sie gewiß so wenig wie damals, und dem Staatssecrctair kann man es nicht verdenken, wenn er, unbekümmert um die Nerven einzelner Herren, volles Licht in tag scheue Unitriebe fallen lassen will." Jedenfalls liegt die Bermuthung, daß die Ausstreuung wenigstens nebenher ihre Spitze gegen den Staalssccretair v. Marschall richten sollte, nicht fern. Leider liegt es aber auch den alten Gegnern des Fürsten Bismarck nicht fern, abermals diesen als den intellectuellen Urheber der Aus streuung zu bezeichnen. Ist man cS doch längst gewöhnt, alle offenen uno versteckten Angriffe, die in sogenannten Bismarck blättern gegen den Freiherrn v. Marschall gerichtet werden, auf das Kerbholz des Altreichskanzlers geschrieben zu sehen. Das „Berl. Tagebl." knüpft denn auch bereits an die oben citirte Auslassung der „Nordd. Allgem. Ztg." die Nutz anwendung: „Aus dieser Auslassung der „Nordd. Allg. Ztg." ergiebt sich zur Genüge, daß die Regierung ganz genau weiß, wo eigentlich die Leute sitzen, denen jede ruhige Entwickelung unserer politischen Verhältnisse unbequem ist. Sie gruppiren sich um den Bund der Landwirthe mit seinen verschiedenen conservativen, antisemitischen und sanatisch-bismarckischen Anhängseln. Das sind die Elemente, die Hetzen, intriguiren und Verwirrung zu stiften suchen." Die „StaatSbürger-Ztg." begeht sogar die grobe Ungeschicklichkeit, den Bismarckfeinden besonderen Anlaß zu einer solchen Verdächtigung zu geben. Das Blatt druckt nämlich, wie wir einem Telegramm der „Münchener Neuesten Nachrichten" entnehmen — wir selbst hallen die „StaatS- bürger-Zeitung" nicht —, eine Mittheilung ab, in der es heißt, die „Bismarcksronde" suche mit allen Mitteln dahin zu wirken, Herrn v. Marschall zu stürzen, bevor der Proceß Tausch beginne. Jedenfalls wäre eS schon aus diesem Grunde erwünscht, wenn das Dunkel, das noch über den Erfindern der Falschmeldung und ihren Absichten liegt, gelüftet würde. Daß ein seltener Grad von Frivolität dazu gehört und daß es ein höchst zweifelhaftes Licht auf den wahren Grund des BiSmarckcultus gewisser Blätter wirft, wenn sie, die doch das jetzt zwischen Berlin und FriedrichSruh herrschende Bcrhältniß genau kennen und es angeblich auf das Tiefste beklagen, sich zu Verbreitern von Meldungen machen, welche das an maßgebender Stelle gegen den Altreichskanzler und die „Bismarckfronde" herrschende Mißtrauen nähren und den das ganze Vaterland schädigenden Zwiespalt noch vertiefen müssen: darüber sind alle Einsichtigen längst einig. Der Reichstag, der gestern die zweite Lesung des Auswanderungsgesetzes erledigt hat, wird sich heute u. A. niit dem Älnrqarincgrsctzc beschäftigen. Schon vor gestern machten die Couservativen in Gemeinschaft mit dem Abg. vr. Bachem den Versuch, eine zufällig vorhandene Beschlußfähigkeit des HauscS zu benutzen, um von dem verdorrenden Reichstage schleunigst die Frucht ihres Margarinegesetzes zu pflücken und dann unter die mit diesem bedenklichen Flickmaterial ausgebesserten heimischen Dächer zurückzukchren. Sie zeigten sich dabei sehr unwirsch, weil nicht auch die Nationalliberalen das Aus wanderungsgesetz hinter den von der letztgenannten Fraction in der Fassung zweiter Lesung bekämpften Margarine-Entwurf zurücktretcn lassen wollten, und waren geradezu constcrnirt, als sie Herrn Bachem von seiner Fraction im Stiche gelassen sahen. Ob das Centrum im Interesse des Aus- wanderungSgesetzes oder weil es in seiner Mehrheit keine Freude am Margarinegesetz hat, dem Führer nicht gefolgt ist, wissen wir nicht. Die „Deutsche Tageszeitung" vermuthet das Letztere und hält mit den üblichen Drohungen nicht zurück. Auch die „Kreuzzeitung" scheint dem Centrum nicht zu trauen, denn sie sucht cs eifrig über die Wirkung der Vorschrift getrennterVerkaufsräume in den Orten von mehr als 5000 Einwohnern zu beruhigen. Es sei richtig, meint das Blatt, daß nach dem Inkrafttreten des Gesetzes in den größeren Städten besondere Margarinehandlungen sich austbuen würden, aber es sei nicht anzunehmen, daß die Butter „von vornherein" den Kürzeren ziehen werde; der Käufer werde Butter vorziehen und in den Buttergeschäften seinen Bedarf decken. Ob das aber in den größeren Städten und „von vornherein" der Fall sein werde, steht denn doch nicht so fest. Zn den wohlhabenderen Stadtvierteln werden sich die Dinge ja Wohl so entwickeln. Anders aber in solchen Stadttheilen, wo die weniger Be mittelten die große Mehrheit bilden. Dort finden Wohl Specialgeschäfte für Margarine einen Boden, nicht aber solche für den Butterverkauf, der Kleinhändler aber, bei dem die benachbarten Familien ihre täglichen Einkäufe besorgen, ist vor die Frage gestellt, welchen Artikel er nickt mehr führen soll, die Butter oder die Margarine. Da die Mehrzahl seiner Kunden das billigere Erzeugniß nicht entbehren kann und da er allerdings, wie die „Kreuzztg." selbst hervorhebt, an dem Verkauf von Margarine mehr verdient als am Butter handel, so ist sein Entschluß nicht zweifelhaft. Die große Anzahl von Personen, die bisher durchweg oder gelegentlich Butter verwenoet haben, begegnet nun keinem benach barten Angebote mehr, und den wenigsten von ihnen werden cS Zeit und Mittel erlauben, sich zum Buttereinkauf in ent ferntere Stadtgegenden zu begeben. Die Bewohner ärmerer Viertel, die nicht in der Lage sind, sich mit größeren Vorräthen an Butter zu versehen, werden im Großen und Ganzen der Landwirthschaft als Kunden verloren gehen. Noch größerer Schaden droht den landwirthschaftlichen Producentcn in den in Deutschland überaus zahlreichen reinen Fabrikorten von mehr als 5000 Einwohnern, von denen die „Krenzzeitung" wohlweislich nicht spricht. Der Viktualienhändler darf keine Butter führen, weil er Margarine feil hallen muß, die anderen Verkäufer werden sich den Artikel nicht beilegen, schon aus dem Grunde nicht, weil die wenigen regelmäßigen Butterconsumenteu des Ortes, die Unternehmer und die Ange stellten der Betriebe, die Werkführer rc., sie gar nicht von ihnen beziehen würden. Die letztgenannte Gesellschaftsklasse, die zum Theil Hobe Ansprüche an die Waare stellt, wird vielleicht ein besseres Colonialgeschäst mit Butter versorgen können; aber es wird von den Wohnungen der meisten Einwohner zu weit eutf^ut liegen, um von ihnen ausgesucht werden zu lönven. Es bleibt dabei: die Vorschrift der getrennten Räume ist ein Schnitt in daS Fleisch der Bultererzeuger. Das furchtbare Pariser Brandunglück, dessen er schütternde Tragik ganz Frankreich in ein großes Trauerhans verwandelt, und Leidtragende wirbt, wo immer auf Erden fühlende Menschen wohnen, hat mit der Politik im engeren Sinne nichts zu schaffen. Und gleichwohl wird Niemand, der auch im Leben der Völker die Berechtigung des Wunsches nach „guten Freunden und getreuen Nachbarn" anerkennt, dem aus Anlaß der so jäh hereingebrochenen Brandkatastrophe zwischen Kaiser Wilhelm und dem Präsidenten Faure statt gehabten Austausch von Sympathietelegrammen eine auch unter dem politischen Gesichtspunct bedeutsame Trag weite absprechen wollen. Es ist ja nicht das erste Mal, daß Kaiser Wilhelm's ritterliches Zartgefühl sich allen voran in Worten und Handlungen den Weg zum Herzen des französischen Volkes zu gewinnen wußte, so daß selbst die den Deutschen abholdesten Elemente der Nachbarnation nicht umhin konnten, dem Edelsinn unseres kaiserlichen Herrn den Tribut ihrer Huldigung darzubringen. Aber noch niemals lag ein so betrübender Anlaß zu theilnahmsvollem Mitgefühl vor wie gegenwärtig, und wenn je unser Volk sich in echt mensch lichem Empfinden mit seinem Monarchen identisch gefühlt hat, so ist das heute der Fall. Kaiser Wilhelm'O Beileidstelegramm ist jedem Deutschen aus der Seele empfunden, und so wird cs auch von unfern Nachbarn sienseits der Vogesen verstanden. Die sogenannte hohe Politik bleibt dabei ganz und gar aus dem Spiele. Allein cs macht doch einen gewaltigen Unter schied, der auch in den Beziehungen zwischen Volk und Volt seinen Einfluß nicht verfehlt, ob das Verhältniß zweier durch höhere Gewalt auf ein dauerndes nachbarliches Nebenein anderleben angewiesenen Völker-Individualitäten nur durch im schlimmeren Sinne wirkende Factoren — die Regungen des Hasses, des Neides, der Eifersucht rc. — bestimmt wird, oder ob in diesem Verhältniß sich auch Raum für gegenseitige Achtung, Sympathie, überhaupt für freundlichere, versöhn lichere Triebe findet. Ob die chevaleresken Eigenschaften des französischen Volksnaturells jemals Kraft genug entwickeln werden, den Stachel der Erinnerung an vergangenes kriege risches Mißgeschick aus dem Herzen der Zeitgenossen zu ziehen, muß dem Walten des Schicksals anheimgestellt bleiben. Das Verdienst aber hat Kaiser Wilhelm sich durch seine vom zartesten internationalen Taktgefühl geleitete persönliche Theilnahme an all dem, waö die französische Volksseele in Freud und Leid durchzittert, auch um die politische Seite der deutschfranzösischen Beziehungen erworben, daß man drüben an Deutschland nickt mehr ausschließlich mit dem Gefühl der Verbitterung, der Rachgier, des Hasses denkt, sondern auch milderen, gerechteren versöhnlicheren Regungen Raum gönnt und sich sogar mit dem Gedanken vertraut gemacht hat, unter gewissen Voraussetzungen, — wir erinnern nur an Ost- asien — mit Deutschland gemeinsam zu agiren. Kaiser Wilhelm's jüngster Depeschenwechsel mit dem Präsidenten Faure führt, so darf man hoffen, einen Schritt vorwärts zu dem Ziele eines, wenn auch nicht auf herzliche Freund schaft, so doch vielleicht aus ehrliche gegenseitige Anerkennung sich gründenden deutsch-französischen Nebeneinanderlebens. Ueber eine schier unglaubliche englische Brntalität auf einem der zwischen Southampton und Capstadt fahrenden Dampfer der „Castle Line" wird dem „Berliner Local- Anzeiger" von einem Augenzeugen, einem Berliner Maschinen fabrikanten, berichtet: Die Scene soll sich auf dein „Arun del Castle", der am 13. März Southampton verließ, zugetragen haben. Auf dem Schifte ist für 144 Reisende dritter Classe und 90 Zwischen decks-Passagiere nur eine Badewanne vorhanden. Bei der fast unerträglichen Temperatur am Acquator ist der Baderaum dort von Morgens bis Abends ununterbrochen besetzt, außerdem warten immer mehrere Personen auf das Freiwerden der Wanne, wobei die Nicht-Engländer von den Engländern so viel wie möglich zurückgedrängt werden sollen. Am Abend des 24. März — das Schiff befand sich unter 1,20 Grad nördlicher Breite und 10,3o Grad westlicher Länge — beabsichtigten zwei Deutsche, zu baden. „Endlich, gegen elf Uhr Abends", so heißt es in dem Bericht, „wurde die Wanne frei, und die Beiden, unlustig zu noch längerem Warten, benutzten den Baderaum zu gleicher Zeit. Dieses in Anbetracht der Umstände gewiß entschuldbare Compromis; mit dem Anstandsgefühl erregte die sittliche Entrüstung der Eng länder, die sich auch alsbald bethätigte. Ein Mr. G. E. Beckett aus London erkletterte die Brüstung der Badezelle und richtete unter dem Gejohle der sonst noch auf Deck anwesenden englischen Sitt- Feuilleton. Sneewittchen. 30s Roman von A. I. Mordtmann. Nachdruck verbotin. Als er den beiden Freunden sein Antlitz wieder zuwandte, sah man ihm die eben erlebte Aufrüttelung seines ganzen Wesens nicht mehr an. Auch seine Stimme klang ruhig, als er sagte: „Verzeihen Sie, meine Herren, daß ich mich so sonderbar benehme. Wenn man daS Gefühl hat, als ob ringsum die Erde wanke, so denkt man nicht an die Vorschriften des guten Geschmacks. Aber nnn ist eö vorbei. Sie haben mir das Ende einer Kette inö HauS gebracht, wozu ich den Anfang besitze in dem unnennbar schweren Geheimniß meines Lebens. Ich bin schuldig, cS Ihnen zu erzählen, wenn es Sie interessirt." „Wir würden es Ihnen gern ersparen", erwiderte Zar- now, „wenn cS anginze. Aber Sie begreifen, daß wir über jenes Geld nicht verfügen können, ohne im Besitze aller Thatsachcn zu sein." „Selbstverständlich. Also hören Sie. Sie wissen ja, welcher Art die Geschäfte waren, die mein Bruder und ich betrieben. Im Jahre 1818 und 1849 hatten wir eine schwere Krisis durchzumachen, die unsere Firma hart mitnahm, aber doch nicht in dem Grade erschütterte, wie man in der Folge zeit allgemein angenommen hat. Unsere Verluste waren allerdings sehr groß und wir athmeten erst wieder auf, als in Spanien eine Partei an'ö Ruder kam, von der wir hoffen dursten, daß sie gewissen Ansprüchen vcn uns gerecht werden würde. Mein Bruder FranxoiS ist dcö Spanischen kundig, er unternahm cS daher, diese Ansprüche am Madrider Hofe persönlich zu vertreten. Seine Berichte von dort lauteten günstig, und wir gaben uns der Hoffnung hin, daß Alles wieder gut werden würde, als unS ein furchtbarer Schlag traf. Mein Bruder verschwand. Mit ihm verschwanden die Papiere, auf die wir unsere Forderungen begründeten. Spätere Erkundigungen hatten das Ergebniß, daß sie gar nicht vorgezeigt worden waren. Wir begriffen nicht, waS meinen Bruder zu seinen falschen Berichten veranlaßt haben könnte, und vermutheten längere Zeit, er müsse geistesverwirrt gewesen sein und sich in diesem Zustande ein Leid ange- than haben. Wie dem auch sein mochte, unsere Forderungen waren mit einem Schlage werthlos geworden. Aber das Schlimmste sollte noch kommen. Ein halbes Jahr später meldete sich bei uns ein Marquis de Vclez-Rubio und legte uns jene Papiere mit einer von Francois Namens der Firma unterschriebenen Bescheinigung vor, worin Gebrüder Dessoudre erklärten, darauf 275000 Frcs. baar erhalten zu haben, und sich verpflichteten, sie jederzeit gegen dieselbe Summe wieder einzulösen. Der traurige Zu sammenhang der Dinge war, daß der Marquis jene Summe auf die Papiere, die den vierfachen Werth darstellten, in Gold und Diamanten hergeliehcn hatte, weil er hoffte, durch seine Verbindungen mit maßgebenden Persönlichkeiten ihre Honorirung durchsetzen zu können. Mein Bruder brauchte baareö Geld — Sic wissen ja, wozu — und war gewissenlos genug, unser Eigenthum auf diese schimpfliche Weise zu ver schleudern. Einen Tbeil des Geldes für die verpfändeten Papiere mußte Velez-Nubio, da er nicht im Besitze so großer Baarvorräthe war, in Diamanten hergeben, wovon sich in seiner Familie aus früheren Tagen des Glanzes eine große Anzahl erhalten hatte. Die Hoffnung des Marquis, eine Einlösung jener Papiere zu erlangen, schlug fehl, weil die uns freundliche Regierung nur eine kurze Lebensdauer batte und dann für immer vom Schauplatze verschwand. Der Marquis benutzte nun die Clausel, um wieder zu seinem Geldc zu kommen." „Ich finde, daß der Marquis nicht sehr nobel gehandelt hat", bemerkte hier Zarnow. „Indem er die Dokumente um den vierten Theil ihres Werthes ankaufte, übernahm er damit doch eigentlich das Risico für den möglicherweise eintretenden Verlust. Er konnte, wenn Alles gut ging, 400 Procent, d. h. in diesem Falle dreiviertel Millionen verdienen. Solche Geschäfte macht man nicht, ohne eine Gegenleistung in Ucbernabme eines Risicos zu geben, das um so stärker sein sollte, je größer der unter Umständen zu erwartende Gewinn ist. So machte er ein Geschäft, wobei alle Vortheile auf seiner Seite waren, alle Verluste auf der Ihrigen." „Sie würden Recht haben, wenn die Sache nicht doch etwas ander« zusammenhinge", entgegnete Dessoudre. „Der Marquis hat ganz correct gehandelt. In dem Psandschein meines Bruders war ausdrücklich vermerkt, daß im Falle der Wiedergewinnung der über eine Million betragenden Summe der Marquis außer dem von ihm vorgestreckten Capital nur Anspruch auf eine Commission von fünf Proccnt des Restes haben sollte." Zarnow war noch immer nicht ganz befriedigt. „Wie nun, wenn der Marquis die Summe einzog und Ihnen davon keine Kenntniß gab?" sagte er. „Sie hatten ja von ihm nichts in der Hand." „Ich nicht, aber mein Bruder. Es war nicht die Schuld des Marquis, daß dies von ihm unterschriebene Document in den Händen meines Bruders blieb und dort verloren ging. Aber ich muß, um dem Spanier gerecht zu werden, noch eins bemerken. Der Charakter deS Geschäfts, ich meine sein eigentlicher Charakter, war in den Ouittungen verschleiert. Es handelte sich gar nicht um eine Verpfändung, denn der Marquis machte keine Geldgeschäfte. Die Sache war viel mehr die, daß Herr de Velez-Rubio die mehr oder minder prekäre Stellung der Regierung durchschaute; bei einem abermaligen Systemwechsel, den er voraussah, war er als hervorragendes Mitglied der revolutionairen Partei allen erdenklichen Verfolgungen ausgesetzt. Darum verkaufte er damals seine in Andalusien liegenden Bergwerke an eine englische Gesellschaft, und diesen Kaufpreis wollte er bei uns der Sicherheit wegen dcponiren. Er übergab ihn und die Familiendiamanten meinem Bruder und übernahm von ihm unsere spanischen Schuldforderungen als Sicherheit für sein Depot und gleichzeitig, um unsere Angelegenheit zu betreiben." „Das giebt der Sache allerdings ein anderes Ansehen." „Um es kurz zu machen: es blieb uns nichts übrig, als dem Marquis seine 275 000 Frcs. zu ersetzen. Und da gleich zeitig unsere spanischen Schnldsorderungen ganz werthloS geworden, so waren wir vollständig ruinirt. Wir behielten keine 100 FrcS. übrig. Den Nest wissen Sie." Zarnow dachte einen Augenblick nach. „Die Sache ist ganz einfach", sagte er daun. „Tie Hälfte des Geldes, das auf so wunderbare Weise wieder zum Vor schein gekommen ist, gehört Ihnen und die andere Hälfte Ihrem Bruder, und wenn er stirbt, seiner ehelichen Tochter Josephine." „Und Juanita?" fragte Friedrichsen. „Soll sie ganz leer auSgeben?" „Sie hat keine Ansprüche", erklärte Zarnow. „Erlauben Sie, daß ich eine Bemerkung mache", warf Dessoudre ein. „Wenn Francois wieder zum Bewußtsein kommt, kann er ein Testament machen, daS Juanita einen Theil seiner Habe vermacht. Wenn das aber nicht der Fall sein sollte — wofür, meine Herren, halten Sie denn mich? Ich will's Ihnen ehrlich und offen sagen, daß ich den Wieder gewinn eines Theiles meines Vermögens als eine Sühne be trachte, die mir daS Schicksal schuldig ist, und die wenigen Jahre, die ich noch im Wohlstände zu verleben hoffen darf, als einen kleinen Ersatz für die Jahre unsäglicher Noth, die ich durchgemacht habe. Das mag selbstsüchtig sein, aber — nicht wahr? — cs ist menschlich. Undankbar bin ich darum jedoch nicht, und da ich keine andern Verwandten habe, so wird Juanita meine Erbin. Noch heute gehe ich zum Notar und lasse mein Testament aufsctzen; man kann nie wissen, wie rasch Einem der Tod über den Hals kommt." Zarnow war eifrig bemüht, Herrn Dessoudre diesen Entschluß auSzureden, während Friedrichsen ibn ebenso eifrig befürwortete. Dessoudre beharrte dabei und war sogar im Begriff, aufzubrechen, um unmittelbar aus dem Gasthof zum Notar zu fahren, als ein unerwarteter Zwischenfall allem Streit ein Ende machte. Athemlos, verwirrt und bleich stürzte Josephine zu ihnen hinein. „O Onkel, komm dock rasch »ack Hause!" rief sie. „Ich habe mich so vor dem Papa gefürchtet — ich bin in meiner Angst davongelaufen. Komm rasch!" Alle sprangen in äußerster Bestürzung aus, eilten, ohne nähere Erklärungen abzuwarten, hinunter, riesen einen Fiaker an und ließen sich zur Rue de la Garonne hinausfahren. Unterwegs hielten sie bei der Wohnung des Arztes an und bestellten, er möge sich, sobald er nach Hanse komme, zu ihnen begeben. Während sie daun weiter rollten, erzählte Josephine, WaS vorgefallen war. Nack dem Fortgänge seines Bruders hatte sich Francois gegen seine sonstige Gewohnheit rastlos und unruhig gezeigt nnd dabei seine Tochter fortwährend mit einer Beharrlichkeit betrachtet, die ihr ebenso auffallend wie unbehaglich war. Endlich hatte er sie zu sich berangerufen, ihr Gesicht Zug um Zug geprüft und kopfschüttelnd gesagt: „Eigentlich bist Du eö doch nicht; Juanita war dock ander». W.e heißt Du? — Josephine? — Merkwürdig! Ich habe doch Jemand gekannt, die Josephine hieß — aber die war viel älter als Du. . . wie ist das nur möglich?" Darauf hatte er sie loSgelassen und war in tiefes Brüten verfallen. Sie war ihren häuslichen Arbeiten nachgegangen und ihr Vater, nachdem er noch längere Zeit vor sich hin gemurmelt batte, war eingeschlafcn. Nach seinem Erwachen, daS nach etwa einer Stunde erfolgte, hatte er sie sofort ge-
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