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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.05.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970511010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897051101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897051101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-11
- Monat1897-05
- Jahr1897
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(Lröhere Schriften laut unserem Preis- verzeichnitz. Tabellarischer und Zisternsatz «ach höherem Taris. vptra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60. —, mit Postbesördrrung 7V.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen.AuSgabe: Nachmittags 4Uhr. L»i den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 81. Jahrgang. Dienstag den 11. Mai 1897. Paris in Trauer. 6. Paris, den 8. Mai. Tie Trauerieierlichkeit siir die Opfer der furchtbaren Katastrophe ist soeben beendet. Noch klingt mir das Geläute der ehrwürdigen Notre Dame in den Ohren, noch glaube ich den Geruch des WeibrauchS wahrzuncbmen, der in mächtigen Wolken von dem Platze vor der Kirche ausstieg. In die Kirche sebst hineinzugelangen war unmöglich; sogar den meisten Delegationen wurde der Eintritt verweigert. Nach den Berichten zu urtheilen, hat man nicht viel versäumt. Die Ansprache des Pater Olivier scheint weniger trostreich als verblüffend gewirkt zu haben. Das schreckliche Ereigniß sei eine Strafe Gottes, führte er aus. Wie Gott bei dem letzten großen Unglück das Haupt Frankreichs getroffen habe, indem er ihm die besten und größten Männer hiuwegnahm, so habe er es jetzt ins Herz getroffen wegen seiner Sündhaftigkeit, ihm das genommen, was es am meisten liebte und verehrte. Hat der zcloliscke Dominikaner sich an der Verlegenheit der Vertreter der Regierung und des Parlamentes weiden wollen, die mit scbr gelheilten Gefühlen den ungewohnten Gang zur Kirche' gethan hatten, und denen die gesinnungstüchtigen radicalen Blätter noch lange diese Principienlosigkeit nachtragen werben? Draußen vor der Kirche und in den umliegencen Straßen batte sich eine ungeheuere Menschenmenge angesammelt. Wie bei allen feierlichen Gelegenheiten, versuchte man auch hier wiederholt den Gürtel der Schutzleute und der republikanischen Garde zu durchbrechen, aber im Allgemeinen verhielt sich das Publicum ruhig und würdig. Nur die Stimme der Zeitnngsoerkäufer und die rauben Kehlen der EamelotS, die die massenhaft über Nacht entstandenen entsetzlich poesie losen Gesänge über die Katastrophe vertrugen, machten sich unangenehm bemerkbar. Unter den Tbeilnehmern an der eigentlichen Feier, die gegen zwölf Uhr auffubren, wurde die stattliche graubärtige Gestalt deS Grasen Radziwill, der die preußische Generalsuniform angelegt hatte, und der Lordmayor von London besonders bemerkt. Von der Rede des Ministers Barthou vor dem ün Freien aufgcrichtelcn Katafalke haben von dem größeren Publicum nur wenige etwas vernommen. Sie war an und für sich nicht ungeschickt; hier, wo man eines Bossuet bedurft hätte, klang sie leer und banal. Gegen zwei Uhr begann die Menge sich zu verlaufen. Paris beginnt nun sein gewöhnliches Aussehen wieder anzunehmen. Tie Eindrücke der vier letzten Tage aber — man möchte glauben, es seien ebenso viele Wochen gewesen — werden Allen denen, die sie mit erlebt haben, unverlösch- lich im Gedächtniß haften. Lassen wir sie noch einmal der Reihe nach an unserem Geist vorbeiziehen. Der Abend nach dem Unglück. Man ist auf dem Wege zum Theater oder sitzt im Restaurant beim Diner. Da stürmen die Zeitungs verkäufer mit der „Presse" heran. Mechanisch bezahlt man seinen Sou und mechanisch beginnt man zu lesen. Und da erfährt man, daß mitten in der Stadt, vielleicht wenige hundert Schritte von dem Orte, wo man sich selbst zu gleicher Zeit aufzehalten hat, am Hellen lichten Tage ein Gebäude in fünf Minuten spurlos vom Erdboden vertilgt worben ist und daß eine Menge blühender Menschenleben dabei umgekommen ist. Für nichts Anderes hat man mehr Sinn, und mit fieberhafter Ungeduld werden die weiteren Ausgaben der Abendblätter erwartet, die stündlich sich folgen und durch die das Ereigniß immer greifbarere, immer gräßlichere Gestalt gewinnt. — Der nächste Morgen. Ein schwarzer Trümmerhaufen in der Rue Jean Goujon, vor dem man in der Nackt eilends einen neuen Zaun errichtet hat, und auS dem nur eine Reihe verkohlter Balken aufragen. Soldaten, Schutzleute und Herren in schwarzen Hüten. Ein paar merkwürdige Wagen, in die man ab und zu etwas Unkenntliches hinrinsckafft. — Eine ungeheuere schweigende Menge vor dem halb abgebrochenen Flügel des Industrie palastes; Beamte, Reporter und weinende Menschen, die durch eine Thür aus- und eingchen, hinter der man Entsetzliches weiß: verkohlte Menschenleiber, der ohne Kopf, der ohne Arme oder Beine, gestaltlose Ueberreste, die mit der mensch lichen Figur fast nichts mehr gemein haben. — Und den ganzen Tag von früh bis in die späte Nacht binein die Rufe der ZeitungSverkäufer. Man kaust und liest und liest, zehn, fünfzehn, zwanzig Zeitungen des TagS, und endlich weiß man selbst nickt mehr, was man gelesen bat. Es ist ja eigentlich auch immer wieder dasselbe: der fürchterliche Anblick, der gräßliche Geruch, das herzzerreißende Klagen ter Angehörigen, baö Erkennen der Leichen an einem Ring, an einem blombirten Zahn, an einem Toilettengeheimniß. Das Alles verschwimmt und ver einigt sich zu einem einzigen großen Bilde deS Grauens. — Endlich am Freitag die unendlichen Leichenzüge in den Straßen und beute die große Feier. Das Hauptinteresse wird sich nun auf die Ursachen des Unglückes, aus das Schuldig oder Unschuldig der in Betracht kommenden Persönlichkeiten lenken. Die Einen wollen den Polizeipräfcclen, der den Bau nicht auf seine Feuersicherheit hat untersuchen lassen, Andere den Besitzer des Kinemalo- graphen, wieder Andere die Veranstalter des BazarS zur Verantwortung gezogen wissen. Ob sich den Letzteren ge richtlich bcikommen lassen wird, ist fraglich. Nicht zu ihren Gunsten aber spricht es, daß diese Herren jetzt einen Aufruf im „Gaulvis" für ihre Armen und ihre Wohl- fahrlseinrichtungen damit begründen, „daß diese ja sonst dies Jahr leer auszehen würden. Man sollte meinen, daß alle die reichen Leute, die dem Entsetzlichen entronnen sind, mit Freuden einige tausend Franken hergeben, und daß besonders jene Millionaire mit Zehntaujenben, ja Hundert tausenden nicht kargen würden.*) Der Aufruf ist ein Zeichen dafür, baß die Opfer nicht, wie einige Zeitungen glauben macken möchten, bei einem Unternehmen umgekommen sind, daS nur der Erfüllung der schönsten Menschenpflicht galt, sondern daß wenigstens bei vielen der Theilnehmcr das Vergnügen die Hauptsache war. Wir können den Leuten nicht ganz Unrecht geben, Die den Ausdruck: „Auf dem Felde des Wohlthuns gefallene Soldaten" energisch zurückweijen. Ein Soldat weiß, daß der Tod ihn erwartet, jene Damen wären sicher nicht gegangen, wenn sie eine Gefahr geahnt hätten. Unser Mitleid mit den Unglück seligen wird dadurch nicht im Mindesten beeinträchtigt. Uebrigens droben die Nachwirkungen der Brandtatastrophe sich für das GeschäflSleben der französischen Haupt stadt zu einer wahren Ealamität, namentlich in der Luzus- industriebranche, auszuwachsen. Hunderte und Aberhunderte von der Elite der Pariser Gesellschaft angehörenden Familien sind durch das Unglück in der Rue Jean Goujon in die tiefste Trauer versetzt; die Sommersaison, welche in den Monaten Mai und Juni wegen der alsdann stattfindenden *) Ein respektabler Anfang hierzu ist, wie wir im gestrigen Abendblatt mitthettten, berens gemacht. D. Red. Hochzeiten, Verlobungen, Bälle, Empfänge, sportlichen Ver anstaltungen aller Art den Höbepunct deS Glanzes zu er reichen Pflegt, liegt diesmal völlig darnieder. Zahlreiche Festlichkeiten sind abgesagt, sei es, weil deren Urbeber selbst durch das Unglück in directe Mitleidenschaft gezogen sind, sei eS, weil ihnen der Trauer halber die Gäste sortbleiben würden. Die Pariser Salons sind verödet, den großen Luxusgeschäften bleiben die gewohnten Kunden aus, und die Folge Davon wird eine notdgedrungene Einschränkung des Arbeitsbetriebes ans ein Minimum sein. Einem einzigen der ersten Modewaarenmagazine wurden innerhalb 24 Stunden über hundert Bestellungen auf Balltoiletten wieder entzogen. Und dies ist nur ein Beispiel für viele. Schon treffen viele Geschäfte Anstalten, ihr Personal zum großen Tbeil wegen mangelnder Arbeitsgelegenheit zu entlassen. Ueberall hält man sich auf den frühen Eintritt der sogenannten tobten Jahreszeit gefaßt, da die Mehrzahl der tonangebenden Fa milien gewillt ist, bei nächster Gelegenheit sich auf das Land zu begeben und dort den Sommer in tiefster Zurückgezogen heit zuzubringen. Deutsche- Reich. * Leipzig, 10. Mai. Vom Vorsitzenden des evan- gelisch-jvcialen Congresses geht uns nachstehender Brief mit der Bitte um Veröffentlichung zu . Sehr geehrter Herr Redacteur! In einem vom 1. Mai datirtcn Artikel Ihres sehr geschätzten Blattes wurde die auf fallende Thatsache besprochen, daß der Kirchen vorstand von St. Thomas dem evangelisck-socialen Congreß die Tbomaskirche für Den seinen Verhandlungen vorhergehenden Gottesdienst nicht eingeräumt habe. ES liegt mir fern, diesen Beschluß kritisiren zu wollen; wenn ihn jedoch wirklich, wie Ihr Herr Eorrespondenl sagt, der Kirchenvorstand mit dem an sich durchaus richtigen Satze begründet haben sollte, die evangelische Kirche habe sich grund- sätztick von „politisch-agitatorischen Bestrebungen" fern zu halten, so möchte ich Sie, Herr Redakteur, doch um die Erlaubuiß bitten, an derselben Stelle, an der diese Begründung in die Oeffentlichkeit gekrackt worden ist, auch meinerseits öffentlich betonen zu dürfen, daß der evangelisch sociale Congreß dem Kirchenvorstande von St. Thomas bisher keinen Anlaß gegeben zu haben glaubt, ibn als eine politische oder gar politisch-agitatorische Vereinigung ansehen zu Dürfen! Allerdings befaßt sich der Congreß, wie schon sein Name sagt, mit socialen Zuständen und Problemen nickt aber vom parteipolitischen, sondern von dem ungleich höheren Ge sichtspunkte aus, daß sich seine Theilnebmer als lebendige Glieder der evangelischen Kirche für die sittlich-religiösen Zustände im Volksleben, die — wie die Geschickte lehrt — aufs Engste mit den wirthsckaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen verbunden sind, mit verantwortlich fühlen. — Daraus leiten sie für sich daS Reckt wie die Pflicht socialer Arbeit ab. Das beste Zeugniß für den freudigen, von allem politischen Parteigetriebe freien Geist, in welchem der Congreß bisher gewirkt und gearbeitet hat, geben seine im Buckbandel er schienenen Protokolle und sonstigen Lebensäußerungen; aber auch der bevorstehende Congreß wird, so Gott will, einen überzeugenden Beweis dafür erbringen, daß sein Geist kein zerstörender und trennender, sondern ein aufhauender und einigender, kein politisch-agitatorischer, sondern ein social-versöhnender ist. Berlin, den 8. Mai 1897. Hochachtungsvoll Nobbe, Vorsitzender DeS evang.-socialen Congresses. U. 0. Berlin, 10. Mai. Die Gesammtzahl der preußischen Zuchthausgefangenen betrug im Jahre 1895/96 24 582 gegen 30 531 im Jabre 1881/82 und 28 577 im Jahre 1869, und war die geringste in dem Zeit raum seit 1869. Der tägliche Durchschnittsbestand betrug 17 556, die Zahl des Zugangs 6817. Auf 10 000 Köpfe der 18 Jahre und darüber alten Bevölkerung des preußischen Staates kamen in Zugang 3,77. Es ergiebt sich aus der Statistik des Bestandes an ZuchthauSgefanzenen, daß die schwere Criminalität vom Jabre 1869 bis 1871 ge funken, dann ziemlich constant bis zum Jahre 1881/82 gestiegen und dann ebenso constant gefallen ist, so daß sie im Jahre 1895/96 um 20,3 v. H. günstiger steht als im Jahre 1869 und um 37,3 v. H. günstiger als im Jabre 1381/82. Auch die Zahl der Vorbestraften unter den Zuchthauögefangcnen ist gegen die Vorjahre gesunken, sowohl die Zahl der Vorbestraften überhaupt als die Zahl der mehr als dreimal und mit Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahre Vorbestraften; sie übertraf im Jabre 1895/96 nur wenig daS Jahr 1889/90. Die Gesammtzahl der Zu gänge an Zucktbausgefangenen betrug 5745 Männer (gegen 5812 i. I. 1889/90) und 1072 (1284) Weiber. Darunter waren vorbestraft 4925 (4868) Männer oder 85,73 (83,76) v. H. und 8l2 (976) Weiber oder 75,75 (76,01) v. H-, mehr als dreimal 3907 (3715) Männer oder 68,01 (63,92) v. H. und 641 (788) Weiber oder 59,79 (61,37) v. H., und mit mehr als einem Jahr 2447 (1985) Männer oder 42,59 (34,15) v. H. und 311 (356) Weiber oder 29,01 (27,73) v. H. Nack Alters clasien vertheilt, entfielen von den Zugängen auf je 10 060 der betreffenden Altersclasse im Aller von 18 bis unter 21 Jahre 2,63, 21 bis unter 23 Jabre 4,28, 25 bis unter 30 Jahre 5,29, 30 bis unter 40 Jabre 4,53, 40 bis unter 50 Jahre 4,26, 50 bis unter 60 Jahre 3,28, 60 bis unter 70 Jahre 1,39, über 70 Jabre 0,42. Eiuzelzellen waren vorhanden in den Strafanstalten 4322, für durchschnittlich 17 556 Gefangene oder 24,6 v. H., in den Gefängnissen 2871, für durchschnittlich 8635 Gefangene oder 33,3 v. H. Seit dem Jabre 1869 ist die Zabl der Zellen vermehrt von 3247 auf 7193. Für die Benutzung der Eiuzelzellen gelten folgende Regeln. In den Strafanstalten sollen vor allen die jüngeren Gefangenen (18—30 Jahre alten) und von den älteren die noch nicht wiederholt vorbestraften ibre Strafe in Einzel haft verbüßen. In den Gefängnissen sind zunächst die Untersuchungsgefangenen, dann Die jugendlichen (12 bis 18 Jahre alten), dann die jüngeren (18 bis 30 Jahre alten), dann die älteren noch nickt wiederholt vorbestraften in der Zelle zu halten. Mit Rücksicht darauf sind Die Einlieferungs- destimiuungen so getroffen, daß die Zcllengefängnisse nur für die jüngeren und erslbestraften Gefangenen bestimmt sind. Ueber die Dauer der Einzelhaft bestimmt der Vorsteher der Anstalt nach Anhörung der Conferenz d»r Oberbeamten. Von den Entlassenen waren in Einzelhaft im Ganzen in den Strafanstalten 27,5, in den Gesängniffen 19,4 v. H. Bon diesen befanden sich im Alter von unter 18 Jahren (in den Gefängnissen) 53,6 v. H-, von 18 bis unter 25 Jahren in den FruiHeton. Erinnerungen an Ängapore. Von Conrad Geppert, Premier-Lieutenant der Landwehr. II. Nachdruck ioerbvt«». Im Ganzen leben vielleicht 1000 Europäer verschiedener Nationen, meist Handeltreibende, in Singapore. DaS größte Contingent der farbigen Bewohner stellen die Chinesen, sie treiben Alles, was Geld einträgr, sind mit dem geringsten Verdienste zufrieden und lassen sich durch nichts beleidigen. Der Chinese ist Großkaufmann und Zwischenhändler, er be schäftigt sich mit dem Anwerben von KuliS (Arbeiter), treibt mit besonderem Geschick Gärtnerei und arbeitet in den Plantagen, er ist Tischler, Korbflechter, Schneider und Schuster, arbeitet als Diener und Koch, und ist er durck den Opiumgenuß bis zu dem Standpunkt gelangt, daß er von keinem Arbeitgeber mehr engagirt wird, so vermiethet er sich als Droschkengaul. Tausende von arbeitslosen Chinesen fristen in letztgenannter Weise ihr ärmliches Leben, bis sie sich tbatsäcklich die Lunge aus dem Leibe gelaufen haben. An allen Ecken, auf allen Straßen und Plätzen stehen Massen dieser zweiräderigcn Droschken ^Rikjas) vom Abend bis zum Morgen und vom Morgen bis zum Abend. Diese Unglücklichen haben ein Obdach nicht, sie schlafen in ihrem Wagen, welchen sie in vollem Trabe davon ziehen, und essen auf der Straße. Am Tage setzt sich kein Europäer in solch Gefährt, NacklS, wo die Droschken fehlen, blieb auch mir trotz deS lebhaftesten Widerwillens oft nichts Anderes übrig als die Benutzung einer Rikja. Auch der kleine Handwerker bat kein beneidenswertbeS Loo». Eine enge, kaum Raum zum Liegen gewährende Schlafstelle ist sein Obdach, welche« er aber nur sehr kurze Zeit bezieht. Tag und Nacht wird gearbeitet. In großen Werkstätten zusammen gepfercht, sitzen sic Tag aus Tag ein eifrig arbeitend, weniger daran denkend, sich ihre geringen Lebensbedürfnisse zu erringen, als daran, etwas darüber hinaus zurückzulegen und entweder Opium davon zu kaufen und zu spielen, oder aber so viel zu erübrigen, um ein eigene- Geschäft beginnen zu können. Gelingt da« Alle- nickt, so macht sich der Unglückliche nicht- au« dem Leben; tilla ackä» unäonr (eS ist kein Verdienst vor handen) sagt er und hängt sich, nackdem er seinen Zopf nock sauber geflockten und seine vcsten Kleider angezogen hat, auf. Edens» jämmerlich ist da« Loo« der übrigen Arbeiter- brviilkerung. Meist im Sumpf stehen ihr» schwanken, au« Bambusrohr verfertigten Hütten, auf 2 Meter den Boden überragenden Pfählen sind sie erbaut. Einen ganzen Siadt- theil sah ick, welcher direct im Wasser sich befand. Hunderte von Hütten standen dicht gedrängt, die eine durch die ander« erreichbar und durch diese gestützt. Hier treiben die gelben, faulen Malayen ihr Wesen. Die Kinder, deren stets eine be deutende Anzahl vorhanden ist, sind meist völlig unbekleidet. Männer und Weiber tragen den Larovz (bis auf die Knöchel reichender Hüfrenschurz) und die Ladajn (kurze weiße Jacke). Der Malaye tckwärmt nicht für Arbeit, er thut so viel, wie nölhig ist, um ibn von einem zum andern Tage mit Reis (>'»8>), Gemüse (Lsjor) und getrocknetem Fisch (Ikkinlcrmg) zu versehen, doch auch der trockene Reis genügt ihm. Im klebrigen läßt er sich über seine Zukunft keine grauen Haare wachsen, sondern verbringt seine Zeit mit Schlafen, Rauchen und Spielen. In gleichen Pfahlbauten pflegen die Klinganesen zu wohnen. Schöne bronzesarbige Leute, mit schlanken Figuren, leicht ge welltem schwarzen Haar und einnehmenden Gesicktszügen. Ihre Kleidung ist die der Malayen, sie lieben es sehr, Arme und Beine mit silbernen Spangen zu zieren. Ihre Be schäftigung ist wenig mannigfaltig, meist sah ich sie bei Chausseebauten beschäftigt oder als Führer von Drojckken und Ochsenkarren. Die Klinganesen sind sanft von Gemülbsart, und ich habe bei ihnen nickt den Sinn für Betrug und Diebstahl in dem Maße ausgebildet gefunden, wie dies bei Chinesen und Malayrn der Fall ist. Chinesen und Malayen würden ihren eigenen Bruder er morden, um sich in den Besitz irgend eines ihnen werthvoll erscheinenden Gegenstandes zu versetzen. Ueber die ehelichen Verhältnisse möchte ich Folgendes be merken. Der Chinese kennt seinen Vater meistens nicht, in den niederen Schickten Wohl fast nie, seine Mutter verehrt er dagegen nm so mehr. Ich habe einen vorzüglichen chine sischen Diener gehabt, welcher überau« spartam lebte und, als er um seine Entlassung bat, aus meine Frage, Wa rr denn nun anzufangen gedächte, erwiderte: „8aja man pigi cki Okina, cliari ssjrr punja mama cknn tuloug säum ckia." (Ich will nach China gehen, meine Mutter suchen und sie unterstützen.) Die Malayen huldigen dieser Empfindung der Mutterliebe wohl weniger. Der Mann ist der Herr, er kann sich zwei und mehr Frauen halten und sie jeder Zeit verstoßen, merlwürdtg ist hierbei, daß er jeder Zeit seine verstoßene Frau wieder zurückverlangen darf und sie in zwischen keine andere Ehe einzugehen berechtigt ist, sondern gezwungen bleibt, jeder Zeit wieder zurückzukebren, wenn nicht etwa die Scheidung durch den Hadje (Priester) erfolgt ist, waS aber selten geschieht. Auch läßt sich der Malaye seine Frau abkaufen und verzichtet dann natürlich auf alle seine Rechte. Fünfzig bis hundert Dollar genügen, um in den Besitz einer Frau zu gelangen. Die eventuell vorhan denen Kinder sind Sache der Frau, welche sich aber auch sehr leicht mit ibren Mutterpflickten abzufinden weiß. Außer eheliche Kinder sind keine Sckande, daS ist an der Tages ordnung, der Sohn wird, was der Vater war, die Tochter treibt daS Metier der Mutter. Ueber das Leben der Klinganesen ist mir nach dieser Seite wenig bekannt geworden und was ich darüber erfuhr, basirt nickt auf eigener Erfahrung, son dern auf Erzählungen, welche meist stark aufgeschnitten sind. Außerhalb der Stadt sind, um sie mit Wasser zu versehen, großartige Wasserwerke fast noch in Der Wildniß angelegt, von welchen in sinnreicher Weise nach allen Richtungen hin Leitungen führen. In dieser Gegend zeigen sich noch häufig Tiger, sie kommen nur vereinzelt vor, werden sofort gespürt und bald zur Strecke gebracht. Mehrfach erhielt ich Ein ladungen zu solcher Jagd, von deren Gefahren man in Europa reckt falsche Vorstellungen bat. Der Tiger fürchtet wie jedes Tbier im Allgemeinen den Menschen und flieht, wenn nur irgend möglich, vor ihm; die Fälle, wo ein Direkter Angriff solcher Bestien erfolgte, sind zu zählen. Durck eine Schaar Malayen wird der Dschungel abgetrieben, auf die eng postirte Schützenkette zu, Gefahr ist nur vorhanden, wenn da« Thier Junge bat, von rasendem Hunger gepeinigt ist oder, angeschossen, die Unmöglichkeit einsiebt, zu entfliehen; dann nimmt es den Menschen mit Sicherheit an. Konnte ich auch nach dieser Seite bin meine JagDpassion nickt befriedigen, so entschädigten mich doch andere Ausflüge dafür. An einem Sonntag wurde ick zu einer Krokodiljagd eingeladen. Die Stadt hinter sich lassend, glitt unser Boot zwischen ausgedehnten Sümpfen dahin. Zahlreich sollen in ihnen noch jene kleinen schwarzen Schlangen (Dobra) sich aufbalten, deren Biß unbedingt tödtlick wirkt, wenn nicht schleunige Hilfe da ist. Der Urwald trat stellenweise bi« an die User des Flusse« heran, ein undurchdringliche« Netz von Zweigen, Ranken, Lianen und Blättern bildend. Tbeil« fuhren wir wie in einer natürlichen Laube dabin. Eine Anzahl großer, schwarzer Affen begleitete uns, laut schnatternd, in den Baumwipseln. Wir waren ihnen wohl nicht übermäßig angenehm, denn bald fingen sie an, uns mit trockenen Baumastrn zu bombardiren. Eine über sie bin- pseifende Kugel und da- tausendfache Ecko deS Büchsenschusses veranlaßte di» Zudringlichen, laut kreischend da« Hasenpanirr zu ergreif»«. Krokodil»faken wir vi»lfack, bekam»« ind»si»n k«ine« zum Sckuß. Sobald sich daS Boot näherte, verschwanden die widerlichen Reptile blitzschnell unter dem trüben Wasserspiegel. Seinen eigentlichen Zweck erfüllte deshalb unsere Excursion nicht, dennoch kehrten wir mit dem angenebmen Gefühl nach Singapore zurück, daß wir viel Schöne« und Neue- gesehen und unsere Erinnerungen wesentlich bereichert hatten. Einige Tage darauf fuhr ich mit einem mir bekannten Herrn nach Iobor, in der Absicht, den Marstall des Sultans zu besichtigen. Schwierigkeiten wurden un« nicht in den Weg gelegt, die malayiscken 8nxs (Pferdewärter) zeigten un-, da wir sie in ihrer Landessprache anredeten, anstandslos die eleganten Stallungen, welche mit Pferden edelster Raffen besetzt sind. Durch da« Fenster deS nicht übermäßig großen und auch nickt besonders schönen Schlosses bemerkte uns Se. Hoheit und ließ uns zum Näbertreten auffordern, wir mußten an seinem Lunch Tbeil nebmen, der im Kreise der Würdenträger stattsand. In einer ausgedehnten Säulenhal! saß der Sultan, umgeben von vornehmen Malayen, er selbst au, einem Sessel, etwa- erhöht, die übrigen mit untergeschlagenen Beinen aus dem Fußboden kauernd. Für den Sultan und die Seinen wurde Curry mit Reis gereicht und mit dec Hand genoffen. Wenn auch Se. Hoheit nur der Form wegen mitspeiste, so entzog er sich dock nickt Der Sitte. Alles trani nur Wasser. Glücklicher Weise verlangte man nickt dasselbe von uns. Ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen ward herbei gekrackt und uns europäisch bereitete Speisen und auch ganz guter Wein gereicht. Zwischen dem Sultan und un- ent spann sich eine lebhafte, in malayischer Sprache geführte Unterhaltung, die übrigen Anwesenden sprachen kein Wort, erhoben sich nach Schluß der Tafel gleichzeitig mit den Worten tabo toenmn 8u>t»a (ich grüße dich, Herr Sultan), indem sie das Knie beugten und die rechte Hand erhoben. Nunmehr aß und trank der Fürst Alles, wa« es gab, mit und stillte seinen bisher zurückgehaltenen Appetit und Durst. Eine Stunde verweilten wir noch in lebhaftem Gespräch und schieden dann mit Worten de« Dankes. Es war die« für mich ziemlich da- letzte Ereigniß in Sin gapore, noch acht Tage etwa blieb ich dort, meine Tage in der Gesellschaft der Herren vr. Köbn und ConsulatSsrcretair Eplrr verbringend, welche mir während meines Ausenihalles eine beispiellose Gastfreundschaft gewährt hatten, wie sie in Europa nur schwer gesunden werden dürft». Mit dankbarer Erinnerung blicke ich auf diese Zeit meine- AuSlandSlebens zurück.
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