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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.05.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970512023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897051202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897051202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-12
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Dir königliche StaatSregirrung hat, wie bei Eröffnung der gegenwärtigen Session deS Landtages mitgelheilt ist, über eine Revision des in Preußen geltenden Vereins« und Versammlungsrcchtes eingehende Erörterungen gepflogen. Nach dem Ergebnis) dieser Verhandlungen, welche bei der Schwierigkeit deS Gegenstandes naturgemäß eine längere Zeit in Anspruch nehmen mußten, kann ich nunmehr erküren, daß die Staatsrcgierung ihrer Zusage gemäß zwar bereit ist, auf das im 8 8 Les Vereinsgeietzes enthaltene Berbindungsverbot, soweit es die Verbindung inländischer Vereine untereinander betrifft, zu verzichten. Die Staatsregicrung glaubt jedoch eine Aenderung des bestehenden Vereinsgesetzes nicht auf diese Maßnahme beschränken zu dürfen, sondern die Revision gleichzeitig auf einige andere Puncte auSdehnen zu sollen (Bravo! rechts), welch« sich nach den bisherigen Erfahrungen als reformbedürftig herausgestellt haben. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist nunmehr fertiggestellt und die Allerhöchste Ermächtigung zur Vor lage an den Landtag ertheilt. Das Staatsministerium wird sich alsbald schlüssig machen, ob es angezeigt erscheint, noch in der gegenwärtigen, vorgerückten Session des Landtags demselben den Gesetzentwurf zur verfassungsmäßigen Beschlußfassung zugehen zu lassen. Mir persönlich erscheint cs zweifelhaft, ob es möglich fein wird, den Gesetzentwurf noch in der gegenwärtigen, mit ander- weiten dringlichen Arbeiten belasteten Session zum Abschluß zu bringen. (Bewegung, Glocke des Präsidenten.) Leicht ist es jedenfalls dem Fürsten Hohenlohe nicht ge worden, diese Erklärung abzugeben, denn sie siebt nicht im völligen Einklänge mit der Auslegung, die s. Z. in seiner Gegenwart und ohne einen Widerspruch von seiner Seite der von ihm ertheilten Zusage betreffs der Beseitigung des Verbotes der Verbindung politischer Vereine gegeben wurde. Denn der fertig gestellte und vom Kaiser genehmigte Gesetzentwurf dehnt sich über die Beseitigung des jenes Verbot aussprechenden 8 auf „einige andere" Puncte aus, die revisionsbedürftig erscheinen, und beschränkt sich nicht einmal auf die Untersagung der Tbeilnahme Minderjähriger an den politischen Versamm lungen, wie bisher verlautete. Man muß daher an nehmen, daß Fürst Hohenlohe im preußischen Ministerium von solchen Collegen majorisirt worden sei, die entweder in folge der Drohungen der das Herrenhaus beherrschenden Conservativen auf Verschärfungen des VereinSgcsetzeS be standen oder überhaupt auf die einfache Beseitigung deS Ver bindungsverbotes nicht emgehen mochten. Welches nun die „einigen anderen Puncte" sind, in denen daS geltende preu ßische Vereinsgesetz noch revidirt werden soll, muß abgewartet werden, bis die Vorlage erscheint. Wann daS geschieht, geht aus der Erklärung des Fürsten Hohenlohe nicht hervor: aus seiner Bemerkung, ihm persönlich erscheine eS zweifelhaft, ob es möglich sein werde, den Entwurf noch in der gegenwär tigen, mit anderen dringlichen Arbeiten belasteten Session zum Abschluffe zu bringen, scheint hervorzugehen, daß er die Einbringung der Vorlage noch im Lause der Session nicht sür zweckmäßig halte; die mit den Ansichten deS Ministeriums zumeist vertraute „Post" schreibt aber: „Nun ist auch zu wünsche», daß die Vorlegung an den Landtag möglichst bald erfolgt und daß, sobald die Vorlage bekannt wird, auch in die parlamentarische Behandlung derselben eingetrcten wird. Andernfalls würden sich die ohnehin schon un- sicheren Chancen eines positiven Eriolgcs noch weiter vermindern. Je rascher jetzt gehandelt wird, um io besser; nm so besser sür die Regierung selb» und den ganzen Verlaus der Sache.' DaS läßt darauf schließen, daß wenigstens em -vbeil deö Ministeriums — wahrscheinlich derselbe, der mit seinen den Inhalt der Vorlage betreffenden Wünschen durchgedrungen ist — die baldige 'Veröffentlichung und parlamentarische Be handlung deS Entwurfes befürwortet. Darauf läßt auch folgende Auslassung der „Berl. Polit. Naä>r." schließen: „Bei de» Erwägungen deS königlichen Stoatsminislcriums darüber, ob die von Sr. Majestät genehmigte Novelle zum Ver eins- und Versammlungsgejetze noch in der lausenden Session dem Landtage vorgelegl werden soll, wird auch die andere Frage zur Erörterung zu bringen sein, ob der Entwurf zunächst dem Abqeordnetenhause oder dem Herrenhause vorzulegen ist. Gewichtige Gründe sprechen sür die letztere Alternative." Die Vertreter dieser „gewichtigen Gründe" scheinen zu hoffen, daß das Herrenhaus noch einige weitere Verschär fungen an dem Entwürfe vornimmt und dem Abgeordneten hause zeigt, daß an eine Einigung beider Häuser über ein lediglich auf die Aufhebung des VerbindungSverbotcs sich beschränkendes und allenfalls nock die Ausschließung der Minderjährigen von politischen Versammlungen hinzufügendes Gesetz nicht zu denken ist. Worauf sich freilich die Hoff nung dieses TbeileS deS Ministeriums auf eine Nachgiebigkeit LesAbzcordnetenhauses gegen das Herrenhaus gründet, ist nach der Debatte, die sich gestern im Abgeordnetenbause an di« Erklärung des Ministerpräsidenten knüpfte, nicht einzuseben. Außer den conservativen Rednern sprach sich kein einziger für eine Verknüpfung von Verschärfungen des Vereinsgesetzes mit der Aufhebung des VcrbindungSverboleS auö. Kommt also die Vorlage noch im Lause dieser Session zur Turch- beratbung, so ist ihre Ablehnung im Abgeordnetenbause mindestens sehr wahrscheinlich und damit ernste Spannung zwischen Landtag und Negierung. Daß dann neue Krisen gerüchte auftaucben werden, ist selbstverständlich, und frag lich ist eS» ob sie dann noch dementirt werden können. Man braucht im Reiche nicht Alles zu billigen, waS die Tcutsch-Lcstcrrcichcr in dem ihnen aufgetrungenen Daseinskämpfe beginnen, ja eS ist Pflicht, das zu tadeln, was man auf Grund genauer Kenntniß der Dinge für zweck widrig erachtet. So haben auch wir keinen Anstoß ge nommen, Len Versuch, auf sächsischem Boten österreichische Versammlungen zu veranstalten, als Fehlgriff zu be zeichnen. Aber es ist denn doch eine sehr zweifel hafte „ Sympathie" für die bedrängten StammeS- genoffen, die aus dem eigenen Parteiinteresse alle von den Oesterreichern ergriffenen Abwehrmittel verwirft. DaS lbut die „Kreuzzeilung". Tie „staatsrechtlich haltlosen Anklagen" und die Obstruktion werden gleichmäßig von der Verurtheilung des Berliner Adelsblattes getroffen, weil „sie keinen politischen Erfolg versprechen". Nun, die mittlerweile erfolgte Abstimmung über den Antrag, die Urheber der Sprachenverordnungen in Anklagezustand zu versetzen, be deutet bereits einen Erfolg. Tie ungeahnt große Minderheit, die sich für die Anwendung der schärfsten gesetzlichen Maßregel gegen das Ministerium Badeni zusammenfand, hat die Stellung dieses Geßler-RegimentS schon merklich erschüttert. DaS aber ist ein Erfolg, den die „Krenz-Ztg." allerdings nicht wollte. Für sie fällt die Reaktion, die mit der Herrschaft Badeni's verbunden ist, stärker ins Gewicht, als die gleichzeitige Unterdrückung des Deutschtbums. Bei Badeni sind die bochconservativen Groß grundbesitzer, die das Blatt mit Recht zu den Seinigen rechnet, nnd die Klerikalen aus den Alpenländern, die wenigstens noch conservativ scheinen, sich aber wohl bald mebr als Leute la Fnsangel, denn als Politiker nach dem Herzen des Grafen Strachwitz entpuppen dürften. Dazu kommt der Haß g'gen das angeblich liberale Ungarn, dessen Position bei der Ansgleichsvcrhandlnng durch die Er schwerung der Stellung des Grafen Badeni angeblich be festigt wird. Tie „Kreuzztg." verfährt dabei aber nicht logisch. Sie meint, die Deutschen in Oesterreich sollten sich bei der AuSgleichsverhandlung ihrer Negierung unentbehrlich machen. Mit anderen Worten: die deutschen Abgeordneten sollen durch weitgehende Nachgiebigkeit gegen Ungarn einmal sich bei ihren Wählern unmöglich machen, sodann der Mehr heit, bei der sich die Gesinnungsgenossen der „Kreuzztg." be finden und die selbst den Ausgleich nicht zu Wege zn bringen be- fm chtcn muß,dieKastanien aus demFeuer holen, um hierauf, wenn man sie nicht mehr braucht, mit den üblichen Fußtritten bei Seite gesaoben zu werden. Gewiß haben die Deutschen als einzige dynastische Partei in der Gesammtmonarchie die Aufgabe, den staatsrechtlichen Zusammenhang mit Ungarn aufrecht zu erhalten. Aber der Dualismus hat zur Voraus setzung einen österreichischen Staat, der nickt nur dem Namen nach ein solcher ist, und was jetzt in Cisleithanien geschehen rsl und ohne den rücksicktSlojen Widerstand der Deutschen fortgesetzt werden wird, ist die Auflösung des Staates. Wie in nationaler so auch in politffcher Hinsicht liegt den Deutsch - Oesterreichern das Hemd näher als der Nock. Das ist klar. Tie „Kreuzztg." ist sich denn auch der Blößen bewußt, die sie bei dem Bestreben, dem volksverrätbe- rischcn Hochadel und seinen ultramontanen Bundesgenossen zu Hilfe zu kommen, der Welt zeigt. Sie greift de-balb zu dem gewohnten Verlegenheit-mittel eines schleckten Gewissens: die Juden haben die Schuld, näm' ich an dem An trag auf Versetzung der Minister in den Anklagrzustand und an der Obstruction. „So lange ein Tdeil der Deutschen unter jüdischer Führung bleibt, sich seine Politik vom Prager Casino verschreiben läßt, wird eS damit (mit der KampfeS- weisc der Deutschen) nicht anders und nicht bester werden." Das ist eine so ungereimte Rede, baß selbst daS Wiener „Vater land", obwohl von Hammerstein'S Zeiten der ein Cartellblalt der „Kreuzzeitung", sie nicht zu verwerlhen sich getrauen wird. Die Sünden der bisher „deutsch-liberal" genannten Gruppe, in der der jüdische Einfluß ja ohne Frage ein sehr starker war und wohl noch ist, sind ein schwarzes Capitel in der Geschichte deS österreichischen Deutschkhums. Das ist nicht zu leugnen. Aber daß diese Partei bas gegenwärtige parlamen tarische Auftreten der Deutschen nickt angeregt, soneern sich ihm nur notbgedrungen angeschlossen Hal, liegt so klar zu Tage, daß die ganze schwere Besorgniß der „Kreuzztg." um das Cabinet Badeni dazu gekört, um diesem gegenüber der Coalition der deutschen Parteien eine derartige Waffe zu liefern. Mit Befriedigung registriren wir noch eine franzöfische und eine russische Preßstnnme über das Vetletvstelcgrnmm Kaiser Wilhelms an den Präsidenten Faure anläßlich der Pariser Brandkatastrophe. In einem Artikel „Wilhelm II." spendet „Figaro" dem deutschen Kaiser warme Lobsprüche: „Er stelle eine nachdenkende und relchbegabte Individualität dar und habe rin fast unfehlbarcS Gefühl sür die Gebote der inter nationalen Höflichkeit, während er sich eine zugleich sehr eigenartige und sehr strenge Auffassung von seinen Pflichte» als Staatsoberhaupt gebildet habe. Durch die zweifache Bei leidsbezeigung, das Telegramm an den Präsidenten der Re publik und die Entsendung eines der höchsten Würdenträger seines Reiches, den er mit seiner Vertretung bei den Leichen feierlichkeiten beauftragte, zwinge er sogar durch und durch französisch gesinnte Pariser, sich mit seinen Ent würfen und Hoffnungen zu befassen. WaS diese Hoffnungen angehe, so dürfe man nicht den Grund seines Handelns in dem kindiicheu, allgemein besprochenen Beweggründe suchen, daß er die Absicht habe, Paris gelegenllich der Ausstellung im Jahre 1900 zu besuchen. Wenn Deutschland amtlich an der Ausstellung iteilnähme, so sei nicht einzusrhrn, was den deutschen Kaiser an einer Reise nach Paris hindern könne, selbst wenn man peinliche Vorsichtsmaßregeln treffen müsse, um ihn gegen etwaige Beschimpfungen von Narren und Rüpeln zu schützen." Nach Ansicht des Blattes bestimmt ein praktischerer Ge danke die Haltung des jungen Herrschers, der ein Wunder he:beisehne,umeineAnnäherung anzubahnen,anderman sonst verzweifeln müsse. Vor Jahresfrist noch wäre eine solche Sprache in Frankreich nicht wohl möglich gewesen. Man erinnert sich nock der pöbelhaften Ausfälle der Pariser Presse, als der Gedanke, Kaiser Wilhelm könne die Aus stellung besuchen, zuerst auftauchte. Damals riethen selbst die anständigen Blätter dem Kaiser, ja fern zu bleiben, wenn er nicht fatale Austritte (wir wiederholen absichtlich nicht die wirklich gebrauchten verletzenden Worte) riSciren wolle. Der Persönlichkeit des Kaisers haben die Franzosen immerhin bei verschiedenen Gelegenheiten Gerechtigkeit wider fahren lasten, den Gedanken einer von ihm stets im Auge behaltenen Annäherung beider Mächte auch nur hypotetisch der Erörterung für zugänglich zu halten, ist nock keinem Wortführer der öffentlichen Meinung beigekommen. Im „Figaro" geschieht dieses „Wunder" zum ersten Male. — Was die russische Presse aulangt, so hätte man vermuthen können, die Raschheit, mit welcher Kaiser Wilhelm dem Zaren in der Beileidsbezeigung an Frankleich zuvorkam, möchte in Petersburg verstimmt haben nnd könnte als Versuch auf gefaßt werden, die zwischen Petersburg und Paris eingelretene Erkaltung zu steigern. Derartige Vermulhungen haben bis jetzt keine Bcilätigung gefunden. Vielmehr begrüßt die „Nowoje Wremja " jeden Schritt der Annäherung zwischenFrankreich und Deutschland. DaS angesehene Petersburger Blatt glaubt, raß daS Beileidstelegramm Wildelm'S II., der schon wiederholt den Franzosen Beweise seiner Ritterlichkeit und seines Seelenabels geliefert habe, in Frankreich einen um so tieferen Eindruck machen müsse, als eS mit der Politik nichts zu thun habe. Die beharrlichen und unlogischen politischen Ausfälle der Madame Adam und der „unabhängigen Presse" Frankreichs gegen Deutschland könnten die Thatsacke nicht erschüttern, daß es im directen Interesse Frankreich« liege, die möglichst besten Beziehungen zu der Berliner Negierung zu unterhalten, deren Friedensliebe über allen Zweifel erhaben sei. Der Gedanke einer An näherung Deutschlands an Rußland und Frankreich, um die Wirren im Orient zu lösen und die Pläne Englands abzu wehren, erscheine dem Kaiser Wilhelm sehr aussichtsvoll. Es liege dcsbalb im Vortheile Frankreichs, gegenüber einer Kundgebung von der Art der BciieidSdepesche des Kaisers Wilhelm keine negative Haltung einzunehmen. Auch daS Handschreiben, welches Kaiser Wilhelm an sein russisches Dragoner-Regiment König Friedrich Wilhelm III. anläßlich der Verleihung der neuen Fahnenbänder richtete, sowie der Ferrrlleton, Zwei Frauen. Is Roman von F. Marion-Crawford. Nachdruck verdaten. 1. Capitel. Frau von Wildenberg hatte in Wirklichkeit die Mittags höhe deS Lebens noch nicht lange überschritten, obgleich sie von den Leuten im Dorfe gewöhnlich die alte Baronin ge nannt wurde. Ihr Haar war sehr weiß, und sie war mager und bleich, aber ihre kühn geschnittenen Züge zeigten noch die Spuren entschwundener Schönheit. Groß gewachsen, trug sie ihren Kovf aufrecht und hoch, und ibr Gang war so fest und elastisch, wie man von einer Person, deren äußere Erscheinung so wenig den Eindruck der Kraft und Stärkt machte, nicht zu erwarten berechtigt war. In dem Blick ihrer von langen braunen Wimpern überschatteten blauen Augen lag etwas fast ZurückstoßendeS. Auch der Un erfahrenste würde sofort gesehen haben, daß sie eine der stolzesten, und errathen haben, daß sie eine der schweigsamsten Frauen war. Sie sprach nnd benahm sich so, als wäre Schloß Wildenberg noch immer daS, waS eS in rüheren Tagen gewesen, und sie hatte ihr einziges Kind so sehr zur Aehnlichkeit mit der Mutter erzogen und herangebildet, wie es einem so jungen und schönen Geschöpf nur irgend möglich war, Jemandem zu gleichen, der bereits rin TypuS de« Alters und deS Ernstes war. Arinutb ist ein zu nichtssagendes Wort, um den Zustand, zu beschreiben, in dem Mutter und Tochter lebten und leit Jahren gelebt hatten. Außer der Pension, die der Wittwe des, wie der amtliche Bericht sich au-grbrückt hatte, „auf dem Felde der Ehre" in dem mörderischen Kriege mit Frankreich gefallenen Lieutenants von Wildenberg bewilligt worden war, besaßen sie nicht die geringsten Mittel zum Unterhalt. Der Lieutenant war der Leyte seine- Namen gewesen nnd hatte zur Zeit seine« Tode- keinen lebenden Verwandten mehr gryabt. Zwei Jahre zuvor batte er ein Mädchen geheiralhe«, da« ebenso arm und alladlia war wie er selbst. Dann batte er noch die Geburt einer Tochter er lebt, der eS beschieden war, seinen Akel, seine Armuth und die kahlen Wände seines AhnenscklosseS zu erben. Wildenberg war einst «in sehr stolze- Schloß gewesen und die bald in Trümmer zerfallenen Mauern der alten Zeste blickten noch immer mafestätisch von dem Gipfel deS rauben FelsenS in die Tiefe nieder. Der Verfall war mehr ein scheinbarer als wirklicher, und wenige Tausende, in ver nünftiger Weise auf das Mauerwerk verwendet, würden hingereicht haben, die Gebäude in ihrer ursprünglichen Voll kommenheit wiederherzustellen. Mancher Kaufmann oder Bankier würde auch eine hübsche Summe für das Schloß bezahlt haben, obgleich die dazu gehörenden Ländereien längst in fremde Hände übergegangen waren und der Wald bis dicht am Fuße deS Felsens Eigenthum der Regierung war, aber die Hrrrin Wildenberg würbe lieber Hunger- gestorben sein, als das halbe Gold deS ganzen Schwaben landes für daS Heim ibreS Hingeschiedenen Gatten zu nehmen. UeberdieS war ja Greif da, und Greif sollte Hilda beirathen, und darnach würde Alles wieder gut werden! Greif mit seinem Gelbe würde die alte Burg in all ihrer Herrlichkeit wieder Herstellen und den Hauch deS Lebens in die verödeten Räume zurückbringen. Doch damit Greif Hilda heirathen könne, war eS nothwendig, daß Hilda beranwüchse und sich schön entwickelte, und um heranzuwachsen, war eS noth- wendig, daß eS ihr an Speise und Trank nicht fehle. ES war so weit gekommen, daß da- tägliche Brod, daS bloße Brod zu mangeln ansing. Es reichte nicht mehr für Zwei, aber Hilda durfte nicht Hunger leiten. Da- war da- Geheimnis, daS Niemand, nicht einmal Hilda selbst, jemals ahnen sollte. Während der ersten Jahre war r« nicht so schwer, sich dnrchruschlagen. Einige armselige Juwelen und dieser oder jener Gegenstand konnten verkauft werden und brachten etwa- Geld ein. So lange Hilda ein kleine- Kind war, ging Alle- leichter, sie brauchte nur wenig für Kleider und aß nicht viel. Endlich aber kam ein Tag, an dem Frau von Wildenberg einen hungrigen Blick in den Augen ihres blondhaarigen Töchterchens ausleuchten sah. Die ängstliche Sparsamkeit, die nicht« kaufte, da« nicht unumgänglich zur Erhaltung de- Lebens erforderlich war, konnte nicht weiter getrieben werden. Täglich dursten nur so und so viele Pfennige für da- Essen verwendet werden, und heute mehr dafür auSzugeben, hieß sich morgen dem Hunger überant worten. Von diesem Augenblick an begann Fran von Wilden berg sich über Kopfschmerzen und namentlich über Mangel an Appetit zu beklagen. Sie behauptet« nicht essen zn können, doch glaubte sie nicht, daß das etwas zu bedeuten habe, sie würde sich zweifellos in einigen Tagen wieder bester befinden. Doch die Tage wurden zu Wocken, die Wochen zu Monaten und die Monate zu Jahren, und Hilda wurde groß und schön, ohne auf den Gedanken zu kommen, daß sie ihrer Mutier Antbeii am täglichen Brode mitverzrhrte. Kein Einsiedler lebte jemals von so Wenigem, als der Baronin genügte, kein Schiffbrüchiger wog jemals so ängstlich jeden Bissen ab, der ihm das Leben von einem Tage zum andern erhalten mußte, kein Märtyrer unterwarf sich geduldiger und schweigsamer allen Leiben und Entbehrungen wie sie. Aber Hilda wuchs heran, und di« Jahre entflohen, und Greif würde sich zur rechten Stunde schon einstellen. Greif, auf den sich so viele Hoffnungen vereinigten, war ein entsernter Detter und ein Nackbar. Die Verwandt schaft war von Seiten der Mutter Hilda'S, deren Großvater ein Greifenstein gewesen war. Man Kälte erwarten dürfen, daß die Baronin von ihren reichen Verwandten einige Unterstützung annehmen würde, umsomehr, al« sie ganz da mit einverstanden war, daß ihre Tochter den einzigen Sohn der Greifenstein'S heirathe; aber sie war eine Frau, deren Stolz ihr verbot, unter dem Druck der Noth etwa- an- zunebmen, was ihr zu anderen Zeiten nicht freiwillig an getragen worben war. Es muß zugestanden werden, daß die Greifenstein'- wohl wußten, die Wildenberg'« wären sebr arm, aber nicht ahnten, daß es ihnen sogar am Brod fehle. Sie wußten, baß da- Schloß noch immer da- unbeschränkte Eigenthum von Mutter und Tochter war, und setzten voraus, daß, wenn die Umstände wirklich so schleckt wären, die Baronin nicht zögern würde, Geld von ihnen zu erbeben. Niemrls spielte die Baronin auf ihre Verhältnisse an, wenn sie ihren Verwandten einen Besuch machte, und daß sie von ibnen niemal« verlangte, ihre Besuche zu erwidern und längere Zeit bei ihr zu verweilen, entschuldigte sie mit ihrer schwachen Gesundheit. Nur bei seltenen Gelegenheit«» fuhren Greifenstein und sein« Frau nach Wildenberg, wo sie un abänderlich von derselben schlicht gekleideten ältlichen Person eingelassen wurden, die sie stet- zu demselben altmodischen Zimmer geleitete. Da« war Alle«, wa« sie jemal« von Wildenberg sahen. Zweimal im Jahr« wurden Hilda und ihre Mutter zu einem vierzebntägigen Aufenthalt nach Greifenstein eingeladen, aber Niemand würde aus ihrem Benehmen den Sckluß gezogen haben, daß der LuzuS im Hause ihrer Ver wandten ihnen etwa- Ungewohnte» sei, oder baß ihnen die Leben-fübrnng der Freunde angenehmer erschien al« die, welch« in ihrer eigenen Häuslichkeit üblich war. Hilda'S Erziehung war nicht vernachlässigt worden. Zu ihren frühesten Erinnerungen gehörten die beständigen Ermahnungen ihrer Mutter, nicht über daS, was sie in anderen Häusern sah, Bemerkungen zu machen. DaS Kind lernte früh genug, waS diese Ermahnungen bedeuteten, und da sie den ganzen Strlz ihrer Mutter geerbt hatte, ahmte sie deren Betragen fast unbewußt nach. Eine fernere Erklärung für da- Widerstreben der Baronin, Beistand zu verlangen, war die große und unüberwindliche Antipathie, die zwischen ibr und Greif'- Mutter vorhanden war. Tie Baronin begriff nickt, wie Greifenstein eine solche Frau batte beirathen können. Es gab da ein Gebeimniß, das zu ergründen ihr niemals gelungen war. Greifenstein selbst war ein ernster, schweigsamer Mann von militairischer Hal tung, ein gewaltiger Jäger in den Tiefen deS WaldeS, in seinen Manieren von steifer Höflichkeit, strenge in seinen An sichten, religiös und mit einem äußerst empfindlichen Ebr- gefühl begabt. Seine Frau war der vollständigste Gegensatz zu ihm. In ihrer Jugend war sie hübsch, rosig und munter, ;eyt war sie eine verblaßte Blondine, voll seltsamer Zierereien und erkünstelter Empfindlichkeit. Sie besaß wenig Geschmack, verwendete aber sehr viel Zeit darauf, sich zu schmücken und berau-zuputzrn. Ihre Gestalt war klein, aber zierlich, «nd wenn ihr nervöser Wunsch, zu gefallen, ibr während des Tage« auch nur einen Augenblick Ruhe gelassen, hätte sie immer noch für eine recht hübsche Frau gelten können. Unglücklicherweise war sie in kleinlichen, unwichtigen Dingen von einer rastlosen Tbätigkeit, und dabei schwieg sie selten still. Sie gebört« zu den Frauen, deren beständige Ausrufe der Bewunderung und deren immer laute- Entzücken zuerst ein unbestimmtes Gefühl de« Unbehagen« in dem Zubin er erwecken, da« jedoch immer quälender wird und gewöbnlich mit Abneigung gegen die betreffende Person endet. In Wirklichkeit war die Baronin von Greifenstein nickt so einfältig, wie man hätte glauben sollen. Ein Tbeil ihres Leben« war unter den seltsamsten Umständen und Ver hältnissen hingegangen, und wenn diese zur Kenntniß Aller gelangt wären, würde e- offenbar geworden sein, daß sie es selbst gut verstanden hatte, au« Lagen, die vielen Anderen hoffnung-los erschienen, außerordentlich« persönliche Vortbeile zu ziehen. Sie und ibr Gemahl verließen ihr Schloß im Schwarzwalde nur selten, und man durfte sich wohl be rechtigt glauben, anzunebmen, daß ibr Leben dort un gewöhnlich langweilig und einförmig sich abspann. In ihrem eigenen Herzen gestand sich jedoch Clara von Greifenstein, daß ihre gegenwärtige luxuSgeschmückte Zurückgezogenheit ein Paradies war nu Vergleich mit der Existenz, die ihr b»»
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