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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.05.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970513024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897051302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897051302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-13
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Es ist selbstverständlich, daß in einem monarchischen Staate dem StaalSobcrbaupte und seiner Familie ein erhöbter strafrechtlicher Schutz zustehen muß; der Reichstag konnte und durfte daber vem socialdemokratischen Anträge nicht die Ehre einer Commissions-Beratbung anthun. Anders hätte die Mehrheit wahrscheinlich entschieden, wenn der Antrag sich darauf beschränkt hätte, eine Revision der betreffenden Be stimmungen des Strafgesetzbuches vorzunehmen. Ein solcher Antrag würve, wie man aus dem Berlaufe der Debatte schließen muß, an eine Commission verwiesen worden sein Der Abg. Richter führte nach einem dec nnS vorliegenden ausführlicheren Berichte über die Richtung, in der eine solche Revision sich bewegen sollte, Folgendes auS: „Wir hallen eine Revision in nachfolgenden Richtungen für durchaus erforderlich. Erstens ist es nölhig, die Verpflichtung der Staatsanwalt fch ast aufzubeben, alle Anzeigen über Majestätsbeleidigungen auch zu verfolgen; zweitens die Verfolgung von einer Ermächtigung abhängig zu machen, ebenso wie es bei der Beleibigung des Reichstags der Fall ist, und zwar von einer Ermächtigung durch den Justiz Minister. Man Hal darauf hin gewiesen, daß eine Begnadigung aushelsen könne, aber erst wird doch der Proceß durchgesührt und MajestälSbeleidigungsprocesse tragen nie mals zur Erhöhung des Ansehens der Majestät bei. Tie öffentliche Meinung ist ost eher geneigt, sich aus die Seite des Angeklagten zu stellen, als auf die Seite der anklagenden Behörde. Drittens ist das Straf Minimum viel zu hoch gegriffen. Sodann ist bei der unverantwortlichen Stellung fürstlicher Personen die Widerklage ausgeschlossen, also Compensatio» unmöglich, auch wennProvocation vorlag. Wir wünschen also die Anwendung des 8. 193, der von der Wahrnehmung berechtigter Interessen handelt. Die Voraussetzung der Unverantwortlichkeit des Fürsten ist, daß er sich nicht am Parteileben betheiligt. Steigt er ohne ministerielle Be gleitung in die Arena hinab, dann verändern diese Bestimmungen ihren Charakter." Und der nationalliberale Abg. Vr. Friedberg knüpfte an diese Auslassung folgende Ausführung: ,,Ta einmal eine Discussion über die Frage der Majestäts- beleidigungsprocesse hier angebahnt worden ist, so möchte ich mir die Bemerkung gestatten, daß über die Handhabung der betreffen den strafrechtlichen Bestimmungen Lurch die Staatsanwaltschaft allerdings in unserer Bevölkerung lebhaft Klagen bestehen. Es kann dem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen, daß vielfach Majcftälsbeleidigungen, die geradezu aus Quisquiiien be ruhen, vor LaS Forum der Gerichte gezogen werden, und ich glaube, daß eine eventuelle Reform nach dieser Richtung hin sehr zweckmäßig und Wünschenswerth für unsere ge summte Strafrechtspflege wäre. Die Gesichtspunkte, nach denen eine solche Reform vor sich zu gehen hat, sind am ausführlichsten vom Abg. Richter angedeutel worden. Auch ich möchte mich dafür erklären, daß bei Einleitung der Majestätsbelcidigungsprocesfe die strafrechtliche Genehmigung einer höheren Instanz als maßgebend erachtet wird. Weiter glaube ich, ist es bei MajestätS- beleidigungsklaqen nicht ganz gleichgiltig, mit welcher Wirkung jene» Vergehen vor sich gegangen ist. Ich glaube, eS ist nicht voll- kommen gleichgiltig, ob die beleidigenden Aeußerungen gefallen sind vor einem größeren oder geringeren Personenkreise, daß wir auf die Wirkung Rücksicht nehmen, die eventuell mit einer solchen majestätsbeleidigenden Aeußerung erzielt worden ist. Wir sehen ja sehr häufig, und Herr Bebel hat mit Recht einige der krassesten Fälle hervorgehoben, wo ganz vertrauliche Aeußerungen nach Jahren zum Gegenstände einer MajestätsbeleidigungSkloge gemacht worden sind. Hier, glaube ich, sollte rin Unterschied rintreten, ob der Be- treffende von vornherein die Absicht gehabt hat, seiner Aeußerung eine gewisse Pubticität zu geben, oder ob eS eine vertrauliche, gewissermaßen intra muros gethane Aeußerung ist. Ich selbst bin nicht Criminalist genug, um beurtheilen zu können, ob dieser Ge danke sich in eine juristische Form kleiden läßt, aber erwägensmerth scheint er mir unter allen Umständen zu sein. Sollte aber in dieser Beziehung in diesem Hause oder von den Regierungen uns ein Gesetzentwurf vorgelegt werden, der diesen reformatorischen Gedanken zum Ausdruck bringt, so werden meine politischen Freunde gewiß bereit sein, an einem solchen gesetzgeberischen Werke sich durch ihre Mitarbeit zu betbeiligen." Aehnlich äußerle sich der Fübrer deS CentrumS vr. Lieber, und selbst der conservative Herr v. Levetzow erklärte, eS ließe sich darüber reden, ob die Strafverfolgung von einer gewissen höheren Genehmigung abhängig zu machen sei, aber das sei ja nicht beantragt worben. Wäre es den social demokratischen Antragstellern nicht lediglich auf eine anti monarchische Demonstration, sonvern auf Beseitigung von Uebelständen angekommen, so hätte sich also eine Commissions- Berathung mit der Aussicht auf ein praktisches Ergebniß erzielen lasten. Ein solches ist jetzt ausgeschlossen, selbst wenn sich der Reichstag noch so lange zusammenhalten ließe, um die zweite Plenarberatbung des Antrages vornehmen zu können. Mit der Vorlage über den TerviStarif und die LrtS- clafscncinthcilung ist die Bud getcom Mission deS Reichs tages gestern zu Ende gekommen, und zwar so, wie man es in der letzten Zeit gewöhnt ist. Auch aus dieser Vorlage ist nichts geworden. Lediglich der neue Servißtarif tritt in Kraft, wodurch die Quarlierlasten auf dem Lande ver mindert werden. Die ganze neue Classeneintheilung der Orte ist gefallen. Die Verhandlung war darum besonders bemerkenswerth, weil der Fübrer des CentrumS aus Verstimmung darüber, daß das preußische Ab geordnetenhaus die Besoldungsvorlage angenommen und dadurch die Centrumsfraction des Reichstages in die Ver legenheit gebracht hat, entweder auch für die Be soldungserhöhungen im Reich stimmen oder den ReichSrestortS die Recrutirung ihrer Beamten zum Schaden der Reichs verwaltung erschweren zu müssen, sehr ungünstig über die Reichsregierung sich äußerte. Insbesondere erklärte er, daß man sich, wie die Novelle zum Vereinsgesetz und zur Militair- strasproceßordnung zeige, auf Versprechungen der Regierungen nicht verlassen könne. Der Abgeordnete ör. Lieber war inso fern in einer günstigen Position, als die Conservativen und die Neichspartei zufrieden waren, daß nur die Entschädigung für die Naturalverpslegungen erhöht wurden. Ihr mangelndes Interesse an der in der Vorlage vorgesehenen Erhöhung der ServiSclassen der in Frage kommenden Städte suchten sie, so gut und schlecht eS eben ging, mit dem Hinweis auf die Geschäftslage zu decken. Das Ergebniß dieser Beschlüsse ist: daß die Beamten aller jener Städte, die nach der Vorlage in eine höhere Servisclasse rücken sollten und dadurch be gründete Aussicht auf Verbesserung ihrer Lage hatten, sich bei Or. Lieber und der Rechten dafür bedanken können, wenn diese Hoffnungen sich als eitel erweisen werden. In Dänemark ist die seit einigen Tagen in Sicht ge wesene CabinetSkrise nunmehr ausgebrochen. Der Conseil - Präsident Baron Re edtz-Thott hat seine Demission eingereicht, und das ganze Ministerium ist seinem Beispiele gefolgt. Anlaß zur Krise gab die Finanzvorlage, über welche die Ausgleichsversuche gescheitert sind. Nachdem die Forderung für die Kopenhagener Festungsbauten von 200 000 Kronen infolge der tbeilweisen Nachgiebigkeit des Folkethings nicht mehr den Stein des Anstoßes bildete, hätte be» einigermaßen gutem Willen ein Ausgleich er zielt werden können. Da verweigerte das LandStbing (die erste Kammer) seine Zustimmung zu den Beschlüssen der Folkethingmehrheit, dem Friedensbureau in Bern einen Zuschuß von — 2000 Kronen zu gewähren und die Domainen- renlen um — 9000 Kronen herabzusrtzen. Diese Undank barkeit verstimmte das Folkething und es drohte, der weiteren Berathung des Budgets ernste Schwierigkeiten in den Weg zu legen. Man hat den Eindruck, daß die erste Kammer um jeden Preis einen Conflict herbeiführen wollte, um daS Cabinet Reedtz-Tbott zu stürzen. Mit der Verwerfung der Kinanzvorlage in der von der Negierung vorgeschlagenen und vom Folkething angenommenen Fassung hat sie das Consiicts- mittel gefuuden. Die Negierung, welche redlich bemüht war, zu einer verfassungsmäßigen Vereinbarung zu kommen, beabsichtigte einen Augenblick, es mit einer neuen Finanz vorlage zu versuchen, hat jedoch augenscheinlich das Aussichts lose dieses Versuches alsbald erkannt und vorgezogen, nach dreijähriger Füdrung der Geschäfte den Platz zu räumen. Sie hätte es vielleicht probiren können, wie seinerzeit Estrup gegen die zweite Kammer, in diesem Falle gegen die erste Kammer zu regieren, aber dagegen sträubte sich wohl ihr constitulionelleS Gewissen. Der alte ConflictSminister Estrup, der von Versassungöscrupeln weniger geplagt wird, ist bereits vom König empfangen worden. Nunmehr wird auch der Wortlaut deS Beileids schreibens deS Kaisers von Rußland an den Präsi denten der französischen Republik anläßlich des großen Pariser BrandunglückS bekannt. Man berichtet uns darüber: * Paris, 12. Mai. Präsident Faure empfing Nachmittags den Botschafter Baron von Mohrenheim, welcher folgendes Handschreiben des Zaren vom 7. Mai überreichte: „Herr Präsident! Sehr lieber guter Freund! Die Kaiserin vereint sich mit Mir, Ihnen die lebhafte Bewegung ouszndrücken, die Uns das entsetzliche Unglück des Wohlthätigkeitsbazars empfinden ließ. Sie kennen Unsere Gefühle für Frankreich zu gut, um nicht der tiefen, wahren Theilnahme versichert zu sein» die Wir an dem Unglücke nehmen, welches so viele herzzerreißende Trauer und entsetzliche Schmerzen in Paris wachgerusen hat. Aus ganzem Herzen sich Dem anschließend, was Sie persönlich bei solcher Prüfung empfinden müssen, liegt es Uns am Herzen, Ihnen Unsere Sympathie wie die ganz Rußlands zum Ausdruck zu bringen. Lassen Sie, Herr Präsident, sehr lieber theurerFreund, Mich Ihnen gleichzeitig die Versicherung Meiner aufrichtigen unwandelbaren Freundschaft erneuern. Nicolau s." Man erinnert sich, daß daS Brandunglück sich am 4. Mai ereignete. Bereits am 5. traf in Paris die sehr warm ge haltene Beileidsdepesche Kaiser Wilhelm's an den Prä sidenten der Republik ein, wäbrend auf russischer Seite erst am 6. Notiz von der Katastrophe genommen wurde und zwar in der etwas frostigen, reservirten Form der telegra- 91. Jahrgang. phiscbcn Aufforderung des Ministers des Auswärtigen, Murawjew, an den russischen Botschafter in Paris, den französischen Minister des Aeußern, Hanotaux, der liefen Theilnahme des Kaisers und der Kaiserin zu ver sichern. Liest man nun das am 7. Mai abgesanbte Hand schreiben des Zaren, so kann man sich schwerlich des Ein druckes erwehren, daß die rasche Initiative des deutschen Kaisers in Petersburg unliebsam vermerkt worden sei, daß man daS Bedürfniß gehabt habe, den herzlichen Ton in der Beileidsdepesche Kaiser Wilhelm's zu überbieten und so den Eindruck zu verwischen, als ob in dem russisch-französischen Berhältniß auf russischer Seite eine Abkühlung ein getreten sei. An eine Verstimmung deS Zaren gegen den deutschen Kaiser oder gar daran, daß aus einer solchen poli tische Folgen sich ergeben könnten, glauben wir nicht, da einmal thatsäcklich eine Versäumniß auf russischer Seite vorliezt und sodann männiglich bekannt ist, daß die Anbahnung eines freundlichen Verhältnisses Deutschlands zu Frankreich eines der Ziele der russischen Politik ist. Daran aber, daß Kaiser Wilhelm die Absicht gehabt habe, mit seinem Condolenz- telegramm den Zaren auszustechen, glaubt, weil der Gedanke gar zu absurd ist, im Ernste kein Mensch. Politisch bedeut sam ist das Handschreiben deS Zaren nur insofern, als es offenbar den Zweck verfolgt, urbi et ordi kund zu thun, daß in Rußlands Stellung zu Frankreich sich nichts geändert hat. In Paris hat es in der letzten Zeit nicht an Stimmen gefehlt, welche im Hinblick auf die in Petersburg zwischen dem Zaren und dem österreichischen Kaiser ge wechselten Toaste es schon als ausgemachte Sache hin» stellten, daß Rußland im Begriff sei, von Frankreich ab- zurückcn und sich Oesterreich und Deutschland anzuschließen. Es ist auch kein Geheimniß, daß in Folge dessen der Russen enthusiasmus in Frankreich mehrere Grad an Wärme verloren hatte, und man braucht sich nicht zu wundern, wenn die Verzögerung einer persönlichen Beileidsäußerung des Zaren ihn noch erheblich mehr herabdämpfte. Aus dem Bestreben nun, sich Frankreich nicht zu entfremden, erklärt sich zur Genüge das Handschreiben des Zaren, das in Freundfchaflsversicherungen sich kaum genug thun kann. Der russisch-österreichische „Zweibund" soll — das möchte man in Petersburg betonen — keineswegs die russisch-französische Alliance antiquiren. Vielmehr trägt man sich an der Newa mit dem großen Plane, mit Oesterreich-Ungarn, Frankreich und Deutschland zusammen Englands Weltherrschaftsgelüsten Schach zu bieten. Deshalb legt man in Petersburg auch so großes Gewicht darauf, zu versichern, daß die Annäherung Rußlands an Oesterreich keineswegs auf Kosten Deutschlands erfolgt sei, daß die neue Combination vielmehr die bestehenden Bündnisse unberührt lasse. Eine außergewöhnliche Peters burger Correspondenz der „Neuen Freien Presse" weiß sogar mitzutheilen, daß ein engeres Verhältniß zwischen Rußland und Oesterreich durch die tbeilwcise Initiative und die nachdrückliche Förderung des deutschen Kaisers erzielt worden sei. Wie dem auch sei, wir haben in Deutschland keinen Grund, uns wegen deö neuen „Zweibundes" irgend welche Sorge zu machen, da zwischen Deutschland und Rußland keinerlei unmittelbare Interessengegensätze bestehen. Der Versicherung Banffy's im ungarischen Abgeordnetenhaus?, daß der friedliche Charakter des Dreibundes freundschaftliche Eintracht mit anderen Mächten nicht ausschließe, hätte es I gar nicht erst bedurft. Zwei Frauen. Ls Roman von F. Marion.Crawford. Nachdruck »ertöten. „Wann kommt Hilda?" nagte Greif endlich. „Sie wird morgen mit ihrer Mutter bei uns eintreffen", erwiderte Greifenstein, sich den Anschein gebend, als bemerkte er daS leise Erröthen nicht, das seines Sohnes Wangen färbte. „Ich vermuthe, daß wir noch ein Jahr zu warten haben werden", seufzte Greif. „Es scheint mir abgeschmackt, daß ein Menscy in meinem Alter seine Erziehung noch nicht voll endet haben sollte." „Wenn Du erst verheirathet sein wirst, mein Sohn, wirft Du froh sein, Dein Militairjahr hinter Dir zu haben." „DaS weiß ich nicht", erwiderte der junge Mann zerstreut. „Du weißt eS nicht?" rief der Vater überrascht. „Möchtest Du etwa mit Hilda in einer Garnisonstadt leben, während Du Dein Militairjahr abdienst?" „Daran dachte ich nicht. Ich habe mir in der letzten Zeit oft gedacht, daß eS doch wohl besser wäre, wenn ich mich ganz dem Soldatenstand widmete. Hättest Du etwas dagegen?" Greifenstein war höchlichst verwundert und würde zweifellos seinem Erstaunen lauten Ausdruck gegeben habe», wenn er sich nicht längst so gut geschult hätte, niemals seinen Ernst in dieser ungeziemenden Weise zu unterbrechen. Er beantwortete die Frage deS Sohne» nicht. „Vater", begann Greif nach einer Pause wieder, „ist «» wahr, daß Du jemals «inen Bruder hattest?" Greifenstein'- Gesicht verfärbte sich langsam. „Einen Halbbruder", brachte er mühsam hervor. „Meine Mutter verheirathete sich wieder." Greif blickte seinen Vater von der Seite an und bemerkte, daß die Frage ihn seltsam bewegte, aber der junge Mann hatte seine eigenen Gründe zu dem Wunsch, die Wahrheit zu erfahren. „Weshalb hast Du mir niemals gesagt, daß ich einen Onkel habe?" forschte er. „Er ist Dein Onkel nicht, mein Sohn, noch ist er mein Bruder"', antwortete Greifenstein bitter. „Ich hatte seinetwegen neulich ein Duell." „Er ist nicht werth, daß man sich seinetwegen schlägt." „So ist die Geschickte wahr?" „Welche Gesckichte?" Greifenstein blieb stehen und heftete seine scharfen Augen auf des SohneS Gesicht. „Welche Geschichte? Was weißt Du davon?" „Jemand erzählte mir, daß Dein Bruder auS der Armee auSgestoßen, daß er infam cassirt und zu entehrender Ge- fängnißstrafe verurtheilt wurde, weil er im Jahre 1848 den Rebellen ein Arsenal verrietb und ihnen Waffen in die Hände spielte. Ich entgegnete dem Menschen, der daS zu behaupten wagte, daß er lüge. WaS konnte ich ihm anders sagen? Ich hatte niemals etwas von dem Schurken in unserer Familie gehört." „Du handeltest ganz recht", erwiderte Greifenstein. „Ich hatte mir voraenommen, Du solltest niemals etwas von der traurigen Geschichte erfahren, ebensowenig Deine Mutter. DaS, mein Sohn, ist der Grund, weshalb mir daS ganze Jahr auf dem Lande leben. Aber ich dachte immer daran, daß eS eine- TageS so kommen und ein Fremder Dir die Geschichte erzählen würde." „Ich glaube nicht, daß Jemand den Versuch wiederholen wird", bemerkte Greif, sich abwendend und auf den Fluß niederblickend, der zwischen den Bäumen sicktbar wurde. „Und waS ist auS diesem Herrn von Rieseneck geworden?" „Er lebt und befindet sich wohl. So viel ich weiß, ist er sogar reich. Er entkam aus der Festung, in der er sein, Strafe verbüßte, und ging nach Südamerika. Ich hatte ihn schon lange vor dieser schmachvollen Gesckichte nicht gesehen. Wir hatten unS über andere Angelegenheiten entzweit und er war aus den württembergischen in preußische Dienste ge treten." „Ich wünschte. Du hättest mir schon eher vou ihm ge- sprocken." „Weshalb hätte ich daS thun sollen? Glaubst Du, e« ist eia angenehmer Gegenstand der Unterhaltung? Da, Gott sei Dank, sein Name nicht der meinige ist, war eine Möglich keit vorhanden? daß Du niemals von ihm hörtest." „Ich begreif« jetzt, warum Du meinen Eintritt in daö Heer nicht wünschst." „Ja", antwortete Greifenstein lakonisch, seinen Weg wieder fortsetzend. Einige Zeit gingen beide Männer schweigend neben einander her. Greifenstein'- Haß gegen seinen entehrten Brudrr war zu tief aufgewühlt, um ihm ein« Fortführung der Unterhaltung zu gestatten, und der Sohn war, wenn auch in anderer Art, nicht weniger ergriffen als der Vater. Als der Student, mit dem Greif sich geschlagen, ihm die schlimmen Thaten KunoS von Rieseneck vorgeworfen, hatte er ohne Zögern die Geschichte geleugnet, die ibm eine willkürliche, unter dem Antrieb des Augenblickes erfundene Beleibigung zu sein schien. Keiner der bei dem Streite An wesenden hatte eS angemessen erachtet, die Wahrheit der Geschichte zu bestätigen, und Greif batte an seinem Gegner in einer Weise Rache genommen, die den ungetheilten Beifall deS bei dem Kampfe vollzählig versammelten „Corps" ge funden. Aber di« Worte seines Gegners waren nicht ohne Wirkung auf ihn geblieben, und er hatte sich fest vorge nommen, vou seines BaterS Lippen zu erfahren, ob die Be schuldigung in der That begründet war. Als Greif von der Existenz seine- Onkels und gleich zeitig von dessen Schmach hörte, war es ihm, al- ob sich «ine Wolke auf seine glänzende Zukunft berabsenke. Er batte lange im Geheimen den Wunsch nach einer militairischen Laufbahn gehegt und sich oft über seines Vaters Abneigung gewundert, die Angelegenheit zu besprechen. Jetzt erkannte er plötzlich den wahren Stand der Dinge, und an dem Maße seiner Enttäuschung wurde ihm klar, bis zu welcker Höhe seine Hoffnungen gestiegen waren. Aber es barg sich doch etwas Anderes in dieser Verzweiflung, die sich seiner so jäh bemächtigte und sich nicht zurückweisen ließ. „Weiß Hulda davon?" fragte er, seinen Gedanken zögernd Au-druck gebend. Greifenstein antwortete nicht sogleich. „Ich glaube nicht, daß ihre Mutter ihr etwas davon gesagt haben wird", bemerkte er nach einer Weile. „Aber ihre Mutter weiß eS." „Und meine Mutter weiß e- nickt." „Nein, noch soll sie es je erfahren, wenn ich e» ver hindern kann." Wenn die beiden Männer auf ihrem Heimweg nur noch wenig miteinander sprachen, geschah eS nicht an» Mangel an Sympathie zwischen ihnen. Im Gegentheil, wenn etwas daS starke Band befestigen konnte, da- sie vereinigte, war e» die Krnntniß eines gemeinsamen Geheimnisse-, daS sie zu bewahren hatten. 2. Capitel. Zu vermutben, daß Hilda mit achtzehn Jahren der Mehrheit junger Mädchen ihres Alters glich, hieße an nehmen, daß der menschliche Charakter nicht von seiner Umgebung beeinflußt werde. Sie war weder ein Dorf- gretchen, wie es Faust geliebt und zu Grunde gerichtet bat, noch das vielwissende Fräulein der modernen Gesell schaft. Wäbrend deS größeren Theils ihrer Existenz hatte sie odne andere Gesellschaft als die ihrer Mutter und der treuen Barbara, ihrer Dienerin, gelebt. Sie war in einer wilden Waldgegend, in einer alten verfallenen Burg ausge wachsen, dessen Fenster auf den tosend in die Tiefe stürzenden Fluß und auf Tausende von Riesenbäumen niederblickten, die wie düstere Sckattcngebilde aus dem tieferen Dunkel unter ihnen aufragten. Selbst der Himmel war bier kaum blau zu nennen. Diese Tannen, Kiefern und Föhren sogen — wenn der Ausdruck gestaltet ist — die Farbe ans der Luft und ließen nur eine nüchterne neutrale Schattirunz zurück. Da Hilda, so weit ihre Erinnerungen zurückgingen, keine Ebene, noch weniger eine Stadt gesehen hatte, war ibre Vorstellung von der Welt jenseits jener unabsehbaren Baummassen, in deren Milte sie lebte, keine sehr genaue. Sie konnte sich kaum ein Bild von den Straßen einer großen Stadt machen, noch ahnen, welcke Wirkung «ine Menge civilisirtcr Menschen in ihrer Seele hervorbringen würve. Und dennoch war sie nicht unwissend. In Wilden berg gab es Bücher genug für ibre Erziehung und Fort bildung, und die Baronin Halle gethan, was in ihrer Macht stand, sie zu unterrichten. Hilda batte wahrscheinlich so viele Bücher gelesen, wie die meisten Mädchen ihres Aller- und Halle sie aufmerksamer und sorgfältiger gelesen, aber sic war weit davon entfernt, das Studium um seiner selbst willen zu lieben. Ihre Zeit wurde in anderer Weise in Anspruch genommen, denn sie und ihre Mutter machten daS Meiste, dessen sie bedurften, selbst, wie in einem Hau-Halt zu er- warten war, in dem der äußerste Mangel die Stunden des Tage» von Sonnenaufgang bis Sonnenniedergang be- herrschte. Tie Nothwendizkeit, den Schein zu wahren, trat nicht oft hervor, doch konnten Mutter und Tochter ibn niemals außer Acht lassen. Niemand konnte vorher sagen, welchen Tag die Greifensteins zu einem ihrer gelegentlichen Besuche wählen würden, und in den Ferien war nie vorau-zuseben, wann Greif, der mit seiner Flinte Uber dem Arm und von seinem Hunde begleitet die bewaldeten Hügel durchstreifte, versprechen würde, um mit Hilda an ihrem LieblingS- vlätzchen, am Fuße deS verfallenen Thurmes, einen ruhigen Nachmittag zu verleben. Wenn die Armulh versteckt gehalten werden soll, darf ihr Schatten zufälligen Besuchern nicht an
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