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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.05.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970515018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897051501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897051501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-15
- Monat1897-05
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Wenn die Novelle im December vorigen Jahres scheiterte, so trug zumeist die Haltung der Reichstagsmehrheit, die sich geradezu ein Vergnügen daraus machte, die Wünsche der Regierung nicht zn berücksichtigen, Schuld daran. Ob die Regierung jetzt bereit sein wird, die Verhandlungen wieder aufzunehmen, steht dahin. Den Hauptstreitpunct bildete bekanntlich die Zahl der Richter, die zur Besetzung einer Strafkammer erforderlich sein soll. Die Regierung wollte diese Zahl von fünf Richtern auf drei Richter herabsetzen. Leider beging sie den Fehler, die fiscalischen Gründe für diese Maßregel zu sehr hervor zuheben, und bot damit den Gegnern eine breite und bequeme Angriffsfläche. So kam es, daß eine Mehrheit des Reichs tages daran festhielt, daß die Strafkammern nach wie vor mit fünf Richtern zu besetzen seien. Inzwischen aber hat sich, um die Einführung der Berufung und die Entschädigung unschuldig Verurtheilter zu ermöglichen, der Gedanke an ein Eompromiß mit der Regierung Bahn gebrochen. Es werden verschiedene Vorschläge gemacht. Nach dem einen soll als Compensatio« für die Besetzung mit nur drei Richtern die Einstimmigkeit der drei Richter bei der Verurtheilunz noth- wendig sein; nach dem anderen Vorschläge soll bei schwereren Delicten eine Strafkammer mit fünf Richtern, bei leichteren Delirien mit drei Richtern besetzt sein. Der Vorschlag, daß die Einstimmigkeit der Richter zur Verurteilung nothwendig sein solle, erscheint unannehmbar. Wer im Justizdienste thätig gewesen ist, weiß, daß e» nicht an Richtern mangelt, die in Strafsachen nicht nur gewissen haft — denn daö soll natürlich jeder Richter sein —, sondern geradezu ängstlich sind und die, wenn auch nur eine Zeugenaussage den belastenden Aussagen gegenüber steht, zur Freisprechung geneigt sind. Nun würbe ja allerdings nach der Einführung der Berufung der Staats anwaltschaft durch Einlegung der Berufung die Erzielung einer Abänderung des Urtheils möglich sein. Es würde aber dadurch die Thätigkeit der Berufungskammern allzu sehr und allzu oft in Anspruch genommen werden. DaS Erforderniß der Einstimmigkeit hat aber noch eiu anderes schwerwiegendes Bedenken gegen sich. Ist, wie bei allen sonstigen juristischen Urtheilen und bisher auch bei Strafurtheileu, die Einstimmigkeit nicht erforderlich, so weiß, da die Berathung geheim ist, das Publicum nicht, welche Richter im einzelnen Falle für oder gegen die Verurteilung gestimmt haben. Es werden also bei abändernden Erkennt nissen höherer Instanzen die einzelnen Richter nicht compro- mittirt. Man nehme nun aber ein mittleres oder kleineres Landgericht, bei dem die Besetzung der Strafkammern in der betreffenden Stadt genau bekannt ist. Kämen nun dort öfter abändernde Erkenntnisse gegen die Urteile des erstinstanzlichen Collegiums vor, so würde der Respect des Publicums vor jedem dieser Richter beträchtlich sinken, da man ja bei der Notwendigkeit der Einstimmigkeit wissen würde, daß er ein unrichtiges Urtheil abgegeben hat. Was nun den Vorschlag anlangt, die Strafkammer je nach der Schwere deS DelictS mit 5 oder 3 Richtern zu be setzen, so ergeben sich auch dagegen erhebliche Schwierigkeiten. Zunächst einmal wäre diese Trennung eine rein mechanische, da keineswegs ein schwereres Delict auch schwieriger zu be urteilen ist. Man könnte fast sagen, daß das Gegenteil der Fall sei. Denn ein erheblicher Theil der mit schweren Strafen belegten Vergehen wird von Gewohnheitsverbrechern > verübt, die ost genug, wenn sie abgesaßt sind, das Verbrechen ohne Weiteres einräumen, so daß also hier die Entscheidung sehr leicht ist. Zweitens aber würde die Zusammensetzung der Landgerichte in Bezug auf die Strafjustiz doch gar zu buntscheckig werden. Man würde benötigen: Untersuchungs richter, Beschlußkammer, größere und kleinere Strafkammer für erstinstanzliche Sachen, größere und kleinere Strafkammer für Berufungssachen, Kammer für Schwurgerichtssachen. Bei kleineren Landgerichten würde diese Zusammenstellung ziemliche Schwierigkeiten bereiten. Es ist kaum anzunehmen, daß die Regierung mit einem dieser Vorschläge sich einverstanden erklären wird. Sie wird voraussichtlich daran festhalten, die Besetzung der Straf kammern mit drei Richtern zu verlangen, ohne daß zu einer Verurteilung die Einstimmigkeit der Richter erforderlich ist. Sache eines jeden Abgeordneten ist cs, sich darüber klar zu werden, ob für den Angeklagten der Vorteil, daß ihm die Berufung zusteht, den Nachtheil, daß er statt von fünf nur von drei Richtern abgeurtheilt wird, überwiegt. Wir sind der Ueberzeugung, daß der Nachtheil, den der Angeklagte durch die Aburteilung durch nur drei Richter erfährt, sehr gering wiegt im Verhältniß zu der Möglichkeit der Berufung, vorausgesetzt, daß daö BerufungSvrrfahren ein vollkommen mündliches Verfahren, also wesentlich anders eingerichtet ist, als nach den RegierungSvorschlägcn der Justiznovelle. UnS erscheint demnach als die gegebene Basis für ein Compromiß, daß der Reichstag bedingungslos die Besetzung der Straf kammern mit drei Richtern, die Regierung bedingungslos die vollständige Mündlichkeit des Berufungsverfahrens zugesteht. Geschieht dies, so wird ein wesentlicher Fortschritt gegenüber dem bisherigen Verfahren gemacht sein. Deutsches Reich. * Berlin, 13. Mai. I» den Kreisen der preußischen Laudtagöabgeordneten wird das Auftreten des Ministers deS Innern Frhrn. v. d. Recke in der Tienötagssitzung noch immer lebhaft besprochen. Man findet, daß er dem Stadt director Tramm von Hannover, dem er vor einigen Wochen im Abgeordnetenhause auf Grund falscher Unter richtung schweres Unrecht zugefügt hat, in einer wärmeren Form hätte Genugthuung leisten müssen; vor Allem aber betont man, daß Angesichts der unzweideutigen Rechtsverletzung, die sich pommerscke Verwaltungsbehörden in unerwünschter Zahl haben zn Schulden kommen lassen, eine schärfere Zurechtweisung am Platze gewesen wäre als die Entschuldigung, daß „die Auffassung über die Auslegung des Vereinsrechts in dem betreffenden LandeStheile nicht überall eine ganz geklärte ist". Der Gesetzgeber verlangt von jedem Laien, Laß er alle Strafgesetze kennen soll, und er läßt keine Unkenntniß des Gesetzes als strasbesreiend zu. Die Landräthe aber mit nicht genügender Kennlniß derjenigen Gesetze zu entschuldigen, deren Handhabung ihnen berufsmäßig anvertraut ist, das hätte man am allerwenigsten auS dem Munde des vorgesetzten Ministers erwartet, schon weil dadurch den betroffenen Behörden ein Armuthszeugniß ausgestellt wird, das jedenfalls für sie nicht schmeichelhaft ist. Im Uebrigen wollen wir nicht unterlassen, bei dieser Gelegenheit zu bemerken, daß die Annahme irrthümlich ist, daß der in Frage stehende Landrath deS Stolper Kreises, Geb. RegierungSrath v. Putt- kamer, ein Sobn deS früheren Ministers des Innern und jetzigen Oberpräsidenten von Pommern sei. Wir hören viel mehr, daß er der älteste Bruder deS Oberpräsidenlen ist, nicht die Verwaltungölaufbahn verfolgt hatte, sondern Guts besitzer ist und KreiSdeputirter war, als im Jahre 1885 der damalige Landrath dcS Stolper Kreises, Frbr. v. Richlhosen, als Nachfolger dcS Herrn v. Madai, zum Polizeipräsidenten von Berlin ernannt wurde. Damals, Anfangs 1886, wurde Herr v. Puttkamer auf Vorschlag seines jüngeren Bruders, des Ministers, zum Landrathe des Stolper Kreises ernannt, und man dürfte wohl annehmen, daß er in dieser über zehn jährigen Thätigkeit sich eine Kenntniß des politischen Vereins-und Versammlungsrechts erworben haben könnte. (Köln. Ztg.) * Berlin, 14. Mai. Die vom „Revaler Beobachter" ge brachte Nachricht, die deutsche Reichsregierung habe den Beschluß gefaßt, „daß die Abiturienten-Zeugnisse der bedeutendsten russischen G Y m n a s i e n deutschen Reichsangehörigen ohne Weiteres das Recht zum einjährig freiwilligen Militairdienst in Deutschland verleihen", ist, wie jetzt der „Tägl. Ndsch." von zuständiger Seile näher erläutert wird, nur im Allgemeinen richtig. Die Verfügung erfolgte auf Grund des tz 90 Absatz 7 der deutschen Wehr ordnung, der wie folgt lautet: „ Der Reichskanzler ist ermächtigt, ausnahmsweise einzelne» für das akademische Studium befähigenden Reifezeugnissen ausländischer höherer Lehranstalten die Bedeutung eines giltigen Zeugnisses der wissenschaftlichen Befähigung für den einjährig-sreilligen Dienst bei zulegen." Es ist serner die Bestimmung getroffen worden, daß die Anträge auf Anerkennung der Reifezeugnisse an den Civil- vorsitzenden der zuständigen Ersatzcomnnssion zu richten sind. Wie man sieht, ist die Anerkennung keine allgemeine und erfolgt nicht „ohne Weiteres", wie das Revaler Blatt meinte, sondern nur von Fall zu Fall, was gegen die bisherige Praxis, sie nur in Ausnahmefällen zu gewähren, allerdings eine bedeutende Erleichterung ist. Da» officirlle Berzeichniß der in Betracht kommenden russischen Lehr anstalten lautet: * Gymnasium in ArenSburg — Gymnasium in Dorpat — Koll- mann'sches Privatgymnasium in Dorpat — Gymnasium in Grodno — Lehranstalt Nya Svenska Larovarkrf in Helsingfors — Gyionasium in Mitau — Gymnasialclasse der Petri-Pauli- schute in Moskau — Nikolai - Gymnasium in Libau — Rtchelieu-Gymnasium in Odessa — Resormirte Kirchenschule in Petersburg — Gymnasium der St. Annenichule in Petersburg — Deutsche Hauptschule St. Petri in Petersburg — St. Katharinen- Kirchenschule in Petersburg — May'sches Gymnasium in Peters burg — Gymnasium in Plozk — 8. Gymnasium in Petersburg — Nikolai-Gymnasium in Reval — Stadtgymnasium in Riga — Gouvernements-Gymnasium in Riga — Gymnasium in Ssaratow — Gymnasium in Tiflis — Pragaer Gymnasium in Warschau — 4., 5. und 6. Gymnasium in Warschau — 2. Gymnasium in Wilna. DaS Berzeichniß ist wahrscheinlich auf Grund veralteter Daten zusammengestellt, denn eS enthält auch das bereits vor Jahren geschlossene LandeSghmnasium in Fellin und das in eine Privatlehranstalt umgewandelle Gymnasium zu Goldingen. Aehnliche Verfügungen, wie für die hier angegebenen russischen Gymnasien bat die deutsche Regierung auch für einzelne Schweizer Lehranstalten erlassen. * Berlin, 14. Mai. Für die WeltauSstelluiig i» Brüssel hat das Reichsversicherungsamt in Berlin einen „Leitfaden zur Arbeiter-Versicherung des deutschen Reiches" in deutscher und französischer Ausgabe zusammen stellen lassen, dessen Ausarbeitung im Einzelnen dem Geh. RegierungSrath Or. Zacher, ständigen» Mitglied des Reichs- versicherunzSamtes, zu danken ist. In gedrängtester Kür;e bietet Lieser Leitfaden alles Wissenswerthe aus dem umfang reichen Gebiete unserer Arbeiter-VersicherungSgesetzzebung im? der von letzterer ausgehenden praktischen Wirkungen. D ie Grundzüge der einzelnen Versicherungszweige werden in klarer, übersichtlicher Anordnung dargclegt; ferner wird in einigen dem Text beigegebenen summarischen Tafeln das Facit der Arbeiterfürsorge gezogen. So besagt, wie wir den „Berl. Neuest. Nachr." entnehmen, die Schlußseite: Die drei Zweige der deutschen Arbeiterversichernng — Kranken, Unfall-, JnvaliditätS- und Alterversickerung — bilden in ihrer gegenseitigen Ergänzung ein geschlossenes Ganzes und haben ein neues Arbeiterrecht geschaffen, welches in den unvermeidlichen Nothlagen deS modernen Erwerbslebens jeden Hilfsbedürftigen mit seiner schützenden Fürsorge umzieht und in der weiteren Entwickelung auf die wirthschastliche und gesellschaftliche La,ze der Arbeiter, ja des gesammten Volts nicht ohne wohlthätige Rückwirkung bleiben kann. So haben in den Jahren 1885—1895 auf Grund dieser Gesetzgebung (ohne Einrechnung der Knappschaftscassen) an Krankheirskoften nnd lausenden Renten im Ganzen 2ZW162O Personen Entschädigungen erhalten und diese Entschädigungen habe»» in Summa 1 243 763 965 , also nahezu l'r Milliarde betragen; dabei haben die Arbeitgeber 969 742 016 ^, die Arbeiter 887 865 084 ^ an Beiträgen eingezahlt, so daß die Arbeiter runo 353 900 000 .F mehr an Entschädigungen erhalten als an Beiträgen gezahlt haben (vgl. Sten. Prot. der Reichslagsverb, vorn 25. Januar 1897, S. 4289). Gegenwärtig werden für riesen Zweig der Arbeiterfürsorge in Deutschland täglich rund 1 Million Mark aufgewendet. — Als außerordentlich über sichtlich sei die Tafel hier wiedergegeben, ohne die er läuternden Anmerkungen. Tie Ardeiter-Bersichernng des -rutschen Reichs. Gesammt-Bevölkerung 52 000 000. Lohnarbeiter 13 000000. Versicherung gkaen Gesimmtüb erficht Äraniheil UM Unsull Hnvriitliut Versicherte Personen 8005 000 18 389 000 1 1 585 000 Entschädigte Personen 2 939000 388 200 347 760 Einnahmen (Mark) . 156 746 000 88 936 700 132 140 OOO Darunter Beiträge der Arbeitgeber . 39 229 000 68 424 000 51 4>.ÖOOO der Arbeitnehmer 89 231 000 — 51 40000-1 Ausgaben .... 148 437 000 68 424 000 132I40»><> Darunter Kosten der Entschädigung 115629 000 30 125 800 42 920 000 der Verwaltung . 6 987 000 10372 000 5 990000 Vermögeusbestand . 132 662000 143 400 000 414 000060 Entschädig, pro Fall 39,3 129 121 Belastung pro Ver ¬ sicherten .... 16,0 3,7 10,5 Die Broschüre schließt mit dem Wunsche, daß die Für sorge, welche die deutschen Arbeiter genießen, auch den Arbeitern anderer Culturstaaten zu Theil werde, ein Wunsch, dessen Erfüllung freilich noch geraume Zeit aus sich warten lassen dürfte. I). Berlin, 14. Mai. (Privattelegramm.) Nach der „Nat.-Ztg." stebt cS bereits fest, daß im Reichstage der An trag auf einfache Beseitigung deS Verbindungs verbotes für Vereine in allen Bundesstaaten, wo ein solches noch besteht, von den Nationalliberalen und dem Centrnm unterstützt wird. Er dürfte sonach mit allen Stimmen gegen die der beiden conservativen Fractionen an genommen werden. Das genannte Blatt hat den Ein druck, daß die reactionairen und die ihnen dienst willigen Elemente im prcutzifchen Staatsmiinstcrium Eile haben, eine Krisis herbeizuführen. Wenn Len Fürsten FrurHeton. Heinrich von Orkans, Herzog von Aumale, gcst. -en 7. Mai 18S7. „Ich habe mir oft gesagt, daß ein KönigSsohn, der alle Ideen seiner Zeit in sich ausgenommen hat, der ein Kenner der Geschichte ist und, thatendurstig, auf sie Einfluß haben möchte, der nach Ruhm strebt, sich in einer peinlichen und oft tragischen Lage befindet, wenn er als einfacher Bürger seines Landes leben will. Wenn er sich an die Regierung anschließt, die ihn nicht verbannt hat, so verachtet man ihn; steht er stolz beiSeite und hält sich zurück,so scköpft manVerdacht. Jede politische Rolle ist ihn» untersagt; denn Opposition hieße bei ihm Verschwörung, Zustimmung Heuchelei. Man höhnt über seine Unthätigkeit, seine Thätigkeit rechnet man ihm als Verbrecher» an." Diese Worte schrieb vor nunmehr fast dreißig Jahren ein französischer Schriftsteller in einem Auf- satze Uber den Herzog von Auinale, in dem das Haus OrlöanS soeben, nicht den Vertreter seiner Ansprüche auf den Königsthron, aber sein geistiges Oberhaupt verloren hat. Und auf wen hätten sie bester gepaßt, als auf diesen vierten Sohn de» Bürgerkönigs Ludwig Philipp, ihn, dem trotz Ver folgung und Verbannung da» Wohl seines Vaterlandes stets das Höchste war, den nichts mehr schmerzte, als daß man ihn zurUn- ldätigkeit verdammte, der, als man ibn im Jahre 1886 aus den Listen deS französische» HeereS gestrichen hatte, an den Präsidenten der Republik die stolzen Worte schrieb: „Was mich betrifft, der ich als Alterspräsident de» Großen GeneralsiabeS im Frieden wie im Kriege die höchsten Aemter bekleidet habe, die einem Soldaten zugänglich sind, so rufe ich Ihnen in« Gedächtniß, daß die militairischen Würden Uber Ihren Einfluß erhaben sind, und daß ich verbleibe der General Heinrich von OrlSan», Herzog von Aumale." Zweimal, unter der zweiten und unter der dritte» Republik, ist er au» seinen» Vaterlande verbannt worden. Wie unreckt man ihm damit that, zeigt am besten seine Haltung im Jahre 1848. Damals stand er al- Gouverneur von Algier an der Spitze von 24 000 Sol daten, die ihm blindlings ergeben waren. Wie lrickt hätte ihn seine Stellung zu einem kühnen Unternehmen verführen können I Er aber legte sie sofort nieder. „Ich füge mich dem Willen der Nation und scheide, aber au» der Tiefe meiner Verbannung werden alle meine Wünsche rem Glücke und dem Ruhme Frankreichs gelten, dem ich so gern länger gedient hätte." Heinrich von Orleans, Herzog von Aumale, wurde am 16. Januar 1822 in Paris geboren. Wie alle Söhne Ludwig Pbilipp'S besuchte er ein bürgerliches Gymnasium, das Collöze Henri IV.; denn „wenn man auch auf den Stufen des Thrones geboren ist, ist man nicht nothwendig der Erste der Nation, und das Prinzsein entbindet nicht von dem Besitz der Eigenschaften, ohne die man Gefahr läuft, der Letzte zu sein". Frühzeitig trat er in die Armee ein, und schon 1840 empfing er in Algier die Feuertaufe. Seine berühmteste Waffenthat ist die von Horace Bernet auf einem Riesengemälke ver herrlichte Eroberung der Smalah des Emirs Abd-el-Kader im Jahre 1843, wo er an der Spitze einer Sckaar von nur fünfhundert Reitern einen Haufen von 20 000 Menschen, unter denen sich etwa 7000 reguläre Truppen befanden, in die Flucht trieb, und von der der Oberst CharraS sagte, daß, „um sie zu versuchen, man nicht wissen durfte, was Gefahr heißt, oder den Teufel im Leibe haben mußte". Kurze Zeit darauf wurde er zum Generallieutenant, 1845 zum Comman- danten der Provinz Titteri, 1847 zum Gouverneur von Algier ernannt. Während seiner langen Verbannung, von 1848—1872, lebte er mit seiner Gattin und seinen zwei Söhnen in England. Vergebens, daß er sich beim AuS- bruch des großen Krieges um eine Stellung im Heere bewarb; sein Schreiben an den Kriegsminister wurde nicht einmal beantwortet. Von ihm stammt das berühmte Wort: Frank reich ist zerbrochen, aber die Stücke sind gut. 1872 wurde er mit überwältigender Mehrheit in die Nationalversammlung ge wählt, und bald darauf wurde er auck in das Heer wieder aus genommen. Hier bekleidete er zunächst da» Amt deS Comman- danten eines ArmeecorpS, dann da» eines General-Jnspector» bis zu jenem unglücklichen Jahre, wo er zum zweiten Male sein Vaterland meiden mußte. Nach der Rückkehr auS der zweiten Verbannung (1889) lebte er ganz zurückgezogen als Sckloßherr von Chantilly. Nur als Mitglied der Akademie, in die er am 30. December 1871 gewählt worden war, mackte er noch manchmal von sich reden. Noch vor wenigen Wochen verlas er hier eine Denkschrift über die Art, wie sein Vater das Begnadigungsrecht auSgeübl hatte. „In diesem Augen blicke", so schreibt Jule» Claretie im „TempS", „erschien die männliche und feste Stimme de- Leser» wie erstickt vor Be wegung, und wir theilten Alle das Gefühl, das diesen Sohn — einen Soldaten — erzittern ließ, während er von seinem Vater und seinem Bruder sprach." Seit Langem kränklich, war er vor Kurzem nach Sicilien gegangen, um sich, wie er sagte, in den Ocangenhainen und unter den Rosenbüschen anSzuruhen. Die Kunde von dem schrecklichen Ende seiner Nichte, der Herzogin von Alentzvn, und so mancher Freunde scheint seinen Tod beschleunigt zu haben. Es ist in diesen Zeilen, die unter dem ersten Eindruck der Todesnachricht geschrieben sind, nicht möglich, die schriftstelle rischen Arbeiten des Herzogs zu würdigen. Sein Hauptwerk ist die sechsbändige Geschichte der CondöS. Nur bei einem kleinen Schriftchen, das ich beute noch einmal Lurch geflogen habe, möchte ich verweilen. Im Jahre 1861 hatte der Prinz Napoleon im Senat eine heftige Ansprache gegen die Bourbonen gehalten, die „ihre Fahne, ihre «ache und ihren Fürsten verriethen, nm sich persönlich beliebt zu machen". Darauf schrieb der Herzog von London an» seinen „Brief über die Geschichte Frankreichs", der, im Lande unterdrückt, dem Verleger und dem Drucker Gefängniß und Geldstrafe verschaffte, in ganz Europa aber ein mächtiges Echo fand. „Auf Ihre Philippika gegen die Bourbonen älterer und jüngerer Linie haben Sie einen LobeshymnuS aus die Napoleons folgen lassen. D i eNapolevn». Glauben Sie nicht, die Größe deS Halbgottes zu vermindern, wenn Sie seine Familie mit unter seine Strahlenkrone bringen wollen?" E» folgt dann eine gerechte Würdigung der Thaten des großen Corjen aber auck eine sckarfeKritik seiner Sckwächen, und endlich rin vernichtendes Sündenregister der Napoleoniden. Von wunderbarem Scharf blick zeugt die folgende Stelle: „Sie träumen von großen Umwälzungen in Europa. Ick meinerseits wünsche Frank reich, daß diese Lage sich ändere, daß mein Land von einem Zustande befreit werde, wo cS in Unternehmungen gestürzt werden kann, die eö keineswegs gebilligt hat, wo eS cin- schlafen kann unter der Herrschaft deS Schutzzollsystems und aufwachen in den Armen de» Freihandel», wo eS ohne lieber- gang vom Frieden in den Krieg gelangen kann, vom Wohl stand zum Untergang." Die Schrift klingt machtvoll in den Satz au», der sich bald erfüllen sollte: „Ihnen und den Ihrigen könnte man einstmals die von Ihrem Onkel an» Directorium gerichteten Worte zurufen: WaS haben Sie au» Frankreich gemacht?" Al» alleiniger Erbe deS letzten der Condv» war der Herzog in den Besitz eine» der größten Vermögen von Frank ¬ reich und unter Andern! auch in Len des Schlosses und des herrlichen Parkes von Chantilly gelangt. Hier bat er jene großartige Bibliothek und jene wundervollen Kunstschätze gesammelt, die nun in den Besitz der französischen Akademie endgiltig übergeben und laut Testamentsbestimmung mindesteiis zweimal die Woche sechs Monate des Jahres hindurch dem Publicum geöffnet werden sollen. Ein wichtiger Zusatz lautet, daß den Studirenden, den Gelehrten uud den Künstlern jederzeit die Möglichkeit zur Arbeit und zur Forschung gewährt werden solle. Bei Lebzeiten des Herzogs waren die Schätze nur den Freunden und besonders empfohlenen Personen zugänglich, und au? das Prachtwerk über die Galerie fit erst bis zum erst.» Bande gediehen. Von nun an wird Jeder die liebli e Madonna aus dem Hause OrlöanS und die drei Grazi n von Raffael, die Simonetta VeSpucci von Pollajuolo, FranciaV tiefinnige Verkündigung, Filippino Lippi'S: Esther uur AhaSveruS und Palma Vecchio'S Jungfrau mit Heilige», und WaS der alten Meisterwerke mehr sind, bewundern können, und vor Allem wird der Freund neuerer französischer Malerei in den Delacroix, Ingres, Daubi^ny, Dccanips, Meissonnier der Sammlung ein unschätzbares Ltudicnmatcriat finden. Seine Bibliothek kannte der Herzog vorzüglich. Die oft, so erzählt einer seiner Freunde, konnte er, wenn selbst die Specialgelehrten versagten, in der Akademie über cst. Buch Auskunft geben und hinzufügen: Ich besitz- das Manuskript in Chantilly. In dem vor Kurzem eröffneten Salon der Champs ElysoeS bangt sein Bild von der Hand Benjamin Constant S: ein müder Greis mit mildem Antlitz, der auf einer Bank unter dem roth und gelb gefärbten Laub der mächtigen Bäume seines Schlosses ausruht. Man bat dem Künstler vorgeworfen, daß er zu wenig gegeben habe, daß das Bild uns nichiS erzähle von dem bewegten Leben des GreiseS; al» letzte- Portrait deS Herzog- wird eS nun dock seinen Werth haben. Heinrich von Orlöans war kein Freund Deutschlands. Aber wenn wir jetzt vor sein Bild treten, das mit einem tiefen Flor umhängt ist, werden wir deck ehrfurchtsvoll den Hut ziehen vor dem Manne, der em tapferer Soldat, ein trefflicher Feldherr, ein ausgezeichneter Schriftsteller, ein glühender Verebrer von Kunst und Wissen schaft und vor Allem ein edler Charakter gewesen ist. I)r. Walther Sensel, Pari».
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