4. KAPITEL Kavalier unter Wittenbergs Studenten „In Jesu Namen machet den Anfang dieses Ihm geheiligten Buches Nikolaus Ludovicus Graf von Zinzendorf und Pottendorf, seines Alters 15 Jahr, den 10. Mai 1716, als gerade am Sonntag Cantate." So beginnt sein Tagebuch. In hebräischen Worten setzte er ihm die Überschrift: ‘„Reihenfolge meiner Wanderun= gen. “ Es führt uns, allerdings nicht ohne bedeutende Lücken, durch seine ganze Studentenzeit in Wittenberg hindurch und bricht am 10. März 1719 ab. An manchen Stellen scheitern jedoch alle Ver= suche, Zinzendorfs Handschrift mit Sicherheit zu entziffern. Wir besitzen hier ein ganz unschätzbares Dokument seiner inneren Entwicklung, seiner Stimmungen und Hoffnungen, seiner Kämpfe und Enttäuschungen. Zinzendorf hat sich darin sehr offen ausgesprochen. Sein Tagebuch sandte er seit dem Spätsom= mer des Jahres 1717 wöchentlich seiner Großmutter, der Land= vögtin in Großhennersdorf. Sie durfte ja alles wissen. Ihr gegen= über hat er kein Hehl von dem gemacht, was ihn bewegte. Stand er ihr doch in grenzenlosem Vertrauen gegenüber und beugte sich ihren Entscheidungen auch dort willig, wo er sie nicht verstand. Am Sonntag Cantate 1716, dicht vor seinem 16. Geburtstag, beschrieb er die ersten losen Blätter, die später zusammengebün= delt wurden. Ihm war in Großhennersdorf schon zum Singen und zum Jubeln zumute. Konnte er doch nun seiner Großmutter und der Tante Henriette alles berichten, was er zuletzt im Pädago= gium zu Halle erlebt hatte. Das war das wirklich großartige Resultat des Geistes von Halle, daß er in vielen jungen Menschen jene Leidenschaft und glühende Begeisterung zum missionari= sehen Einsatz weckte. Beginnt doch mit dem Pietismus die bereits über 2 Jahrhunderte währende, beispiellose Erziehung der von seinem Strom erfaßten Menschen zur völligen Hingabe an den Herrn. Diese bedingungslose Bereitschaft, in Gottes Reich zu leben und ihm zu dienen „in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit", bricht durch den Pietismus in die Pastorem und Obrigkeitskirchen als belebende Kraft ein. Dieser Wille, nach der Heiligen Schrift sein Leben zu führen und bis in die alltäg= 121