3. KAPITEL Der Herr Reichsgraf, Pädagogiumsschüler in Halle Am 17. Juli 1708 war in Großhennersdorf Posttag. Alles schrieb Briefe. Ob auch der kleine Lutz von diesem Eifer angesteckt war? Er setzte ein Brieflein an August Hermann Francke auf, das sein Hauslehrer säuberlich ausfeilte. Trotz dieser Einbettung kindlicher Worte in den langatmigen Höflichkeitsstil der Zeit behielt das kurze Schriftstück etwas von der Unmittelbarkeit des achtjähri= gen Brief Schreibers. Denn da hieß es: „Hochwohl-Ehrwürdiger, hochgelahrter, insonders hochgeehr- ter Herr Professor! Ob ich wohl schon vorlängst vorgenommen, Euer Wohlehrwürden mit einem abermaligen Brieflein zu be suchen, so habe ich doch keine bequemere Gelegenheit, denn die gegenwärtige dazu finden können. Ich zweifle nicht, daß Sie meine hiernieden genommene Freiheit geneigt auf- und an nehmen werden. Nachdem ich denn auch die Nachricht vom Waisenhause zu Halle mit größtem Vergnügen gelesen und ge sehen, wie so viele christliche Herzen sich so mildreich und gut tätig gegen dasselbe erwiesen, so habe ich mich auch zu herz lichem Mitleiden gegen diese armen Schäflein, die ihre zeitlichen Hirten verloren haben, bewegen lassen, einliegende drei Reichs taler an dieselben zu übersenden, nebst freundlicher Bitte, daß Ihre Wohl-Ehrwürden dieses mein kleines Scherflein zu deren Besten verwenden und mich zugleich in Ihre andächtige Fürbitte einschließen wollen. Der ich für solche große Liebe unter Er gebung göttlicher Obhut lebenslang verharre Ew. Hochwohl-Ehr würden dienstwilliger N. L. de Zinzendorff." Die vorher an August Hermann Francke geschriebenen Briefe des Knaben sind noch nicht wieder zum Vorschein gekommen. Hier jedoch opferte der kleine Zinzendorf sein ganzes Taschen= geld in scheuer Bewunderung vor dem großen Mann und seinem heroischen Glaubens^ und Liebeswerk. Damals ahnte es noch niemand, daß Lutz zwei Jahre später ganz in die Nähe des berühmten Hallensers kommen und knapp sechs Jahre hindurch innerhalb der Mauern der Stiftungen das Päda= gogium besuchen sollte. Weder der Enkel noch die Großmutter