Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.05.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970519027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897051902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897051902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-19
- Monat1897-05
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Abend-Ausgabe Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedaclion un- Erpeditiou: Iohannesgaffe 8. Dir Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abeod» 7 Uhr. Filialen: ktto Klemm'» Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), Loni» Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und Kvnigsplad 7. riWM. TaMalt Anzeiger. Ämlsötalt des Könlgttchen Land- und Ämtsgenchtes Leipzig, -es Aatljes und Volizei-Ärntes der Lladl Leipzig. Bezugs-Preis D« der Hauptexprdition oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich ^t4.bO, bei zweimaliger täglicher Zustellung inS Haus ü.sO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich S.—. Directe tägliche Kreuzbandsendung in» Ausland: monatlich 7.bO. Anzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Rrclamen unter dein Redactionsstrich (4 ge spalten) öO^z, vor den Familieanachrichtea (6 gespalten) 40^. Größere Lchristen laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. —— Extra-Vellage» (gesalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbeförderun^ 60.—, mit Postbrfürderung 70.—. ——o—v— Rnnuhmeschluß für Anzeigen: Abrud-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. SH argen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stund« früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 253. Mittwoch den 19. Mai 1897. 91. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 19. Mai. Den bekannten Ausspruch, den Friedrich II. nach der Schlacht bei Zorndors gethan haben soll, wird sich kein preußischer Nationalliberaler in dem Kampfe der Partei gegen die Novelle zum BcreinSgeset; aneignen wollen. Umgekehrt könnte Manchen die Lust anwandeln, da» von dem großen König vom Gegner gebrauchte Wort auf einen Theil der Hilsstruppe zu appliciren. Politische Reclame machen außer den Nationalliberalen alle Parteien mit ihrer Bekämpfung des schon deshalb, weil er ein solches Treiben ermöglicht, unglück seligen Gesetzentwurfs. DaS „Berliner Tageblatt" deS in- dustriösen Herrn Rudolf Mosse verbindet damit in gewohnter Weise auch die geschäftliche Reclame. E» verabreicht seinen Abonnenten gratis Formulare für eine Petition gegen die Vorlage, die von den Empfängern unterzeichnet werden sollen, aber von der Redaction schon unterzeichnet sind. Wenn die Sache einschlägt, wird also männig- lich sich eine Vorstellung von der Abonnentenzahl machen können. Das Begleitschreiben zu der Reclame- beilage ist überschrieben: „An das preußische Bürger- thum". Derartige Widerwärtigkeiten muß man mit in den Kauf nehmen und kann es leicht, da die Unan nehmlichkeit nur eine ästhetische ist. Politisch verpufft solches Zeug regelmäßig; auch von den Protestversammlungen, die in Berlin geplant sind, werden es höchstens die social demokratischen zu einem Achtungserfolge bringen. ES würde von einem schlechten Geschmacke zeugen, wenn die Gegner der Nationalliberalen ihnen diese „Schlafkameraden" aufmutzen wollten. Außerdem von Unaufrichtigkeit. Denn trotz aller „festen", übrigens die von unseren Parteigenossen bekämpften Vorschriften des Vereinsgesetzes gleichfalls nicht hinnehmenden Reden der Herren v.Heydebrand, v. Zedlitz undKlasing: in einem Theile der conservativen Presse wird zwar keine offene Opposition — man flüstert sogar einige Scheltworte nach der Seite der erklärten Oppositionellen — laut, aber auch keine Zustimmung. Man vermeidet dort die deutliche Sprache der Abwehr, weil man den Fall des nicht gewollten Gesetzes gesichert weiß. Die conservative Partei hat eS einzig und allein den Nationalliberalen zu danken, wenn sie den äußeren Schein der Einigkeit wahren kann. Brauchte man conservative Stimmen zur Ablehnung, Herr von Ploctz würde sie aus noch viel dringlicheren Gründen, als sie gestern der ohnehin politisch hoffnungslose Herr Stöcker zur Bekämpfung des Gesetzes anführte, in ausreichender Zahl stellen und stellen müssen. Mit seiner Rede im Abgeordnetenhaus« bat er sich diesen Weg denn auch frei gehalten. Er verlangte Entfernung „alles Unklaren" aus der Vorlage, das sind die Artikel I und III. Ueber den sonstigen Verlauf der gestrigen ErörterungimAbgeordnetenhause oder gar über die nutzlose Paralleldebatte deö Reichstages ist kaum etwas zu bemerken, was die Sache beträfe. Herr v. Börtlicher mußte wohl oder übel reden, er mußte sich deshalb nach Vielem, waS er früher und erst kürzlich über dis Angelegenheit gesagt, Blößen geben. Auch ihm ist die stenographische Aufzeichnung der Ministerreden zum Fluche geworden. Wie anderen Rednern in beiden Häusern schien auch dem Staatssecretair die Berufung auf die Vcreinsgesetzgebung anderer deutscher Länder noch die leidlichste Position für die Befürwortung oder Entschuldigung der Vorlage. Aber er gebrauchte damit ein nur formell nicht unwirksames Argument, dem der thatsächliche Unterschied der Verwaltungsmaximen in Preußen und in den anderen Bundesstaaten jedes politische Gewicht nimmt. Selbst ein Blatt wie die „Post" macht ru der Beschuldigung, daß in Preußen die Beamten „vom Minister bis zum Landrath ihren Einfluß einseitig zu Gunsten der conservativen Partei einsetzen", folgende Bemerkung: „Insoweit das Mißtrauen gegen die Beamten auf tatsäch licher Grundlage beruht, wird (!) die Regierung daraus die Mahnung entnehmen, mit Ernst und Nachdruck dafür zu sorgen, daß der Einfluß der Verwaltung nicht im Partei interesse ausgeübt wird." Dieser für die Zukunft aus gesprochenen Erwartung kann die „Leipz. Ztg." entnehmen, daß sie aus ihrer Kenntniß der sächsischen Zustände heraus der Opposition der Preußen gegen das vorgelegte Gesetz nicht gerecht zu werden vermag. Vielleicht giebt daS Blatt sogar zu, daß die preußischen Nationalliberalen recht thun, wenn sie erst die Erfüllung der von der „Post" — übrigens ohne jede Ermächtigung und Gewähr — gemachten Verheißung abwarten, bevor sie sich eines nicht ganz unwirksamen Schutzes gegen die von dem freiconservativen Organe nicht bestrittene conservative Willkürherrschaft begeben, zumal da jene „Einseitigkeit" in Preußen nicht nur an sich übel empfunden wird, sondern auch wegen der die Achtung vor dem Bürgerthum geflissentlich verleugnenden Form, in der sie nicht selten zu Tage tritt, ohne selbst in diesen Fällen Remedur zu finden. Der Name „ostelbischer Junker" ist eben nicht Schall und Rauch. Das hat gerade die Neuzeit wieder gelehrt. Zu dem Thema Volksverhetzung, welches Negierung und conservative Partei in Preußen jetzt so eifrig varnren, liefert, wie so oft, die unter der Aufsicht eines Mitgliedes der con servativen ReichStagsfraction redigirte „Deutsche Tages zeitung" eben wieder einen werthvollen Beitrag. Das Blatt giebt eine Reibe wirthschaftlicher Ursachen an, welche die Stimmung im Lande zu einer „bitterernsten, bösen" gemacht haben sollen. Zn Wahrheit sind jene Ursachen Be hauptungen, dazu bestimmt, die böse Stimmung zu erzeugen und, wo sie vorhanden ist, zu steigern. Ein Beispiel genügt, um diese rafsinirte Methode zu kennzeichnen. Es beißt in dem die „Stimmung im Lande" überschriebenen Artikel: „Nach langem Zaudern ist endlich ein Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb durchgesührt worden. Die Recht sprechung, die auf Grund des Gesetzes bisher erfolgte, hat aber den Beweis geliefert, daß die Bestimmungen unzulänglich sind und den übermächtigen Schwindel nicht genügend und nicht sicher treffen. Eine Aenderung des Gesetzes, eine Verengung der Maschen, durch die der geschmeidige Schwindel heute noch schlüpft, ist nicht versucht worden." Damit soll die „erbitternde" Ueberzeugung hervorgerufen werden, daß ein solcher Versuch möglich gewesen wäre, aber von den übel wollenden gesetzgebenden Faktoren nickt gemacht worden sei. Nun ist das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb noch nicht ein Jahr in Kraft, die Mängel, die ihm wie jedem Gesetze Wohl anhaften werden, wird heute noch Niemand, der sich bei seinem Urtheil über öffentliche Angelegenheiten einer Ver antwortlichkeit bewußt ist, bestimmt zu bezeichnen, ge schweige denn gesetzlich zu beseitigen sich getrauen. Es fft das schon deshalb ganz unmöglich, weil von einer feststehenden Rechtsprechung, die das Vorhanden- i sein gesetzgeberischer Lücken mit Sicherheit darthun könnte, ! noch gar nicht gesprochen werden darf. Die sogenannte I Generalklausel giebt dem richterlichen Ermessen einen sehr 1 weiten Spielraum; es ist selbstverständlich, daß sie in der ersten Zeit der Geltungsdauer deS Ge setzes von verschiedenen Gerichten verschieden gehandhabt wird und daß man jetzt noch nicht sagen kann, ob sie weitere specielle Verbote nothwendig oder entbehrlich macht. Der „Beweis", daß die Bestimmungen unzulänglich sind, ist bisher für keine derselben überhaupt erbracht worden, ge schweige denn mit der Klarheit, die Aenderungsversuchen den richtigen Weg vorzeichnen könnte. Umgekehrt aber steht fest, daß das Gesetz sehr ersprießliche Wirkungen geübt und in zahllosen Fällen sich brauchbar erwiesen hat. Eine Statistik des Verhältnisses der Anzeigen, die, wie vorausgesehen wurde, häufig der Bosheit und dem Eoncurrenzneidc entspringen, zu den erfolgten Verurtheilungen besitzen wir nicht, die „D. T." aber auch nicht. Dagegen giebt dieses Blatt in derselben Ausgabe, in der das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb zur Erregung von Unzufriedenheit mißbraucht wird, ohne Vorbehalt einer Zuschrift Raum, in welcher von dem für Berlin begründeten „Verbände zur Bekämpfung des unlautern Wett bewerbs" gesagt wird, er sei „mit erheblichem Erfolge" thätig, sein NechtSbeistand habe bereits mehrere Fälle „mit allgemein zufriedenstellendem Erfolge durchge führt". Von Fällen, in denen der Ausgang Unzufriedenheit erregte, ist nicht die Rede. Auch solche werden sich ereignet haben oder noch ereignen; aber mit ihnen eine den öffent lichen Frieden gefährdende „Verbitterung" zu rechtfertigen, kann nur einer von der Stimme des Gewissens nicht ge störten „Volksbelehrung" beifallen. Von der deutsch-französische» Grenze erhält die „Schles. Ztg." folgende Zuschrift: In der altdeutschen Presse erregt die Mittheilung einiges Aufsehen, daß der Dominicanerpater Ollivier in Paris von der Kanzel aus offen Revanche politik treibt. Wer, wie der Schreiber dieser Zeilen, öfter Gelegenheit hat, den Predigten französischer Geistlichen in den Ostdepartements beizuwohnen, wird dies nicht verwunderlich finden. Man kann wohl sagen, daß in Frankreich auf dem flachen Lande, wo wenige Zeitungen gelesen werden, die Geistlichen heute die Hauptträger der Revanche politik sind und sich nicht scheuen, gelegentlich auch von der Kanzel aus von den im „Exil, unter protestantischer Ober herrschaft schmachtenden Brüdern" zu reden und den chauvi nistischen Anschauungen der Zuhörer immer wieder neue Nahrung zuzuführen. Diese Verhetzungen wirken um so schlimmer, weil sie von der geistlichen Autorität ge tragen und mit einem gewissen religiösen Nimbus umgeben werden. Selbstverständlich kennt die bischöfliche Behörde dieses Treiben, das die Bevölkerung nicht zur Ruhe kommen läßt; von einem Einschreiten derselben hat man aber bis jetzt nichts aehört. In gleichem Sinne wirken auch die über daS ganze Land zerstreuten, im Unterrichtsfach thätigen Ordens personen. Jedenfalls muß man sich in Deutschland mit dem Gedanken vertraut machen, daß nicht bloS bei den Erwachsenen der Revanchegedanke wachgehalten, sondern daß nament lich auch die Heranwachsende französische Jugend systematisch zum Deutschenhaß erzogen wird, und zwar in erster Linie von Denen, deren Amt es wäre, den Frieden zu predigen. Charakteristisch ist cs auch, daß von der Grenz bevölkerung jede Annäherung Deutschlands an Frankreich als einem Gefühl der Schwäche, um nicht zu sagen der Furcht, entspringend ausgelegt wird. So haben die kaiserlichen Be weise hochherziger Theilnahme anläßlich des Pariser Brands Unglücks gerade daS Gegentheil von dem bewirkt, WaS bei normalen Verhältnissen hätte erwartet werden dürfen. Der türkische Angriff auf die (Griechen bei DomokoS hat mit einer vollständigen Niederlage der griechischen Truppen geendet. Nachdem der linke Flügel derselben überwältigt worden war, gab der rechte Flügel nach, worauf ein all gemeiner Rückzug angeordnet wurde. Die Türken verfolgten die Griechen nur kurze Zeit, die griechischen Truppen ge- riethen aber in Verwirrung und flohen in ungeordneten Massen, worauf die Türken um 7 Uhr Abends in Domokos einzogen. Damit haben sie erreicht, was sie wollten, eine gesicherte Demarkationslinie und freie Bahn nach Athen. Da auch in Epirus die griechische Action zu Ende ist und sich keine griechischen Truppen mehr auf türkischem Gebiete befinden, hat der Sultan den Augenblick für gekommen erachtet, die Feindseligkeiten einstellen zu lassen und einen Waffenstillstand zu gewähren. Ueber diesen sollen die beiderseitigen Truppenbefehlshaber verhandeln, denen entsprechende Instructionen zugegangen sind. Ueber die letzteren wird uns berichtet: * Athen, 18. Mai, 9'/« Uhr Abend». („Agence Havas") Eine vom türkischen Generalstabschef Jusuf gezeichnete Mitthetlung an den griechischen Commandanten in Epirus besagt: „Unter der Bedingung, daß kein Soldat des hellenischen Königreiches, gleichviel von welcher Waffengattung, sich noch aus dem Gebiete de» ottomanischen Kaiserreiche» befindet, haben wir den Befehl erhalten, daß ein Wasfenstillftand zu Wasser und zu Lande geschloffen werde, um zu einer gegen- seitigen Verständigung zu gelangen." Als Antwort hat die Regierung dem griechischen Commandanten von Epirus den Be fehl zugehen lassen: „Wir ermächtigen Sie, die Feindselig, ketten «inzu stellen, um über dl« Bedingungen eine» Waffen stillstandes zu verhandeln." » Hierauf hißten die Türken vor Arta die Weiße Flagge, und es erschien eine auS dem früheren türkischen Consul in Arta und zwei türkischen Officieren bestehende Abordnung an der Grenze bei der Brücke von Arta, um sich mit dem OberstenManos zu Verhandlungen über die Einstellung derFeind- seligkeiten in Verbindung zu setzen. In ihrerMitlheilung des Vor schlags zu einem Waffenstillstände an die Gesandten der Mächte erklärte die griechische Regierung, indem sie ihre Interessen der Fürsorge der Mächte «»vertraue, sei es nun an diesen, über die Bedingungen des Uebereinkommens zu verhandeln. Die Schwierigkeiten, welche einem solchen entgegenstehen, werden nun, wo in die eigentlichen Verhandlungen eingetreten wird, erst recht zu Tage treten. Wie man in England darüber denkt, geht auS folgender Meldung hervor: * London, 18. Mai. Bei dem heutigen Essen im Junior Con- stitutional-Club hielt Lord Salisbury eine Rede, in der er die jetzige Zeit als ganz besonders ungeeignet für eine Aussprache über die auswärtige Politik bezeichnete. Trotzdem könne er die Erklärung abgeben, dost der Sultan unter dem Einflüsse der Mächte und besonders unter demjenigen des Kaisers von Rußland den Waffenstillstand angenommen habe. So wichtig dieser Erfolg aber nun auch sei, so würden durch denselben doch die Schwierigkeiten der Streit- fragen nicht verhindert werden, denen gegenüber man sich be finde, die zu besprechen jedoch aus politischen Gründen unmöglich fei. Unmöglich aber auch sei es, daß die Mächte es zugäbeo.daß ein chri st liches Land eine mchri st ltchenHerr scher entrissen Feuilleton» Zwei Frauen. 7) Roman von F. Marion-Crawford. Nachdruck verboten. Die Anderen kamen herbei und Hilda's Stimme sank zum Geflüster herab, als sie die letzten Worte wiederholte. Greif blickte ibr besorgt ins Gesicht und sah, daß sie sehr bleich war und ihre strahlenden Augen verschleiert und trübe waren. Eine solche Veränderung batte er noch nie bei ihr wahrgenommen. Er gab ihr eine zärtlich besorgte Antwort, aber sie schien seine Worte nicht zu hören, als sie, an das Gemäuer des ThoreS gelehnt, dem davvnrollenden Wagen in der Richtung deS Hungerthurmes nachschaute. Greif winkte mit dem Hute zurück. Als der Weg eine Biegung machte, die daS Schloß seinen Blicken entziehen mußte, sah er, wie Hilda ihr Gesicht mit den Händen bedeckte und in dem Schatten des Thorwegs verschwand. Greif lehnte fick bequem in seinen Sitz zurück, darüber nachsinnend, WaS alle» daS bedeuten mochte. Es war sehr seltsam, daß Hilda so plötzlich und so eindringlich demselben Gedanken Ausdruck gegeben, der seine Mutter wenige Tage zuvor so tief erschüttert hatte. E» war unmöglich, daß sie niit einander gesprochen haben, noch daß sie an dasselbe denken konnten. Es bestand keine Sympathie zwischen ihnen, und wenn Hilda etwas von Frau von Greifenstein erfahren hätte, das Greif nicht wußte, würde sie eS ihm gewiß ge sagt haben, besonder» da die bevorstehende Katastrophe ihn sowohl wie seine Mutter bedrohte. Ohne die Unterredung, die zwischen ihm und seiner Mutter stattgefunden, würde er sich ohne Zögern gesagt haben, daß Hilda einem thörichteu Vorgefühl, daS der Trennungskummer in ihr herauf beschworen , Macht über sich eingeräumt hatte. Liebende sind stets geneigt, jede Trennung für die letzte zu halten und sich von ihrer erregten Phantasie das Bild irgend eine schrecklichen Unfalls vorgaukeln zu lassen, der über den Gegenstand ihrer Neigung hereinzubrechen im Begriff sei. Greif schmeichelte sich, daß sein eigener gesunder Menschen verstand ihn dagegen schütze, von solchem Unsinn erschüttert zu werden, aber er konnte sich einer bangen Stimmung doch nicht erwehren. Die Aehnlichkeit zwischen den Worten seiner Mutter und Hilda's, die nicht so leicht zu erklären war, stand in merkwürdiger Harmonie mit der peinlichen Beklommenheit, die während der Ferien in Greisenstein die Gemüther be herrscht hatte. Greif konnte nicht umhin, auf seiner Fahrt durch den Wald nach der Eisenbahnstation sehr ernst über alles das nachzudenken, so ernst, daß er sich endlich mit einer Bewegung der Ungeduld aufrichtete, sich sagte, er werde abergläubisch wie ein Mädchen, und seine Cigarre mit dem festen Entschluß anzündete, sich von dieser Nervenerregung nicht länger beherrschen zu lassen. Aber daS Rauchen half ihm nicht, so wenig wie die Aussicht, Nachmittags mit dem einen oder dem anderen der ihm befreundeten Studenten zusammenzutreffen. Er versuchte, sich das Leben auszumalen, daS auf der Universität seiner wartete, an die ernste Arbeit zu denken, die er noch zn erledigen hatte, an das Eröffnungsfest der vereinigten Corps beim Beginn des Semesters und an seine eigenen Verpflichtungen als das Haupt der Verbindung, zu der er gehörte. Auch die angenehmen Stunden vergegenwärtigte er sich, die er der mit jugendlicher Seichtigkeit geführten Erörterung der bedeutsamsten Gegenstände, die daS mensch liche Gemüth beschäftigen können, zu widmen pflegte, um zwischen einem Schluck Bier und einem Zug aus der Cigarre zu entscheiden, daß Schovenhauer in einem Punct Recht und Kant in einem anderen Unrecht hatte. Aber für den Augen blick war keines dieser Dinge im Stande, durch das bloße Vorausempfinden seine Gedanken von der Angelegenheit ab zulenken, die sein Gemüth bewegte. Während der ganzen Fahrt schwebte ihm Hilda's Gesicht vor, tönte ihre Stimme in seinem Ohre nach, wiederholte er sich ihre seltsamen Worte. Sie hatte ihm gesagt, sie würde ihn immer lieben. Seine Mutter hatte ihn beschworen, sie in ihren Kümmernissen, welcher Art sie auch sein möchten, nicht zu verlassen. Gleichzeitig war sein Vater in größter Besorgniß wegen der von Nieseneck zu befürchtenden Schritte. Konnte zwischen dieser Angelegenheit und dem Benehmen der beiden Frauen ein Zusammenhang bestehen? Wieder erhob sich sein guter Menschenverstand zu energischem Widerspruch und machte ihm die ganze Thorheit einer solchen Ver- muthung klar. Konnte Rieseneck'S mögliche Rückkehr seiner Mutter näher gehen als seinem Vater, konnte dieses zweifelhafte Ereigniß genügen, Hilda's Furcht in so hohem Grade zu erregen? Er war froh, als er die kleine Eisen bahnstation mit ihren farbigen Signalen, ihrem metallenen Dach und ihrem bewegten Treiben zwischen den Bäumen hiudurchschimmcrn sah. 6. Capitel. Die Universität, zu deren Studenten Greif gehörte, war eine der ältesten deS Landes. Die Stadt — wir wollen sie Schwarzburg nennen — besaß in hohem Grade die Be dingungen und die architektonischen Züge, die — wenn man so sagen darf — einen mittelalterlichen Schatten über die Gegenwart breiten und selbst den anmaßenden modernen Fortschritt zwingen, sich in den altmodischen Linien von ge dämpfter Farbe zu bewegen. In nördlichen Ländern ist das Alterthümlicke nicht mit der Anwesenheit von Staub und Schmutz verbunden, wie im Süden. Nürnberg sieht trotzdem nicht modern aus, wenn auch seine Straßen sauber sind und nicht von Bettlerschaaren durchzogen werden, und Marien burg, der Sitz des alten deutschen Ritterordens, gleicht durch aus nicht einem Gasthof, weil seine luftigen Corridore und seine anmuthiaen Säle mit ihren Kreuzgewölben sorgfältig gefegt sind. In Italien zerstört da« Reinigungsverfahren jede Erinnerung an die Alterthümlichkeit der Gegenstände und die künstlerische Schönheit, die einst den Reisenden entzückte. Heidelberg, Nürnberg und die meisten Orte in Deutschland haben in ihrer äußeren Erscheinung durch das Fortschreiten der Civilisation nur gewonnen. Möglicher Weise gleichen die heutigen Deutschen ihren Vorfahren aus dem vierzehnten Jahrhundert mehr, als ein moderner Florentiner Lorenzo de Medici gleicht, jedenfalls aber werden die nothwenigen Wiederherstellungen und Ausbesserungen in Deutschland mit schärferer Wahrung der Schönheit des ursprünglichen Modells auSgeführt. Und die Denkmale der Baukunst bringen eben die Gefühle einer Nation weit genauer zum Ausdruck als irgend ein anderer Zweig der Ä'nnst oder der Wissenschaft eS vermag. Die Leute können die Bücher, die den Markt überfluthen, lesen oder nicht, und Niemand kümmert sich darum, ob sie eS thun oder nicht, als der Verfasser und der Verleger, aber alle müssen in Häusern wohnen, und wenn sie reich genug sind, zu wählen, werden sie nicht in Häusern wohnen, die ihnen nicht gefallen, noch in Tempeln ihren Gottesdienst verrichten, deren Bauwerk ihre Nerven reizt. Greif war der Universitätsstadt sehr zugethan. Er hatte viele glückliche Stunden in ihren Mauer» verlebt und manche aufregenden Augenblicke seines jungen Leben» inmitten ihrer engen Gassen und alterthümlichen Gebäude zugebracht. Solch ein Ort übte natürlicherweise einen größeren Einfluß auf ihu au», als über die meisten jungen Leute seines Alters. Im Herzen des Schwarzwaldes geboren und erzogen, aufgewachscu in dem Hause, das sein Geschlecht seit Jahrhunderten be herbergt hatte, würde er sich unbehaglich und;außerhalb seines Elementes gefühlt haben, wenn er unvermittelt in eine moderne Hauptstadt versetzt worden wäre, aber iu Schwarz burg fühlte er sich daheim. Die riesige Kathedrale mit ihren Thürmen und Bogen und ihrem reichen Gitterwerk von dunklem Gestein schien ihm ein Vorbild dafür, wie alle Kathedralen sein sollten. Der Fluß, der zwischen den über hängenden Gebäuden und unter allen Brücken hinströmte, die mit Wappenschildern und eisernem Zierrath von der Hand kunstgeübter, weit und breit berühmter Schmiede geschmückt waren, trug die Legcnven seiner eigenen geliebten Schwarz wälder Heimath auf seinen Wellen dahin. Die schattigen Ecken und Winkel, die Biegungen der krummen Straßen, die dunklen Thorwege alter Wirthshäuser, die knarrenden Schilder mit ihren bunten Farben und den gothischen Buch staben, die vorspringenden Erker mit ihren Butzenscheiben aus verschiedenfarbigem Glas, die wunderbar gearbeiteten Wetterhähne auf den Dachfirsten der Häuser, ;ede kleinste Eigenthümlichkeit der ehrwürdigen, altersgrauen Stadt sprach in einer Weise zu seinem Herzen, die er nicht nur verstand, sondern auch liebte. Gelegentlich ritt auch «in Trupp weißer Kürassiere, die mehr mittelalterlichen Rittern als preußischen Soldaten glichen, durch die Straßen der Stadt. Ihre mächtigen Gestalten, ihre fonnengebräunten Gesichter, ihr schneeweißer Anzug und ihre glitzernden Harnische, der dröhnende feierliche Trab ihrer großen schönen Pferde, ihre breiten graben Degen, alles machte sie der „Moderne" so unähnlich wie möglich und ihre Erscheinung stand in voll kommener Uebereinstimmung mit ihrer Umgebung. Aber auch die Studenten mit ihren farbigen Mützen sahen nicht gerade modern aus, wenn sie um die Mittagszeit von der Universität kamen, um sich zu Dreien und Vieren zu Tisch zu begeben, oder gegen Abend, wenn das Licht der untergebenden Sonne die Thurmspitzcn de» Münster» mit Purpurgluth übergoß und in der Tiefe die Schatten sich auSzubreiten begannen, in ganzen Scbaaren einherschlenderte». Greif liebte das Alles und seine Zuneigung wurde fast in gleichem Grade erwidert. Er war vielleicht der beliebteste Student, der jemals über da- Pflaster des Städtchens geschritten war. Natürlich hatte auch er seine Streitigkeiten, aber die Art, wie er sie zum Austrag brachte, diente nur dazu, seinen Ruf zu erhöhen. Man zeigt« auf ihn al» auf den Mann, der vierzig Duelle auSgefochten uav
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite