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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.05.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970520021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897052002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897052002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-20
- Monat1897-05
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Diese ausgesuchte Albernheit verdient keine Entgegnung und soll auch keine erhalten. Es ist jedoch interessant, das Entgegengesetzte jener Be hauptung zu beobachten. Wenn die Gemeinsamkeit der Ab wehr eines schlimmen Gesetzentwurfes das Berhältniß der Nationalliberalen zu den all Koo zu ihnen stehenden Parteien selbstverständlich nicht im Mindesten berührt, so ist es doch sehr beachtenSwcrth, daß der Kampf gegen die Vereinsnovelle die Feindseligkeiten zwischen den beiden Flügeln des Freisinns nicht nur nicht zum zeit weiligen Stillstände gebracht hat, sondern daß der Streit eben jetzt an einem weiteren Puncte aufgelodert ist, und zwar Dank dem Herrn Rickert, dem angeblichen Einigungsapostel. In dem pommerische» Reichstags-Wahlkreise Schlawe- Rummelsburg war für die Wahlen im Jahre 1898 von der freisinnigen Volkspartei Herr Schiff- m ann als Canvidat aufgestellt worden, ein im Wahlkreise wohnender Kaufmann, der im Jahre 1893 rund 6500 Stimmen auf sich vereinigt hatte. Trotz dieses sehr beträchtlichen Erfolges hat der von den Herren Rickert und Pachnicke gelenkte Verein „Nordost" dem „Volks varteiler" einen eigenen Candidaten in der Person deS Landwirthes Steinhauer entgegengestellt. Darob wilder Zorn im Richter'schen Lager, der sich noch weiter auszuwachsen verspricht. Man kann erleben, daß die freisinnige Vereinigung, die im Handel die „edelste Blüthe menschlicher Thätigkeit" erblickt, in Schlawe - Rummels burg die wirkliche Werthe schaffende landwirthschastliche Production gegen die „Drohnen des Handelsstandes" aus spielt. Stärker als die eifrige und erfolgreiche Agitation, welche die Partei deS Herrn Bamberger in Waldeck für einen Antisemiten und gegen einen Nationalliberalen betrieben hat, wäre diese Leistung auch nicht zu nennen. Herr v. Ploetz hat schon viel unter der Neugier des Publicums zu leiden gehabt, das gern wissen möchte, ein wie hohes Einkommen er als Präsident des Bundes der Landwirthe bezieht. Damit kann er nun unmöglich dienen. Aber er ent schädigt jetzt die Welt durch eine — wie wir uns schmeicheln — auch nicht ganz uninteressante Enthüllung. Das hätte sich wohl keiner unserer Leser träumen lassen, daß „zwischen dem Nattonalliberalismus und der Soeialöcmokratte schon längst ein Bündnitz im Stillen besteht". Uns war auch nichts davon bekannt, sonst hätten wir uns vielleicht — vielleicht, denn wer ist seiner staatstreuen Gesinnung so sicher wie die „Leipziger Zeitung" ? — dagegen aufgelehnt. Die Sache muß aber doch ihre Richtigkeit haben, denn sie steht in der „Deutschen Tageszeitung", einer von Allen, die sie kennen, als ein Born lauterer Wahrheit ver ehrten Zeitung. Sie stellt zugleich in Aussicht, daß das Bündniß nächstens ein offenes werde, sie ist also Wohl schon in der Lage, den näheren Inhalt deS PacteS zu ver öffentlichen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß er auf sächsischem Boden geschloffen ist. Denn einmal haben die Nationalliberalen unseres Königreichs von jeher dafür gegolten, daß sie im Grunde ihres Herzens für die Bebel, Gradnauer u. s. w. mehr, als gut ist, übrig hätten, und sie haben deswegen, namentlich bei der Reform des Landtags- Wahlrechtes, manchen Tadel von den standhafteren und socialistenfcindlicheren Parteigenossen in anderen Bundesstaates hinnehmen müssen. Sodann spricht für die Vermuthung, der Gedanke des neuen Zweibundes sei in Sachsen entstanden, der hechbedeutsame Umstand, daß es ein sächsisches socialdemokratisches Blatt ist, das Herrn v. Ploetz den Anlaß zu seiner klärenden Enthüllung giebt. Die „Säch sische Arbeiterzeitung" hatte nämlich, wie wir bereits im gestrigen Abendblatte mittheilten, geschrieben, an den Freisinnigen und den Nationalliberalen sei der Socialdemo kratie nicht viel gelegen, aber ihre schlimmsten politischen Feinde seien zweifellos die Junker. Die preußischen Ge sinnungsgenossen der „Kreuzztg." werden nicht ermangeln, an diesem, freilich auch den Nationalliberalen schon unzählige Male attestirten Bestgehaßtsein ihre politische Tugendhaftigkeit zu demonstriren; ihren sächsischen Parteigenossen trauen wir jedoch den zu solchem Beginnen nöthigen Unverstand nicht zu. Am 16. d. M. hat in Köln eine Versammlung des Rationalliberalen Eentralcomitss für Sie Rhcinprovinz stattgefunden. Die Theilnehmer waren lauter Männer, die den Ultra montaniSmus aus nächster Nähe kennen, und eS erfüllt uns deshalb mit großer Genug- thuung, daß dort die Nolhwendigkeit der Bekämpfung des Eentrums als der politischen Form, die sich der JesuilismuS in Deutschland gegeben, sowie insbesondere des immer mehr um sich greifenden Aberglaubens ebenso entschieden betont wurde, wie cs neuerdings wiederholt im „Leipziger Tage blatt" geschehen ist. Einem ausführlichen Bericht entnehmen wir, daß das ultramontane Vorwärtsdrängen nach wie vor die Hauptsorge der rheinischen Nationalliberalen bildet. Alle Redner befaßten sich vornehmlich mit dieser Gefahr, nachdem schon der Vorsitzende, der treffliche Director Or. Jäger, in seiner Eröffnungsrede den Unverstand gegeißelt batte, der das Eentrum als die eigentlich lebensfähige Partei betrachtet, weil sie noch ein Ideal, das „religiöse", besitze. Mit der Religion habe die Politik des Eentrums nichts zu thun. Ein anderer Redner, Herr vom Ra t h, wandte sich gegen einen Aufsatz in der „Köln. Ztg ", der bei der Be sprechung der Schell'schcn Schrift von der Fluth von Gedanken keimen redete, die von der modernen Weltanschauung auf die Elite des UltramontaniSmus eindringe, und meinte, daß seitdem Anfang der fünfziger Jahre ein Strom mittelalterlichen Geister-, Gespenster-, Dämonen- und Wunderglaubens trotz der Naturwissenschaften, aller Bildungs- und Aufklärungs anstalten der modernen Welt sich ergossen und immer Weiler um sich gegriffen habe. Dann beurtheilte er in scharfer Weise dasVerbalten der CentrumSpresse gegenüber dem Taxi l-Schwindel, die, nachdem sie noch 1888 das unsinnige Werk des Jesuiten Gruber warm empfohlen hatte, erst durch die von außen kommenden Mittheilunge» deS vr. Hacks bewogen, wie sie selbst sagte, nur widerstrebend die Pflicht erfüllen zu müssen geglaubt habe, das katholische Volk vor kindischem Aberglauben zu schützen. Die Centrumspresse möge einmal klipp und klar erklären: „Wir haben niemals an die Taxil'schen Ent hüllungen geglaubt, und zwar haben wir aus deren Inhalt geschlossen, daß ein Schwindel vorliege. Es ist nicht wahr, daß äußere Gründe, daß uns bekannt gewordene Mittheilungen des Dr. Hacks unser Urtheil beeinflußt haben." Der Kampf gegen den Ullramontanismus, den unversöhnlichsten Feind jedes wahren Fortschrittes, dürfe von der nationalliberalcn Partei nicht auf gegeben werden, ohne des Vaterlandes Wohl aufzugeben. Prof. Hirsmann (Ruhrort) sprach in demselben Sinne und wies auf den Ausspruch deS Grafen v. Hoensbrocch hin, den dieser dem Kaiser gegenüber gethan, daß der Ultramontanis- mus dem Vaterlande viel mehr schade, als die Socialdemokratie. Der Graf habe ihm persönlich dies damals durch die Presse verbreitete und angezweiselte Wort in vollem Maße bestätigt. Justizrath Richter (Coblenz) ging auf die Wunder samen Vorlesungen des Professors Bautz in Münster ein und wünschte unter dem Beifall der Versammlung, daß einer der nationalliberalcn Abgeordneten einmal den Cultusminister interpelliren möge, ob er Kenntniß von dem Taxil-Schwindel genommen habe, und was er zu thun gedenke, um unsere Schüler vor dem Eindringen einer solchen furchtbaren Verwil derung der Seelen zu schützen. — Eine Interpellation wäre in der That am Platze, denn dann würde sich der EultuSminister der Verpflichtung, seine Meinung über die Verbreiter des Taxil- Schwindels in Deutschland zu sagen, nicht entschlagen können. Die Nutzanwendung aus die „Frage" der Aufhebung des Jesuitengesetzes ergäbe sich hierauf ganz von selbst. In diesen Tagen tritt in Paris eine Commission von Vertretern der deutschen und der französischen Re gierung zusammen, um sich in freundschaftlicher Weise über die Rechte, die beide am Bogen des Niger haben, zu be sprechen. Die Veranlassung dazu bieten bekanntlich die Zu sammenstöße deutscher und französischer Expeditionen im Hinterlande von Togo, deren wir schon früher mehrfach gedacht haben. Es kann, bemerkt dazu die „Post", keinem Zweifel unterliegen, daß die Freunde der französischen Colonialsache sich von dem Bestreben leiten lassen, ganz Nordafrika als ibren Besitz darzustellen, der nur durch kleine Enclaven anderer Mächte hier und da unterbrochen wird, und daß schon beute auch weitere Kreise in Frankreich den Wunsch hegen, daß das sich eines Tages verwirklichen werde. Wurde doch vor wenigen Jahren in der französischen Presse allen Ernstes die Frage ventilirt, eine Bahn von Tunis und Algier ausgehend nach Süden bis zum Tschadsee und Timbuktu zu bauen. Fand ein solcher Vorschlag nun auch damals von der französischen Regierung keine dirccte Unterstützung, so hat diese doch Alles gethan, waS in ihren Kräften stand, ihre Machtsphäre bis zum Niger auszudehnen: sie ist von Norden, Süden und Westen gleichzeitig vor gegangen. Deutschland bat so weitgehende Pläne, deren Rutzen für absehbare Zeit nicht feststeht, niemals gehabt. Für uns handelte cs sich nur darum, die deutsche Macht sphäre von der Küste her, d. h. von Togo und Kamerun aus, bis zum Niger und Tschadsee, den wichtigsten Gewässern des Hinterlandes, zu erweitern. Bei Kamerun ist das seinerzeit gelungen, und in Togo haben deutsche Expeditionen ebenfalls die deutsche Machtsphäre bereits bis zum Niger ausgedehnt. Ein solches Vorgehen ist aber, führt die „Post" weiter auS, in Togo ebenso, wie eS in Kamerun der Fall war, nichts weniger als der Ausdruck von Feindseligkeit gegen die französischen Bestrebungen. Durch unser Vorgehen in Kamerun bat Frankreich s. Zt. eine kräftige Unterstützung gegenüber England erhalten. Dasselbe dürfte beim Togo- Hinterlande der Fall sein, wo die Niger-Compagnie am liebsten alle nicht ibr angehörigen Interessen vernichten möchte. Durch eine Verständigung und ein gemeinsames Vorgehen Deutschlands und Frankreichs wird vielleicht das erreicht werden, WaS die Diplomatie bisher nicht hat erreichen können, nämlich eine Lösung der Nigerfrage. Graf Jlarion Iwanowitsch Woronzow-Taschkow, der von dem Posten deS Ministers des ZarenhoseS zurück getreten ist, hat diesen Posten seit dem 1. Juni 1881 ein genommen. Er war unter Alexander III. die einfluß reichste Persönlichkeit am Zarcnhofe, und viele Wunden, welche in jener Zeit der Sache des Fortschrittes in Ruß land geschlagen wurden, sind auf seine Initiative zurück- zusühren. In Rußland weiß man, daß Graf Jlarion Iwanowitsch das Project deö Grafen Tolstoi zur Ein führung der Ständevorsteher, dieses Polizei - Institutes, welches das geistige Leben des russischen Volkes lahmlegte, vor dem Zaren Alexander III. warm verthcidigte und dafür die Genehmigung desselben erlangte. Geboren am 27. Mai 1837 zu Moskau, war und blieb Graf Woronzow-Daschkow ein eingefleischter Nationalrusse, ein echter „MoSkwitsch", der für die Rückkehr zu den alten Moskauer Traditionen schwärmte und Westeuropa als den geschworenen Feind der nationalen Selbstständigkeit Rußlands betrachtete. Mit den Aksakow, Katkow und Leontjew enge befreundet, theilte er die slawophilen Ansichten seiner Moskauer Freunde und war ein Feind Deutschlands und der Deutschen in Ruß land. Alle unter Alexander III. gegen die Deutschen Rußlands ergriffenen Maßnahmen fanden an Woronzow-Daschkow einen warmen Vertheidiger. Von Central-Asien und dem Kaukasus, wo Graf Jlarion Iwanowitsch diente, nach Petersburg berufen, brachte er Anschauungen mit, welche für die Sache deS Fortschrittes nicht günstig sein konnten. Seine Enthebung von dem einflußreichen Posten des Ministers des ZarenhoseS kann als Symptom dafür gelten, daß die Ansichten des Zaren Nikolaus II. nicht diejenigen des Grafen Woronzow- Daschkow sind. Es war ausfällig, daß die südafrikanische Jingopresse beim Bekanntwerdcu der Flottendemonstration vor der Tclagoa-Bat sofort übertriebenen Hoffnungen auf eine An nexion dürch England entgegentrat, obwohl sie betonte, daß dieser wichtige Hafen doch über kurz oder lang englisch werden müsse. Es schien damals, als ob ihr ein Wink gegeben worden sei, die Angelegenheit unter einem möglichst ruhigen Ge- sichlspunct zu behandeln. Die „Cape Times" geben jetzt eine Erklärung „aus unanfechtbarer Quelle", welche zeigt, daß sie oder ihre Hintermänner, zu denen vor Allem RhodeS gehört, über frühere Ansichten gut informirt waren. Danach hat allerdings die portugiesische Regierung vor etwa 18 Monaten, also im Herbst 1895, sich mit der Frage der Verpachtung der Delagoa-Bai beschäftigt. Ein anglo - portugiesisches Syndikat wurde mit der Absickt gebildet, das Gebiet, welches die Delagoa- Bai umschließt, in Pacht auf 99 Jahre zu über nehmen. DaS Capital des Syndikat» war 10 Millionen Pfund Sterling und der Vorsitzende der Herzog von Oporto, der Bruder des Königs von Portugal. Das Geschäft aber kam nicht zu Stande, als cs dem Parlament zur Bestätigung vorgelegt werden sollte. Der damalige erste Minister Portugals überzeugte sich eben bald, daß diese Vor lage einen Sturm der Entrüstung Hervorrufen würde, und unterließ sie daher. — Der jetzige Premierminister hat be kanntlich in emphatischer Weise erklärt, daß Portugal nicht daran denke, die Bai zu verkaufen, und sogar Ordre gegeben, daß portugiesische Kriegsschiffe dort stationirt werden sollen. Feuilleton» Zwei Frauen. 8j Roman von F. Marion-Crawford. Nachdruck verboten. „Aber hernach?" „Hernach? Was ist hernach? Es ist nichts für Sie oder für mich. Hernach bedeutet die Zeit, wenn Sie und ich begraben sind und die nächste Generation sich unter den selbstgesertigten härenen Gewändern windet und krümmt." Rex lachte seltsam. „Ich bin anderer Ansicht", antwortete Greif. „Ihre Ansicht scheint mir den deutschen Vorstellungen zu wider sprechen". „Thatsachen stehen immer im Widerspruch zu Vor stellungen", antwortete Rex. „Nicht in Deutschland, wenigstens nicht, soweit die Pflicht in Frage kommt. Wenn die Wissenschaft wahr ist, müssen übrigens die Thatsachen mit ihr übereinstimmen. Auch die Sittenlebre ist eine Wissenschaft, und die Pflicht ist für das System, das die Wissenschaft geschaffen hat, unentbehrlich. Was sollte auS unserem militairischen lieber» gewicht werden, wenn der Glaube an die Pflicht plötzlich vernichtet werden sollte?" „Ich weiß eS nickt. Aber ich weiß, daß eS für un» nicht den geringsten Unterschied machen wird, waS daraus wird, wenn wir erst todt und begraben sind." „ES würde die Verhältnisse unserer Kinder zum Schlimmeren verändern." „Sie brauchen nicht zu heirathen. Niemand kann un» zwingen, Väter neuer Muster unserer Gattung zu werden." ,,Und was wird in Ihrem System auS der Liebe?" forschte Greif, mehr und mehr überrascht über die Anschauungen, die Rex ihm entwickelte. „Wa< wird auS Allem, wenn eS aufhört zu sein?" fragte Rex. „Ich weiß e» nicht." „In diesem Falle giebt eS nichts zu wissen. Die Be wegung — Sie würden e» die Kraft nennen — die Be wegung dauert fort, aber das besondere Ding, in der sie sich kund gab, ist nicht mehr, und jenes besonvere Ding wird auch nie wieder sein. Bewegung ist unvergänglich, weil sie unmateriell ist. Die unzähligen Milliarden von Wirbeln, in welchen das Material Ihre« Körpers sich in so erstaun lichem Maße bewegt, werden nicht stillstchen, wenn Sie todt sind, selbst dann nicht, wenn jedes Atom Ihres Körpers im Laufe der Zeiten sich aufgelöst hat. Jeder Wirbel ist un vergänglich, ewig, von unendlicher Dauer. Der Wirbel war der Grund vor allem Anfang und er wird eS noch nach dem Ende aller Dinge bleiben". „Der Urgrund? Und wer schuf den Wirbel?" „Gott", antwortete Rex lakonisch. „Aber dann", wandte der jüngere Student ein, „dann glauben Sie ja doch an ein zukünftiges Leben, an die Be deutsamkeit des Lebens hienieden, also auch an die Pflicht und an alles Uebrige". „Ich glaube an den Wirbel, an seine Einheit, Indi vidualität und Ewigkeit. Das Leben ist eine Sache des Herkommens, seine Bedeutung ist eine Frage der Ansicht, seine Pflichten sind zuletzt doch nur Erwägungen des Ge schmackes und der Neigung. Und was sind Ansichten, Her kömmlichkeiten und Neigungen im Vergleich mit den Wirk lichkeiten. Der Wirbel ist eine Thatsache und cs scheint mir, daß er genug Material zum Nachdenken liefert, einen Geist von gewöhnlichem Fleiß zu befriedigen." „Sie haben seltsame Ansichten. — Sind Sie glücklich, wenn die Frage nicht indiöcret ist?" „Ah, das ist die Lieblingsfrage der Philosophen," lachte Rex, „und sie zeigt, WaS Sie in Wahrheit von all' Ihrem Glauben über die Pflicht und alle übrigen Tugenden denken. Sie kümmern sich in Wirklichkeit um nichts, als um das Glück. Alle Ihre Gesetze und Bräuche werden von Ihnen nur als Mittel betrachtet, schließlich zum Genuß zu gelangen. ES ist wenig Verdienst dabei, mit so viel künstlichem Bei stand glücklich zu sein. Aber wozu diese Angelegenheit er örtern? Was ist Glück? Millionen von Bänden sind darüber geschrieben worden und noch kein Mensch hat jemals den Muth gehabt, genau zu sagen, wodurch er glaubt glücklich werden zu können. Wenn Sie wirklich wünschen glücklich zu sein, Herr v. Greifenstein, will ich Ihnen verrathen, wie eS möglich ist. Zunächst, sind Sie jetzt glücklich?" Rex richteie seinen steinernen Blick, der in so seltsamem Gegensatz zu seinem schönen Gesicht stand, auf Greif'» Augen. Er sah eine Ungewißheit, ein unbestimmtes Unbehagen darin, daS seine Frage zur Genüge beantwortete. „Ja", erwiderte Greif in zweifelndem Ton, „ich glaube, daß ich e» bin." „Ich denke, Ihr Glück ist nicht vollständig", sagte Rex sich abwendend. „Vielleicht kann Ihnen mein einfacher Plan helfen. Fragen Sie sich selbst. Was ist eS, das Sie wünschen? Suchen Sie herauSzufinden, was Sie möchten, das ist Alles." „Und dann?" „Und dann? Ei nun, Sie nehmen es und sind glück lich", antwortete Rex mit einem sorglosen Lächeln, als ob die von ihm empfohlene Regel das Einfachste von der Welt wäre. „Das ist bald gesagt", erwiderte Greif in ernstem Ton. „Ich wünsche, was kein Mann mir gewähren kann." „Auch eine Frau nicht?" „Nein, auch eine Fran nicht." „Und etwas, reffen Sie sich nicht bemächtigen könnten, auch wenn es in Ihrem Bereich wäre?" „Nein, ich wünsche nichts Materielles, ich wünsche die Zukunft zu kennen." „Das ist nicht besonders schwer", antwortete Rex, auf seine Uhr sehend. „Aber es ist gerade Mittag. Ich fürchte, Sie über Gebühr aufgehalten zu haben." „Ich versichere sie, daß es mir das größte Vergnügen war, Sie kennen gelernt zu haben", antwortete Greif, der nicht den Muth hatte, den sonderbaren Menschen zurück zuhalten. So schieden sic von einander. Rex verschwand in einem schattigen Seitengäßchen, während Greif seinen Weg nach dem Gasthof fortsetzle, in dem sein CorpS zu Mittag speiste. Im Gehen dachte er nur an Rex. Der Name war so seltsam, seine Unterhaltung so ungewöhnlich, der Blick seiner Augen so peinlich und doch so eigenthümlich fesselnd. Je mehr Greif über ihn nachdachte, desto weniger war er mit seiner kurzen Unterredung zufrieden. Er konnte jetzt auch kaum begreifen, wie er sich hatte verleiten lassen, bei einer ersten Begegnung mit einem Fremden so offen über Das zu sprechen, was sein Gemüth bedrückte. Es war nicht seine Gewohnheit, auf gut Glück Bekanntschaften zu macken und seine eigenen Angelegenheiten mit Leuten zu besprechen, die ihm fremd waren. Bei Tische fragte er seine Freunde, ob einer von ihnen einen Studenten Namens Rex kenne. Keiner hatte von ihm gehört, und als sie erfuhren, daß er nicht mehr gar so jung war, sagten sie einander, daß Greif bereits anfange, die Grenze von Philistia zu überschreiten. Nach beendetem Mahle begab sich Greif in seine Wohnung und versuchte zu arbeiten. Die plötzliche Besorgniß, die sich Vormittags während der Vorlesung seiner bemächtigt hatte, wurde in der Einsamkeit nock stärker und steigerte sich bis zur lln- erträglichkeit. Er schob seine Bücker bei Seite und schrieb seinem Vater, um sich zu erkundigen, ob etwas vorgefallen wäre. Es war ihm eine Erleichterung, gesckrieben zu haben, und er kehrte ruhiger zu seiner Arbeit zurück. Am nächsten Tage entdeckte er Rex im Hörsaale nicht. Er hatte ihm gesagt, daß er Philosophie als einen Zeitver treib betrachte und kam wahrscheinlich nur dann zu den Vor trägen, wenn die Laune ihn anwandelte, sich zu zerstreuen. Der Wunsch, wieder mit ihm zu plaudern, wurde immer lebhafter, bis Greif beschloß, ihn aufzusuchen. Die Sonne war untergegangcn und er stand am offenen Fenster wie am Abend seiner Ankunft, fast unbewußt zu den Sternen aufblickend, die über den Tbiirmen des Münsters erglänzten. Tie Luft war sehr rubig, kein Ton als das leise Rauschen des Flusses unterbrach die Stille. Die Adresse des Studenten erfuhr er durch den Pedell. Rex wohnte in einem dunklen Gäßchen in der Nähe des Münsters. Greif kletterte mehrere Treppen in die Höhe, ein Streichhölzchen nach dem andern anzündend, nm seinen Weg zu finden. Auf dem obersten Flur war nur eine Thür. Er klopfte zweimal und wartete. Als sich immer noch keine Antwort hören ließ, klopfte er wieder. Endlich näherten sich Schritte. „Wer sind Sie?" fragte eine ärgerliche Stimme. „Was soll der abscheuliche Lärm?" „Mein Name ist Greifenstein", erwiderte Greif. „Ich wünsche Herrn Rex zu sprechen." Die Thür wurde hastig geöffnet und er sah sich Rex von Angesicht zu Angesicht gegenüber, der, ein Licht in der Hand, seinen Gast auf das Freundlichste begrüßte. „Ich bitte um Verzeihung", sagte er. „Ich batte keine Ahnung, daß Sie es sein könnten. Bitte, treten Sie ein." „Ich fürchte, Sie zu stören", antwortete Greif zögernd. „Durchaus nicht, durchaus nicht", wiederholte Rex, die Thür wieder sorgfältig verschließend. „Ich bin noch nicht lange hier und habe auch keine Freunde", fubr er ent schuldigend fort, „ich konnte mir nicht denken, daß Sie meine Adresse wüßten." Nachdem Greif einen engen Gang durchschritten batte, befand er sich in einem großen Zimmer mit drei Fenstern. Es war unverkennbar, daß Rex in (größerem Luxus lebte al» die meisten Studenten. Eine offene Thür zeigte, daß
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