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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.05.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970525028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897052502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897052502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-25
- Monat1897-05
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Sehr hübsch ist auch, daß die „Handwerksfreundlichen", weil von ihnen ein großer Theil nicht aushalten mochte, einen der am häufigsten hervortretenden Gegner des Hand werkergesetzes festhalten zu sollen glaubten. Es hat aber nichts genützt, das Haus war bei einer späteren Abstimmung wieder beschlußunfähig. In wie weit dies gestern durch eine Obstruktion, die unter keinen Umständen zu billigen ist, herbeigeführt wurde, läßt sich nicht genau feststellen. Jeden falls aber hat der Centrumsabgeordnete Gröber geirrt, als er be stritt, daßFractionsgenossen von ihm abgereist seien,und behaup tete, das Centrum sei am Sonnabend noch vollzählig zur Stelle. DerAugenschein zeigte das Gegentheil.und die „Germania" selbst beruhigte die befreundeten Parlamentarier, indem sie gestern Abend die Centrumsleute mit aufgehobenen Händen beschwor, doch ja sich einzufinden. Sie meint, „es würde ein trauriges Bild bieten, wenn diese (Handwerks-) Vorlage nach den viel jährigen Bemühungen der CentrumSfraction im Sinne der Vorlage an der Beschlußunfähigkeit des Reichstags durch die Schuld von Mitgliedern des Centrums scheitern würde". Ganz recht, aber traurig bleibt das Bild auch, wenn das Gesetz mit Ach und Krach durchgedrückt wird. Denn es zeigt, daß cs dem Centrum mit seinen Bemühungen nicht ernst war, daß es, nm einen gegen die Conservativcn gebrauchten Ausdruck der „Germania" zu gebrauchen, lediglich „Handwerkerfang" getrieben hat. Bei jeder der un gezählten Abstimmungen über das Jesuitengesetz war taS Centrum vollzählig vertreten, bei der Verweigerung des Glück wunsches für den Fürsten Bismarck auch. DaS waren eben Herzenssachen sür die Ultramontaneu, die Handwerker sind ihnen nur — Stimmvieh. Wäre dem Centrum und den Conservativcn die Erfüllung ihrer Versprechungen ein Opfer wcrtb, so würde die Obstruktion machtlos sein. Bei der Abstimmung über das Urlaubsgesuch des Abg. Schneider, wo die Linke natürlich keine Obstruktion trieb, waren aber nur 205 Mitglieder anwesend. Bei der ersten Berathung des preutzischen VrreinSgcsctz- cntwurfs bar sich bekanntlich sowohl der Ministerpräsident, als auch der Minister des Innern auf die Vereiusgesetzgebung in anderen Staaten und speciell in Bayern berufen, um an diesem Beispiele darzuthun, daß das für Preußen Erstrebte eigentlich recht harmloser Natur sei. Wie wenig man diese Berufung in Bayern selbst gelten läßt, das beweist eine von dem bekannten bayerischen StaatSrechtslebrer Max v. Seydel in der Münchener „Allg. Ztg." veröffent lichte Kritik am preußischen Entwurf, welche dessen Ungeheuer lichkeiten mit juristischer Schärfe darlegt. Darin wird vor Allem schon gegen den Passus der Begründung Front gemacht, in dem behauptet war, es werde eigentlich nur das festgelegt, waS die Polizei schon nach Titel 17 ß 10 des Allg. Land rechts beansprucht habe, der sie ermächtigt, „die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Rübe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publico oder einzelner Mitglieder desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen". Gegen diese Heranziehung deS tz 10 wird sich, so meint Seydel, nicht blos das öffentliche, sondern auch das fachmännische Rechtsbewußtsein sträuben: ,,Was man allenfalls aus dein 8 10 ablriten mag, daß z. B. die Polizei eine Versammlung in einem feuergefährlichen, in emem baufälligen, in einem verseuchten Gebäude verbieten kann, das würde sich auch ohne den 8 10 von selbst verstehen, aber sür das eigentliche Vereins» und Versammlungspolizeirecht läßt er sich wohl kaum aus nützen. . . Die Wahrheit scheint die zu sein, daß der Paragraph nicht im Entferntesten einen Rechtssotz, eine Znständigkeitsbeslimmung enthält, sondern eine lehrhafte Auseinanderietzung, wie sie in den Gesetzen des vorigen Jahrhunderts sehr gebräuchlich war. Rechts normen sind Las aber nicht, und darauf Zuständigkeiten gründen zu wollen, geht nicht. Der Gesetzgeber jener Zeit brauchte sich auch nicht ängstlich damit zu plagen, polizeiliche Zu ständigkeiten abzuzirkeln. Im Polizeistaate galt der Satz: Der Polizei ist Alles erlaubt, was ihr nicht ausdrücklich verboten ist. Im V erfass ungs st aate aber gilt der Satz, de» man der Polizei nicht ost genug ins Gcdächtniß rufen kann: Nur diejenigen polizeilichen Eingriffe sind erlaubt, die vom Gesetze ausdrücklich zugelassen sind. Im Rechtsstaate wird daher bei Polizeigesetzen eine thunlich scharfe und bestimmte Fassung der Voraussetzungen verlangt, unter denen die Polizeigewalt befugt sein soll, in den Rechtskreis des Einzelnen sich einzumischen, und nach dem Maße, wie das gelungen ist, wird der gesetzgeberische Werth eines Polizeigesetzes beurtheilt. Ties um so mehr, als der moderne Staat auch von dem Gedanken ausgebt, daß Jeder, der sich über rechtswidrige Störung seines Rechtskreises durch die Polizei beklagt, einen Richter finden soll, der Richter aber seiner Ausgabe nur dann genügen kann, wenn die Grenzen des Rechtes der Polizei vom Gesetze in erkennbarer Weise gezogen sind." Von diesen Gesichtspunkten ans betrachtet Seydel die einzelnen Bestimmungen des Entwurfs und kommt zu dem Urtheil, daß bei den darin angegebenen AuflösungS- und Schließungsgründen wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und deS öffentlichen Friedens „gesetzgeberisches Gummielasticum" vorliegt. Ja dieser Beziehung führt er auS: „Der Entwurf hat einige der unbestimmtesten Begriffe des Strafrechts entlehnt. Er läßt ganz außer Acht, daß es sich hier um Eingriffe in die Rechte der Staatsbürger handelt und daß die Staatsbürger für die Polizei doch nicht blos Gegenstand ihrer Thätigkeit, sondern auch Rechtssubjecte sind. Jene Bestimmungen scheinen nur nach dem Gesichtspunkt abgesaßt zu jein, ob sie für die Polizei bequem, aber nickt danach, ob sie sür die Sicherung der staatsbügerlichen Rechte gegen un begründete Eingriffe brauchbar sind. Jene dehnbaren Begriffe des Strafrechts sind sür das Polizeirecht nicht jo ohne Weiteres brauchbar. Denn es ist ein großer Unterschied, ob sie der objektiv urtheilende Richter auf die abgeschlossen vorliegende That an wendet, oder ob die Polizei jene Begriffe handhabt, wenn sie aus den Geschehnissen, die sich abspielen, Vermuthungen für die Zukunft schöpft." Das gilt sowohl von dem Begriff der öffentlichen Sicher heit, wie noch mehr von dem des öffentlichen Friedens. Der letztere ist, wie auch Sehdel anerkennt, dermaßen unbestimmt, daß geradezu jede politische Partei in diesem Netze hängen bleiben kann. „Denn der öffentliche Friede ist schon gestört, wenn auch nur der Friede eines Theiles der Bevölkerung gestört ist, und die politischen Parteien haben doch geradezu den Zweck, einander den Frieden zu stören. Es würde also stets darauf ankommen, welchen Frieden die jeweilige Regie rung für beschützenswerth hält." — Zum Schluß stellt Herr v. Seydel ganz bestimmt in Abrede, baß Art. 19 Ziffer 5 des bayerischen Vereinsgesetzes der Polizei ähnlich weitgehende Vollmachten gebe; die Fassung jener Ziffer sei im Gegen- theil noch ein Muster von Klarheit und Bestimmtheit im Vergleich zum preußischen Gesetzvorschlage. Der letztere weise kein genügendes Maß gesetzgeberischer Sorgfalt und Ge- chicklichkeit auf, sondern sei, auch wenn man von jeder politischen Kritik absieht, technisch unzulänglich. — Diese Kritik des bayerischen Staatörechtslehrers ist um so schwer wiegender, als ofsiciöse Blätter sich auf ibn berufen haben und die Freiconservativen bei den Anträgen, die sie für die zweite Lesung vorbereitcn, auf ibn sich zu berufen ge denken. Durch diese Absicht ist ihnen jetzt ein dicker Strich gezogen. Welches Schicksal nunmehr die Vorlage haben wird, ist nicht abzusehen. Die preußische Regierung scheint ihre Erwartungen wesentlich herabgestimmt zu haben und nicht abgeneigt zu sein, sich mit dem zufrieden zu geben, WaS die Commission ihr bietet. Wenigstens schreibt heute die „Nordd. Allgem. Zeitung": „Berücksichtigt man, daß die Opvositionsprcsse, schon bevor über haupt parlamentarische Verhandlungen stattgefundcn hatten, die Parole ausgab, cS solle die ganze Vorlage bis aus die Auf hebung des Coalitionsvcrbotes für die politischen Vereine „ge strichen" werden, und daß, nachdem die Commission dieser Direktive nickt gefolgt war, die demokratischen Blätter für reine und schleunige Ablehnung der ganzen Vorlage mit ausfälligem Eifer plaidirte», fo wird man es immerhin als ein klärendes Moment aussassen dürfen, wenn eine starke Mehrheit der Commission durch ihren Beschluß wenigstens das Eine anerkannt bat, daß nämlich unser Vereins- und Versammlungsrecht nach der Richtung der in dem Entwurf ge machten Vorschläge reformbedürftig ist. Nachdem die Mehrheit der Commission in diesem Sinne entschieden, trotzdem sich die Vertreter der Conservativen weigerten, sür den vorher gegen ihren Wnnfch verstümmelten Entwurf zu stimmen, wird mau an der Hoffnung festhalten dürfen, daß die weitere Plenarbehandlung dieser Ange legenheit auch weitere Klärung der Meinungen und somit ein befriedigendes Resultat schließlich ergeben wird." Die Unbehilslichkeit der englischen Webrorgani- sation zeigte sich gelegentlich der unlängst signalisirten Ent sendung dreier Feldbatterien nach Südafrika in handgreif lichster Weise. Um nur eine einzige dieser Batterien in kriegsgemäßen Stand zu setzen, mußte man von anderen Batterien 8 Officiere, 60 Mann und 89 Pferde „borgen", d. h. die angeborgten Batterien wurden infolge dessen ihrer seits für den Augenblick und jedenfalls für unbestimmte Zeit vollständig teSorganisirt. Und ähnlich erging es bei Mobil machung der beiden anderen Batterien. Auf welche Weise die Lücken, welche durch die Abcommandirung zu den drei nach Südafrika bestimmten Batterien entstanden sind, auSgesüllt werden sollen, ist daS Geheimniß des KriegsministerS, der erst vor Kurzem im Unter hause erklärte, daß die Recrutenanwerbung während des laufenden JabreS dem Bedarf der Armee nicht entfernt genüge. Und ähnliche Verhältnisse wie bei der Artillerie herrschen bei den anderen Waffengattungen. Als der letzte Aschantifeldzug ins Werk gesetzt werden sollte, war in ganz England kein einziges felddienstfähiges Regiment vorhanden, und um nur ein kriegsstarkes Bataillon zu formiren, mußten aus sechs verschiedenen Re gimentern, die solcher Art augenblicklich zu militairischen Nullitäten herabgedrückt wurden, sämmtliche altgediente Mannschaften herausgesucht werden. Am Sonntag ist der Ltaatssccretair LcydS in Paris eingetroffen. Wird er von den leitenden Staatsmännern ebenso unfreundlich begrüßt wie von der französischen Presse, so wird er wenig Freude von seiner Reise haben. Er wird gewissermaßen als der böse Geist des Präsidenten Krüger dargestellt, der Len alten Herrn zum Trotze gegen England und zur schlechten Behandlung der Uitlanders angestistet habe. Charakteristisch ist eS dabei, daß auch bei dieser Ge legenheit die Mißgunst der Franzosen gegen Deutschland zum Ausdrucke gebracht wird. Der „Figaro", der vor einigen Tagen erst Kaiser Wilhelm nach Paris eingeladen, meint, daß eine Bedrohung des Transvaal durch England für Frankreich politisch bedeutungslos sei, da allenfalls nur die Besitzergrei fung der Delagoabai durch die Engländer wegen der Lage Madagaskars für Frankreich unerwünscht sein würde. Ein viel größeres Interesse aber als Frankreich habe Deutschland, dessen südwestafrikanische Besitzungen gefährdet würden,wenn das englische Uebergewicht in Afrika durch EinverleibungTranSvaals noch gesteigert würde. Die Franzosen könnten aber natürlich kein Interesse daran haben, für die deutschen Interessen zu arbeiten und deshalb müsse man Herrn Leyds einen unverblümten Korb geben. Mau kann daraus von Neuem ersehen, daß für die Franzosen eine Politik schon dann indiScutabel scheint, wenn etwa Deutschland einen Vortheil davon haben könnte. Man wird die Franzosen daran erinnern, wenn sie wieder einmal Deutschlands Hilfe zur Beseitigung der englischen Uebermacht in Egypten erwünschen sollten. Uebrigens ver liert der „Figaro"-Artikel dadurch einigermaßen an Bedeutung, daß der Einfluß deS Blattes in raschem Sinken begriffen ist und zudem der „TempS", daS Organ Hanotaux', vor Kurzem einen äußerst heftigen Artikel gegen die in Transvaal verfolgte englische Politik, speciell gegen Chamberlain und Cecil Rhodes, veröffentlichte und entschieden für die Unabhängig keit der Transvaal-Republik gegen die englischen Uebergriffe Stellung nahm. Langsam und schleppend ist der Gang der griechisch türkische» Friedensverhandlungen, er droht jeden Augen blick ins Stocken zu gerathen und wer weiß, ob er bis ans Ziel gelangt. An gutem Willen hierzu mangelt es aus beiden Seiten und die „meviatsirenden" Mächte sind einflußlos nach Rechts wie nach Links. Die Letzteren haben — und da» ist ihr einziges Verdienst, wenn man es so nennen darf — die Stipulirung eines Waffenstillstandes und die Abgrenzung einer neutralen Zone zwischen beiden Heeren durchgesetzt, aber über die Dauer des Waffenstillstandes ist nichts ausgemacht worden. Hauptmann Condoyanni, der dea Waffenstillstand abschloß, hat dem Kronprinzen mitgetbeilt, baß Edhrm's Delegirte erklärt hätten, die Waffenruhe gelte nur für vierzehn Tage, nachher würden die Feindseligkeiten erneuert, wenn nicht mittlerweile der Friede geschlossen sei. Schriftlich aber ist darüber, wie gesagt, nichts stipulirt und da man auch griechischerseits darauf nicht gedrungen zu haben scheint, bekommt man den Eindruck, daß eö beiden Tbeilen mit dem Waffenstillstand nicht Ernst ist, daß sie viel mehr den stillen Vorbehalt gemacht haben, ihn zu brechen, wenn sie es für vortheilhaft halten. Auffallend ist auch die Nachricht, Edhem Pascha habe griechischen Officieren gegen über erklärt, er erwarte Delegirte des Kronprinzen, um sofort die Friedensbedingungen festzusetzen, und habe Condoyanni ersucht, zu bestimmen, wann er die griechischen Delegirten erwarten dürfte. Die Meldung wird von Wien aus als tendenziös und absolut unrichtig bezeichnet, und zwar mit der Begründung, daß die Pforte ja die Mediation der Mächte angeuommen habe. Das Letztere ist richtig, aber abgesehen davon, daß Mediation ein sehr der Ver flüchtigung fähigerBegriff ist, erinnern wir daran,daß schon Ende > voriger Woche eine Konstantinopeler Depesche unwidersprochen I meldete, Edhem Pascha erwarte die griechischen Unterhändler I in Pharsala. Die Tendenz der Pforte, sich von dem Einfluß I der Mächte unabhängig zu machen, ist unverkennbar, ebenso Zwei Frauen. I2s Roman von F. Marlon-Crawsord. Nachdruck verboten. Greifenstein war in seiner Weise gutherzig,und tiefes Mitleid für sie begann sich in ihm zu regen. Sie verletzte sein Gefühl für Schicklichkeit nicht wie früher durch ihre unangemessenen Unterbrechungen, ihr albernes Lächeln, ihr schallendes Lachen ohne jeden Grund und ihr einfältiges Geschwätz. Er sagte sich, sie müsse wirklich krank sein, um sich so ernst und ruhig zu verhalten, und cS sei seine Pflicht, etwas sür sie zu tbun. Nach vielem Ueberlegen schlug er ihr vor, ihr aus Romanen vorzuleien. Selbst die arme Klara, deren Sinn für Humor beinahe ganz verschwunden war, fand ein schwaches Lächeln für dieses Anerbieten. „Welch eine Idee!" rief sie. „Meine Liebe", antwortete Greifenstein, „es handelt sich hier nicht nm Ideen. Ich habe die Sache erwogen und bin zu dem Schluß gekommen, daß Du der Zerstreuung bedarfst Deshalb ist es meine Pflicht, sie Dir zu verschaffen. Da ich nicht singen kann und Du nicht Karten spielst, weiß ich nichts Besseres, Dick zu zerstreuen, als Dir vorzulesen." Greifenstein war in vollem Ernst und sprach in seiner gewöhnlichen trockenen Weise, nahm einen der Bände, die auf dem Tische lagen, nach dem andern in die Hand und laS die Titel auf den Deckeln, als ob er jetzt schon eine Entscheidung treffen wollte. Klara sand keine Antwort und ihr Lächeln verschwand wieder. Ihre abgemagerten Hände lagen müßig im Sckooß, und ihr Kopf sank müde auf die Brust. Sie wünschte, Alles wäre vorüber und sie möchte einschlafen, ohne die Furcht, wieder zu erwachen. „WaS soll eS sein?" fragte Greifenstein. „O Hugo, ich möchte lieber nichts hören", rief sie, ihr Gesicht langsam zu ihm erhebend. Ter alte Herr legte den Band, den er aufgenommen hatte, wieder zurück, faltete die Hände über den Knieen zu sammen und betrachtete seine Frau aufmerksam. „Klara", sagte er nach wenigen Augenblicken, „WaS ist Dir?" »Nicht«, gar nicht»." „Es hat keinen Zweck, mir diese Antwort zu geben", er widerte er, die Augen noch immer auf sie geheftet. „Dir feblt etwas, und etwas sehr BedenklickeS. Ich beobachte Dich schon lange. Entweder Du bist körperlich krank, oder Dein Gemüth wird durch etwas beunruhigt." „O, nein, ich versichere Dir, mir ist nichts", erwiderte sie kaum vernehmbar. „Du lügst, Klara", sagte er. „Ich wünsche Dich nicht durch Fragen zu belästigen, aber ich kann nickt sehen, daß Du vor meinen Augen hinsckwindest, ohne daß ich wünsche. Dir zu helfen, wie es meine Pflicht ist. Ein Mann ist immer stärker als eine Frau und weniger zugänglich für phantastische Schreckbilder. Vielleicht betrübst Tu Dich ohne Grund, und wenn Du Dich mir anvertrauen wolltest, wäre es mir mög lich, Dir zu beweisen, daß Du gar keine Ursache hast, Dich zu grämen. Kannst Du Dich nicht entschließen, mir mit- zutheilen, was Dich bedrückt?" „Nein!" rief Klara erschreckt und in ihrer Angst über wand sie sich, laut zu lachen. „Ach", fagte Greifenstein, „das klingt wie Dein altes Selbst. Vielleicht sollten wir am Abend fleißiger mit einander plau dern. ES thut mir wohl» Dich wieder einmal lachen zu hören. Nun, wa» sagst Du zu meinem Vorschlag? Soll ich Dir etwas vorlesen? Goethe, Schiller oder Heine?" „Etwas von Heine, wenn Du willst", antwortete Klara. „Du bist so gütig. Vielleicht wird er unS beiter stimmen." „Ja", wiederholte Greifenstein, „vielleicht wird Heine un heiter stimmen". Und der Schloßherr laS eine volle Stunde vor, aber di» Erheiterung war nicht so groß, wie er erwartet batte. Der sprühende Witz Heine'S war ja auch bei Greifenstein ver loren, der in der Gewissenhaftigkeit seines Bemühens, gut zu lefen, sich selbst so verwirrte, daß er nur sehr wenig von dem verstand, WaS über seine Lippen ging. Klara schloß dir Augen und lehnte sich in ihren Sessel zurück. Sie hörte kaum zu, aber sie wußte, daß ihr traurige« Dasein noch grauenvoller geworden war. Die Schloßubr schlug zehn und mit militairischer Pünkt lichkeit legte Greifenstein das Buch aus der Hand, als er den begonnenen Satz zu Ende gelesen hatte. Klara raffte sich zusammen, ihm zu danken. „ES war sehr liebenswürdig von Dir", sagte sie. „Du hast mir eine große Freude gemacht." „Wir werden jeden Abend lesen, bis Dir wieder besser ist", versicherte der Gatte, Und er hielt Wort, obgleich sein Plan, die arme Frau zu erheitern, von keinem Erfolg be gleitet war. Abend für Abend saß er eine Stunde nach beendetem Mahle neben dem Ofen, Abend für Abend saß Klara mit balbgeschlossenen Augen ihm gegenüber, hörte seine einförmige Stimme wie im Traum, neugierig, wie all das werden sollte. Eine trügerische Ruhe war auf das alte Schloß herab gestiegen und eine gewisse Milde fand ihren Weg in die Beziehungen der Gatten, Klara wurde weicher und fühlte sick verpflichtet durch ihres Mannes Nachsicht. Sie betete, daß sie beide während dieser Tage friedlich sterben sollten und hoffte zuweilen, der Himmel werde die Katastrophe, die ihr beständig vorschwebte, doch noch abwenden. War sie dem strengen Manne, der ihr gegenübersaß nicht fünfundzwanzig Jahre eine treue Gattin, Greif nicht eine gute Mutter gewesen? Es war ihr ein Trost, zu denken, daß sie nicht ganz schlecht war. Der Himmel würde Gnade walten lassen und nicht jetzt die Sünden ihrer Jugend an ihr heimsuchen, jetzt, nach einem Viertrljahrbundert friedlichen Ehelebens, jetzt, nachdem Greif schon zum Manne herangereist war und sich verheirathen sollte. Eines Tages kam Greisenstein in der Dämmerung heim und fand einen Brief auf dem Schreibtisch in seinem Zimmer. Er riß den Umschlag auseinander und während er laS, gruben sich seine Zähne in die Lippen. Schweigend starrte er in das Feuer, daS im Ofen brannte. Nach kurzem Besinnen schleuderte er den Brief in die Flammen und wartete, bis er zu Asche zusammengesunken war, dann läutete er dem Diener. „Höre, Jakob," sagte er, als der junge Mensch eingetreten war, und seine Stimme zitterte nickt, „ein Freund hat mir geschrieben, daß er zur Jagd kommt. Bei diesem schlechten Wetter kann er zu jeder Stunde im Schloß eintreffen. Er kommt allein. Wenn er eintrifft, führe ihn sofort in dieses Zimmer und laß mich rufen." Der Dieucr erkundigte sich nach dem Namen deS Gastes. „Herr Brandt", erwiderte Greifenstein ohne Zögern. Der Brief hatte ihn benachrichtigt, daß Rieseneck'S Gesuch, in die Amnestie mit eingeschlossen zu werden, ent schieden abgelehnt worden, und daß er unter einem an genommenen Namen zum zweiten Mal geflohen war. Er bat seinen Bruder, ihm über die Grenze nach Constanz zu Helsen, und meldete, daß er wenig später als sein Brief im Schloß sein würde. Greifenstein stopfte wie gewöhnlich seine Pseife, setzte sich an seinen gewohnten Platz und rauchte mit der ge wohnten Feierlichkeit. So weit materielle Folgen in Frage kamen, hatte Nieseneck's Erscheinen keine Bedeutung sür ihn. Er fürchtete nur die moralische Seite des Ereignisses und am meisten die Möglichkeit des Zwanges, Klara von der Existenz seines ehrvergessenen Bruders Mittheilung zu machen. Die Zeitungen, daS wußte er, würden über Rieseneck'S Ver such, die Begnadigung zu erlangen, berichten, und eö war nicht unwahrscheinlich, daß sich irgend ein Journalist der Verwandtschaft des Verbannten mit Greifenstein erinnerte. Der Gedanke, in solcher Weise in öffentlichen Blättern er wähnt zu werden, war ihm entsetzlich. Die Existenz seines Bruders war für ihn ein dunkler Punct, der seine eigene, sonst so fleckenlose Ehre verunglimpfte. Er schätzte die Familienehre, die durch Jahrhunderte rein erhalten worden war, höher als alles Andere auf Erden. In volkreichen Städten haben die Menschen anderes zu thun, als an so ideale Güter ru denken und sie zu hüten. Ein Nachbar, ein Freund, ein Verwandter verfällt der Schande, sie verweilen einen Augenblick dabei, dann wenden sie sich nut der durch die Erfahrung gewonnenen Gewißheit davon ab, daß die Welt alles bald vergessen haben wird und ihres Bruders Schmach sie nichts angeht. Männer wie Greifenstein, die seit vielen Jahren abgeschieden von der Welt leben, be trachten diese Dinge anders als die Städter. Je weniger sie zu thun haben, desto mehr denken sie an die Geschichte ihres Hauses, desto größer ist ihr Stolz, wenn sie sich in die Biographie ihres Geschlechtes vertiefen. Eine Art mittelalterlichen Zwielichts breitet sich über ihre letzten Jahre und vor ihrer Seele steigen heraldische Visionen auf, sie brüten in düsterem Unmuth über die bösen Thaten längst verstorbener Ahnen und ihr Gesicht verklärt sich, wenn sie der Vorväter gedenken, die ihr Blut in den Kreuz zügen verspritzten. Rieseneck, ein Verräther an seinem Vaterlande, verurtheilt vom Gesetz, ein Flüchtling und öffentlich gebrandmarkt, war im Begriff, da« Heiligthum seine- Bruder- zu betreten, für einige Stunden wenigstens sollte er unter dem Dache weilen, das so theure Erinnerungen beherbergte. Schlimmer als das, sein fluchwürdiger Name sollte in den Tagesblättern mit Hugo von Greifenstein'- in Verbindung gebracht werden. In der Schätzung deS eisengrauen Manne», der feine Pfeife feierlich rauchend vor dem Kaminfeuer faß und jeden Nerv spannt», um sein« g««ilhulich, Fassung s«Üst i»
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