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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.05.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970526029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897052602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897052602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-26
- Monat1897-05
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Die Motgen-Au-gab« erscheint um '/,? Uhr. die Abrnd-Autgabe Wochentag- um 5 Uhr. Redacliou und Lrpeditio«: Iohanne»«afie 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen «e-ffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uh«. Filialen: Dtt« Klemm'- Lortiui. (Alfred Hahn), Universität-strab« 3 (Pautiuum), Lo»t» Lösche. Kathartttenstr. 14, pari, und Königsplatz 7. Vezug-Prei- A d» -«»ptqpeditio» oder den i« Gt-d»« bezirk «ad den »«orte« errichteten Ans- aabestellkn ahgehelt: vierteljährlich^4.bO, vei zweimaliger »glichet Zustellung ins Hav» ^l ü.üv. Durch di« Post bezogen für Leutschlend und Oesterreich: vierteljährlich ^l L—. Direet« tägliche Krenzbandiendung M Amtland: monattich ^l 7.ÜO. Abend-Ausgabe. MWgrr TagMatt Anzeiger. Ämlsksalt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. AnzeigenPrei- die S gespaltene Petitzeile LS Neclamen unter dem Redartion-strich (44a» spalten) üO^4, vor d«n Aamilieanachrichten (6 gespalten) 40/ch. Größere Schriften laut unser«« Pr*iS- vrrzeichaih. Tabellarisch«» und Atffernfa^ »ach höhnem Tarif. Extra-Veilagen (gefalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderunu 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß sSr Anzeigen: Abrud-Au-gab«: Bormittag- 10 Uhr. SHorgen-Au-gabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je »kn« halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. . -- -- ... ... 2«6. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. Mai. Die zweite Lesung der Handwertsvorlage im Reichs tage konnte doch noch zu Ende geführt werden, allerdings nicht, ohne daß die Mehrheit ein gut Theil der die Regierungs vorlage im zünftleriscben Sinne verschärfenden CommissionS- beschlüsse fallen lassen mußte. Die wichtigste der preis gegebenen Bestimmungen ist die, welche von l905 ab das Recht zur Lehrlingshaltung an den Befähigungsnachweis knüpfen wollte. Centrum und Conservative fielen hier um. Um das Brod der Agitation nicht auSgehen zu lassen, ist eine Resolution eingebracht worden, die aber so hübsch zweideutig gefaßt ist, daß Anhänger des Befähigungsnach weises für das Baugewerbe, die nickt recht zuseben, dafür eingenommen werden können. Der Reichstag war gestern hochgradig beschlußfähig, er stieg einmal bis zu einer Frequenz von 208. Aber die Mebrheitsparteien für die Handwerks vorlage, die noch die dritte Lesung zu passiren bat, scheinen sich an der äußersten Grenze ihrer Leistungsfähigkeit zu sehen. So wenigstens erklären wir den Beschluß des Seniorcn- Conventes, beute eine Vertagung bis zum 22. Juni ein treten zu lassen. Was sonst noch etwa hinter dieser höchst befremdlichen Disposition steckt, wissen wir nicht. Tie Anträge der Freiconservativen zur prcutzischen VcrrinSacsctznovelle haben wir im Morgenblatle mttgelhnit. Einer näheren Erörterung bedürfen dieselben nicht, denn selbst das Organ dieser Partei, die „Post", setzt mit Bestimmtheit voraus, daß sie keine Mehrheil im Abgeordnetenhause finden Werten. Die Anträge seien, so wird hinzugefügt, eingebracht worden, um den Standpunct der Freiconservativen klar und deutlich zum Ausdrucke zu bringen. Zu diesem Endzweck hätte man aber den schwerfälligen und zeitraubenden Apparat von Anträgen nicht aufzubringen brauchen; eine klare und deutliche Erklärung, wie sie übrigens Herr v. Zedlitz schon in der Commission abgegeben, hätte genügt. Daß ein preußisches Socialistengesetz, als welche« auf dem Gebiete des Vereins- und VersammlungsrechtrS die Art. I und III der freiconservativen Fassung sich geben, ein Unding wäre, ist communw opiuia. Daß ein Ausnahmegesetz überhaupt nur von der Regierung, die damit ihre Ucberzeugung von der Notbwendigkeit bekundet, eingebrackt werden kann, braucht gleichfalls nicht näher dargelegt zu werden. Nur die Re gierung ist im Besitze des Materials, das dem Gesetzgeber als Unterlage dienen kann. Man sage nicht, die freiconservalivrn Anträge seien Abänderungsanträge; das sind sie nur der parla mentarischen Form nach. IbrIn halt aber charakterisirtsie als etwas von der Regierungsvorlage Abweichendes. Auf dem Schwerinswege kann man solche Tinge nicht erledigen, deshalb sollte man sie auch nicht auf diesem Wege beginnen. Man darf begierig sein, wie sich die Regierung zu den Anträgen stellen wird. Nicht der Sache wegen; denn sie mag erklären, was sie will, es kann an dem Schicksale der Socialisten-Bestimmungen nichts ändern. Aber da der preußische Ministerpräsident zugleich deutscher Reichskanzler ist, so sind wir gespannt, ob er das politisch wie praktisch Unzulässige des Versuchs, derartige Materien von der Reichsgesetzgebung weg- und der Particulargesetzgebung zu- zuschicben, betonen wird. Auf große Entschiedenheit der Zurückweisung wird man aber keinesfalls rechnen dürfen. Die ist überhaupt nickt Brauch, und es muß anerkannt werden: auch die publicistische Vertretung ihrer eigenen Vor lage ist wie erwünscht matt. Die „Nordd. AUg. Ztg." Mittwoch den I 1 . .1 «W bringt täglich ihren Leitartikel. Aber die Klaue des Löwen, der sie schreibt, erkennt man an einer Stelle des letzten Ergusses, welche lautet: „Erfreulicher Weise mehren sich (!) auch im nationalliberalen Lager die Stimmen, welche den löblichen Zweck der Novelle ohne Vorbehalt anerkennen und ihren Forderungen mit wohlwollender Prüfung gegenübergetreten." Beweis: ein einziges Blatt, das sich selbst und das die Gegner der Partei nationallibcral nennen, das aber von nationalliberaler Seite schon lange nickt dafür angesehen wird, ergeht sich in gehässigen Ausfällen gegen die preußische nationalliberale Landtagssraclion. Dürfte das Blatt aber — es ist die „Rhein.-Westf. Ztg." — wirklich der nationalliberalen Presse zugerechnet werden, so würde die „Nordd Allg.Z."von einer „Mehrung" nur mit demselben Rechte s rechen können, mit dem ein preußisches Krcisblatt behauptet, niema - sei eine Opposition durch die Regierung so wirksam widerlegt und in Verlegenheit gesetzt worden, wie die Gegner des Geietzes im Abgeordnetenhanse durch Herrn v. d. Recke. Das ist wirklich geschrieben und gedruckt worden. Wenn wir uns die Zählweise der „Nordd. Allg. Ztg." aneignen wollten, könnten wir — und zwar obne den Conservativen Leute zuzurechnen, die nickt zu ihnen gehören — sagen, die Fälle aktiven conservativen Widerstandes gegen die Vorlage — passiver wird von der conservativen Presse hinreichend ge leistet — „mehrten" sich. Im conservativen Vereine des an Berlin grenzenden Wahlkreises Teltow-Cbarlottenburg ist die Haltung der Fraktion vorgestern scharf vcrurtheilt und dem LandtagSabgeordncten Ring eine böse Stunde bereitet worden. Merkwürdiger, aber vielleicht nicht zufälliger Weise wird darüber auch in einem Kreisblatte berichtet. AuS Pari« wird gemeldet: Englaud habe von Lcheikt Taiü Besitz ergriffen, und Frankreich habe gegen dies« Besitzergreifung in London und Konstantinopel Einspruch er hoben. Bestätigt sich diese Meldung, so darf man sich auf einen Krieg zwischen England und Frankreich gefaßt machen, einen Krieg, in dem freilich kein Blut, aber sehr viel Tinte vergossen werden wird. Sckeikh Said liegt gegenüber der englischen Insel Perirn, die eS durch seine höhere Lage militairisch beherrscht, an dem Südwestzipfel Arabiens, und soll, wenn es entsprechend befestigt wird, geeignet sein, den Schlüssel zu der Straße vonBab-el-Mandeb und zum Rothen Meere zu bilden. Es würde außerdem im Besitze einer Culturmacht eine beträchtliche handelspolitische Bedeutung gewinnen, weil es dann den Handel des Kaffee bauenden Hinterlandes auf sich zu ziehen im Stande wäre. Wem gehört nun Scheikh Said? Die besten und historisch be gründeten Besitzrechte auf diesen jetzt umstrittenen Erdcnfleck kann offenbar die Türkei geltend machen. Nächst ihr be gründet Frankreich seine Ansprüche damit, daß Scheikh Said und 42 üm Küstengebiet am 1. Oktober 1868 von einer Gruppe fran zösischer HandelSunternebmcr aus Marseille von dem damaligen Besitzer, dem Scheich Ali-Tabatt-Durcin käuflich erworben worden sei, indessen fragt eS sich, ob dieser Herr zur Veräußerung des Gebietes berechtigt war und ob selbst dann die Besitz rechte nicht dadurch erloschen sind, daß die effektive Besetzung auf gegeben und der Ort ein paar Jahre später verlassen wurde. Thatsächlich hat Frankreich seitdem Ansprüche aus Scheikh Said erhoben und geltend gemacht, ohne daß es sich jedoch bis jetzt trotz der Mahnungen des Colonialeiferers Deloncle, der l884 den Ort besuchte, zu einer tbatsäcklichen Besetzung entschlossen hätte. Hat nun England sich mit der Türkei in Verbindung gesetzt und sich dafür, daß eS vorsichtiger Weise nicht für Griechenland in- Feld gerückt ist, Scheikh Said als 26. Mai 1897. Abschlagszahlung anShändigen lassen? Oder hat eS den Zeit punkt, da die Türkei in Griechenland vollauf beschäftigt ist, benutzt, um ein Stück ihres Gebietes ungestört abzuschneiden? Das wäre geradezu ein Hohn auf den Grundsatz von der Unantastbarkeit türkischen Gebietes, den das europäische Concert und in ihm auch England vertritt, eine Nachahmung des allseitig verurtheiltcn Handstreicks der Griechen auf Kreta. Vielleicht hat aber England den Flecken für eine res nullius gehalten und sich beeilt, wie einst auf Perim, auch hier den Franzosen den Bissen wegzuschnappen. Jedenfalls wird Herr Deloncle, wenn die Meldung nicht alsbald widerrufen wird, Gelegenheit nehmen, die Regierung in der Kammer darüber zur Rede zu stellen, was aus seinem Schmerzenskind an der Straße von Bab-el-Mandeb geworden ist. DaS inncrpolitische TageSereigniß in England bildet das kürzlich vom Minister für Irland, Gerald Balfour, im Unterhause entwickelte und sehr günstig ausgenommen- irische Programm — „ Torzc - Üoms - Rule wie die „Daily NewS" sagen — dessen Inhalt im Wesentlichen solgender ist: Die Negierung legt in der nächsten Session ein Local-Verwaltungsgesetz für Irland vor, welches die Grafschafts- und Armenpflege - Verwaltung auf eine breite volksthümliche Grundlage stellt. Die Landlords und die Pächter tragen jetzt, Beide zur Hälfte, die Armen steuer, und die Pächter haben dazu noch die ganze Graf- schaftssteuer zu bezahlen. Den Grundbesitzern soll nun in Zukunst das Reich die ganze Steuerhälste, den Pächtern ihre Armensteuerbälfte zu halb und die Hälfte der Graf schaftssteuer abnehmen, so daß die Pächter nur noch ein Viertel der Armen- und die halbe GrafscbaftSsteuer zu tragen hätten. Die Blätter erklären diese Vorschläge für eine bedeutungsvolle Acnderung der irischen Verwaltungs- Politik und zollen denselben einstimmig Anerkennung. Selbst die extremsten Organe der Irländer, das „Free- mans Journal" und der „Daily Expreß", finden wenig daran auSzujetzen, vorausgesetzt, daß die Regierung ihr Wort halte. Der Plan soll vorher einigen einflußreichen irischen Grundbesitzern, sowie Healy und anderen Führern vertraulich mitgetheilt worden sein. Die Anti-Parnelliten-Partei ist zusammengetreten, um die Vorschläge eingehend zu prüfen. Gladstone's Home-Nule für Irland hat sich als unerfüllbar erwiesen, und die vor einigen Monaten ausgebrochene Be wegung auf Verminderung deS irischen Steuerbeitrazes zu den Reichslasten ist im Sande verlaufen, da können dann die Irländer nichts Besseres thun, als nach Balfour'S Vor schlägen greifen, welche, wie die „Pall Mall Gazette" meint, die irische Unzufriedenheit an der Wurzel fasten, ohne alt begründete Rechte anzutasten. Mit hoffender Geduld harrt Europa der Dinge, die sich aus der vermittelnden Tbätigkeit der Mächte in Sachen der Lrtenttrtfe entwickeln sollen. Der Telegraph ermüdet nicht in täglicher Berichterstattung, doch erhält man auS seinen Mittheilungen eher den Eindruck, daß die Schwierigkeiten, an deren Ueberwindunz die Diplomatie arbeitet, zu nehmen, als daß daS Vermittelungswerk Fortschritte macht. Man ist noch bei den allerersten Präliminarien, und wenn das künftige EntwickelungStempo kein rascheres wird, so dürfte der fünfzehntägige Waffenstillstand abgelaufen fein, ehe noch ein Ausgangspunkt für gemeinsame Verständigung gefunden ist. Alsdann müßte eine Verlängerung der Waffen ruhe eintreten, und es kann sein, daß dieser woclus vrocs- clsucli noch mehrmalige Wiederholungen erfahren muß, da, 91. Jahrgang. wie gesagt, die Sprödigkeit der Materie einem raschen Fort gang der Friedensvermittelung wenig Aussichten eröffnet. Möglich ist auch, daß die Türken ohne Weiteres auf Athen marschiren, doch haben wir schon das Bedenkliche dieses Schrittes hervorgehoben. In Betracht kommen dreierlei Hemniungseinflüsse; dieselben gehen einmal von der türkischen Militairpartei, dann von den griechischen Politikern und endlich von den in Philhellenismus arbeitenden oppositionellen Strömungen des westmächtlichen Parlamentarismus auS. Daneben her läuft die antidynastische Bewegung in Athen, die augenscheinlich enge Fühlung mit den internationalen Revolutionsconventikeln auf italienischem und französischem Boden unterhält, sowie die aus verschiedenen osficiellen Canälen gespeiste kretische Intrigue, die in ein eigenartiges Lickt gerückt ist durch den Eifer,mit dem der englische Admiral sich die Ver pflegung der von Insurgenten bedrängten und in die Küstenstädte getriebenen mohamedanischen Flüchtlinge angelegen sein läßt. Die Haltung der griechischen Regierung will ebenfalls durchaus nicht dem Bilde entsprechen, das der landläufigen Vorstellung von dem Gemüthszustande des auS allen Himmeln seiner Siegeszuversicht gestürzten kriegsbankerotten Griechenland entsprechen würde. Herr Ralli führt eine Sprache, als wäre er sicher, daß ein Mächtiger hinter ihm stehe und ihm ver sprochen habe, unter allen Umständen dafür zu sorgen, daß Griechenland wegen seines verunglückten Kriegsabenteuers kein Haar gekrümmt werde. Es ist für den Fernstehenden schwer, ja unmöglich, alle diese einander widersprechenden Einzelmomente zu einem harmonischen Gcsammtbilde zusanimenzufassen; eher empfängt er den Eindruck, daß die europäische Diplomatie sich noch nicht schlüssig geworden ist, wo sie eigentlich den Hebel wirksam einsetzen kann, und daß sie, in Erwartung irgend einer glücklichen Inspiration, die Zwischenzeit mit formalem Kleinkram ausfüllt. Der angeblich von deutscher Seite gemachte Vorschlag, nicht eher bei der Pforte zu Gunsten Griechenlands vorstellig zu werden, al» bi- dieses die reducirtcn Friedensbedingungen angenommen habe, scheint nicht durchgedrungen zu sein, denn sonst würden die Bot schafter in Konstantinopel nicht gestern der Pforte die Fricdensvorschläge der Mächte ossiciell unterbreitet haben. Deutsches Reich. * Leipzig, 26. Mai. Der vereinigte zweite und dritte Strafsenat des Reichsgerichts fällte heute in dem Spionageproceß gegen Fahr in und Albrecht das Urtheil. Danach wurde Schachtmeister Fahrin zu 4 Jahren Zucht haus und 10 Jahren Ehrverlust, sowie zur Stellung unter Polizeiaufsicht verurtheilt und zwar wegen Vergehens gegen tz 2, Verbrechens gegen § 1 und versuchten Verbrechens gegen tz 3 deS SpionagezesetzeS. Der frühere Hilssgerichtöviener Albrecht wurde wegen Bei hilfe znm Vergehen gegen tz 2 des genannten Gesetzes zu 6 Monaten Gesänzniß verurtheilt. Es handelte sich bei diesem Proceß um die Uebermittelung geheim zu haltender Nach richten über Thorner Bejestigungsverhältnisse an die russische Negierung. -2- Leipzig, 25. Mai. Anknüpsend an eine Berichtigung, die Herr Generalsecretair Breitbaupt der „Deutschen Tageszeitung" zuzusenden genöthigt war, theilt genanntes Blatt mit, daß für den 4. Leipziger Wahlkreis eia Hand werker als konservativer Candidat aufgestellt werden solle. Das ist neu, denn bisher war nach einer Meldung des „Vaterlands" lediglich bekannt, daß ein Hand werker aufgestellt werden sollte. Damit hätte sich die Feuilleton. Iwei Frauen. 13) Roman von F. Marion-Trawsorb. Nachdruck »erröten. „Ich weiß. Ein wenig Blei am rechten Ort. Und den noch lebte ich, lebe ich noch. Weshalb? Ich weiß es nicht. Ich glaubte an die Revolution, obgleich meine Frau mir erst den Glauben an sie und ihre glückverheißende Zukunft auf gezwungen hatte, und ich fuhr fort, an die allein seligmackende Republik zu glauben, lange nachdem ich mich schon in Süd amerika niedergelassen halte. Und al« ich aufgehört hatte, an sie zu glauben, kümmerte sich Niemand mehr darum, ob ich lebte oder gestorben war. Endlich kam diese Hoffnung und diese niederschmetternde Vernichtung aller meiner Luft schlösser. Jetzt wäre ich beinahe in der Stimmung, da- Versäumte nachzuholen." Greifenstein betrachtete ihn einen Augenblick neugierig, erhob sich und ging langsam zu einem riesigen Schrank, der zwischen den Fenstern staud. Er brachte einen polirten Mahagonikasten zurück und stellte ihn neben seinem Bruder aus den Tisch. Nieseneck wußte sehr gut, waS Hugo von Greifenstein meinte, aber er blieb unbewegt und zuckte mit keiner Wimper. Er öffnete im Gegentheil den Kasten mit einer verblüffenden Ruhe, blickte die schöne Waffe an, die geladen und zum Ge brauch bereit auf ihrer Unterlage von grünem Tuche ruhte, nahm sie heraus und legte sie vor sich auf den Tisch. „Jetzt nicht", sagte «r ruhig. „Ich bin in Deinem Hause und Du währest genötbigt, meine Identität zu er klären. Die Sache würde Aussehen erregen, deshalb unter lasse ich sie zunächst." „Du thätest gut, den Revolver in Deine Tasche zu stecken", antwortete Greifenstein grimmig, aber ohne eine Spur von Lieblosigkeit in der Stimme. „ES wird Dir vielleicht an- genebm sein, ihn bei Dir zu haben." Rieseneck sah seinen Bruder einige Sekunden schweigend an, dann nahm er die Pistole noch einmal in die Hand. „Soll e« ein Geschenk sein?" fragte er. „Ja." »Ich danke Dir." Er prüfte den Revolver aufmerksam und steckte ihn dann in die Brusttasche. „Ich danke Dir", wiederholte er, „ich besitze keinen." Greifenstein fragte sich, ob sein Bruder den Muth haben würde, nach dem empfangenen Wink zu handeln. Er selbst würde sich in einem solchen Falle längst da» Leben genommen haben, und er begriff nicht, daß rin Mensch zögern konnte, dem sein Weg so klar vorgezeichnet war. Als ob nichts Un gewöhnliche» geschehen wäre, kehrte er zu seinem Seltal zurück und wie, um die Unterhaltung auf andere Gegenstände zu lenken, begann er von seinen Plänen für den nächsten Tag zu sprechen. Er glaubte nicht an seines Bruder» Ab sicht, sich zu tödten, aber als ehrenhafter Mann glaubte er nach bester Einsicht seine Pflicht gethan zu haben, al- er ihm die Waffe gab. „Wir können eine lange Strecke reiten", sc^te er, „und dann unseren Weg zu Fuß fortsetzen. Wenn Du erst bis zum See gekommen bist, findest Du leicht ein Boot, da- Dich übersetzen wird." „Es wird genügen, wenn Du mir den Weg zeigst", ant wortete Rieseneck zerstreut. „Du bist sehr gütig." ,,Wa« ich thur, liegt in meinem eigenen Interesse", rief Greifenstein, ärgerlich darüber, daß seine Gefühle mißdeutet werden könnten. Bon den Beiden war Rieseneck der weniger Bedrückte. Sein Gemüth war durch di« jüngst erfahren« Enttäuschung etwa» au« dem Gleichgewicht gebracht und seine Aufmerk samkeit mehr sich selbst rugrwendrt, al» den Personen und Dingen, die er sah. Wahrend de» größeren Theil» seines Lebens hatte er von seinem scharfen Verstände in dem Ver kehr mit der Welt Gebrauch gemacht, und in anderen Ver hältnissen würde er aller Wahrscheinlichkeit nach nicht unter lassen haben, sich Vie erdenklichste Mühe zu geben, seines Bruder» Sympathie zu gewinnen. Aber die Zurückweisung seine» Gnadengesuche», auf dessen Gewährung er mit so großer Bestimmtheit gerechnet hatte, war sür ihn rin fast vernichtender Schlag gewesen. Tief in seiner Natur, gab eS wenigsten» «ine aufrichtige sckätzrnSwerthe Eigenschaft, die lcidenfchastliche Liebe sür da» Land seiner Geburt. Sie war durch den Einfluß einer anderen starken Neigung, der Liebe zu seiner Frau, in eine falsche Richtung abgelenkt worden, und gerade die Stärke seiner Vaterlandsliebe wurde in ihrer Mißleitung zur Hauptursache seine» Verderben«. Vierzig Jahre der Verbannung aber hatten in ibm allen Glauben an daS Partcigetriede oder die heilsame Wirkung der revo- lutionairrn Veränderungen zerstört und in ihm war nicht zurückgeblieben, als die ursprüngliche Liebe zu seinem Vater land um seiner selbst willen, so wie es war oder wie es sich gestalten mochte. Die Zeit hatte jeden Haß in ihm gemildert und einen Mantel über seine eigene Schmach gebreitet, während sie die geliebte Nation unter allen Nationen der Erde erhöbt hatte. Deutschland- Siege, Deutschlands Ein heit, der Ruhm seine- kaiserlichen Geschlecht-, der Stolz auf seinen eisernen Reichskanzler, die ungezählten Möglichkeiten seiner glanzvollen Zukunft, Alle» gehörte ihm von rechts- wegrn wie jedem geborenen Deutschen; aber er durfte seinen Antheil daran nicht nehmen. So hatte er denn immer leb hafter davon geträumt, zurückzukehren und wäre eS auch nur, um unter einem unbekannten Namen an irgend einem ruhigen Ort zu leben und fühlen zu dürfen, daß er doch auch zu diesem Lande gehörte. Sein Gesuch war abgewiesen worden mit der Begründung, daß er nicht zu den politischen Verbrechern gehöre, daß er sich gegen die Militairgesetze vergangen hätte. Bon jenen unbeugsamen Grundsätzen, durch die Deutschland zu seiner hohen Stellung ausgestiegen war, wurde nicht um eines Haaresbreite abgewichen, trotz allen Bittens und FleleiS eines ManneS, der, obwohl er nun schon alt und gebrochen, harmlos und vielleicht bemitleidenSwerth war, sich einst eines schnöden Treubruch- schuldig gemacht. DaS Gesetz war für Jung und Alt gleich, unabänderlich gerecht und erbarmungslos gewissenhaft. Rieseneck hatte an der einen zart empfindenden Stelle, die in seinem Herzen geblieben war, gelitten, und die empfangene Wunde seine GefüblSfähigkeit in allen anderen Beziehungen ertödtet. Er würde kaum von seiner ver storbenen Frau gesprochen haben, wie er es that, wenn er sich vollkommen vergegenwärtigt hätte, wie sein Bruder über ihn denken mußte. Die Leiden der letzten Wochen hatten alte Erinnerungen in ihm erweckt, und fast gegen seinen Willen sprach er auS, was sein Gemüth beschäftigte. Er saß schweigend am Tisch und rauchte seine Cigarre zu Ende. Als er den Stummel wegwarf, sah Greifenstein nach der Uhr und legte seine Pfeife nieder. „In einer Viertelstunde gehen wir zu Tisch", bemerkte er, sich erbebend. Auch Rieseneck stand auf und hielt seine breiten mageren Hände gegen die lodernden Flammen. „Hier ist ein Zimmer, da- für Dick sehr günstig gelegen ist", sagte Greifenstein, eine Thür öffnend, um ihm den Weg zu zeigen. Er zündete die Kerzen auf dem Wasch- tisch an und wendete sich mit einer einladenden Bewegung an seinen Bruder. Rieseneck sah ibn mit einem seltsamen Ausdruck an, den Greifenstein sich nicht zu deuten wußte. Der Haß und die Eifersucht des Verbannten waren plötzlich in seiner Seele erwacht. Während der letzten Stunde hatte er kaum daran gedacht, wo er sich befand, jetzt erst machte er sich klar, wie viel er verwirkt hatte. Er sah seinen Bruder reich, ehrenhaft, geachtet, im Schloß seiner Ahnen, in seinem eigenen Lande, und in dem unantastbaren Recht, sich all dieser Güter zu erfreuen. Mit Bitterkeit dachte er an sein eigenes schönes Heim in Chili, denn seine Unter nehmungen in der Verbannung waren ihm alle geglückt und er hatte in fürstlicher Weise gelebt. Er hatte nichts vermißt al« das Recht, sich auf deutschem Boden niederzulassen, uns weil daS für ibn unerreichbar war, beneidete er seinen Bruder von ganzem Herzen. „Du wirst das Zimmer ganz paffend für Dich finden", bemerkte Greifenstein. „Du kannst die Thür verschließen und wenn die Polizei hierher kommen und nach Dir suchen sollte, brauchst Du Dich nur durch diesen Schrank zu entfernen, in dessen Rückwand eine Thür eingelassen ist. Siehl" Er öffnete daS Getäfel mit einem Ruck und leuchtete in den dunkeln Weg, der sich hinter der Tbürfüllung aufthat. „Wohin führt das?" erkundigte sich Rieseneck. „In rin kleines Zimmer mitten in der Maner. Von dort führt eine Wendeltreppe in einen schmalen Gang. Folge ibm, und Du kommst in den Hungerthurm." Greifenstein schloß das Getäfel wieder und ließ seinen Bruder allein. Dieser nahm sich vor, ehe er sich zur Ruhe begeben würde, den alten Durchgang bis ans Ende zu unter suchen, um sich zu vergewissern, ob Greifenstein ihn nicht etwa in eine Falle locken wolle. Vorher hatte er noch die Feuerprobe der Mahlzeit zu bestehen, bei der ihm die Rolle eines harmlosen Gaste» zu spielen auferlegt war, damit Greifenstein s Frau keinen Verdacht schöpfe. Er war neu gierig, was für eine Person er in ihr vor sich haben würde, und ob sie etwa- von seiner Existenz wisse. Greifenstein war so vorsichtig, seiner Frau melden zu lassen, daß ein Besuch nn Schlosse angekommen sei. Er fürchtete, da« plötzliche Erscheinen eine- Fremden könnte sie bei ihrem nervösen Zustand aufregen, und obgleich er den Gedanken längst ausgeacbcu hatte, daß sie etwa« von Rieseneck wisse, hielt er doch die Möglichkeit nickt sür ausgeschlossen, daß sie einander schon auS früherer Zeit kannten. Selbst in diesem äußersten Falle konnte er nicht glauben, sie würd«
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