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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.05.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189705273
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18970527
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18970527
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-27
- Monat1897-05
- Jahr1897
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.05.1897
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Größere Schristen laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Ziffernsatz - - ' nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit bet Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördrrung 60.—, mit Postbeförderuug 70.—. Ännahmeschlvß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an di« Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Donnerstag den 27. Mai 1897. 91. Jahrgang. Eine Wirkung -er türkischen Erfolge. Nachdruck »erbeten. B Man schreibt unS: Es ist eine altbekannte Thatsache, daß die mohammedanischen Völkerschaften zwar keinen poli tischen Zusammenhang mehr haben, daß sie aber dock noch ein so starke- Gemeinsamkeitsgefühl besitzen, daß jeder Erfolg eine» mohammedanischen Volkes anregend und aufregend auf die anderen Völker einwirkt. Vielleicht trug auch dieser Um stand dazu bei, daß die Franzosen ein möglichst rasches Ende de- griechisch-türkischen Krieges herbeisehnten, bevor noch die Türken gar zu viel Siege errangen und dadurch anderen mohammedanischen Völkern den Kopf erhitzten. Trotz der kurzen Dauer des Kampfes hat sich aber diese Wirkung nicht ganz hintanhalten lassen. Vor einiger Zeit schon wurde gemeldet, daß von Mohammedanern in Tunesien Ausschreitungen verübt worden wären; dann kam die Nach richt, daß sick in Kabylien eine Gäbrung bemerkbar mache; und nun wird berichtet, daß in der Provinz Oran arabische Banden auftauchten und Plünderungen versuchten, die aller dings zunächst lediglich gegen die jüdische Bevölkerung ge richtet wären. ES ist also im Osten, im Eentrum und auch im Westen deS französisches Besitzes in Nordasrika eine ge wisse Gährung unter der mohammedanischen Bevölkerung vorhanden. Wer die Zustände in den von den Franzosen besetzten Theilen Nordasrika» kennt, weiß, daß die türkiscken Erfolge nur den Anlaß zur Erregung der mohammedanischen Be völkerung darstellen, nicht aber der Grund der eigentlichen Erregung sind. Auch die Ausschreitungen, deren sich die Juden in Oran gegen antisemitische Radler schuldig gemacht haben, können nicht den Grund abgebrn. Die Radfahrer waren Franzosen, nicht Araber, und außerdem ist das Verhältniß zwischen Arabern und Juden nicht mehr so schlecht, wie beim Beginne der Occupation Algeriens durch die Franzosen. Damals wurden die Juden von der französischen Regierung den Arob-rn gegenüber in jeder Weise begÄistigt. Jetzt herrscht in Algerien ein recht starker Antisemitismus, der das Verhältniß zwischen den Juden, insbesondere den niederen Schichten der jüdischen Bevölkerung, und den Franzosen ge trübt und zu einer Besserung des Verhältnisses zwischen Juden und Arabern geführt bat, die sich Beide von der französischen Bevölkerung bedrückt glaubten. Denn in dieser Bedrückung durch die Franzosen liegt der wahre Grund der Erregung der Araber, die sich nur scheinbar gegen die Juden kehrt, in Wahrheit aber gegen die Nichtaraber, d. h. die Franzosen gerichtet ist, gegen welche sehr bald fanatische Aussckreilungen folgen dürften. Nur durch die rücksichtslosen Maßregeln, die sie anwenden, ist eS den Franzosen gelungen, allgemeine blutige Auf stände hintanzuhalten. So ist es den Kabylen strenge verboten, Waffen zu besitzen, und wenn der kabylische I Hirte von einem wilden Thiere angegriffen wird, mag > er sich mit seinem Stocke schützen. Diese Vorsichtsmaßregel ist allerdings vom Standpunkte der Franzosen aus sehr praktisch, aber es ist erklärlich, daß die Eingeborenen dadurch erbittert werden. Dazu kommt, daß die französischen Macht haber einen Theil der Eingeborenen ihres Grundbesitzes be raubt haben und daß sie Vorschriften erlassen haben, die den Eingeborenen die Viehzucht, von denen ein großer Tbeil von ihnen lebt, erschweren. So darf z. B. das Vieh bei schwerer Strafe nicht in die Wälder getrieben werden, wodurch die Eingeborenen in der heißen Zeit, wo jederjHalm verdorrt ist, zur Verzweiflung gebracht werden. An Gährungsstoff fehlt eS also den Arabern in Algerien nie. Durch Waldbrände, Morde gegen einzelne Europäer und durch Verwüstung von Weingärten und Feldern suchen sie sich gelegentlich für die ihnen widerfahrene Unbill zu rächen. Geräth aber ihr Blut durch die Hoffnung auf eine Neubelebung deS MoSlemiSmus in Wallung, so ist eS sehr wohl möglich, daß sie sich nicht mit diesen kleinen Rache acten begnügen, sondern einmal einen Versuch machen, sich ihrer Peiniger zu entledigen. Den 20 000 Juden in der Provinz Oran stehen mehr als 700 000 Araber gegenüber, denen es natürlich ein Leichtes wäre, mit den Juden und später auch mit den 80 000 Fran zosen fertig zu werden, wenn sie nicht durch daS Militair im Zaume gehalten werden. Nun trifft eS sich für die Franzosen sehr ungünstig, daß gerade der östlicke und mittlere Tdeil der Provinz Oran z. Z. von Truppen entblößt sind, weil diese Truppen erst vor kurzer Zeit nach Westen gegen die marok kanische Grenze hin vorgeschoben wurden. So kam es, daß z. B. bei den in Sibi bel Abbes ausgebrochencn Unruhen Militair von außerhalb requirirt werden mußte, während sonst dieser Ort etne sehr starke Garnison hat. Es kann nun freilich den Franzosen nicht sehr schwer fallen, entweder die an der marokkanischen Grenze befindlichen Truppen binnen kurzer Frist wieder iu ibre alte Garnison zurückzudirigirrn, oder aber auS den Provinzen Algier und Constantine Truppen nach der Provinr Oran zu schaffen. Beides aber ist ihnen unbequem. Die Zurückziehung der Truppen an der marok kanischen Grenze würde die gegen Marokko gerichteten Pläne vertagen, und die Heranziehung von Truppen aus den anderen Provinzen ist deshalb bedenklich, weil Vie Möglichkeit des Ausbruchs von Unruhen auch in diesen Provinzen vorliegt. Speciell in der Provinz Constantine, wo das Uebergewicht der Eingeborenen über die europäische Bevölkerung am stärksten ist, haben wir seiner Zeit die wenigst freundliche Gesinnung der Araber gegen die Franzosen wahrgenommen. Weil ihnen also der Ausstand gerade jetzt sehr unbequem ist, suchen die französischen Behörden in der Provinz Oran die Araber möglichst durch Güte wieder zur Ruhe zurückzusühren. Sie gehen dabei so weit, daß sich schon trotz des Ernstes der Lage die alle Zeit spottlustigen französischen Blätter darüber lustig zu machen beginnen. Nehmen die Ausschreitungen der Araber aber zu, so wird zweifellos von dem französischen Gouvernement nicht blos mit Strenge, sondern mit jener Brutalität vorgegangen werden, die die Franzosen gerade in Algerien schon oft genug bewiesen haben und die sie eben bei den Arabern so verhaßt gemacht bat. Daß eS den Franzosen gelingen würde, auch den umfassendsten Aufstand niederzu werfen, daran kann kein Zweifel sein, denn binnen weniger Tage können sie von Südfrankreich aus bis in das Innere Algeriens eine beliebig große Zahl von Truppen hineinwerfen; daß aber immer wieder Unruhen vorkommen, nachdem die Franzosen seit nunmehr 70 Jahren Herren des Landes sind, ist kein sehr hervorragendes Zeugniß für die organisatorische Fähigkeit Frankreichs. Zwei Briefe Kaiser Wilhelm's I. an den Ataatsminister Vudolph v. Delbrück. Von den Briefen, die Kaiser Wilhelm an den Staats minister Delbrück gerichtet bat, sind die „Preuß. Jahrbücher" ermächtigt, die beiden nachfolgenden zu veröffentlichen. Sie sind beide ganz eigenhändig aus Octav-Briespapier ge schrieben und bedürfen keines weiteren Commentars, höchstens der Erinnerung, daß der Vater des Ministers, Friedrich Delbrück, der Erzieher der beiden älteren Söhne König Friedrich Wilhelm's III. war. Am l. Januar 1807, in Königsbergs kurz ehe die Fluckt weiter nach Memel ging, ernannte Friedrich Wilhelm III. seinen zweiten Sohn zum Officier; am 1. Januar 1877 feierte der Kaiser also sein siebzigjähriges Osficiers-Jubiläum. Zu diesem Tage batte ihm Rudolph Delbrück aus dem Tagebuch, daS sein Vater geführt, die auf jenen Act bezügliche Stelle ausgeschrieben und überreicht. Die Verlesung dieser Briefe bei der Feier deS achtzigsten Geburtstages des Adressaten im Kreise seiner Familie gab den Anstoß dazu, sie der Oefsentlichkeit nicht länger vorzu enthalten. I. Wiesbaden, 23. 4. 76. Sie können sich denken, wie unangenehm mich die erste Mit theilung des Frst. Bismarck über die Absicht Ihres dienstlichen Rücktrittes berührte, aber noch schmerzlicher ist mir nun des Fürsten Meldung, die durch Ihr Schreiben an mich leider bestätigt wird, daß alle Vorstellungen und Bitten, die Ihnen derselbe in meinem Auftrage vorhielt, Ihre Stellung noch beizubehalten, vergeblich ge- welen sind! Bei Ihrer großen Gewissenhaftigkeit muß ich freilich annehmen, daß es unübersteigliche Gründe sind, die Sie zu einem Entschluß brachten, der eine schwere Lücke in der Reichs-Admini stration erzeugt! Sie haben eine neu geschaffene Stellung selbst zur Gestaltung aus dem Chaos gerufen, und mit einem Geschick, die (das) die allgemeine Anerkennung findet und nicht anders zu erwarten war, nachdem Ihrer Amtsrhätigkeit em Europäischer Ruf schon vorausging. Wie ich Ihre Dienste so ost persönlich Gelegen- heil fand anzuerkennen, wissen Sie aus so vielen Augenblicken, die mich zum Ausspruch dieser Anerkennung berechtigten! Was bleibt mir nun also anders übrig, al» mit schwerem Herzen auf Ihre so feststehende Absicht einzugrhen? Die Wahl Ihres Nachfolgers, die Sie selbst voraeschlagen, hat sowohl meine als des Fürsten Bismarck Billigung gesunden. So entlasse ich Sie also aus Ihren Aemtern, die (denen) Sie mit so großer Aufopferung Ihrer geistigen und Körperkräste mit einer Auszeichnung vorstanden, wofür Ihnen Ihr eigenes Gewissen eine genugthuende Befriedigung gewähren muß, hier aber meinen königlichen und herzlichen Dank finden soll, den ich Ihnen mit ge rührter Stimmung ausspreche als Ihr dankbarer König Wilhelm. II. Berlin, den 29. December 1876. Empfangen Sie meinen aufrichtigsten Dank für Ihre gestrige Zusendung, die mir eine außerordentliche Freude gewährt hat. Die Auszeichnung Ihres Vaters, dem ich so unendlich viel verdanke Zeit meines Lebens, gerade in denen für mich so wichtigen und merk würdigen Jahrestagen zu lesen, sind mir unbeschreiblich interessant und lieb gewesen. Es war eine schwere und trübe Zeit, in der fast Alles für König und Land auf dem Spiele stand, als mein Königlicher Vater mich zum Osficier ernannte, natürlich zur über großen Ueberraschung, da ich dies Ereigniß erst zu meinem Geburts tag erwarten konnte und das Geheimniß so gut bewahrt wurde, daß ich keine Ahndung hatte, was mir bevorstand. ES war für mich eine unglaubliche Freude, Rock und Orden des König» anzu ziehen und, wie ich aus JhreS Vaters Auszeichnungen nun sehe, auch für Andere, auch außer meinen Eltern und Geschwistern, eine momentane Freude bei jo vielen Leiden! Erst in späteren Jahren erkannte ich so ganz die Bedeutung, die meinen Vater und König diesen Tag wählen ließ, mich in die Armee auszunehmen, der ich nun 70 Jahre angehöre! und welche Phasen habe ich durchlaufen?! Wer so wie ich durch Leid, Trübsal, Freude, Glück und Er hebung gegangen ist, wer kann dann mehr wie ich die Gnade de» Allmächtigen demüthig-dankbar anerkennen, der mich diese Wege führte nach Seinem Willen!! Nun nochmals meinen innigsten Dank für Ihre so sinnige Gabe, die Sie mir nur noch weither macht, aber auch das Ihnen nur zu bekannte — Bedauern erneuert! Ihr dankbarer König Wilhelm. Deutsches Reich. I-. Leipzig, 26. Mai. In dem LandeSverraths- proceß Fahrin, welcher, wie gemeldet, mit der Ber- urtbeilung des Schachtmeisters Fahrin'S zu vierjährigem Zuchthaus, zehn Jahren Ehrverlust und Zulässigkeit der Polizeiaufsicht, sowie des früheren HilfsgericktSdienerS Albrecht I zu sechs Monaten Gefängniß endete, ist Folgendes festgestellt z worden: Fahrin hat in Gemeinschaft mit Albrecht oder Himmelfahrtstag im Leben der Völker. Von Heinrich Geller. Nachdruck verboten. Kraftvoller mit jedem Tage sendet die Allmutter Sonne ihre Strahlen auf die aus dem Winterschlaf« erwachte Erde, Baum und Strauch schießen in Blüthe und fröhlich wächst das „männernährende" Korn empor. Aber eben jetzt sind auch die Gefahren für alles Wachöthum am größten: tödten- der Nachtfrost und verheerender Hagelschlag droht und fressendes Unkraut drängt sich zwischen die segensreichen Garben. Die üblen Geister sind eS, die diese schädlichen Gaben schicken, die mit den Hellen Göttern den ewigen Kampf um Gedeihen und Leben führen. Um diese Unholde zu be schwören, fanden sich in ihren Waldstätten die germanischen Männer zur Wallfahrt durch ibre Flur zusammen. Sie schmückten ihre Häuser mit den Abzeichen der freundlichen Götter, mit Blumen, Weiden oder den Birkenzweigen, die dem Thor geheiligt waren, sie trugen die heiligen Bilder mit sich und umwandelten betend und singend ibre Marken. Unter den uralten Gölterbäumen aber machten sie Halt, brachten Opfer dar und feierten ein Mahl. DaS war ein altes Maifest der Germanen. Ein Jnbelgruß an das neu erwachte Leben, ein Bittfest für alles Werdende und Reifende, ein Freudenfest inmitten der blühenden Früblingöpracht — daS waren die natürlichen Feste der Jahreszeit, wie wir sie als Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten noch heute begehen, und es war der natürliche Ausdruck schlichter menschlicher Empfindung. Das fühlten auch die GlaubenSboten, die daS Cbristen- tbum in die dunkeln Germanenwäldcr trugen; und deshalb zerstörten sie das Maifest der Germanen nicht, wie ihre Göttereichen, sondern verschmolzen eö in kluger Weise mit jenem Kirchenfeste, da- seit dem Ende des vierten oder Anfang de» fünften Jahrhunderts zum Gedächtnisse an Christi Himmelfahrt eingesetzt war. Auch dem Cbristentbum waren ja Processionen so wenig fremd, daß selbst Christi Einzug in Jerusalem schon frühzeitig als eine Procession aufqefatzt wurde, und so haftete denn auch dem christlichen Himniel- fahrtStage schon von früher Zeil ab die Eigenthümlichkeit an, daß um diese Zeit die Fluren geweiht und- vor den üblen Werken jener finsteren Geister geschützt werden, die sich ja auS dem germanischen Heidentbum unverletzt und unver mindert bis heute in den Vorstellungen des Volkes erhalten haben. Darum beißt die Himmelsahrtswoche gewöhnlich die Gang- oder Betwoche, rogatiou vsoic bei den Eng ländern, Kreuzwoche bei den Holländern in Erinnerung an die den Processionen voraufgelragenen Kreuze. Und überall, selbst in protestantischen Ländern, wie England, durchwallen fromme Züge die Feldmark, segnen da» Korn, seien eö durch heilige» Wasser, umwandeln die Grenzen und ziehen so einen unsichtbaren Bann gegen die bösen Feinde. Zu berühmten Wallfahrtsorten oder Heiligenbildern drängt sich die Menge und es entsteht jenes fröhliche Treiben, in dem daS Weltliche bald das Heilige überwuchert. Viele unserer deutschen Volks feste sind ja auf die natürlichste Weise aus den großen Menschenansammlungen entstanden, die sich bei feierlichen Gelegenheiten zusammenfanden. Die Himmelfabrtszeit hat ein solches Fest z. B. in dem thüringischen Dorfe Günstedt entwickelt. Dies Fest führt den Namen „der Ablaß" oder „die Spende", ohne daß man reckt zu erklären wüßte, welches seinZusammenbang mit den Ablaßhändeln der Reformationszeit wäre; jedenfalls ist es mit der Zeit einer der größten und fröhlichsten Märkte des ganzen Thüringer Landes geworden, zu dem die Besucher von weither zusammenströmen und die Gaukler, Händler und alles fahrende Volk ein beinah zu reiches Contingent zu stellen pflegen. In dem aus gelassenen Volkstreiben, daS sich auf der großen Wiese bei Günstedt entfaltet, ist vom Charakter des Himmmelfahrtsfestes oder selbst von dem der altgcr- manischen Flurseier wenig mehr zu merken. Dennoch empfindet eS das Volk, daß diese Zeit heilig und gesegnet ist. Gegen das Gewitter schützt ein Kreuz, das am Himmelfahrts tag geweiht ist, und wer auf dem Dache seines Hanfes ein Ei, daS zu dieser Frist gelegt wurde, bergen kann, der darf sich und alle Bewohner des Hauses vor allen Nebeln geschützt halten. In Böhmen hat sich daS Gefühl von der Bedeutung des HimmelfahrtStages im kirchlichen Sinne dadurch viel deutlicher erhalten, daß dort vielfach der dem Feste zu Grunde liegende heilige Vorgang sinnlich dargestellt wurde. In der Kuppel der Kirche brachte man in den guten alten Zeiten eine Oeffnung an und zog durch sie das Bild des Herrn empor. Bei den Augustinern in St. Thomas zu Prag wurde dieser Gebrauch im Jahre 1509 Veranlassung zu einem großen Unglücke, indem bei dieser Gelegenheit der Musikchor einstürzte und viele Menschen gefährlich verletzt wurden. Schwebte das Bild des Herrn der Kuppel zu, so waren es natürlich vor Allem die Kinder, die staunend den wunder samen Vorgang betrachteten, und darum wurde auf diese Gläubigsten unter den Frommen des HimmelfahrtStages all mählich besonders Rücksicht genommen. Aus der Oeffnung schüttete eine Schwinge oder ein durchlöcherter Sack Obst und Blumen herab. Eine große Erregung entstand dann unter dem jungen Volk und die Jungen begannen sich um den unerwarteten Himmelssegen zu balgen; aber oft trennte dann den Knäuel der Kämpfenden ein reichlicher Wassrrguß von oben. Hat so das HimmelfabrtSfest in Glauben und Sitte des Volkes tiefe Wurzeln geschlagen, so hat es sich im Volksleben vollends durch eine besondere Eigenthümlichkeit eine feste Stellung erworben. Man weiß, daß im Mittelalter alle rechtlichen Handlungen zu voller rechtlicher Giltigkeit an sinn fällige Symbole gebunden waren. So mußte die Belehnung von Mann zu Mann vor sich geben; so mußte die Besitz ergreifung in Person vollzogen werden, so mußte daö Stäbchen über dem Verurtheilten gebrochen sein, sollte das TodeSurtheil volle Rechtskraft erhalten. Im selben Sinne und Geiste hielt man eö für nötbig, die Flur- und Besitzgrenzen von Zeit zu Zeit durch Begehung und Umschreibung wiederum fest- zustellrn und den Anspruch darauf mit dieser symbolischen Handlung förmlich zu erneuern. Waren doch diese Besitz grenzen in der alten Zeit fast nie in Grundbüchern aus gezeichnet, sondern nur durch Verabredung vor Zeugen hergestellt worden: da war es natürlich, daß man auch für die Nachkommenschaft sich Zeugen über die rechtsgiltige Besitzvertheilung zu sichern suchte. Und für diese Absicht bot nun gerade das HimmelfabrtSfest und die HimmelfahrtSzeit ganz besonders günstige Handhaben. Wurde die Flur betend umschritten, so war nichts bequemer, als auf dieser Wanderung auch die überlieferten Begrenzungen in erneute Erinnerung zu bringen und die ganze Schaar der frommen Waller, mit bin zugleich die Mehrzahl der Markgenosscn, zu Zeugen der Besitzrechte zu machen. In manchen Gegenden wurde dieser Brauch noch dadurch befördert, daß anscheinend auch die alten Römer um dieselbe Jahreszeit dem Gotte Terminus zu Edren ein Fest, die Terminalien, begangen haben, dem ein ähnlicher Sinn beigewohnl haben dürfte. Wunderlich genug, wie sich hier eine Erinnerung an daS im Rechtsleben prägnanteste Volk der ganzen Welt mit den natürlichen Be dürfnissen der juristisch naivsten Epoche unserer Geschichte und wiederum mit den Ueberresten eines schönen, frommen Natur festes zu einem eigenartigen Ganzen vereinigt, das auf den ersten Blick unerklärbar in der Luft hängt, aber doch Glied für Glied in seiner Entstebung zu verfolgen ist. Und nun, wo ein wichtiger weltlicher Zweck in das Leben des TageS eingetreten ist, nimmt er erst recht den Charakter eines echten und rechten Volksfestes an. Sind auch die Spureu deS eben skizzirten Brauches hier und da vom Schritte der Zeit verwischt, so sind sie doch bei näherer Betrachtung auch jetzt noch aufzusinden. So bat das Dorf Dossenheim, das an den Verhöben des Odenwaldes eine und eine halbe Stunde von Heidelberg entfernt liegt, in der Himmelfabrtszeit ein altes Fest, das sich den Holzapfeltanz nennt und an scheinend ein zufällig auf diesen Tag fallendes Volksfest ist. Wenn wir aber erfahren, daß die Dossenheimer die Ueber- lieferung haben, mit dem Holzapfeltanz sei eine Wald- und Waidegerechtigkeit verbunden,so entrollt sich vor unserem geistigen Auge wie mit einem Schlage ein stilles, hübsches Stück deutschen Kleinlebens. Wir sehen, wie sich die Dossen heimer vor Alters obenbenannte Gerechtigkeit erwarben, und wie sie, um sie zu behaupten und ihr Recht festzustellen, all jährlich beim Flurbegang zusammenkamen und ein Fest feierten, dessen wunderliche Art in jedem Theilnehmer die Erinnerung an seinen Zweck einprägen mußte. Und so lädt der Dossenheimer Bursche noch heul seine Herzallerliebste zu diesem Tanze, indem er ihr einige Holzäpfel vors Fenster legt. Mit Holzäpfeln ist auch der Hofplatz bestreut, auf dem der Tanz vor sich geht, und durch die Tanzenden wandert ein Wallnußzweig von Hand zu Hand. Außer dem Hofe aber hängt an einem Baume eine geladene Flinte mit brennender Lunte, und wer den Zweig in der Hand hat, wenn diese Flinte loSgeht, der erhält den Preis, einen bänder geschmückten Hut und für seine Tänzerin ein paar Strümpfe, muß aber dafür auch die Festtheilnebmer bewirthcn. Ganz allgemein waren diese Volksfeste in England. Mit Bannern und Kreuzen zog man auS, segnete die Flur und umschritt die Grenzen. Allmählich merkte man, daß die Jugend, auf deren Anwesenheit und Zeugenschaft eS ja ge rade am meisten ankam, zu diesem ernsthaften Geschäfte wenig Neigung zeigte, und so sah man sich veranlaßt, aller hand Kurzweil, ja selbst kleine Gaben einzuführen, um die junge Welt beranzuziehen. So bildeten sich mancherlei Spiele aus, in Nordenglanv z. B. ein Wettrennen der Mädchen, dessen Preis ein Hemd auS feinstem holländischen Linnen war. Anderwärts benutzten ehrsame Körperschaften, Schulen u. derzl. m. diesen Tag, um ihre Gerechtigkeit an einem Bache oder auch den Charakter eines WafferS als Grenze ihres Besitzes durch einen kleinen Ausflug in Er innerung zu bringen; das gab dann fröhliche Bootspartien mit Picknicks oder auch lustige Aufzüge, die irgend einem Gutsherrn einen wunderlichen Pachtschilling nach uralten Verabredungen feierlich überbrachten. Den Hauptspaß des Tages aber bildeten die Derbheiten, die zu dem Zwecke ver übt wurden, daß die fraglichen Grenzen recht deutlich in Aller Erinnerung blieben. Da wurde Einer über die Grenze hin und her gestoßen, oder gar in den Grenzbach geworfen; der Mann, der triefend wie eine Wasserratte herauSkam, vergaß es gewiß sein Lebtag nicht und konnte eS vor allen Gerichten bezeugen, was die Bedeutung dieses Baches sei. Aber die glänzendste Ausbildung hat diese Sitte in Alt- Venedig erhalten, wo alljährlich am HimmelfahrtStage der Doge die feierliche Verlobung der Stadt mit der Adria vornahm. Man führt den Ursprung dieser Sitte auf Papst Alexander III. zurück, der den Venetianern zum Danke für ihren Beistand in seinem Kampfe um den päpstlichen Thron die Gewalt über das Adriatische Meer verlieb, »so wie ein Mann Gewalt über sein Weib hat." Aber unschwer erkennt man auch in diesem Brauche als Kern die übliche Flursegnunz und Flurbezrenrung. So prächtig unS auch die Kunst eines venetianischen Meisters diesen Vorgang geschildert hat, die Wirklichkeit muß selbst dies Bild noch übertroffen haben. Unter all' den blühenden Städten Italien» war Venedig in der Zeit der Renaissance die glanzvollste und prunkreichste und Alles, waS eS an Glanz und Prunk besaß, versammelte sich an diesem Tage auf den Wogen der Adria. Tausende von Barken und Gondeln, in allen Farben und mit köst lichen Stoffen reich geschmückt, begleiten das prächtige StaatS- schisf, das den Dogen und den Rath trägt. Aus allen er schallt Musik, bis die Ceremonie selbst beginnt. Der Herr der Adria gießt etwas geweihtes Wasser in die See, um ihren Zorn zu bewältigen, und dann wirft er unter großer Feierlichkeit durch eine dicht bei seinem Sitze angebrachte Oeffnung den Goldring in» Meer. Weithin klingen seine Worte: „V68pvn8amuz te, Llare, in mgnum veri perxetuiguo ckominii — Wir loben Dich, o See, mit unS, zum Zeichen wahrer und ewiger Herrschaft." Der Ring versinkt in die See, und tausendfaches Jubelgeschrei antwortet dem erneuten Verlöbnisse. Abends aber leuchten in der königlichen Stadt der Adria die Freudenfeuer und rauscht die FesteSlust. DaS Fest, dessen geistige Bedeutung die Verklärung der menschlichen Natur ist, ist hier zur prunkvollsten Feier weltlicher Macht und Herrlichkeit geworden.
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