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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.05.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970528022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897052802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897052802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-28
- Monat1897-05
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Nach der Rückkehr deSKaiserS nach Berlin erwartet man „eine end liche Entscheidung des Kaiser- in manchen kritischen Fragen, eine Entscheidung, die möglicherweise mit Ministerwechseln verbunden ist. Angesichts einer solchen Situation kann es für den Reichstag erwünscht erscheinen, versammelt zu sein, um auch ein Wort zur Sache mitreden zu können. Von diesem Standpunkt aus könnte es selbst eine mehr als formale Bedeutung gewinnen, die dritten Lesungen der Finanzvorlagen hinauszuschieben und damit die Geld bewilligungen vorläufig zurückzuhalten." Solche Erwägungen haben das Centrum zu einem Vorschläge ge führt, der, wie der erwähnte Augen- und Obrcnzcuge be richtet, „sogleich l-bbafte Unterstützung" von Seilen der Con- servativen, der Sccialdemokraten und der Antisemiten fand, während die Nationalliberalen, die Reickspartei und die Freisinnigen ihn nickt befürworteten. Wenn die Conscr- vativen hier und die Nationalliberalen dort gestanden hätten, würde das „Dresdener Journal" seiner von unö kürz lich gekennzeichneten Gewohnheit nach unbedenklich sagen, die Nationalliberalen seien in die Arme der Socialdemokralie gesunken, um dem Parlamente eine erwartete Möglichkeit zu geben, an Entschließungen der Krone Kritik zu üben und nicht genehme Entscheidungen eventuell mit Geldvcrwcigerungeu zu beantworten. Wirverschmäben solche Darstellung und ballen nicht mit demAuSdrucke derUeberzeugnng zurück,daß derStellungnabme der Conscrvativen die, unseres Erachtens gewagte, Annahme zu Grunde lag, zwei Wochen nach Pfingsten habe die dritte Lesung der Handwerksvorlagc mehr Aussichten auf ein beschlußfähiges Haus, als sechs Tage vor dem Feste. Nichts destoweniger scheint der von der conservativen Partei gethaue Schritt nicht unbedenklich. Vor Allem weil die Vertagung die ausschlaggebende Stellung des CentrumS nickt nur wieder einmal zeigt, sondern sie auch befestigt. Die Klerikalen können mit ihren natürlichen Verbündeten — Herr Richter zeigt sich, nachdem er die Beweggründe der Cent rumS- partei kennt, von der ursprünglich von ibm bekämpften Disposition nickt unbefriedigt — in der Tbal in Folge der Ver tagung die Regierungen in empfindlichster Weise ihre Hand fühlen lassen, denn zu den Geldbewilligungen, die sie noch brauchen, gehört die für die Erneuerung der Geschütze. Einer Partei, von der man weiß, daß sie heterogene Dinge in einander rechnet und Verpflichtungen dem Reiche gegenüber zwar anerkennt, aber den eigenen Macktinteressen bmtausetzt, einer solche» Partei Trümpfe in die Hand zu spielen, ist sehr bedenklich. Natürlich wird die Centrumspresse den wahren Beweggrund deS „Mitregenten" Lieber ablcugnen und sich auf die im Senioren-Convent ohne jegliche Begründung vor gebrachte Behauptung zurückziehen, das Centruin hätte in der nächsten Woche seine Abgeordneten nicht zur Stelle bringen können, lieber diese leere Ausrede macht sich selbst Herr Richter lustig. Gerade das Centrum ist, wie es schon oft bewiesen, für eine kurze Anwesenheit in Berlin — und um eine solche hat eS sich gehandelt — vollzählig zu haben, wenn die Führer es dort haben wollen. Man weiß, daß selbst Bischöfe Abgeordneten auS dem Klerus in solchen Fällen das Reisen erleichtern. Aber man wollte dies mal nicht und hat Wohl auch schon bei der Handwerksvorlage, an der dem Centrum gelegen war, die Beschlußfähigkeit geflissentlich aus deS Messers Schneide stehen lassen, um sich hinterher der Ausflucht, die Abgeordneten seien vor Pfingsten nicht herbeizuholen, mit dem Schein von Glaub würdigkeit bedienen zu können. Das vom Reichstag beliebte Verfahren ist auch aus allgemeinen Gründen zu mißbilligen. Formell zwar bat er bas Recht, sich zu „vertagen", so lange er will. Aber er miß braucht sein Recht, wenn er längere Vertagungen aus Gründen eintreten läßt, die offenbar der Absicht der Verfassung zuwiderlaufen. Auf dem jetzt be tretenen Wege kann der Reichstag dahin gelangen, sich in Permanenz zu versetzen, wenn er mit Vorlagen befaßt ist, auf deren Erledigung die Negierungen pflichtgemäß nicht ver zichten dürfen, wenn also der Sessionssckluß nicht verfügt werden kann. Außerordentliche Verhältnisse rechtfertigen aller dings auch außergewöhnliche Maßnahmen, aber wenn letztere von Illtramontanen vvrgeschlagen und von Socialdemokraten beifällig ausgenommen worden sind, läßt sich nichts Gutes von ihnen erwarten. Im preußischen Abgeordnetenhaus« beginnt beute Vor mittag die zweite Berathung der Vercinsgcsetzuovclle. Ob sie noch in dieser Woche beendet wird, ist nicht sicher. Die Anträge der Freiconservativen sind von der Art, daß sie eine allgemeine Erörterung über Auönabmegesetzgcbuiig überhaupt und über das Verhältnis; zwischen Reicks- und Landesgesetzgebung verursachen müssen. Außerdem haben auch die Conservativen in letzter Stunde noch Anträge ein gebracht — Präventivverbot für Versammlungen und Aen- terung der Regierungsvorlage dahin, daß „öffentliche Ord nung" statt „öffentlicher Friede" gesagt wird. Diese Fassung bietet so wenig Sicherheit geßen Willkür, wie die der Regierung. Die preußischen Conservativen geben auch offen bar gar nicht von der Absicht aus, die Versammlungen und Vereine aller bürgerlichen Parteien gegen Auflösung und Schließung zu schützen. Sie hätten sonst ihre gemeinrecht lichen Anträge nicht eingebracht und würden sogleich die frei- conservaliven Ausnahmebestimmungen aunehmen, gegen die sie der „Kreuzztg." zufolge nicht- einzuwenden haben. Das Blatt meint auch, vie Nationalliberalen würben ihre ganze Vergangenheit verleugnen, wenn sie die Zedlitz'schen Anträge zurückwiesen; sie hätten ja immer die Beseitigung des Socialistcn- gesetzeS bedauert. Das ist richtig, und wir bedauern sie heute noch. Aber ei» preußisches Socialistengesetz haben sie niemals gewollt oder auch nur für möglich gebalten. Die einzel staatliche Regelung leuchtet auch den „Hamb. Nachrichten" nicht ein, die im Uebrigen mit den Zedlitz'schen Bestimmungen einverstanden sind. Wir würden uns in letzterem Punkte, vorbehaltlich näherer Prüfung, anschließen können, wenn diese Bestimmungen als Theil eines für ganz Deutschland zu er lassenden Gesetzes vorlägen. Für sich allein haben sie nicht nur keinen Werth, sondern sind schädlich, weil sie die verbält- nißmäßig weniger gefährliche Form der socialrevolutionären Verhetzung mit der Wirkung treffen, daß sie die Propa ganda auf noch intensivere Cultivirung der gefährlichsten Formen Hinweisen. Eine Socialistengesetzgebung, welche die- socialdemokratischen Versammlungen behelligte, aber dir socialdemokratische Presse unberührt ließe, gliche dem Arzte, der einem Kranken die Hühneraugen operirte, aber ein den Körper mit Blutvergiftung bedrohendes Ge schwür unbeachtet ließe. Nur daß die Beseitigung deS Hühnerauges das Geschwür nicht, verschlimmert. Die Zed- litz'scheu Bestimmungen würden aber der Verbreitung der socialdemokratischen Zeitungen zu Statten kommen und wären der Partei deshalb vielleicht gar nicht so unangenehm. Einen unerwarteten Verlauf hat der Streit zwischen England und Transvaal genommen. War man noch vorige Woche überzeugt, daß zwischen beiden Staaten ein Krieg unmittelbar bevorstände, so scheint beute ein Ausgleich ge funden zu sein. Die Angaben deS „Daily Cbronicle", daß der StaatSsecretair vr. LeydS sich in naher Zeit nach Transvaal zurückbegeben werde, um die Vorschläge Cbamber- lain's Wegen Beilegung der bestellenden Differenzen zu überbringen, und daß gute Aussichten auf eine freund schaftliche Lösung der Schwierigkeiten vorhanden seien, schien unglaublich, nun aber sind diese Angaben von Or. Leyds selbst bestätigt worden. Aus den binzngefügtcn Erläuterungen ersieht inan, daß die Hauplstreitfrage wegen Abänderung der Londoner Convention von 1884 umgangen ist. In der Depesche deö Präsidenten Krüger an die englische Negierung vom 25. Februar 1896 waren bekanntlich sechs Forderungen auf gestellt, deren erste lautete: Aufhebung der Londoner Conven tion in Anbetracht der Gebietsverletzung der Republik. In mehrfacher Beziehung habe sie schon ausgehvrt zu cristiren. Ferner habe sie keine Existenzberechtigung mehr. Sie sei der Würde einer unabhängigen Republik nicht angemessen. Seit dem Abschlüsse der Convention existire keine Suze- ränität mehr. Nur auf diese Forderung antwortete Chamberlain. Er wies sie unbedingt und auf immer ab. Ferner sind seit jener Zeit sämmtlicke StaatSsecretaire und Unkerstaatssecretaire des britischen Ministeriums nach und nach mit Emphase dafür öffentlich eingetreten, daß England die Paramout Power in Südafrika bleiben müsse. Diese Fiction kann aber nur mit der jetzigen Convention be stehen bleiben. Eine Vermittelung dieses schroffen Gegen satzes schien unmöglich. Noch dazu hatte Mr. Chamberlain den Spieß umgedreht und machte Transvaal Vorwürfe wegen Verletzung der Convention durch seine Gesetz gebung. In Transvaal hat man jedoch sehr findig einen Ausweg entdeckt: die Republik hat ein Schiedsgericht vorgeschlagen, das die Streitfragen der Convention ent scheiden soll. Diesem Vorschläge konnte England keine Ablehnung entgenstellen, wenn es sich nicht noch mehr ins Unrecht setzen wollte. So wird zunächst die Frage wegen Aufhebung der Convention bei Seite geschoben; eS kann nach der übermäßigen Aufregung wieder Beruhigung eintreten, darin liegt der Hauptwerth der Abmachung. Die Transvaal - Regierung hat wie immer hierbei eine große Klugheit an den Tag gelegt, und man kann dem Vr. Leyds nicht die Anerkennung versagen, daß er die Verhandlungen mit besonderem Geschick geführt hat. Er hat auch der eng lischen Empfindlichkeit das Zugeständniß gemacht, daß er Berlin nicht besuchen will. DasMißtrauen gegen Deutsch land wurzelt unausrottbar in den englischen Gemütbern, ob wohl man so thut, als könnte man über uns hinwegsehen. Wird aber nicht C. Rhodes, der nun wieder in Süvafrika zu bleiben gedenkt, den Frieden stören? Während der Pariser „Figaro" in einer Correspondenz auS Petersburg den Griechen droht, falls sie nicht binnen Kurzem auf die bisher beliebten thörichten Streiche verzichten, werde Rußland sie ihrem Schicksale überlasten, erhält die „Franks. Ztg." ein Telegramm aus Konstantinopel vom 25. Mai, in dem es beißt: Der türkische Botschafter in Petersburg meldet, Graf Murawjew habe ihm in einer Unterredung zu verstehen gegeben, daß die Türkei sich dem Willen Europas beugen und das unerfüll bare Verlangen einer Annexion Thessaliens fallen lasten müsse. Gras Murawjew betonte ferner, er halte es nach den wiederholt aus getauschten diplomatischen Versicherungen nicht für möglich, daß die Türkei diese oder ähnliche Forderungen erheben werde, und glaube, diese seien nur gestellt, um die Verhandlungen in dir Lünge zu ziehen, oder ein Vorgeben zu einer weiteren kriegerischen Action zu haben. Er machte Len Botschafter daraus aufmerksam, daß Europa einen etwaigen Wiederbeginn des Krieges nicht dulden würde und daß die Pforte deshalb gut thäte, sich ihrer früher be- thätigten Mäßigung zu befleißigen. Der Eindruck dieses Be richts auf den Sultan war ein bedeutender. Abdul Hamid sucht deshalb jetzt eine onderiveite Rückendeckung und möchte seine früheren Beziehungen mit England wieder aufnehmen, um so mehr, als der größere Theil der Palastpartei seit längerer Zeit darauf hinarbeitet. Man ist hier in Verlegenheit darüber, wie dieses zu geschehen habe. (?) Alles, was zum Palaste gehört, ist zu der gestrigen Garden-Party in der englischen Botschaft commandirt worden; außerdem mußten der Großvezirr und fast siimmtliche Minister dort erscheinen. DaS sind nur äußere Anzeichen, aber sie fallen im Orient ins Gewicht. — Gestern Abend beauftragte der Sultan den Großvezier, ihm Vorschläge wegen Zusammensetzung einer Mission zum Jubiläum der Königin Victoria zu machen, und der Großvczier schlug heute folgende Personen al- Mitglieder der Deputation vor: Prinz Abdul Kadir, den zweiten Sohn de» Sultans, Ghazi Osman Pascha, Munir Pascha, Karatheodori und Blunt Pascha. Falls der Sultan diese Zusammensetzung annimmt, wird die Abordnung insofern eine politische Bedeutung haben, al- durch die Entsendung der ersten Männer der Türkei bekundet werden soll, welchen großen Werth man auf di« Wiederherstellung der guten Beziehungen zu England legt. Wir haben unlängst schon auf die Möglichkeit einer An näherung zwischen England und der Pforte hingedrutet. Vorbereitet erscheint sie durch die in letzter Zeit wiederholt au den englischen Consul in Kandia gerichteten, von englischer Seile bestellten Adressen, deS Inhalts, Vie dortigen Moham medaner bäten den Consul um Alle» in der Welt, Kreta unter englische Verwaltung zu bringen, vorbereitet durch die auffallende Freigebigkeit, mit welcher der englische Admiral vor Kreta die kretischen Muselmanen wiederholt mit Proviant versehen bat, vorbereitet durch die arrogante Art, mit welcher derselbe unter Umgehung der Vertreter der übrigen Mächte mit den Insurgenten verhandelt hat, indem er sich gewisser maßen bereits als Herr auf Kreta gerirte. Jetzt wird aus Kanea gemeldet, die „vollständige Unlhätigkeit" der Engländer in Kandia rufe dort große Erregung hervor. Diese Nachricht lautet noch ziemlich vage, aber eS scheint doch so viel daraus hervorzugehen, daß im Augenblicke Verhandlungen von London auS mit Athen und Konstantinopel im Gange sind. England dürfte zwei Eisen im Feuer haben, daher die Vorsicht, weder Griechenland, noch der Türkei weh zu thun, und daher die „Unlhätigkeit" nach beiden Seiten hin. Lord Salisbury hat seiner Zeit in sehr vespectirlicher Weise vom Sultan ge sprochen und mit nackten Worten die Auftheilung der Türkei verlangt, der er jede Existenzberechtigung absprach. DaS wird ihn natürlich nicht hindern, sich zum Protector des O-ma- Fsrrilleton. Zwei Frauen. 14s Roman von F. Marion-Erawford. Nachdruck »erboten. Nur noch eine Stunde, und sie würde für immer sicher sein, nur noch eine kurze Anstrengung, und Greifenstein würde nickts ahnen. Rieseneck sah mechanisch auf seinen Bruder, als suche er etwa« zu finden, was er sagen könne. In Wirklichkeit war er fast bewußtlos und nahe daran, vom Sessel zu sinken. Ein Diener reichte eine neue Schüssel, und Klara legte sich gedankenlos etwa« vor. Der Diener ging weiter zu Rieseneck und wartete geduldig, bis der Gast seinen Kopf umwenden und sehen würde, was er ihm anbot. Klara fand die Gelegenheit günstig, der Nothwendigkeit zu genügen, wieder einige Worte zu sprechen. Sie brauchte nur seinen Namen zu nennen, so daß er sich umsehen und den Diener bemerken würde, der hinter ihm stanb. „Herr Brandt" — die beiden Silben waren kurz und einfach genug. Aber sie sagte eS nickt. „Herr von Rieseneck", kam eS plötzlich über ihre Lippen. In ihrer hochgradigen Nervosität batten sich ihre Sinne plötzlich verwirrt und — sie war verloren. 11. Capitel. Al» die Worte Klara'» Lipven entschlüpft Ware», zuckte Greifenstein heftig zusammen, tvat, al» ob er a»fst«b«n wollte, legte di« Hände auf den Rand des Tische» und beugt« sich nach seiner Fran hinüber. Da« Lcbo de« Namen« Rieseneck war kaum verklungen, al« die unglückliche Klara fich vergegen wärtigte, wa« sie gethan hatte. Rieseneck selbst kehrte sich ihr plötzlich zu, und eine heiße Blutwelle ergoß sich in sein bleiche« Gesicht. Klara'« Kopf sank nieder, »nd sie bedeckt« ihre Augen mit den Händen, «inen kurzen, scharfen Schrei auSstohend, wie «in zu Tode verwundete» Thier. Der Diener stand neben Rieseneck und starrt« blödsinnig von Einem nun Andern. Bvll« zehn Secunde» verstrichen, ehe Greifenstein seine Geistesgegenwart wieder gewann. „Du bist krank, Klara", sagte «r mit erstickter Stimme „Ich werde Dich in Dein Zimmer führen." Er konnte die Lage nicht verstehen und nicht errathen, Wie sein« Frau erfahren hatte, daß sein Gast nicht Herr Brandt, sondern Kuno von Rieseneck war, aber Entsetzen bemächtigte sich seiner bei dem Gedanken, daß sie di« Ent deckung gemacht batte, und er wollte sie so schnell wie mög lich auS der Nähe seines Bruders entfernen. Er trat an ihre Seite, sah, daß sie fast ohnmächtig war, hob sie von ihrem Sessel und trug sie in da« Wohnzimmer zurück. Rieseneck folgte in einiger Entfrrnung. „Sie können gehen", bedeutete Greifenstein dem Diener, „wir werden heute nicht» mehr «ssen." Der Dien«r gehorchte und li«ß die Drei zusammen zurück. Klara lag auf einem großen Sopha, der Baron stand neben ihr und Rieseneck zu ihren Füßen. Ihre Augen waren offen, aber gläsern vor Entsetzen, obgleich sie bei vollem Bewußtsein war. „Geht e» Dir bester, Klara?" fragte Greifenstein. Sie rang nach Äthern und war unfähig, zu sprechen. „Ich kann nicht begreifen, wi«so sie Deinen Namen wußte", wendete sich Greifenstein an seinen Bruder. „Kanntest Du sie schon früher?" Rieseneck war wieder kreidebleich grwordkn und stand da wie von einer furchtbaren Qnal erdrückt. Greifenstein hatte sein veränderte« Wesen vorher nicht bemerkt und sah ihn I«tz» überrascht an. Er glaubte, Rieseneck fürchte Entdeckung und Gefahr für fich selbst. „WaS hast Du dennr" fragte er ungeduldig. „Du bist ganz sicher." Während er sprach, war Klara bemüht, sich aufzu richten. Mit angstvollen Blicke» starrte sie auf Rieseneck. Da» Vorgefühl einer großen unbekannten Trübsal kam über Greifenstein, und er legte seine Hand schwer auf des Bruder« Arm. „WaS bedeutet da« Alle«?" fragte er streng. „Kennt Ihr einander?" Di« Worte schreckten Rieseneck au« seinem dumpfen Hin- brute» aus. Er entzog sich der Berührung seine» Bruder» und antwortete mit gebrochener Stimme: „Lass' mich fort! Ich will diese« Hau« verlast«» —" „Nein!" rief der Baron fest, „Du wirst «och nicht gehen." Wieder packte er Rieseneck'« Arm. „Last' ihn fort, Hugo!" ächzt« Klara, bemüht, von dem Divan aufzustebeu und sich au» der eisernen Nnklammerung zu befreien, mit der ihres Manne» Finger ihre schwachen Hände umspannten. „Lass ihn fort!" wiederholte sie in wahnsinniger Angst. „Um Gotte« willen, last' ihn fort!" „Was ist er Dir?" fragte Greifenstein. „Was ist er Dir? Und WaS bist Du ihr?" rief er, seinem Bruder ins Gesicht sehend und ihn am Arm schüttelnd. „Du hast Recht, zornig zu sein", antwortete Rieseneck, „und auch ich bin berechtigt, es zu sein." Er heftete seine Augen auf Klara, und ein unheimliches Lächeln glitt über seine Züge. „Sprich!" befahl Greifenstein, dem die Ungewißheit un erträglich wurde. Klara sah, daß Rieseneck im Begriff war, die verhängniß- vollen Worte auszusprechen, und mit einer letzten Kraft anstrengung versuchte sie, seinen Mund mit ihrer Hand zu bedecken, aber e» war zu spät. „Diese Person ist meine Frau, nicht die Deinige!" rief er. Greifenstein stieß den Bruder zurück, so daß er gegen die Wand taumelte. Klara fiel zwifchen den beiden Mannern zu Boden. Rieseneck athmete tief auf und wandte sich keuchend zu seinem Bruder. „Ick hatte Dir mitgethrilt", sagte er, „meine Frau sei todt. Ich glaubte eS selbst, aber sie lebt, sie lebte, um Dich zu Grunde zu richten, wie sie mich zu Grunde gerichtet bat. Klara von Rieseneck, da« ist Dein Name, stehe auf, erhebe Dein schmachvolle» Gesicht und bekenne Dich zu Deinem rechtmäßigen Gatten!" Klara hatte nickt mehr die Kraft, eine Lüge auszu- svrechen, die sie vielleicht gerettet haben würde. Sie schleppte sich bi» zu den Füßen ihres Ankläger- und schlang ihre Arme um sein Knie. „Gnade!" schluchzte sie. „Du siehst", sagte Rieseneck, „sie lebt, sie kennt mich!" „Gnade!" wiederholte da» unglückliche Geschöpf. „Kür Deinesgleichen giebt eS keine Gnade", stöhnte der alte Mann. von Grauen und Scham überwältigt, hatte Greifen stein einige Augenblicke still gestanden. Er wußte, daß sein Bruder dir Wahrheit gesprochen Sein Gesicht war krampfhaft verzerrt, d,e Zähne schlugen knirschend aufein ander, die Hände waren wie in TodeSpein zusammengeballt. Schwere Thränen rollten ihm über die Wangen, dir ersten und die letzten, die er jemals vergossen hatte. Und doch, dem seltsamen Instinct seine« Charakter» gehorchend, der alle Aeuherungrn der Aufregung und Erschütterung verab scheute, stand er aufrecht unv bewegungslos da, wie ein Soldat auf der Parade. Er hatte den Tode-stroich empfangen, aber er mußte stehend sterben. Nack einer langen Pause, die nur durch Klara'- Aechzen und Stöhnen unterbrochen war, hörte er Rieseneck'» Schritte hinter sich. „Hugo, WaS hat diese Frau verdient?" fragte Rieseneck. „Den Tod!" erwiderte Greifenstein. „Sie hat Dir einen Sohn gegeben, der jetzt namenlos ist, sie hat mir einen Sohn geboren, den sie verstieß, weil durch mich sein Name mit Schmach bedeckt war." „Sie soll ihre Strafe erdulden?" sagte Greifenstein. Ohne sich umzuwenden, durchschritt er da» Zimmer bi» zum Kamin Und legte seine Hande auf den SimS. Dennoch körte er seine- Bruders Stimme, obgleich sie sich nicht an ihn richtete. „Gnade!" flehte Klara auf» Neue. — „Um Gottes willen — Gnade!" Sie suchte sich zu erheben, aber Niesenrck's Hand drückte sie wieder auf ihre Knie nieder. „Du sollst mir diese Gerechtigkeit widerfahren kaffen, ehe Du gehst", rief er. „Wiederhole Deine Miffethaten, wie ich sie Dir vorspreche. Du, Klara Kurtz, verheiratbetest Dich mit mir im Jahre achtzrhnhundertundstebenund- vierzia." „Ja, das ist wahr", antwortete da« arme Geschöpf mit gebrochener Stimme. „Sage eS! Du sollt die Worte sagen!" Ihre Zähne klapperten, ihr« Lippen bewegten sich mechanisch. „Ich, Klara Kurtz, heirathet« Dich im Jahre achtzrhn- hundertsiebcnundvierzig." „Du hast mich dazu bewogen, da» Zeughaus zu ver- rathrn", fuhr Rieseneck unerbittlich fort. „Ich habe Dich dazu bewogen." „Du verließest mich, al- ich im Gesängniß war, und als ich entkam, weigertest Du Dich, mir zu folgen. Du schicktest mir die falsche Nachricht von Deinem Tod« mit einer Locke Deine- Haare» und dem Kinde." Klara wiederholte jede- Wort wie bvpnotisirt. „Dann mußt Du einen ander» Namen angenommen haben." „Ich habe einen andern Namen angenommen." „Und Du brachtest Hugo von Greifenstein dazu, Dich zu beirathen, obwohl Du wußtest, daß er mein Bruder war und ich noch lebte. Ich batte Dir oft von ihm erzählt." Klara machte alle diese Angaben in Rieseneck'- eigene« Worten. (Fortsetzung folgt.)
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