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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.05.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970531013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897053101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897053101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-31
- Monat1897-05
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Di« Morg«n-Au»gab« erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-AuSgabe Wochentag» um 5 Uhr. Ue-action «nd Erveditio«: Aotza«ne«,afse 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von friih 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: ktto Klemm s Sorlim. (Alfred Hahn), Untversitätsstraße 3 (Paulinum), Lonl« Lösche, Katbarinenstr. 14, Part, und König-Platz 7. Bezugs'Preis Al d« Hauptexpedition oder den im Stadt- b«»m und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich^!4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» hau» ^l 5.50. Durch dir Post bezogen für Lrntschland und Oesterreich: vietteuäbrlich S.—. Direkt» tägliche Krruzbaadsrndun- in» Ausland: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe. KipMer TagMM Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile SO Pfg- Reklamen unter dem Redactiontstrlch (4 g* spalten) 50/H, vor den Familiennachtichte» (6 gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Zifsernsatz nach höherem Tarif. 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Wie leider in früheren Zeitläuften so oft, so standen sich auch hier deutsche Brüder mit den Waffen gegenüber — bvffentlich zum letzten Male! Tie Schlacht bei Langensalza ist bemerkenswerth, weil sie das einzige größere Gefecht in dem Feldzuge von 1866 bildete, in welchem die Preußen unterlagen, und weil es auch die einzige Schlacht in jenem Feldzuge war, welche auf preußischem Gebiete geschlagen wurde. Bemerkenswerth ist sie auch wegen der Folgen, die sie zeitigte: nicht die Sieger, die sich durch das Gefecht in ihrem Marsche nach Süden zur Bereinigung mit den verbündeten Bayern auf gehalten sahen, hatten einen Nutzen von dem Erfolge des Tage», sondern die Geschlagenen, die noch in der darauf folgenden Nacht und am kommenden Morgen derartige Ver stärkungen erhielten, daß es ihnen möglich war, Len fest gehaltenen Gegner zu umstellen und kaum 24 Stunden nach dem Treffen ibn zur Capitulation zu zwingen. Eine zahlreiche Literatur ist über die Ereignisse bei Langen salza erschienen. Die Zahl der Berichte, Brochuren, Bücher und Memoirenbeiträge, welche die Vorgänge vor, während und nach dem Treffen behandeln, beträgt wohl weit über hundert. Trotzdem sind aber noch nicht alle Details und interessanten Erinnerungen veröffentlicht, welche im Gedächtniß Derjenigen fortleben, die jene schicksalsschweren Tage durch wachten, und wer das schmucke Städtchen an der Unstrut, die gesegneten Gefilde um dasselbe besucht und sich Mühe giebt, die persönlichen Erlebnisse der dortigen Bewohner an dem historischen Juni 1866 zu sammeln, der erfährt manche interessante, bisher noch unbekannte Einzelheit. Bor Kurzem führte mich mein Weg nach Mühlhausen und Langensalza, und wie ich schon vor einigen Jahren Gelegenheit hatte, mehrere pikante Erzählungen von Bürgern der ersteren Stadt meiner Memoirenmappe einzuverleiben, so war ich auch diesmal von Glück begünstigt, indem ich den kleinen Schatz meiner früheren Aufzeichnungen durch Mit theilungen älterer Langensalzaer Bürger bereichern konnte. Im Nachstehenden seien meine Aufzeichnungen rer Oeffentlichkeit übergeben, und wenn vielleicht die eine oder die andere der mir gewordenen Mittheilungen bereits hier oder dort einmal den Weg in die Presse gefunden haben sollte, so seien sie doch in ibrer Ursprünglichkeit, so wie ich sie von den Betheiligten selbst vernommen, wiedergegeben. An die Spitze stelle ich, indem ich auf eine historische Dar stellung der Vorgänge verzichte, welche zu dem blutigen Treffen führten, das nicht zum Geringsten durch die zögernden Maßnahmen des Preußischen commandirenden General- Vogel von Falckenstein verschuldet wurde, die Erzählung des Besitzers des Thonberg-Restaurants in Mühlhausen, des Herrn Greim, da dieselbe einen interessanten Beitrag zur Geschichte des Anfang» und de» Endes des Dramas bietet. „Am 2l. Juni — erzählt er — kam von Berlin die telegraphische Mntheilung, Laß die Hannoveraner die Grenze iberschritten und Heiligenstadt besetzt hätten. Wir mußten uns also auf einen baldigen Besuch der ungebetenen Gäste gefaßt machen. Die Behörden erließen Aufrufe, in welchen an den Patriotismus der Bevölkerung appellirt und dieselbe ermahnt wurde, eine ruhige, würdige Haltung bei einer eindlicken Invasion zu beobachten; Las Geld der öffent lichen Lassen wurde schleunigst, häufig an ganz unglaub lichen Orten, verborgen, und was nur immer an Vieh ent behrlich war, namentlich auch Pferde — in Mühlhausen unter der Leitung des Polizeiwachtmeister» Stange — in die Walder getrieben, um sie in einem sicheren Versteck vor eventueller Requisition zu retten. Der Besitzer der Gast- wirthschaft „Zum braunen Roß", in dem eine Stunde nörd lich von Heiligenstadt gelegenen Dörfchen Siemerode, hatte zuerst den Einmarsch der Hannoveraner bemerkt. Er befand sich gerade auf dem Felde, als er plötzlich hannoversche Dragoner aus Siemerode herauskommen und die Richtung auf Heiligenstadt zu nehmen sah. Als ehemaliger Garde- Ulan hatte er die Situation sofort erkannt. Nasch schirrte er seine Stute von dem Wagen ab und sprengte, da der directe Weg nach Heiligenstadt bereits besetzt war, auf einem Umwege über Mengelrode nach der Stadt, wo er glücklich noch vor Ankunft der Hannoveraner ankam und dem dortigen Landrath Meldung erstattete. Als dann kurz darauf der Feind Besitz von Heiligenstadt nahm und als Erstes die Tele graphenleitung zerstörte; war man in Berlin von dem Vor marsche der Hannoveraner bereits unterrichtet. Ich war als Landwehrunterofsicier zum Bezirkscommando in Mühlhausen einberufen, hatte aber noch keinen Dienst, und da ich damals schon das Thonberg-Restaurant besaß und es in meiner Wirthschaft angesichts der ganzen un gewissen Zukunft noch Vielerlei zn besorgen gab, so hielt ich mich noch in meiner außerhalb Mühlhausens gelegenen Be sitzung auf. Am 22. Juni erst wurde mir die Weisung, mich alsbald beim Bezirkscommando einzusinden. Ick ging deshalb den Thonberg hinunter der Stadt zu. Halbwegs traf ich den Kaufmann Bruncke, der mir in großer Auf regung mittheilte, daß er von dem Thurm der Marienkirche das Herannahen der hannoverschen Cambridge-Dragoner, denen in endlosen Colonnen die ganze feindliche Armee folge, gesehen habe; er sei im Begriff, von dem Hohen Graben, von wo aus man das ganze Terrain bis Ammern übersehen konnte, den Anmarsch der Hannoveraner näher zu beobachten. Auf diese Kunde begab ich mich eilenden FußeS zum Be- zirkscommandeur, der nun schleunigst daS kleine Eommando zusammenkommen ließ und mit demselben Mühlhausen zu der gleichen Zeit verließ, wo auf der andern Seite die Hannoveraner mit ihrem König in die Stadt einrückten. Unser fluchtartiger Abzug wurde dadurch erleichtert, daß der inzwischen auch alarmirte Postdirector mit mehreren Ertra- wstwagen, auf die wir in der Eile alle Werthsachen des Bezirks- commandos warfen, unfern Schutz in Anspruch nahm und wir deshalb diese Wagen benutzen konnten. Wir passirten eben das Erfurter Thor, als die Hannoveraner bereits über den Obermarkt kamen, und waren froh, als wir die offene Landstraße erreicht hatten, auf der wir im schnellsten Tempo in der Richtung auf Langensalza davonfukren. In Schön- tedt, einem an der Straße liegenden Dörfchen, wurde ein urzer Halt gemacht, und hier siel eS dem Bezirkscommandeur, einem alten Major, plötzlich schwer aufs Herz, daß er bei dem eiligen Abschiede von den Seinen die alte Standarte des Landwebr-Ulanen-Negimcnts, die in seiner Wohnung ausbewahrt wurde, vergeßen und stehen gelassen habe. Gewiß hatte das kleine Feldzeichen ohne Gefahr einer Entdeckung in dem Hause des Majors verbleiben können, aber das war nicht nach dem Sinne des wackeren Ofsiciers. Die Frage war nur die, wie dieselbe aus der vom Feinde besetzten Stadt ;erauSgebolt werden könne, und diese Frage war nicht leicht zu beantworten. Nathlos lief der Major auf und ab, auf ich und alle Welt fluchend. Da kam mir ein Gedanke. „Herr Major", sagte ich, zu ihm herantretend, „wenn Sie gestatten, will ich die Fahne holen." „Mensch, sind Sie verrückt? Wollen Sie Kopf und Kragen verlieren?" fuhr er mich an. „Erlauben mir nur der Herr Major, den Versuch zu machen. Ich bin gewiß, daß icp die Fahne bringen werde." „Wie wollen Sie daö machen?" „Ganz einfach, Herr Major. Ich ziehe Civilkleider an, nehme einen Leiterwagen mit Stroh oder Heu und fahre in die Stadt direct vor Ihre Wohnung. Dort hole ich die Fahne, verstecke dieselbe im Wagen und kehre mit ihr zurück." Das leuchtete dem Major ein, und gerührt gab er die Erlaubniß zu dem Wagniß. Ich ging nun zu dem Besitzer von Schönstedt, dem Baron von Kreuzburg, den ich bereits von früher her kannte, und bat ihn, mir zu meinem Vorhaben, das ich ihm mit theilte, ein Geschirr zu leihen. Herr von Krruzburg stellte mir ein solche» sofort zur Verfügung, der GutSinspector gab mir einen Anzug, auf den kleinen Leiterwagen wurde Grün- futler, ein Rechen und eine Sense geladen, und fort ging es in Begleitung eines Kutschers nach Mühlhausen. Unangefochten erreichten wir die Stadt und die Wohnunc des Majors. Die Frau Majorin war nicht wenig erstaunt, al» sie mich erblickte, aber rasch war die Standarte hervor geholt, in den Wagen gebracht, dort unter dem Futter woh versteckt, und wenige Minuten später fuhren wir wieder von dannen. In Langensalza holten wir das Eommando wieder ein, und ick übergab das gerettete Kleinod dem darob sich glücklich preisenden Major. Von Langensalza marschirten wir nach Erfurt. Dort war Alles in großer Aufregung, da man Wohl Kenntniß von dem Marsche der Hannoveraner hatte, aber nicht wußte, wohin derselbe gehen würde. Wollten sie Erfurt angreisen oder über Gotha-Eisenach die Thäler de» Thüringer Waldes zu erreichen suchen, um sich mit den Bayern, deren unmittel barste Nähe man ebenfalls vermuthete, zu vereinigen? Unser Major erstattete Bericht, aber man war darnach ebenso klug, wie zuvor. „Wenn ich mich nur genau darüber orientiren könule, was die Hannoveraner Vorhaben", meinte der Eommandant der Festung zu unserem Major. „Haben Sie Keinen unter Ihren Leuten, der brauchbar als Kundschafter wäre?" „Ich wüßte Niemand, al» meinen Unterofficier Greim", erwiderte der Major, indem er dem Eommandanten das Holen der Standarte erzählte. Ich wurde vorgerufen, und der Eommandant fragte mich, ob eS mir bei meiner genauen Localkenntniß Wohl möglich wäre, in das Lager der Hannoveraner zu gelangen, um dort zu erfahren, was man vorhabe. „Ich kann Ihnen die» nicht befehlen", fuhr der Eommandant fort, „Sie selbst müßen entscheiden, was Sie als preußischer Staatsbürger und Soldat in diesem Falle zu thun haben. Verhehlen Sie sich nicht, daß es ein gefährlicher Gang ist, zu dem Sie sich ent schließen, und daß derselbe Ihnen möglicher Weise das Leben kosten kann." „Natürlich war ich zu der Mission bereit. Ich war da mals noch unverheirathet und mit Leib und Seele Soldat, auch fand ick ein hohes Glück darin, meinem Vaterlande einen vielleicht sehr wichtigen Dienst leisten zu können. So rüstete man mich denn als Kundschafter au». Ick erhielt einen anständigen Civilanzug, sowie rin offene- amt liches Schreiben, in welchem alle preußischen Behörden an gewiesen wurden, mir alle von mir verlangte Unterstützung zu Theil werden zu lassen. Wohlgemuth verließ ich Erfurt und gelangte, der Wege als geborener Langensalzaer durchaus kundig, bald nach Tonna. Hier kehrte ich im Kellerhof ein, wo man mich auf einen Menschen aufmerksam machte, dessen scheues Wesen aus gefallen war. Man vermuthete in ihm einen Spion und bolte deshalb den Gendarmen herbei. Derselbe nahm den Verdächtigen ins Gebet, wobei sich herauSslellte, daß man es mit einem harmlosen Handlungöreisenden zu thun hatte, der, unverhofft inmitten der KriegSwirren gerathen, seinen sonstige'. Gleickmuth verloren hatte. Von Tonna ging es nach Langensalza, wo ich beim Magistrat ein Geschirr requirirte. Nicht ohne viele Umstände erhielt ich ein solches; nach vielem Umherlaufen gab endlich der Färber Hartmann seinen Wagen her, wobei er mich besckwor, ja vorsichtig zu sein, damit ihm da» Pferd erhalten bleibe. Meine Verwandten und Bekannten kamen, als ich das Gefährt bestieg, herbei, wobei eS nicht an ernstlichen Versuchen fehlte, mick von meinem Vorhaben abzubringen. Man nahm endlich Abschied von mir wie von einem dem Tode Geweihten. In Schönstedt machte ich einen kurzen Halt. Dort trafen einige Langensalzaer ein, welche aus der Gegend von Mühlhausen kamen und die Hannoveraner gesehen batten; sie warnten mich, weiter zu fahren. Indessen konnte mich Foiiilletsii. Haschen. Novellette von Otto Schmelzer (Berlin). Nachdruck vertotrn. Der RegierungSaffefsor Erich Klausen saß am Fenster seines Arbeitszimmers und sah nachdenklich hinab in daS Straßengewühl. Auf dem Fensterbret neben ihm lag ein Brief, den er eben durchflogen hatte und zu dem er von Zeit zu Zeit wieder griff, um einzelne Stellen nochmals zu über lesen. Sonderlich erbaut schien er von dem Inhalte nickt zu sein, denn er machte ein ziemlich unwirsches Gesicht, das auch nicht freundlicher wurde, al- jetzt nach einem kurzen Regenschauer die Strahlen der Junimvrgensonne lachend in sein Zimmer sielen. Die dumme Geschichte kam ihm auch recht zur Unzeit in die Quere! Schrieb ihm da der Inspektor seines väterlichen Gutes, daß der Pächter einen Schlaganfall gehabt habe, der seinen Tod in absehbarer Frist herbeiführen müsse. Dann hieß es weiter: . . . „Die Familie wird die Pacht nicht ballen können, wir müssen uns also bald nach einem neuen Pächter umsehen. Ich selbst bin, wie Sie wissen, lieber junger Herr, schlecht auf den Beinen; aufs Pferd komme ich schon gar nicht mehr. Ich will froh sein, wenn ich die heurige Ernte glücklich überstanden habe; dann muß ich aufs Alten teil wandern. Das Beste wärt schon, wenn Sie selbst ein ¬ mal herkLmen und sich Grünhof ansähen, da» Sie ja wohl gar nicht mehr kennen. Wenn Sie nicht auf dem Gute wohnen wollen, wird sich unser alter Herr Pfarrer gewiß freuen, wenn Sie bei ibm Quartier nehmen. Seine Haus ¬ hälterin ist vor zwei Jahren gestorben, aber seine Tochter Grete führt ihm die Wirtschaft, daß e» ein Stolz ist." Da war nun schließlich nicht viel zu überlegen. Hinreisen mußte der Assessor auf jeden Fall, denn er sah wohl, daß sein alter Inspektor, der schon zu seines Vaters Zeiten mir der Gicht auf allzu vertrauten Füßen gestanden hatte, das Gut unmöglich allein würde bewirthschaften können. Erich Klausen hatte da» Gut seit seine» Vater» Tode, seit mehr als zwölf Jahren, nicht wiedergesehen. Der Pächter war ein mürrischer und unverträglicher Mann, der an Allem zu nörgeln hatte und immer unzufrieden war. Darum hatte Erich Grünhof gemieden, so oft ihn auch, namentlich in den ersten Jahren, die Sehnsucht nach seiner Heimath erfaßte. Der Inspektor seine» Baler» hatte getreulich dort au-gehalten und zwischen ibm und dem Pächter vermittelt, wa« sie beide geschäftlich mit einander zu tbun hatten. So war da« unfreundliche Verhältniß immerhin zu ertragen gewesen. Man schrieb Pfingstsonnabend. Da» fiel ihm allerdings erst ein, al» ein paar Wagen mit grünen Maien vor seinem Fenster hielten und Jung und Alt sich hinzudrängte, den Pfingstschmuck zu kaufen. Und da sahen seine Augen etwa», das ihn ganz gefangen nahm. Ein blondes Mädchen von höchstens zwölf Jahren batte einen Zweig erstanden und chwenkte ihn fröhlich durck die Luft; ein Junge wollte ibn ihr entreißen, aber sie lief eiligst davon: „Ich hascbe Dich doch, Else", rief er siegesgewiß, gab ihr einen kleinen Vor- prung und eilte ihr dann nack. Die Kleine lief, was sie onnte, aber er war schneller als sie. Im Thorweg holte er le ein, schlang den Arm um ihren Hals und gab der Wider- trebenden hinter dem vorgebaltenen Zweig einen herzhaften ?uß, um dann schleunigst davonzurennen. DaS Mädckeu chlug heftig mit dem Zweige nack ihm, ohne ihn zu treffen, und sah sich dann mit rothem Kopfe um, ob Jemand ihre Niederlage bemerkt habe. In Erich Klausen wurde plötzlich eine Erinnerung edendig. Just so batte er's damals mit der „Pfarrzrete", wie sie im Dorfe hieß, gemacht, als er sie zum letzten Male gesehen. Die war damals auch höchstens zwölf Jahre und er ein langer Gymnasiast gewesen, der zum Ferien besuch in der Heimath weilte. Zum Spielen war er ja eigentlich schon etwas zu erwachsen gewesen, aber sich mit der Pfarrgrete zu Haschen, ließ er sich doch noch bisweilen groß- müthig herab. Natürlich hatte sie ihn vergeblich einzuholen gesucht, fo flink sie auch war und so nahe er sie herankommen ließ. Dann aber haschte er sie und hatte ihr einen so weiten Vorsprung gegeben, daß «r sie gerade erst beim Ziele ergriff. „Gilt nicht, gilt nicht!" rief sie laut, al» er sie beim Arme faßte. Aber er kehrte sich nicht daran, und wie sie ihn mit ihren funkelnden Augen anblickte, da kam es plötzlich Uber ihn, er wußte nicht wie, und im Nu hatte er ihr den Mund geküßt. Dann war auch er davon gerannt und hatte noch ihre zürnenden Worte gehört: „Schäm' Dick was, Du großer Schlingel! Ich sag's dem Papa!" Aber sie hatte e» nicht gesagt. DaS Alles fiel ihm jetzt wieder ein, so daß er lächeln mußte und unwillkürlich in dem Brief noch einmal die Stelle suchte: „aber seine Grete führt ihm die Wirthschaft, daß es ein Stolz ist." Er erhob sich, ging an den Tifch und schlug ein Album auf. Ja, daS war sie! Auf diesem Bilde mochte sie etwa sechzehn Jahre sein; sie war im Einsegnung-kleid und trug emen Maienstrauß in der Hand. Der Pfarrer hatte es ihm einmal mit in den Brief gelegt, und sie batte «inen Gruß darunter geschrieben. Er hatte stck wohl kaum dafür bedankt und nur selten an sie gedacht. Und nun mußte er sie sich im Geiste auSmalen, die Pfarrgrete, die nun schon dreiundzwanzia Jahre alt war! Rasch entschlossen, holt« er ein Cur-buch von seinem Schreibtisch und begann zu blättern. Endlich fand er den Zug. Punkt zwölf Uhr ging er vom Bahnhof ab, gleich nach vier Uhr war er in Hochdorf, und von dort konnte man zu Wagen Grünhof in einer Stunde erreichen. Auf dem Bahnhof wimmelte e» schwarz von Menschen, fröhlichen Pfingstau»flüalern, die daS Frühling-fest fern vom Häusermeer der Hauptstadt verleben wollten. Und in dem frohen Trubel kam auch über Erich Klausen «ine gehobene Psingststimmung. Wie er eben in den Wagen steigen wollte, schlug ihm ein Freund auf die Schulter und fragte: „Wohin willst Du denn?" „Haschen spielen!" lachte er und warf sich, vergnügt über des Andern verdutzte» Gesicht, in die Ecke des Eoupvs. Und die Lust wuchs noch, als der Zug sich durch Wald und Wiesen schlängelte und die Natur im frifchgewaschenen Frühlingskleide ihm überall entgegenlachte und leuchtete. In Hochdorf war an Stelle de» kleinen WärterbäuSchenS von ehedem rin hübsches EmpfangSgebäudr von rothen Back steinen entstanden. Auf dem Perron erkannte Erich auf den ersten Blick einen alten Knecht au» Grünhof und bot ihm einen guten Tag. Der war nicht schlecht erstaunt, den jungen Herrn zu sehen, der so lange fern geblieben war. „Aber mitnehme» kann ick Ihnen nickt, junger Herr; ich muß Frachtgut fahren und da geht da» nur langsam vorwärt»." „Um so besser, Krischan, dann will ich gehen; werde den Weg schon nickt vergessen haben." Die Hälfte de» Wegs führte über Wiesen, aus denen ein frischer Erdgeruch strömte. Dann begann der Buchen wald, der schon zum Gute gehörte. Dem jungen Gutsherrn wurde da» Herz weit, als er durch all die' grüne Prachl unter den stolzen Baumkronen dahinschritt. Er mochte wohl eine halbe Stunde durch den Wald ge gangen sein, als er hinter sich eine Mädchenstimme hörte, die einen Hund rief. Erich wandte sich um und sah, wie ein gelber Teckel bellend auf ihn zusprang, den seine Herrin vergeblich zurückzuhalten versuchte. Diese stand seitwärts im Walde, kaum zwanzig Schritt von Erich entfernt. „Lasten Sie ihn nur bellen", rief er lachend hinüber, „so gar gefährlich sieht er nicht au«. Din ich hier auf dem richten Wege nach Grünhof?" Da» junge Mädchen kam langsam näher. „Ja, das ist der Weg nach Grünhof. In zehn Minuten kommen Sie aus dem Walde. Es ist Alles noch so wie früher", setzte sie hinzu, und Erich meinte ein schelmische» Zucken um ihre Mundwinkel zu sehen. Er hatte den Hut gelüftet und trat ihr entgegen. Plötzlich blieb er wie gebannt stehen, seine Augen hingen erstaunt an der schlanken Mädchengestalt. „Alle» wie früher", sagte er dann, — „nur die kleine Psarrarrte scheint mir viel, viel größer geworden zu sein und noch viel, viel —" „Haben Sie mich wirklich wiedrrerkannt?" sagte Grete und bot ihm unbefangen die Hand. „Ich hatte Sie näm lich schon eine Weile beobachtet, eh« der dumme Hund mich vrrrieth —" „So? Um mich dann trotzdem wie einen Fremden und nicht wie einen alten Jugendfreund anzureden?" „Ich fürchte, da» Dusagen hab' ich in der langen Zeit verlernt, — aber ich will versuchen, e« wieder zu lernen." „Da« ist ein Wort, Grete. Und dafür will ich Dir auch sagen, weshalb ich hierher gekommen bin." „Ich weiß c» schon. Der Amtmann ist krank und Sie — Du willst Grünhof an einen Andern verpachten, nicht wahr?" „Ack, das ist Nebensache; einen Amtmann hab' ick so gut wie sicher. Nein, Grete, — Du magst mich au-lachen, aber es ist doch so: ich wollte einmal wieder hier im Grünen — Haschen spielen." „Haschen spielen?" lachte sie hell auf. „Ja, um Alle» in der Welt, mit wem denn?" „Gerade mit Dir, Grete." „Ach, geh' doch, wir sind Beide keine Kinder mehr!" „Dann werden wir's halt wieder. Siehst Du, seit heute früh bat mich so eine unbändige Lust dazu gefaßt. Du darfst es mir nicht abschlagen." Sie stand mit gesenktem Haupt halb abgewandt neben ibm. Ein feines Roth stieg an ibrem Nacken auf und verlor sich unter dem krausblonden Haar. Erwachte auch in ihr eine Erinnerung? . . . „Nun gut, Erich", entschied sie fick endlich, mit Lachen und Verwirrung kämpfend. „Wenn Du schon wirklich so verdreht bist, will ich Dir den Willen thun. Morgen früh wollen wir Haschen spielen." „Nichts da, Grete, nicht morgen; hier auf der Stelle. Wer weiß, ob Du morgen noch dafür zu haben bist. Also nimm Deinen großen Hut ab und halte Dich fertig!" „Du bist rin Quälgeist, Erich! Bedenke doch, wenn cs ein Mensch sieht . . ." Aber sie legte doch den breitrandigen Hut ab und schürzte da» belle Kleid ein wenig. „Bis zum Grabenrand gilt », nicht weiter! Bleib' aber stehen und laß mir einen ritterlichen Vorsprung . . . Vor wärts, los!" Dahin jagte sie, wie ein flüchtiges Reh. „Hobo!" rief Erich übermüthig. „Und wenn ich Dir durch alle Welt nachlaufen sollte, ich hasche Dich doch, Kind!" Mit langen Sätzen stürmte er ihr nach, und dickt vor dem Grabenrand hielt er sie hochathmend in seinen Armen. Und ehe Beide recht wußten, wie ihnen geschah, batten ihre Lippenpaare sich gefunden, und er küßte sie, küßte sie immer von Neuem auf den kleinen Mund und die ge schloffenen Augen . . . Al» sie dann Hand in Hand zum Walde hinauStraten, lag in smaragdgrüne Wiesen gebettet das stattliche Gur mit seinen sauberen WirthschaftSgebäuden vor ihnen, und der vergoldete Wetterhahn auf dem Dache blitzte grüßend im Sonnenlichte herüber. „Unser Heim!" flüsterte Erich und zog zärtlich die schlanke Gestalt an seiner Seite an sich, die mit glückerhellten Angen zu ibm aufschaute. Im selben Augenblicke begannen drüben vom Dorfe her die Glocken da» Pfingstfest cinzuläuten, und ihr schwingender Schall weckte ein frobes Echo in den Herzen der beiden jungen Menschen, die sich wieder al« sorgenlose Kinder fühlten, al» hätten Zeit und Raum sie nie getrennt gehabt.
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