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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.06.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970602023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897060202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897060202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-02
- Monat1897-06
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Mit Recht bemerkt hierzu die „Post": „Diese Begründung ist an sich ziemlich hinfällig, namentlich angesichts der Thatsache, daß bei dem Festmahle Reichstag und Bundesrath, sowie die Regierung der freien Stadt Hamburg ver treten waren. Der ganze Vorgang würde aber in ein ganz eigenthümliches Licht gerückt werden, wenn die von Festtheilnehmern vertretene Auffassung zuträfe, daß der Kaisertoast mit Rücksicht auf die an der Fe st- fahrt betheiligtenSocialdemokraten unter blieben sei. UnS freilich erscheint diese Mittheilung, so sicher sie auftritt, völlig unglaubhaft, so ganz un möglich, daß sie nur auf einem Mißverständniß beruhen kann. Wir können nicht annehmen, daß das Niveau unserer politischen Zustände schon so tief gesunken sei, daß zarte Rücksichtnahme auf die antimonarchische Gesinnung einer Anzahl von Vertretern einer auf den Umsturz unserer Staats einrichtungen gerichteten Partei die monarchischen und patrio tischen Gesinnungen und die dem Kaiser gebührende Ehrung unter drücke. Wir können noch weniger glauben, daß hohe Würden träger und monarchisch und vaterländisch gesinnte Männer anderer Art sich zu einer solchen Kniebeugung vor der inter nationalen und revolutionären Socialdemokratie her gegeben hätten. Das Alles spricht entschieden gegen die Nichtigkeit der erwähnten Angabe." Auch wir bezweifeln die Richtigkeit der Angabe, denn die Ver anstalter des Festes gehören unseres Wissens nicht zu den „National-Socialen". Sollte aber wirklich in Hamburg eine solche unerhörte Rücksicht auf die betheiligte» Social demokraten genommen worden sein, so würde die Strafe dafür auf dem Fuße folgen. In den Kreisen der „Genossen" hatte man es nämlich anfangs für unmög lich gebalten, daß die Vertreter des Proletariats an einem Feste theilnehmen würden, deren Veran stalter zum Theil in der vordersten Linie der kämpfenden Arbeitgeber gegen die streikenden Hafenarbeiter gestanden batten. Und als das Unerwartete sich doch ereignete und die Herren Bebel, Zubeil, Wurm u. s. w. als Gäste der Ham burger antisociatistischen Großbürger sich trefflich amüstrlen, da brach in den Kreisen der Genossen der Unwille kräftig aus. Gegen das Bürgerthum zu wettern und zu zetern und doch aus seinen Festen sich gütlich zu thun, das erschien den Stimmführern der Grollenden als ein grober Verstoß gegen die socialvemokratische Würde und Taktik. Genosse Schoen- lank giebt dieser Mißstimmung in der „Leipz. Volksztg." mit den Worten Ausdruck: „Wir können diese.... Meldung nicht für richtig halten, da e» uns unglaublich erscheint, daß deutsche Arbeitervertreter einer Ein» ladung desselben Hamburger Großbürgerthuins statigegeben haben könnten, das vor einigen Monaten den „Kamps um die Macht" im Hafenarbeiterausstunde mit solch unglaublicher Brutalität, unterstützt von den Hamburger Behörden und der Reichsregierung, geführt hat." Jedenfalls wird die Angelegenheit auch in Volksversamm lungen zur Sprache gebracht werden, bei denen es an deftigen Angriffen auf die auf Kosten des BürgerthumS schmausenden und zechenden socialdemokratischen Abgeordneten nicht fehlen wird. Welcher Triumph für die Angegriffenen, wenn sie dann erhobenen Hauptes erklären könnten, aus Rücksicht auf sie habe das „Hamburger Protzenthum" trotz der Anwesenheit von Vertretern des Bundesraths und der eigenen Regierung einen Trinkspruch auf den Kaiser unterlassen! Und welche Beschämung für die Veranstalter, wenn sie eingestehen müßten, durch ihr Verhalten den sie ohnehin hassenden socialdemo kratischen Gästen auch noch zu einem solchen Triumphe über ihre grollenden Genossen verholfen zu haben! Der achte internationale Bergarbeitcrcongreh tritt am 7. Juni in London zusammen. AIS Delegirte sind nur Bergleute und Secretaire von Gewerkschaften zugelassen. Der letzte deutsche Bergarbeitertag in Helmstedt hat als seine Delegirten den socialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Möller, sowie die Herren Sachße und Mühlenbeck bestimmt. Auch der christliche Bergarbeiterverband im Ruhrrevier ist zur Theilnahme an den internationalen Verhandlungen aufgefordert worden, hat aber, wie der Telegraph aus Dort mund meldet, abgelehnt. Auf der Tagesordnung steht zunächst wieder der Achtstundentag. Während aber die britische Miners Federation ohne weitere Erläuterung den Acht stundentag, einschließlich Ein- und Ausfahrt, fordert, ver langen Deutschland und Frankreich übereinstimmend diesen Achtstundentag für alle Bergarbeiter ohne Unterschied, ob diese über oder unter der Oberfläche arbeiten. Auf früheren Congressen forderte ein Theil der britischen Bergarbeiter die Achtstundenschicht nur für die Berg arbeiter unter Tage, und man kam deshalb zu keiner Einigung. Weiter ist die Frage der Ueberproduction von Frankreich und Belgien, die Frage der Nationalisirung sämmtlicher Bergwerke von Frankreich auf die Tagesordnung gesetzt worden. Belgien beantragt die Organisation einer ärztlichen Pflegestation in unmittelbarer Nähe der Gruben. Andere Verhandlungen gelten der Haftpflicht, dem SchiedS- richterwesen, den Arbeitsordnungen und den Jnvaliden- unb Kranken - Cafsen. Als wichtigsten Punct des Pro gramms muß man dir ArbeitSlohnfragc betrachten. Die Miner» Federation beantragt hierru: Der Zeitpunkt ist für alle Bergarbeiter gekommen, einen Mindest lohn festzusetzen und für denselben zu kämpfen, wenn es nötbig werden sollte. Die deutschen Vertreter beantragten den Zusatz, daß im Falle des Kampfes gegenseitige internationale Unterstützung eiutretcn soll. Bekanntlich wird schon längere Zeit mit der Möglichkeit gerechnet, daß sich an die Frage des Mindestlohnes ein Berg- arbeiter-AuSstand knüpfen kann. Der Präsident der französischen Republik, Faure, soll, wie telegraphisch gemeldet worden, am 25. Juli in Petersburg eintreffen, um den Besuch des Zaren zu erwidern. Da mit deutlich erkennbarer Absicht hinzugefügt wird, eS sei geplant, den Wasserweg zu benutzen, erscheint, wie die „Nat.-Ztg." bemerkt, die Ironie sehr zeitgemäß, mit der Caran d'Ache, der sarkastische Zeichner des „Figaro", unter dem Titel: „Die Marschroute" den Präsidenten der Republik verspottet, der um jeden Preis ein Zusammentreffen mit dem deutschen Kaiser vermeiden wolle. Im Elyssepalast sitzt Faure vor einem Globus und prüft der Reihe nach alle Wege, die er nehmen könnte, um nach der russischen Hauptstadt zu gelangen. Der kürzeste über Berlin ist ausgeschloffen, würde Faure doch dann vom Kaiser empfangen werden und gezwungen sein, ihn zum Besuche der Pariser Weltausstellung von 1900 einzuladen. In Wien wäre Faure, wie Caran d'Ache meint, nicht minder sicher, dem deutschen Kaiser zu begegnen. Auf dem Seewege durch den Nordostseecanal wiederum läge Kiel hart am Wege. Auch die Fahrt über Brindisi und dann durch die Dardanellen und das Schwarze Meer erscheint dem Spottvogel unmöglich, da Kaiser Wilhelm mit dem Sultan allzu gut stehe; selbst auf den Umweg über noch südlichere Meere muß verzichtet werden, und wenn die südafrikanische Republik auch nicht unmittelbar an das Meer stößt, so vergißt Faure doch nicht die freundschaftliche Depesche, die der deutsche Kaiser an den Präsidenten Krüger gesandt hat, und daß die Boeren seine besten Freunde seien. So entscheidet Faure sich dafür, die — Nordpolfahrt Nansen's in umgekehrter Richtung zu unternehmen, um anS Ziel zu gelangen. Ergötzlich wird dann geschildert und ge zeichnet,wie der Präsidentder französischenRepublik ganz im Stile Nansen's Jahr auf Jahr verrinnen sieht, bis er beim Ablaufe des dritten auf einen Eskimo stößt, den er, der nur mit Hut schachtel und Koffer bewaffnete StaatSchef, freundlich nach seinem Thun fragt. Unmittelbar nachdem der Eskimo er widert, daß er sich für einen „erhabenen Jäger" auf der Robbenjagd befände, erscheint im letzten Bilde — Kaiser Wilhelm II. im Jagdcostüm! Gegenüber dem Chef der Republik liegt aber noch eine besondere Satire darin, daß Caran d'Ache ihn inmitten von Schnee und Eis den Frack mit Stern und Ordensband aus dem Koffer holen und anleaen läßt, damit er den „erhabenen Jäger" würdig empfangen könne. Es scheint, als ob die Schwierigkeiten, welche sich den griechisch-türkischen Friedensverhandlungen anfangs in den Weg stellten, durch Nachgiebigkeit in Athen wie in Kon stantinopel jetzt beseitigt wären. Es wird uns berichtet: * Konstantinopel, 1. Juni. (Meldung deS k. k. Tel. Corr.» Bureau».) Der Minister des Auswärtigen theilte dem Doyen der Botschafter mündlich mit, die Pforte gewähre im Princip für die Dauer der Friedensverhandlungen den geltenden Waffen stillstand, besten Uaterzeichnnng im türkischen Haupt quartier bevorstehe. Die türkischen Vertreter für die Friedens verhandlungen mit den Botschaftern sind bereits ernannt. Dir Verhandlungen beginnen in den nächsten Tagen. Bekanntlich bestand die Pforte noch bis vor wenigen Tagen aus einen vierzehntägigen Waffenstillstand, der im Bcdarssfalle verlängert werden könnte, während die Bot schafter Werth darauf legten, daß der Waffenstillstand von vornherein bis zum endgiltigen Friedensschlüsse in Kraft bleibe, also nicht Gefahr laufe, unterbrochen zu werden. In diesem Puncte scheint die Pforte sich entgegenkommend gezeigt zu haben. Ebenso darf man aus der Mittheilung, daß die Friedensverhandlungen mit den Bot sch astern geführt werden sollen, schließen, daß diePforte auf directe Verhandlungen mit Griechenland in Pharsala verzichtet hat. Andererseits hat die griechische Regierung dem Verlangen der Pforte nach gegeben, im türkischen Hauptquartier Schritte wegen des Waffenstillstandes herbeizuführen. Man zieht also, wie auch au« anderen Anreichen hervorgeht, in Athen jetzt doch andere Saiten auf. Die griechische Regierung hat sich offen bar von der Unmöglichkeit überzeugt, vor dem Abschluß deS Friedens mit der Türkei die Räumung Thessaliens durch die türkische Armee herbeizuführen und sich damit in die glückliche Lage zu bringen, dem Sultan eine Nase zu drehen. Die eigentlichen Schwierigkeiten werden jetzt erst beginnen, denn in Konstantinopel hält man zäh daran fest, daß Thessalien wieder in türkischen Besitz zu kommen habe und in Athen will man der Pforte nur die thatsäch- lichen Kriegskosten erstatten. Einigermaßen überraschend klingt die über Wien hierher gelangte Meldung aus Athen, wonach König Georg mehrere längere Unterredungen mit Levi dis gehabt habe, der zur Zeit deS Ministeriums Delyannis Marineminister gewesen ist und ein sehr popu- lairer Mann sein soll. Der König, wird hinzugefügt, hoffe mit einem Cabinet Levidis weiter zu kommen wie mit Ralli. Das klingt nicht gerade wahrscheinlich. Vor einigen Tagen erst hat die „Gazetta Piemontesa" eine Unterredung mit Levidis veröffentlicht, in der dieser eS für eine Pflicht Griechenlands erklärt haben soll, nach dem Friedensschluß augen blicklich an die Revanche zu denken, das Heer zu organisiren und die Finanzen lediglich dem militairischen Zweck anzupassen. In zwei oder drei Jahren werde Griechen land alsdann einen Revanchekrieg mit aller Aussicht auf Er folg wieder ausnehmen können. Daß man wieder mit solchen Gesinnungen gerade jetzt iu Athen am Platze sein würde, ist zweifelhaft; man müßte denn in Athen den Nachdruck darauf legen, daß Herr Levidis wenigstens den Abschluß des Friedens für jetzt als unvermeidlich ansieht. Türkischcrseits macht man sich für alle Fälle bereit, wie aus unserer im Morzenblatte mit- getbeilten Konstantinopeler Meldung hervorgeht, wonach eine völlige Reorganisation der türkischen Flotte und des gesammten Marinewesens geplant ist. Dies geschieht sicherlich nicht, um nur Griechenland zur See gewachsen zu sein, sondern auch, um event. dem Willen Europas trotzen zu können. Mit dem Bau von »neuen Schlachtschiffen soll eine englische Werst betraut werden, welche den Vor schlag gemacht hat, das türkische Marinearsenal aus fünf Jahre zu übernehmen. Jedenfalls wird diese geschäftliche Zu wendung an den englischen Schiffsbau — es handelt sich um vorläufig 5 Millionen Pfund — etwaigen gegenseitige» An näherungsversuchen zwischen England und der Pforte nicht zum Schaden gereichen. Im rran-vaal-Untersuchung-auSschutz, der immer noch in London tagt, haben sich wieder Momente ergeben, welche dem Verdacht Nahrung geben, daß das britische Auswär tige Amt um den Einfall Jameson'S gewußt hat. Man meldet uns darüber: * London, 1. Juni. Der Rechtsbeistand von Harris, sowie Beit beantragten, Harris nochmals als Zeugen zu vernehmen, um demselben Gelegenheit zu geben, die Behauptungen Labouchere's zu widerlegen. Der Vorsitzende lehnte den Antrag ab. Es folgte die Vernehmung Chamberlain's. Derselbe wies die Aus sage von Harris zurück, daß er im Colonialamt gelegentlich einer Unterredung reservirte Anspielungen auf den Plan Jameson'S gemacht und dabei angedeutet habe, daß es Wünschenswerth sei, für den Fall eines Ausstandes in Johannesburg eine be waffnete Macht an der Grenze zu haben. Chamberlain betonte, daß es außerordentlich schwierig sei, sich dessen zu erinnern, was vor zwei Jahren gesagt worden sei, er habe aber trotzdem die Ueberzeugung, daß sich Harri» geirrt habe. Eine Anspielung auf An sammlung einer Truppenabtheilung an der Grenze sei eine sehr unschuldige Bemerkung gewesen. Bezüglich des Inhaltes der Depeschen, deren Herausgabe Hawksley, der Anwalt von Rhodes, verweigerte, sagte Chamberlain, dieselben seien denjenigen sehr ähnlich, welche bereits veröffentlicht worden seien, und riefen Len Eindruck hervor. Laß das Colonialamt dem „Plane" zu gestimmt habe. Chamberlain legte denselben im Uebrigen keinen Werth bei, da er nicht glaubt, Laß Jemand annehmen könne, er FeuiHeton. Zwei Frauen. 18s " Roman von F. Marion-Crawford. Nachdruck «erboten. Es blieb kein Zweifel, kein Schatten einer Hoffnung. Greif von Greifenstein war Rex' Bruder und Beide waren an demselben Tage vaterlos nnd mutterlos geworden. Die Frage drängte sich Rex auf, ob er unter dem Gewicht von Erinnerungen, die keine Zeit auszulöschen, kein künftiges Glück zu mildern vermochte, weiterleben sollte. Was war sein Leben gewesen? Ein namenloses, obwohl, wenn Alles bekannt würde, er von den beiden Brüdern allein auf einen Namen Anspruch halte. Die Möglichkeit, der Kette deS Todes ein viertes Glied ruzufügen, gebot seinem Wahnsinn Halt. Niemand kannte sein Geheimniß und Niemand sollte eS kennen lerne». Alles war vorüber und die Enthüllung der Wahrheit konnte der Gerechtigkeit so wenig dienen wie die Geheimhaltung Jemand schädigen. Im Gegentheil, zu sagen, was er wußte, würde Greif's Verderben bedeuten. Bei dem Gedanken an Greif wurde Rex ruhig. Er richtete sich auf und sah zerstreut nach der Wand gegenüber. Ihm war etwas geblieben, für da« er leben konnte, da Greis sein Bruder war, Greif, der in diesem Augenblick an der Leiche derjenigen weilte, die beider Mutter gewesen, der zum letzten Male in daS Gesicht schaute, das zweifellos in ihm dieselben zärtlichen Erinnerungen zurückrief, die Rex so lange und so treu bewahrt hatte. Der heftige Wunsch, sie zu sehen, bemächtigte sich seiner. Die irregeleitete Ver ehrung einer Lebenszeit war iu einem Augenblick ver schwunden, und Rex fühlte daS Bedürfniß, die Wahrheit, so grauenvoll sie auch sein mochte, an ihre Stell« zu setzen; aber ihm selbst unbewußt, war im Grunde seine- Herzen« kindliche Zärtlichkeit zurückgeblieben. Sündhaft, unter den Händen der Männer gestorben, di« sie so schmählich betrogen batte, war sie dennoch seine Mutter, und dir unbewußte Sehnsucht, da« Gesicht der Frau, die ihn geboren und deren Bild sein Herz erfüllt hatte, seit er kleines Kind gewesen, noch einmal zu sehen, regt« sich immer mächtiger in ihm. Der Gedanke, sich seinem Bruder zu widmen und seine ganz« Kraft und seinen Verstand aufzubieten, Greif die schreck lich« Erinnerung dieses Tage- übrrwinven zu helfen, belebte sein Gemüth. Er wußte, daß Greif einer Stütze, des Trostes und der Hilfe bedürfen würde und daß außer ihm Niemand da sein würde, ihm das Alle» zu gewähren. Zum ersten Male in seinem Leben beschloß er, sich ganz und gar der Wohlfahrt eines Anderen zu wrvmen. 14. Cap itel. Eine Stunde später kehrte Greif, von seinem Vetter gestützt, wie gebrochen aus dem in eine Trauercapelle um gewandelten Schlafzimmer in seine eigenen Gemächer zurück. Stark und fest entschlossen, ruhig zu bleiben, hatte ihn der Anblick doch zu sehr erschüttert, und e» war klar, daß, wenn er nicht Schlaf finden konnte, er der furchtbaren Anspannung seiner Nerven erliegen mußte. Er taumelte wie ein Mensch im Halbschaf, seine sonst so strahlenden Augen waren gläsern und starr, seine Finger unfähig, den Arm des Vetters zu umspannen, der ihn mehr tragen als führen mußte. Rex hatte auch vor der Leiche seiner Mutter gestanden, aber als er gesehen, was ihn unwiderstehlich in das Zimmer gezogen, fühlte er den Wunsch nicht, noch einmal zurückzukehren. Die welken, bleichen Züge der Todten riesen nichts von der Süßigkeit au- vergangenen Tagen in sein Gemüth zurück, während ihr schmerzrnsstarrrr Ausdruck da- Grauen der Gegen wart bis zur Unerträglichkeit erhöhte. Er hatte lange in dem anderen Zimmer verweilt, in dem sein Vater lag, und als er in das strenge dunkle Gesicht blickte, stieg heißer Zorn in seiner Brust auf. Er wurde aber wieder ruhiger, als er sich vergegenwärtigte, daß aller Rache und aller Gerechtigkeit Genüge geschehen und kein lebende- Wesen zurückgeblieben war, gegen das sein Groll sich richten konnte. Und jetzt stand die Morgensonne hoch am Himmel und spottete der Finsterniß in den Herzen der Menschen; sie strahlte so hell und so klar auf die Mauern de- alten Schlosse- nieder, wie sie gestern daraus niedrrschien und wie sie morgen wieder darauf niederscheiuen würde. Die Natur iu ihrer erbarmungslosen Ironie hatte an jenem klaren Wintermorgen rin außergewöhnlich heitere» Aussehen. Es war rin Tag, wie der alte Greifenstein sie zu seinen Jagd- auSflügrn in den Wald wählte, «in Tag, wie er auch der armen Klara erträglicher erschienen wäre. Weder Greif noch Rex wurden au jenem Tage wieder sichtbar. Die Ver treter deS Gesetzes kamen an, walteten ihres Amtes -und stärkten sich an einem Mahle, da» ihnen der Haushofmeister an derselben Tafel vorsetzte, um die am Abend zuvor die ge sessen batten, deren Tod zu bescheinigen die Herren hier waren. Di« Angelegenheit war schnell genug erledigt und nachdem Alles geschehen, wa« nothwendig, kehrten sie wieder nach der Stadt zurück. Die Baronin von Wildenberg bewegte sich geräuschlos im Hause umher, traf die erforderlichen Anord nungen und setzte sich zuweilen in einem stillen Winkel nieder, um einige Seiten in einem Erbauungsbuche zu lesen. Mehr als einmal ging sie in die verschiedenen Zimmer, in die Greif und Rex sich zurückgezogen hatten, um nachzusehen, ob sie etwas für sie thun könne. Greis lag in dem einem großen Sessel zurückqelehnt, bleich und erschöpft vor Kummer, aber offenbar Herr seiner selbst. Als sie zum letzten Male bei ihm eintrat, schlief er und sie seufzte erleichtert auf, denn nun wußte sie die Hauptgefahr vorüber. So oft sie bei Rex erschien, sand sie ihn lesend, ob er verstand, was er las, oder nicht, konnte sie nicht entscheiden. Er blickte immer ruhig auf, wenn sie eintrat, dankte ihr für ihre freundliche Mühewaltung und sagte, daß er nichts brauche. Die Baronin konnte nicht ruhen. Die Verantwortlichkeit, die sie auf sich lasten fühlte, genügte, ihre Energie aufrecht zu erhalten, aber ihr Gemüth wurde durch eine in ihren Augen noch gewichtigere Angelegenheit bedrückt. Die furcht baren Schwierigkeiten der Zukunft lagen klar vor ihr, und sie wußte, daß sie eS nicht mit den bloßen Schatten von Dingen zu thun hatte, die erst kommen sollten, sondern eS waren bereit- vorhandene Räthsel, deren Lösung all ihre Kraft in Anspruch nahm. Am nächsten Tage würde daS Gruftgewölbe Die in seinem Schooß ausgenommen haben, die so tragisch geendet batten. Nach ihrer Beisetzung durfte sie nicht länger in Greifenstein verweilen. Sie war nie zuvor auch nur für einen Tag vom ihrem Kinde getrennt gewesen und obgleich sie wußte, daß Hilda bei Bärbel lehr gut aufgehoben war, empfand sie die Trennung doch sehr schmerzlich. Daß Greif abreisen würde, ohne Hilda gesehen zu Haden, war nicht denkbar, und dennoch gab r» viele Gründe, we-halb eS ihr besser schien, daß die Beiden ein ander nicht wieder begegneten. Sie hatte den unvermeidlichen Kampf während der Stunden der Nacht vorauSgesehen, aber er war ihr nicht so furchtbar erschienen wie jetzt. Immer nur an Greif denkend, hatte e» ihr Nicht unmöglich geschienen, ihm offen zu sagen, was sie fühlte. Je länger sie aber überlegte, was geschehen müsse, desto deutlicher erkannte sie, daß Hilda vor allen Dingen zu berücksichtigen, und daß ihrer Tochter Glück ihr tbeurer war al» alle» Andere in der Welt, und bei dieser Erwägung sagte sie sich, daß die Heirath stattfinden müsse, komme waS da wolle. Für sie war Alles, waS seit dem Abend vorher geschehen war, in undurchdringliches Geheimniß gehüllt. Sie fand nicht die leiseste Erklärung für die verzweifelte That, deren Ergebniß sie vor sich gesehen hatte. Daß ein Streit zwischen den beiden Brüdern auSgebrochen war, die einander nach so vielen Jahren begegneten, und daß sie in einem Augenblick blinden Zornes auf einander geschossen, hätte sie begreifen können, ebenso, daß Klara bei dem Bemühen, die Streitenden zu trennen, umgekommen war, aber Alles deutete auf eine wohlüberlegte Absicht in dieser Tragödie, nicht auf einen beklagenswerthen Zufall. Rieseneck hatte an seinen Sohn geschrieben, aber Greifenstein nicht, wenigstens war kein Schriftstück von seiner Hand entdeckt Worten. Rex allein konnte daS Geheimniß wissen, wenn eS überhaupt enthüllt worden war. Ihr war es unbekannt, daß, wenn ein Selbst mord begangen worden ist, die Behörden ein Recht haben, in jeden Brief, den ter Verstorbene unmittelbar vor seinem Tode geschrieben, Einsicht zu nehmen. Der postfertige, an Rex adressirte Brief hatte ihre Aufmerksamkeit erregt und sie hatte ihn an sich genommen, mit der Absicht, ihn am nächsten Tage zur Post besorgen zu lassen, nicht ihn zu be seitigen, sondern ihn ohne Säumen seiner Bestimmung zu- zuführen. Die Herren von der Polizei und vom Gericht hatten die Baronin nicht mit Fragen belästigt, in der Vor aussetzung, daß, wenn sie einen Brief oder irgend etwa», Las eine Erklärung für die düsteren Geschehnisse herbeiführen könnte, gefunden, sie nicht gezögert haben würde, daS Ge fundene ohne Zögern auszuliefern. Daß Rex, der vielleicht die Wahrheit kannte, durch DaS, WaS er gelesen, furchtbar erschüttert war, hatte sie selbst gesehen, aber ob der Brief eine rolle Erklärung der Umstände enthalten, ließ sich nicht sagen. War eS so, dann glaubte sie erwarten zu dürfen, daß Rex den Brief nach einiger Zeit Greif zeigen, und wenn die erste Erschütterung vorüber sei, der junge Baron ihr selbst von dem Inhalt des Schreibens Mittheilung machen würde. Die Frage war, ob dies geschehen würde, ehe Greif Hilda sah. Trotz ihres natürlichen Widerstrebens gegen sollt» einen Schritt, war sie beinahe entschlossen, Rex geradezu zu fragen, ob, was er erfahren, einiges Licht auf die Lage werfe. Wenn sie wußte, weshalb diese drei Personen gestorben waren, konnte sie über ihr künftiges Verhalten besser entscheiden. Wenn Greifenstein sowobl Mörder al» Selbstmörder war, konnte sein Sohn Hilda nicht zur Frau bekommen. Es war Greif's Unglück und die Baronin schenkte ibm all' da» Mitgefühl, da- sie ihrem Kinde enrzieben konnte, aber in
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