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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.06.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970604015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897060401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897060401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-04
- Monat1897-06
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L- Di, akademische Lehrfreiheit ist in der letzten Zeit mehr und mehr Gegenstand der Erörterung geworden und erst in den jüngsten Tagen hat eine lebhafte Debatte im preußischen Herrenhause Anregung zum Nachdenken über eine Frage ge geben, die schon darum von höchster Wichtigkeit ist, weil die Lehrer der Hochschulen nicht nur auf ihre Hörer eiuen nach haltigen Einfluß ausüben, sondern weil sie auch bei dem Volke ein ihnen mit Recht zukommendes Ansehen als die geistiae Elite der Nation genießen. Man wird bei der Thätigkeit deS Gelehrten Dreierlei scheiden müssen: die stille wissenschaftliche Arbeit, die Lehr- tbätigkeit und die Bethätigung seiner Anschauungen in der Oeffentlichkeit in Ausübung seiner staatsbürgerlichen Rechte. Daß der wissenschaftlichen Arbeit vollste Freiheit gewahrt werden muß, darüber besteht wohl auf keiner Seite ein Zweifel, denn ohne volle Freiheit der wissenschaftlichen Arbeit wäre ein Fortschreiten der Wissenschaft undenkbar. Aber auch wenn der Gelehrte die Ergebnisse seiner wissen schaftlichen Arbeit einem weiteren Kreise zugänglich macht, indem er seine Anschauungen seinen Hörern vortragt, muß er in voller Freiheit seines Amtes walten können, weil sonst die unmittelbare Wirkung seiner Persönlichkeit aus die Hörer ent fällt. Wenn der Professor eine vvrgeschriebcne Lehr meinung vortragen soll statt der von ihm in ernster Arbeit gewonnenen Auffassung, dann kann er den Stoff nicht als etwas innerlich Durchlebtes, nicht als etwas gewisser maßen Erkämpftes seinen Hörern klar macken. Die Lebendig keit des Vortrages geht verloren, der Hörer wird zum mechanischen Nachschreiber, der zwar „getrost nach Hause tragen kann, was er schwarz auf weiß besitzt", aber von den vollgeschriebenen Heften nichts Anderes hat, als was er von jedem gedruckten Buche haben würde, aus dem er sich für das Examen einpaukt. Nun könnte man allerdings die Gefahr befürchten, daß die von einer kraftvollen Persönlichkeit dem Hörer ge gebene Auffassung den viel jüngeren, unerfahrenen Mann zum sklavischen Nachbeter der Worte deS Meisters machen werde, so daß also z. B. die Hörer der „Kathedersocialisten" bis in alle Ewigkeit wieder Kathedersocialisten sein würden. Vor dieser Gefahr schützt aber zunächst jeder gewissenhafte Gelehrte selbst seine Hörer, indem er ihnen die entgegengesetzten Auffassungen übersichtlich vorträgt und auch den Gegnern Gerechtigkeit zu Theil werden läßt. Manche gehen darin sogar so weit, wie der berühmte StrafrechtslehrerB-, der seinen Hörern zu sagen pflegte und eS vielleicht noch thut: „Meine Herren, ich warne Sie vor mir; ich stehe mit meiner Ansicht allein da". Von diesen Persönlichkeiten lernt der Hörer infolge der Anregung, die sie mit ihrem lebhaften Temperamente geben, selbst dann, wenn sie einmal eine tatsächlich unrichtige Auf fassung vorlragen, immer noch viel mehr als von noch so vorsichtigen und correcten Herren, die den jungen Menschen unter einer Wucht trockenen Materials erdrücken, Gerade die, wir möchten sagen, mehr individuelle, mehr kampflustige, die Ereignisse der Gegenwart unbesorgt in den Vortrag hineinziehende Art, die bei den Vorträgen über öffentliches Recht und Volkswirthschaft auf deutschen Lehrstühlen heimisch geworden ist, gerade diese Art ist ein Portheil iür die Ent wickelung der studirenden Jugend und schützt sie, di« dem Vaterlande als Beamte in den verschiedensten Stellungen dienen sollen, vor bureaukratischer Engherzigkeit. Von noch größerem Nutzen wird die moderne Richtung deS Lehrkörpers sein, wenn die Lehrer noch mehr, als es im Allgemeinen jetzt geschieht, sich im praktischen Leben umthun. Denn noch immer klebt ihnen oft der akademische Fehler an, die reiche Entwickelung des politischen und wirthschaftlichen Lebens in ein bestimmtes System pressen zu wollen, das auf einige Fälle passen mag, aber durch Verallgemeinerung falsch wird. An diesem Fehler krankten besonders manche unter den mo dernen Wirtbschaftspolitikern. Kommt es aber dahin, daß der Gelehrte sich gehörig im praktischen Leben umtbut, dann wird er erst recht vir volle Freiheit hab-n müssen, Das wo.S er an Erfahrung und Erkenntniß gewonnen hat, feinen Hörern zugänglich zu macken. Etwas Andere- ist eS freilich mit dem Auftreten der Universitätslehrer im öffentlichen Leben. Hier sollten sie Dreierlei bedenken: erstens, daß die von ihnen vorgetragenen Meinungen ihre Wirkung unmittelbar und praktisch üben, denn sie sprechen hier nicht vor jungen Leuten, die das Gehörte in sich ausnehmen und jahrelang Zeit haben, es zu verdauen, sondern vor Männern, die durch ihr Wahlrecht und ihre sonstigen staatsbürgerlichen Rechte auf die Politik des Staates am nächsten Tage schon einwirken können; zweitens daß sie oft vor Männern sprechen, die doch nicht im Stande sind, die wissenschaftlichen Voraussetzungen, von denen der Vortragende ausgeht, ohne Weiteres zu erfassen, und die des halb nur die ihr Gemütb gegen den Staat und die herrschende Gesellschaft erregenden Worte in sich aufnebmen; drittens, daß sie als Professoren oder Docenten eben für den einfachen Mann Autoritäten, höhere Wesen sind und daß sie sich deshalb mäßigen müssen, um nicht verhängnißvolle Wirkungen hervorzurufen. ES mag sein, daß in der letzten Zeit gelegentlich gegen diese eigentlich selbstverständlichen Rücksichten verstoßen worden ist; eS hieße den» doch aber das Kind mit dem Bade aus schütten, wenn man um der Tactlosigkeiten Einzelner willen einem ganzen Stande zum Schaden des hoben Ansehens und der hohen Bedeutung der deutschen Wissenschaft Fesseln auf erlegen wollte. Die deutsche Wissenschaft hat ihr gut Theil zur deutschen Größe beigetragen, und man sollte alle die Factoren, die dieses Verdienst haben, mit Nespecl behandeln. Deutsches Reich. X. Berlin, 3. Juni. In mehreren Blättern wird der längere U rl a ub, den der Staatssecretair Frhr. v. Marsch all heule antrilt, als Vorläufer des Abschiedes des Staals- secretairS angesehen und mit dem Proceß Tausch in Ver bindung gebracht. Da Herr v. Marsckall thatsächlich leidend ist, so liegt kein zwingender Grund vor, seinen Urlaub als Vorläufer seines Rücktrittes anzusehen. Wenn eS aber wahr ist, daß der Kaiser mit der „Flucht an die Oeffentlichkeit", die der Staatssecretair mit der Anstrengung deS Leckert-Lützow- ProcesseS vollzog, nicht recht einverstanden gewesen lei, so wird mau eS begreiflich finden müssen, daß der Monarch von dem Nachspiele, das jener Proceß im Tausch-Processe jetzt erhalten hat, noch weniger erbaut ist. Es kann ihm nicht angenebw sein daß die tollsten Gerüchte über seinen Gesund heitszustand u. s. w. breit erörtert werden, und der Wunsch muß ihm daher nahe liegen, daß die gegen das Auswärtige Amt gesponnenen Jntriguen auf eine andere Weise als durch einen öffentlichen Proceß auf ihren Ursprung verfolgt und unschädlich gemacht worden wären. Daß aber Folgen der Flucht an die Oeffentlichkeit, die Herr v. Marschall jeden falls weder voraussah noch wollte, seine Stellung erschüttern könnten, ist schwerlich anzunehmen. Bon den politischen Folgen deS Tausch-Processes ist jedenfalls auch Herr v. Marschall nichts weniger als erfreut. Um so mehr Freude erleben an ihm die Socialdemokraten, denen er Wasser auf die Mühle liefert. Denn auch diesmal wieder haben sich bedenkliche Mißstände bei der politischen Polizei ergeben. Man denke nur an die Fälschung eines Briefes, um eine Nummer einer Correspondenz zu erhalten, oder daran, daß ein Polizei beamter es nicht für nöthig hielt, strafbare Handlungen seiner Agenten zur Anzeige zu bringen, an die übergroße Selbstständigkeit der Commiffare, die den Vorgesetzten nicht einmal die Namen ihrer Agenten zu nennen brauchten, oder endlich an.die durch diese Agenten veran laßten Verdächtigungen unschuldiger Personen, an die von ihnen durch allerlei Canäle in gewisse Blätter „lancirlen" verwirrenden Notizen und an das offene Zugesländniß, daß die Agenten meist schmutzige Personen sind. Die politische Polizei ist bekanntlich mit der Svcialdemokratie, die von ihr beobachtet wird, heftig verfeindet. Die Svcialdemokratie wird natürlich die durch die beiden Proteste bervorgerusene Discreditirung der politische» Polizei wobl auszubeuten wissen, und es mag auch sein, daß, falls in Zukunft infolge von Ermittelungen der politischen Polizei Strafsachen gegen Socialdemokraten anhängig gemacht werden, die Gerichtshöfe den Aussagen der Polizeipersonen, die sich ja zumeist auf die Angaben ihrer Agenten stützen, weniger Glauben schenken werden als bisher. 6. Berlin, 3. Juni. Tie Ergebnisse der Deutschen Arbeitsnachweis-Verwaltungen im Monat Mai zeigen die Lage deS Arbeitsmarktes in günstigem Lichte. Bei der in der Redaction der „Socialen Praxis" eingerichteten literarischen Centralstelle für Arbeitsnachweis sind für den Monat Mai von 51 öffentlichen Nachweisen Berichte ein gegangen, von denen 40 vergleichbare Daten zeigen. An weitaus den meisten Arbeitsnachweisen ist der Andrang geringer als im Mai vorigen Jahre« gewesen. Es zeigen nämlich 22 Orte eine Abnahme deS Andranges: Berlin, Halle, Hannover, Esten, Aachen, Elberfeld, Düssel dorf, Köln, Wiesbaden, Darmstadt, Straßburg, Heidelberg, Freiburg, Sckopfheim, Karlsruhe, Mannheim, Konstanz, Eßlingen, Heilbronn, Ulm, Nürnberg, München; und nur 15 (nebst 8 ausländischen) eine Zunahme: Posen, Rixtorf, Ham burg, Quedlinburg, Erfurt, Gera, Frankfurt a. M., Kaisers lautern, Lahr, Pforzheim, Stuttgart, Kannstatt, Goeppingen, Fürth, Augsburg — (Brünn, Wien, Bern). Die verglichenen Gesammtzahlen zeigen, daß im Mai 1808 um 18 246 ge meldete offene Stellen sich 23 794 Arbeitsuchende bewarben, im Mai 1897 nm 22 628 offene Stellen 27 097. Auf 100 ausgebotene offene Stellen kamen damals 130,4 Arbeit suchende, diesmal nur 119,8. Außer den oben genannten Städten sind an der Berichterstattung noch folgende betbeiligt, welche aber (weil meistens erst neu eröffnet) nur für das laufende Jahr Zahlen angeben konnten: BceSlan, Osnabrück, Hörde, Münster, Mainz, Gießen, Worms, Reutlingen, Winter thur, Luxemburg. * Berlin, 3. Juni. In dem den Bundesregierungen zu gegangenen Gesetzentwurf, betreffend Abänderungen der ReickScivilproceßorvnung, wird, wie wir meldeten, u. A. eine Einschränkung der pfändbaren Sachen und eine Neuregelung der Stellung der Rechts konsulenten in Vorschlag gebracht. Die ReichScivil- FeniHets«. Der „Wasservogel." Ein Psingstbrauch aus dem Böhmerwald. Von Joh. Peter (Prachatitz). Nachdruck verboten. Beim Wirthwastl waren sie versammelt, die wohllöblicken Dorfburschen, und berathschlagten über den „Waffervogel" in der Pfingstsonntagsnacht. „Laß ma's gar auSgeh'n!" meinte der „verdorbene Student", der einige „Jahrl" in der Lateinschule dem lieben Herrgott die Zeit abgestohlen hatte und schließlich davon gejagt worden war. „Zu waS san denn solche Dummheit'n?" „Murdsacrament!" schrie da der Richter-Franzl, „wat sagt er scko' wieder, der Federfuchser? Die alt'n Bräuch' will er abbringen? Buama, doS thoan ma netl" Und Alle lärmten: „Dos thoan ma netl" Dann stießen sie mit den schäumenden Steinkrügen an und tranken „auf G'sundheit". Nur der überstimmte Studentrn-Veigl grollte über diese Einfaltspinsel, wie er in seiner vermeintlichen geistigen Ueberlegenheit die Kameraden bezeichnete, die er doch nicht meiden mochte; aber als er sah, wie fröhlich die Andern beim bayerischen Braunbier sein konnten, hielt er eS für« Beste, auch mitzuthun, und bald herrschte wieder volle Harmonie. , „Also daß ma'S ferti bringa", nahm jetzt der Franz! die Rede wieder auf, — „wer soll'« Waffervogel singa? „DöS iS a fckwari G'schicht", meinte der Jakobei; „natürli Der, der 'n best'n Einfall und die schönst' Stimm' Hot." „No, so mocht'S an Vorschlag!" riefen Einige. „I hob'S!" triumphirte der Luksch; „i denk', wir hak'ln*) amal oanS; wer der beste Hakler iS, der soll 'n Wasservog'l singa. DoS gibt donn koa Beleidigung! Einvastondn?" Und Alle lobten diese Idee. Alsbald Hub im Dorfkrug ein lustiges Hakeln an, da wohl eine gute Stunde lang dauerte, und aus dem schließlich der Franzl als Sieger hervorging. Er hatte Alle aufgehakelt, er wußte ja, daß sich sein „Hakler", der Mittelfinger, auch heute bewahren werde, da er ihn noch niemals im Stiche gelassen. Aber auch die Burschen waren froh, daß der Franzl den Wasservogel singen sollte, denn der war ein flotter Geselle, reich an Einfällen und begabt mit einem glockenhellen Tenor, Eigenschaften, die ein guter „Wasservogel" haben muß, will er eine Wirkung erzielen. * * * Und nun ein Wort über den „Waffervogel" selbst. *) Ein Krastspiel, bei dem die Gegner die Finger in einander haken. Dieses Thier ist bei den Wäldlern als Regenverkünder bekannt. Immer, wenn es seine klagende Stimme im Walde erschallen läßt, stellt sich Regen ein. „Da Wossavogl schreit", sagt die Ahne, „'S wird ringat werd'n!" Dieser bedauernSwerthe Vogel soll nach der Waldsage verdammt sein, nur bei Regenzeiten zu trinken, weil ihm ob einer an den Tag gelegten Faulheit vom Herrn der Genuß deS Bach- und OuellwasserS versagt ist. Und tbatsächlich regnet es in den meisten Fällen, wenn sich der Waffervogel hören läßt. Weil nun zu Pfingsten im Böhmerwalbe schon vereinzelte Gewitter auftreten und der blühenden und grünenden Erde Labung und Feuchtigkeit spenden, so besteht dir schöne Sitte, in der Pfingstsonntagsnacht den „Waffervogel" zu singen, waS jedeSmal Sache der Dorsburschen ist. Diese versammeln fick in einem zuvor bestimmten Hause oder im Dorfkruge, wählen auS ihrer Mitte den Wasservogel, der al» Vorsänger zu walten bat, und erwarten nun in der bezeichneten Nacht die Mitternachtsstunde. Jetzt ziehen sie von HauS zu Hau« und singen den „Waffervogel". Die einzelnen „G'sätzss" sind in der Regel höchsteigene Erfindung de« Vorsinger-, die in volkSthümlichen Reimpaaren zum Aus drucke gelangt. Die Burschen bilden einen Halbkreis, in dessen Mitte der Wasservogel steht. Nachdem sie sich über zeugt, ob im Hause Alles ruhig ist, beginnt der Wasservogel mit folgendem „G'sang": ,,Do steht a schwarze Wuika (Wolke) do, Dir wird un« heut' noch ringa o!" Chor: Z' Abend« schlaft'« Ihr In Gott de« Herren Schoß!" Und so geht eS fort, oft eine Stunde lang, LiS di« Bäuerin mit den Dirndln herangrschlichen kommt und die nächtlichen Wandervögel mit Wasser begießt. Sodann wird ihnen Sckmalz, Mehl, Ei und Milch verabreicht, die der „Taschenträger" in seinem großen Handkorb verschwinden läßt. So geht eS fort bi- zum letzten Hause d«S Dorfes, wo sodann'die gesammelten Gaben „ausgekocht" und ver- schmaust werden. So die Sitte de» „Wasservogels". * >» * Mondlicht war die Maiennacht. Der ganze imposante Bergzug de« SchwarzbergriogeiS lag in mildem Dämmer, und seine Conturen zeichneten sich scharf in dem bläulichen Grunde des sternbesäeten Himmels. Im Dörfchen lag bereits Alle- in süßen Träumen, nur im Wirthsbause gab eS noch laute- Leben beim frischen Zapfen. Die Pfingstsänger und einige gambrinuShuldigende Männer saßen an den weißen Fichten- und Ahorntischen und ließen sich eine Maß um die andere munden. .Ma' lebt ja nur einmal auf der Welt!" sagte der Simandl-Jsidor zu den Burscken und zahlte in seiner Dasrin-freude fünf Maß. Endlich ward eS Mitternacht. Die Männer hatten sich mittlerweile verloren, weil sie in so hochheiliger Zeit keine Schlachten mit ihren besseren Hälften schlagen wollten, und die Burschen machten sich auf die nächtliche Wanderung von HauS zu HauS. Beim Richter buben sie an. DaS war ein schwacher Mann, der dem Willen deS dorfregierenden Pfarrers iu jeder Weise Genüge that. Deshalb war er von den Dorf gescheiten mißachtet, und wo man ihm einen Puff geben konnte, geschah es. Darum sangen die Burschen vor seinem Hause: „Da Richta is a g'scheita Mann, Weil er sogar san Nom'n schreib'» kann! Z' Abends schloft'« Ihr In Gott deS Herren Schoß!" Der „Wasservogel", deS früheren Richter« Sohn, batte diese- G'sätz'l mit viel Spott vorgesungen, die übrigen Burschen hatten eS ebenso nachgesungen. Der Richter, der im Lesen und Schreiben kein Held war, körte eS, vergrub sich in den Polstern, um das Weitere nicht mehr zu hören, und fing ein lautes Schnarchen an. Vor dem Pfarrhof sang der Franzl: „Am besten iS da Pforrer deon, Weil er sei' Köchin — auSjog'n konnl Z' Abend« schlaft'« Ihr In Gott deS Herren Schoß!" Der Pfarrer hört« «S, brummte leise etwa- auf Lateinisch und vergrub sich in den Betten, um da- Weitere nicht mehr zu hören, versöhnte sick aber wieder mit dem Burschen, al« der Franzl noch folgend« Strophe sang: „Unsa Pforra iS a brava Mann, Weil a auS'n Deandl a Weib mach'n kann! Z' Abend« schlaft'« Ihr In Gott de« Herren Schoß!" Vor dem Schulhause sang der „Waffervogel": „Da Lehra Hot uns viel gegeb'n, Drum wünsch' ma ihm a lange« Leb'nl Z' Abend« schlaft'- Ihr In Gott des Herren Schoß!" Der Lehrer körte e«, öffnete da« Fenster und grüßte freundlich. Die Burschen juchzten ihm zu und zogen vor die Caserne der k. k. Finanzwache. Dort sang der Franzl: „A Pascha da Finanza iS: Er bot a Dutzad Menscha g'wiß! Z' Abend- schlaft'- Ihr In Gott de« Herren Schoß!" Der AbtheilungSleiter körte r- und sagte zu sich selbst: „Wenn'- nur auSrricht, ein Dutzend!" — und drehte sich um, um nichts weiter zu vernehmen. Die Burschen aber zogen vor da« Fvrsthau« und sangen: „Da Fvrschta iS zu goar nix nütz, Er lost davon vorn, Wildpratschütz! Z' Abends schloft's Ihr In Gott des Herren Schoß!" Und in diesem Tone ging es fort, bis endlich die Bauern häuser daran kamen. Bisher wurden die Burschen nur still schweigend, aber zumeist grollend angehört; denn derbe Wahr heiten waren es, die die Beehrten in schlichter Ausdrucksweise zu hören bekamen. Es lag in diesen urplötzlich entstandenen Reimpaaren eine Art Volksgericht über gewisse Herren, ein Gericht, das immer besser wirkt als schriftliche Anerkennung und Mißbilligung, und jeder der Getroffenen suchte sich in der Folge in seiner Weise zu rächen. Doch was macht sich so ein lebensfroher Bursch aus den sogenannten Honoratioren ? Ihm gehört die blühende Gegenwart, der Augenblick, und alles Andere ist ihm „Streusand". Ein ganz andere- Leben ging in den Bauernhäusern los: da lauerten Bäuerin, Töchter und Mägde mit den gefüllten Waffereimern hinter der HauStkür, und ehe sich - der „Waffer vogel" versah, hatte er den kalten Strahl am Leibe, daß die Kleider troffen. Wohl ist die Vorsicht de« „WasservogrlS" groß, aber sie wird in der Regel von der List der Dorf Weiber zu Schanden gemacht. Als der Franzl vor dem Hause seines Dcandl'S stand, trat er ganz nahe an da« wohlbekannte Kammerfrnster und sang in herzlichem Tone: „Mach auf daS kloane Fensterletn, Da Wassavogl möcht' hinein! Z' Abends schloft'S Ihr In Gott deS Herren Schoß!" Nicht- regte sich im ganzen Hause, da- schon dicht am Saume de- Waldes stand. Da sang der Franzl wieder: „Mei Schotzerl, spreiz' di »et a so, Moch of, dei' Bua, da Franzl, i« dol Z' Abend« schlaft'« Ihr Ja Gott de« Herren Schoß!" Da rauscht e- von oben herab, die Grell sckwang den vollen Eimer, ein dicker Strahl Wasser- erstickte dem Franzl den Ton auf der Lippe — die Kleider plätscherten ani Körper — der Korb de- TaschenträgerS war überfüllt — im Osten begann e« zu grauen, die Stimme de- Burschen klang schon heiser: da öffnete Gretl da- Thor, und binem strömten sie, um am dampfenden Herd die durchnäßten Kleider zu trocknen, während die Gretl auS den ge ernteten Eiern den volk-üblichen Eiersterz zubereitrte. Nack dem Schmause verloren sich die Burschen — der „Wasser vogel" aber batte sich schon früher hinweggeschlichen — wer sagt, wohin? Vielleicht weiß e« die Gretl ....
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