01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.06.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970605017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897060501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897060501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-05
- Monat1897-06
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December vorigen Jahres, — wir hatten gestern schon Anlaß, daran zu erinnern —, wurde im „Rcichsanzeiger" erklärt, der Kaiser sei es gewesen, welcher den Befehl zur strengen Untersuchung der Dinge, die späterhin den Proceß Leckert-Lützow nach sich zogen, gegeben habe. Diese Veröffentlichung konnte schon damals ihren wenig löblichen Zweck, den nämlich, die in die Oeffentlichkeit geflüchtete Re gierung durch den Monarchen zu decken, nicht erreichen. Heute bildet sie den Gegenstand einer schweren politischen Anklage gegen ihre Urheber. Der Name des Kaisers ist mit einer Action in Verbindung gebracht worden, die sich zu einer derart läppischen gestaltet hat, wie sie kaum jemals von leitenden Politikern in Angriff ge nommen und durchgeführt worden ist. Herr von Tausch — das Ungethüm —, die Heldenmär von den sieben Schwaben drängt sich unabweisbar der Erinnerung auf — der PolizeicommissariuS v. Tausch, gegen den Herr v. Mar schall auSgezogen war, ist freigesprochen worden und zwar nicht nur von der Anklage eines Vergehens im Amte, sondern auch von der Anklage wegen Meineids. Hätte der Wahrspruch auf schuldig gelautet, so würde dadurch das Urtheil über die Regie im Proceß Leckert-Lützow nicht um Haares breite verrückt werden. Denn diese Null war angeschuldigt, unter Eid bestritten zu haben, daß sie den Weg des Auswärtigen Amtes eines Fünfzig-Millionenstaates durchkreuzt — erfolgreich durchkreuzt — habe. Auf die letztere Anschuldigung kommt politisch Alles an. WaS ist in dieser Beziehung nun im Interesse des Staates berauSgekommen? Eins, daß nämlich Tausch und Lützow, die ja ohne Zweifel gröblich und gemein intriguirt haben, keine Hintermänner hatten. Aber die Frage nach den Hintermännern war für den Unbefangenen nur einen Augenblick, unter dem ersten Eindruck der im ersten Proceß von v. Lützow über v. Tausch ge- gemachten Aussagen aufgetaucht. Und sie konnte nur aus dem großartigen Apparat herausspringen, den Herr von Marschall gegen einen Polizeiagenten und einen zwanzig jährigen Burschen im öffentlichen Interesse aufwenden zu sollen geglaubt hatte. Bei unbefangenen, wie schon bemerkt, sowie bei denkenden Menschen war der Verdacht schon längst verflogen. Wenn ihn für den Rest jetzt ein Bebel zerstreuen mußte, so ist damit keine von selbst entstandene Krankheit geheilt, sondern nur ein Schaden gut gemacht, der erst durch die „Flucht in die Oeffentlichkeit" verursacht worden war. Die übrigen Ergebnisse des ProcesseS für die Re gierung? Die politische Polizei ist wieder einmal im Lichte einer sehr fragwürdigen Institution gezeigt worden, es sind Dinge ans Licht gezogen worden, die, wie z. B. die Erschleichung der Wedekind'schen Correspondenz, das Nechtsgefühl auf das Tiefste empören müssen. Die schlecht oder gar nicht controlirte Thätigkeit der Com- missaren und Agenten, von welchen letzteren die „unsaubersten" ausgesprochenermaßen die geschätztesten sind, hat sich als eine vielfach unheilvolle erwiesen. Darüber wird mit Recht noch viel gesprochen und geschrieben werden. Aber wenn schon heute in einem Theile der Presse wie auf Verabredung die ausschließliche Bedeutung des ProcesseS Tausch in der Kenn zeichnung der Uebelstände in der politischen Polizei gesucht und gefunden wird, so ist das eine Irreleitung, deren Zweck leicht erkenntlich, aber nicht zu billigen ist. Der Proceß bedeutet einen Mißgriff der preußischen Regierung, der nicht isolirt betrachtet werden darf, sondern, oa er ein Symptom ihres Zustandes ist, die Aufmerk samkeit vor allen anderen Ergebnissen deS gerichtlichen Verfahrens beansprucht. Dieses Symptom ist heillose Schwäche. Man construire sich aus den Verhand- lungsberichtsn das Bild dieses Commissars von Tausch. Er ist, wie der Staatsanwalt sagte, nicht makellos aus dem Proceß hervorgegangen, er kannte und übte die zweifelhaften Kniffe eines zweifelhaften Berufs. Aber muß man nicht fragen: ist dieser leichtsinnige, eitle, schwatzhafte, vor Allem aber schwache Mensch aus dem Holze der Männer, mit denen nicht fertig werden zu können, eine Regierung, die diesen Namen ver dient, erklären darf? Noch dazu, wenn dieser Mensch /eine bürgerliche selbstständige Persönlichkeit, sondern ein untergeordneter Beamter ist? Den Mann — wollte man hier von seinen Creaturen absehen — nur ihn un schädlich machen, hätte ein Griff amtlich erwürgen können und müssen. Statt diesen Griff zu machen, appellirte das Auswärtige Amt auf Grund eines Ministerrathsbeschlusses an die Ocffe itlichkeit eines Gerichtsverfahrens, das, wenn es zu vermeiden war, zu vermeiden der natürliche Wunsch und die natürliche Pflicht einer obersten Staatsbehörde sein sollte. ES war ein tief beschämendes Schauspiel, das wir vorüberziehen sehen mußten: Ministerien, die die Tausch und Lützow gegen Ministerien gebrauchen, und Ministerien, die sich cezen armselige Tröpfe im eigenen Ressort nicht zu helfen wissen. Und wie bedauerlich ungeschickt ist der Entschluß, an die Oeffentlichkeit zu gehen, ausgeführt worden! Die criminalistischen Lorbeeren, die Herr v. Marschall in dem ersten Proceß nur allzu reichlich auf seinem Scheitel häufte, sind im zweiten verwelkt. Nach seiner eigenen Aussage kannte er die Thaten des Nor- mann-Schumann, aber er lenkte die Augen nicht gegen den Urheber nachweisbarer Treibereien schlimmster Art, sondern auf dessen Opfer und ließ, als er die Tafel des Gerichts rüstete, diesen fettesten Bissen seinen Händen entschlüpfen. Dieser gleichzeitig mit dem politischen gemachte crimina- listische Fehler wird die einzige gute Wirkung, die der Proceß vielleicht haben kann, die gründliche Revision deS MenschenmaterialS der politischen Polizei, wahr scheinlich stark beeinträchtigen. Um an dieser Stelle Reformen herbeizuführen, war übrigens die Flucht in die Oeffentlichkeit — abgesehen von dem Mißverhält- niß von Aufwand und Gewinn — ebenfalls nicht nöthig. Wenn das Auswärtige Amt das Staatsministerium seiner Kenntniß der Zustände hätte theilhastig werden lassen, so würde es einen etwaigen Ressortwiderstand gegen mögliche und nicht von Haus aus zweckwidrige Aenderungen wohl gebrochen haben. Deutsches Reich. * Leipzig, 4. Juni. Rector und Senat der Uni versität Leipzig erlassen heute gegen die kürzlich im preußischen Herrcnkause von dem Abg. Frhrn. v. Stumm wider die an der Leipziger Universität lehrenden Professoren der Nationalökonomie gerichteten und von uns bereits in der „Politischen Tagesschau" der Abendausgabe des „Leipz. Tagcbl." vom 31. Mai zurückgewiesenen Angriffe die folgende Erklärung: In der Sitzung des preußischen Herrenhauses vom 28. Mai 1897 hat der Freiherr v. Stumm nach dem stenographischen Berichte, nachdem er von dem demagogischen Socialismus, der den Classen- kampf proclamirt, gesprochen hatte, gesagt: „Nun, meine Herren, ist diese Richtung, die ich soeben ge kennzeichnet habe, wenn auch einzelne Ausnahmen stattsinden mögen, typisch und maßgebend für unsere deutschen Universitätslehrer der Nationalökonomie und nicht blos an den preußischen Universitäten. Es ist mir noch vor einigen Tagen von einem verehrten Collegen im Reichstage, dem ich die Absicht mittheilte, heute über diesen Gegenstand zu sprechen, gesagt worden, ich möge doch bei dieser Gelegenheit constatiren, daß in Leipzig auf diesem Gebiete Zustände herrschten, die geradezu himmelschreiend seien." Wir fühlen uns verpflichtet, gegen dieses unberechtigte, auf un wahren Voraussetzungen beruhende Urtheil hierdurch öffentlich und nachdrücklich Einsprache zu erheben. Die Pflege der National ökonomie ist an unserer Universität den Professoren vr. v. Mias- kowski und vr. Bücher anvrrtraut, welche e« verstanden haben, die unter dem verewigten Roscher erreichte Blüthe de« volkswirthschaft- lichen Unterrichts ausrecht zu erhalten und welche beide in der Er örterung der socialen Fragen stets einen objectiven und maßvollen Standpunct eingenommen haben. Wir bitten olle Altungen, welche Berichte über die Rede des Frhrn. von Stumm gebracht haben, diese Erklärung aufzunehmen. Leipzig, 4. Juni 1897. Rector und Senat der Universität Leipzig, vr. Emil Friedberg. x. Berlin, 4. Juni. Die Tyrannei, die die Social demokraten gegen einander auSüben, hat sich auch bei Gelegenheit deS Festes in der Hamburger GartenauS- ftellung wieder einmal gezeigt. Bekanntlich hatte sich eine Anzahl socialdemokratischer Abgeordneter an dem Feste be- tbeiligt und nun macht Herr Schönlank ihnen die heftigsten Vorwürfr, weil sie an einem Feste theilnähmen, daS von FauZHeton. Des kleinen Mannes Sommerfrische. Von Hermann Berdrow, Berlin. Nachdruck verdaten. Ein reger Gemeinsinn und der Edelmuth Einzelner schaffen in der Großstadt eine Menge von Veranstaltungen, um die wirthschaftlich Schwächeren in dem harten Lebenskampf zu unterstützen und Leib und Seele in der nöthigen Kraft und Freudigkeit zu erhalten. Da giebt es Volksküchen und Volks bäder, Heimstätten für Genesende, Volksbibliothekcn und Lese säle, Volkstheater und Unterhaltungsabende, dazu für die Kleinen Kinderhorte, Spiel- und Sportplätze und Ferien colonien. Eins aber vermögen alle diese Mittel, mit Aus nahme deS letztgenannten, nur wenigen Tausenden zu Gute kommenden, nicht: die von der Natur losgerissenen und ihr entfremdeten Großstadtmassen zurückzuführen an den Urquell der Körper- und HerzenSverjünguna, an den Jungbrunnen der Natur. Die Glücklichen, die sich im Sommer auf einige Wochen oder bestenfalls Monate lo-reißen und ins Gebirge oder an daS Meer flüchten können, bilden doch eine ver schwindende Mindcrbeit gegen die Ungezählten, die von der Jugend bis ins marklose Alter in die Tretmühle des Tage werks gebannt sind. Auch sie sehnen sich nach der Natur, und so haben sie einen Ausweg, einen Ersatz gesunden — fast möchte man sagen: erfunden, wie er schöner und voll kommener nicht gedacht werden kann: die Lauben I Von ihnen und von den Laubenleuten will ich erzählen. Wer sich mit der Bahn der Großstadt nähert, empfindet gewiß ein ästhetisches Unbehagen beim Anblick der Verwüstung und Unordnung, welche auf dem weiten Terrain zwi'chen den nächstgelegenen Vororten und Dörfern und der eigentlichen Stadt herrscht. Der fruchtbare Acker- und Wie enboden, längst in den Händen weitauSschauender Speculanten, liegt vernachlässigt da. AuS Bauschutt ausgeführt« Dämme, die Richtlinien der zukünftigen Straßenzüge, durchschneiden ihn kreuz und quer. Angefangrne und halbvollendete Bauten, hier und da eia „Local" oder eine riesige Mietbscaserne, ein vereinsamter Baum oder ein kümmerliches Kartoffelfeld ver stärken den Eindruck de« Halbfertigen, Ruinenhaften. Wie ein riesiger Polyp reckt die Großstadt einzelne endlose Häuser reihen als Fangarme in« freie Feld, die grüne Natur um garnend, au-saogend, erstickend, um auf ihren Trümmern nach Jahren und Jahrzehnten die Paläste der modernen Industrie und ihrer Sclavrn zu errichten. So lange liegen die von der Spekulation erworbenen Terrain« nutzlos und verödet. Und doch nicht ganz nutzlos. Je mehr wir un« der Stadt nähern, desto mehr emsige und fröhliche Menschen I ehen wir dort unten beschäftigt, sich im Freien ein häus liches Heim für die schöne Sommerzeit zu schaffen. Kleine Unternehmer pachten das brachliegende Land bis zur Be bauung von den Besitzern, theilen eS in langgestreckte Recht ecke, deren Größe sich um ein Ar bewegt, und vermiethen diese Stücke an kleine Leute. Selten ist es der Besitzer selbst, der diese Parcellirung vornimmt. Nun beginnt auf der be schränkten Scholle ein reges Leben. Schon au schönen Februartagen zieht Vater mit den Jungen Sonntags hinaus, um den Boden umzugraben und mit dem nöthigen Dünger zu versehen. Er denkt dabei an die eigene, auf dem Dorfe verlebte Jugendzeit und erzählt, auf den Spaten gestützt, seinen Sprößlingen, wie er als kleines Bürschchen im Garten und auf dem Kartoffelacker hat helfen müßen. In den nächsten Wochen entstehen in der neuen Colonie zahlreiche Lauben und Häuschen, je nach der Geschicklichkeit deS Er bauers von zierlicherer oder plumperer Construction. Wie gut, baß nun gerade die Hübner so flott legen und die Eier in Massen eintreffen; unzählige Eierkisten wandern, sowie sie ihres Inhalte» entleert sind, hinaus aufs Feld, um zur Her stellung der Lauben und der Zäune zu dienen. Und nun, nachdem die gröbste Arbeit gethan ist, tritt auch „Mutter" in Action. In einem penstonirten Kinderwagen wird der nöthige HauSrath hinausgeschafft, die „Bude" gewinnt schnell ein gemüthliche« Aussehen, und während drinnen auf dem Petroleumkocher da« Kaffeewasser brodelt, ist draußen Jung und Alt dabei, die nöthigen Anpflanzungen vorzunehmen. Es ist nur eine beschränkte und überall wiederkehrende Zahl von Pflanzenarten, welche in den Laubengärten cuttivirt wird. Den äußeren Umkreis einer ganzen Colonie und auch der einzelnen Stücke markiren üppig wachsende Riesen sonnenblumen, der sehr in« Kraut schießende Hanf oder der prächtige, leider nur einjährige japanische Hopfen; hier und da findet sich auch eine im Herbst außerordentlich reich blühende hochstengelige Asternart. An der Laube oder dem Häuschen ranken sich wilder Wein oder Bohnen empor, vor ihr spendet ein Blumenbeet Farben und Düfte. Da« wichtigste sind jedoch die Gemüsebeete. Hier giebt es Kartoffeln und Kohl, Kürbisse und Gurken, Kohlrabi und Salat, Tomaten und Küchenkräuter, Mai« und sogar Tabak. So spendet der dankbare Boden manche« Mittagsmahl, und die 20 Mark Pacht sind zum Winter sicher wieder herau-geholt. Auch blühende Obstbäume, die im Jahre ihrer Anpflanzung schon tragen müssen, und Ziersträucher wie Goldregen und spanischer Flieder find häufig zu sehen. Die Pflege, welche Mutter und Kinder ihrem Gärtchen angedeihen lassen, ist eine äußerst sorgfältige, und so machen die kleinen Parcellen im Sommer einen überaus gefälligen Eindruck. Aeltere Anlagen liegen manchmal wie begraben in der Fülle von Grün unv Blumen- j schmuck. Zum Zweck der Bewässerung sind Regentonnen aufgestellt, Trinkwasser wird mit kleinen Abessinierbrunnen gewonnen. Endlich giebt der Colonievater oder sonst ein findiger Kopf der kleinen Feldgemeinde einen Namen, der oft nicht minder originell als das ganze Anwesen ist. Auf einem einzigen Spaziergang kann man Dutzende von solchen Namens schildern finden. Da giebts eine „Flora", einen „ParadieS- garten", Colonie Kairo, Colonie zur Wiesenpalme, so be nannt nach einer einsamen Weide, ein „Italien" mit dem Restaurant Holzauction, einen „Nordpol", Wildamerika, Jin fernen Westen, Colonie zur Obstallee, zum Sängerheim, zum fidelen Grund, Glückauf, Neu-Kamerun mit der Kneipe „Zur Weißen MauS" und Andere. Im Allgemeinen — und glücklicherweise muß man sagen — find Restaurationen in diesen Laubenstädten jedoch selten zu finden. Hier verbringen nun Zehntausende in friedvoller Zurück gezogenheit die Mußestunden, welche Geschäft und Arbeit ihnen gönnen. Die Frau bezieht sich nicht selten schon Morgens hinaus, kocht draußen das Mittag, die Kinder eilen von der Schule gleich in ihren Garten, und Abends erscheint daS Familienbaupt, um den Taz, statt in der Kneipe, im Kreise der Familie und der alten und neuen Nachbarn zu beschließen. Bemerkenswerth ist die ungetrübte Fröhlichkeit, welche in den Lauben herrscht. Selten habe ich ein rohes Wort gehört; nur einmal ist mir eine Brutalität ausgefallen, und sie ging von einem Betrunkenen aus. Ein schnell sich bildender Gemeingeist hält im Verein mit der Anwesenheit der Frauen und Kinder jede Ausschreitung nieder: außerdem finden sich fast stets einige Autoritäten, deren Wort mehr oder weniger respectirt wird. Die Bevölkerung einer solchen Colonie ist auS den verschiedensten Elementen zusammen gesetzt; eS wohnten z. B. auf einer auS zehn Antheilen bestehenden, mir näher bekannten ein Destillateur, ein HauS- wächter, ein Briefträger, ein kleiner Kaufmann, ein städtischer Heizer und Brückenwart, drei Handwerker und zwei Fabrik arbeiter. Fast in derselben Zusammensetzung besteht die Colonie schon fünf Jahre. Einige dieser Bewohner haben ihre Laube allmählich so ausgebaut, daß sie während deS Sommers vollständig draußen Hausen und schlafen. Man findet da einen Ziegenstall, Hübner und Tauben, eine Katze als Radicalmittel gegen Feldmäuse und sogar einige Bienen- stöcke. Besonder- lebhaft gebt eS an Sonntagen zu. Da kommen Nachmittags die Freunde und Verwandten aus der Stadt, auf den weißgedeckten Holztischen dampfen die Kaffee kannen, die Jugend fliegt in den Schaukeln, deren in jeder Colonie einige vorhanden sind, und zum Schluß quäkt di« Guitarre oder die Harmonika bis spät in die Nacht. So kommt der Herbst heran und mit ihm die Erntezeit, der Höhepunkt des Hütten- und LaubenlebenS. Zwar zu ernten giebt eS nicht übermäßig viel, aber da- Erntefest wird doch großartig gefeiert. Schon Tage vorher wird die Colonie mit Hunderten von Lampion- und Wimpeln ge schmückt, die an langen, von dem großen gemeinsamen Flaggenmast ausgehenden Schnüren befestigt sind. Der Pächter läßt eS sich gewöhnlich nicht nehmen, seinen Miethern etwas zu gute zu thun, und sollte er auch nur die unum gänglich nothige Rede halten. Ich wohnte vor einigen Jahren einem solchen Feste in „Quärgel'S Ruh" bei. Ans einer Wiese neben der Colonie war ein Tempel für die Musik, eine Rednertribüne und eine Halle für die Ernteausstellung errichtet. Vater Quärgel hatte zwei prächtig bekränzte Leiter wagen gestellt, auf denen die Jugend von Zeit zu Zeit um die Laubenstädte kntschirte. Dann blieS die Capelle zum Sammeln. Alt und Jung schaarte sich um die Tribüne, von der auS der wohlbeleibte Alte eine recht hübsche Rede hielt; er pries die Einigkeit der Colonisten, gab der Zufriedenheit über daS Ernteergcbniß Ausdruck, sprach die Hoffnung aus, die Anwesenden im nächsten Jahre wieder unter seinem Scepter wohnen zu sehen und schloß mit einem Hoch aus das Gedeihen von „Quärgel'S Ruh". Nun begann die Jugend ein Tänzchen, während die Aelteren trinkend und plaudernd in den Lauben saßen oder in den Gängen auf- und niederwandelten. In der Ausstellung war alles auf s Riesige angelegt: Sonnenblumenstauden von 3 bis 4 Meter Höhe mit entsprechenden Blürhen, kolossale Kohlköpfe, Kar toffeln von mehreren Pfund Gewicht und centnersckwere Kürbisse. Daneben gab eS vorzügliches Obst, in der Lauben stadt gewachsene Weintrauben, Scheiben- und Schleuderhonig und — leider noch unverarbeiteten — Laubenheimer Tabak. Seinen Höhepunct erreichte der Jubel am Abend. Die durch Lampions, bengalische- Feuer, Räder und Schwärmer erzeugte Illumination wurde für feenhaft erklärt, und die mit Hilfe von Kürbismasken und Sonnenrosen recht phan tastisch gestalteten Ruudzüge und Spaß« erregten immer wieder neues Entzücken. Mit den ersten Herbftstürmen erlischt gewöhnlich da- Leben in den Laubenz doch hält die Anhänglichkeit an die Natur manche Familie noch bi- in den November hinein draußen fest. Die Vortheile für Gemüth und Gesundheit, welche diese großstädtischen Sommerfrischen mit sich bringen, lassen sich wohl kaum zu hoch anschlagen, und wie sehr sie von denen geschätzt werden, Vie sich Ihrer erfreuen, beweist Vie zu nehmende Ausbreitung der Laubenstädte. Berlin z. B. ist von einem völligen Ring solcher Sommercolonien umgeben, und der aufmerksame Beobachter findet, daß ihre Zahl jährlich wächst, wenn auch andererfeit« die fortschreitende Bebauung wieder Viele absorbirt. Jeder wahre Freund de- Volkrs wird dieser Sommerfrische de- kleinen Manne« ge wiß rin kräftige«: viv»ut, croecaut, tiors»ut! zuruf»». I
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