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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.06.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970615028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897061502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897061502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-15
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Nun kann ja auch ein Minister Privatangelegenheiten zu erledigen haben, die seine Reise- dispositionen durchkreuzen; da aber Herr I)r. von Miquel alsbald nach seinem Eintreffen in Berlin eine längere Unterredung mit dem Reichskanzler gehabt hat, so liegt die Ver- muthung, daß eS nicht persönliche, sondern polt tische An gelegenheiten sind, die ihn zu einer Unterbrechung seines Urlaubs genöthigt haben, jedenfalls sehr nahe. Bestärkt wird diese Vermutbung durch die Form, in der seine Rück kehr von officiösen und halbofsiciösen Organen gemeldet wird. Die „Nordd. Allgem. Ztg." bringt nämlich an der Spitze der letzten Nachrichten ihrer gestrigen Abendausgabe mit fetter Schrift die Meldung: „Wie wir hören, wird sich der Finanzminister Herr vr. von Miquel einige Zeit zur Erledigung einiger dringlicher Angelegenheiten hier aushalten." Die „Post" meldet, vr. Miquel, dessen Befinden sich bereits erheblich gebessert habe, sei nach Berlin gereist, um dem Kaiser Vortrag zu halten. Er kehre „nächste Woche, jedenfalls Ende des Monat»" nach Wiesbaden zurück. Tie „Berl. Polit. Nackr.", die Beziehungen zum preußischen Finanzministerium unterhalten, schreiben: „Der specielle Grund, welcher den Minister veranlaßt hat, seine Cur zu unterbrechen, ist uns nicht bekannt. Man kann wohl vermuthen,daß Besprechungen über wichtige politische Fragen stattfinden, aber alle Combinationen, die an diese Rück kehr geknüpft werden, haben noch keinen sichern Boden." Der Herausgeber der „B. Pol. N." meldete aber auch den „Hamb. Nachr." gestern Abend: „Finanzminister vr. Miquel hatte heute Mittag rin« länger« Besprechung mit dem Contreadmiral Tirpitz; dieser dürfte morgen vom Kaiser empfangen werden." Aus derselben Quelle erfährt man ferner, daß die Flotteninspect ion in Kiel vom Freitag bis heute unterbrochen worden ist, weil der com m andirende General zum Vortrag beim Kaiser nach Berlin befohlen worden war. Man wird dadurch zu der Vermutbung ge drängt, daß es bei den „dringlichen Angelegenheiten", zu deren Erledigung Herr vr. v. Miquel nach Berlin berufen worden ist, u. A. auch um Flottenangelegenheiten sich bandelt. Jedenfalls wäre es begreiflich genug, wenn der künftige Staatssecretair des ReichsmarineamlS vor seinem Eintritt in dieses Amt sich vollständig klar werden wollte über die Mittel, die zur Durchführung eines zweck entsprechenden FlottenvermehrungsplaneS verfügbar gemacht werden können, und wenn zur Klarstellung dieser Frage in erster Linie der preußische Finanzminister herangezogen würde. Sollte diese Annahme sich als richtig erweisen, so würde eS auch begreiflich sein, wenn Herr Vr.v. Miquel „einige Zeit" in Berlin bliebe. Denn die Frage der Beschaffung ausreichender Mittel für Flottenzwecke ist eine eminent politische Frage, die auf daS Innigste mit der ganzen inneren Politik im Reiche und in Preußen verknüpft ist. Wer mit auch nur annähernder Sicherheit über den Umfang realisirbarer Flottenvermehrungspläne reden will, muß Mittel Vorschlägen können, durch die bei den nächsten ReichS- tagswahlen daS Hervorgeben einer nationalgesinnten Mehr test auS den Urnen gesichert wird. DaS aber kann Herr vr. v. Miquel nicht allein, dazu ist vor Allem nöthig, daß eine volle Uebereinstimmung des gesammten preußischen Ministeriums und der Inhaber der obersten Reichsämter unter einander und mit dem Kaiser über die Wege und Ziele der inneren Politik herbei geführt und also das geschaffen wird, dessen Mangel in den letzten Jahren so oft zu Tage getreten ist. Man wird also zunächst abwarten muffen, ob an die Besprechungen, die Herr vr. v. Miquel in Berlin bereits gepflogen, noch Be- rathungen in weiterem Umfange sich schließen. Geschieht daS nicht, so wird man nicht nöthig haben, mit besonderer Span nung dem Resultate der plötzlichen Urlaubsunterbrechung ent gegenzusehen. Dann kann nicht viel herauskommen — es müßte denn sein, daß Herr v. Miquel ruhebedürftiger nach Wiesbaden zurückkehrte, als er e» verlassen. Die staatsmännische Voraussicht des Ministers v. d. Recke bewährt sich immer glänzender. Die Wähler halten mit den Gegnern seiner BerctuSgesetznovelle „Abrechnung". Nach Wiesbaden, Königsberg und Stargard i. Pr., in welchem letzteren Wahlkreise der neueste reaktionäre Einfall der preußischen Negierung wenigstens den Vorwand zur Wahl eines Polen liefern konnte, kommen jetzt nationalliberale Vereine mit dem Wunsche, daß der von der Vorlage übrig gebliebene Rest schleunigst unter den Tisch falle. Und zwar sind eS die Nationalliberalen zu Elberfeld und Barmen, also von Industriestädten, welche lieber auf die Beseitigung deS Coalitionsverbotes und die Fernhaltung der Minderjährigen von politischen Versammlungen verzichten, als ein bei den Stärkeverhältnissen im preußischen Abgeordnetenhaus nicht jeder Möglichkeit entrücktes Zustandekommen der ursprüng lichen Regierungsvorlage oder des freiconservativen „kleinen Socialistengesetzes" riskirt sehen wollen. An die Industriellen des preußischen Westens aber hatderMinister deSJnnernaedacht, als er von der Abrechnung redete. Seine Niederlage ist somit eine vollständige und kann gar nicht mehr vergrößert werden. Gerade deshalb aber follten unseres Erachtens die preußischen Nationalliberalen bei ihren Beschlüssen zunächst be harren. Ein weiteres Mißtrauensvotum für die Regierung ist nicht nöthig, und die Gefahr, bei der Schlußabstimmung über die Vorlage von den Conservativen majorisirt zu werden, ist äußerst gering. Sollte sie, etwa infolge von Erkrankungen, am entscheidenden Tage näher rücken, so wird dann noch Zeit genug bleiben, den geänderten Verhältnissen Rechnung zu tragen. Ueber die Schlußadstimmung hinaus ist überhaupt keine Gefahr vorhanden, da, wie wir bereits mitgetbeilt haben, die Nationalliberalen entschlossen sind, etwaige Aende- rungen des Herrenhauses mit sofortiger Ablehnung deS ganzen Gesetzes zu beantworten. Es bleibt also unserer Ansicht nach die Erwägung maßgebend,daß eine Mittelpartei ohneRücksicht auf die Beschaffenheit der Regierung und die politische Constellation sachliche Fragen sachlich behandeln soll. Die „Bundes genossenschaft" mit dem Centrum braucht die nationalliberale Partei nicht zu geniren. Die kann nicht mißverstanden werden, nachdem — wir berichten darüber an anderer Stelle — die Socialdemokratie in einer Centrumsversammlung in Bochum mit allem vorläufig denkbaren Erfolge ein Cartell mit den Klerikalen und den Freisinnigen gegen die im Besitz der dortigen Landtagsmandate befindlichen Nationalliberalen in Anregung gebracht bat. Diese Erscheinung ist, beiläufig bemerkt, ein neuerlicher Beweis für die Klugheit der preußischen Regierung, die durch die Vereinsgesetznovelle die Gegensätze zwischen den Conservativen und der gemäßigt- iberalen Parte: verschärft hat. Allerdings, zu den Conser vativen gehören auch die Leiter des Bundes der Landwirthe und diesen ist ein Bennigsen erklärtermaßen verhaßter als 50 Bebel. In Böhme» sollen die Freiherren v. Chlumeckh und v. Ludwigstorff, die Beide in der vorigen Woche vom Kaiser in Audienz empfangen wurden, die ersten Schritte zur An bahnung von Verhandlungen zwischen den Deutschen und den Tschechen unternehmen. Die Verhandlungen würden, sofern es zu solchen kommt, zunächst in Prag und in Brünn zwischen den beiderseitigen Vertretern geführt werden, ohne daß die Regierung vorläufig eingriffe. Große Erwartungen hegt man aus keiner «Leite, da deutscher- eitS die vollständige Zurückziehung der Sprackenverord- nungen gefordert wird, während die Tschechen äußersten Falls das Hinausschieben deS Beginns der Wirksamkeit der Ver ordnungen bis 1908 zugestehen dürften. Die gestern in Eger abgebaltene Versammlungen deutscher Abgeordneten hat, wie gemeldet, beschlossen, einen deutschen Volkstag neuerlich für Sonntag, den 11. Juli dorthin cinzuberufen und außerdem die vorbereitenden Schritte behufs Einstellung der Geschäfte in den deutschen Gemeinden festgestellt. Das sieht nicht wie Nackenbeugung aus. Wie wenig Entgegenkommen von den Tschechen zu erwarten ist, gebt neuerdings aus einer von dem zweiten Vicepräsiventen des Abgeordnetenhauses vr. Kramarz vorgestern in Hortschitz in Böhmen gehaltenen Rede hervor. Derselbe führte vor seinen Wählern aus, der gegenwärtige Zeit- punct sei überaus bedeutungsvoll für Oesterreich und entscheidend iür die Zukunft des Londes. Sollten die Deutschen sür die Ob- striuctton mit Concessionen belohnt werden, so hätten alle socialen und nationalen Parteien einen scharf vorgeschriebenen Weg. Darin läge das Problem der Zukunft Les Abgeordnetenhauses. Redner sagte dann: „Die Tschechen waren immer zum Friedensschlüsse bereits?); vielleicht lassen fick durch kleine Abänderungen die Härten der strengen Durchführung des Princips der Gleich berechtigung beider Landessprachen mildern, aber vom Princip darf nichts nachgelassen werden. Fraglich ist aber, ob die Deutschen zur Versöhnung bereit sind, bei denen gegenwärtig nicht die mäßigen, staatsmännischen, weitblickenden Elemente die Führung an sich gerissen habens?), sondern Elemente, mit denen die Tschechen aus Gründen der nationalen Ehre nicht ver handeln können. Die Tschechen sind zu Verhandlungen über eine Verständigung bereit, werben aber an keiner Verhandlung theil- nehmen, welche die Aushebung oder auch nur die Suspension der Sprachenverordnung zur Voraussetzung hätte. Wenn die Regierung der gegenwärtigen Obslruction nochgiebt, muß sie sich aus Len Widerstand der Tschechen gesoßt machen, der nicht geringer sein wird, als der Widerstand der Deutschen." UebrigcnS fangen die Klerikalen jetzt allmählich an, in der Bundesgenossenschaft mit den hussitischen Jung- tschecben ein Haar zu finden. Die Herren Tschechen geniren sich nämlich nicht im Geringsten, ihre Huß-Feiern den klerikalen Freunden zum Trotz fortzusetzen; das „Linzer Volksblatt", das Organ des vr. Ebenhoch, der den klerikalen Schulantrag eingebracht hat, antwortet darauf: „Es ist ja bekannt, daß bisher blos die jungtschechischen Ab- geordneten in gemäßigtere Bahnen eingelenkt haben und daß sie mit der katholischen Volkspartei in einer Majorität zusammen sind. An ihnen ist es nun, auch ihre Leute zu vause mit diesem Ge danken zu befreunden. Gelingt es ihnen, dann wird der Huß- Spectakel, der ja ebenso eine Demonstration ist wie etwa die Bismarck-Verherrlichung unserer deutschen Radikalen, bald ver ¬ stummen; gelingt es ihnen nicht, nun, dann wird sich eben weisen, daß Jungtjchechen und katholische Volkspartei nicht zujammcngehen können. Daß das unnatürliche Bündniß zwischen den radikalen, anarchistisch angehauchten Jungtschechen und den rückschritt lichen Klerikalen lange dauern werde, hat Niemand an genommen. In den Niederlanden werden heute die Wahlen zur ; weiten Kammer vorgenommen. Es handelt sich um die Erneuerung von hundert Mandaten auf die Dauer von vier Jahren. Die Wahlen erfolgen zum ersten Male auf Grund des erweiterten Wahlrechtes. Die Wahlreform- Frage hat während der beiden letzten Legislaturperioden in Holland eine große Rolle gespielt. Nachdem das konservative Ministerium Mackay durch die allgemeinen Kammerwahlen des Jahres >889 gestürzt worden war, über nahm das neue liberale Ministerium Tak van Poortvliet die Aufgabe, das Wahlrecht auf eine neue Grundlage zu stellen. Wie in Belgien, so rief auch in Holland die Wahl reform-Frage zunächst einen Zwiespalt im liberalen Lager hervor. Die eine Fraktion sprach sich zu Gunsten deS all gemeinen Stimmrechtes aus, die andere dagegen wollte sich mit einer bloßen Erweiterung deS Wahlrechtes begnügen. Tak van Poortvliet begünstigte daS allgemeine Stimmrecht und hätte dasselbe trotz des Abfalles eines TheileS der liberalen Partei vielleicht auck durchgesetzt, wenn nicht das Experiment mit dem allgemeinen Stimmrechte in Belgien inzwischen seine Wirkung geäußert hätte; die Thatsache, daß im Juli 1894 gleich 30 Socialisten in die belgische Kammer eingezogen, hatte die Holländer erschreckt. Die Vorgänge in Brüssel flößten nicht bloS einem großen Theile der liberalen Partei, sondern auch den conservativen Oppositions-Parteien große Besorgniß ein, und der Rath, das Wahlrecht nach belgischem Muster zu gestalten, fand taube Ohren. Das Ministerium Tak van Poortvliet überreichte der Königin- Regentin seine Entlassung, und diese berief das Ministerium Roöll van Houten, dem es schließlich nach schmierigen parla mentarischen Verhandlungen gelang, eine Wahlreform zu Stande zu bringen. Das neue Wahlgesetz beruht auf dem Principe, daß jedem mündigen niederländischen Staatsbürger das Stimmrecht gebühre, aber es macht die Ausübung dieses Rechtes doch von zahlreichen Bedingungen abhängig. Die Hauptpuncle d«S Wahlgesetzes sind die folgenden: Wähler ist jeder männliche, niederländische Staatsbürger, der das 25. Lebensjahr erreicht hat, wenn er eine Staatssteuer von mindestens einem Gulden entrichtet oder eine Wohnungsmiethe zahl», welche für jede Gemeinde besonder» sestgestellt ist und sich nach den besonderen Verhältnissen der Gemeinden richtet; wenn er Eigentümer oder Mieter eines Bootes ist, welches einen Fasjungsraum von mindestens 24 Kubikmeter hat oder vom 1. Januar >896 bis zum 1. Januar 1897 in fester Anstellung bei einem und demselben Ches oder einer und derselben Gesellschaft war und rin bestimmtes Gehalt bezog, dessen Höhe ebenfalls nach den besonderen Verhältnissen der betreffenden Gemeinde fixirt ist; wenn er seit dem l. Februar 1897 von einer öffentlichen Anstalt eine Pension bezieht, deren Höhe gleichfalls nach den Verhältnissen der Wohngemeinde ver schieden bemessen ist; wenn er Eigenthümer einer mindestens aus hundert Gulden lautenden Staatsschuldverschreibung oder eines auf mindestens fünfzig Gulden lautenden Einlagebuchs der Staats- jparcasse ist, und schließlich, wenn er den Befähigungsnachweis (eventuell Examen) liefert, wodurch er zur Ausübung eines öffent lichen Amtes oder eines Handwerkes geeignet erscheint. Jeder Wähler kann nur mehr für einen Candidalen stimmen, während früher, z. B. in Amsterdam, jeder Wähler neun Abgeordnete zu wählen hatte. Die großen Städte werden je nach der Zahl der Wähler in kleinere Wahlbezirke getheilt, die je einen Abgeordneten Feiirlleton» Zwei Frauen. 28j Roman von F. Marion-Crawford. Nachdruck verboten. Sollte das Unerwartete dennoch geschehen und ein Zu fall die schlimme Entdeckung berbeiführen, so wünschte Rex, sein Bruder wäre der Erste, der die Wahrheit erführe. Wenn die Baronin vor Greif davon Kenntniß erhielt, war nicht zu berechnen, welche Wendung die Dinge nehmen könnten. Es würde ihr schwer werten zu glauben, daß Greif nicht darum gewußt hatte, als er ihre Tochter heirathete, sie würde sich daran erinnern, daß er Alles ge- than, Hilda frei zu geben, und seinen hartnäckigen Wider stand der Kenntniß seiner unrechtmäßigen Geburt zuschreiben. DaS Verlangen nach einer Namensänderung wurde unter diesen Verhältnissen in einem sehr gehässigen Lichte er scheinen und Alle-, waS er gesagt und gethan, einer Miß deutung unterliegen. Rex vergegenwärtigte sich, welchen ungeheuren Werth sie auf die Verleihung ihres Namens legte, und er errieth, WaS sie bei der Entdeckung empfin den würde. 9. Capitel. Rex war in Bezug auf den Brief in einem Jrrthum be fangen. Ehe der alte Greifenstein gestorben war, batte er wirklich, wie er zu thun beabsichtigt, an seinen Sohn ge schrieben und den Brief an ihn adressirt. In dem Jabre, daS der Verheirathung seines Bruders gefolgt war, hatte sich Rex' Charakter eigenthümlich ent wickelt. ES war sein Vorsatz gewesen, wenn Alles geordnet sein würde, eine Reise nach Südamerika zu unternehmen, um seines Vaters geschäftliche Angelegenheiten zu erledigen und sich über den Umsang deS von ihm erworbenen Ver mögen- zu unterrichten. Er wußte, daß er sehr reich war, da er aber immer Alle» gehabt hatte, waS er wünschte, drängte es ihn nicht, den genauen Betrag seiner Einkünfte zu er fahren. Die ausgedehnten Besitzungen wurden gut verwaltet, und Kuno von Rieseneck hatte sich jede erdenkliche Müde gegeben, seine Hinterlassenschaft gegen jede Gefährdung zu schützen, ehe er seine Reise nach Europa antrat. Rex war persönlich mit den Leuten bekannt, denen sein Vater die Brrwaltung seine» BermögeuS übertragen hatte, und sobald sie von dem Tode deS alten Herrn Kenntniß erhielten, thaten sie alle gesetzlichen Schritte, dem Sohn die Erbschaft zu sichern und übermittelten ihm mit großer Pünktlichkeit in regelmäßigen Zwischenräumen sehr beträchtliche Geldsummen. Anfangs schien ihm die Lage eine etwas seltsame. Un mittelbar nach der Verheirathung des jungen Paares befand er sich in Greifenstein mit Hilva'S Mutter allein, die sich sehr bereitwillig in diese Anordnung fügte. Es sei natürlich, meinte sie, daß die Neuvermählten sich eine Zeit lang selbst überlassen bleiben. Sie halten erklärt, später von Wilden berg herüber kommen und die Baronin und Rex wieder abholen zu wollen, die sich beide sehr gut vertrugen und immer reichlichen Stoff zur Unterhaltung fanden. Rex gab sich Mühe, sich der Baronin angenehm zu machen, und die kluge Frau, die recht gut wußte, daß die Tage vorüber waren, wo sie beständig mit Hilda zusammen sein konnte, war froh, daß ihr Schwiegersohn einen Mann wie Rex zum Vetter hatte. Ein eigenartiges Freundsckaftsverhältniß entspann sich zwischen ihnen, das keiner von beiden vor- ausgesehen hatte. Die Baronin begriff die Natur ihres Gefährten nicht, aber sie war zufrieden mit seiner Gesellschaft. Rex und die Baronin wurden jedoch der Einsamkeit in Greifenstein nicht lange überlassen. Nachdem eine Woche verstrichen war, erschienen Greif und Hilda, strahlender in ihrem neuen Glück al- zuvor. Sie forderten Rex und die Baronin auf, sür einen Monat nach Wildenberg überzusicdeln, und kündigten an, daß sie nach Ablauf deS MouatS einige Zeit auf Reisen zu gehen beabsichtigten. Hilda batte Rex ihre Hand gegeben, die er zu berühren fürchtete, so stark war noch der erste Eindruck in ihm, den zu überwinden er so große Mühe aufgewendet. Selt sam genug war eö daS letzte Mal, daß er diese Rückkehr seiner alten Antipathie in sich bemerkte. Es war als ob die Berührung der handschuhbekleideten Finger Hilda'S diese Um wandlung in ihm hervorgebracht hätte. Er blickte auf und sah ein Lächeln in ihrem Gesicht. „Hassen Sir mich noch immer?" fragte sie. „Nein", antwortete er unverkennbar aufrichtigen ToneS. Er haßte sie in der Thal nicht mehr, aber er fühlte sich unerklärlich verlegen in ihrer Gegenwart und war schweigsam und zerstreut in ihrer Nähe. „Weshalb sprichst Du niemals, wenn Hilda zugegen ist?" fragte Greif in seiner geraden Weise, als sie alle eine Woche in Wildenburg zusammen gewesen waren. „Männer sind ost schweigsam angesichts der herr lichsten Schöpfungen der Natur", erwiderte Rex, ohne Hilda anzusehen. „Hörst Du dieses ungeheure Compliment, Hilda?" „Ich verstehe es nicht", antwortete Hilda lachend, „ich glaube, Rex haßt mich noch immer." „Nein", betbeuerte Re^ ernst, „Sie sind vollkommen im Jrrthum, und ich dachte nrchl daran, Ihnen Complimente zu machen." „Aber eS ist wahr, da Greif es bemerkte wie ich", ent gegnete Hilda. „Sie sprechen nicht, wenn ich zugegen bin, obgleich Mama und Greif behaupten, daß Niemand besser zu unterhalten verstände als Sie. WaS bedeutet eS, wenn ein Mann schweigsam ist, Greif?" „Meist bedeutet es, daß er verliebt ist." „In mich?" lachte Hilda, belustigt durch den Gedanken, der ihr wie Greif und m diesem Augenblick sogar Rex selbst etwas ganz Unmögliches bezeichnete. „Ich würde es sein, wenn ich Greif wäre", erwiderte Rex mit verbindlichem Lächeln. Als Rex wieder allein war, sann er über Das nach, was gesagt worden war. Trotz deS scherzhaften Tones, in dem Hilda und Greif gesprochen batten, schien ihm in Dem, was er gehört hatte, keinerlei Grund zum Lachen gegeben. Im Gegentheil zürnte er Greif, einen Gedanken angeregt zu haben, der ihm vorher gewiß nicht eingefallen wäre. Jetzt, da er die Angelegenheit reiflich erwog, mußte er sich bekennen, daß er sich zuweilen in der That so geberdete, als wäre er in Hilda verliebt, oder wenigstens, wie er sich hätte benehmen können, wenn er mit zwanzig Jahren verliebt gewesen wäre. Aber er war zwei Mal so alt und eS bestand ein offenbarer Widerspruch zwischen seinem Betragen und seinem Urtheil, seinem Thun und seinem Denken, der eine solche Voraus setzung zur Ungereimtheit stempelte. Er konnte nicht glauben, daß «in Maun zu lieben vermöge, ohne sich dessen bewußt zu sein. Bis vor Kurzem hatte er nicht daran gezweifelt, daß er eine entschiedene Abneigung gegen Hilda fühlte, und es wäre doch höchst seltsam, wenn eine so heftige Abneigung sich plötzlich zu einem Gefühle entwickelt haben sollte, wie Greis's sorglose Bemerkung es andeutete. Rex gelobte sich, wenn sie sich am Abend bei Tisch wieder zusammensänden, sich eines vollkommen geänderten Benehmens zu befleißigen. Ehe Hilda ihn über die Ursache seines Schweigens befragt, batte er nickt viel über die ganze Sache nachgedacht. Es war seine Gewohnheit, den Mund zu halten, wenn er nichts zu sagen hatte, auch gestand er sich zu, daß er Hilda'S Schön heit bewunderte, wie er eS immer gethan, selbst als ihre Persönlichkeit ihm lebbaften Widerwillen einflößte. Das Schimmern und Leuchten ihrer Augen und ihres Haares, als sie in Greif's Zimmer gestürzt war, der fast sterbend in seinem Bette lag, hatte einen nachhaltigen Eindruck auf Rex gemacht, der sich sehr wesentlich von dem unterschied, was er ohne Rücksicht auf ihre äußere Erscheinung für sie fühlte. Eine Erklärung für seine räthselhafte Abneigung batte er zunächst in der Eifersucht auf sie zu entdecken ge glaubt, jetzt wunderte er sich, wie er fick solchen Mißgriffes halte schuldig macken können. Sein Herz war nur voll Dankbarkeit gegen sie für den Antheil, den sie an ter Rettung seines Bruders aus Lebensgefahr batte, und neben dieser Dankbarkeit widmete er ibr eine gewisse brüderliche Zu neigung, die ebenso unbestimmt und unerklärlich war, wie früherer Widerwille gegen sie. Das Ergebniß all seines Sinnens und Grübelns war, keinen auffallenden Versuch zu einer Aenderunz seines Be nehmens zu machen, sondern zu sprechen oder zu schweigen, wie der Geist ihn triebe. Zu seiner eigenen Ueberraschung sprach er am Abend außergewöbnlich gnt und anregend. Wenige Tage später hatte er sein Benehmen so gründlich ge ändert, daß er gewöhnlich schwieg, wenn Hilda nicht zugegen, und ihr Kommen daS Zeichen sür ihn war, eine fast unnatür liche Beredtsamkeit zu entfalten. „Ich unterhalte sie", sagte er sich mit einiger Be friedigung. „Sie freuen sich dessen, und daS ist genug." Hilda und Greif führten ihre Absicht aus, den Herbst zu einer Reise zu benutzen. Greif schien es eine Unmöglich keit, Hilda noch länger rn gänzlicher Unkcnntniß der äußeren Welt zu lassen. Sie wollten drei Monate fortbleiben und zu einer gemütblichen altnordischen Weihnachtsfeier zurück kehren. Während ihrer Abwesenheit sollten die dringendsten Verbesserungen im Schloff« vorzenommen werden. Die Baronin batte sich erboten, die Bcanssichtigung und Leitung zu übernehmen. „Und was willst Du thun, Rex?" fragte Greif. „Ich werde Tante Therrse Helsen." „Weshalb willst Du nicht auch verreisen, um Dich zu zerstreuen?" „DaS ist leichter gesagt, al« gethan. Meine Zerstreuung wird darin bestehen, die Tage bis zu Eurer Rückkehr zu zählen. DaS werden wir beide, Tante Therese und ich, gemeinsam thun."
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