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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.06.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970616029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897061602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897061602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-16
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsas nach höherem Tarif. Extra-veilagen (gesalzt), nur mit d« Morgen - Ausgabe, ohne Postbeförderunzl 60.—, mit Postbrsörderuug 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde früher. Anzeigen sind stets au die Erpe-itiaa zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 302. Mittwoch den 16. Juni 1897. Sl. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 16. Juni. Der „NeichSanzeiger", der sonst Abreise und Ankunft eine« jeden Minister« und selbst niederer Götter von und in Berlin getreulich berichtet und auch in seiner gestrige» Abendnummer den auf einen Tag verreist gewesenen Herrn vr. Bosse al« angekommen meldet, weiß von der Rückkehr de« Herrn vr. v.Miquel «»«Wiesbaden gar nicht«. Leute,diederAnsicktsind, auch hinter dem Nichtwissen oder Nichtwissenwollen des „Reichs anzeigers" stecke eine politische Absicht, werden aus dem jetzigen Schweigen des amtlichen Blatte« den Schluß zieben, man sei an maßgebender Stelle im Zweifel über den Erfolg der Unterredungen, zu denen Herr Vr. v. Miquel nach Berlin gekommen ist, und wolle im Falle des Nichterfolges die ganze Reise ignoriren. Jedenfalls ist der preußische Finanz minister sehr „erheblich" in Berlin. Er ist gestern mit dem Reichskanzler vom Kaiser empfangen worden, nachdem er Tags vorher mit dem Ersteren und dem Contre- admiral Tirpitz conferirt hatte, der seinerseits gleichfalls sammt dem Admiral Knorr zum Kaiser besohlen war. Diese Empfänge und die Verhandlungen des preußischen Finanzministers mit Herrn Tirpitz geben den üppig wuchernden Combinationen die einzige einigermaßen solide Grundlage. Die „Post" glaubt denn auch, daß die definitive Entscheidung über die Neubesetzung der Stelle des Staats- secretairs des NeichsmarineamtS demnächst werde getroffen werden. Da aber, wie wir schon gestern hervorhoben, der künftige Cbef des Reichsmarineamtes auf ein erfolgreiches Wirken nur dann hoffen darf, wenn eine günstigere Zusammensetzung de« neuen Reichstags erzielt wird, und da ein günstiges Wahlresultat nur hcrbeigesükrl werden kann, wenn der weitverbreiteten, die Wahlaussichten der Opposition verbessernden Mißstimmung im Reiche ein Ende bereitet wird, so ist eS nur zu begreiflich, wenn die Vermuthung geäußert wird, Herr Vr. v. Miquel, der das besondere Vertrauen drS Kaisers genießt und schon wiederholt vor wichtigen Entscheidungen um seinen Rath befragt worden ist, sei nicht nur zur Lösung der Frage der Nachfolgerschaft des Staatssecretairs Hollmann, sondern auch zur Lösung von Fragen von noch größerer Tragweite nach Berlin berufen worden, — und wenn jene bekannten „best- informirten Gewährsmänner", die das Gras selbst auf Berg hohen wachsen hören, zu denen ihr Fuß nie dringt, ver sichern, Herr v. Miquel solle das preußische Finanz ministerium abgeben, die Vicepräsidentschaft im preußischen Staatsministerium und zugleich als Staatssecretair des Reicks amts des Innern die allgemeine Stellvertretung deS Reichs kanzlers übernehmen, die Nachfolgerschaft des Staatssecretairs v. Stephan entscheiden, den Streit wegen der Börse und des Vereinsgesetzes schlickten und wer weiß was noch alles ins reckte Gleis bringen hejfen. Das wäre jedenfalls reichlich viel für einen der Erholung bedürftigen Mann und für die kurze Zeit, die bis zur Abreise des Kaisers noch übrig bleibt. Wir enthalten uns daher der Betbeiligung an den Ver- muthungen und harren der Verkündigung aus dem ehernen Munde des „Reichsanzeigers" auf die Gefahr hin, daß dieser Mund auch nach der Rückkehr des Herrn vr. von Miquel nach Wiesbaden schweigt und damit seine Anwesenheit in Berlin in die Reihe der belanglosen Episoden verweist. Die Lantztag-wahl in Pr.-Ttargard, aus der trotz der Ueberzabl der deutschen Wahlmänner ein Pole, ein Todfeind de« Deutschtbums, als Abgeordneter bervorgegangen ist, konnte mit Aussicht auf Erfolg angefochten werden, und aus diesem Grunde hätten wir gewünscht, daß die Aus einandersetzungen über die schweren Sünden, die bei dieser Gelegenheit auf deutscher Seite begangen wurden, verstummt wären. Statt besten werden die gegenseitigen Beschuldigungen immer heftiger und spitzen sich principiell zu. Die Frei- conservativen entschuldigen ihren Parteigenossen Arndt zwar nicht ausdrücklich, aber sie suchen alle Schuld bei den der Wahl fern gebliebenen fünf frei sinnigen Wahlmännern. Damit verleugnet diese Partei ihren nationalen Standpunkt. Wenn ihr die deutsche Sache nicht eine — noch dazu nicht entscheidende — Stimme für ihr AuSnahme-Vereinsgesetz werlh ist, so kann die „Post" nicht beanspruchen, daß man den von ihr geführten Kampf gegen polnische Uebergriffe fernerhin ernst nimmt. Das Blatt thäte bester, einzuräumen, daß Herr Arndt nicht auf der Höhe der Situation gestanden hat. Er war, wie man jetzt erfährt, auf der am Vorabende der Wahl abgehaltenen deutschen Wahlmännerversammlung in Dirschau gar nicht erschienen, hatte aber dort auf eine frei sinnige Interpellation erklären lasten, daß er „natürlich" mit seiner Fraktion für die Vereinsgesetznovelle stimmen würde. Herr Arndt hat sich demnach den LuxuS des Abwägens zwischen der Verstärkung einer Parlamentsminder heit um eine Stimme und den Lebensinteressen seines be drängten Volksthums nicht »erstattet. Aber er ist nicht der einzige Schuldige in den Kreisen seiner Parteigenossen im Wahlkreise. Von diesen hat sich offenbar Niemand um die Angelegenheit gekümmert, sonst wäre eine Anfrage bei der Berliner Parteileitung bezw. Fraktion oder bei dem Vorstande des Vereins zur Förderung des Deutsckthums, dessen Spitzen eben dieser freiconservativen Partei angehören, erfolgt. Herr Arndt wäre ohne Zweifel ersucht worden, Stimmenthaltung bei der Abstimmung über das Verrinsgesetz zuzusichern, und hätte wohl danach gehandelt. Daß das Wahlergebniß dadurch ein anderes geworden wär«, kann man angesichts einer Erklärung der fünf freisinnigen Wahlmänner, die die Wahl des Polen herbeigeführt haben, allerdings nicht behaupten. Die Erklärung lautet: „Gegenüber verschiedenen Angriffen erklären die unter zeichneten Wählmänner, welche sich am 10. Juni der Stimm abgabe enthielten, Folgendes zu ihrer Rechtfertigung: Wir haben uns Niemandem gegenüber hinsichtlich der Ausübung unseres Wahlrechts als Wahlmänner verpflichtet. Bis znm letzten Augenblicke waren wir bereit, einem deutschen CoinpromißcandiLaten unsere Stimme zu geben, jedoch nur dann, wenn derselbe über seine Stellung zum Vereins gesetz eine befriedigende Erklärung abgeben wollte. Eine solche war nicht zu erlange». Keiner von uns wollte die Verantwortung übernehmen, daß durch seine Stimme ein Abgeordneter gewählt würde, der nach Lage der Dinge möglicherweise für die Annahme der Vereinsgesetzvorlage oder für einen Beschluß von ähnlicher Wirkung den Ausschlag geben könnte. Nach gewissenhafter Ueberzeugung, ersülltvonLiebezumVater- lanbe, konnten wir einer Beeinträchtigung der durch die Verfassung gewährleisteten staatsbürgerlichen Rechte nicht durch unsere Stimmen Vorschub leisten, fühlten uns deshalb — und zwar nur aus diesem Grunde — mit Bedauern zu unserem Verhalten gezwungen. Dirschau, 1L. Juni 1897. Fricke, May, Raabe, Alb. Schultz aus Dirschau, Maczews ki -Hohenstein." Diese Erklärung ist armselig. Ist Blut dicker als Wasser, so ist es gewiß noch dicker als daS Papier, auf dem die Parteiprogramme stehen, auS deren Verschiedenheit sich die verschiedene Stellung der deutschen LandlagSparteien zum Vereinsgesetz ergiebt. Ein konservativer Professor in Dirschau, Namens Holtz, billigt eS Zwar, daß „überzeugte freisinnige Wahlmänuer ihr Volksgefühl unterdrückten, um nicht Veranlassung zu sein, daß noch ein Abgeord neter mehr in die Lage komme, für dies Gesetz zu stimmen." Der Herr mag konservativ sein, hinsichtlich der Intensität seines „Volksgefühls" gehört er jedoch zu den Radikalen. Der die Dinge und Personen aus der Nähe betrachtende „Graudenzer Gesellige" — ein sehr entschiedener Gegner de« Vereinsgesetzes — scheint denn auch in der Er klärung der fünf freisinnigen Herren nichts als einen Vorwand zu finden. Und er hat sicher Recht in Bezug auf den Gymnasial - Oberlehrer vr. Fricke, wenn es wahr ist, was die „Post" berichtet, daß nämlich dieser Herr schon vor Jahresfrist, als ebenfalls eine Ersatzwahl in Pr.-Stargard nöthig geworden war, erklärt hat, er würde „einem ihm sonst politisch näher stehenden Polen einem agrarisch angehauchten Confer valiven gegenüber bei der Wahl immer den Vorzug geben". Natürlich auch „erfüllt von Liebe zum Vaterlande". Wie es scheint, hat Herr Eugen Richter der westpreußischen Wahl mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als die freiconservative Partei leitung, und steht dem Entschluß der Fünf nicht fern. In seiner Zeitung wenigstens rechtfertigt er nicht nur die Herbeiführung des polnischen Sieges, sondern schreibt noch dazu, die „freisinnigen Wahlmänner würden sich hoffentlich ihrer ausschlaggebenden Stellung im ganzen Wahlkreise bewußt werden und bei der nächsten Landtagswahl die Aufstellung eines freisinnigen Candidaten zur ersten Bedingung (des Zusammenstehens der Deutschen gegen die Polen) machen". Wenn man weiß, daß unter den 240 deutschen Wahlmännern die Freisinnigen noch nicht 40, also keineswegs eine Anspruch auf Berücksichtigung an erster Stelle gebende Zahl auSmachen, daß aber allerdings schon 5 von ihnen den Sieg des Polen bewirken ckdnnrn, so wird man nickt ansteben, die Bedingung de« Herrn Richter als eine von schmutzigem Charakter zeugende Ausbeutung der nationalen Nothlage aufzufassen. De» Deutschgesinnten in W i e S b a d*e n wirp eS angenehm sein, kurz vor der Stichwahl so drastisch darauf aufmerksam gemacht zu werden, was es heißt, einem Mitglied« der von Herrn Richter ge leiteten Partei in den Reichstag zu verhelfen. Die am Sonntag in Brüssel stattgchabte Kundgebung zu Gunsten der belgischen Heeresreorganisation aus Grund des Systems der allgemeinen Wehrpflicht findet in den politisch gereifteren Volkskreisen uneingeschränkte Billigung insofern, als man sich von ihr eine fruchtbare Anregung zur Förderung der Bestrebungen verspricht, welche darauf ausgeben, Belgien mit einer im Ernstfälle brauchbaren Truppe zu begaben. Die belgische Armee in ihrer dermaligen Verfassung würde nach dem Urtheil aller Sachverständigen ihrer Aufgabe, der LandeSvertheidigung, nickt gewachsen sein. Sie entbehrt des rechten militairischen Geistes, der engen Verbindung zwischen den Einzelgliedern des gcsammten HeereS- und Staatsorganismus, der Subordination und Disciplin, kurz, der wichtigsten mora lischen und auch beruflichen Voraussetzungen zur Entfaltung einer dem Feinde zu imponiren geeigneten Action. Die Gegner der HeereSreorganisalion nach moderner Art ver- sckanzeu sich hinter allerlei Scheingründe, von denen der aller nichtigste, wenn auch vielleicht der bestechendste, die Berufung auf die völkerrechtlich garantirte Neutralität des belgischen Staats wesens ist. Wenn sie überzeugt wären.daß Belgien,aufdenSchutz seiner Neutralität bauend, sich militairiscke Anstrengungen sparen darf, so wäre doch die logisch richtige Conjequenz dieses Vordersatzes die Abschaffung dcö stehenden Heere- überhaupt und seine Ersetzung durch eine Bürgerwehr oder wie man das Ding sonst nennen will. Indem man aber da« stehende Heer beibehält und gleichwohl zögert, es auf die Höhe der modernen Entwickelung zu bringen, schafft man eine falsche Situation, bei der sich weder daS Heer, noch daS Land auf die Dauer wohlstehen kaou. Der Widerstand, den namentlich die ultramontane Partei der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht entgegensetzt, entfließt denn auch nicht sachlichen, sondern politischen, parteitaktischcn Er wägungen; er war bis jetzt stark genug, um die Bestrebungen der Anhänger deS militairischen Fortschritts zur Unfruchtbar keit zu verurtheilen. Ob daS energische Eintreten des Monarchen sür das Priucip der allgemeinen Wehrpflicht den Widerwillen der parlamentarisch herrschenden Partei soweit überwinden wird, daß sie künftig wegen der rqtionelleu Um gestaltung der Heereseinrichtuogen mit sich reden läßt, muß die Zeit lehren. Einstweilen wird man sich noch uicht all zuviel von der Gesinnungsumkehr des UltramoutanismuS ver sprechen dürfen. Der Kommerzielle Attachs der Kritischen Botschaft iu Berlin, William S. H. Gastrell, hat ein Buch veröffent licht über: „Den britischen Welthandel mit Rücksicht auf die ausländische Concurrenz". Man kann den Ver fasser gerade nicht de« Optimismus bezichtigen. Gastrell kommt zu der Ansicht, daß die Engländer der übrigen Welt im Handel nicht mehr so überlegen sind wie vormal«. 3m 18. Jahrhundert besorgte England den internationalen Verkehr, und bei Beginn dies«« Jahrhundert« konnte eS Napoleon's Continentalsperre trotzen. In den ersten Re gierungsjahren der Königin kvunte England die Zölle deS Festlandes mit seiner freien Einfuhr bekämpfen. So wnrde cS der Fabrikant und Verkehrsvermittler der Welt. Als aber die anderen Nationen begannen, die englischen Methoden nachzuahmen, englische Produktionsweise auf den heimischen Boden zu verpflanzen, änderte sich das Bild. Gastrell kommt zu ganz eigenthiimlichen Schlüffen: „Der englische Nationalcharakter hat dem englischen Handel ebenso viel Schaden wie Nutzen gebracht". Der Engländer weiß sich neuen Verhältnissen nicht anzupaffen. Gastrell vergleicht die Jahre 1885, 1890 und 1895, Jahre der größten Wohlfahrt und geschäftlichen Depression. Großbritannien spielt, netto betrachtet, in keinem dieser Jahre eine Glanzrolle. Gastrell betont besondrrS, was der deutsche Schulmeister von Sadowa auch für Deutschlands kommerzielle Größe geleistet hat. Höchst lesenSwerth find namentlich die Capitel in dem Gastrell'schen Buche über die deutsche Concurrenz in Kattun, worin England doch vor 30—40 Jahren ein wahrhaftes Monopol besaß. Gastrell vergißt nicht, die Ursachen aufzudccken. Diese sind ideeller, aber auch politischer Natur. Man vergißt in England und Frankreich nur zu leicht, wie sehr die deutsche Volkskraft durch die politische Zerrissenheit lahm gelegt war. Wenn daS heute anders geworden ist, so ist das nur erst der Anfang der Besserung. Daß dem so ist, dafür bat man in Frank reich und noch mehr in England ein instinktives Gefühl. DaS ist der Hauptgrund der Beunruhigung. Fssrilletsn- Zwei Frauen. 28j Roman von F. Marton-Crawford. Nachdruck verböte«. Rex war sehr glücklich. Di« Träume, die seine Stunden auSfüllten, hinverten ihn nicht in seiner Thätigkeit, im Gegen- theil schien sie endlich einen Zweck und sein Leben einen Inhalt gefunden zu haben, der ihm während der vierzig Jahre seines Dasein« bisher gefehlt hatte. Die geschäftigen Monate gingen vorüber und der Sommer nahte. Vieles war in Wilkenberg geschehen, aber e« blieb noch Arbeit für Jahre, bis es so dastehen würde, wie Greif eS sich ausgedacht hatte. Aber eines Tages im Juni hörte alle Arbeit plötzlich auf, und im Schlosse und seiner Um gebung herrschte lautlose Stille. Die Diener traten ge räuschlos ans Ntid sprachen Nur flüsternd miteinander. Rex blieb sich selbst überlassen und alles Leben im Hause schien stillzustehen. Cs war da- selige Schweigen eine« großen Glückes. An jenem Iutiitnorgen hatte Hilda ihrem Gatten einen Erben geboren. 1V. Capitel. Bärbel, jetzt zur Haushälterin von Wildenberg ausgerückt, war mit den Vorbereitungen zur Taufe beschäftig». Ein Jahr uNunterbrocheüen Wohlergehens hatte sie ein wenig stattlicher gemacht, al« sie früher war, und obgleich sie noch an einer spartanischen Einfachheit in der Kleidung sesthirlt, war ihr Rock doch aus besserem Stoff und ihre Mütze mit schwarzen Bändern von reiNer Seide aufgepntzt. Der Tag war warm and Bärbel kam in den Hof, frische Luft zu schöpfen. Mit sich und der Welt zufrieden, sann sie nach, ob sie nichts bei den festliche» Beranstaltüngen vergessen hätte, al» sie einen Mcknn »ns sich zakoMMen sah. ES war Wastei, der in seiner Hand ein paar an deN AieMen ans eine Weidenruthe gezogene prächtige Forellen trug. Es war klar, daß er, nachdem er die Fische gefangen batte und ehe er inS Schloß gekommen, nach Hause gegangen war, sich umzukleiden, denn er zeigte sich in emem überaus prächtigen Anzug. Ein Paar neue Lederhosen und ein echter Sammetrock schmückten ihn. Bärbel musterte ibn mit neugierigen Blicken. Sie batte eine außerordentliche Vorliebe für den wunderlichen Menschen. „Grüß Gott, Frau Bärbel", rief Wastei mit größerer Höflichkeit, als er anderen Leuten, hoch oder niedrig, gönnte. „Ich habe Ihnen diese Fische zum Taufschmaus gekrackt, und ich habe schon weniger schöne gesehen." Bärbel nahm ihm die Weidenruthe mit den Forellen ab, zählte die Thiere, versuchte ihr Gewicht festzustellen und nickte dann beifällig. „Das sind prächtige Fische", sagte sie. Wastei zog ein rothes Tuch aus seiner Tasche, trocknete sich sorgfältig die Hände und setzte sich ohne weitere Um stände auf die unterste Treppenstufe zur Eingangsthür, als ob sein Geschäft nun erledigt wäre und er sich auszuruhen beabsichtigte, ohne Bärbel ferner zu beachten. Bärbel schätzte ihn seiner Unabhängigkeit und Schweigsamkeit wegen, auch hatte er ihr und ihrer Herrschaft in den Tagen bitterster Armuth manchen guten Dienst erwiesen, sür den sie ihn niemals batte belohnen können, und ihr manchen feisten Hasen, manches.Rebhuhn gebracht, zu welchen er auf ehrliche Weise gelangt zu sein behauptere, und dafür nicht mehr gefordert, als daß sie ihm seine zerrissenen Kleidungs stücke ein wenig ausbessere. Bärbel argwöhnt«, daß Wastei mehr vor» der grausamen Dürftigkeit wußte, die auf dem Schlosse herrschte, als er zugeben wollte, und daß er sich aus bloßem Mitleid mit der Baronin und ihrer Tockter zu manchem Wilddiebstahl verleiten ließ. Beide waren jetzt bester daran, sie und Wastei, aber als sie den schwarzen Sammet betrachtete, der seinen breiten Rücken bedeckte, er innerte sie sich deS Tage«, als er zerlumpt an ihre Hinter- thür gekommen war und ihr mehrere Stücke Wild auf den Küchentisch geworfen hatte und in der nächsten Minute mit nichts als einem Bissen Schwarzbrot» zum Abendessen wieder davon gegckngeN war. gIch werde sie dem Herrn Baron geben", sagte Bärbel. Waste» blickte auf, al» ob er gedacht hätte, sie wäre schon längst fort. „Ick danke Ihnen, Frau Bärbel", antwortet^ er. Fünf Minuten später kehrte sie zurück, eine schwarze Flasche und ein Glas unter dem Arm und einen sehr kleinen Gegenstand mit der Hand umschließend. „Der Herr Baron dankt Ihrten Und schickt Ihnen daS", ries sie, ihm ein Goldstück entgegenhaltend, „und ich habe Ihnen da» gebracht", fügte sie, das GlaS füllend, hinzu, „weil ich weiß, daß Sie es lieben." „Glückl" brummte Wastei, da« Zwanzigmarkstück in seine Westentasche steckend und beobachtend, wie die weiße Flüssig keit in dem Glase immer höher zum Rande aufstieg. Er nahm das GlaS zwischen die Finger, hielt eS gegen die Sonne und sah wieder auf Bärbel. Er nickte nnd goß den Branntwein in die Kehle. „Glück!" wiederholte er, mit den Lippen schmatzend. „Weshalb wünschen Sie sich in dieser Weise Glück?" fragte die gute Frau. „DaS will ick Ihnen sagen, Frau Bärbel", antwortete Wastei mit gedämpfter Stimme. „Eö ist der neue Nock, der Mir heute Glück brachte." „ES ist ein sehr guter Rock", bemerkte Bärbel. „Nun, durch ein Goldstück und einen Schluck von dem- stlbtst guten Getränk kam ich zu dem Nock." „DaS ist nicht tbeuer. Er ist sebr gut." „Erinnern Sie sich, wie der Teufel den alten Wolf von Greifenstein holte —" „Um GstteSwillen still!" rief Bärbel, „so dürfen Sie nicht sprechen." „Er war wirklich ein Wolf, nnd ich glaube, er würde einen armen Freischütz wie mich in Stücke gerissen haben, wenn er gekonnt hätte. Er war einmal hinter mir drein, und die fürchterlichen Augen, die er machte, vergesse ich mein Lebtag nicht. Wen» er zehn Jahre jünger gewesen Uitd ich ihm nicht durch eine Höhle, die ich kannte, ent schlüpft wäre, so daß er dackte, ick wäre über den Kalken stein gestürzt, würde er mich fesigebalten haben. Zwei Tage suchte er mit seinen Förstern nach meiner Leiche. Nun, ker Teufel holte ibn, wie Sie wisse», denn er brachte sich selbst um. Det junge Baron wurde krank nnd Sie schickten mich eine« NaitS nach Greifenstein, Ihnen Nachricht zu bringen, weil Fräulein Hilda keinen Scklaf finken konnte. Sie erinnern sich, daß ich mit sehr schleckten Nachrichten und einem Goldstück zurückiam, da» mir Herr Ner gegeben und von dem ich geglaubt batte, es se, für die gnädigeFrau bestimmt, aber die Frau Baronin meinte, e« gehöre mir. Erinnern Sie sich?" „Sehr gut", erwiderte Bärbel. „Ich nahm das Goldstück, wollte e» aber weder au«- geben noch wechseln, denn ich sagte mir, e» war der Lohn für eine schlechte Nachricht, und doch war ich damals im „Ochsen" drei Mark und fünfzig Pfennige scknldig. Ich versteckte mein Goldstück an einem sicheren Ort, wo es Niemand eingefallen wäre, es zu suchen." „Wo war da«?" fragte Bärbel. „Wenn Sie eS zu wissen wünschen, will ich eS Ihnen sagen. Weiter unten, hinter den Bäumen, ist ein Ort, Waldeck, und dort ist ein verfallenes Schloß. Vor dem Thore stehen drei Bäume Und LIU Stück weiter fort ein Baumflumpf, ringsherum ist alles voll Buschwerk, Tannen und Birken, so daß Meins drei Bäumt ziemlich so aussehen wie die anderen, aber wenn Sie die meinigen heraus gefunden haben, müfftn Sie von dem rechter Hand einen geraden Strick bis zu döm BatiMstNinpf machen, dann gehen Sie an dem Stumpf vorbei immer gerade ans nnd Sie kommen zu einem flachen Stein, der sich leickt umdreben läßt, weNn Sie stark genug sind, ibn zu bewegen. Darunter ist eine Hoble. Auf den Boden dieser Höhle legte ich mein Goldstück und wälztt einen Stein darüber, kletterte wieder a»S Tageslicht, brackte den großen flachen Stein an seine alte Stelle und ging fort. Ich sagte niir, dort sucht so bald Niemand nach Geld." „DaS ist höchst unwahrscheinlich", stimmte Bärbel zu. „Ich sagte mir, Du bist tin braver Bursche nnd wirst Dich eher zu Tode hungern, als daS Geld zn Deinem Nutzen verwenden, daS der Preis für eine schlimme Nachricht war; aber wenn der junge Herr wieder gesund wird, Frau Bärbel's gnädiges Fräulein heirathet und der liebe Gott ihnen einen Sohn schenkt, holst Dn Dir daS Goldstück wieder nnd giebst cS am Tage der Tanfe au«. Herr Rex gab mir das Geld gerade mit einem solchen Trunk wie Sie, so daß ich mir dachte, eS müßte am Endt doch noch Alles gut werden." „Unk mit dem Gelde haben Cie jetzt den Rock gekauft?" „Und was für einen Rock! Ter Trödler batte ibn sechs Monate in seinem Laden, aber Niemand konnte ibn kaust», weil er so tbeuer war." „Der Trödler?" fragte Bärbel, Wastei scharf aNsebend. „Ja, und wissen Sir, was ich denkt, Frau Bärbti?" flüsterte Wastei. „Was?" „Ich glaube, da« ist der Rock, in welchem der alte Wolf starb, und das ist der Grund, weshalb der Rock mir Glück bringt." „WaS fübrt Cie auf diesen Gedanken?" erkundigte sich Bärbel, die Stirn runzelnd. „Auf dem Krage» ist rin Fleck, sebkn Sie, hier." Wastei trat näher an Bärbel beran, und zeigte ihr die Stelle mit dem Finger. „Der Trödler meinte, der Fleck käme von einen» rostigen Nagel, oder von Tinte, aber da« ist weder rin Rost»
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