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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.06.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970617013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897061701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897061701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-17
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Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesvrderung >i 60.—, mit Postbesörderung >l 70.—. Anzeiger. Ämlsvlatt des königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Donnerstag den 17. Juni 1897. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 91. Jahrgang. Die staatliche Krankenversicherung -er Hausindustriellen, über die dem Reichstage bekanntlich eine Vorlage zugegangen ist, ist, was die Technik angeht, ungemein schwer durcbzu- sühren. Worin die mannigfachen «Schwierigkeiten beruhen, tst schon mehrfach dargelegt worden. Sie liegen im Wesent lichen in der Eigenart der Hausindustrie, daß diese ohne das Zwischenmeistersystem zumeist nicht auszukommen vermag. Dadurch wird eS schwer, den Begriff Arbeitgeber sicher zu hrfiniren. Es muß immer die Frage aufgeworfen werden: wer ist im Einzelfalle der Arbeitgeber, der Unternehmer, der Confectionair, oder der Zwischenmeister? Den Erörterungen, die durch die Regierungsvorlage über die Krankenversicherung der Hausindustriellen angeregt worden sind, kommt zu gute, daß von den socialpolitischen Behörden der Stadt Berlin und Freunden der socialen Politik auf communalem Gebiete die Frage der Zwangsversicherung der ConfectionSarbeiter schon im vorigen Jahre in Fluß gebracht wurde. Einer der führenden Theilnehmer an jener Bewegung, der Fabrikant O. Weigert, entwickelt in der „Socialen Praxis" eine Reihe bemerkenSwerther Gedanken über die Durch führung der Krankenversicherung der Hausindustriellen. Er berührt dabei alle wesentlichen Puncte, die Berechnung der Beiträge, die Meldepflicht, die Vertheilung der VrrsicherungS- last u. A. m. Er beginnt mit der Erörterung, nach welchem Grund sätze die Beiträge zur Versicherung festgestellt werden sollen. DaS Uebliche ist, den durchschnittlichen Tagelohn als Norm zu setzen. Für Hausindustrielle und Heimarbeiter gebt das nicht an. Hier muß nach Weigert der thatsächliche Arbeitsverdienst als Maßstab für den Versicherungsbeitrag genommen werden. B gründet wird dies durch die Be sonderheit der Hausinoustrie. Die zeitliche Dauer der Arbeit für den Unternehmer läßt sich in der Hausindustrie, in der die einzelnen Arbeiter nicht zu überwachen sind, nicht schlecht hin durch die Zahl der Arbeitstage ausdrücken. Ein viel sichererer Ausdruck für die Arbeitsleistung ist hier der wirk lich gezahlte Arbeitsverdienst. Für die Meldepflicht stellt Weigert den Grundsatz aus: die Meldepflicht (An- und Ab meldung) ist dem unmittelbaren Arbeitgeber für die von ihm angenommenen Arbeiter aufzuerlegen. Die Arbeitgeber in der Hausindustrie zerfallen in zwei Gruppen. Die erste umfaßt die Unternehmer, die Consectionaire. Diese sind zunächst die Arbeitgeber derjenigen Arbeiter, denen sie Arbeit außerhalb der Unternehmerbetriebsstätte anzuferligen geben, der von ihnen unmittelbar beschäftigten Hausindustriellen, zugleich aber sind sie noch die Arbeitgeber der Zwischen meister, denen sie Arbeit zumeist im Großen zuweisen. Die zweite Gruppe der Arbeitgeber sind eben diese Zwischen meister; sie sind die Arbeitgeber derjenigen Hausindustriellen, die nicht mit dem Unternehmer, dessen Material sie ver arbeiten, in unmittelbare Berührung kommen. Schließlich erwägt Weigert noch, daß zuletzt auch Hausindustrielle sich Mitarbeiter halten können. Für die Meldepflicht dieser müßte dann der HausindustrieUe, der sie an seiner Arbeit thcilnehmen läßt, die Meldung besorgen. Weigert will eine vollkommene Meldung aller Versicherungspflichtigen dadurch herbeiführen, daß er als Grundsatz aufstellt, in Hinsicht auf die Krankenversicherung kann eine und dieselbe Person zugleich Arbeitgeber und Arbeitnehmer sein. Die Beitragspflicht würde sich, wenn der wirklich gezahlte Lohn zur Unterlage genommen wird, so ordnen lassen: Hetzer Hausindustrielle führt einen bestimmten Bruchtheil des ver dienten Lohnes als feinen Beitrag zur Krankenversicherung an jedem Lohntage au seinen Arbeitgeber ab. Der Unter nehmer erhält damit von allen Löhnen, die er zahlt, sowohl von denjenigen, die er den unmittelbar von ihm außerhalb seines Betriebes beschäftigten Arbeitern giebt, als auch von denjenigen, die er den Zwischenmeistern aushändigt, einen Bruchtheil. Der Zwischenmeister seinerseits verfährt seinen Arbeitnehmern gegenüber ebenso. Der Unternehmer führt in bestimmten zeitlichen Zwischenräumen die Krankencassen- beiträge an die Casse ab, er Haftel für diese der Casse gegen über, gleichwie für seine Arbeitgeberbeiträge. Reichen die Beiträge für die Bedürfnisse der Casse nicht aus, so ist der Mehrbedarf durch eine Umlage von den Arbeitgebern auf zubringen. „Eine solche Regelung der Krankencassenlast", sagt Weigert, „dürfte allen billigen Ansprüchen gerecht werden, da jeder Arbeitnehmer nach Maßgabe seiner Kräfte, seines Arbeitslohnes und der Zwischenmeister nach Maßgabe der Differenz des empfangenen und von ihm bezahlten Lohnes, also seines Verdienstes, herangezogen wird, und mindestens ein volles Drittel auf die Schultern Desjenigen abgewälzt wird, in dessen Interesse im letzten Ziele die Arbeit verrichtet wird, deS eigentlichen Arbeitgebers. Die Maßnahmen, die zur Durchführung dieser Regelung im Interesse der Krankenkassen zu treffen sind, dürften großen Schwierigkeiten nicht begegnen. Die Kcnntniß der in Be tracht kommenden Arbeitgeber erhält die Casse durch die obligatorischen Meldungen der Arbeitgeber, die einmal ihren Betrieb und ferner die Arbeiter anzumelden haben. Die Eintragung der von den Arbeitern bezogenen Löhne hätte in die Lohnbücher zu erfolgen. Diese Lohnbücher würden nur der Controle dienen, falls unrichtige Angaben vermuthet werden." Für nothwendig erachtet Weigert, daß für die Hausindustriellen eigene Cassen errichtet werden. Zum Schluffe spricht Weigert dafür, daß man besser durch ein RcichSgesetz und auf einmal die Krankenversicherung der Hausindustriellen durchführe, als, wie die Regierungsvorlage will, stückweise und durch BundeSrathSbeschluß. „Jede stück weise Ausdehnung", sagt Weigert, „hat mit dem Widerstande zu rechnen, den die erstbetroffene Industrie erhebt, weil sie sich gegenüber verwandten Industriezweigen beschwert glaubt. Die Last ist um so leichter zu tragen, je gleichzeitiger und einheitlicher sie auferlegt wird. Auch die Reichscommission für Arbeiterstatistik bat in ihren Vorschlägen die directe Ausdehnung der Versicherung für nothwendig gehalten." Deutsches Reich. L2 Berlin, 16. Juni. Von dem am Sonntag in Neu stadt a. d. Hardt abgehaltenen Parteitag der pfäl zischen Nationalliberalen ist vor Allem zu sagen, daß die nach einem Telegramm der „Nationalzeitung" mitgetheilte Erklärung des Vorsitzenden Brünings an die Leiter deS Bun des der Landwirthe die Entgegnung auf ein an Demagogie selbst in unseren Tagen seines Gleichen suchendes Auftreten des berufsmäßigen Agitators Lucke-Patenhausen gewesen ist. Dieser erste Angestellte des Bundes in Südwestdeutschland hatte vorher in einer Versammlung gegen die Städtebewohner und die Beamten in einer Weise gehetzt, durch die der „öffentliche Frieden" viel stärker gefährdet worden war, als es in den Fällen geschehen ist, die der Minister v. d. Recke zur Empfehlung seines Vereinsgesetzes angeführt bat. Nachdem Herr Lucke den Werth der geistigen Bildüng trotz einem Caplan aus dem bayerischen Walde herabgesetzt und den Staatsbeamten Unwissenheit zum Vorwurf gemacht, schritt dieser „VolkS- freund" zu der Behauptung, bisher hätten die Städter „die Peitsche über die Bauern geschwungen". Es folgte die Aufforderung an die Bauern, nunmehr ihrerseits die Peitsche über die Städter zu schwingen. Und das war gesagt worden als Antwort auf die im Februar in einer nationalliberalen Versammlung abgegebene Erklärung, daß die gemäßigt liberalen Elemente der Pfalz auch in Zukunft zusammen- zuwirken versuchen und daß von der nationalliberalen Partei die Wünsche der Landwirthschaf' so weit als möglich der Erfüllung entgegengeführt werden sollten. Den günstigen Eindruck dieser Kundgebung auf die gemäßigt-liberalen Landwirthe zu verwischen, hatte Herr Lucke den Auftrag, und er entledigte sich desselben, wie oben berichtet. Es war in der Tbat, wie der Abz. Brünings sich auSdrückte, eine Kriegs erklärung gegen die nationalliberale Partei. Ob der Bund zu den angekündigten Feindseligkeiten übergehen wird, wurde von dem Neustädler Hauptredner als offene Frage behandelt. Für den Fall, daß es unterbleibt, wurde das Festhalten an der Februar-Erklärung proclamirt. Für den Kriegsfall aber wurde die energischste Abwehr in Aussicht gestellt. Die Entscheidung liegt bei den Mit gliedern des Bundes, nicht bei dessen Haupt- und Provinzial leitung. Daß die Herren v. Ploetz und Lucke als Conservalive die nationalliberale Partei auch rn der Pfalz zu bekämpfen suchen werden, wird nicht bezweifelt. Dagegen dürfte Herrn Brünings' Erwartung gerechtfertigt sein, daß Pfälzer Bauern nicht geneigt sein werden, für die „Edelsten der Nation" Kastanie» aus dem Feuer zu holen. Der weitere Verlauf der Versammlung rechtfertigte diese Annahme. Dertheidiger des Herrn Lucke bestritten dessen Eigenschaft als konservativer Parteigänger, hatten aber damit kein Glück. Ebensowenig mit der Folgerung, Fürst Bismarck müsse, da sein Sohn Graf Herbert für den Antrag Kanitz gestimmt habe, mit diesem Projekte einverstanden sein. Der Altreichskanzler ist bekannt lich, als man ihn einmal zu einer Meinungsäußerung über dieses ostelbische AgitationSmittel provociren wollte, zu einem anderen Gesprächsthema übergegangen. Alles in Allem zeigte die Neustädter Versammlung, daß die Demagogie der Bundesleitung sich in der Pfalz zwar auf ihrem Höhepunkte hält, daß die Wirksamkeit ihres Treibens aber dort bereits den Zenith überschritten hat. Von Interesse ist eS, daß auf das Eintreten des Herrn von Ploetz für das preußische Vereinsgesetz und für Zwangs innungen mit dem gewünschten, dem Geschäftsbetrieb der Berliner Bundesleitung und ihres pfälzischen Agenten — der übrigens, wie mit Genugtbuung hervorgehoben wurde, kein Pfälzer ist — abträglichen Erfolge hiugewiesen werden konnte. * Berlin, 16. Juni. Die „Nat.-Lib. Corr." schreibt: Die Frage „Sport und Schule" oder genauer gesagt, Sport oder Schule drängt sich in diesen Tagen wieder aus. Durch die Blätter ist bereits das Programm für das „Deutsche Centenar-Sportsfest" gegangen. Wir lesen da: „Sonntag der 19. Juni gehört dem Wassersport", und weiter: „Auf dem langen See bei Grünau werden vier Rennen statt finden und zwar 1) ein deutsches Schülerrudern, zu dem zehn Meldungen eingegangen sind." Sv viel wir wissen, hat eine Anfrage bei der Schulbehörde, ob sie damit einverstanden sei, nicht stattgefunden. Das ist der Anfang der Schulsport woche Am Dienstag starten die Berliner Schulruder vereine um den Kaiserpreis; dieser Wettkampf vollzieht sich wenigstens unter Aufsicht der Schulleitung. Am 28. und 29. Juni finden die Wettbarlaufspiele um den „Bismarck schild" statt. Ein unbekannter Freund der Leibesübungen hat ihn dem Centralauöschuß für Volks- und Iugendspiele im Jahre 1895 zur Verfügung gestellt; es ist ein „Wander preis" für ein Wettspiel unter den höheren Lehranstalten Berlins. Von diesem „Geschenk" wurden die Schulbehörden damals überrascht; man fand sich schweigend damit ab. Jetzt hat man ein zweitägiges Wettspiel. Nun haben wir nicht die Absicht, als Störenfried nutzlos zwischen abgeschlossene festliche Vorbereitungen zu fahren. Da die Sacke einmal soweit gediehen ist, wünschen auch wir, daß die Spiele den jungen Theilnebmern das bringen, waö sie erhoffen. Das entbindet aber von der Verpflichtung nicht, wie wir es bereits im Frühjahr gehalten haben, ehe die „Saison" begann, aufs Neue die warnende Stimme zu erheben, Sport und sportmäßige Wettkämpfe auS dem Schulleben zu bannen. — Nichts liegt uns ferner, als den Nutzen, den Schwimmen, Rudern und Radfahren dem jugendlichen Körper bringt, zu verkennen, auch verkennen wir nicht, daß die Be schäftigung gerade hiermit die jugendliche Unbedacht samkeit von Zerstreuungen abhält, die zu bekannt sind, als daß ihre nachtheiligen Folgen hier erörtert zu werden brauchen. Solche gesunde Bestrebungen aber und die Gestalt, die heutzutage unter ungern schweigender Duldung der Schulbehörden der Schulsport gewonnen bar, — weil man sich scheute, den Sympathien, die an höherer Stelle anscheinend für diese Form jugendlicher Leibesübungen bestehen, die schwerwiegenden, tiefgegründeten sachlichen Be denken entgegenzusetzcrr, — diese trennt eine Kluft, die der festen Ueberzcugung weiter Kreise nach nur ausgefüllt werten kann zum Nachtheil ver Schule. Wir sehen ganz davon ab, daß der Schülersport die Lust am Turnen verdirbt, das systematisch auf eine Heranbildung des ganzen Körpers sich richtet, daß die seit der Schulreform so außerordentlich verminderten Ansprüche der Schule unter der Con- currenz der Sportübungen leiten und die Bemühungen einsichtiger Lehrer, den Lerntrieb zu fördern und die Arbeitsfähigkeit heran zubilden, auf das Schwerste benachtheiligt werden. Mindestens ebenso sehr kommt in Betracht, daß der Schulsport ver frühte Bedürfnisse groß zieht, daß er vor allen Dingen in der Schnle, innerhalb der einzelnen Classen Unterschiede FeniHetsn. Das Diamant-Jubiläum. Skizze von Francis Broemel. Nachdruck verboten. London, Mitte Juni. „Sechzig Jahre hindurch habe ich mich vor meinem Volke verbeugt, also kann ich daS gewiß auch an dem einen Tage vollziehen!" Dies die heiteren Sinnes gegebene sinn volle Antwort der Königin Victoria gegenüber der aus gesprochenen Besorgniß, daß die zahllosen Dankes-Ver- beugungen, die sie während der Procession am Tage ihres „Diamant-IubiläumS" zu leisten hätte, ihr große Erschöpfung verursachen dürften. Ihre Fahrt wird sich dabei auf eine Länge von 7 englischen Meilen durch Londons Straßen erstrecken und mehr als drei Stunden in Anspruch nehmen, inmitten vollgedrängter Menschenwelt. Londons Bevölkerung von schon mehr als fünf Millionen wird, bescheidenster Berechnung nach zu jener Festzeit um zwei volle Millionen mehr angeschwollen sein! Weder Feder noch Pinsel könnte dem Gesammtbilde gerecht werden. Der „weinende Philosopb", wie er im alten Hellas erstand, wird sich um jene Zeit hier nicht blicken lassen dürfen. Dem „Heiteren" gehört die Stunde. Ein „echter Dritte" geht so weit, in der Presse zu verlangen, daß, dem Jubiläum zu Ehren, der englische Kalender um einen dreizehnten Monat verbessert werden könnte, dem der Name „Victoria" zu geben. Nichts einfacher! Man braucht nur jeden bestehenden Monat auf 28 Tage zu verkleinern und die Schöpfung deS neuen sei dann fix und fertig! Das „BiSchen übrige Welt" werde am Ende aller Enden solche Reform auch sich gefallen lassen. Eine heitere Philosophin schlägt vor, das Jubiläum damit unvergeßlich zu machen, daß jeder Jungfrau, welche daS 40. Lebensjahr überschritten, eine StaaiSpension von 10 Schilling pro Woche nebst zwei sauberen Stübchen zur Verfügung stehen solle. Die Fonds dazu müßten durch Besteuerung wohlhabender ver- heiratbeter Frauen geliefert werden, unter Bürgschaft ihrer „Benedicte", wie hier zu Lande der Scherzname für „gehor same Ehegatten" lautet. — Auch der Thierwelt will ein „Thierfreund" etwa- Gutes vom Jubiläum zu Gute kommen lassen, nämlich die gänzliche Abschaffung ihrer „Secirung bei lebendigem Leibe" für „grausame Zwecke" der Wissenschaft. Die» eine kleine Probe auS den Unsummen von Fest- Ideen und sonstigen Vorschlägen zur Güte, in Eingesandtes an die Presse täglich geliefert! Mehr al« «in „Thurm von Babel" ist für da« Jubiläum in Füllung begriffen. Eine große Caserne ist schon mit Colonial-Contingenten reichlich versehen, von verschiedenster Sprache und Farbe, darunter schwarze Haussas aus dem britischen Ost-Afrika, gelbe Soldaten aus Nord-Borneo, bronzefarbene Zulus aus Süd-Afrika, ein Paar Rothhäute aus Canada, sonnverbrannte türkische Polizeimänner sogar! — wer hätte das gedacht, „als Vertreter des Volkes" der Insel Cypern, welche zwar gleich Egypten noch zu des Sultans Reiche zählt, aber von John Bull ebenso fest anS Herz gedrückt wird wie daS alte Heim der Pharaonen! Alle die oben erwähnten Farbigen „fühlen sich wie zu Hause" jetzt in jener Londoner Caserne, heißt es in einem Bericht, und sollen in der Festprocession am Diamant- Tage, den 22. Juni, ebenfalls aufmarschiren neben den Contiugenten von 50 englischen Regimentern. Als „Thürme von Babel" gelten auch mehrere große Hotels, deren Logis schon telegraphisch für Festbesucher aus zwanzig verschiedenen Ländern engagirt sind. Manche kommen Tausende von Meilen weit über See und Land. Politische Gegner be graben sogar ihre Streitaxt dem Jubiläum zu Ehren. So z. B. in Australien! Ehe die Premiers der verschiedenen Staaten an Bord gingen, um hierher verschifft zu werden, erhielten sie von der „Opposition" ihrer verschiedenen Parla mente das heilige Versprechen, daß während ihrer Abwesen heit kein Krakehl angestellt werden würde, der einen CabinetS- Sturz zur Folge haben könnte! WaS will man mehr? — Um den Fremdlingen verschiedenster Sprache jedes WelttheilS den Besuch Londons gemüthlich zu machen, sorgen die großen Restaurants für Kellner aus allen Himmelestrichen. Ein solcher Restaurateur, der mehrere Locale besitzt, bat schon 700 Kellner angesammelt, die sich in zwanzig Sprachen theilen! Journalisten huschen hin und her zur Ausforschung all' solcher Rüstungen für den donnernd großen Tag! Das landesübliche Sprichwort: „Der kürzeste Weg zu einem englischen Herzen führt durch den Magen", wird, wie ein derber VolkSauödruck lautet, „klumpenhaft" zur Wahr heit werden. Das früheste Mahl wirb am Morgen jenes Tages einer Armee von 22 000 Soldaten unter freiem Himmel im großen Hyde-Park deS vornehmen Westends zum Genuß geschaffen werden, ehe sie abziehen, um die Straßen wahrend der Procession zu flankiren. Auf Vor schlag der Prinzessin von Wales wird in den verschiedenen Stadt-Districten ein gutes Fest-Diner für nicht weniger als 200 000 Bedürftige zumeist auch im Freien auf großen Plätzen geliefert. Die Gemeinde-Vorstände haben die Leitung übernommen und das Publicum hat reichlich für die Unkosten gesorgt, auch massenhaft Geschenke in Kleidungsstücken an die armseligen „Gäste" geliefert. Armselig! Nicht für so genannte „verdienstliche Arme" nur, wie man hier sagt — nein! Unter „Vergeben und Vergessen!" gleichsam werden auch Landstreicher sich laben können; die „Glücklosen" sogar, wie man hier weibliche Verlorene schonend benennt, Obdachlose oder arbeitsscheue Leute, Manche, die sich der Bettelei befleißigen. An jenem Tage heißt es gleichsam: „Kommt und habt Alle einen guten Tag ohne Fragen und Forschen!" Viel ehrlichste Dulder werden unter jenen Tisch genossen sein, solche auch in ansehnlicher Zahl, die einst bessere Tage gesehen. Wenn auch Bulwer-Lytton's düstere Worte: „Armuth gilt in England als ein Verbrechen", seitdem in hellerer und gerechterer Schätzung der Dinge etwas an Begründung verloren haben, trifft doch im täglichen Ringen und Kämpfen um Geld und Gut die wehmüthige Zeile oft genug zu: „Wer einmal fällt, stebt nicht wieder auf!" Dem Zimmermann gehört jetzt der Tag auf der ganzen Straßen-Strecke zu beiden Seiten der Themse in feinen und dürftigen Quartieren, welche die ein Weltreich in allen Farben darstellende große Inbel-Procession zu durchmessen haben wird. Sitz-Terrassen werden errichtet, wo immer nur Raum sich bietet, manche bis zur Höhe von vier Stockwerken hinauf. „Mammon schnauft vor Vergnügen!" heißt eS in einer Schilderung dieser riesigen Verunstaltungen, denn bis 25 Pfund Sterling wird für einen einzigen Sitz gefordert. Allwöchentlich erfolgen Versteigerungen von Fenstern und Tbüren zur Ausschau auf das Fest — auch ganze Häuser werden für den Tag versteigert. „Koiug! „Joing! 6oiug!" ruft der Auctionator — soviel als „Weiter! Mehr! Mehr! bis der Hammer fällt! Sckon seit Wochen wechseln Hausse und Baisse wie an der Börse auch in diesen Specula- tionen, wobei der Berechnung nach nahezu 30 Millionen Pfund Sterling die Taschen wechseln werden. ES kommen aber auS dem Lande des „allmächtigen Dollar" nicht weniger als 80 000 Amerikaner herüber, darunter die sogenannten „oberen Vierhundert", wie „mehrfache Millionaire" dort getauft werden. Ein „einfacher Millionair" in Dollars ist ia nur einen Fuß hoch im Vergleich mit einem Millionair in goldenen Pfunden Sterling und ein Millionair in Francs würde als ein Knirps angeschaut, dem nur ein Lutschbeutel beschicken! Ein amerikanischer Millionair bestellte zwei Fenster telegraphisch und bot 1800 Pfund dafür, damit er auf zehn Minuten dem kurzen Gottesdienst im Freien an den Stufen der St. PanlSkircke zuschauen kann, wo der Königin Heil und Segen gesprochen werden wird. Für viele Fenster zahlen Syndikate, die sich für daS Geschäft dutzendweise ge bildet, 30 bi« 50 Pfund per Stück, aber stellen hinter jedem 20 Sessel auf zu je einem Siypreise von 20 Pfund! Eine HauSfront in Westend, nur 12 Fenster bietend, ist für die Ausschau um 500 Pfund vermiethet. Ein Hausherr läßt sein HauS sogar bis ^um Parterre niederreißen und baut Sitz-Terrassen für 2000 Fest-Zuschauer dahinter, um bescheidenen Taschen die Freude für nur 5 Pfund per Sitz möglich zu machen. Ein anderer Hauseiguer er klärte aus einer Auktion mit Wehmuth, daß er vor vierzehn Tagen für die Hingabe seines Hauses auf die Feststunden ein Angebot von 10 000 Pfund Sterling, „aus Besseres hoffend" abgelehnt und jetzt, in Folge „schnöder Baisse" mit einem Auctions - Erfolg von „nur" 4000 solcher Gold stücke zufrieden sein müsse! Der Aermste! — Auch Dächer werden abgedeckt und Sitze auf den Ziegelbalken ü 5 Pfund Sterling verkauft — mit Ausschluß allzu schwerer Falstaff s jedoch, um „Krack" zu verhüten! Das Volk wird auf der Gasse nur wenig Platz finden, denn London bar wenige breite Straßen und in der allen City sind dieselben noch so eng, wie zur Zeit der alten Römer, als jene Localität, die heute daS Centrum eines Weltbandels geworden, sich mit Festungswällen gegen Barbaren zu schützen hatte, die es mit dem Wappcnspruche eines nordenglischen Raub ritters hielten: „WaS mein ist mein und was Drin ist mein eigen!" Dagegen wird die Nacht wandern den Hunderttausenden eine grandiose Illumination Londons bieten. In jener Nacht werden im klebrigen England viel: Tausend große Frendenfeuer auf Berg und Hügel und Klippen und Thürmen aufslammen, und Gleiches erfolgt an den Ab hängen deS Himalayas in Indien, in den Prairien Siir Afrikas und an den großen Seen von Canada. In den HoSpitälern werden auch Vorbereitungen getroffen. Am „goldenen Jubiläum" vor zehn Jahren sanken im Ge dränge 3000 Personen in Ohnmacht und etliche hundert Menschenleben erlitten Arm- und Beinbrüche! DaS kann sich diesmal verzehnfachen! Tie ehemalige Straßenseier »ul der bevorstehenden verglichen, bedeutete nur eine Landsee, verglichen mit dem Atlantischen Ocean! Nicht weniger als 60 Fürsten und Fürstinnen, Prinzen nnd Prinzessinnen kommen als Gäste der königlichen Iubi- lantin herüber und, weil im Buckingham-Palaste nicht Raum genug, sind mehrere Hotels zeitweilig zu „Palais" erhoben und während jener Besuche werden ihre Portale mit mili- tairischer Ehrengarde versehen. Noch viel mehr ließe sich schildern und würde ein ganzes Lexikon füllen! Um Eine« fleht jede» Gemütb, nämlick darum, daß der sogenannte „Wetter-Beamte" in Len Wolken sich gnädig beweise und wie immer zuvor ein gepriesenes „Wetter der Königin" bescheere! Er Hat dies bisher gethan, so bald die hohe Frau sich an einer öffentlichen Festlichkeit gezeigt. Spaniens Hauptstadt, Madrid, zählt 66 Tage roll Sonnenschein in jedem Hundert, London muß sich mit 23 begnügen! Millionen Flaggen und Festfahnen warten aus sonnigen Zephyr!
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