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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.02.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-02-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960211020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896021102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896021102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-02
- Tag1896-02-11
- Monat1896-02
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Der Versuch, die anderen Commissionen zu veranlassen, ihre Sitzungen fortan Abends abzuhalten, damit die Gesetzbuchscommission ungestört deS Bor mittags arbeiten kann, ist gescheitert und daher jetzt be reits der Vorschlag laut geworden, die Gesetzbuchscommission zu beauftragen, nach Schluß der Tagung des Reichstags ihre Arbeiten fortzusetzen und ihren Bericht erst dem Reichstag in seiner nächsten Session zu erstatten." Wenn wirklich die übrigen Commissionen sich geweigert haben, der Com mission für das Bürgerliche Gesetzbuch den Vorrang zu lassen, so wird man allerdings die Hoffnung aus Durch- beratbung des Entwurfes noch im Laufe dieser Session be graben müssen. In diesem beklagenswertben Falle aber wird man zu untersuchen haben, wem diese Verschleppung zu „danken" ist. In allen Commissionen hat das Centrum einen überwiegenden Einfluß; eS liegt also die Vermuthung nahe, daß auf diesen Einfluß auch die Verschleppungstaktik zurück zuführen ist. Diese Vermuthung wird bestärkt durch die Be flissenheit, mit der das Centrnm der Leitung der Gesetzbuchs- Commission sich bemächtigt hat. Sofort, nachdem dieser Machtstreich bekannt geworden war, schrieb der „Schwab. Merk": „Der vornehmste Grund des Mißtrauens (gegen den redlichen Willen, das große Werk möglichst rasch zu Stande zu bringen) liegt in der Thatsache, daß cs das Centrum ist, welches das Schicksal des Gesetzes in der Hand hält, oder wenigstens in die Hand zu bekommen Alles ausbietet. Sehr bezeichnend dafür ist schon die Einrichtung der Commission. Zwischen den Fraktionen deS Reichstags besteht von langer Zeit her das Abkommen, daß sie den Vorsitz in den Commissionen der Reihe nach besetzen. Jetzt soll, wie man sagt, die Reihe an den Nationalliberalen gewesen sein; Andere behaupten, an den Conservativcn; jedenfalls aber steht fest, daß das Centrum gar keinen Anspruch er« heben konnte. Das Centrum jedoch erklärte, bei so außer- ordentlichen Gelegenheiten könne das Herkommen nicht ze uch tet werden, und verlangte den Vorsitz für sich als die stärkste Partei deS Hauses; eine pewaltthätige Ueberhebung, welcher sich aber nicht allein sämmtliche Gegner des Gesetzbuchs, sondern auch noch andere Leute ohne Weiteres fügten. So hat nun das Centrum einen geradezu maßgebenden Einfluß auf den weiteren Gang der Verhandlungen. Der Vorsitzende einer Commission ist, wenn er sich auf eine sichere Mehrheit stützen kann, sehr wohl in der Lage, die Arbeiten zu beschleunigen, er hat aber unter allen Umständen die Möglichkeit, sie zu ver zögern. Was wird Herr Spahn thun? Er gilt als ein ent- schiedener Freund des Gesetzbuches, an dessen Ausarbeitung er ja betheiligt gewesen ist; aber er ist selbstverständlich abhängig von seiner Partei, und diese wird um des nationalen Zwecks willen nicht von ihrer altgewohnten Praxis lassen, bei jeder Gelegenheit ihre ganz besonderen Interessen zur Geltung zu bringen. Den Versuch, dem Bürgerlichen Gesetzbuch einen aus gesprochen klerikalen Stempel aufzudrücken, wie es im vorigen Jahre bei der Umsturzvorlage geschah, wird man freilich im Ernst kaum machen; daß etwa die Civilehe auf diesem Wege sich beseitigen lasse, glaubt in Wirklichkeit selbst im Centrum kein Mensch. Aber man wird das große Werk, an dessen endlichem Zustandekommen den verbündeten Regierungen selbstverständlich sehr viel gelegen sein muß, benutzen, um Gegenleistungen herauSzuschlagen, und je nach dem Erfolge dieser Taktik wird man die Arbeit schnell oder langsam fortschreiten lassen." Stellt sich nun heraus, daß die Weigerung der übrigen Commissionen, der Gesetzbuchs-Commission den Vorrang zu lassen, wirklich auf denselben Einfluß zurückzusühren ist, der in der letzteren Commission zum herrschenden sich gemacht hat, so unterliegt es auch keinem Zweifel, daß das Centrum sich Zeit zur Aufstellung und Geltmachungen von Gegen forderungen verschaffen will. Diese Tactik ist so alt wie das Centruin selbst und wird daher keinen Menschen überraschen. Sie zu durchkreuzen, ist lediglich die preußische Regierung im Stande, die ja in einer ganzen Reihe von Fällen durch Concessionen auf dem Gebiete der Kirchen- und Schulpolitik die ultramontane Mitwirkung des Centrums an Aufgaben deS Reiches baar und prompt bezahlt und dadurch die Hoffnung de« Ultra- montanismus auf weitere Handelsgeschäfte solcher Art ge nährt hat. Je früher und je entschiedener sie das Centrum jetzt überzeugt, daß es diesmal die Rechnung ohne den Wirth macht, um so eher dürfte das Centrum sich ent schließen, seine Verschleppungstaktik aufzugeben. Das im heutigen Morgenblatte mitgetheilte Rund schreiben des Directors deS Buudc» der Landwirthe, das die Bundesmitglieder aufsordert, die Generalversamm lung am 18. Februar im Circus Busch zu Berlin zu einer imposanten Kundgebung zu gestalten, beweist, daß die Bundesleitung schon besondere Anstrengungen für nötbig hält, um den CircuS Busch in Berlin voll zu bekommen, und daß eS um die Siegeszuversicht der Anhänger des Antrags Kanitz sehr viel übler bestellt ist, als sie merken lasten mögen. Bisher hat die Bundesleitung ohne Mühe die alljährliche Versammlung zusammengebracht, ohne daß freilich deren Kund gebungen „imposant" gewesen wären. Es ist auch nichts leichter, als in Berlin einige Tausend Landwirthe aus der näheren und weiteren Umgebung zu vereinigen. Eine allgemeine deutsche Versammlung ist die Generalversammlung des Bundes auch bisher nicht gewesen, und unter den Erschienenen auS Branden burg und den benachbarten preußischen Provinzen war der „deutsche Bauer" ganz unverhältnißmäßig schwach vertreten. Die Bundesleitung hat auch niemals gewagt, das Beispiel anderer großer Vereinigungen zu befolgen und ihre Versamm lung in dem für die Bewohner der Gebiete mit über wiegendem bäuerlichen Besitz leichter zugänglichen Mittel- Deutschland abzuhalten. Und doch wäre daS — notabene im Falle des Gelingens! — die beste Widerlegung der den Leitern so unbequemen Behauptung gewesen, der Bund sei von dem Osten für den Osten gegründet. Die Kosten einer Reise nach Berlin sind unter den gegenwärtigen Verhältnissen der Landwirthschaft für den Bauer im größten Theile Deutschlands unerschwinglich und die Mit glieder der Versammlung vom 18. Februar, insoweit sie nicht auS der nächsten Nachbarschaft Berlins sind, werden gerade durch ihre Anwesenheit unwillkürlich kundgeben, daß sie nicht die Repräsentanten des wirklich nothleidenden TheileS der Landwirthschaft sind. Was sie willkürlich kundgeben, wird nach diesem Umstande zu bewertben sein. Nach dem „Malin", einem ernsthaften Blatte, ist die Abberufung des französischen Marine-Attaches in Berlin, de Mandat-Grancey, erfolgt, weil er ein Marine- geheimniß verrathen hat und zwar an keinen Geringeren als an den — deutschen Kaiser. Und eS ist der französische Bot schafter Herbette selbst, der daS in einem Bericht an Herrn Nisard, den Director der politischen Abtheilung am Llluay d'Orsay, seiner Regierung mitgetheilt bat. Freilich, besieht man das Geheimniß bei Lichte, so löst es sich auf in ein mit dem bekannten französischen Schiffsanstrich, „tvile womllo", überzogenes Holzstück, das der Attache dem Kaiser verschafft bade; nach den angestellten Proben soll dieser Anstrich am besten die Gegenwart von Schiffen am Horizont verdecken. Es scheint — so fügt der „Matin" hinzu —, daß der Kaiser den Anstrich so erfolgreich untersuchen ließ, daß die deutsche Admiralität jetzt über seine Zusammensetzung vollkommen unterrichtet ist. Uebrigens bildet dieser Berratb nur den zweiten Beschwerdcpunct Herhette'S. In dem ersten Puncte wirft er dem Attache eine außerordentliche und absichtliche Unbotmäßigleit vor, die der guten Ausübung des Dienstes schade und alle Beziehungen zwischen Botschafter und Attache unmöglich mache. Ter zweite Punct erst betont seine allzu große Willfährigkeit gegenüber den deutschen Behörden, er härtet durch obige Ueberlasiung des überstrichenen Holzstücks. Es sei gleich hinzugesügt, daß der „Matin" selbst über diesen Verrath verächtlich die Achseln zuckt, da daS Schicksal Frank reichs durch die angebliche Entdeckung der Wesenheit deS An strichs unmöglich gefährdet werden könne. Tas Blatt sucht viel mehr den Grund der Abberufung in dem persönlichen Gegen satz zwischen Botschafter und Attache oder, wie der „Rappel", ein dem Marineminister Lockroy nahestehendes Blatt, be hauptet, in der verletzten Eigenliebe Herbette's. Würden die Ansichten Herbette's über den Austausch militairischer „Ge heimnisse" auch von der französischen Regierung getheilt, so wäre in Zukunft die Tbätigkeit jedes Militair- und Marine- Attaches labmgelegt. Zu den Hauptempfehlungen jedes der artigen Sachverständigen gehört, wie die „K. Ztg." richtig hervorhebl, die Fähigkeit, sich persönlich angenehm zu machen und vertraute Beziehungen in dem Lande, wo er seine Regierung vertritt, zu schaffen, und zweitens nach dem Grundsätze „ckv ut äes" durch gegenseitigen Austausch sich Kenntnisse von technischen Einrichtungen zu erwerben. Wer nichts anbieten kann, darf auch nichts erwarten. Wenn also — waS aber noch lange nicht feststebt — de Mandat-Grancey dem Kaiser das überstricbene Holzstück überließ, so konnte er deutscherseits auf eine Zuvorkommenheit rechnen, die wohl die Bedeutung des Anstrichs auswva. Freilich liegt die Sacke der Abberufung anders, wenn de Mandat-Grancey sich wirklich einen groben Bruch der amtlichen Botmäßigkeit zu schulden kommen ließ. Immerhin ist nicht zu verkennen, daß durch diesen Zwischen fall die vielen Gerüchte über Herbette'S baldigen Abgang von Berlin neue Nahrung erhalten. In der Transvaalsrage hat England jetzt den diplo matischen Feldzug eröffnet, nachdem der kriegerische des wiles gwrivsus Jameson kläglich gescheitert ist. Eröffnet hat ihn die Depesche Chamberlain s an Sir Hercules Robinson. England Hal zwar das Vorgehen Jameson's nach dessen Niederlage in aller Form desavouirt, denkt aber nicht entfernt an einen Verzicht auf seine mit der Selbst ständigkeit der Boerenfreistaaten schlechthin unvereinbaren Expansionsbestrebungen in Südafrika. Der in Pretoria und auf dem europäischen Continente, insonderheit auch in Berlin geltend gemachten Anschauung, daß die Südafrikanische Republik in dem Vertrage von 1884 that- säcklich ihre volle internationale Unabhängigkeit zurück erlangt habe, tritt der englische Colonialminister mit aller Bestimmtheit entgegen. Er beansprucht für Groß britannien nach wie vor die volle Souzerainetät über Transvaal, erklärt die auswärtigen Beziehungen der Süd afrikanischen Republik als der britischen Controle unter worfen, nimmt für England ferner das Recht in Anspruch, in den inneren Angelegenheiten der Republik „freundschaftliche Rathschläge" zu ertheilen und macht von diesem Recht alsbald in der ausgiebigsten Weise Gebrauch, indem er eine Anzahl von Forderungen aus stellt, die, wenn Präsident Krüger darauf «inginge, aus den UitlanderS einen Staat im Staate machen würden, neben welchem das Borrenthum zu einer bloßen staat lichen Schattenexistenz berabsinken müßte. E» ist deshalb auch kaum anzunebmeu, daß Chamberlain'- Depesche zu eiu«r Vereinfachung der Lage in Südafrika beitragen wird, im Gegrntbeil wird es des ganzen staatsmännischen TacteS und der moralischen Selbstbeherrschung des Präsidenten Krüger bedürfen, um zu verhindern, daß im Gefolge dieser amtlichen Londoner Kundgebung eine weiter« Verschärfung der Beziehungen zwischen Boeren und Engländern sich kin- stelle und eS ist vielleicht nur gut, daß der Präsident, worüber übrigens noch keine amtliche Bestätigung vorliegt, persönlich nach London kommt, nicht um sich breitschlagen zu lassen, wie man dort erwartet, sondern um mit festem Programm in der Hand, sich mit dem mächtigen und gefährlichen Nachbar auseinanderzusetzen, ohne der Selbstständigkeit der Republik etwas zu vergeben. Transvaal muß sick mit England stellen, dem gegenüber es in dauernder Feindschaft doch den Kürzern ziehen würde. Daß Präsident Krüger sich dabei überS Ohr haueu lassen sollte, glaubt wohl Niemand, dazu kennt man ihn als eben so gerieben wie bieder. Auch vom deutschen Jnteressenstandpuncte wird man die diplomatische Evolution deS englischen Colonialministers a>S eine besonders glückliche Ein gebung kaum bezeichnen können, da dieselbe sich auf Voraus- jetzungen aufbaul, die, wenn sie unwidersprochen blieben, zu für Deutschland schwer annehmbaren Consequenzen betreffs der ferneren Ausgestaltung der südafrikanischen Dinge führen müßten. In den Beziehungen zwischen Rußland und Bulgarien ist ein völliger Umschwung eingetreten, wenigsten- ist der erste Anfang damit gemacht, die einleitenden Schritte sind gethan, und eS werden ihnen sicher noch weitere folgen. Mau sagt, der nächste, nach der Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen, könne nur die Anerkennung des Fürsten sein. Das ist ricktig, und sie wird auch vom Prinzen Ferdinand und Stoilow in Konstantinopel mit Hochdruck betrieben. Der Sultan als Suzerän des FürstenthumS müßt« natürlich die erste Anregung geben und Alles käme dann auf Ruß lands Zustimmung an. Diese wird sicher nicht versagt bleiben, wenn Prinz Ferdinand sich den Bedingungen der russischen Diplomatie fügt. Welcher Art sind diese? Daß dem Zaren der Uebertritt deS Prinzen Boris zur orthodoxen Kirche genügt, ist nicht anzunehmen, die russische Politik müßte denn sehr bescheiden und in ihren Wünschen sehr platonisch geworden sein. Nach der bisherigen Auffassung der russischen Regierung war die Sobrauje. welche den Prinzen Ferdinand von Coburg zum Fürsten von Bulgarien proclamirte, gar nicht rechtmäßig gewählt, schon deswegen nicht, weil die Abgeordneten von Ostrumelien an dem Acte theilnahmen; denn in Petersburg hat man bekanntlich die durch die Philippvpeler Revolution vom 18. September 1885 herbeigesührteVereinigung von Ostrumelien mit Bulgarien niemals anerkannt. So schreibt denn auch Fürst UchlomSki in seiner dem Hofe sehr nahestehenden „PelerSb. Wjedomosti" in außerordentlich feindlichem Tone gegen den Prinzen Ferdinand: „Braucht Bulgarien einen auswärtigen Fürsten, so kann nur Rußland ihm einen solchen empfehlen und geben. Will Ferdinand in Sofia herrschen, so muß er vor Allem sich entfernen, damit wir ihn daun unter gewissenBevingungen anerkennen." Wenn demFürsten Uchtomski schon das Telegramm de» Zaren an den Fürsten Ferdinand und die Kundgebung im „Regierungsboten" bekannt gewesen wäre, hätte er sich jedenfalls diplomatischer ausgedrückk, y verlassen und verkannt. Erzählung von Wladimir Koroleuko. Urbers. v. Ad. Garbell. Nachdruck »erbaten. D. S. S. Vor ihm erhob sich ein ungeheurer Käsig auS feinem Draht, der wie eine Kuppel den Baum bedeckte. Auf den Zweigen des Baumes saßen und schlummerten Vögel, die wie graue Klumpen erschienen. Als Matwei näher herantrat, erhob sich «in großer Geier, sah ihn mit funkelnden Augen an und breitete allmählich seine Flügel auS. Dann aber setzte er sich wieder aus einen Ast und steckte den Kopf unter die Flügel. Matwei ging zurück, da er fürchtete, die Vögel könnten Lärm verursachen. Zurücktretend, sah er sich nach einem Obdach um. Bald auch bemerkte er ein längliches, weiße» Gebäude vor sich, dessen eine Hälfte dunkel war und Matwei wie eine Scheune erschien. Er wollte hineingehen, um bi» zum Morgen dort zu schlafen. Als er aber näher kam, bemerkte er wieder ein eiserne» Gitter, von dem er entsetzt zurücksprang. Hinter demselben blitzten ihm zwei feurige Augen ent- geaen. Ein großer, grauer Wolf stand über einer schlafenden Wölfin und verfolgte aufmerksam den Mann im weißen Kittel, der de» Nacht» bei der Wohnung der Thiere umher streifte. Um dieselbe Zeit ertönte au« irgend einer Richtung eine menschliche Stimme, die schrill und böse klang. Matwei erschreckte dieser Laut noch mehr al« daS Knurren de» Waldungeheuer». Er erbebte und trat leise auS dem Gebüsch zurück. Dort blieb er stehen und drohte mit der Faust. Wem? DaS wußte er selbst nicht. Aber der ohnmächtige Losischzaner fühlte, daß in ihm etwa» Wilde», Thierische« erwache. XXI. Da- leise Murmeln eine« Wasser« lockt« ihn weiter. Es rührte von einer schlecht geschloffenen Fontaine der. Da« Wasser stieg nach oben, als ob es schläfrig wäre, und plätscherte bald steigend, bald fallend. Matwei beugte sich über den Wasserbehälter und begann gierig zu trinken. Dann nahm er seine Mütze ab, bekreuzte sich und beschloß, sich im Gebüsch niederzulegen. AuS der Ferne drangen Laute einer Pfeife durch die stille Nacht zu ihm. Vielleicht war eS wieder rin Dampfschiff auS dem alten Europa, Leute bringend, die ihr Glück in diesem Amerika suchen wollen und die jetzt auf die ungeheure Statue, in deren erhobener Hand die Fackel leuchtet, blicken . . . Ihm aber schien es, als ob diese Fackel nur den Eingang zu einem Ungeheuern Grabe bezeichne. Noch einmal nahm er zerknirscht seine Mütze vom Kopfe und, nach dem gestirnten Firmament blickend, bekreuzte er sich wieder. Dann zog er ein Stück Brod, ohne welches er nie aus ging, auS der Tasche und legte sich ins Gebüsch. Alles war still und erloschen auf dem Platze neben dem Thiergarten und im Park. Nur die Wasserstrahlen spielten, und hier und da kreischte ein Nachtvogel in einem Käfig auf, und in den Büschen regte sich bisweilen etwas Weiße« und der Mann sprach traurig und wild zugleich im Schlafe. Vielleicht waren es Gebete, vielleicht aber auch Klagen und Flüche. Die Nacht setzte ihren leisen Lausum die Erde fort. Am hohen Himmel zogen Weiße Wolken, der Mond trat auS den Bäumen und strahlte nun Heller und silberner . . . Von der Erde stiegen feuchte Dünste auf. XXII. Schritte ertönten, daS Gebüsch theilte sich und Matwei'S Weiße« Gewand kam zum Vorschein. Der Losischzaner erhob den Kopf und seine Blicke be gegneten den schwarzen Augen eines Menschen. ES war ein Mann, dem e« wahrscheinlich seit einigen Tagen an Arbeit fehlte, so daß es ihm an den wenigen Cent«, «in Nachtlager aufzusuchen, mangelte. Vielleicht war e« auch Einer, der sich nicht verständigen konnte und dem die Füße ebenfalls den Dienst versagten, vielleicht fühlte auch er Sehnsucht nach der Heimath, dem Vaterlande, vielleicht quält« ihn der Hunger und vielleicht hätte ihn da» Stückchen Brod, da» LoflnSki wahrscheinlich mit ihm getheilt Haven würde, erquickt. Vielleicht hätte er Losinski gar einen Ausweg gezeigt . . . Vielleicht . . . Vielleicht kann Alles sein, Vielleicht ist ohne Grenze. Vielleicht wären sie sogar Freunde geworden bis ans Lebensende, wenn sie sich in dieser warmen dunklen Nacht hätten verständigen können. Aber der riesenhafte, ohnmächtige Mann geberdete sich jetzt so, wie sich der Wolf bei seinem Anblick geberdet hatte. Er dachte, daß eS jener Mann sei, dessen Stimme ihm unlängst so feindlich an die Ohren ge klungen. Und wenn nicht, so war es einer der anderen Amerikaner, die gottvergessen in den Kirchen lachen und keine Ruhe halten, wie Paddy, die babylonische Thürme bauen und bereit sind, einander die Gurgel durchzuschneiden, wa« sie Freiheit nennen, und womit sie die einfältigsten Menschen in ihr Land locken. Matwei erhob seinen Kopf voll feindlichen Sinne», und vier menschliche Augen begegneten sich mit dem Ausdruck deS Mißtrauen« und Entsetzen». „Bist Du rin Deutscher oder Italiener?" frug der Fremde mit deutlicher Stimme aus englisch. ,,Wa« willst Du", erwiderte Matwei wütbend, „wirst Du einem Menschen wirklich selbst hier keinen Augenblick Ruhe geben?" . . . Der Unbekannte ließ die Zweige los, daS Gebüsch schlug wieder zusammen, und der fremde Mann war verschwunden. Seine Schritte verhallten und Matwei erhob sich schnell, auf seine Ellbogen gestützt ... Er wollte den Mann zurück bringen. Doch überlegte er sich schnell, daß das nutzlos wäre, da sie sich doch nicht verstehen konnten. Die Bäume flüsterten in der dunklen Nacht . . . Vom Meere zog eine schwarze Wolke herauf, und ein warmer, sanfter Regen fiel hernieder und erfrischte die ver trocknete Erde. Anfangs wurde dieses Geräusch von zwei Menschen im Erntralpark vernommen, dann aber nur noch von einem. Di« frühe Morgenröthe fand den Einen hängend an einem Baum« mit verzerrtem, blau gewordenem Gesicht und verglasten WWÜI» Da« war der, welcher sich dem Losischzaner in der Nacht genähert hatte. Matwei erblickte ihn auch sofort, als er sich dom Boden erhob. Die Kälte, die Feuchtigkeit uud da« inner« Weh ließen ihn nicht länger ruhen. Er blieb wie angewurzelt stehen, vtkrruzte sich, und eilt« mit bleichem Gesicht und ent setztem, wirrem Blick von d«r Unglück«stelle . . . Vielleicht that es ihm jetzt leid oder er fürchtete, in die Sache verwickelt zu werden, und was sollte er denn, eia Mann ohne Paß und «Pracht, sagen? Gleichzeitig erblickte ihn auch der Wächter, der sich unter seinem Schutzdache dehnte und streckte. Er betrachtete ganz verwundert die sonderbar« Kleidung diese» Menschen und er innerte sich, ihn Nachts in der Nähe des Wolfskäfigs gesehen zu haben und blickte staunend auf die ungeheuren Spuren, die der Losischzaner in dem feuchten Sande zurückließ. XXIII. An diesem Morgen hatten die Arbeitslosen von N«w-L-ork «in Meeting im Centralpark anberaumt. Matwei sah, daß sich immer mehr und mehr Menschen ver sammelten und zwar in der Näh« de» Baum«», an dem der Mann hing. Bald «rsckirnen auch Polizisten, di« mit feind seligen Bemerkungen überschüttet wurden. Immer n«ue An kömmling« erschienen, von denen ein Trupp «ine Fahn«, die auf rin«r hohen Rednertribüne befestigt war, mit sich führte. E« entstand ein furchtbarer Lärm, bi» Einer di« Tribüne betrat, dann wurde «» still. Derselbe war von mittlerem Wuchs, untersetzt, mit einem ausdrucksvollen Gesicht und den schwarzen Augen eine- Südländers. Er besaß «ine mächtige Stimme, die weithin über die Menge, die ihm lautlos zu hörte, schallte. DaS Schweigen wurde noch tiefer, al- der Redner nack dem Baume, an dein unlängst noch der Leichnam deS Selbstmörder» gehangen, wies. In Matwei'S Brust erbebte etwa». Dieser Mann also sprach von Jenem, der in der Nacht so unalucklich und ob dachlos, wie «r, berumgewandert. Zum ersten Malstand rr auf amerikanisch«»! Boden unter einer Menge von Menschen, deren Gefühle ihn» begreiflich waren, deren entrüstete Gesichter er sah. Er fühlte sich gehoben, ganz zufrieden, und immer mehr und niehr stieg in ihm der Wuasch «uf, daß man auch auf ihn seh« und die Geschichte seiner Leiden erfahre. Die Leute sollten eS wissen, daß er sie begreife und ihm dieselbe Theilnahme, die er für sie hegte, beweisen. Er fühlte etwa« Sonderbar«», Ungewöhnliche«, Berauschende» in sich, und daß etwa» geschehen müsse, die gesunkene Stimmung d«r An wesenden zu heben. Er wußte selbst nicht, wohin er gehen und wa« er thun sollte: er vergaß, daß er ohne Sprache und ohne Paß, nur ein Vagabund m diesem Lande fei. Alle» da» hatte er ver gessen, und in der Erwartung von etsva» Unbestimmtem drängte er sich nach vorn, berauscht in d«m Brwußtstin, in
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