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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.06.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970630023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897063002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897063002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-30
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Wie weit seitdem die politische Abstumpfung, welche die treue Begleiterin eines schwankenden autokratischen Regiments ist, um sich gegriffen hat, zeigt schon ein Blick in die Zeitungen, die kaum mehr Neugier, geschweige denn Erregung wegen deS „Kommenden" verrathen. Die Presse aber, weil sie berufs mäßig über politische Veränderungen sich zu äußern hat, giebt noch nicht einmal den richtigen Gradmesser für die im Publicum herrschende Gleichgiltigkeit. Diese ist in Wahrheit noch größer, als sie etwa ein Ausländer nach dem Säuseln im Blätterwalde abschätzen würde. Einige Leb haftigkeit zeigt sich in der Beurtheilung deS politischen Charakters und der Thaten deS Herrn v. Marschall, mit der zugleich die Censurirung deS Herrn vr. v. Boetticher - - - In Presse des SchutzverbandeS Politische Tagesschau. * Leihst,, 3V. Juni. Tin Berliner Pnvattelegramm meldet unS soeben, da» vntlaffnn»Sgrsuch des TtaatSsecretatrS v». ». voetttcher sei angenommen und der bisherige Reichtschatzsecretair Graf PosadowSly zum Ltaalssecrelair de» Inner« und preußischen DtaatSmiuister ernannt; an der gestrigen Sitzung deS Staat-miuisterium- habe Herr A-, v. Boetticher schon nicht mehr theilgenommrn. Be- stiitiat sich dirse Meldung — und daran ist nicht zu zweifeln, da der „Köln. Ztg." schon gestern Abend berichtet wurde, Herr v. Boetticher habe fein Entlassungsgesuch ein gereicht —, so wird die Ernennung d«S Herrn vr. v. Miquel zum Viceprasidente» deS preußischen Staats ministeriums wohl auf dem Fuße folgen. Wie lange eS dauern wird, bis ein Nachfolger für den Grafen von Posa- dowsky gefunden ist, muß abgewartet werden, denn nach einem Berliner Telegramm der „Köln. Ztg." hat der badisch« Finanzminister vr. Buchenberger daS ihm angeboren« NeichSschatzamt ab gelehnt. E» sei bedauerlich, so fügt der Gewährsmann de- rheinischen Blattes hinzu, aber auch verständlich, daß dieser bedeutende Mann sich nicht habe entschließen können, in den ReichSdienst an wichtiger Stelle einzutreten. Verständlich ist eS allerdings, denn die Haupt fragen bei der ganzen „Erneuerung der Regierung", wie lange der Reichskanzler Fürst Hohenlohe auf seinem Posten bleibt, wer sein Nachfolger wird und wie dessen „Programm" lautet, sind noch nicht gelöst, und alle Anzeichen sprechen dafür, daß dieses Programm nicht anders lauten soll, als rogis voluutu». Dem widerspricht der unfreiwillige Rücktritt deSHerrnvr. v. Boetticher nur scheinbar. Allerdings hat eS dieser überaus geschickte Mann, der mit gleicher Anschmiegsamkeit unter dem Fürsten BiSmarck, dem Grafen Caprivi und dem Fürsten Hohenlohe seine Aemter auSsüllte, wie wenig andere eS vermocht, jeder „Allerhöchsten Willensmeinung*, die nach den „Berl. Polit. Nachr." sogar den Gerichten zur Richtschnur dienen soll, sich anzubequemen und Gründe für sie aufzufinden. Aber bei der Aufgabe, das autokratische Regierungs sitz stem selbst gegen Angriffe zu vertheidigen, versagte seine Geschicklichkeit. und Kraft; da flogen die Pfeile über ihn hinaus und erschütterten das Vertrauen, das er durch sein seltenes Talent als Anwalt fremder Ideen, seine große Arbeitskraft und Gesckäftskenntniß sich erworben hatte. Ob sein Nachfolger, Graf PosaVowSktz, ihm an Anschmieg samkeit gleichkommen wird, muß abgewartet werden. Kennt nisse und Erfahrung bringt er jedenfalls in reichem Maße in sein neues Amt mit. «>chon in unserer gestrigen Morgen nummer hat unser Berliner d-^-Correspondent daraus bin- gewiesen, und in der „Allg. Ztg." wird in gleichem Sinne ausgeführt: „Es kommt weiterhin der sehr wichtige Umstand in Be tracht, daß die eigentliche piöes cio rssistaneo der Berufsthätigkeit des Reichsamts de- Innern auf socialpolitischem Gebiete liegt und daß diese Materie dem seitherigen Wirkungskreise Les Herrn v. Miquel viel ferner gelegen hat, als dem des Grafen v. Posadowrky, als dieser in sein jetziges Amt berufen wurde. Als Chef der Selbstverwaltung der Provinz Posen hat Gras Posa- dowsky nicht nur die Organisation derselben erst geschaffen, sondern auch insbesondere di« Einführung der socialpolitischen Gesetz, gebung in der gedachten Provinz mit größtem Erfolg bewirkt. Wenn dieser Tage in der „Boss. Ztg." die Frage nach dem Befähignngs-, Nachweise deS Grafen Posadowsky für die Uebernahme des Reichs-I verbunden wird. W . . amts des Innern aus dessen Antecedentien entschieden ungünstig' offenbart sich ungemessene Bewunderung und tiefe Trauer Die diplomatische Lrientaction scheint vollständig ein geschlafen zu sein, wenigstens sind die gewohutrn Berichte über den Fortgang der Konstantinopeler Botschafterconferenzen, bei denen übrigens seither noch nichts Ersprießliche- berauS- gekommen ist, schon durch verschiedene Tage auSgeblieben. Dafür liegen anderweit« Mittheilungen vor, aus denen erhellt, daß die Auarchie in Thessalien, wie auf Kreta reißende Fortschritte macht. Auf Kreta versuchen eS die Admirale mit den künstlichsten internationalen Experi menten, dem fortschreitenden Zerfall der Ordnung Einhalt zu thun, allein eS scheint, daß nur eine einzige Partei auS dem allgemeinen gLctns einen handgreiflichen Nutzen zieht, und das ist England, welches eben wieder in Kanea ein Truppendetachement auSgeschifft hat und sich in aller Stille überall dort einnistet, wo es etwa- für die Verstärkung seiner maritimen Position auf jener natürlichen Felsencitadrlle deS östlichen Mittzel- meereS zu holen giebt. Mittlerweile werden vom türkisch griechischen Kriegsschauplätze allerhand verdächtige Bewegungen beider Theile sianalisirt, die nicht von besonderem Vertrauen auf die Solidität deS Waffenstillstandes zeugen. Griechen und Türken nehmen Stellungen ein, die im Hinblick auf neue Kämpfe von Werth sein können, deren Be setzung aber kaum Sinn haben würde, wen» die jetzt herrschende Waffenruhe als das Vorspiel zum definitiven Friedensschlüsse gälte. Was die Ca»didatur deS ehemaligen Schweizer Bundespräsidenten Numa D roz fürden Gouverneurs posten in Kreta anlanzt, so haben sich für diese Candibatnr bisher ganz besonder- Frankreich und England einaesrtzt, offenbar au- dem Grunde, weil Herr Droz ganz offenkundig als besonderer Griecheufreuud ausgetreten ist. Nun werden russische Stimmen laut, welche sich ganz entschieden gegen die Wahl deS Schweizer Candidaten au-sprechen. Diese Candidatur habe sehr Viele» gegen sich, indem sie für die russischen Interessen keine Garantie gegen verschiedene Ueber- rafchunaen im Orient biete. Der Standpunkt, den Herr Droz in der lOrientpolitik einnimmt, sei im vorigen Jahre deutlich zu Tage getreten, als er an der Spitze deS in der Schweiz wirkenden armenischen Comitös stand. Die antitürkische Propaganda sei damals sogar von der Kanzel aus vertreten worden, und bei allen Ausfällen gegen den Sultan habe man natürlich gleichzeitig Rußland angegriffen, da- die „barbarische Türkei" protegirte. Diese Schweizer Bewegung hätte in direktem Zusammenhänge mit der in England gepflegten armenischen Propaganda gestanden, und überhaupt werde die öffentliche Meinung in der Schweiz sehr stark von England in anti russischem Sinne beeinflußt. Die Ansichten deS Herrn Droz und seiner Gesinnungsgenossen könnten natürlich Ruß land sehr kühl lassen, so lange sie nur in der Schweiz zum Ausdrucke gelangen. Anders liege jedoch die Sache, wenn die erwähnte Candidatur zur Wirklichkeit werde; Rußland dürfe dann nicht außer Acht lassen, daß Herr Droz als Gouverneur von Kreta ein willkommener Stützpunkt für die britische Politik sein würde. In dieser Weise äußerte sich daS „Journal de St. Pstersbourg". Man wird nicht febl- > teutung beilegt. Denn wenn Rußland so entschieden gegen die beantwortet wurdr, so erklärt sich das lediglich ans der völligen Unkrnntniß, in der sich die Leiter de» genannten Blatte» darüber befinden, welch' eine fvichtige Stellunq die de» Ehes» der Eommunalverwaltung einer preußischen Provinz und zu- mal der Provinz Posen ist, dem die Hebung der Lande»- melioratioa »nd Cultur, die Urberwachung d«r Provinzialanstalten des Armenwrsen», die Ausführung de» Chausseedaue«, der social politischen Gesetze »nd vieles Andere obliegt. Graf Posadowsky hat allen diesen Aufgaben während riuer achtjährigen Amtswrttung — nach selbstverständlicher Ablegung seiner S t.aatsexsfikiaa und darauffolgender Wirksamkeit al» Landrath it^si^tv. er- i« einer Weise genügt, über dir ia der Provinz Posen Vüv Hne Stimme des Lobe» ist." ,. Auch auf die Erfolge, vre Graf-PosäKowsky im Reichs tage unter sehr schwierigen Verhältnissen zu erzielen wußte, wird hingewiesen, und in der Tbat hat der seitherige Reichs- schatzsecretair in der abgeschlossenen Reichstagssession am günstigsten abgrschnitten und im Parlamente sowohl, wie im ÄundeSrathe sich eine Position geschaffen, die ihm bei der Uebernahme de» Reichsamtes des Innern nur förderlich sein kann. Weiter kommt ihm daS freundliche Ver- hältniß zu Statten, daS er trotz der Reibungen, die so leicht zwischen dem Leiter deS Reichsschatzamtes und dem preußischen Finanzminister entstehen können, zu Herrn vr. v. M i q u e l aufrecht zu erhalten wußte, der als Bicepräsident des preußischen Staatsministeriums in diesem noch größeren Einfluß erlangt, als er bisher be sessen. Freilich fragt eS sich, wie lange diese Vicepräsident- fchaft Miquel'» die Präsidentschaft des Fürsten Hohenlohe Überdauern wird. Wird auch in der inneren Politik unter dem Nachfolger deS Fürsten derselbe Faden gesponnen werden, der seit dem Rücktritte deS Fürsten BiSmarck gesponnen wurde, so ist eS doch für einen Mann in dem Alter, den Erfolgen und dem Ansehen deS Herrn vr. v. Miquel nicht gleichailtig, ob er als Vertreter eines ältere», auf eine bedeutende Wirksam keit zurückblickenden, oder eine» jüngeren, an Erfahrung ärmeren Manne» zu fungirrn hat. Ein Wechsel, der in der Leitung de» preußischen Finanzministerium- infolge «ine- Kanzlerwechsel» rinträte, könnte daher auch dem Grafen Posadowsky den Gedanken nahelegen, gemeinsam mit Fürsten Hohenlohe und Herrn vr. v. Miquel die Zahl inaktiven Staatsmänner zu vermehren. ob der Trennung. DaS Gleiche in den Zeitungen, die bemüht sein müßen, eine persönliche Schuld der Dankbar keit den Gehenden so geschwind abzutragen, daß die Ergießungen.vergessen sein können, wenn die Nachfolger sich die -» Anwartschaft auf Dank zu erwerben beginnen werden. Im anderen Lager Heller Jubel über den Abgang der hart befehdeten Beamten. Hier wie dort die geheuchelte Ueber- zeugung, daß der Personenwechsel die Anbahnung eines radikalen Umschwung- in der Handelspolitik zu bedeuten habe. Der Zweck dieser Darstellung ist auf der einen Seite, die bäuerliche Gefolgschaft der ostelbischen Politiker auf» Neue mit unerfüllbaren Hoffnungen zu erfüllen,„ auf der ander», in der Industrie die Besorgmß vor erhöhten Gefahren und den Wunsch nach Schutz durch den Schutz verband zu erwecken. Daß da- erste Manöver gelingen werde, bezweifeln wir, da« andere bat sicher kein» Aussicht auf Erfolg. Daß nsir, wenn die Getrerdemarktverhältniffe sich nicht von Grund aus ändern, Handelsverträge, wie die bestehenden — mit einem Getreidezoll von nur 35 nicht mehr schließen werden, weiß die gesammte Industrie und sie ist einverstanden damit. Wir erinnern daran, daß der Abg. Burck, der Generalvertreter deS wichtigsten Jndustriellen-VerbandeS, die Beibehaltung der bisherigen niedrigen Zollsätze für die Körnerfrucht von sich abgewiesen hat. Auf der anderen Seite hegen die Agrardemagogen ebensowenig die ernstliche Erwartung, daß Herr von Bülow dazu auSersehen sein werde, einen all gemeinen Zollkrieg heraufzuführen, mit der Währung zu experimentiren und den Antrag Kanitz in eine Regierungs vorlage umzugestalten. Verständige Leute unterschätzen weder die Früchte, die vom Baume Marschall'scher Dialektik ge pflückt worden sind, noch befürchten sie, wie die „Nationalztg." und die „Freis. Ztg." zu thun scheinen, von dem Umstande, daß Herr von Bülow noch keine Proben parlamentarischer Gewandheit abgelegt hat, den vollkommenen Sieg deS Grafen Limburg-Stirum, die Kündigung der Meistbegünstigungs verträge und die Ernennung de» Herrn vr. Hahn zum vertrage, veu Rath in einem handelspolitischen Ressort. Wie politisch bedeutungslos die Verherrlichung des Herrn v. Marschall ist, zeigt sich am deutlichsten in der Thatsacbe, baß sich Herr Richter an ihr betheiligt und sogar die Vertretung der Marineforde rungen durch den zurllcktretenden StaatSsecreiair deS Auswärtigen höchlich belobt, er, der mit seinen Genossen das jetzt gepriesene parlamentarische Auftreten durch un gezogenen Lärm zu stören versucht und die verlangten Schiffe nicht bewilligt hat. Gegenstand noch bittreren Schmerzes als der Rücktritt des Herrn v. Marschall bei der Demokratie und, wie gleichfalls gesagt werden muß, noch intensiverer Ausbeutung bei der politischen Winkelpresse bildet der Besuch in Friedri chSruh. Dem Centrum und den Freisinnigen flößt der Vorgang, dem nur sein bisheriges Ausbleiben Bedeutung verleiht, eine Furcht ein, die sich aus einem schlechten Gewissen erklären läßt. Die „Voss. Ztg." vergißt in ihrer Haltlosigkeit sogar die bevorstehenden Maß regeln gegen die ausbeuterische Wirtschaft der Berliner Confectionaire und macht Stimmung für Social politik und gegen den Fürsten Hohenlohe, weil dieser zufällig gleichzeitig mit dem Freiherrn von Stumm in FriedrichSruh gewesen ist. DaS ist komisch, während die Reklame der Presse der Rechten ärgerlich ist. Daß diese es mit 1 gehen, wenn man dieser Enunciation keine allzu geringe Be ben, Fürsten BiSmarck nicht anders meint als von jeher I t""'5'5" und besonders zur Declarantenzeit, geht daraus hervor, daß ' Candidatur de- Herrn Droz auftritt, so muß man Wohl Feuilleton» Nanny Trauner. 7j Roman von E. Schroeder. Nachdruck verboten. „N. d. 18. Februar. Mein liebster Günther! Da du eS denn so sehr wünschest, so setze ich eS hierher, schwarz auf weiß! Ja, ich verzeihe Dir — von ganzem Herzen, nun ich sehe, daß eS Dir mit der Reue so ernst ist. Was mich noch einigermaßen beruhigt, ist die ge- gewifse Aehnlichkeit, die Du trotz alledem und alledem zwischen meinem Gesicht und dem der schönen Tante finden willst. Schlage sie Dir so rasch wie möglich aus dem Sinn, sie beruht auf Einbildung. Wo nähme ich al» Tochter meiner Mutter solche meereS- tirfe, sehnsuchtsvolle Augen her und, als Tochter meine- VaterS, eine so feine Nase und — vor allen Dingen — einen so überaus lieblichen Mund? Einen ähnlichen Mund findest Du in der ganzen Ahnengalerie von Hellbronn nur noch einmal wieder, und da küßt er seit einem guten Vierteljabrhundert die Wand, so lange schon kehrt nämlich seine schöne Eigentümerin der Welt den Rücken, auf Groß papas Befehl. Also den Oberförster Trauner hast Du im Interesse Deines Baler- wirklich ausgesucht, dir Krone der Jungfrauen aber hast Dn nicht gesehen — sie machte Krankenbesuche. Schade, jedoch nicht zu verwundern, im Dorf soll ja das Scharlachfieber grasstren. Glaubst Du an barmherzige Samariterinnen, Günther? Ich nicht. Ich glaube an robuste Frauenzimmer mit Nerven von Eisendraht, denen der Anblick entsetzlicher Leiden, grauenhafter Wunden LebraSbrdürfniß und Genuß ist, ich glaube an zarter besaitete, die sich Über die schrecklichsten der Schrecken hinwegsetzen, weil ihrer Eitel keit der Titel; „Engel der Armen und Kranken" gar so süß klingt. Du kannst nicht begreifen , weshalb der alte joviale Trauner plötzlich ernst und zurückhaltend wurde, al- Du den Namen Hellbronn nanntest, weshalb er sick> mit mürrischer Miene beimwärtS wandte, al« er Dich im Begriff sah, zum Schloß hinaufzusteigen? — Ach, Günther! ikered^ kangs » t«l«, wie dir Engländer sagen. Liese Geschichte aber hängt wieder mit der Schönheit im Ahnensaal zusammen, die der Welt seit fünfundzwanzig Jahren den Rücken kehrt. Ich weiß nicht, ob ich sie Dir erzählen darf, denn sie ist eigentlich Familiengeheimniß — doch Du bist ja ein an gehendes Familienmitglied. So höre: Vor fünfundzwanzig Jahren trug daS alte Pärchen, das mich mit ArauSaugen bewacht, noch ein Herz in der Brust statt eines Kieselsteines. In diesem Herzen bot eS seiner einzigen Tochter Hedwig ein engeS, aber nicht unfreundliches LogiS — sie hätte sich damit begnügen sollen! Doch sie that eS nicht. Sie gehörte zu den sanften, stillen Seelen, die in Gesellfchaft selten die Augen aufschlagen und noch seltener ein Wort über die Lippen bringen, die mit Hochrothen Wangen in unbeachteten Winkeln sitzen und sich dem Anscheine nach vor Bescheidenheit am liebsten in Nichts auflösten, die aber, wenn der Zeitpunkt kommt, mit ganz erstaunlichen An sprüchen herauSrücken. DaS kleine, schüchterne Ding schmach tete in der Stille, seitdem eS denken konnte, nach einer ganz unendlichen Liebe. Es sprach dies unverhohlen und ohne Erröthen aus, als die Mutter ihm zum ersten Mal eine standesgemäße Verbindung vorschlug, und begann dann mit einem Aplomb Körbe auSzutheilen, um daS eS manche Welt dame beneidet hätte. Darüber vergingen Jahre, und das Veilchen von Hellbronn war nahe am Verblühen, da fand eS, was es bei Seines gleichen vergebens gesucht hatte, bei — dem Hauslehrer einer befreundeten Familie. ES verbarg seinen Jubel über die glückliche Entdeckung keineswegs und erregte im Kreise der Seinigen erst ungläubige Heiterkeit, dann Zorn und Ent rüstung. schreckliche Scenen soll eS gegeben haben, jedoch dir schrecklichste vermochte da- Veilchen nicht, seinen kostbaren Fund fahren zu lassen, und eine- schönen Morgen- war eS mit dem Einen, Einzigen, der eS liebte, wie eS geliebt sein wollte, über alle Berge. Seither ist'- irgendwo in der Welt gestorben. Auf seine reuigen Zuschriften an die Eltern hat eS nie eine Antwort erhalten, und sein Bild küßt seit fünf undzwanzig Jahren die Wand deS Ahnensaale». So, Günther! Wenn ich jetzt noch hinzufüge, daß der obenerwäbnte Hau-lehrer ein leiblicher Bruder d«S Ober förster- Trauner war, so begreifst Du, warum dieser joviale Herr seinen liebsten Gästen mit mürrischer Miene den Rücken kehrt, sobald er sie im Begriff sieh», zum Schloß hinauf- zusteigen. Du begreifst hoffentlich auch, weshalb ich die Feder mit einem Erlösung-seufzrr bei Seite werfe und mir fest verspreche, nie und nimmer wieder einen so langen Brief zu schreiben. Deine Anna." „N. d. 27. Februar. Mein liebster Günther! Dn glaubst also noch an barmherzige Samariterinnen? — Der Himmel bewahre ibn Dir, den frommen Glauben, sofern es möglich ist, bis an Dein Ende. Er gereicht meinem Ge schlecht zur unverdienten Ehre. Du hast auS meinem Bries herausgelesen, daß ich das hartherzige Verfahren der Großeltern gegen das arme Veilchen von Hellbronn billige? Theuerster, da bist Du zu weit ge gangen. Ich will nicht behaupten, daß der Charakter dieser Hedwig mir sympathisch wäre — ich ziehe ein sür allemal die munteren, durchsichtigen Bächlein den stillen, tiefen Wassern vor — und die Mesalliance, durch die sie die Familie er niedrigt hat, verdamme ich vom Grunde meiner Seele, aber ich hätte doch früher oder später Gnade walten lassen, wenigsten« als sie auf dem Sterbebette lag, hätte ich ihr ver ziehen. Ob ich weise daran gehandelt hätte, ist freilich eine andere Frage, denn natürlich wären mir die lieben Kinder und der ganze reizende plebejische Anhang sofort in da« Hau« gerückt und dann — sage, wa« hättest Dn an meiner Stelle denn gethan, Günther? Nicht wahr, dem Aristokraten wird die Antwort schwer? Ja, ja, ein weiche- Herz ist ein schönes Dina, doch ein Kieselstein ist mitunter bequemer. Du bist ein lieber, guter Mensch. Ich habe zwar über daS Postskriptum Deines Briefes ein biScken lachen müssen, aber gerührt hat eS mich trotzdem, zu lesen, wie sehr Dich die kleine Fehde betrübt, die zwischen Irma und mir aus gebrochen ist. Tröste Dich, Günther! Der Specialcorrespondent, der es der Mühe Werth gefunden hat, Dich von der Sache in Krnntniß zu setzen, ist unnöthig grausam gewesen — „sie ist Deine« Gram» nicht werth!" Was den Streit veranlaßt hat, wüßtest Du gern? Auf richtig gestanden, ich auch, denn ich habe keine Ahnung mehr, ob wir über ein Kleid differirten oder über einen Kopfputz. Etwa« Derartige- muß e» gewesen sein, denn unsere letzle intime Unterhaltung drehte sich ausschließlich um Jrma'S Maskeradenanzug. So viel ist gewiß, die Theure verließ mich, eine Gewitter wolke auf der Stirn. Daß eS von unserem Freundschafts himmel unter Umständen sechs Wochen lang ohne Unterlaß regnet, donnert und blitzt, ist aber gar keine Seltenheit, her nach strahlt dann die Sonne noch einmal so schön. Also, wie gesagt, beruhige Dich, Lieber, und verzeih, wenn ich jetzt aufhöre! Ewig Deine Anna." „N. d. 1. März. Mein Geliebter! Kaum vermag ich, die Feder zu halten, so bebt mir die Hand vor Entrüstung! Schon der Anblick dcS Schriftstückes, daS Deinem Briefe entfiel, machte mich schaudern, und als ich eS aufhob, war mir's, als berühre ich ein giftiges Reptil. Dann las ich es — zweimal mußte ich es lesen, Günther, bevor ich im Stande war, die ganze Bosheit jener anonymen Natter zu fassen! Auf dem Maskenball will sie mich gesehen haben! In traulicher Unterhaltung mit — ja — mit wem? Da sitzt der Haken! Wagte sie einen Namen zu zischeln, so müßte sich das ganze Lügengewebe offenbaren! O Günther, die Welt ist schlecht, die Welt ist abscheulich, nur Du — Du allein bist gut — Du verstopfest der Ver leumdung Dein Ohr — Du glaubst an mich! Dank, tausend Dank, mein Geliebter! Ich habe die Schriftzüge geprüft und wieder geprüft, jedoch ich erkenne sie nicht — sie sind so falsch wie ihr Inhalt. Aber Du, Günther, Du wirst, mußt wissen, wer die Natter ist, die Du an Deinem Busen gewärmt, der Du das Geheimniß unserer Verlobung anvertraut hast. Nenne sie mir, daß ich ihr in ihren Schlupfwinkel folge, daß ich ihr die Lüge in die Zähne werfe, daß ich sie zwinge, jede Silbe deS teuflischen Briefe« zu widerrufen! Nenne sie mir, Günther, ich bitte, ich beschwöre Dich, nein! — ich fordere eS von Dir als mein Recht! Anna." „N. d. 3. März. Mein Geliebter! Vorgestern schrieb ich Dir mit wild hämmerndem Herzen, mit brennender Stirn, mit beißen ZorneSthränen in den Augen — heute bin ich ruhiger. Schon bevor ich Deine lieben gütigen Zeilen gelesen, war ick Deiner Meinung: „Ein anonymer Brief ist die Quintessenz der Feigheit, und die Feigheit thut man am besten, zu verachten." Ich verachte sie, Günther, vom Grunde meiner Seele! Wärest Du heute im Stande, mir den Namen zu nennen, den Du selber nicht weißt, ich hielte e» unter meiner Würde, seine elende Trägerin anfzusuchen und sie zu Rede zu stellen Auch heißt sie ignoriren, sie am empfindlichsten strafen- Arme ohnmächtige Natter, wie sie zischen und geifern wird-
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