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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.06.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970624027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897062402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897062402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-24
- Monat1897-06
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Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. di» Abend-Ausgabe Wochentags um b Uhr. Ne-action und Erpedition: JohanneSgafle 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend« 7 Uhr. Filialen: ktt« ittemm's Sortiin. (Alfred Huhn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), Lonis Lösche, Katharinenstr. 14, part. und König-plad 7. BezugS-PreiS Ai der Hauptexpeditioa oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Au»« aavestrllen ab geholt: viertel jährlich 4.50, bei zweimaligrr täglicher Zustellung ins Hau» b.bO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertel,ährlich ö.—. Directe tägliche Nreuzbandlendung ins Ausland: monatlich 7.öL. Abend-Ausgabe. MMer TaMalt Anzeiger. Äittlsvkatt des Äönigttchen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Natljes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigeu-Prei- -ie 6 gespaltene Petitzeile 80 Pfg. Neclamrn unter dem RrdactionSstrich (4a» spalten) SOxZ, vor den Familienagchrichn» (6 gespalten) 40^. 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Allgemeinen Zeitung" dagegen wird von einem anscheinend ossiciösen Berliner Correspondenten berichtet, „die Ent scheidungen dürften aller Voraussicht nach in die Zeit zwischen dem 1. und 4. Juli, dem Tage der Abfahrt des Kaisers nach dem Norden, fallen". Der Gewährsmann des Münchener Blattes fügt dann hinzu: „Wie es scheint, wird Fürst Hohenlohe — und vr. v. Miquel dürste hierin ganz mit ihm übcreinstimmen — seinerzeit die parlamentarische Lage dadurch zu klären suchen, daß er sich in den Stand setzen läßt, vor dem Reichstag ein genau umschrie benes Regierungsprogramm zu entwickeln." Dazu wird es nun zwar voraussichtlich nicht kommen, da der Reichs tag schwerlich über diese Woche hinaus tagen wird. Aber wenn die Dinge so weit geklärt sein sollten, daß Fürst Hohenlohe erwarten durfte, demnächst in llebereinstimmung mit Herrn vr. v. Miquel ein „genau umschriebenes Negierungs- programm" entwickeln zu können, so würde wohl auch die Erledigung der Personalfragen keinen großen Schwierigkeiten mehr begegnen, da sie im Verhältniß zu den sachlichen, den Programmfragen, untergeordneter Natur sind. Und wenn man aus einer Auslassung der „Berl. Polit. Nachr." einen Schluß auf die Anschauungen des jetzigen preußischen Finanzministers ziehen dürste, so würde man annehmen müssen, daß Herr Or. v. Miquel sich für sein Programm der Zustimmung ves Kaisers und des Fürsten Hohenlohe bereits sicber genug fühlte, um einem Strauß mit dem die Hanptschwäche der jetzigen Negierungsvertreter — die Programmlosigkeit und Unselbst ständigkeit — genau kennenden und rücksichtslos ausnützenten Abg. Richter nicht aus dem Wege zu gehen. Die „Berl. Pol. Nachr." schreiben nämlich: „Die Verhandlung Les Abgeordnetenhauses über das Vereinsgesetz ist wiederum sehr charakteristisch für den wach- senden Uebermuth des Abg. Richter, aber auch für den Sanftmuth, mit welchem die übrigen Parteien sein Austrete» er tragen. Wir greifen hier nur den einen Punct heraus, sein dreistes Verlangen, daß der F i n a n z in i n i st e r, in Lessen Reffort Las Vereinsgejetz in keiner Weise fällt und der keine andere Stellung als die eines Fachministers hat, ge- laden werden sollte, um seine Ansicht über das Vercinsgesetz kundzugeben. Allein der Abg. Graf Limburg-Stirum hat ein solches Verlangen in milder Form zurückgewiejcn, während dasselbe doch mit allgemeinem Gelächter hätte ausgenommen werden sollen. Wenn der Abg. Richter das Erscheinen des Finanzministers gewünscht Hütte, so vermulhen wir, daß er dies leicht hätte erreichen können, wenn er ihm nur vorher mitgetheilt Hütte, daß er beabsichtige, ihn persönlich anzugreifen. Dann hätte der Finanzminister Gelegenheit gehabt, iti die Sache einzugreifen. Aber Herr Richter wird es wohl vorgezogen haben, den Finanzminister während seiner Abwesenheit mit persönlichen Angriffen zu über schütten. Wenn, wie Herr Richter voraussetzt, in Zu- kunst der Fin anzminister eine mehr politische Stellung einnehmen sollte, so wird Herr Richter wohl bei der- artigen Fragen sich nicht über die Abwesenheit desselben zu beklagen haben." Fühlt sich aber Herr Vv. v. Miquel hinsichtlich des Negierungsprogramms so sicher, wie die „Berl. Polit. Nachr." annehmen, so bietet ihm heute die Bcrathung des preußischen Herrenhauses über die Vereinsgesetznovelle Gelegenheit genug, dies an einem bestimmten und wichtigen Puncte zu betbätigen. Verhalten sich bei dieser Gelegenheit die Regierungsvertrcter ähnlich wie vorgestern Herr v. d. Recke im Abgeorvnetenhause sich verhalten hat, so wird man annehmen dürfen, daß von einer Einigung über ein genau umschriebenes Regierungsprogramm noch nicht die Rede sein könne unv baß die „Kreuzztg." mit ihrer Vertröstung aus die erst im August fallenden Entscheidungen Recht behalten werde. Vorgestern ist das Margarinegesct; publicirt worden, in Kraft tritt es im Allgemeinen am l. October d. I., seine Vorschrift über die getrennten Verkaufsräume sogar nicht vor dem l. April 1898, und schon wird es der „Kreuzztg." schwül bei dem Ausdenken der Folgen des Sieges, den ihre Partei im Verein mit dem Centrum durch die Erzwingung der letztgenannten Bestimmung erfochten hat. DaS Blatt will erst auf der Jubiläumsausstellung der Berliner Bäckerinnung, die kürzlich stattfand, erfahren haben, was sonst Jedermann wußte, daß nämlich die Bäcker in sehr ausgedehntem Maße Margarine verwenden. Und daun: „Auch im Kleinhandel findet eine Bevorzugung der Margarine statt. Viele Kleinhändler zeigen sich bemüht, die Margarine ihren Kunden angelegentlichst anzupreisen, häufig sogar mit der Versicherung, daß Margarine besser und billiger als Butler sei. Diese Erscheinung erklärt fick aus dem Umstand, daß an Margarine erheblich mehr als an Butter verdient wird. Wo auf Grundlage des Gesetzes der Verkauf von Butter eingestellt und nur Margarine geführt werden sollte, da dürste in den meisten Fällen der höhere Gewinn ausschlag gebend sein." — Gaur gewiß. Ob der höhere Gewinn an einem bestimmten Ouantum Margarine, bleibe dahin gestellt. Jedenfalls wird die große Mehrzahl der Klein händler an dem Verkauf von Margarine mehr verdienen, weil ihr Umsatz in Margarine erheblich größer ist, als der in Butter. Und diese Kleinhändler wieder entscheiden sich, da sie beide Fette nicht mehr zusammen verkaufen dürfen, für das Feilhalten von Margarine. Tas hat man den extremen Agrariern tausendmal vorhergesagt; dann war mau aber ein „Feind der Landwirtbschaft". Nun sieht auch die „Kreuzztg." kommen, was kommen muß. Ob ihre Prognose die Vorläuferin weiterer gesetzgeberischer For derungen der Herren v. Ploetz und Genossen ist, etwa der Vorschrift, daß in jedem Orte über 5000 Einwohner so und so viel Buttergeschäste von den Communen errichtet werden müssen, bleibt abzuwarten. Das Großartigste von dem, was die Berliner Leitung des Bundes der Landwirthe geleistet, wäre das noch nicht einmal. Einen bösen Streich haben absichtslos die Bochumer Toctaldcmokratcu dem Ecutrum gespielt. Sie desavonirlen im „Vorwärts" den Abg. vr. Lütgenau wegen seines neu lichen Bündnißanerbietens an das Centrum und haben dadurch bewirkt, daß die Redaction des socialdemclratischen Centralorgans dem Herrn eine sehr ernste Rüge ertheilte. Das Erstere allein hätte Lülgenau mntbmaßlich sich gefallen lassen, denn die ganze Bochumer Aufführung war, wie wir gleich sehen werden, nichts Anderes als ein abgekartetes Spiel, und in dieses hätte das officielle Desaveu vortrefflich hineingepaßl; aber daß der „Vorwärts" aus Eigenem einen directen Rüffel hinzufügte, vertrug sich offenbar nicht mit der Eigenliebe des Herrn Lütgenau, und so plaudert er denn aus der Schule und erzählt in seiner Dortmunder „Arbeiter zeitung", daß er thatsächlich im vollsten Einverständnisse mit den Bochumer Genossen gehandelt habe. Auf eine weitere Polemik will er „im Interesse der Sache" verzichten; er hat damit aber schon gerade genug gesagt, um zu bestätigen, was vom „Nhein.-Wesffäl. Tagebl." an die Oeffentlichkeit gebracht worden ist, nämlich daß Lütgenau's Auftreten be stellte Arbeit war, bestellt von keinem Andern als dem klerikalen Abg. Fuchs, der in der Versammlung nachher den Unschuldigen spielte und that, als ob ihm das social demokratische Anerbieten etwas so gänzlich UeberraschendeS wäre, daß er unbedingt zunächst einmal mit der Partei leitung sprechen müsse. In Wahrheit war von ihm, wie daß „Rbein.-Westf. Tageblatt" berichtet, von Köln aus eine sehr böslich gehaltene Einladung an den socialdemokratischeu Führer Herzig in Bochum ergangen und zwar, wie es scheint, durch Vermittelung des ultramontanen Bochumer Rechtsanwalts Dieckamp. Die Karten waren also beider seits auss Beste gemischt gewesen, und man begreift hiernach, warum Herr Lütgenau „im Interesse der Sache" auf eine weitere Erörterung dieser Vorgeschichte zu verzichten den Wunsch hat. In noch wirksamerer Beleuchtung als bisher erscheinen nach dieser Vorgeschichte des Bochumer Präliminar bündnisses das Centrum und specicll der Abg. Fuchs. Nicht die Socialdemokraten sind es, die den ersten Schritt zu der Annäherung gethan haben, sondern sie sind dazu an- gestistet worden vom Centrum. Zur Klärung der Situa tion kann eS nur nützlich sein, wenn daS gegenseitige geheime UnterstützungSverhältniß, in dem die Ultramontanen des dortigen Industriegebietes zur Socialdemokratie seit Jahren schon sieben, demnächst zu einem Pactiren vor der vollen Oeffent lichkeit sich erweitert, zu einem Pactiren, von dem die „Germania" versichert, eö werde „nie und nimmer" erfolgen! Von Interesse ist eine französische Stimme über die neue deutsche Artilleriebewaffnung. In der letzten Nummer des „Avenir Militaire" ist nämtich zu lesen: „Es ist beute kein Geheimniß mehr, daß ein Theit der deutschen Artillerie soeben neue Schnellfeuergeschütze erhalten hat. DaS Ueberraschende an der Sache aber ist, daß Deutschland an dieser Umwandlung schon seit 1889 arbeitet, ohne daß nur ein Laut hierüber durchgesickert wäre; zum Mindesten ist die Sache unfern Kriegsministern gänzlich entgangen. Zur Illustration hierfür mag nachstehende kleine, recht erbauliche Geschickte dienen: Vor etwa 14 Tagen wurden die Militairaltach^S verschiedener Mächte vom Kaiser Wilhelm eingeladen, in der Umgegend von Berlin, wohl in Spandau, Versuchen mit Schnellfeuergeschützen anzuwohnen. Wir wissen nicht, ob sich die Versuche auf Vornahme von Ucbungen mit dem neuen Schnellfeuer geschütz erstreckten, dagegen versickert man uns, daß der Kaiser die Anwesenheit der Attaches dazu benutzt habe, um mitzutbeilen, daß er Befehl gegeben habe, vier Armeecorps mit dem neuen Geschütze auszurüsten. Der Kaiser habe sogar binzugefügt, daß Alles für die Ausrüstung sämmt- licker Corps vorbereitet sei. Er steigerte seine Vertraulich keit so weit, mitzutheilen, daß die Vorbereitungsarbeiten bis 1889 zurückreichen. Mit Befriedigung wurde die Ueber- raschung der Attaches, besonders der französischen und russischen Officiere, wahrgenommen, welche jetzt erst erfuhren, daß das neue Material nicht nur angenommen, sondern in einzelnen Armeccorps bereits in den Dienst gestellt ist. Es leuchtet ein, daß diese ritterliche Art der Mittheilunz nur wenig nach dem Geschmack Rußlands war. Es soll sogar ein Notenaustausch zwischen dieser Macht und Frankreich staltgefunden haben, welcher bezweckte, die Antwort auf diese neue Art von Herausforderung (!) zu finden". Nach Abzug dessen, was die verletzte sranzösische Eitelkeit in deutlich er kennbarer Absicht in diese Miltheilung hineingeschmuggelt hat, bleibt, wie die „M. Allg. Ztg." zutreffend bemerkt, immer noch so viel des Tbatsächlichen übrig, um die Leistungen unserer obersten Heeresverwaltung in ein Licht zu stellen, das die ungewollte fremde Anerkennung Wohl motivirt. Die englischen Blätter bringen spaltenlange Berichte über die Großartigkeit der Feier des Jubiläums der Königin in den Colonien. AuS Canada, aus Indien, auS Australien, aus Malta, kur; überall her wird von großartigen Festzügen und von ungeheuren Summen, die zu Ehren deS Festes zu woblthätigen Zwecken gespendet worden sind, berichtet. Aber diese großartigen Feiern werden zum Theil wieder ausgewogen durch die feindseligen Demonstrationen in einem Theile des britischen Reiches selbst, in Irland. Wohl batten die Iren schon vorher Gegendemonstrationen angekündigt, aber die aus Dublin telegraphisch gemeldeten Demonstrationen überraschen einmal durch ihre Häßlich keit, zweitens aber dadurch, daß sie anscheinend nicht gestört wurden. Das spricht dafür, daß ein so überwiegender Tbeil der Bevölkerung auf Seiten der Demonstranten war, daß Polizei und Militair ein ernsthaftes Einschreiten scheuten. Nur von einem Zuge von Demonstranten wird berichtet, daß er zerstreut worden sei, aber auch erst, nachdem er allerlei Unfug hatte verüben können. Ein anderer Zug, der viel Schlimmeres that, ist anscheinend gar nicht in seinen „Helden- tbaten" gestört worden. Man wird die Haltung der Staats behörden in diesem Falle nur billigen können, denn ein blutiger Slraßenkampf in der Hauptstadt Irlands würde das ganze Jubilänmssest zerstört haben. Aber auch so schon werfen die Vor gänge in Dublin einen starken Schatten über das Fest, der noch vertieft wird durch die aus Bombay eingekroffenen Nachrichten. Die HungerSnoth in Indien hat bekanntlich in diesem Jahre riesige, noch nickt gekannte Dimensionen an genommen, und es ist notorisch, daß die Regierung Her grucioug Akajest;- weder etwas gethan hat, um den Ausbruch der Hungerpcst zu verhindern, noch nach AnSbruch derselben rechtzeitige und hinreichende Maßregeln getroffen hat, dem furchtbaren Elend zu steuern. Zu vielen Tausenden sind die Menschen hingestorben, und auch heute noch geht der Todes bote von HauS zu HauS. Unter solchen Umständen brauchte man sich nicht darüber zu wundern, daß in Ostindien sich eine erbitterte Opposition gegen jede glänzende und geräuschvolle Feier des Königinjubiläums bemerkbar machte. In Bombay und Calcutta soll die Feier zwar einen ernsten Verlauf genommen haben, doch scheint es immerhin zu prunkvollen Festlichkeiten gekommen zu sein, sonst würde nicht, wie gemeldet, in der Nacht von Dienstag zu Mittwoch, also in der Jubiliäums- nacht, in Bombay auf einen Civilbeamten des Schatzaus schusses geschossen worden sein, als derselbe von dem Feste bei dem Gouverneur in Ganeshkim zurückkehrte, und Lieute nant Dyerst von der VerpflegungS-Abtheilung würde nicht seine Theilnahme an den Festlichkeiten mit dem Leben haben bezahlen müssen. Wir sagten voraus, daß die Rede des Königs von Belgien über die Reorganisation der Armee, speciell ! die Einführung der persönlichen Dienstpflicht in den Reiben ! der conservativ-klerikalen Regierungsmehrheit auf leidenschaft- Ferrrlletsn Unnny Trauner. Lj Roman von C. Schroeder. Nachdruck verboten. Sein Gewissen regte sich auch — wegen zweier sehr un überlegter Küsse. Sie war so verwirrt geworden hinterher, so rasch davongeeilt. Wenn er in dem Kinde nur nicht das Weib geweckt und so der fatalen Versucherin Manon in die Hände gearbeitet hatte! Die Befürchtung ließ ihn gar nicht recht zum Schlafen kommen. Aber was ibn, kaum daß der Morgen sich hellte, aus dem Bett und zum Ponts des ArtS trieb, war neben dem schlechten Gewissen und dem Wunsch, nach Kräften wieder gut zu machen, auch noch sehr stark daS Verlangen, die wunderbaren blauen Augensterne wiederzusehen. Die Alte empfing ihn mit einem Kopfschütteln. Die Manon sei noch nicht da, um Auskunft zu ertheilen. Den selben Bescheid holte er sich wohl ein halbes Dutzcndmal im Laufe deS Tages und am Abend hieß eS, Manon habe gestern Nachmittag einen Liebsten gefunden, deshalb werde es wohl für sie auf einige Zeit mit dem Blumenverkaufen vorbei sein. In der That, auch in den folgenden Tagen ließ sich das Mädchen aus der Brücke nicht wieder sehen. Damit war und blieb von dem holden dentschen Kinde jede Spur ver wischt. Franz Flemming hoffte und harrte, verlor endlich die Geduld und die Laune, packte seinen Koffer und reiste ab nach Italien. Was er unversehens mitnahm, war die merkwürdig tief gewurzelte Ueberzeugung, daß das reizendste Gesichtchen, die herrlichsten Augen der Welt nicht in dem vielgepriesenen SchönhcitSlande zu suchen seien. 2. Capitel. Durch die prächtige, doppelreihige Lindenallee, die der Winter entlaubt hatte, über den frisch gefallenen Schnee stampften der Residenz in langsamem Schritt ein Rappe und ein zierlicher Goldfuchs zu. Der letztere trug eine junge Danie, die eS sich Wohlgefallen ließ, auf Meilen in der Runde als Königin der Schönheit gefeiert zu werden — von dem männlichen Theil der Bevölkerung heißt das. Dem weiblichen wallte es mit dem besten Willen nicht gelingen, besondere Vorzüge an ihr zu entdecken. Sie batte goldblonde Haare, eine blüthenweiße Haut — wie so Viele, blaue Augen — wie fast Jede, einen durch und durch verfehlten Mund — wie gottlob Keine. So urtheilten die neid- und anspruchs losesten ihrer Mitschwestern, und sie hatten nicht so ganz unrecht. Der Mund war häßlich trotz seiner kirschrolhen Farbe. Erstens hatte die Natur ihm seine Grenzen über die Schönheitslinie hinauSgezogen, zweitens kam er innerhalb dieser Grenzen selten zur Ruhe. Unablässig bemüht, seine Form zu ändern, fand er für jeden Gedanken seiner Herrin eine andere Biegung, und wer ihn einmal während einer lebhaften Con- versation durch alle seine Biegungen verfolgt hatte, der fand das ganze Antlitz häßlich um seinetwillen. Aber es verfolgte ihn nur selten Einer. Gewöhnlich sah er den Mund nicht vor den glänzenden Zahnperlen, die er erschloß und diese wieder kaum vor dem Sterngesunkel der Augen. Was nämlick die blauen Augen betrifft, so war daS Urtheil der Mitschwestern falsch — ihresgleichen hatte keine weit und breit. Sie batten Fräulein Anna von Hellbronn den Königintitel erworben und wenn er ihr nicht gebührte, so konnten die Frauen darüber nicht Richterinnen sein. Sie bekamen das wunderbare, räthselhafte Sterngesunkel, das so viele Herzen rascher schlagen machte, niemals zu sehen. Es offenbarte sich nur Männern und einem Jeden auf eigene Weise. Dem Grafen Günther zum Stein, der eben jetzt neben ihr ritt, hatte es sich auch geoffenbart. Er hatte die Kühn heit gehabt, eS zu seinem Vortheil zu deuten und war nicht als Vermessener zurückgewiesen worden. Sein Gesicht, dessen etwas derbe Züge ein treuherziger Ausdruck verfeinerte und veredelte, war ihr zugewandt, seine Blicke hingen voll leiden schaftlicher Bewunderung an ihrem Antlitz, obgleich eS diese Bewunderung gerade im gegenwärtigen Moment am wenigsten rechtfertigte. Allerlei Grübeleien senkten ihre Lider und verzogen ihr die Unterlippe so, daß der Mund selten häßlicher erschienen war. „Was gebe ich Dir für Deine Gedanken?" scherzte er, al« ihm endlich die blauen Augensterne wieder entgegenflimmerten. „Gar nicht«", lächelte sie, „Du sollst sie umsonst haben. Ich frage mich eben, ob Du und Professor — Professor — sollt« man eS für möglich halten, daß mir ein so berühmter Name immer wieder entfällt?" „Professor Franz Flemming", kam er ihr zu Hilfe. „Richtig", nickte sie. „Ob Ihr Beide, fragte 'ck mick, Euch auch in Freundschaft gefunden hättet, wenn Ihr Euch statt an einer lablo ck'iiöte in Kairo in einem Wiener Restaurant begegnet wäret." „Warum sollten wir nicht?" Ihre Augen blitzten ihn schelmisch an. „Weil Du, mein lieber Günther, von der Malerei ungefähr so viel verstehst, wie ich von der Landwirthschast!" „Ja, siehst Du, ick glaube, das hat mir bei ihm als Empfehlung gedient. Er hatte die Lobhudeleien satt und hier war Einer, der im Leben noch nicht von ihm gehört hatte." „Das hast Tu ihm wohl gar gesagt?!" „Gesagt nicht gerade, aber —" „Verschwiegen auch nicht! Ha, ha, ha! So ein ehr licher Günther!" „Ein bischen HöflickkeitSgeflunker", gab er zu, „ist mitunter sehr nützlich, aber ich bringe cs nun einmal nicht heraus. Mir isrS immer, als thäte ich den Leuten etwas zu Leide damit." „Zu Leide?" Das hellste Erstaunen blickte aus ihren Augen. „Damit, daß ick ihnen zumuthe, sie könnten die Wahrheit nicht vertragen, meine ich." „Ach so!" machte sie mit einem kaum merklichen Kräuseln der Lippen. „Nun, wenn sie unangenehm ist — die Wahr heit — so vertragen die Meisten sie auch nur recht schleckt und am schlechtesten die Künstler. Dein Freund muß eine rühmliche Ausnahme macken." „DaS thut er, Anna. Ein famoser Kerl in jeder Beziehung!" „Wie oft hast Du mir das nun schon wiederholt?" lächelte sie. „Ich bin nachgerade ordentlich ein bißchen begierig geworden, ihn kennen zu lernen. Er kommt doch wirklich hierher!" ^Jch habe eS ihm vorgeschlagen — auf Deinen Rath hin." Sie zuckte empor. „Auf meinen Rath?" stammelte sie, während ihre Augen fick in entsetztem Erstaunen überweit öffneten. „Weißt Du es nicht mehr? Als ich Dir sagte, daß eS ihm auS verschiedenen Gründen in München nicht länger be hage, da meintest Du, er solle es doch mit unserer Residenz einmal versuchen". DaS Blut schoß ihr heiß in Stirn und Wangen. „Und solch' ein gleichgiltig bingeworfenes Wort nennst Du einen Rath?" brauste sie auf. „Daraufhin greifst Du gleich zur Feder, machst mich ahnungsloses Geschöpf verantwortlich —" „Ich glaube gar! Verantwortlich? Ich — Dich? Ein bißcken wirst Tu Deine Meinung von mir doch verbessern müssen im Laufe der Zeit, Anna". „Wenn Du in dieser Sache auch nur meinen Namen ge nannt hättest, so wäre es mir schon fatal!" „Man sollte glauben, eS handele sich nm Leben und Tot, statt nm einen bloßen Wechsel deS Wohnortes! Uebrigens kannst Du ganz ruhig sein. Ick wüßte gar nickt, wie ich es fertig brächte, in einem Brief an den Freund Deinen Namen zu nennen, ohne von unserer Verlobung etwas zu erwähnen — und das darf ich ja nicht". Sie that einen tiefen Atbcmzua und ihr Zorn ver wandelte sich in die bezauberndste Reue. „Ack! Günther", bat sie mit einem schüchternen, kleinen Seitenblick, „sei mir nicht böse! Siehst Du, wenn ich etwas an mir baffe, so ist eS diese abscheuliche Heftigkeit, die mich immer gleich zu den verrückteste» Schlüssen treibt. Wie habe ich schon dagegen angekämpft! Aber eS hilft mir nicktS, ich werte sie nickt los — nein, mein armer Junge, wenn Du mich heiratbest, so beiratbest Du sie mit, darauf mache Dich nur gefaßt." Das hatte so webmütbig geklungen zu AiNang und gegen den Schluß hin so drollig! Nun fragten unter ten dunklen Wimpern hervor die Strahlenaugen so sckelnsitck bang: „Dürfen wir lachen?" und — nun wäre er dock wobl ein Narr gewesen, wenn er nicht selbst gelackt und tie schmale Hand, die sich ihm entgegenstreckte, mit glühenden Küssen bedeckt hätte. „Gott sei Dank, der Friede wäre wieder berzesielll", froblockte sie, dann nach einer Pause: „Wenn er wirklich käme, Dein Freund, so käme er wohl bald?" „Ich denke mir, in der nächsten Docke." „Und Du reisest morgen fort? Schade!" „Ja, wahrhaftig", grollte er, die Stirne in Falten ziehend. „Schade, aus mehr al« einem Grunde! Ich be greife nicht, was ven Vater veranlaßt, mich gerade jetzt nach Hause zu rufen. ES ist absolut nicht» zu thun auf dem Rauhenstein". „Vielleicht ist's langweilig und er sehnt sich nack der Gesellschaft seines einzigen Sohnes". Er zuckte die Achseln und seufzte: „Wenn ick nur wüßte, ob er sich an einem Monat begnügen lassen wird! Länger halte ich's keinesfalls aus — und so lange auch nur, wenn Du mir versprichst, täglich zu schreiben." „Täglich ist rin bißchen viel verlangt." „Anna!" Nun, nun, wir wollrn sehen! Aber riae« kann ich Dir
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