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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.06.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970624027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897062402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897062402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-24
- Monat1897-06
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4ÜS8 licheu Widerspruch stoßen werde. Sn der gestrigen Kammer- sttzung hat bereit» der Sturmlauf gegen da» Palai- begonnen. Der Klerikale Drlbeke stellte eine Anfrage wegen der jüngsten Demonstration und de» Empfangs einer Adresse durch den König und bekämpfte heftig die persönliche Militairpflicht. Urbrr seine AuSjührungen wird uni» weiter gemeldet: * Vrüfstl, 23. Juni. Zum Schluß feiner Rede erklärte Delbrkr, di» Antwort deS Königs hab« die confrrvative Majorität i» Vrr- Wirrung gebracht; einige erblickten darin einen Staatsstreich. Ter Redner bestritt dem Könige das Recht, sich frei über politische Fragen auSzusprechen, welche eine Spaltung im Lande hervor» riefen; die» wäre eine Gefahr für das Königthum. Er wünsche von der Regierung zu wissen, ob die Rede de» Königs in ihrem Wortlaute genau wirdergegeben sei, ob die Regierung bei der Feststellung desselben bethriligt gewesen sei und ob sie die in der Rede enthaltenen tategonschen Erklärungen bezüglich der Mtlitairkrage zu den ihrige» mache. Der Ministerpräsident de Smet de Naher erklärte, dem Könige sei keine Adresse überreicht worden, dagegen sei eine solche bei dem Eastellan deS Palais hinterlegt worden; die Generale, welche von dem Könige empfange» wurden, Hütten nicht an der Kundgebung theilgenommen. (Lebhafte Zwischenrufe.) Ter Redner ging sodann näher auf dir Rede deS Königs ein, die, wie er ouSführte, eine Anspielung enthielt aus deu persönlichen Militairdienst und aus die internationalen Pflichten Belgiens. Doch sei in derselbe» auch die Verwerfung deS Systems der Nation in Waflen enthalten. In der Rede sei keineswegs die Vorlegung eines neuen Gesetzentwurfs erwähnt, sie schließe dagegen den Wunsch aus Einführung deS persönlichen MilitairdiensteS in fich. Tie Regierung sei Anhängerin der Aufhebung der Stell» Vertretung. Die Neutralität lege Belgien Pflichten auf. DieRede weist auch das System des Bolles in Waffen zurück; daS sei auch die Ansicht der Regierung. Der König habe schließlich gejagt, die Nation möge ihre Geschicke selbst regeln. Es sei also un» patriotisch, in der Rede Les Königs Tinge zu juchen, welche nicht darin enthalten sind. Zahlreich« 'Redner nahmen an der Debatte Theil. Schließlich wurde die einfache Tagesordnung mit de» Stimmen der Rechten gegen die Stimmen der Linken angenommen. Nach den Auslassungen deS Ministerpräsidenten könnte rS den Anschein haben, als sei die Negierung mit dem König ein Herz und eine Seele und werde nun die Ansichten des selben energisch vertreten und durchsechten. Dem ist aber nicht so. ES fällt der Negierung gar nicht ein, daraus, daß sie vor der Oeffentlichkeit daS Princip der allgemeinen Wehr pflicht tolerirt, nun auch die logischen Schlußfolgerungen aus ihren Erklärungen zu ziehen. Bor nicht langer Zeit hatte der interimistische KriegSminister als Grund für die dilatorische Be handlung dieser Frage denMangel einer parlamentarischenMebr- heit angegeben. Wenn das Ministerium wirklich Werth auf die Reorganisation der belgischen Heeresverfassung in der beregteu Richtung legte, so würbe es doch wenigstens seiner seits sich bemühen, eine Mehrheit für dieselbe zu Stande zu bringen. Statt dessen legt es die Hande in den Schooß und läßt die Wortführer des UltramontaniSmus im Lande nach Herzenslust gegen die allgemeine Wehrpflicht eifern. Noch weniger fällt eS ihm ein, die Sache an die Wähler zu bringen, und wenn der geschäftSordnungSuiäßige Termin der Neuwahlen kommt, so wissen die Negierungskreise schon aus Erfahrung, wie eS gemacht wird, um unter der Hand den ganzen Verwaltungsapparat zu Gunsten der ultra montanen Opposition gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht mobil zu machen, ohne daß man vor der Oeffent- lichkeit aus der Grenze der strengen Objektivität herauStritt. Dieses Doppelspiel ist dem Eabinet bisher so wohl ge lungen, daß eS sich seine Fortführung sicher nicht nehmen lassen dürste. Deutsches Reich. * verli», 23. Juni. Ueber die Berufung des deutschen Botschafters in Rom von Bülow nach Berlin werden der Münchn. „Allgeni. Ztg." die folgenden interessanten Mit tbeilungen gemacht: „Die Nachricht der „Nordd. Allg. Zeitung-, Botschafter von Bülow sei aus Rom an daS kaiserliche Hoflager gereist und diese Reise dürfte in Zu sammenhang mit dem Gesundheitszustand des StaatSsecretairs Frhrn. von Marschall stehen, war für Manche eine Ueber- raschung, die doch wußten, daß sein Name bei verschiedenen Krisen schon im engeren Kreise genannt worden war. Herr von Bülow wird sich nunmehr zu entscheiden haben, ob er seine persönlichen Bedenken gegen eine Ueber- fiedelung nach Berlin noch länger festhalten kann. Nach der neuesten Wendung der Dinge dürste von ihm als Kanzler der Zukunft wohl für längere Zeit nicht mehr die Rede sein. ES kann sich für ihn nur darum handeln, Frhrn. von Marschall zunächst für die Dauer seines mit Gesundheitsrücksichten begründeten Urlaubs und dann später wohl ganz zu ersetzen. Man darf begierig sein, ob er die ihm zugedachte Sendung anoehmen wird." Bernhard Heinrich Karl Martin von Bülow, Sohn des verstorbenen Staalssecretairs v. B., ist am 3. Mai 1849 zu Klein »Flottbeck in Holstein geboren, studirte 1867—1870 in Lausanne, Leipzig und Berlin Rechts« und StaatSwissenschasten und machte den deutsch-französischen Krieg als Osficirr mit. 1872 bestand er die erste juristische Prüfung und wurde zuerst beim Landgericht und dann beim Bezirkspräsidium in Metz beschäftigt. 1874 trat er in das Auswärtige Amt ein und war danu einige Zeit alS LegationSsecretair in Rom, Petersburg und Wien thätig. Während deS russisch-türkischen Krieges war Herr v. Bülow Geschäftsträger in Athen. Auf dem Berliner Longrrß war er dessen Secretariat beigegeben und wurde dann zweiter, später erster Bot» schastssecretair in Pari» und daraus Botschaftsrat- in Petersburg, wo er namentlich in den Verhandlungen über dir bulgarische Frage in den Vordergrund trat. 1888 wurde er Gesandter in Bukarest. Während seiner dortigen Amtsführuag erfolgte die Annäherung Rumäniens an den Dreibund und der Abschluß des deutsch rumänischen Handelsvertrages. Seit dem Drcember 1833 ist Herr v. Bülow, der mit einer Tochter Mingbetti'S vermählt ist, Bot» schaster am Quirinal, während sein Namensvetter Otto Han- Theodor v. B-, der frühere Gesandte in Berlin, Gesandter am Vatikan ist. DaS Eentrum sieht bereits in Herrn v. Bülow einen neuen „Culturkämpfer- auferstehen. Die „Köln. AolkSztg." schreibt, die Ernennung v. Bülow s zum Nachfolger Marschall'S würde in der weiteren Entwickelung eine kirchenpolitische Bedeutung gewinnen. Herr v. Bülow habe nicht umsonst den Beobachtungsposten in Rom innegehabt und dort mancherlei Beziehungen angeknüpft und Material gesammelt, das er zu verwerthen trachte, falls ein erneuter Versuch uiiternommeu werde, das Centruin unschädlich zu machen. * Berlin, 23. Juni. Ueber die Betheiligung an den preußischen Landlagswahlen verhandelte gestern eine von 2000 Personen besuchte socialdemokratische B olksvers am mlun g im sechsten Wahlkreise. Das Referat f ü r die Wahlbelheiligung hielt der Privatdocent I)r. Leo Arons, als strikter Gegner trat der Abg. Wilh. Liebknecht auf. Als Bortheile der Wahlbelheiligung zählte I)r. Arons, wie wir dem Bericht der „Nat.-Zkg." entnehmen, auf: 1) die Stärkung deS entschiedenen Liberalismus, in weiterer Folge die Vernichtung der Junkerherrschaft; 2) die Entfaltung einer großen principiellen socialdemokratischen Agitation und damit verbunden das Wachsen des socialdemokratischen Ein flusses auf die Wählermassen; 3) die Erringung einer Anzahl Sitze im Abgeorduetenhause, durch die das socialdemokratische Agitationszebiet ganz bedeutend er weitert würde. Der Redner verwies darauf, daß der „Vorwärts" beispielsweise den Eintritt der Socialdemokralen in den bayerischen Landtag mit Jubelhymnen begrüßt habe. (Sehr richtig!) Gegen den Vorschlag des Abg. Auer, der die Socialbcmokraten verpflichten will, ohne jede Entschädigung für die freisinnigen Wahlmänner einzutreten, macht der Referent eine Reihe von Bedenken geltend. Eine erhebliche Zahl socialdemokratischer Wähler ließe sich nur an die Urne bringen, wenn eine Aussicht auf einen socialdemokratischen Sieg vorhanden sei. (Lebhafte Zustimmung.) Die Gefahr, durch die öffentliche Stimmabgabe als Socialdemokraten sich einer Maßregelung auszusetzen, dürfe nicht überschätzt werden, in vielen Kreisen sei das Eintreten für die Freisinnigen ebenso kritisch, vr. AronS empfieblt als zweckmäßig die Ausstellung socialdemokratischer Wahlmänner in allen Kreisen mit ent sprechender Wählerschaft. Bezüglich der Vertoeilung der Mandate müßten die Wahlmänner unter sich Vereinbarung treffen; in vielen Wahlkreisen, wo die socialdemokratischen Stimmen ausschlaggebend seien, könnte man in dieser Weise Mandate erringen. Als Orte, die für diesen Fall in Betracht kommen, führt der Redner auf: Berlin, Königsberg, Danzig, BreSlau, Magdeburg, Halle, Elber feld, Solingen, Hannover und Frankfurt. (Lebhafter Beifall.) Der Correferent Abg. Liebknecht führt anö: Es gebe heute keine große liberale Partei in Deutschland mehr, die gegen die Junker erfolgreich auftreten könne, deshalb müsse er die Wahlbetheiligung bekämpfen. Als Bebel vor dem Kölner Parteitag im Parleivorstande die Frage der Agitation für das allgemeine Wahlrecht bei den Landlagöwahlen an geschnitten habe, sei er (Redner) schon dagegen ausgetreten, weil er die Erfolglosigkeit dieser Bemühungen vorausgesehen habe. Die Socialdcmokratie habe die Massen daran gewöhnt, den Reichstag als einzige ernsthafte Volksvertretung anzusehen, von dieser Taktik dürfe sie nicht abgehen. Wo die Partei obne fremde Hilfe nicht siegen könne, solle sie auf eine Wahlbelheiligung verzichten. Schon vor zwanzig Jahren habe man den von fortschrittlicher Seite gemachten Vorschlag, Bebel ans diese Art in den preußischen Landtag zu bringen, aus denselben Gründen abgelehnt. Die Angst mancher Partei genossen vor den schwarzen Planen der Agrarier, der sogenannte „Blaukoller" (Heiterkeit), sei unberechtigt. Das Schlachtfeld der Partei sei der Reichstag, den preußischen Landtag solle man verfaulen lassen. (Stürmischer Beifall.) Nach den bciven Referaten wurde die Versammlung geschlossen. Die DiScussion soll in der in nächster Woche abzuhaltenden Volksversammlung beginne». — „Ueber die Stumm'sche HerrenhauSrede gegen die Kathedersocialisten" äußern sich die drei angegriffenen Berliner Professoren Delbrück, Schmoller und Wagner in einem soeben veröffentlichten Sendschreiben (Verlag Georg Stilke, Berlin) an den Vertreter der Universität Berlin im Herrenhause, Professor vr. HinschiuS, worin sie ihn er suchen, dem hohen Hause zur Kenntniß zu bringen, daß sämmtliche Stumm'sche Angaben aus Mißverständnissen nach willkürlichen Deutungen ihrer Schriften und Reden beruhen. Die drei Professoren weisen jeder einzeln die Angriffe des Herrn v. Stumm al- durchaus ungerechtfertigt zurück. — DieEndeMai gewählte Commission des Reichs tages für die Novelle zur Gewerbeordnung und zum Kran kenversiche runa Sgesetz trat beute zu ihrer ersten und letzten Sitzung zusammen. Auf Vorschlag deS Vorsitzenden Freiherrn v. Hertling wurde beschlossen, ange ¬ sichts der Geschäft»lage von einer Berathung der Novelle Abstand zu nehmen. — DaS Statistische Jahrbuch für daS deutsche Reich bringt in seinem Jahrgang >897 in gewohnter Ueber- sichtlichkeit Nachrichten über alle die Gegenstände, für welche gleichmäßige und regelmäßige Zusammenstellungen für da» Reich zu erlangen sind. Dieses Mal konnten auch die Er gebnisse derVerufSzählung von 1895 berücksichtigt werden, über die in der Statistik veS deutschen Reichs nunmehr schon drei Bände, betreffend Hauptergebnisse der Zählung für da» Reich (Bd. 102), die Großstädte (Bd. 107) und die kleineren Verwaltungsbezirke (Bd. 109), veröffentlicht worden sind. Auch in anderen Abschnitten, z. B. Justizwesen, Versicherungs wesen, Medicinalwesen, sind Zusätze gemacht. Durch kleine Einsparungen an anderen Stellen ist aber erzielt, daß der bisherige handliche Umfang des Jahrbuchs, 200 Seiten, auf dem seine Beliebtheit mit beruht, nicht überschritten wurde. Die Kartenbeilagen sind in diesem Jahrgange besonders reichlich. — Die Freiheit des Individuums im ZukunftS- staate beleuchtet eine Briefkastennotiz der „Gewerkschaft." Darin erklärt Herr Bruno Pörsch, daß er von „einer der höchsten Stellen der socialdemokratischen Partei eine schrift liche Aufforderung" erhalten habe, seine Mitarbeiterschaft an der „Zeil" einzu stell en. — Der nalionallibcrale ReichStagSabgeordiiete, frühere zweite Vicepräsideiit Ur. Aiirklin, war wegen seines geschwächten Ge» juudheitszustandcs längere Zeit beurlaubt. Gestern ist er wieder im Reichstage erschienen. * Tondcrburg, 22. Juni. Hier ist ein Ausländer wegen Verdachts der Spionage verhaftet worden. Er soll sich bemüht haben, das neue Infanterie-Gewehr, welches probeweise bei dem in Sonderburg garnisouirenden Bataillon des Füsilier-NegimentS Nr. 86 eingeführt ist, zu erwerben. Der Betreffende habe einem Uuterofsicier für die Beschaffung eines Gewebrü eine beträchtliche Geldsumme angeboten. Der Uuterofsicier habe die Sache seinen Vor gesetzten mitgetheilt. * Schwerin, 23. Juni. Heute Mittag trafen die Erb- großherzogin Wittwc von Sachsen-Weimar und Prinz Bernhard von Sachsen-Weimar, heute Abend 9 Uhr der Großherzog und der Erbgroßherzog hier ein. * Brombcrg, 23. Juni. Unter dem Vorsitz des Ober präsidenten v. Bennigsen nimmt, wie beni „B. T." ge meldet wird, eine Moorcultur-Commission Güter besichtigungen im hiesigen Bezirk behufs Einführung von Neuerungen vor. * Dortmund, 22. Juni. Der Ausschuß für die B i Sm a rck- feier auf Hobensyburg erläßt folgenden Aufruf: „Westfalen! Landsleute! Mjährlich, wenn der Frühling seinen Einzug gehalten hat in die deutschen Lande, wenn Wald und Flur im frischen Blätter- und Vlüthenjchinucke prangen, dann gedenken Hunderte und abermals Hunderte westfälischer Männer und Frauen jenes wunderbar schönen Maicntages, an dem cs ihnen vergönnt war, einzuziehen in de» herrliche» Sachjenwald, um ihm, dem Ein» zigcn aus glorreicher Zeit, den Dankesgruß der rothen Erde dar zubringen. Unvergessen lebt in uns Allen die Erinnerung fort an jenen großen Augenblick, da wir seine ehrwürdige Greisengestalt vor uns hinlretcn Iahen auf den Altan seines einfachen Landhanjes, da wir hincinschaue» dursten in das gewaltige Auge, das ein Menschenleben lang über des Vaterlandes Wohl gewacht hatte, und lauschen seiner Stimme, aus die Jahrzehnte hindurch «hie Völker Les Erdballs gehört hatten. Was war natürlicher, als daß schon kurze Zeit später der Wunsch ausgesprochen wurde und lebhaften Anklang fand, in jedem Jahre eine ErinnerungSseier an diese Fahrt zn veranstalten, und welcher Punct unserer schönen Heimathsprovinz könnte sich dazu besser eignen als unsere alte, sagenumwobene Hohensyburg, dort, wo nun bald sein erzgegossenes Bild neben demjenigen seines kaiserlichen Herrn gen Himmel ragen wird, ein Wahrzeichen westfälischer Treue und Dankbarkeit. Groß» artig war die letzte Feier am 3. Mai v. I. Sorgen wir dafür, daß die diesjährige am Nachmittage des 26. Juni sich sehr würdig anschließe! Schütteln wir ab, und sei es auch nur auf kurze Zeit, den Staub deS Alltagslebens! Weihen wir einige Stunden frohen Gedenkens der großen Vergangenheit! Zeigen wir durch recht zahl reiches Erscheinen, daß wir ihm, unbekümmert um der Zeiten Getriebe, die alte westsälische Treue bewahrt haben! Hoch Bismarck alle Zeit!" * Sonneberg, 23. Juni. Bei den heutigen Stadt verordnetenwahlen unterlagen wiederum die Socia- listen. (B. T.) * Wiesbaden, 23. Juni, 11 Uhr Abends. Nach nun mehriger Feststellung wurden bei der heutigen ReichstagS- stichwahl für Wintermeyer (freis. Volksp.) 13282, für von Fugger (Centr.) 8l34 Stimme» abgegeben. Es fehlen nur noch kleinere Dörfer. * München, 23. Juni. Herr v. Tausch, schreibt das „Bild.", beglückt z. Z. München mit seiner auszeichnenden Gegenwart. Oesterreich-Ungarn. Streik. * Ära;, 23. Juni. In Steiermark droht ein allge meiner Brauarbeiter streik. Bereits streiken die Arbeiter der Brauerei ReininghauS in Graz, Götz in Mar burg, Göß bei Leoben und Farrach bei Zeltweg. Frankreich. Ein TchwurserichtSurthekk * Part», 20. Juai. Die Geschworenen von Epinal sprachen dieser Tage eine Bäuerin frei, die geständia war, ihr vierjähriges Söhnchen Paul durch fürchterliche Mißhand lung langsam zu Tode gemartert und, da da» Kind nicht rasch genug starb, zuletzt mit einem Holzschuh todtgeschlagen zu haben. Der Verkündigung des Wahrspruches folgten un erhörte Auftritte. Die Zuhörer brachen in ein Wuthgeschrei gegen die Geschworenen aus, deren Obmann stammelte, sie hätten sich geirrt, sie hätten geglaubt, durch Verneinung der Schuldfrage bloS ein TodeSurtheil, nicht aber die Verurthei- lung zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe zu verhindern. Der Gerichtshof zog sich schleunigst zurück, statt Ordnung zu schaffen, uod nun fiel daS Publicum über die Ge schworenen her und prügelte unbarmherzig alle, deren eS sich bemächtigen konnte. Nebel zerschlagen, gaben die weisen Geschworenen Fersengeld, wurden aber auch noch auf der Straße verfolgt. Bor dem Gerichte warteten Frauen aus die freigesprochene Mörderin. Als sie erschien, stürzten sie sich auf sie, warfen sie zu Boden und suchten sie in Stücke zu reißen. Um sie zu retten, mußten die Gendarmen sie -erauShauen und wieder im Gefängniß unterbringen. Sie wurde dann später in unauffälliger Weise freigelaffen, ist aber jetzt, wie aus Epinal gemeldet wird, wieder verhaftet worden, um sich nunmehr vor dem Zuchtpolizeigericht wegen Mißhandlungen Les getödteten Kindes zu verantworten. Dieses Mal ist sie einer harten, wenn auch bei Weitem nicht hinreichenden Bestrafung sicher. (Frkf. Ztg.) Belgien. Die S-rachenfrage. Die Concurrenz der belgischen Landessprachen — Vlämisch, Französisch, Deutsch — ist, soweit es sich um den dienstlichen Gebrauch derselben im Verwaltungswege handelt, durch Ministerialerlaß soeben dabin geregelt worden, daß in den vlämischen Landestheilen, Brüssel einbegriffen, die vlä- mische Sprache de» Vorzug vor der französischen haben soll, während in den wallonischen Landestheilen der französische Text dem vlämischen vorausgeht. Alle öffentlichen Berannl- machungcn erscheinen grundsätzlich in beiden Sprachen; wenn sie ausschließlich oder überwiegend die vlämischen LandeStheile betreffen, so geht der vlämische Text vor, sonst der fran zösische. In den an Deutschland bezw. Luxemburg grenzenden Landestheilen, wo die deutsche Sprache im Gebrauche ist, wird den Bekanntmachungen und dienstlichen Aufschriften die deutsche Uebersctzung hinzngesügt. Großbritannien. Tas Jubiläum. * London, 23. Juni. (Ausführlich.) DaS Oberbau» versammelte sich heute Mittag, um sich nach dem Buckingham- Palaste zu begeben und der Königin eine Glückwunsch adresse zu überreichen. Die Sitzungen wurden bis nächsten Dienstag vertagt. Im Unterhause, welches zu dem gleichen Zwecke zusammcngetreten war, theilte der Sprecher Gully, welcher seine AmtStrackt angelegt batte, mit, er habe von dem italienischen Botschafter ein Schreiben erhalten, worin derselbe berichte, er sei von der italienischen Negie rung angewiesen, dem Unterhonse einen telegraphischen Auszug aus den Vorgängen in der gestrigen Sitzung der italienischen Deputirtenkammer mitzutheilen. DaS Tele gramm lege die Thcilnahme des italienischen Parlaments an den Kundgebungen der großen, englischen Nation dar und berichte von der Annahme einer Resolution, welche die Sympathie deS italienischen Volkes für Len Jubel der großen englischen Gemeinschaft, der Lehrmeisterin der Freiheit, über die lange Herrschaft der Königin Victoria und warm ge fühlte Wünsäw für deren lange und blühende Fortdauer zum Ausdruck bringe. Der Sprecher berichtete sodann, auch von dem Präsidenten deS Senates von Argentinien fei ihm eine Mittheilung zugegangen, wonach der Senat in seiner gestrigen Sitzung beschlossen habe, dem englischen Volke und der Königin Victoria die herzlichsten Glück wünsche zu übermitteln. Balfour bemerkte, er glaube, ein formeller Antrag, daß der Sprecher eine entsprechende Antwort absende, sei unnöthig, da dies ohnehin geschehen werde. Harcourt erklärte, jede Partei des Hauses sei befriedigt über die Mitthcilung jener großen Nation, an deren Entwickelung zur Freiheit England so großen Antheil genommen habe. Die Mitglieder des Hauses schlossen sich nunmehr zu einer feierlichen Procession zusammen, ebenso die Mitglieder deS Oberhauses, und beide Häuser zogen gemeinsam nach dem Buckingbam-Palast. Die Mit glieder des Unterhauses folgten größtentheils zu Fuß der alten Staatscarosse des Sprechers, welche die officiellen Insignien trug. Eine große Menschenmenge hielt die Straßen besetzt, welche der Zug passirte. Nach Ueberreichung der Adressen kehrten die Mitglieder des Unterhauses nach dem Parlamentsgebäude zurück. Der Sprecher verlas nunmehr die Antwort der Königin auf die Adresse, in der dieselbe ihren Dank auösprach. Sie sei tief bewegt von den zahlreichen loyalen und liebevollen Kund gebungen, die ihr bereitet seien, und aufrichtig erfreut nicht versprechen, daß wir dem Herrn Professor Flemming irgend welche Gastfreundschaft gewähren werden, nämlich..." „Was heißt das?" „Du kennst ja den Großpapa mit seinen hunderttausend Eigenheiten. Zu diesen gehört, daß er im Allgemeinen die Künstler nicht leiden kann — und im Besonderen Deinen Freund nicht." „Mein Gott! er kennt ihn ja gar nicht!" „Persönlich nicht, aber au» seinen Gemälden doch einigermaßen." Er wiegte in sprachloser Verwunderung den Kopf hin und her, während sie mit einiger Hast fortfuhr: „UebrigenS verliert er, wie Du weißt, an unseren langweiligen Dienstag abenden nicht viel und anderwärts wird man ihn dafür mit doppelter Freude willkommen heißen — bei Wenheim'S zum Beispiel." ES schien, als seien ibr die letzten Worte unversehens entschlüpft, denn sie biß sich hinterher auf die Lippen, that auch einen erschrockenen Blick in ihre« Begleiter» Richtung. Dadurch eben ward er erst aufmerksam. „Weshalb gerade bei Wenheim'S?" fragte er. Sie zuckte abgewandten Gesichtes die Achseln. „Weshalb, Anna?" „Wie neugierig Du bist!" fuhr sie lachend herum: „Wenn r» nun ein Geheimniß wäre?" „Ich will aber keine Geheimnisse zwischen Dir und mir!" „Du willst?! Ha, ha, ha! Hörst Du'», Polly?" Sie kitzelte ihrem Pferde mit dem PeitschenenLe die Ohren, daß e» einen ärgerlichen Seitensprung machte. „Kaum acht Tage bin ich, so ganz in der Stille, mit dem Mann hier verlobt und nun will er schon!" . „Komm', Anna, sag' mir'»! Tbu' mir den Gefallen!" „Aba! DaS klingt manierlicher! Nun, weil Du «S bist, Günther — aber DiScrrtion ist Ehrensache." Sie drängte ihr Pferd an da» seine hinan, ließ die blauen Jrrwischaugen über sein Gesicht hintanzen und lachte ihm in'» Ohr. „Er hat e» Irma von Wenheim angethan — Drin Freund nämlich." „Nicht möglich!" „Doch, doch! Den „Tanz der Salome" aus der letzten Ausstellung sehen und sich in deu Maler verlieben, war für sie da» Werk eine» Augenblick» — seine Photographien kaufen, sie in ihr beste- Medaillon stecken, war die natürliche Folge. Jetzt trägt sie den berühmten Mann in und auf dem Herzen.' „Nicht möglich", wiederholte er kopfschüttelnd. „Ich weiß eS bestimmt, ihr Herz ist —" „Im Hochland", lachte sie, „im bayerischen? Gewesen, Günther, gewesen! I^es ubseuts out touzours tort." „Und das sagst Du Einem, der Dich auf Wochen, auf Monate vielleicht verlassen muß!" fuhr er in eifersüchtiger Regung auf. „O! ich persönlich halte eS nicht mit den leichtfertigen Franzosen, sondern mit Len soliden Engländern: äckseuce malces tbö iieart grorv tovcker! .. ." „Du wirfst es lachend hin? Anna? Wenn ich wüßte, daß eS Dir mit den Worten nicht ernst wäre, ich — ich —" Heftige Bewegung erstickte seine Stimme. Da kehrte sie ihm ein total verändertes Antlitz zu. Jeder Zug, der ewig ruhelose Mund ausgenommen, schien erstarrt in tiefstem Seelenschmerz. „Günther", stieß sie in bebenden Tönen hervor, „Du zweifelst an mir!" Mit etwas wie einem Schluchzen in der Kehle wollte sie sich wieder abweuden, aber ihn hatte die Reue bereits gepackt. „Anna!" flehte er, „Geliebte, vergieb!" Er haschte nach ihrer Hand, doch sie entzog sie ihm mit traurigem Kopfschükteln. „Wenn Du mir nicht vertrauen kannst", seufzte sie, „so ist Alle» au»!' Er verschwor sich hoch und theuer, daß er ihr ver traue, daß er an sie glaube, wie an die himmlische Seligkeit, aber es dauerte doch einige Minuten, bis ihm die Sonne wieder strahlte. „Wovon redeten wir gleich?" grübelte sie dann. „Ach so! Ich erinnere mich! Von Deinem Malerfreund und meiner theuersten Irma. Weißt Du waS, Günther? Sie ist wunderschön." „Wirklich?" zweifelte er mit einem Blick, der auf dieser Erde nur eine Wonderschönheit anerkannte. ,,Ja, wirklich, Du magst rS nun finden oder nicht, aber sie ist wunderschön und sie wird ihn bezaubern, denn — sie hat etwa» von seiner Salome." „Ob sie ihn dann bezaubert", lächelt« er, „oder nur in unangenehmer Weise an ein wenig tugendhaftes Modell er innert, das ist noch sehr die Frage." „Wenig tugendhaft?" sagte sie mit dem Ausdruck kindlichster Harmlosigkeit. „WaS sagt man ihr denn nach?" Und al» er verlegen schwieg: „Sie hat wohl gar — schon im Gefängniß gesessen?" „Laß' sie, Geliebte", stieß er hastig hervor. „Sie ist nicht Werth, Laß Du einen Gedanken an sie verschwendest." Ehr liche Rötbe in den Wange», wandte er sich ab. Auch sie wandte sich ab, aber nm ein Lächeln zu verbergen. „Trotz alledem und alledem", Hub sie nach einer Pause in überzeugtem Tone wieder an, „muß sein Ideal dieser Salome sehr ähnlich sehen, sonst hätte er sie nicht so gemalt." „Sein Ideal einer schönen Teufelin — Las mag sein, aber sein Frauenideal, ein Weib, das einen Mord im Sinne hat — wo denkst Du hin?" „Maler haben mitunter absonderlichen Geschmack", ent gegnete sie mit gleichmüthigem Achselzucken. „Mir schwebt etwas von Einem vor, der sich auf dem Wege nach dem Schaffst in die Charlotte Corday verliebte." „Cbarlotte Corday und die Tochter des Herodias nennt man nicht in einem Athen«." „Ich finde keinen großen Unterschied. Gemordet haben sie Beide — die Corday sogar eigenhändig. — Doch das ist Nebensache. Ich bleibe bei meiner Ueberzeugung, daß Dein Freund an meiner Irma Gefallen finden wird." „Wenn Du dann nur keine Enttäuschung erlebst!" „Warum sollte ich? So gieb mir wenigsten» einen Grund an!" „Nun denn, sie ist brünett und er schwärmt einmal nicht für brünette Frauen." „Aha! da hat ihm sicherlich eine hübscht Blondine den Kopf verdreht!" „Wer sagt das? Ich nicht!" verwahrte er sich erschrocken. „Auf Drin Ehrenwort, nicht?" rief sie und hob scherzhaft drohend den Finger. „Nun, jedenfalls sage ich nichts mehr!" entgegnete er ärgerlich. „Nein, Anna, Du machst mir ganz vergebens solch schöne Augen. Es käme einem Vertrauensbruche gleich." „Jetzt wäre eS an mir, zu erklären: Ich will aber keine Geheimnisse zwischen Dir und mir!" „Es ist nicht mein Geheimniß, Anna, sondern daS meine» Freunde»!" „Und dasjenige, WaS ich Dir großmüthig preiSgab, war auch nicht mein Geheimniß, Günther, sondern das meiner Freundin. Aber Tu brauchst vor mir keine Angst zu haben — durchaus nicht. Ich werde nicht weiter in Dich dringen. Wozu auch? Ich weiß ja jetzt genug, um in tiefster Seele betrübt zu sein — um Jrma'S willen. UebrigenS — wenn ich es recht bedenke - so hätte ich eS längst wissen, oder doch ahnen können. Alle seine ersten Bilder schwatzen ja au» der Schule. Da ist eine blonde Helena vom Paris entführt — eine blonde Nansikaa mit ihren Ge spielinnen und wenn ich nicht irre — nein, ganz gewiß ist auch die Beilchenverkäuferi» blond, die der Großvater damals für schweres Geld erstand, weil —" „WaS sagst Du?" fiel er ihr staunend in die Rede, „die Veilchrnverkäuferin?" „Ungemein schmeichelhaft für Deinen Freund, mein lieber Günther, daß Du Dich auch nachträglich nicht einmal nach seinen Erfolgen erkundigt hast!" lachte sie spöttisch auf. Die „Beilchenverkäuferin" war gerade daS Bild, welches seinen Ruhm begründete. Leider wurde eS der öffentlichen Be wunderung allzu rasch entzogen. In vier — fünf Galerien hatte es Aufsehen erregt, — da kam es in unsere Stadt und der Großvater — ick muß noch immer lachen, wenn ick an den Tag zurückdenke! Der Großvater trifft nämlich zufällig aus der Straße mit dem Statthalter zusammen und der macht sich Le» Spaß, ihn in'S Künstlerhaus zu führen, nölens volens. Ich kann mir unseren Alten lebhaft vor stellen, wie er verdrießlich durch die Säle stampft und mit verächtlichem Blick über das alberne Gekleckse an den Wänden binstreift, bi» auf einmal die „Veilchenverkäuferin" in seinen Gesichtskreis geräth. Ob er bei dem Anblick kalkweiß oder kupserroth ward, weiß ich nicht, jedenfalls aber kehrte er schäumend vor Wuth heim und tobte den ganzen Nach mittag." „Warum in aller Welt?" „Ich, als sechzehnjähriger Backfisch, wurde nicht in» Ver trauen gezogen, aber aus abgerissenen Reden unv aufge- schnappten Worten entnahm ich, daß in der berühmten „Beilchenverkäuferin" die Schande unserer Familie öffentlich zur Schau gestellt sei. Furchtbar neugierig machte mich dies aus daS Bild, und noch denselben Nachmittag wäre ich heim lich zur Galerie gelaufen, wenn ich die fünfzig Kreuzer Eintrittsgeld nur hätte erschwingen können, aber sie hielten mich so abscheulich knapp, die Ellern! Ein paar Tage später entpuppte sich der Großvater zum Erstaunen seiner ganzen Bekanntschaft al» Kunstmäcen. In allen Blättern stand eS zu lesen, daß er de« genialen Flemming entzückende Beilchenverkäuferin um den Preis von achttausend Gulden erworben habe. Natürlich kam uns nun die Neugierde nur so in La- HauS geströmt, allein zu schauen gab eS nicht». DaS Kunstwerk befand sich auf dem Wege nach Heilbronn." (Fortsetzung folgt.)
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