Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.06.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970626012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897062601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897062601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-26
- Monat1897-06
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
32V Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/.? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um b Uhr. NeLaction und Erveditio«: JohanneSgasse 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: ktt» Nie mm's Lortim. (Alfred Hahn), UaiversitätSstratze 3 (Paulinum), Lauts Lösche, katharinenstr. ^4, pari, und VSni-»pl«tz 7- BezugS-PreiS Al der Hauptexpedition oder den Im Stadt« bezirk und den Vororten errichteten Au«<- «nl »stellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.SO, bet zweimaliger täglicher Zustellung In» LauS 5.50. Durch dir Post bezogen für Leutschland und Oesterreich: vterteilädrlich ^l 6.—. Direkte tägliche Kreuzbaudiendung in» Au-land: monatlich ui» 7.50. Morgen-Ausgabe. leipMr TaMalt Anzeiger. Amlsösaü des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nolizei-Ämtes der Ltndt Leipzig. Sonnabend den 26. Juni 1897. Anzeigen-PrelS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. -irclamen unter demRedactionSstrtch (4ga> spalten) 50^, vor den Aamiliennachrichtr» (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem PreiS- verzrichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Ktra-Veilageu (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuag ^l SO.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß fLr Jlttzeigen: Abend-AuSgabe: vormittag» 10 Uhr. Morg«n-Au»gab«: Nachmittag« »Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halb« Stunde früher. Anzeigen sind stet» au die Erpedtti«« zu richten. Druck und Verlag von E. Pol» tu Leipzig. 91. Jahrgang. Die innere Lage beim Neichstagsschluß. K Heute ist der Reichstag geschlossen worden. Seiner gesetzgeberischen Thätigkeit haben wir bereit« bei der letzten Vertagung an dieser Stelle zusammenfafsend gedacht. Es ist nachzutragen, daß er die Zahl seiner Leistungen in dieser Woche noch um das Handwerker-Organisationsgesetz, die Bewilligung von Geldern für Erneuerung von Artillerie material und ein Besold» n gSgesetz bereichert hat. Diese Gegenstände sind oft genug erörtert worden und der end- giltige Text des Handwerker-Gesetzes wird in seinen wesentlichen Bestimmungen gesondert zu behandeln sein. Dem Reichstag aber vom politischen Standpunct rin Attest auszustellen, fehlt die Lust. Das Zeugniß würde sehr ungünstig ausfallen müssen und daS Gerechtigkeitsgefühl läßt den Tadel wider einen GesetzgebungSfactor verstummen, dessen Unbrauchbarkeit im Grunde genommen doch erst durch die Fehler des anderen Factors vervollständigt wird. Es ist leicht gewünscht: je weniger selbstbewußt die Negie rung, desto ziclbewußter sollte die Volksvertretung sein. Aber die Erfüllung scheitert an dem politischen Naturgesetze, daß das wählende Volk wie seine gewählte Vertretung der Führung durch die Regierung bedarf. Man kann nicht einmal sagen, daß sich unser politisches Leben in einem fehlerhaften Cirkel bewege, daß, weil die Regierung schwach sei, der Reichstag nicht zu förderlichem Wirken gedrängt werden könne und daß ferner, weil der Reichstag versage, die Regierung nichts zu schaffen vermöge. Nur der erstere Satz besteht vor den Erfahrungen der Geschichte. Einem Machthaber, der mit Zielbewußtsein und Kraft die Fähigkeit, sich dem StaatSwohle unterzuordnen, verbindet, wird das deutsche Volk trotz des allgemeinen Wahlrechts nicht auf die Dauer ein Parlament verweigern, mit dem er seine gesunden Pläne der Verwirklichung zuführen kann. Unter Kaiser Wilhelm I. ist der Reichstag zweimal aufgelöst worden, beide Male mit dem gesuchten Erfolge. Unter seinem Enkel hat die Nation überhaupt erst zweimal gewählt; darf man behaupten, sie hätte dabei sich gegen eine positive Politik entschieden? Nein. Ueber die Wahlen von 1890 wird sich Kaiser Wilhelm II. schon deshalb nickt beklagen dürfen, weil sie eine Mehrheit gegen den Fürsten Bismarck brachten, die dem Monarchen willkommen war und bei seinem damaligen Vorhaben willkommen sein mußte. Dies Verdienst ist kein Verdienst in unseren Augen. Aber jener fast gleichzeitig mit dem neuen CurS geborene Reichstag hat auch eine HeereSverstärkung bewilligt. Einer zweiten von ihm geforderten hat er sich allerdings widersetzt, aber inzwischen waren drei Jahre hingegangen, auSgesüllt mit Fehlern aller Art. Die Parteien, auf welche die nationale Politik der Regierung sich sonst gestützt hatte, waren künstlich in einen tiefen Gegensatz zu einander gebracht und zum Theile von dem Vollstrecker deS kaiserlichen ÄillenS schroff zurückgestoßen worden. Die Partei aber, die nun als Trägerin einer positiven Politik heranaezogen werden sollte, „versöhnt" werden sollte, hatte nichts Besseres erfahren, sie war ohne jede Noch mit einer großen Hoffnung erfüllt und dann enttäuscht worden. Alles im Volke war an Allem, was es als Natürliches und Feststehende« hinzunehmen gewohnt war, irre gemacht worden. Und dennoch: als gegen jenen Reichstag an die Nation appellirt wurde, rechtfertigte sie abermals wenigstens rum Theile die in sie gesetzte patriotische Erwartung. Ueber den gegenwärtigen Reichstag mit seinem schmach vollen 23. Marz 1895, seiner frivolen Behandlung der Flottenfrage, seiner dauernden Beschlußunfähigkeit und kläglichen Leitung brauchen wir kein Wort zu ver lieren. Aber die Wähler, die ihn nach Berlin entsandt, haben die Hauptfrage, die ihnen vorgelegt war, im Sinne der Regieruug, des Kaisers beantwortet. Auch dieser Reichstag hat eine HeereSverstärkung bewilligt, eine mit außerordentlichen Opfern an Gut und Menschen kraft verbundene HeereSverstärkung, mit nur sehr geringer Mehrheit allerdings und unter Verweigerung der Mehrzahl der verlangten neuen Einnahmequellen für die neuen Ausgaben. Aber hinsichtlich dieser Steuern war die in der Wehrfrage festgebliebene Regierung schwankend geworden und die Regierenden sind eS auch weiterhin gewesen, die, statt den AuflösungSproceß, der sich sofort nach der Erledigung des Armeegesetzes im Reichstage zu zeigen begann, zu hemmen, ihn durch zahllose widerspruchsvolle Worte und Handlungen sowie durch beunruhigende Kundgebungen der verschiedensten Art begünstigten. Auch der Fürst Hohenlohe war trotz seiner, daS Können seines Vorgängers weit überragenden StaatS- klugheit außer Stande, die bessernde Hand an das Grund übel deS politischen Lebens zu legen. Für die Ablehnung zweier Kreuzer, um das zeitlich nächst liegende Beispiel der nationalen Leistungsunfähigkeit des Reichstages heran zuziehen, sind keineswegs die Wähler von 1893 und die MehrheitSvarteirn jedenfalls nicht allein verantwortlich zu machen. Dem nationalen Uebelwollen ist von oben herab die Negation erleichtert, dem guten Willen die Bethatigung erschwert worden. Und wie ist die Lage heute, bei Sessionsschluß, wo wir zwar nicht unmittelbar vor Neuwahlen, aber am Beginn einer Periode stehen, in der so ziemlich Alles auf die spätestens im Juni 1898nothwendige Erneuerung deSReichStagS zugeschnitten sein wird? Verworrener als je. Die Caprivi'sche Weisheit, unter die Parteien, deren Zusammenwirken jede deutsche Regierung bedarf, mit der Pistole zu schießen, ist getreulich copirt worden und mit dem früheren Erfolge. Die Novelle zum preußischen VereinSgesetz kommt nicht zu Stande. Die Beschlüsse, die daS Herrenhaus unter Zu stimmung, ja auf Anregung der Regierung fassen wird, werden in der gewählten Kammer milsammt deren eigenen Beschlüssen zu Boden fallen. DaS preußische VereinSgesetz bleibt also wie es ist. Aber die „Kreuz-Zeituna" konnte vorgestern schreiben: „Nach der Erklärung der National liberalen, weitere Zugeständnisse nach der Richtung der Re gierungsvorlage nicht zu machen, wissen wir genau, woran wir sind, insbesondere können wir jetzt die Nationalliberalen nicht mehr zu denjenigen Parteien rechnen, die den Umsturz parteien ernsthaft zu Leibe gehen wollen. Wir werden uns das bei den Wahlen merken." Dieser Ausspruch hat nun freilich vom konservativen Standpunkte aus keinen Sinn. Ein wirklich konservativer Mann kann doch nicht, um die Nationalliberalen wegen ihrer Stellung zur Vereinsgesetznovelle zu „strafen", für einen dieser Novelle noch feindseligeren Centrumsmann oder gar für einen Demokraten stimmen. Und selbst Fürst Bismarck, den die Conservativen doch nicht werden von sich ab schütteln wollen, hat erklären lassen, die Regierungsvorlage sei unannehmbar, weil sie gegen staatstreue Parteien ge richtet werden könne, und die freiconservative Umgestaltung des Entwurfs zu einem Ausnahmegesetz sei nur im Reiche zu bewerkstelligen. Aber Sinn oder Unsinn, der „Kreuzztg." und ihrer Truppe, die ihre Hauptaufgabe in der Zerstörung deS Einvernehmens zwischen der conservativen und der ge mäßigt-liberalen Mittelpartei erblicken, ist durch die mit dem Namen des Herrn v. d. Recke gedeckte Action daS Spiel er leichtert worden. Dasselbe geschah 1892 durch die Zedlitz'sche Schul vorlage und insoweit hat die gegenwärtige Lage ihres Gleichen gehabt. Beispiellos wird sie aber durch die „Regierungs reform"-Action, ein Bühnenstück, dem beizuwohnen man daS Publicum förmlich gepreßt hat und daS mi Hand umdrehen auS einem politischen Schauspiel eine Tragi komödie geworden ist. ES steht fest und wird durch die Ab leugnung der demokratischen Presse nur bestätigt, daß die Berufung des Herrn vr. v. Miquel auS Wiesbaden auf Anregung deS Reichskanzlers geschehen und daß die ge führte Unterredung zwischen den beiden Staatsmännern eine aussichtsvolle gewesen ist. Wenn heute, nach wenigen Tagen, ihr Einvernehmen unverkennbar eine Lockerung erfahren hat, so muß man da« einer Dazwischenkunft von dritter Seite zuschreiben. jUnd wenn esg—- Fürst Hohenlohe ist hingebend und Herr v. Miquel zähe — morgen wieder gefestigt sein sollte, so hätte daS gerade so viel Bedeutung, wie die ersten rasch zu nichte gemachten Abmachungen. Das, was man heut zutage Potitikmachen nennt, ist eben nichts Anderes, als daS ewige Drehen eines Kaleidoskops. Wir sehen jeden Augenblick etwas Anderes, aber am Ende bleibt, wie merk würdiger Weise gerade dasjenige Blatt, daS zuerst von einem zwischen dem Kaiser und Herrn v. Miquel „vereinbarten" Programm zu melden wußte, nunmehr und glaubwürdiger phrophezeit, Alles beim Allen. Von einem vereinbarten Programm kann die Rede ebenso wenig, wie von einem persönliche» sein. Herausgefordrrt durch die Bezugnahme deS Frhrn. v. Zedlitz auf ein in Lea Reden von Bielefeld und Köln angeblich enthaltenes Programm siebt sich auch die „Nat.-Ztg." zu der Meinungsäußerung ver anlaßt, die wir schon vor mehreren Tagen für angezeigt erachteten, daß nämlich jenen gelegentlichen kaiserlichen Kund gebungen nun und nimmermehr der Charakter eines Programms zukomme, noch im Volke beigelegt werde. DaS Berliner Blatt nennt die entgegengesetzte Behauptung eine „servile" Unwahr heit und mag Recht haben, insoweit jie von einem Beamten her rührt, der noch eine Laufbahn vor sich hat. Auch diejenigen conservativen Organe, die sogar ein „umfassendes, vollkommen klares" Programm gehört haben wollen, erscheinen zunächst „servil". Der Zweck ihrer Patrone ist aber ohne Zweifel, sich durch geheuchelte Unterwürfigkeit und Bewunderung zu Herren deS Monarchen emporzuschwingen. Und in der Thal, wenn überhaupt etwas zu berechnen wäre, so würde der volle Erfolg einer ohnehin stets an Einfluß gewinnenden, mit den politischen Namen der Conservativen sich deckende« Hof partei daS Einzige sein, was man vorhersehen könnte für den Fall, daß einmal nicht mehr Alles beim Alten bleiben sollte. Diese Perspective mag für den kleineren Theil der conservativen Führer verlockend sein, für die Mehr zahl der Anhänger der Partei ist sie es sicher nicht. Und so besteht, wenn nicht binnen einem Jahre ein Wandel, an den Niemand mehr zu glauben wagt, sich vollziehen sollte, die trübe Aussicht, daß bei der dritten allgemeinen Abstimmung unter Wilhelm II. die Mehrzahl der Wähler mit Bewußtsein einen Reichstag bilden werde, der von vornherein ist, zu waö die Parlamente von 1890 und 1893 gemacht worden waren. Der erste Wahltag bei der Stichwahl in Wiesbaden wird vorbildlich für die nächsten Hauptwahlen werden. Die Demagogie aber mache man für diesen AuSgang nicht allein verantwortlich. Sie lebt sich auS, wie sie eS ihrer Natur nach muß auf einem Nährboden, wie man ihn ihr geschaffen. Feuilleton. Die Volkspoesie in unseren afrikanischen Colonien. i. DaS Interesse für unsere Schutzgebiete ist ein großes und eS ist daher leicht begreiflich, daß alle Veranstaltungen, die geeignet sind, unS mit den Bewohnern unserer Colonien bekannt zu machen, empfänglichen Boden finden. Das zeigt sich in dem Eifer, Alles zu lesen, waS über die Colonien, im Besonderen über Afrika, geschrieben wird, Alles zu sehen, was uns unternehmende Leute auS dem schwarzen Erdtheil von Völkertypen vorsühren und Alles zu essen und zu trinken und zu rauchen, was unS die weiten Plantagen an Cacao, Kaffee und Tabak jetzt freilich noch in geringer Menge, liefern. Aber mit dieser Kenntniß rein äußer licher Zustände ist wenig gethan. Ueber die Verfassung der Eingeborenen, über ihre Sitten und über ihre Poesie ist wenig Material vorhanden oder doch so zerstreut, daß eS schwer hält, sich ein Bild von dem Geiste der Völker zu machen. Man muß deshalb Alle- mit Freude begrüßen, WaS uns jene sogenannten und oft angestaunten „Wilden" in ihren intimen Verhältnissen zeigt, was uns die Pforte zu einem Theile ihre« Geistesleben« öffnet und uns in ihr Gemüth sehen läßt. Nichts ist hierzu mehr geeignet, als die Dichtungen und Erzählungen jener Naturvölker und eS ist ein Verdienst des Secrrtairs der Deutschen Colonial- Gesellschaft A. Seidel, daß er uns in seinem Buche*) eine Auslese auS dem Geistesschatz der Bantuvölker, die für uns in Betracht kommen können, bietet. ES ist freilich nicht viel, denn die meisten unserer Schutz völker befinden sich auf «Hier niedrigen EntwickelungSstufe, aber immerhin ist daS, was Seidel unS giebt, groß genug, um einen Begriff von der Anschauungsweise der Eingeborenen zu erhalten. Was aber zuerst auffällt, daß ist die weiche Stimmung, die sich in allen Märchen, Erzählungen und Sprichwörtern äußert, und auch die Lieder zeigen wenig von dem kriegerischen Wesen, daS doch wenigsten« einigen jener Stämme eigen ist. Ebenso ist von der Habgier und der Verschmitztheit so mancher Küstenstämme wenig zu lesen. Wenn nun freilich auch der Handel wenig Gelegenheit giebt, sich in philosophischen Betrachtungen zu ergehen, so müßte doch eine mehr darauf hinzielend« Anschauung mit ver treten sein. Wenn also hier eine Lücke vorliegt, so ist jedenfalls dem Verfasser des BncheS kein Vorwurf zu machen, im Gegentheil muß der Mangel an solchen Aufzeichnungen die Sammler drüben anspornen, nach dieser Seite hin ihre Forschungen writrr auSzudehnea und dabei darauf Bedacht zu nehmen, wie weit der Verkehr mit den Weißen, die Ausbreitung ihrer Herrschaft die BolkSpoesie beeinflußt und sie gewissermaßen bereichert. DaS verschmitzteste unserer Schutzvolker sind die Dualla in Kamerun, ein Volk, daS sich fast nur vom *) Geschichten und Lieder der Afrikaner. AuSgrwählt und verdeutscht von «. Seidel, Secrrtatr der deutsch«« Lolontalgrsrllschoft, Hrrautgebrr der Zeitschrift für afrikanische und oceanische Sprachen. Berlin, Berein der Bücherfreund«, Schall L Grund. Zwischenhandel nährt und daS es in Schlauheit mit vielen anderen aufnimmt. Von ihnen berichtet denn auch Seidel nach der Auszeichnung und Uebersetzung von E. Meinhof eine Geschichte, die bezeichnend für ihre Schlauheit ist und, WaS uns ganz besonders angeht, auch unsere deutsche Märchenerfindung übertrifft. Jedermann kennt die hübsche Erzählung vom Hasen und vom Swinegel, wie sie alle beide um die Wette laufen und schließlich der Hase zu Tode gehetzt wird. Eine ähnliche Erzählung haben auch die Dualla, nur daß der Verlauf noch plausibler erscheint und das Ende des Hasen nicht so tragisch ist. Meinhof erzählt die Wette zwischen der Schildkröte und dem Hasen (von dem Vorkommen deS Hasen in Kamerun haben wir allerdings bis jetzt nichts gewußt) wie folgt: „Höre einmal, meine allerliebste Freundin," sagte einst der Hase zur Schildkröte, „du hast doch ganz entsetzlich kurze Beine" — und als er sah, daß diese Bemerkung nicht weiter übel ausgenommen wurde, fuhr er lachend fort: „Ich glaube, ich laufe sechs Meilen, ehe du mühsam eine hinter dich bringst." Die Schildkröte saß noch immer ganz gleichmüthig auf ihrem Platz, und der Hase fing an, sich auf etwas Neues zu besinnen, womit er die Schildkröte ärgern könnte. Seine Frau stieß ihn leise von der Seite an, als ob sie sagen wollte: „Laß doch die Gute, eS kann nicht jeder in der Welt so gescheidt sein wie einHase." Da sagte dieSchildkröte auf einmal: „Hase^ ich möchte einmal einen Wettlauf mit dir versuchen, denn ich glaube daS gar nicht, daß du eher eine Meile zurück legst als ich." Herr und Frau Hase sahen sich ganz entsetzt an. Sprach die Schildkröte im Traum, oder waS kam ihr in den Sinn? Denn wenn eS auch nur ihr Scherz sein sollte, so war daS dem eitlen Hasen schon zu viel. Und als er nach einigem Hin- und Herreden nun gar merkte, daß eS ihr bitterer Ernst war, wurde er ganz wütbend und schrie sie an: „Ja, auf die Wette aehe ich ei», und sie soll dir theuer zu stehen kommen." Frau HaseS Bemühungen, die beiden im Guten auseinander zu bringen, schlugen alle fehl. Sie beredeten sogar schon, wer Zeuge deS Wettlaufes sein sollte, und setzten einen Preis auS. Doch konnte der Preis dem Hasen gar nicht hoch genug werden; immer wieder überbot er den Vorschlag der Schild kröte. Endlich sagte dies«: „Nun gut, ich setze mein ganzes Vermögen und alles, WaS ich habe, aufs Spiel und erwarte von dir dasselbe." — „So bin ich's zufrieden," antwortete der Hase. Die Schildkröte sagte darauf Frau Hase ein freundliches Lebewohl und ging. „Du Närrin," schalt der Hase noch hinter ihr her, „denkst du denn wirklich, daß du den Hasen im Laufen besiegen wirst?" Als die Schildkröte nun in ihrer Wohnung angekommen war, rief sie ihre sechs Kinder zu sich und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, ich habe noch einen Weg vor, und ihr sollt mich alle begleiten. O, das war eine Freudei Sie machten sich alle, so schnell wie möglich, fertig und befolgten den Rath der Mutter genau, sich recht warm anzuzuziehen, denn sie batten eS mit Jubel vernommen, daß sie erst am folgenden Tage gegen Mittag Heimkehrer, würden. AlS alle fertig waren, ging eS hinau« in den dunklen Wald. An der ersten Biegung de« Weges sprach die Schildkröte zu ihrem jüngsten Kinde: „Hier setze dich still hin und warte, bis morgen früh der Hase vorbeilaufen wird, dann rufe ihm zu: „Laus, Häslein, lauf!" Da« Kind mußte die Worte noch einmal wiederholen, und als sich Mutter Schildkröte überzeugt hatte, daß eö dieselben genau behalten hatte, ging sie mit den anderen fünf Kindern weiter. An jede Biegung des Weges aber setzte sie wieder eines ihrer Kinder, und immer gab sie ihm dieselbe Weisung, „lauf, Häs lein, lauf!" zu rufen. Als sie so eine Meile gegangen war, kam sie an einen großen Stein; dieser war das Ziel des Wettlaufes. So hatte sie es mit dem Hasen verabredet. ES war nur noch ein Kind, ihr ältester Sohn, bei ihr. Diesem gebot sie nun, sich neben den Stein zu setzen, und wenn er den Hasen kommen sähe, aus allen Kräften zu schreien: „Ge wonnen, gewonnen, ich habe gewonnen!" Nun ging die Schildkröte auf einem näheren Wege ihrem Hause zu. Sie war sich ganz sicher, daß ihr die List gelingen würde; denn ihre Kinder waren ihr stets qehorsam, darauf konnte sie sich verlassen. Sie schlief so sanft die Nacht, als ob eS nie eine Wette zu gewinnen oder zu verlieren gäbe. Anders war es mit dem Hasen. Er war sehr aufgeregt, und als es endlich Tag wurde, erklärte er seiner Frau, daß er eine sehr unruhige Nacht gehabt habe. Mit Sehn sucht und Ungeduld sah er nach den Zeugen auS. Sie batten versprochen, ihn zuerst abzuholen. Frau HaseS Frühstück war umsonst aufgetragen; der Hase hatte erklärt, daß ihm mit nüchternem Magen daS Laufen leichter würde. „Aber, lieber Mann", sagte Frau Hase, „wozu all' diese Vorbereitung? Daß du die Wette gewinnst, unterliegt doch keinem Zweifel?" — „Wohl wahr", erwiderte der Hase, „aber ich will doch so glänzend wie möglich gewinnen ; und da kommen auch endlich die beiden Zeugen — ade, liebe Frau, auf ei» frohes Wieder sehen." Und fort war er. Sie gingen alle drei zur Schildkröte — auch diese war bereit. Als sie nun an der bestimmten Stelle im Walde ankamen, von wo aus eS gerade eine Meile bis zum großen Stein war, zählten die Zeugen: „Eins! zwei! drei! — los!" und Hase und Schildkröte setzten sich in Bewegung. Als die Schildkröte so weit weg war, daß die Zeugen sie nicht mehr sehen konnten, kehrte sie ein wenig um und kam dann in einen schmalen Weg, der sie bald zu ihrer Wohnung führte. Ta saß sie nun in guter Ruhe und wartete auf ihre Kinder. Der Hase lief, und als er an die erste Biegung kam, wollte er sich einmal nach der Schildkröte umsehen — aber da hörte er plötzlich ihre Stimme, die ihm zurief; „Lauf, Häslein, lauf!" Er sah in seinem Schreck nur grade noch ihr Schild und beeilte sich nun doppelt so schnell vorwärts zu kommen. Aber an der nächsten Ecke rief eS ihm schon wieder entgegen: „Lauf, Häslein, lauf!" ES wurde dem Hasen heiß beim immer schnelleren Laufen, und jedeSmal, wenn er hoffte, nun einen bedeutenden Vorsprung zu haben, mußte er bei einer neuen Biegung des WcgeS die Erfahrung machen, daß die Schildkröte dicht neben ihm war. Er raste nur so dahin, eS schienen ihm Flügel gewachsen zu sein — nun konnte er den großen Stein schon sehen; noch einige Sekunden, und er war am Ziel. Aber da saß der große Sohn der Schildkröte, der seiner Mutter zum Verwechseln ähnlich sah, und rief auS Leibeskräften: „Gewonnen, ge wonnen — ich babe gewonnen!" Da verließ den Hasen alle Kraft, und er siel wie todt zur Erde — eine tiefe Ohnmacht, die Folge der furchtbaren Anstrengung und deS letzten großen Schreckens, umfing ihn. Mit großem Vergnügen sah dir alte, schlaue Schildkröte eines ihrer Kinder nach dem anderen heim kommen. Alle erzählten ihr, wie der Hase so schnell über die Straßen an ihnen vorbeigelaufen sei. Zuletzt kam der große Sohn und meldete die lOhnmacht des Hasen. Die Schildkröte schüttelte bedauerlich den Kopf und sagte: „Ja, ja, man läuft nicht ungestraft mit der Schildkröte um die Wette." Am Nachmittag kam mit rotbgeweinten Augen Frau Hase an. „Liebe, liebe Schildkröte," flehte sie jämmerlich, „vergieb doch nur die Kränkung, die mein Mann dir wegen der kurzen Beine zusügte; ach, wir sind sehr unglücklich, mein Mann liegt an einer Lungenentzündung darnieder, und schon bestehen die Zeugen darauf, daß wir den versprochenen PreiS gebeir sollen. Habe doch Erbarmen mit uns! Die Schild kröte antwortete: „Ich will eS mir überlegrn, geh' nur heim und pflege deinen Mann, ich komme morgen." Und sie kam — aber sie war ganz und gar versöhnlich gestimmt, denn sie nahm nur eine» kleinen Theil vou de« Hasen Vermögen. „Aber merke dir das", sagte sie rum Hasen, „man muß Niemand wegen seiner Gestalt verhöhnen — so wie jedes von uns geschaffen ist, so ist e« gut." So klar und durchsichtig diese Geschichte ist, so klar sind sie nicht alle. Die Erzählungen mancher Stämme sind geradezu für unS dunkel und erst eine längere Be schäftigung mit dem Volke selbst eröffnet unS daS Berständniß für die einfache Weisheit, die sich im Märchen offenbart. Wir werden in einem anderen Artikel hierauf noch zurückkommen, möchten aber unter ganz nachdrücklichster Empfehlung des Seidel'schen Buches und seines reichen JobalteS hier noch eine vou G. Chatelain gesammelte Fabel hersetzen, die launig daS Eheleben der Ambundu illustrirt. Es ist die Fabel vom Frosch und seinen beiden Frauen: Ich will vom Frosch Kumboto erzählen, der zwei Weiber freite. Der einen baute er ein HauS im Osten, der anderen im Westen. Er selbst wohnte in der Mitte zwischen beiden. Die Frauen kochten beide zu derselben Zeit Mais. Die erste Frau sandte einen Boten und trug ihm auf, den Herrn zu holen. Ebenso die zweite. Die Boten eilten davon und kamen zu "gleicher Zeit an. Der eine sprach: „Du sollst kommen." .Der andere sprach gleichfalls: „Du sollst kommen." Da rief der Frosch: „WaS soll ich thun? Beide Frauen schicken nach mir. Gehe ich zu der ersten, so wird dir zweite sagen, Du bist erst bei der Hauptfra« gewesen ; gehe ich erst zur zweiten, so wird die erste sagen, Du bist erst bei Deiner Geliebten gewesen." Und er begann zu fingen und sprach: „O, wie bi« ich perplex! o, wie bin ich perplex!" Der Frosch heirathete also zwei Frauen, fie kochte« zur selben Zeit Mais und schickten nach ihm zur selbe« Zeit. Und er sagte: „WaS soll ich thun?" Immer, wenn er schreit: Ouak, Quak, sagen die Leute: „Der Frosch quakt". Da« ist aber nicht der Fall, er rüst vielmehr: O, wie bi» ich perplex!*) *) Im Original: XgatangLluI'S (ich bin ta Verlegenheit), ,1a» Nachahmung de» Froschruh«.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite