Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.07.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970701022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897070102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897070102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-01
- Monat1897-07
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um b Uhr. Filialen: ktt» Klcmm's Sortim. (Alfred Hahn), UniversitätSstraße 3 (Paulinum), LouiS Lösche, Katharinenstr. 14, pari, uud KüuigSplatz 7. Nedaclion und Expedition; Johannesgafie 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend- 7 Uhr. VezustS'PreiS K der Hauptexpediticn oder den im Gtadt» beiirk und Len Vororten errichteten AuS- oobestellen ab geholt: vierteljährlich 4.50, vei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandienduog In» Ausland: monatlich ^tl 7.öO. Abend-Ausgabe. WpMer TaMott Anzeiger. Amtsvtatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Dnzeigen'Peet- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reckamen unter dem Redactionsstrich (4 g«» spalten) 50^j, vor den Familirunachrichte» (6gespalten) 40^. Größere «christen laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zisfrrnjax nach höherem Tarif. Extra-Beilage» (gefalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Postbrförderunz> 60.—, mit Postbesürderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Aiorgrn-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filiale» und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expehttiou zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 33«. Donnerstag den 1. Juli 1897. SI. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 1. Juli. DaS preußische Herrenhaus hat gestern die impro- visirte BereinSgefetznovelle der Freiconservatlven angenommen, nachdem vorher Herr v. d. Recke die Regierungsvorlage im Stiche gelassen und das particulare Ausnahmegesetz empfohlen hatte. Die Entschließung hat keine prak tische Bedeutung. Am 24. Juli wird das Abgeordneten haus das ganze Gesetz ablehnen, und die Sache ist aus. Aber zu der übelsten politischen Ausbeute der letzten sieben Jahre gehört es, daß die deutsche Vormacht schwächlich zu stimmte, als dem Reiche genommen werden sollte, was des Reiches ist, und sich nicht widersetzte, daß ein bundespolitisch und praktisch geradezu widersinnigerZustand geschaffen werden sollte. Herr v. d. Recke bat nicht einmal den Muth gehabt, sich saus xdrase zu unterwerfen, er äußerte allerhand Bedenken gegen die bevorstehenden Beschlüsse und „ging dann doch in die Bude". Sonstige politische Minister waren nicht anwesend, was der Feierlichkeit des Vorganges natürlich zu Statten kam. Der Justizminister Schönstedt äußerte sich nur zu einer formalen Frage. Dessenungeachtet werden wir morgen zu lesen bekommen, die „Regierung" habe einen Beweis von Stärke geliefert uud das „unverfälschte Königthum" — dies ein gestern von Herrn v. Manteuffel gebrauchter Ausdruck — würde nach vier Wochen in nie gesehener Kraft daslehen, wenn nicht die Nationalliberalen wären. Diese werden aber sein und die Reichsverfassung hochhalten, deren Geist einem preußischen Ausnahmegesetze widerstrebt. Herr v. Stumm zwar erklärte, noch immer zu hoffen. Er hält es für möglich, durch „Kundgebungen" nationalliberale preußische Abgeorduete wenigstens so weit einzuschüchtern, daß sie der Abstimmung fern bleiben. Der hochmögende Herr hat Wohl, als er — wie immer in anmaßlicher und beleidigender Form — seinen Er wartungen Ausdruck gab, von der Verhandlung der rheini schen Nationalliberalen, über die wir an anderer Stelle be richten, keine Kenntniß gehabt. Wenn das kraftlose Wesen, das sich jetzt preußische Regierung nennt, den Conflict wirklich ernstlich gewünscht haben sollte, so wird das Kölner Referat des höchst gemäßigten Geh. Regierungsraths Knebel es belehrt haben, daß es beim ersten Versuche zu sammenbrechen müßte. Die Regierung denkt aber nicht daran. Ihre Stellungnahme zu dem Zedlitz'schen Aus nahmegesetze beweist übrigens auch, daß sie nicht daran denkt, „nach Friedrichsruh zu gehen", um sich mit dem Fürsten Bismarck wieder ins Einvernehmen zu setzen. Bedeutete, wie manche Blätter anzunehmen sich den Anschein geben, der beim Fürsten in diesen Tagen abgestattete Besuch eine Wiederannäherung deS neuesten Eurses an den alten Eurs, so wäre die gestrige Erklärung des Herrn v. d. Recke im Abgeordnetenhause ganz anders ausgefallen. Dazu, daß der führende deutsche Staat, nachdem er dem Reiche die scharfe Waffe gegen den Umsturz hat zerbrechen helfen, in seiner Noth sich mit einem Gesetze helfen möchte, das keine andere Wirkung haben könnte, als eine erhöhte agitatorische Thätigkeit der Umsturzpresse und die Flucht der rührigsten preußischen Agitatoren in solche Bun desstaaten, von deren Volksvertretungen eine Eopie deS preußischen Gesetzes nicht zu erlangen ist: dazu hätte Fürst Bismarck nie und nimmer gerathen. Die Action der „Neubildung der Negierung" ist, wie es scheint, noch nicht weiter vorgeschritten. Nicht einmal der Rücktritt des Staatssecretairs vr. v. Boetticher und seine Ersetzung durch den bisherigen Reichsschatzsecretair Grafen PosadowSky ist reif zur Publikation, da man noch auf der Suche nach einem Nachfolger für den letzteren Staats mann ist. Daß man sich bei dem badischen Finanzminister vr. Buchenberger einen Korb geholt, wird durch folgendes Telegramm der „Allgem. Ztg." bestätigt, das keines Commen- tars bedarf: Karlsruhe, 30. Juni. Dem Präsidenten des badischen Finanzministeriums, vr. Buchenberger, welcher die ihm an- gebotene Stelle des Reichsschatzsecretairs abgelehnt hat, wurde vom Großherzog das Großkreuz des Ordens vom Zähringer Löwen verliehen. Jetzt werden als Candidaten der Regierungspräsident in Düsseldorf Frhr. v. Rheinbaben, der Präsident der Central-Genossenschaftscasse Frhr. v. Huene und der Unter- staatssecretair v. Sch raut in Straßburg genannt. Daß Graf Posadowsky mit dem Staatssecretariat des Innern zugleich die Stellvertretung des Reichskanzlers übernehmen wird, ist zweifellos. Natürlich ist damit Herr vr. v.Miquel aus der „großen"Combination ausgeschiedcn und man sucht nach Gründen dafür. Ein Blatt meint, der preußische Finauzminister sei selber bedenklich geworden wegen seines zunehmenden Alters und wegen eines neuralgischen, in den Kopfnerven localisirten Leidens. Obwohl wir daran fest halten, daß Herr vr. v. Miquel sich vor Monaten aus Gesund- heits- und Altersrücksichten mit Rücktrittsgedanken getragen hat, so ballen wir diese Erklärung doch für unzutreffend. Herr v. Miquel ist mit seinen neunundsechzig Jahren die tempera mentvolle Natur geblieben, als die ihn Alle kennen lernten, die ihm näher getreten waren, und da sein Leiden in der That nur ein nervöses ist, so hat die plötzlich eröffnete und zunächst unter Zurückorängung seines Skepticismus ge schaute Aussicht, noch Bedeutungsvolleres wüten zu köuneu, bei ihm nach dem Zeugniß seiner Freunde überaus günstig auf Körper und Geist gewirkt. Er reiste gesundet von Wies baden nach Berlin und war „Feuer und Flamme." Für die kleineren Strapazen, die dem Finanzminister bei der „niederen Jagd," wie Fürst Bismarck einmal sich ausdrückte, noch winkten, glaubte er nicht genug Widerstandsfähigkeit mehr zu besitzen, eine große Arbeit aber, die den ganzen Mann erfordert, hielt er für stärker als seine Nervosität und sein Alter. Die Meisten würden den umgekehrten Ealcul für richtig erachten, aber Johannes v. Miquel gehört eben nicht zu den Meisten, sondern zu den Wenigen. Gesundheitsrücksichten haben keine Rolle gespielt. Ebenso wenig leuchtet die Vermuthung ein, irgend Jemand habe Herrn v. Miquel „in die Suppe gespuckt" durch die voreilige Ankündigung seines Programms, die nicht nur beim Reichs kanzler, sondern auch au einer noch höheren Stelle schweren Anstoß erregt habe. Die „Nat.-Ztg." verwirft diese Version unter dem Hinweis auf die anerkannte Geschicklichkeit des Finanz ministers, die ihn ohne Zweifel in den Stand gesetzt hätte, die etwaige üble Wirkung einiger tactloser Zeitungsartikel aufzuheben. Dem ist unbedingt zuzustimmen. Wenn die „National-Zeitung" meint, Herr v. Miquel hätte Neigung gehabt, Vertreter des Reichskanzlers zu werden, wenn er hätte annehmen können, in dieser formell untergeordneten Stellung noch für längere Zeit mit einem ihm bekannten, gleichfalls in höherm Lebensalter stehenden Kanzler zu thun zu haben, aber nicht, wenn er sich auf einen demnächstigen neuen, verhältnißmäßig jungen Reichskanzler gefaßt zu machen hatte — so dürfte das Blatt den Causalzusammenhang umgekehrt haben. Nicht weil Fürst Hohenlohe bald gehen wird, hat sich der ursprüngliche Plan zerschlagen, sondern weil er sich zerschlagenhat, i st dem baldigen Rücktritt des Reichskanzlers entgegenzusehen, der, wie wir schon gestern bemerkten, den Rücktritt Miquel's nach sich ziehen dürfte. Die „National-Ztg." bringt selbst unsere beim Bekanntwerden des „Vicekanzler"-Projectes geäußerte Auffassung zum Aus- druck, daß, wenn Herr v. Miquel auf Grund eines Programms die Stellvertretung des Reichskanzlers an nehmen würde, nicht mehr mit einem baldigen Ausscheiden des Letzteren gerechnet werden müßte. Es wurde kein Programm vereinbart und der scharfe Verstand, der als Regulator deS Miquel'schen Sanguinismus dient, mußte seinem Besitzer sagen, daß selbst eine Vereinbarung keine Garantie für eine ministerielle Politik biete. Mit anderen Worten finden wir diese unsere Ansicht aus gesprochen in einer „Auslegung", die der „Freisinnigen Zeitung" übermittelt wird. Sie lautet: „Miquel in seiner vorausschauenden Klugheit sollen jetzt die Zustände in den oberen Regionen so kraus und unsicher erscheinen, daß man gut thue, sich nicht noch enger als bisher mit denselben zu verflechten". Die denunciatorische Schale dieser „Aus legung" ist ein Product des Hasses, mit dem Herr Richter den preußischen Finanzminister von jeher beehrt hat, aber gegen den Kern läßt sich nichts erinnern. Die parlamentarische Lage in Ungarn steht noch immer unter dem Zeichen der Obstruction. Sie hat in den jüngsten Tagen insofern eine Aenderung erfahren, als die Opposition entschlossen sein soll, daS Zustandekommen des Zuckcrgesetzes mir denselben Mitteln hintanzuhalten, welche gegen das Einführungsgesetz zur Strafproceßordnung, in sonderheit gegen dessen tz 16, aufgeboten wurden. Falls daS Zuckersteuergesetz bis zum 1. August nicht unter Dach kommt, können den Zuckerproducenten die in Aussicht genom menen Prämien auf dem regelmäßigen Wege nicht zugewendet werden. Die ungarische Regierung kann sich nicht, gleich der österreichischen, auf einen „Nothparagraph" der Staats grundgesetze stützen und so die Zuckerprämien zur Auszahlung gelangen lassen. Die Opposition nimmt daher an, daß, falls sie auch gegen diesen, an eine Zeitgrenze gebundenen Gesetz entwurf obstruirt, die Negierung in Sachen des H 16, welcher — so lautet der oppositionelle Vorwand — eine Gefährdung der Preßfreiheit enthält, zur Nachgiebigkeit gezwungen werden kann. Indem die Linke die Obstruction auf alle Regierungsvorlagen auszudehnen sich anschickt, betritt sie das Gebiet des parlamentarischen Umsturzes. Wenn sie, eine schwache Drittelminorität, die Mehrheit zwingen will, Voll streckerin ihres Willens zu werden, fordert sie den weit über legenen Gegner zu den energischsten Mitteln der Abwehr heraus, gegen die sich schließlich auch die verzweifeltsten An strengungen machtlos erweisen müssen. Die liberale Re gierungspartei kann sich dem Terrorismus der Minderheit nicht beugen. Sie vertheidigt längst nicht mehr blvs einen die Rechtspflege betreffenden Paragraphen, sondern sie hat die hartnäckigsten Angriffe gegen den Parlamentarismus, gegen die Freiheit der Majoritätsbeschlüsse, abzuwehren. An gesichts der fortgesetzten Obstruction steht die liberale Mehr beit, in deren Kreisen Anfangs einige Bedenken gegen den 8 16 laut geworden waren, unerschütterlich fest und un- getheilt da. Sie schaart sich wie ein Mann um ihren Führer, den Ministerpräsidenten Baron Banffy, der nach wie vor entschlossen ist, jedes Compromiß mit den Terroristen abzulehnen. Seine Politik kann auf die kräftigste Unterstützung der liberalen Partei zählen. Ter Zusammenhalt und die Ausdauer, von welcher sich die Majorität der Vertbeidiger des parlamentarischen PrincipS wird leiten lasten, dürfte ohne Anwendung von drastischeren, die Redefreiheit beschränkenden Mitteln geeignet sein, die Opposition in ihrem Zerstörungswerke aufzuhalten. Hat aber die Opposition auch diese Entscheidungsschlacht verloren, dann wird sie sicher um den letzten Rest von Volks tümlichkeit gebracht sein, den sie sich bisher noch nicht selbst weggenommen. Endlich hat die Hoffnung der Franzosen, daß ihr Prä sident die Ehre haben würde, den Zaren zu besuchen, durch die Einladung des Zaren an den Präsidenten der französi schen Republik ihre bestimmte Erfüllung erhalten. Die Ein ladung klingt ja freilich etwas kühl, „dem Zaren würde es zur Befriedigung gereichen, den Präsidenten in diesem Jahre in Peterhof zu empfangen", aber die Franzosen werden auch schon damit zufrieden sein. Nur ein kitzlicher Punct ist noch da, wo vielleicht die böseu Radikalen Unannehmlichkeiten bereiten könnten. Schon vor Monaten hat der „Figaro" angedeutet, daß man absichtlich nichts Bestimmtes über die Reise in die Oeffentlichkeit bringe, weil Iman trotz der verhältnißmäßigen Billigkeit der Reise doch einen Credit in der Kammer beanspruchen müsse unv weil man befürchte, daß die Radikalen und Socialisten dann Taktlosigkeiten begehen könrnen. Es ist immerhin nicht aus geschlossen, daß diese Besorgniß sich wirklich erfüllt, denn die Radikalen haben schon mehr als einmal — zuletzt erst vor wenigen Wochen hei der Besprechung der Vorfälle in der Notredamekirche — Mangel an Tact bewiesen. Diesmal liegt die Versuchung für sie um so näher, als einmal sie gegen den Präsidenten Faure schlecht gestimmt sind und als zweitens sie darüber verdrießlich sind, daß der Präsident der Republik nicht von den Präsidenten der Deputirtenkammcr und des Senates begleitet sein wird. Sie sehen darin eine Zurücksetzung der Kammern und eine Verletzung der republi kanischen Einrichtungen, sowie ein autokratisches Gelüste des Herrn Faure, dem sie in dieser Hinsicht ohnehin mit großem Mißtrauen hegegnen, weil er sich mit der französischen Aristokratie gut zu stellen versucht. Würde der Reise des Präsidenten ein unerquickliches Vorspiel in der Deputirten kammcr vorangehen, so würde zweifellos der Zar davon sehr wenig erbaut sein. Es mag sein, daß diese Rücksicht viel leicht die Radikalen davon zurückhalten wird, eine tumul tuose Scene in der Deputirtenkammcr auszuführen, denn in der Sehnsucht nach der russischen Freundschaft, die die er hoffte Revanche bringen soll, sind sich die Franzosen ja alle gleich. Die englische Presse kann sich, wie das leicht verständ lich isi, nicht genug lhun in begeisterten Schilderungen ver gewaltigen Flotte, die in den historischen Gewässern von Aanny Trauner. 8j Roman von C. Schroeder. Nachdruck Verbote«. Vorwärts wandern wir, den schmalen, gewundenen Pfad entlang, bis wir von fern einen Baum gewahren mit langen dürren Zweigfingern, die ringsum die Erde fast berühren. Im Sommer müssen sie ein trauliches Versteck einhegen, ein dämmeriges Winkelchen zum heimlichen Plaudern. Heute vermögen sie den Mond und uns nur wenig zu verbergen. So viel wird uns auf den ersten Blick klar: gegen den Baumstamm gelehnt steht eine dunkle Gestalt, die eine weiß gekleidete in enger Umarmung hält. Wir fühlen unS jetzt wieder mit lächelnder Befriedigung Menschen unter Menschen und wüßten gar zu gern, wer wohl die Weißgekleidete sein mag. Allzuviel Auswahl haben wir nicht in dem vornehmen Gebäude da drüben und meinen deshalb: „DaS Zöschen am Ende! Die kleine Un schuld vom Lande wird unter den dienenden Hausgeistern ihren Romeo gefunden haben." Aber Romeo, besten Antlitz im Schatten ist, scheint unge wöhnlich hochgewachsen und die Unschuld, die wir meinen, reichte ihm ganz gewiß nicht bis an die Schulter. Er spricht — dock so leise, daß wir weder Wort, noch Ton zu fasten vermögen. Sie lacht. Nun zucken wir zusammen, denn in unserer Erinnerung lacht es auck und genau so silberhell und so kalt. Allein wir wollen unserer Erinnerung noch nicht trauen, wir halten den Athen» an und horchen, da redet sie und „Schlange! Verrätberin!" fliegt eS unS durch den Sinn. „Schlange! Verrätherin!" knirscht eS im selben Moment hinter uns und, wie der Blitz an uns vorüberfahrend, bricht eS krachend durch die niederhängenden Zweige. Ein gellender Schrei aus Frauenmund, dann Männerflüche, wildes Stampfen und Ringen. Mitten auf dem Wege, im Hellen Mondschein steht Anna von Hellbronn. Ihre Züge sind angstverzerrt, ihre schönen Augen malen aufrichtiges Entsetzen. Sie preßt die weißen Hände gegen die Schläfen, sie schlägt sie vor das Gesicht, sie streckt sie beschwörend gegen die erbitterten Gegner aus und stammelt: „Um Gott — um Gottes willen!" Auf einmal schrickt sie zusammen. Vom Hause herüber kam ein klirrender Ton, wie wenn ein Fenster aufgeworfen würde. „Wer da?" sckallt es zornig befehlend an ihr Ohr — nur an ihres. Die Ringenden vernebmen nichts. Wie der Blitz hat sie ihr verrätherischeS Kleid um sich gerafft, zitternd wie Espenlaub steht sie hinter einen Baumstamm geschmiegt. Als sich der Ruf nicht wiederholt, wagt sie einen halben Schritt in den Mondschein hinaus und einen scheuen Blick über die Schulter. Das Fenster steht noch offen, aber in seinem Rahmen zeigt sich Niemand. „Er ist auf dem Wege hierher! O Gott, ich bin ver loren!" stöhnt sic und fängt an, den Pfad entlang zu huschen, sich, so gut eS gehen will, mit dem spärlichen Schatten des kahlen Strauchwerkes deckend, zusammcnfabrend, nieder kauernd, so oft ihr die Phantasie ein barsches „Wer da?" entgegendonnert. Endlich hat sie daS Gartenpförtchen erreicht, steht sie vor der Hinterthür des HauseS, die bebende Hand auf der Klinke. „Wenn er mir jetzt entgezenträte!" flüstert sie, und die Todesangst will ihr das Herz zersprengen. Doch jede Secunde vergrößert die Gefahr. Sie öffnet und — Gott Lob! — Alles ist düster und still. Sachte — sachte wie damals dreht sie hinter sich den Schlüssel im Schloß, auf den Zehenspitzen wie damals stiehlt sie sich die steile Treppe hinan. Schon will sie erleichtert aufathmen, da blitzt ihr greller Lichtschein entgegen und in dem Lichtschein der Lauf einer Pistole. „Großpapa!" kreischt sie auf und stürzt in die Knie. „Was zum Teufel —! Anna! Wo kommst Du her?" Drohend grollt es der Alte, wüthend zerrt er sie am Arm in die Höhe. Wenn sie auf der Welt einen Menschen fürchtet, so ist es dieser Mensch mit dem scharfen Nußknackergesicht und den ingrimmig funkelnden Augen, aber zu Zeiten ist sie auch schon mit ihm fertig geworden. „Wo kommst Du her?" wiederholte er. Sein Fuß stampft den Boden und seine Knochenfinger umkrallen ihr Handgelenk, daß es schmerzt. Mit einer sanften Leidensmiene entzieht sie eS ihm und murmelt, es sachte reibend, in fast vorwurfsvollem Ton: „Ach! Großpapa, das ist nun schon der zweite TodeS schrecken in fünf Minuten! — Wo ich herkomme? Aus dem Garten." „Aus dem Garten!" zischt er. „Bei nachtschlafender Zeit?!" „Bei nachtschlafender Zeit?" entgegnete sie müde lächelnd. „Du »nagst Dir glückwünschen, Großvater, wenn Du schlafen konntest — mir war es unmöglich. Der dumme Mond stahl sich durch die Gardine und ließ mir keine Ruhe. Schließlich dachte ich: Besser, man geht in den Garten hinunter und freut sich an ihm, als daß man sich im Bett über ihn ärgert! — Mach' kein so bitterböses Gesicht, Großväterchen, ich thue eS so leicht nicht wieder — ich habe mich zu sehr geängstigt!" Sie schöpfte tief Athem und preßte die Hand auf das Herz. „Aha! Da haben wir's! Mamsell macht sentimentale Mondscheinpromenaden, läßt natürlich die Pforte offen, ein Strolch schleicht sich ein und — na! kannst Deinem Schöpfer danken, daß Du mit heiler Haut davongekommen bist! Jetzt aber will ich doch gleich —" Er macht Miene, hinunterzusteigen, sie aber tritt ihn» hastig in den Weg. „Ist nicht nöthig, Großvater", versichert sie mit treu herzigem Blick, „wahrhaftig nicht! Es hat sich kein Strolch eingeschlichen — ganz gewiß nicht! Der Lärm, den Du hörtest —" „Nun?" „Der klang von der Landstraße her, Großväterchen! Eine trunkene Balgerei muß es gewesen sein draußen vor der Mauer. Mir siel mit Schrecken das offene Pförtchen ein und ich flog wie der Wind, eS zu schließen — kam auch noch zu rechter Zeit." Der Alte steht unschlüssig. „Hm!" macht er mit einer halben Wendung. „Wenn das wahr ist —" gleich darauf aber mit eiuem unwirschen Kopfschütteln: „Nein, eS ist besser, ich überzeuge mich selber!" Und er fängt an, treppab z», stampfen, die geladene Pistole unter dem Arm. Nie im Leben hat Anna von Hellbronn größere Angst auSgestanden und nie im Leben hat sie größere Selbst beherrschung bewiesen. Kaum daß man ihrer Stimme das leiseste Zittern anhört, als sie entgegnet: „Wie Du willst, Großpapachen, aber — eS ist feucht im Garten, denk an Dein Podagra!" „Ach waS!" brummte der Alte und steigt zögernd noch ein paar Stufen tiefer. Dann hält er inne und plötzlich fährt er herum: „Man kann sich auf Dein Wort vrrlaffen?" „Aber, Großpapa!" macht sie in tiefgekränktem Ton. „Du schwörst, daß nichts Verdächtiges im Garten ist?" „Gar nichts Verdächtiges, Großpapa!" Er nickt ein paarmal vor sich bin, bann klimmt er wieder aufwärts. „Wird heute Nacht alles Silberzeug gestohlen", knurrt er, „Du hast es zu verantworten." Ihr ist ein solcher Stein vom Herzen, sie möchte seinen langen Knochenhals umarmen, doch sie begnügt sich, ihm die dürren Finger zu küssen. „Sei unbesorgt, Großväterchen", lacht sie, „ich ersetze den Schaden aus meiner eigenen Tasche." Das macht ihm Spaß, denn wie leer ihre Tasche ist, weiß er am besten. „Verrücktes Frauenzimmer!" schmunzelte er. „Mach, daß Du zu Bett kommst!" Als Schauspielerin hatte Anna von Hellbronn ihre Sache gut gemacht. Mit einem Triumphblitz in den Augen wandte sie dem Alten den Rücken und noch, indem sie in ihr Schlaf zimmer trat, umspielte ein befriedigtes Lächeln ihre Lippen. Dann freilich schwand es. Hastig trat sie an das Fenster, öffnete eS behutsam und horchte hinaus. Im Garten schien — nein, war alles still. Kein leiser Laut, der herausklang. „Gottlob, daß sie wenigstens fort sind", murmelte sie und schloß daS Fenster wieder. Mit gesenkter Stirn und unruhig wogender Brust wanderte sie nun im Zimmer aus und ab, stand auch wohl still, fixirte mit leerem Blick irgend ein Ding ibrer Umgebung und setzte dann ungeduldig aufseufzend ihren Weg fort. Sie befand sich in keiner beneidenswerthen Lage. Die Scene im Garten vorhin war das Vorspiel zu einem Duell gewesen und die Ursache eines Duells blieb nicht lange verborgen. Zischelnd ging eS dann von Mund zu Munde: „Habt ihr s gehört? Wißt ihr das Neueste, daS man sich von dein stolzen Fräulein von Hellbronn er zählt?" Und eS gelangte zu den Ohren der Großeltern und — gab eS auf der Welt etwas Schrecklicheres, als die Wuth der beiden Tyrannen? Beim kleinsten Versehen wollten sie ja schon auS der Haut fahren, und was hier vor lag, war in ihren Augen natürlich schlimmer als ein Ver brechen. Ein nächtliches Stelldichein — das Gott erbarm! — eü» Schimpf, eine Schande für die Familie! Um der Schande willen aber batten sie die einzige Tochter, den Liebling, von sich gestoßen damals, um der Schande willen
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite