Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.07.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970701022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897070102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897070102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-01
- Monat1897-07
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
4878 Spithead liegt. Da« und 0 dieser Ausführungen ist der triumphirende Hinweis darauf, daß daS „BritLuuis, rules over Ide vaves" auch heule noch gilt, und daß die in der continentaien Presse immer wieder auftauchende Behauptung, England sei nur eine „geduldete" Großmacht, ebenso thöricht wie unhöflich sei. Troy aller Uebertreibungen, die dabei laut werden, ist anzuerkennen, daß die englische Presse dabei in der Hauptsache Recht hat, und daß eine Macht, die eine Flotte von 16L Kriegsschiffen mit einer Besatzung von 40 000 Mann, wie sie vor Portsmouth liegt, versammeln kann, ohne ihren Geschwadern im Ausland, die zusammen eine gleichstarke Flotte abgeben, auch nur ein Schiff zu ent ziehen, so wenig eine blos „geduldete" Großmacht ist, daß vielmehr die Gefahr naheliegt, daß ihre Macht so groß wird, daß die anderen Mächte auf dem Meer und außerhalb Europas von ihrer „Duldung" abhängig werden. Die in Spithead versammelte Flotte demonstrirt in der Tbat den übrigen Nationen, wie es keine Statistik und keine Beschreibung thun kann, aä oculos, welch' enorme Verstärkungen die englische Flotte gerade in den letzten zehn Jahren erfahren bat; die Moral, die sie ihnen nahelegt, ist aber nicht, die Flinte ins Korn zu werfen, sondern ähnliche Anstrengungen zu machen; denn es wäre ein schlimmer Tag für Europa, wenn es einst so weit kommen sollte, daß England auch der vereinigten Flotten von ganz Europa spotten könnte. Die Engländer mögen noch so entschloffen sein, die gewaltige Waffe ihrer Flotte nur für Defensivzwecke zu benutzen, dieser Ent schluß dürfte zu großer Versuchung schnell erliegen, wenn rS keine Macht mehr gäbe, die ihn als weise und opportun erscheinen ließe. Folgende Preßstimmen charakterisier» die englische Auffassung. „Daß die Suprematie zur See Großbritannien gehört", schreiben die „Times", „und daß cs entschloffen ist, sie nie aufzugeben, ist eine Thatsache, die nun Niemand mehr zu bestreiten vorgeben kann. Die Erhaltung dieser Suprematie zur See ist für uns eine eiserne Noth- Wendigkeit, ein urticulus stkmtis aut caäeutis rei pudlicae." Der „Standard" sagt: „Auf der See und durch die See leben und athmen wir, und sind wir, was wir sind. Beschließt eine fremde Nation, aus diesem unseren eigenen Element mit uns zu wetteifern, so mag sie das thun; es wird aber unser eigener Fehler sein, wenn Erfolg diesen Versuch krönt. Laßt uns aber nicht vergessen, zu sagen, daß das Motto unserer Flotte „Veksnev, not ckeÜLnes" (Vertheidigung, nicht Herausforderung) ist. Wir bedrohen keinen unserer Nachbarn, und nichts als ein un erträglicher Insult ihrerseits könnte uns veranlassen, unsere Seemacht gegen sie in Bewegung zu setzen." Die liberalen Blätter betonen gleich stark die absolute Nothwendigkeit der englischen Suprematie zur See, heben aber den rein defen siven Charakter ihrer Flotte noch stärker hervor. Deutsches Reich. -L- Leipzig, 1. Juli. Die socialdemokratische „Leipz. Volks zeitung" veröffentlicht in ihrer Nr. 146 vom 29. v. M. Aus lastungen des „Genossen" E. Grenz, die u. a. zur Frage des Co nsum Vereinswesens Beiträge nach der Richtung erbrin- gen, daß die socialdemokratische Thätigkeit und Entwickelung au diesem Gebiete von bürgerlicher Seite durchaus richtig beurtheilt und dargestellt ist. „Genosse" Grenz schreibt: „Großartige Hoffnungen wurden an die Gründung von Consumvereinen geknüpft, große Vereinshäuser sah man schon im Geiste ent stehen, und so wurde ich auch mit Gründer z. B. des Plag- witzer ConsumvereinS. Aber eS giebt noch Genossen, die da wissen, daß da« Leitmotiv ein anderes war, als was aus diesen Vereinigungen geworden ist. Die Consumvereine haben sich stellenweise, rm Verbältniß zu anderen Arbeiter organisationen, großartig entwickelt, sie bringen den Ar- heitern einen in die Augen springenden Gewinn, aber ihr Erfolg beruht auch mit auf der Grundlage der Aus beutung, direct und indirect: man frage nur die Ge schäftsleute, wie die Consumvereinsleitungen auf den WaarenpreiS zu drücken verstehen. Jeder Druck au die Producte wirkt aber indirect aus die Löhne der in den betreffenden Betrieben beschäftigten Arbeiter. Aber weit Schlimmeres entwickelt sich. Ein Beamtenthum entsteht, das, da «S in steter Berührung mit der bürgerlichen Gesell schaft steht, sich auch deren Maximen in manchen Dingen aneignet: „Geschäft ist Geschäft." Eine Zweiseelen theorie entsteht. Genoffen, die früher im gemeinsamen Denken, Fühlen und Handeln, im direkten wirthschastlichen und politischen Kampf der herrschenden Gesellschaft gegen überstanden, geratheu jetzt ob ihrer Gründungen aneinander. Eine Maste von auf die Partei schädlich wirkenden Dingen sind entstanden. Welch ein Schauspiel bietet z. B. jedes Mal der Streit um den Geschäftsschluß zur Mai feier. Lohn» und ArbeitSverhaltaisse der Angestellte» sind die fortlaufenden Streitpuncte. AuS der Handlungsweise der an die Spitze gestellten Beamten gegenüber den übrigen Angestellten wie gegen solche, mit denen sie geschäftlich fürs Geschäft zu thun haben, geht mit aller Deutlichkeit hervor, daß sie es sehr wohl verstehen, den bürgerlichen Protzen nicht- nachzugeben. Sie fangen au zu vergessen, wa» sie waren. Ein Herrenthum bildet sich heraus; wir ind erst am Anfang solchergeschästlichcrEntwickelungen; sollen :twa bürgerliche Protzen abgelöst werden durch ocialdemokratische?" „Genosse" Grenz stellt des Weiteren fest, daß die Partei die moralische Verantwortung ,abe für daS, waS durch diese Unternehmungen geschieht. Wenn die Partei beharrlich die Verantwortlichkeit für die geschäftlichen Gründungen innerhalb derselben ablehne, so cheine sie Angst vor ihren eigenen Consequenzen zu haben. — Die Redaction behält sich vor, auf diese Auslassungen, deren Kraftstellen in dem ihnen gegebenen „Zusammenhang" ziemlick unschuldig erschienen, zurück zukommen. Sie wird obige Wahrheiten über socialdemokratische Geschäftspraktiken nicht hinwegphilosophiren. * Berlin, 30. Juni. Am Montag hat in Köln eine Versammlung der nationalliberalen Partei stattge funden, in der besonders die Frage des Vereinsgesetzes zur Erörterung gelangte. Der Vorsitzende Geh. Rath Knebel ließ sich hierüber wie folgt auS: Wenn von autoritativer Stelle, von der Tribüne deS Herren hauses Herr v. Stumm sich nicht gescheut habe, der national liberalen Partei die Charakterlosigkeit des Umfalles zuzutrauen, dann sei das eine so beleidigende Aeußerung, daß gegen sie die Partei aus daS Schärfste Protest rinlegen müsse. Dir Annahme des Herrn v. Stumm entbehre jeder thatsächlichen Unterlage, er müsse einen sehr schlechten Gewährsmann für sie gehabt haben; er, der Redner, versichere noch einmal auf daS Allerbestimmteste, daß kein Mitglied der Partei mit Ausnahme eine« einzigen, daS sich schon bisher in dieser Frage abgesondert, für eine andere Fassung der Vor lage, als sie in der Commission geschehen sei, zu haben sei. Herr v. Stumm habe vielleicht noch durch seine Aeußerung der Partei einen Gefallen gethan, indem nunmehr erst recht jedes Mit glied sich doppelt verpflichtet fühlen werde, bei der wichtigen Ab- stimmung zugegen zu sein. Der Redner werde jeden, der eine andere Stellung einnehme, als nicht mehr zu der national liberalen Partei zugehörig betrachten, und er glaube ver- sichern zu dürfen, daß daS auch der Standpunkt der Mehr heit der nationalliberalen Abgeordneten sei. Bisher habe man geglaubt, daß die Regierung die Vorlage zurückziehen werde, aber nach der Rede des Ministers v. d. Necke scheine das nicht der Fall, und so übernehme die Regierung ohne jeden Schimmer von Erfolg die Verantwortung, die Sache hinauszuziehen und dem Lande die großen Kosten der Diäten für die Abgeordneten aufzubürden. Aber weit schlimmer sei es, daß die Negierung durch dies Hinauszicheu noch immer ans eiue Spaltung der nationalliberalen Partei zu speculiren scheine. Diese Partei habe bisher ihren Stolz darin gefunden, niemals aus der Leiden schaft politischer Rücksichten zu handeln, sondern stets nach den sachlichen und berechtigten Gründen zu fragen; so sei es auch bei dieser Vorlage geschehen. Arbeite aber nun die Regierung geradezu auf eine Spaltung der Partei hin, dann höre alle Rücksicht aus, sie zwinge die Partei, in die Reihen der entschiedenen Opposition zu treten. Zum Schluß faßte die Versammlung mit großer Mehr heit folgenden Beschluß: „Der nationalliberale Verein in Köln nimmt die Mittheilungen seines Vorsitzenden über die Haltung der nationalliberalen Fraktion des Abgeordneten hauses gegenüber dem Vereinsgesetzentwurf dankend entgegen und erklärt sich mit ihnen einverstanden". * Berlin, 30. Juni. Schon vielfach haben Behörden Anordnungen gegen den Gebrauch veralteter und überflüssiger Höflichkeits-FloSkeln und sonstiger umständlicher Formen im Verkehr mit anderen Be hörden gegeben. Jetzt geht die Mittheilung durch die Presse, daß das Staatsministerium in dieser Beziehung allgemeine Grundsätze aufgestellt und darauf hin der Justiz minister für sein Ressort eine Verfügung erlassen habe. DaS ist gewiß sehr nützlich, aber die Frage der amtlichen Ausdrucksweise hat noch eine andere Seite: die Höflichkeit gegenüber dem Publicum kann von Seiten mancher Be hörden eine Steigerung erfahren, ohne daß dadurch ein Uebermaß erreicht würde, welches Einschränkung erforderte. Es ist noch immer nichts Ungewöhnliches, daß Behörden „an die verehelichte N. N." oder „an die unverehelichte N. N." schreiben, statt sich der Bezeichnung Frau oder Fräulein zu bedienen, und auch das Wort Herr in der Adresse wird häufig für überflüssig erachtet. Daß Jemand, der eine gerichtliche Vorladung erhält, in ihr darauf auf merksam gemacht wird, er setze sich im Falle deS Nicht erscheinens der Unannehmlichkeit aus, „vorgeführt" zu werden, ist behufs der Verhütung von Verzögerungen ganz in der Ordnung; aber es braucht nicht, wie sehr häufig, ver mittelst einer gedruckten groben Drohung zu geschehen, die gegenüber manchen „Kunden" der Strafgerichte am Platze sein mag, andere Empfänger derartiger Mittheilungen aber unnöthiger Weise verletzt. Wir verlangen nicht die Verbindlichkeit jenes Maires einer kleinen französischen Stadt, der, als er einen Mitbürger schriftlich ersuchte, seine Schweine nicht auf dem Bürgersteiß Herumlaufen zu lassen, daran die Bitte knüpfte, die Versicherung der ausgezeichneten Hochachtung genehmigen zu wollen, mit der er die Ebre habe, zu sein rc. Aber ein wenig von der überflüssigen Höf lichkeit, welche im Verkehr der Behörden unter einander künftig erspart werden soll, könnte dem Verkehr mancher von ihnen mit dem Publicum zu gute kommen. (Nat.-Z.) — Der Kaiser hörte, wie au» Kiel gemeldet wird, gestern Vormittag den Vortrag de« Vertreter- des AuS- wärtigen Amts, Gesandten v. Kiderlen-Wächter, und arbeitete heute Vormittag längere Zeit mit dem Chef des CivilcabinelS vr. v. Lucanu». — Dem „Hambg. Corr." wird von hier gemeldet: „Der Großherzog von Weimar wird von Schwerin, wo er bei dem Herzog-Regenten Johann Albrecht, seinem Schwieger- öhne, verweilte, morgen, am 1. Juli, etwa um 12*/, Uhr Mittags zum Besuche beim Fürsten Bismarck in ffriedrichSruh eintreffen." — Nach der „Nordd. Allg. Ztg." geht Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe heute Abend nur auf einige Tage nach Schillingsfürst. — Zur Ernennung eine» Officier« zum StaatS- secretair im Reichspostamt geht dem „Hann. Cour." von einem alten Hannoveraner nachstehende zeitgemäße Erinnerung zu: „Die anscheinend leider bevorstehende Er nennung eines Generalmajors a. D. zum Generalpostmeister des deutschen Reiches, mit Ausnahme von Bayern und Württemberg, ruft lebhaft einen gleichartigen Vorgang im vormaligen Königreich Hannover in Erinnerung. Dort wurde nämlich gleich nach dem VerfaflungSsturze von 1855 nach dem Ableben des GeneralpostdirectorS v. Rudloff an dessen Stelle ein Major und DistrictSvfficier der Land gendarmerie berufen, für dessen Fachkenntniß nur der Um stand sprach, daß er bei Bereisung seines bis dabin von Eisenbahnen nicht berührten DistrictS mehrfach Vie Personen post benutzt batte. Bald nachher traten die ersten Anzeichen der Existenz deS sogenannten schwarzen CabinetS hervor. Bayern und Württemberg werden jetzt um so entschiedener an der eigenen Postverwaltung festhalten." — Die Betheiligung der Socialdemokratie an den preußischen Landtagswahlen hat eine Partei versammlung im sechsten Wahlkreise gestern nach vierstündiger Erörterung abgelehnt. — Die socialdemokratische Partei läßt die Reden des früheren Ministers v. Puttkamer und deS Freiherrn v. Stumm als Agitationsbroschüren für socialdemokratische Zwecke verbreiten. — Hauptmann v. Kamptz, Commandeur der Schutztruppe von Kamerun, ist, den „Bert. NN." zufolge, hier eingetrofsen. Er hat sich nach Kiel begeben, wo er vom Kaiser empfangen werden wird. Lieutenant Eggers, der im vorigen Jahre in den Kämpfen mit den Khauas-Hottentotten schwer verwundet wurde, kehrt demnächst vollkommen hergestellt nach Südwestafrika zurück. — Der Erbprinz zu Hohenlohe-Schillingsfürst, welcher einige Tage zum Besuche seines Vaters, des Reichskanzlers, hier weilte, hat sich heute nach Schweden begeben. — Der iuactive Staatsminister v. Koeller ist aus Camin hier eiugetrofsen. — Der Privatdocent und Assistent des pharmakologischen Institut- der Kaiscr-WilhelmS-Universilät zu Straßburg i. E. vr. Jacobj wurde zum kaiserliche» Regierungs-Rath und Mitglied de- Gesund heitsamts ernannt. — Dem Lehrer der ältesten Söhne des Kaisers, Candidaten des höheren Schulamtes Sachse, ist daS Prädicat „Oberlehrer" ver liehen worden. * Niebüll (Holstein), 30. Juni. In der heutigen Jahres versammlung deS schleswig-holsteinischen Gnstav-Adolf- Vereins wurde beschlossen, die Reformations-Collecte zur Begründung einer evangelischen Schule in Innsbruck zu verwenden. Die Festpredigt hielt General-Superintendent 0. Dryander. * Kiel, 30. Juni. Der Kaiser kehrte mit dem „Meteor" gegen 8 Uhr Abends bei völlig abgeflautem Winde hierher zurück; die für 7 Uhr angesetzte Preisvertheilung fand des halb erst um 9 Uhr im Vestibüle der Marineakademie statt. Der Kaiser übergab persönlich den Siegern die Preise im Beisein deS Königs der Belgier. An die Preisvertheilung schloß sich ein Diner im Gartensaale, an dem der Kaiser, König Leopold, der Erbgroßherzog von Oldenburg, die Admirale, sowie viele ausländische und hiesige Segler theilnahmen. Die Kaiserin blieb auf der „Hohenzollern". — Auch der auf der Krupp'schen Werft im Umbau befindliche Panzer „Baden" wurde vom Kaiser besichtigt. * Spandau, 28. Juni. Spandau befindet sich infolge der Schaffung von neuem Artilleriematerial in einem außer ordentlichen wirthschastlichen Aufschwung, wie zu Ende der achtziger Jahre, wo kurz hintereinander zwei neue Ge wehre, Modell 71/84 und 88, eingesührt wurden. Alle tech nischen Institute der Artillerie, von denen sich in Spandau 4 mit ca. 10 000 Arbeitern befinden, stellen seit December v. I. ununterbrochen neue Arbeiter ein. (F. Z.) * Gotha, 30. Juni. Der Landtag nahm da« Gesetz iber die Errichtung obligatorischer, schulgeldfriirr Fort- »ilvungSschulen an. * Tchmabach, 28. Juni. Im Magistrat, der sich bei der Regierungsentschließung, die Gestattung der Fronleich, nam-vrocession betreffend, nicht beruhigen wollte, wurde nunmehr der Antrag gestellt, die Sache weiter zu verfolgen. Der Antrag wurde jedoch mit vier gegen drei Stimmen abgelehnt. * Stuttgart, 30. Juni. Die Grundzüge der Vorlage, »etreffend die Abänderung der Verfassung, sind folgende: Umwandlung der Zweiten Kammer in eine reine Volks kammer durch Ausscheiden der Privilegirten und Ersatz derselben durch 2t auf dem Wege der Proportional- wähl (Listen- und Verhältnißwahl) gewählte Abgeord nete. Abschaffung der Stichwahlen bei den Bezirkswahlen. Erhöhung der Zahl der Abgeordneten von Stuttgart auf 3, also Gesammtzahl der Mitglieder der zweiten Kammer wie seither 93. In die Erste Kammer treten über 8 Ritter, wie seither von ihren Standesgenossen gewählt, 2 Vertreter der evangelischen Kirche (Consistorial- Präsident und ein Prälat), 2 Vertreter der katholischen Kirche Bischof und ein Domcapitular) und der Vertreter der )andeSuniversität. Dazu kommt neu hinzu ein Ver treter der Technischen Hochschule. Die Zahl der vom König lebenslänglich zu ernennenden Mitglieder ist auf zehn normirt, womit sich «in Gesammtbestand der Ersten Kammer vvn 50 Mitgliedern ergiebt. Das Recht der Vertretung von StandeSherren durch Agnaten bleibt bestehen, dagegen wird daS Recht der Stimmübertragung (sog. „Geister stimmen") beseitigt. DaS Budgetrecht der Ersten Kammer wird in der Richtung erweitert, daß, wenn von der Ersten Kammer Beschlüsse, die von denen der Zweiten Kammer ab weichen, mit Zweidrittel-Mehrheit gefaßt worden sind, darüber von der Zweiten Kammer nochmals zu verhandeln ist. Beharrt die letztere mit Zweidrittel-Mehrheit auf ihrem ersten Beschluß, so tritt Durchzahlung ein. * München, 30. Juni. Nach der Münchener „Freien Presse" ist die Bildung eines 3. bayerischen Armeecorp» mit dem Sitze in Landau beabsichtigt. Oesterreich-Ungarn. * Wien, 1. Juli. (Telegramm.) Wie die Blätter aus Tachau melden, hat die Stadtvertretung dortselbst ein stimmig beschlossen, mit dem heutigen Tage die Ausübung aller nicht vorgeschriebenen Geschäfte des ,hr übertragenen Wirkungskreises zu verweigern. — Der „Neuen Freien Presse" wird aus Falkenau gemeldet: Unter Vorsitz deS Bezirksobmanns beschlossen 48 Bürgermeister und Gemeindevorsteher des Bezirks Falkenau einstimmig, die Arbeiten deS ihnen übertragenen Wirkungskreises, welche im Gesetze nicht begründet sind, vom 15. Juli ad einzustellen. — Die Gemeindevertretungen von Sangerberg beschlossen gestern, vom 15. Juli ab die Besorgung der Geschäfte deS ihnen übertragenen Wirkungskreise- einzustellen. * Gmunden, 30. Juni. (Telegramm.) Der König von Dänemark ist heute Nachmittag hier eingetroffen. * Prag, 30. Juni. Der Wiener Correspoodent der „Narodni Listy" meldet, daß nunmehr «ine ganz ernste und aufrichtige AuSgleichsaction in Böhmen vorbereitet werde. Der Kaiser wünsche die Verständigung zwischen Tschechen und Deutschen und habe dies den hervorragendsten Führern aller Parteien gegenüber in nachdrücklichster Weise betont. * Pest, SO. Juni. (Telegramm.) Abgeordnetenhaus. Finanzminister Lukacs erklärte dem Abgeordneten Komjathq gegenüber, die aus dem Gebiete der Verzehrungssteuer unleugbar vorhandenen Uebejstände würden in dem neuen Ausgleich mit Oesterreich vollkommen beseitigt sein. Hinsichtlich der staats rechtlichen Bedenken Komjathy's erklärte der Finanzminister, dec kompetente Richter darüber, ob die österreichisch« Re gierung verfassungsmäßig vorgehe, sei nur daS österreichische Parlament, übrigen» werde er, der Minister, bei der Special- berathung ein Amendement beantragen, nach welchem ausgesprochen werden soll, daß das ungarische Geietz über die Zuckerprämie außer Kraft trete, wenn daS österreichische Gesetz seine Geltung ver lieren sollte. * Pest, 30. Juni. (Telegramm.) Der König von Siam wird heute Abend nach Warschau abrcisen. Frankreich. * Pari-, 30. Juni. (Telegramm.) Die Panama- Commission beschloß, die sofortige Mittheilung aller Unter- suchungSacten zu fordern, und ernannte einen neungliedriaen ständigen ExecutionSauSschuß zwecks Prüfung der Acten. Die Negierung wirb am 1. Juli die Frage berathen, ob dieMit- therlung der Acten der schwebende» Untersuchung an die Commission angängig sei. Belgien. * Brüssel, 30. Juni. (Telegramm.) Der Ausstand im Kohlenbecken von Mons breitet sich auS. 18 500 Berg arbeiter sind bereits ausständig. würden sie deshalb auch keinen Moment anstehen, die Enkelin, die sie nie geliebt — Ohl eS war zum Verzweifeln, zum Berrücktwerdea war'»! Sonst, wenn sie sich vom grausamen Schicksal umgarnt gesehen, hatte ihr scharfe- Auge immer noch eine Masche gefunden, die sich erweitern und ihre geschmeidige Persönlich, reit durchschlüpfen ließ — heute bot sich kein solcher Ausweg, da- Netz war gar zu dicht gesponnen. Wa» thun — wa- thun?! — Stillbalten — ausharren — Und wenn die Welt kam, grinsend, spottend, höhnend: „Ei, ei, Jungfer Sittsamkeit, wer hätte da- gedacht?" — Wa- dann? Dann — Anna von Hellbronn hielt mitten im hastigen Gang inne, stampfte mit dem Fuß auf und hob die Stirn, al» wolle sie der boshaften Welt Trotz bieten. „Wenn ich ihn liebe, was geht e» Euch an?" sprühte ihr Blick — aber nur einen Moment, dann war da- Feuer erloschen. Die Lider sanken herab, der Kopf neigte sich wieder auf die Brust, müde aufseufrrnd schritt sie weiter. Jawohl, sie liebte ihn. Es hämmerte ihr wild im Busen, «S schlug ihr heiß in die Stirn, eS trieb sie in seine Um armung, wenn er kam und wenn er fort war, füllte sie e« mit süßem Träumen, Hoffen und Sehnen. DaS war die Liede — alle Merkmale stimmten. In der Liebe allein aber sei daS Glück, behauptete man. Wollte sie also glücklich Werden, so zeigte sie der Welt morgen eine eherne Stirne und ließ Verlobungskarten drucken. LerlobungSkarten? Ach so! ja. Da hatte sie ohne die Großeltern gerechnet. Di« verziehen ihr den Künstler fo wenig, wie der Hedwig damals ihren Hauslehrer. — Pfin? welch' eia fataler Vergleich! Franz — so berühmt, so vermögend, so — gleichviel von Stande war er nicht und di« Groß eltern hatten mittelalterliche Ansichten in diesem Puncte. An gemächliche Hochzeit-Vorbereitungen war also nicht zu denken „Hals über Kops zum Hause binau» und komme u«S nicht wieder!" würde eS heißen. Heimlich konnte sie dann mit ihm zum Traualtar — heimlich? Während die Neugier auS allen Fenstern spähte? Und zum Traualtar? DaS ging doch auch nicht sogleich. Da waren erst allerlei Präliminarien zu erledigen und bis dir» geschehen, hatte die Residenz Zeit genug, zu grinsen und scheel zu blicken. Endlich aber, wenn alle« überstanden — ? Nun, dann hatte sie für den guten Namen, den sie verloren, glücklich einen anderen wieder. Der Frau ihre« Manne« durste Niemand wagen, offene Mißachtung zu zeigen, al- Frau ihre- Manne» mußte man sie — dulden in der Gesellschaft. Ja man mußte — wohl oder übel — ha ha ha! Eine himmlische Aussicht! Bis jetzt hatte man sie bewundert, angebetet, vergöttert, bis jetzt war sie der strahlende Mittelpunct der Gesellschaft gewesen, die Seele aller Vereinigungen, die Königin aller Feste. Warum? Weil sie der Magnet gewesen war, der alle Männer an sich gezogen hatte, die jungen wie die alten, die tbörichten wie die weisen. Wie halte doch der Neid ge zischelt neulich noch? „Gesetzt den Fall", hatte er gezischelt, „eS wären fünfzig auserlesene Schönheiten in einem Raum versammelt, Anna von Hellbronn als die Unansehnlichste unter ihnen, und eS träte ei» Mann in die Thür — er würde die neununvierzia keine- Blickes würdigen und an Anna von Hellbronn'S Seite eilen." DaS war, wie gesagt, alle» nun gewesen. In Zukunft wurde eS anders. Wenn in Zukunft derselbe Mann von den fünfzig Schönen eine übersah, vollständig als Luft be trachtete, so war diese Eine Anna von Hcllbronn. Und sie? Nun, sie ließ sich'S natürlich von Herzen Wohlgefallen, hatte ja alle Ursache — ha ha! Liebte sie dock und wurde wieder geliebt, in der Liebe allein aber war ja das Glück. Unsinn! Konnte eines ManneS Liebe ihr die Huldigung der gesammten Männerwelt ersetzen? Konnte die Liebe zu einem Manne, mochte er sein, wer er wollte, sie fühlloS machen gegen den Verlust ihrer Anbeter, die Geringschätzung ibrer Bewunderer, die Schadenfreude ihrer Neiderinnen, den Triumph ihrer Rivalinnen?! Unsinn! Unsinn! DaS Herz batte ihr still gestanden, als Günther durch daS Gebüsch gebrochen war. Wie ein Tiger hatte er auS- gesehen mit den wildsunkelnven Augen, aber — mißfallen halte er ihr darum nicht. Mißfallen hatte er ihr im Grunde nie, und wenn sie ihm den Anderen vorzog, wenn sie mit Leidenschaft an diesem hing, im Lichte deS zukünftigen Gatten hatte sie ihn heute zum ersten Male gesehen. — — Günther wäre «m Mustergatte geworden. Er liebte sie ebenso glühend wie der Andere und — schließlich war Ge- liebtwerden die Hauptsache. — — — — — — — Thörin, die sie gewesen, ihr Glück zu verscherzen! Auf Händen hätte er sie getragen, biegsame« Wach wäre er gewesen zwischen ihren Fingern und dann — Gräfin zum Stein auf Rauhenstein — wie angenehm hätte ihr da« in'« Ohr geklungen ihr Lebenlang! Tbörin! Thörin! — Doch wa« half da- Klagen? Die Zeit drängte! Zur Stunde ließ sich die Welt noch nicht» träumen, aber vielleicht morgen früh schon beim Erwachen ging ihr ein grelles Licht auf! WaS thun — großer Gott! WaS thun? Stillbalten — auSharren? Der Welt die Stirn bieten — deS Maler- Weib werden? Unmöglich! WaS tbun dann — was tbun?! Mit hastigen, ungleichen Schritten durchmaß Anna von Hellbronn das Gemach, in den Augen «in flackernde- Funkeln, die Brauen angstvoll zusammengezogen, um die Lippen ein ralhloseS Zucken, die Hände abwechselnd gegen die pochenden Schläfe gepreßt und krampfhaft verschlungen von sich gestreckt, als beschwöre sie einen mitleidigen Geist, ihr zu Hilfe zu kommen, da ihr eigener sie im Stiche ließ. Ob ihr Fleben erhört wurde? Jedenfalls stand sie plötz lich still und schöpfte, den Kopf in den Nacken biegend, auS tiefster Brust Albem. Dann trat sie an ihren Schreibtisch. Mit zuckenden Fingern griff sic nach Papier und Feder und wie damals begann sie: „Mein lieber Günther!" Aber nicht wie damals reihten sich die Worte leicht und gefällig aneinander. Ein jede» ward vor seiner Aufzeichnung ge prüft und gewogen und selbst manches, da» Gnade ge funden, ward hinterher durch einen Querstrich wieder ver dammt. Ein geschwärztes Blatt nach dem andern flog in da« leise fortknisternde Kaminfeuer, die Nachtstunden zogen vorüber und der graue Morgen blickte durch da« Fenster — da erst lag daS kleine große Werk adresstrt und versiegelt vor der Schreiberin. Erschöpft lehnte sie in ihrem Sessel, erschöpft, aber mit einem befriedigten Lächeln auf den Lippen. Auf einmal jedoch wich das Lächeln dem allerschmerzlichsten Seufzer. Hastig richtete sie sich empor und nahm au« der Schublade, in die sie sie unseres Erinnerns geworfen, die Photographie, die sie zum erstenmale mit geschlossenen Augen geküßt hatte. Jetzt küßte sie sie mit offenen, aus denen Thränrn stürzten, leidenschaftlich wieder und wieder. E« schien, als wolle sie dieselbe verschlingen mit ihren Küssen, ffe auSlöschea und auflösen mit ihren Thränen, allein noch zu rechter Zeit trank ein Batisttuch die salzigen Verderber, da« Bild wanderte unversehrt in seine Lade und Anna von Heilbronn legte sich — schlafen. 7. Capitel. DaS Ringen im Garten hatte sich zum Nachtbeil de» leidenschaftlichen Angreifer» entschieden. Mitten auf dem moadoeschieornen Pfade, au der Stelle, wo weui-e Minute» vorher die Ursache seiner Seelenqual in bebender Angst ge standen, batte er gelegen, wuthscbäumend unter der zwingen den Hand deü Gegners, bis dieser plötzlich seine Züge er kannt unv mit einem verstörten „Günther — Du?!" in die Höhe gefahren und zurückgeprallt war. Darauf hatte er sich taumelnd erhoben, war mit geballten Fäusten und lodernden Blicken vor den fassungslos Stehenden hingetreten und hatte in haßersticktem Tone SatiSfaction von ihm ver langt. Dann war er davongcstürzt. Nun batte er eine ähnliche Nacht hinter sich wie die treulose Geliebte, daS heißt auch ihn hatte eS gleich einem ruhelosen Geiste in seinen vier Wänden auf und ab gejagt. Zwischen dem, WaS sie, und dem, WaS er gelitten, war freilich kein Vergleich. Wenn in ihr nicht viel mehr als die Eitelkeit blutete, so war seine ganze Seele eine zuckende Wunde. Günther'S Kopf vermochte nicht allzu viele Ideen, sein Herz nicht allzu viele Menschen zu fassen, aber ihm seine Ideen auSzureden, daS hielt schwer, und ihm seine Menschen abspenstig zu machen — daS gab einen Kampf auf Leben und Tod. Heute Nacht hatte er diesen Kampf mit sich selber gekämpft. Seit Jahren kannte sein Vater keinen sehnlicheren Wunsch, als ihn vermählt zu sehen, und er selbst fand diesen Wunsch wohlberechtigt. Daß ein uralte», edle« Geschlecht mit ihm auSstarb, ging nicht an, aber daß er die erste beste hübsche Mädchenblüthe annehmen sollte, die ihm die liebe Verwandt schaft auf dem Präsentirteller entgegentrug, war darum doch ein bischen viel verlangt. Freie Wahl hatte er gefordert, und dann hatte er sich auf die Blumensuche begeben, nicht wie ein flatterhafter Schmetter ling, sondern wie ein ernster, bedächtiger Forscher. Viel Zeit war darüber vergangen, noch kaum ein halbes Jahr konnte :« her sein, daß er sie gefunden, die eine Wunderblume, von der er gewähnt, daß der Herrgott sie ganz allein für ihn ge schaffen habe, die eine Wunderblume, die er sachte mit den Wurzeln auSgrhoben und in da« Allerhöchste seine« Herzen« verpflanzt, die er sich geschworen hatte, zu hegen und zu pflegen bis in alle Ewigkeit, und die er heute au-reißrn, von sich schleudern, zertreten, vernichten sollte wie ein giftige« Unkraut. (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder