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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.07.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970702023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897070202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897070202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-02
- Monat1897-07
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Größere Schriften laut unserem Prei-. Vrrzeichniß. Tabellarischer und Zisfrrnjatz uach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit da Morgen «Ausgabe, ohne Postbeförderanz; SO.—, mit Postbesörderung ^ll 70.—^ Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 332. Freitag den 2. Juli 1897. 91. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2. Juli. Der „Reichs-Anzeiger" hat seinen Mund weit auf- gethan und wenn wir noch wären wie die Kinder, würden wir den 1. Juli 1897 als ein historisches Datum verzeichnen. Wir Deutschen sind aber trotz unseres, Gott sei Dank! schwachen Talentes zur Blasirtheit gegenüber Veränderungen in der Regierung so gleichgiltig gemacht worden, daß den Beobachtenden und Denkenden unter uns ein Stellenwechsel auf der politischen Bühne Preußens und des Reichs nicht lebhafter bewegt, als den überältlichen Ballet-Habitu6 eine neue Ver ordnung über die Bekleidung der Tänzerinnen, wie sie nach 1890 za auch ein Gegenstand höherer Fürsorge gewesen ist. Der Curs bleibt der neue. Darauf deutet Alles bin, nicht zum wenigsten der Umstand, daß wir nach Wochen geräuschvollen Deliberirens und angesichts langer und weiter Reisen des Reichsoberhauptes in einem Provisorium stecken geblieben und vor ein Vacuum gestellt sind. Daß Herr von Marschall bei Seite geschoben wurde, ohne vorher zur Einreichung eines Abschiedsgesuches veranlaßt worden zu sein, ist ja nicht von sonderlicher praktischer Bedeutung, obwohl wir es nicht für reichs politisch förderlich erachten, daß die Art, wie dem Manne, der sich doch sieben Jahre an formell erster Stelle im Dienste dcS Monarchen wahrhaftig redlich geplagt hat, seine Entbehr lichkeit zu erkennen gegeben worden ist, in Süddeutschland bis in die hochconservakiven Kreise hinein das allerböseste Blut macht. Aber das ist doch kein ordentlicher Zustand, daß die aus wärtige Politik einer Großmacht, deren oberster Beamter im Urlaub seiner Entlassung harrt, von einem rasch berufenen „vicarirt" wird, noch dazu unter einem Himmel, der nicht frei von „schwarzen Puncten" ist, — der türkisch griechische Friede z. B. ist noch lange nicht geschlossen. Immerhin, im Auswärtigen Amte sitzt ein Mann, vielleicht sogar mit der Zuversicht, sich dort aufbraucken zu dürfen. Aber das Reichsschatzamt ist nicht neu besetzt worden. Allerdings ist auch Graf von Pofa- dowSky seines bisherigen Amtes nicht ausdrücklich ent hoben worden, aber er hat noch keinen Nachfolger und wer weiß, wann sich, nachdem der badische Finanzminister vr. Buchenberger das ihm angetragene Reichsschatzamt ab gelehnt hat, ein anderer Sachverständiger oder ein williger General für diesen Posten findet. Graf Posadowsky be kleidet also vorläufig drei Acmter, die er unmöglich gleichzeitig ausfüllen kann. So ein Reichsschatzsecretair, daS wissen auch etwaige militairische Eandidaten, ist kein Winter-Lieutenant. Vier, auch sechs Wochen Urlaub haben sich die Inhaber dieser Stelle gewöhnlich im Hoch sommer gegönnt, aber schon diese Zeit hat Wohl keiner von ihnen jemals frei von Geschäftssvrgen zugebracht. Da nach aber galt es, den Etat für das nächste Rechnungsjahr vorzubereiten, eine Aufgabe, die für den Ressortchef, wenn er nicht ganz Commis ist, eine politische und selbst für einen Commis eine sehr umfangreiche ist. Graf v. Posadowsky sollte als Stellvertreter des Reichskanzlers wie als Staals- sccretair deS Reichsamtes deS Innern nur ein Mann dcS Geld ausgebens sein. Damit verträgt es sich nicht, daß er weiterhin pflichtgemäß die Hände auf die Taschen halten soll. Die zwei Seelen taugen auch nicht für einen Monat in einen Leib und man hat auch in der Blüthezeit der goldenen Juni-Hoffnungen nicht ernstlich daran gedacht, Herr v. Miquel werde „Vice kanzler" und ReichSschatzsecretair.werden. „Vicekanzler" ist auch Graf v. Posadowsky nicht geworden, er tritt im Reiche in allen Stücken an die Stelle des Herrn vr. v. Boetticher, dessen in Preußen bekleidete Stelle eines Vicepräsidenten des StaatsminlsteriumS Herrn vr. v. Miquel zugefallen ist. Diese beiden Entscheidungen sind erwartet worden. An sie irgend welche Speculaticnen zu knüpfen, wäre müssig. Eben sowenig ist es an der Zeit, die Person und Laienhaftigkeit des Herrn v. PodbiclStt, nun er einmal zum StaatS- secretair des Reichspostamts ernannt ist, zum Gegenstände weiterer Erörterungen zu machen. Die „Nordd. Allg. Ztg." hat allerdings einem Ungeschickten den Auftrag zu diesem Ge schäft gegeben. Sie entschuldigt im officiösesten Sperrdruck die Berufung des „Neulings", dessen erste Erwähnung bei den Erörterungen über die Ersetzung Slephan's selbst von der conservativen „Hall. Ztg.", als ein wenig angebrachter Witz aufgefaßt wurde. Wir harren vorerst ruhig der Rüben» die sich Ändere — angeblich — von dem jungfräulichen Boden postalischer Sachunkenntniß versprechen. Ruhe ist über haupt dasEmpfehlenswenheste. Man wird sie nöthig haben, wenn dieselben Inspiratoren des neuesten Curses, die soeben erst ihren Bankerott in der Behandlung der Umslurzbewegung haben offen eingesteben müssen und das von ihnen bewirkte Fallenlassen des Reichssocialistengesetzes bejammern, freie Hand zur fiskalischen Ausbeutung des Post- und Telegraphen wesens und damit zur Züchtung des gefährlichsten Unzufrieden- beitSbacillus nicht nur in den Schichten der zahlreichen Unterbeamten deS gewaltigen Ressorts, sondern auch in den breiten Schichten aller am billigen und prompten Post- und Telegraphenverkehr interessirten Reichsbürger erhalten. Herr vr. v. Boctticher bat schon vor der Genehmigung seines Entlassungsgesuches Elegien auf seinen ministeriellen Hintritt genießen können. Er erfuhr und erfährt viel An erkennung, in einem großen rheinischen Blatte sogar so über schwängliches Lob, daß die Kunst dieses Organs, für den in die Regierung tretenden Herrn V. Bülow noch begeisterndere Worte der Bewunderung und verzückter Verehrung zu finden, den Neid der besten orientalischen Talente, wenn auch nicht Cha raktere, erregen muß. Wir für unser» Theil wissen über Herrn v. Bülow aus eigner Kenntniß gar nichts zu sagen und halten es für vereinbar mit der Gerechtigkeit, bei der Würdigung der Leistungen des Herrn v. Boetticher die Prosa beizubehalten. Der hervorragende Mann, der zwei wichtige Aemter nieder legt, verträgt eine nüchternere Betrachtung. Er hat, nachdem er schon vorher bedeutende Posten bekleidet, siebzehn Jahre hindurch neben der ersten Regierungsstelle ungemein nützlich für das Reich gewirkt. Ungleich Herrn v. Marschall in seine hohen Aemter hineingewachsen, ist er den außerordentlich schwierigen Aufgaben, die sie an ihren Träger stellten, mit kaum vcrgleich- lichem Erfolge gerecht geworden. So groß seine geistige Be gabung auch ist, eine außerordentliche Ärbeilskraft und außerordentlicher Arbeitseifer müssen ihr unterstützend zur Seite gestanden haben. Man liebte es, das sichere Auftreten, das Herrn v. Boetticher auszeichnete, wenn im Parlament technische Fragen zu erörtern waren, mit seinem glücklichen Auffassungsvermögen, seiner seltenen Gewandtheit zu erklären. Wir haben jedoch nie bezweifelt, daß solche Fähigkeit, jederzeit auf jede Einzelheit der Gegen stände seines Ressorts einzugehen, die Frucht gründlichen Studiums gewesen sein müsse. Und wie weitumspannend ist dieses Ressort gewesen! Wir nennen nur die Arbeiterversicherungsgesetzyebung, ein bis dahin unbetretenes Gebiet, die Arbeiterschutzgesetzgebung, die Handwerks-Angelegenheiten, die Patentgesetz gebung und den Bau des Nord-Ostsee-Canals. Spielte die Politik in mehr als eine dieserjAngelegenheiten, so hatte Herr von Bötticher überdies die Aufgabe, die Regierungspolitik überhaupt zu vertreten, er war „Sprechminister". Für diese Stellung ließen ihn große Rednergabe, bewundernSwerthe Gewandtheit und Schmiegsamkeit, sowie verbindliches Auftreten wie geschaffen erscheinen, und er hat denn auch — bis kurz vor seinem Rücktritte — die in ihn gesetzten Erwartungen glänzend gerechtfertigt. Die Zahl der parlamentarischen Schwierigkeiten, die er spielend zu beseitigen oder wenigstens für den Augenblick aufzuheben wußte, ist Legion. Daß ein neues System eine solche Kraft von dem verdrängten übernimmt, ist ein häufiger und sehr verständlicher Vorgang. Aber der Ueber- nommene ist kein beneidenswerther Mann. Den Freunden des Gewesenen wird die einst geschätzte Gewandt heit, wenn sie sich in den Dienst des Gewordenen stellt, befremdlich, oft geradezu ärgerlich. Und ist die Regierung noch dazu eine schwankende und wird ihr parla mentarischer Vertreter dennoch jeder Wendung gerecht, dann verkehrt sich die Anerkennung der Geschicklichkeit auf allen Seiten leicht in Unwillen, die Gabe wird zum Fluch. Herr von Boetticher konnte diesem Schicksal eines bleibenden Mannes im Wechsel der Dinge umsoweniger entgehen, als er sick von einem Umschwünge tragen ließ, wie die Weltgeschichte ihn selten zu verzeichnen gehabt hat, und als er dabei zu einem über gewaltigen früheren Meister in persönlichen Gegensatz gebracht wurde. Daß Herr v. Boetticher einen Antheil an dem Sturze deS Fürsten Bismarck gehabt, hat er stets in Abrede gestellt. Jedenfalls hätte er, wie er sich auch verhal ten mochte, so wenig als ein Anderer daS Schicksal des alten Curses zu wenden vermocht. Aber wer der Dolmetsch Bismarck'scher Politik gewesen ist und hierauf die völlige Abkehr von ihr an allen Puncten, außer den auswärtigen An gelegenheiten, vertheidiat, der lädt, auch wenn die Abkehr ohne sein persönliches Zuthun erfolgt ist, eine tragische Schuld auf sich. Diejenige Les Herrn von Bötticher hat eine tragische Sühne erfahren. Der Sprechminister, der red nerische Allüberall, fällt, weil er einmal nickt sprechen zu sollen geglaubt hat. Wir haben für unseren Theil Herrn v. Boetticher'S Schweigen am 18. Mai nie zu billigen ver mocht, aber wir sehen keinen Grund, in die soeben laut werdende Versicherung Zweifel zu setzen, daß er stumm geblieben sei, weil er so seine Pflicht gegen die Krone am gewissenhaftesten zu erfüllen vermeinte. So sieht er sich durch ein Verhalten, das ihm ein Verdienst erscheint, zu Falle gebracht. Gewiß ein tragisches Ende einer Laufbahn, von der die Geschichte des ersten Vierteljahrhunderts des neuen deutschen Reiches viel des Rühmlichen zu berichten haben wird. Langsam schreitet in der Lchwci; die Beratbung der beiden großen Gesetzesentwürfe durch die Bundesversammlung vor wärts. Die Eintretensfrage nahm in beiden Räthen vier Tage in Anspruch. Immerhin wird der Nationalrath wenig stens die Krankenversicherungsvorlage noch in dieser Tagung erledigen, die Unfallversicherung auf die außerordent liche Septembertagung verschieben. Er hielt sich bis jetzt im Allgemeinen an die Anträge seines Ausschusses, welche auf einer das Zustandekommen des Werkes sichernden Ver ständigung zwischen den Parteien beruhen, doch wurde dieser Compromiß durchbrochen bei der Festsetzung des BundesbeitragS an die Auflage der Mitglieder der KreiSkrankencaffen, indem man trotz ernster finanzieller Be denken des BundeSrathS und entgegen der Ansicht der Com mission, welche die Eröffnung neuer Quellen, wie die Ein führung deS Tabakmonopols, vermeiden möchte und daher den Beitrag nur auf 5 Rappen gestellt batte, folgenden An trag eines abtrünnig gewordenen Ausschußmitgliedes annahm: „Die Höhe des Beitrags wird alljährlich im Voranschlags des Bundes oder durch besonderen Beschluß der eidgenössischen Näthe je für das folgende Jahr festgesetzt. Der Betrag soll jedoch nicht weniger als einen Rappen für jeden Tag der Mitglied schaft betragen." Schon im ursprünglichen Entwurf deS Bundes raths war dieser Bundesrappen vorgesehen. Der Ständerath hat an den ersten acht Artikeln deS Rückkaufsgesetzes nur eine einzige wesentliche Abänderung vorgenommen und meist der vom Ausschuß vorgeschlagenen Fassung zugestimmt. Um einzelne Bestimmungen und neue Anträge wurde zwar heiß gestritten, so über die Art und Weise der Unterstützung der Nebenbahnen und über die von gegnerischer Seite vor geschlagene Streichung der Gotthardbahn und der Nordost bahn aus dem Verstaatlichungsprogramm. Schließlich nahm der BundeSrath das Rückkaufsgesctz mit den verschiedenen beschlossenen Aenderungen mit 25 gegen 17 Stimmen an. Nachdem es einige Tage lang den Anschein gehabt, als würde sich binnen Kurzem eine Klärung der Verhältnisse zwischen der Türkei und Griechenland im friedlichen Sinne vollziehen, herrscht der „Internat. Corr." zufolge augen blicklich in den türkischen Regierungskreisen wieder eine äußerst kriegerische Stimmung vor. Hochgestellte Türken sprechen es offen aus, der Sultan denke gar nicht daran, Thessalien zu räumen, auch wenn es sämmtliche Groß mächte verlangen würden. Er werde allerdings die von den Mächten aufgestellten Friedensbcdingungen „im Princip" annehmen, jedoch die Bestimmung deS Zeitpunktes, an welchem Thessalien geräumt werden solle, sich Vorbehalten. Ebenso ist eS leider eine Thatsache, daß der Versuch, durch die Entsendung deS Prinzen Mavrokordato nach Kon stantinopel eine freundschaftliche Verständigung zwischen der Türkei und Griechenland herbeizuführen, voll ständig gescheidert ist. Der Minister deS Aeußeren, Trwfik Pascha, hatte erst zugesagt, den griechischen Gesandten zu empfangen; doch wurde die Besprechung im letzten Augenblick wieder abgesagt. — Am besten wird die Lage durch die Thatsache gekennzeichnet, daß gegen wärtig in den europäischen und kleinasiatischen Provinzen des türkischen Reiches fast 400 000 Mann unter Waffen stehen, davon 15 000 in Thessalien, EpiruS und Süd- Macedonien, 50 000 nahe der serbischen Grenze, 70 000 in den Bulgarien benachbarten Bezirken, 30 000 in Konstantinopel und fast 100 000 in Kleinasien, welche fortwährend nach der russischen Grenze hin vorgeschoben werden. Daher ist auch die Stimmung gegen Bulgarien und Serbien eine sehr feindselige. Schon wiederholt kam die Meldung, daß bulga rische Freischärler die Grenze überschritten hätten, und die jetzige Einberufung des „makedonischen CongreffeS", die offenbar mit Zustimmung der bulgarischen Regierung erfolgte, hat die Türken aufs Aeußerste erbittert. Desgleichen verlangt man die Unterdrückung der serbischen Propaganda in Nordmake donien, dem sogenannten Altserbien; und von irgend welchen kirchlichen Zugeständnissen an Serben und Bulgaren, durch die sich die Pforte bei Beginn des Krieges mit Griechenland die Neutralität mit den beiden slawischen Balkanstaaten zu sichern suchte, >ist heute nicht mehr die Rede. Jedenfalls ist Feuilleton» tlanny Trauner. 9) Roman von C. Schroeder. Nachdruck verboten. Ja, das sollte — das mußte er! Nach dem, was er ge sehen, war Zögern Feigheit! Heraus und fort mit ihr! Wenn aber ihre Wurzelfasern sich um seinen Lebensfaden geklammert hatten? — Dann mochte er brechen! Was lag daran? Mit dem Lebensglück war es ja doch zu Ende! Augen von der Farbe der Treue, mit dem offenen, ge raden Blick der Wahrheit und im Herzen eine Hölle der Falschheit! Worte der gekränkten Liebe auf den Lippen, in der Feder — im Busen hohnlachenden Verrath! Heraus mit der Giftpflanze — fort mit ihr! WaS zauderte er noch? Ein Jrrthum? Wie war ein Jrrthum möglich? Halten seine eigenen Sinne ihn nicht überzeugt, daß das Schlimmste wahr gewesen, WaS der Eifersuchtsteufel ihm in die Ohren gezischelt hatte, wenn er einsam durch die schneebedeckten Felder von Rauhenstein ge strichen war? Versuchung? Teuflische List? Wer war der Versucher— wer der Teufel? „Franz Flemming?" — Möglich, daß er ihn so genannt hatte vorhin in seiner wahn sinnigen Wuth, jetzt bei vernünftigem Erwägen mußte er daS böse Wort Wohl oder übel zurücknehmen. Ein Mann zum Hassen mochte er sein, ein Mann zum Verachten nicht. Nein. Er kannte ihn — noch nicht allzu lange — aber er kannte ihn gut. In zehn Reisewochen, die er ausschließlich in seiner Gesellschaft verlebte, hatte er sich überzeugen können, daß Franz Flemming keiner hinterlistigen Handlung fähig war, daß er sich eher eine Kugel durch den Kopf schoß, als daß er den Freund um seine Braut betrog. Um seine Braut! Da lag eS! WaS die Verlobung an belangte, war er ahnungslos gewesen wie ein Kind — dafür hatte sie Sorge getragen, die Ränkevolle! Wie deutlich erinnerte er sich nicht noch jenes letzten gemeinschaftlichen Spazierrittes, jedes gleißnerischen Wortes, das sie gesprochen, jeder schlauen Thräne, die sie geweint. kein Zweifel, damals schon batte daS ganze höllische Spiel abgekartet vor ihr gelegen! Gar kein Zweifel, der ^Teufel in dem Stück, der Versucher, war sie und sie allein. Kalten Blute« hatte sie den Verrath geplant, den Mann, den sie nicht einmal kannte — halt! Den sie nicht einmal kannte? Mit Augen mochte sie ihn nie zuvor gesehen haben, aber um seinen Ruhm hatte sie gar zu gut Bescheid ge wußt. Dieser Ruhm hatte eS ihr angethan. Den Gefeierten in sich verliebt zu machen, war ihr als ein hübsches Ziel für ihren Ehrgeiz erschienen. Die Liebe, die sie Günther gelobt, hatte ihr dabei nicht im Wege gestanden. Es war wohl überhaupt nie weit her gewesen mit dieser Liebe! Komödienspiel — höchst wahrscheinlich — von Anfang an! Komödienspiel, daS jeder Andere an seiner Stelle durchjchaut hätte, das — jeder Andere? Das hieß ihre Kunst denn doch wahrlick zu gering anschlagen! Mehr als menschlicher Scharfsinn hätte dazu gehört, da Lüge zu sehen, wo so täuschend, so überzeugend der Schein der Wahrheit gewesen! Gott! wenn er sich des aufstrablenden BlickcS und raschen Augenniederscklagens, deS sanften ErröthenS erinnerte, mit dem sie in den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft sein Erscheinen begrüßt hatte, wenn er jenes Abends gedachte, an dem sie ihm in bebendem HerzenStone ihr Jawort gegeben, und jenes Morgens gar, an dem sie von ihm Abschied genommen hinter den Cypressen im Garten, dann wahrhaftig, dann kamen ihm auch jetzt, nach dem eben Erlebten, noch Zweifel! Und er fing an, seine Augen zu fragen, ob sie auch recht gesehen, seinen Verstand, ob er auch Wohl bei der Sache gewesen vorhin, sein Herz, ob eS denn möglich sei, zu küssen, wie sie ihn beim Abschied geküßt, ohne Liebe im Busen. Großer Gott! Diese Küsse — er fühlte sie noch auf seinen Lippen brennen, sah noch die Blicke, die sie begleitete», die Blicke, die verzehrenden — ja wohl, verzehrende Leidenschaft, die in seinen flammte und — er legte auch jetzt, nach dem eben Erlebten, noch jeden Eid darauf ab, daß Anna von Hellbronn damals von Herzen sein gewesen. — Ruhelos, wie die Gedanken sein Gehirn, durchirrten Günther'S Schritte da» Gemach, und als er endlich — eS war ungefähr um dieselbe Zeit, als Anna von Heilbronn, von einer Last befreit, ihr Lager aufsuchte — erschöpft auf einen Stuhl sank, da fanden seine Augen keinen Schlaf, sondern hinter den geschlossenen Lidern Wort für Wort die acht Liebesbriefe wieder, die er schon unzählige Male gelesen batte, aber nie zuvor im häßlichen Lichte ihrer Falschheit. Schauerlich verändert erschienen sie ihm. Jeder Buchstabe trug eine Mißtrauen erregende Miene und hinter den Aus drücken, die ihn am meisten entzückt hatten, lugten bo-hafte Teufel hervor, sein« kurzsichtige Dummheit höhnisch be- grinsend, bis sie ihm den Kopf wüst machten und er mit einem knirschenden Laut der Wuth in die Höhe fuhr — auf die Tbür zu. Den Griff in der Hand, stand er still. Was wollte er eigentlich? — Sich räcken? — An wem? — An ihr — an einem Weibe? — An ihm? Tann nur gemach! Die Rache entging ihm nicht. Heute noch trat er dem Schuldlosen, mit Degen oder Pistole bewaffnet, gegenüber, und wenn er ihn nicht niederstreckte, so verleugnete die Glücksgöttin ihre un gerechte Natur zum ersten Mal, seitdem sie ibre Kugel rollte! Einen guten Mann tödten, um ein schlechtes Weib zu strafen, daS war ein Stück so recht nach ihrem Sinn. Bitter auf lachend, warf sich Günther wieder in seinen Sessel. In dumpfem Brüten vergingen ihm Stunden, doch eS war immer noch früh am Morgen, als man ihm ein versiegeltes Couvert überbrachte. Ein Blick sagte ihm, wer eS abgesendet. Mit einer ungeduldigen Handbewegung hieß er den Diener, es niederlegen und sich schleunigst wieder entfernen. Es mit düster gerunzelten Brauen von der Seite anstarrend, saß er nun. Gar keine Frage, daß er seinem tiefverletzten Stolze schuldig war, eS unerbrochen dahin zurückzuschicken, woher eS ge kommen, gar keine Frage, aber — ein kurzes Achselzucken, er riß daS Schreiben an sich, streifte die Hülle ab und laS: „Mein lieber Günther!" (Ein hartes Lächeln entfuhr ihm). „AuS Barmherzigkeit wirf den Brief nicht von Dir! Lies ihn — auf den Kmeen fleh' ich Dich an! — LieS ihn zu Ende und wenn Du noch des alte edle Herz in der Brust trägst, so opfere dem Mitleid Deine Rache! Ach Gott! — ach, lieber Gott, ich weiß ja, daß ich kein Mitleid verdient, daß ich mich schwer an Dir versündigt babe, ich weiß eS, und der Gedanke bringt mich dem Wahn sinn nahe! Aber, Günther — Tiefgekränkter, Ewiggeliebter — ganz so schwarz, wie Du wähnst, ist meine Sünde nicht! Habe Geduld — lass' mich erzählen! Sieb', im Grunde wollte ich eigentlich nicht- als Irma Wenheim einen Streich spielen. Es verdroß mich, daß sie wie ein sentimentaler Backfisch für einen Mann, den sie nie gesehen, schwärmte, bloS weil seine Kunst alle Welt entzückte (sie selber versteht gar nicht- von der Kunst). E« verdroß mich noch mehr, daß sie eS als ganz natürlich annahm, der Mann werde ihren Reizen beim ersten Augenblick zum Opfer fallen und ihr Anbetung mit Anbetung vergelten. Deshalb beschloß ich, ihn in meine Nähe zu locken — nur um sie rin bi-chen zu necken und zu demütbigen, Günther — ganz gewiß auS keinem anderen Grundel Einen Verrath an unserer Liebe zu begehen, daran dachte ja meine Seele nickt. Ach nein, ich wollte von ihm weiter nichts als unter den Argus augen der Welt die gewöhnlichen Huldigungen, die mir Viele barbrachten — Deines Wissens, Günther! Ein Weilchen seine Aufmerksamkeit auf mich lenken wollte ich, bis Irma zur Erkenntniß gekommen, daß — mit Beschämung gestehe ich, welch' ein großes Wort die verletzte Eitelkeit mitsprach — daß von unS beiden ich die Unwiderstehlichere sei, dann mochte sie ihn hinnehmen — was lag mir an ihm? Ich liebte Dich! Ich liebte Dich, ich betrachtete mich im Herzen als Dein Weib — aber es ist gefährlich, mit dem Feuer zu spielen! Du Günther, Du hattest mich gewarnt, hattest mir gesagt, daß er für Augen und Haare wie die meinen von jeher eine Passion gehabt. Die Warnung batte ich in den Wind ge schlagen, und nun wollte daS Unglück, daß er mich liebte vom ersten Augenblicke an, daß er mich mit seiner Leidenschaft ver folgte. DaS war die Strafe — vielleicht eine gerechte, aber auch eine furchtbar schwere Strafe für meine Eitelkeit, meinen Leichtsinn. Ich war in Verzweiflung, ick mied ihn, wo ich konnte! Nur vier Mal im Leben habe ick ihm gegenüber gestanden, Worte mit ihm gewechselt — ich schwöre eS Dir! DaS vierte Mal — O Günther, Günther, ich weiß selbst kaum, wie eS geschah! Der Mond ließ mick nicht schlafen und ick stieg in den Garten hinab — unter der Hängresche stand er! An das, was er sagte, erinnere ich mich nickt mehr. Seine Rede war wie ein glühender, brausender Lavastrom, der mich umwogte, mir die Sinne verwirrte. Als ich mich Wiedersand — lehnte mein Haupt an seiner Brust. Bevor ich meinem Entsetzen durch einen einzigen Schrei Luft machen konnte, kamst Dn — Warum ich Dir dies alles sage, Günther? Nicht um mich von meiner Schuld rein zu waschen — wahrlich nicht! Sie ist ewig unauslöschlich, und die Kluft, die sie zwischen uns gerissen hat, ist ewig unauSfüllbar — ich weiß es zu meiner Qual. Ich sage e- Dir, um Dich milder gegen mick zu stimmen, nm Dich zu überzeugen, daß ich noch unglücklicher bin als schuldig, um — ob! Günther — um Dich zu bestimmen, wenn eS möglich ist, dem Duell mit diesem Manne zu ent sagen! Thue es nicht, ich bitte, ick beschwöre Dich darum — thue eS nicht auS Gnade, auS Barmherzigkeit! Wenn Du durch meine Schuld das Leben verlörest — zur Verzweiflung, zum Selbstmord triebe e« mich! Und wenn kein Tropfen Deines theueren BluteS flösse, auch dann noch wäre die«
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