02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.06.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970617020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897061702
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- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-17
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Reklamen unter dem Redactionsstrich (4g«» spalten) bO-ij, vor den Familiennachrichte» (Sgespalten) 40 BrSßere Schriften laut unser«n Preis- verzetchniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarts. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit bev Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderunzl 60.—, mit Postbesörderung 70—> Tlnnuhmeschlud für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Rkorgen-AuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je rin« halbe Stund« früher. Anzeigen sind stet» an die Erpeditto» zu richten. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig. 91. Jahrgang. politische Tagesschau. * Leipzig, 17. Juni. Der „RcichSanzeiger" spielt Herrn vr. d. Miquel gegenüber immer nock den Vogel Strauß, obgleich er sieht und meldet, daß der Reichsschatzsecretair Graf PosadowSky in Berlin angekommen ist. Auch von der Ernennung des ContreadmiralS Tirpitz zum StaatSsecretair des Reichs- Marineamts, die nach dem „Hamb. Corr.", der „Nat.-Ztg." und der „Köln.Ztg." bereits erfolgt ist, ist der „Reichsanz." anscheinend noch nicht unterrichtet; da aber die „Nordv. Allg. Ztg." hört, das Entlassungsgesuch des Admirals Hollmann sei jetzt angenommen und die Ernennung des Herrn Tirpitz zu seinem Nachfolger „dürfte" bcvorstehen, so wird voraussichtlich diese Ernennung noch beute publicirt werden. Von den Dingen, die sich sonst noch in Berlin vorbereiten, weiß man heute nicht mehr, als man seit dem 18. Mai weiß, daß nämlich die Tage des Herrn vr. v. Boetticher als Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums und StaatSsecretair des Innern gezählt sind. Einen für uns neuen und nicht gerade einleuchtenden Grund für die Unhaltbarkeit seiner Stellung bringt die „Nat.-Ztg." bei, indem sie andeutet, es werde Herrn v. Boetticher verübelt, daß er bei dem Ausfluge von Bnndesraths- und Reichstagsmitgliedern nach Hamburg ge redet habe, obgleich kein Trinkspruch auf den Kaiser auS- gebracht worden war. Unmöglich ist das ja nicht, aber jeden falls war das Maß des „Sprechministers" schon voll, nach dem er auf gehässige Anwürfe auf die Krone geschwiegen hatte; es war sogar voll in den Augen Derjenigen, die eine unerschrockene, aber wohlmeinende parlamentarische Kritik der abnormen Verhältnisse in den Berliner Regierunzs kreisen für zulässig und wünschenSwerth erachten. Also Herr vr. v. Boetticher wird aus seinen Aemtern scheiden. Aber deswegen allein und um den neuen StaatSsecretair des NeichSmarineamls ans der Taufe zu heben, ist Herr Vr. v. Miquel gewiß nicht von Wiesbaden verschrieben worden. Allerdings, er soll, wie immer bestimmter verlautet, Herrn vr. v. Boetticher als Vicepräsident des preußischen Staatsministeriums ersetzen. Aber auch das hätte vor seiner Abreise abgemacht werden können. ES bandelt sich sicherlich um mehr, und dieses Mehr scheint Schwierig keiten z »bereiten. Und das wäre begreiflich genug. Herr v. Miquel ist ein Mann, der nickt so leicht ein Amt übernimmt, daö er nicht mit allen Rechten und Pflichten auszufüllen Aussicht hat. Bisher nahm er, nickt geschäftlich genommen, sondern im Vergleich mit seinen Collegen, eine Sonderstellung ein. Er hatte Schwieriges in einem Ressort zu leisten, welches Aufgaben stellt, die nur einer intimen Sachkenntniß nicht trocken erscheinen. Als Vicepräsident des preußischen StaatSministeriums und gar als Vicercichskanzler, läuft er Gefahr, ohne sein Wißen und Zuthun Dinge angegriffen und erledigt zu sehen, für die er sich dem Lande und der Ge schichte verantwortlich glaubt. Dagegen scheint er sich sichern zu wollen; er dürfte das Wort „Programm" ausgesprochen haben, und es kann keinen Kenner der Per sonen und Verhältnisse befremden, wenn das Herausziehen dieses halbvergessenen Begriffes auS der Rumpelkammer nicht so glatt von Statten geht. Daß Herr von Miquel Laternen an der Locomotive, die er führen soll, angebracht haben will, geht daraus hervor, daß er sich gleich nach seiner Ankunft mit Herrn Tirpitz, dessen Ernennung wohl schon vorher so gut wie feststand, ausgesprochen hat. Er wollte wohl erfahren, welche Pläne der designirte StaatSsecretair deS Marineamts hat und ob Herr Tirpitz der Mann sei, der sich in seinen Plänen nicht irre machen läßt. Die Marinefragcn sind die wichtigsten für einen künftigen Vertreter der Reichspolitik, aber sie sind nicht die einzigen, in denen ein Mann, der eine staats männische Reputation zu riskiren bat, sich vor Ueber- raschungen sichern muß, bevor er Aemter übernimmt, die erste sind, wenn ihr Inhaber auch Stellvertreter heißen sollte. So erklärt sich die Meldung der „National zeitung", daß die Entscheidung über die schwebenden Personensragen sich verzögere. Darunter ist nicht allein der Ersatz für Herrn vr. v. Boetticher, sondern auch die Wieder besetzung des Reichspostsecretariats und wohl auch die Bestimmung eines neuen Leiters deS Auswärtigen Amtes zu verstehen. Alle diese Personenfragen sind für einen Mann, der klar sehen will, sachliche Fragen ersten Ranges. Aus der Neubesetzung des StaatssecretariatS des Rcichs- Marine-Amts zu schließen, daß dem Reichstage in seiner jetzigen Tagung noch eine Marinevorlaae zugehen werde, wäre sehr voreilig. Es hieße den neuen Chef dieses Amtes einer schwer wieder gut zu machenden Niederlage aussehen, wenn man ihn zwänge, mit einer solchen Vorlage vor den jetzigen Reickstag zu treten, dessen ausschlaggebende Partei sich in der Flottenfrage festgeredet hat. Höchst wahrsckeinlich werden dem Reichstage in seiner Herbstsession die Forderungen für die Marine in der bisher üblichen Weise zugehen; Herr Tirpitz wird dann Gelegenheit genug haben, seine Pläne anzudcuten und dadurch eine Parole für die nächsten Reichs- tagswahlen auszugeben. Wtti> er dabei von Herrn von Miquel kräftiger und geschickter unterstützt wird, als sein Vorgänger bei der Berathung des letzten Marine budgets unterstützt wurde, um so bester. Den Grad seiner Selbstständigkeit und Consequenz wird man erst kennen lernen müssen; im klebrigen aber wird man seine Ernennung mit Freuden begrüßen können. Zunächst ist er so lange und mit solchem Eifer im Obercommando der Marine tbätig gewesen und genießt so sehr das Vertrauen des gegenwärtigen Leiters des Oberkommandos, daß man Wohl mit Bestimmtheit annehmen kann, jener Gegensatz zwischen Obercommando und Marineverwaltung» der früher obgewaltet bat, werde nunmehr verschwinden. .Ueber die hervorragenden Qualitäten de« Herrn Tirpitz sind alle Kenner unserer Marineverhältnisse einig; man hält ihn für den fähigsten Osficier der deutschen Kriegs marine und für völlig ebenbürtig dem Admiral Gervais, der als der hervorragendste Kopf der französischen Marine gilt. Es unterliegt w-chl auch keinem Zweifel, daß Contreadmiral Tirpitz bei seiner großen Sachkenntniß, seiner Gewandtheit und seiner Ruhe im parlamentarischen Kampfe seinen Mann stehen wird. Diese Ruhe war dem StaatSsecretair Holl mann in der letzten Zeit etwas abhanden gekommen; er gab sich manchmal Blößen, die von den Gegnern sofort weidlich auSgebeutet wurden. So knüpfte er z. B. an eine socialdemokratische Anzapfung die Bemerkung: wenn der Matrose seinen Kaiser vor sich sehe, so sei es ihm, als stehe er vor Gott. C» bo* damit dem Centrum und den Social demokraten Gelegenheit zu den heftigsten Angriffen. Da Herr Tirpitz wohl auf Jahre hinaus einen leichten Stand im Reichstage nicht babe^ dürfte, so wird seine Geschicklichkeit dcingend von Nöthen sein, um die von ihm vertretenen Wünsche im Reichstage zur Annahme zu bringen. Glücklicherweise ist er jung und elastisch genug, um die Aufregung und Anstrengung, die ihm die parlamentarische Thätigkeit in Verbindung mit seiner sonstigen Arbeitslast bringen wird, ertragen zu können. So sei denn die Hoffnung ausgesprochen, daß es ihm gelingen werde, unsere Marine vor dem Schicksale zu bewahren, unter den Seestreitkräften der Großmächte einen immer tieferen Standpunct einzunehmen. Er wird sich den Gegnern im Parlamente gegenüber mit Recht darauf stützen können, daß nicht nur die reichen Staaten Frankreich und England eben jetzt ihre Marine wesentlich vermehren, sondern daß auch das in recht schwieriger wirthschaftlicher Lage befindliche Italien daran geht, dem Stillstände in seiner Marine ein Ende zu bereiten. Abermals eine Bombenexploston in Paris! Man meldet uns: * Paris, 16. Juni. Auf dem Place de la Concorde ist soeben vor der Statue der Stadt Straßburg eine Bombe ex- plodirt. Es wurde Niemand verletzt, auch wurde kein Schaden ungerichtet. (Wiederholt.) * Paris, 16. Juni. Abends. Die durch die Explosion einer Bombe vor der Statue der Stadt Straßburg auf der Place de la Concorde hervorgerufene Detonation war eine sehr starke. Nach den ersten Feststellungen war der Behälter, tn welchem sich die ExplosionSmasse befand, eine Art Kochtopf. Die aus dem selben geschleuderten Geschosse beschädigten die Balustrade, welche den Platz umgiebt, unbedeutend. Eisenstiicke wurden am Fuße der Mauer des Tuilerien-G artens ausgefunden. Der Polizeipräfect Lspine hat die Untersuchung eröffnet. Die Ex plosion erfolgte während eines heftigen Gewitterregens. Der Platz war fast menschenleer und selbst die Schutzleute hatten sich unter die Arkaden des nahe gelegenen Marineministeriums zurückgezogen. An der Ecke des Platzes und der Rue Rivoli wurden einige Blutspuren aufgrsunden. Zwei Personen sind verhaftet. Die allgemeine Ansicht geht dahin, daß es sich nicht um eine Kund gebung handelt, bei der es auf Tödtung einer Person abgesehen war. * Paris, 16. Juni, Abends. Der au» dem Ministerium des Innern zuriickkehrende Polizrivräfect Lspine, welcher die Ex plosion hörte, begann sofort die Untersuchung. Die Bombe war auf das den Concordiaplatz umgebende Steingeländer nahe bei der Straßburgstatue gelegt worden, deren Sockel und oberer Theil an mehreren Stellen abgeschundeu wurden. Mau sand .Eisenstiicke von fünf Millimetern Dicke. Von der Statue gegen die Rivolistraße hin wurde eine Blutspur bemerkt, die aber durch den Regen bald verwischt wurde. Im Augen blick der Explosion ist nur ein schnell vorbeiradelnder Bicyclist in der Nähe der Sratue bemerkt worden. Diese neueste Explosion hat nach den obigen Mittheilungen eine unverkennbare Äebnlichkeit mit dem Fliederbusck-„Attentat" und die Pariser Polizei ist denn auch der Ansicht, die Explosion habe, da sie bei der Straßburgstatue erfolgte, wahrscheinlich denselben Mann znm Urheber, welcher die Worte „Elsaß-Lothrinzen" und „Polen" auf das nach dem „Attentat" gegen Faure aufgesundene Dolchmesser schrieb. Böswillige Menschen sind indessen anderer Ansicht. Man weiß nämlich, daß Präsident Faure die Polizei wegen der Uebertreibung deS Scheinangriffs am Sonntag, welche die auswärtigen Staatshäupter zur Absendung von Glückwunsch depeschen veranlaßte — cS sind nicht weniger als l7, ungerechnet die Kundgebungen aus Frankreich und dessen Colonien ein gelaufen — sehr scharf getadelt hat. Um sich nun zu recht fertigen und darzuthun, daß cS sich nicht um ungefährliche Knallbonbons handle, ließ die Polizei die zweite Röhre unter den Fliederbusch legen und sorgte, damit nicht genug, auch für die Placirung der Bombe auf dem Concordienplatze, sowie für uncontrolirbare Blutspuren. Die beiden letzteren Mordwerk zeuge waren zweifellos höchst gefährlicher Natur, wer zweifelt also, so argumenlirt nach Ansicht jener Böswilligen die Polizei, noch daran, daß anarchistische Hände im Spiele sind? Ja, so raunt man sich weiter zu, vielleicht bat ein Polizeispitzel auch die erste „Bombe" gelegt, denn es ist doch zu ausfallend, daß, wie im Augenblick der Con cordienplatz-Explosion Polizeipräfect Lspine in der Nähe war, so unmittelbar neben dem ominösen Fliederbusch an der Cascade ein Geheimpolizist stand. Wir wissen nicht, ob diese Auffassung die richtige ist. Jedenfalls hat sie Manches für sich. Gegen sie spricht, daß man der Pariser Polizei doch etwas mehr esprit zutrauen kann. Das letzte Attentat ist ja noch kindischer und thörichter als das erste. Weicher nicht mit Blindheit Geschlagene legt denn eine Bombe bei strömenden Regen auf einen menschenleeren Platz, wenn er — anarchistischen Schrecken verbreiten will! Nicht unwahrscheinlich ist demnach auch die andere Com- bination, baß man es mit einem verrückten Chauvinisten oder mit einem Individuum zu thun bat, das, wie wir als mög lich bereits annahmen, ein Interesse daran hat, die Attentats furcht lächerlich zu machen. DaS Alotten-rogramm der italienischen Re» gierung, weiches der Marineminister in der Dienstags sitzung der Deputirtenkammer entwickelte, stellt sich als ein Coinpromiß zwischen dem Wünschenswerthen und dem un bedingt Nothwendigen dar. Allerdings ist der Begriff des unbedingt Nothwenbigen in Italien sehr viel weiter gefaßt als z. B. bei unserer parlamentarischen Marineopposition. Obwohl Italien finanziell bei weitem ungünstiger gestellt ist, als das Deutsche Reich, dessen Finanzausweis die Abneigung der Marineopposition gegen eine Verstärkung unserer maritimen Wehrkraft in überzeugendster Weise entkräftet, so stimmt doch die Mehrheit der italienischen Volksvertretung mit der Regierung und insbesondere mit dem Marinemiuister darin vollständig überein, daß die Flotte nicht nur auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit erhalten, sondern auch ein solches Maß der Weiterentwickelung erfahren muß, um ihrer Aufgabe, der Vertbeidigung des Staates zur See, gewachsen zu bleiben. Der Manneminister war in der für deutsche Politiker, welche Zeugen sind, wie unsere vaterländische Marine um die kleinste Berücksichtigung durch den Reichstag lange, schwer und leider nur zu oft erfolglos kämpfen muß, kaum vorstellbaren angenehmen Lage, mehreren Vorrednern der Regierungsmehrheit für das Interesse an der Marine und für die Bereitwilligkeit zu danken, mit der ihm viele Millionen für die Marine angeboten seien. Die italienische Marineverwaltung braucht jedenfalls nicht zu befürchten, daß man sie „uferloser" Flottenpläne beschuldigt, wenn sie die Stärke der Flotte mit den Zielen der italienischen Politik in Einklang zu bringen sich angelegen sein läßt. Ohne ge bührende Rücksicht auf die Finanzlage des Landes will und kann die italienische Marineverwaltung natürlich ebenso wenig Vorgehen, als dies der Regierung irgend eines anderen wohlgeordneten und rationell bewirthschafleten Staates von Großmachtrange in den Sinn kommt; es fragt sich nur, was nöthig ist, um die Flotte vor Stillstand und Rückgang zu bewahren. Der Marineminister hat für das laufende Jahr eine Vermehrung der MarineauSgaben um 7 V, Millionen, für die Folgezeit nm 10 Millionen vorgeschlagen. Um diese Zahlen entsprechend zu würdigen, muß man sich vergegenwärtigen, daß der italienische Marineetat an lind für sich schon FrnNleton. Zwei Frauen. 30j Roman von F. Marton-Crawsord. Nachdruck verboten. In der Schieblade seines Schreibtisches lag eine Arznei, die ihn von der Liebe und allem Anderen heilen konnte. Nur ein kurzer Augenblick, ein kräftiger Druck deS Fingers und Alles war vorüber. Tie Versuchung war stark und die Neigung zum Selbstmord eine ererbte. ES würde das an gemessene Ende eines nutzlosen Lebens für den Svkn eines solchen VaterS und einer solchen Mutter sein. Niemand würde ahnen, weshalb er gestorben war, und es würde Alles so blitzartig schnell geschehen sein. Von den alten Zeiten vor der Tragödie von Greifenstein würde keine Spur mehr zurückbleiben, es würde die letzte Seite in der Geschichte sein, wie er, außer Greif, der letzte Ueberlebende war, und Greif in seiner Schuldlosigkeit hatte ein Recht, glück lich zu sein. Ein Recht und welches? Was hatte Greif aetban, um Hilda mehr zu verdienen als Rex sie verdiente? Er war jünger, hübscher und glücklicher. Greif's Glück batte ihn ge rettet und was für ihn Leben, das war für Rex der Tod. Es hatte kein Kampf stattgefunden, noch war einer gewünscht worden. Rex selbst hatte Alles, wa« in seiner Macht stand, gelhan, die Heiratb zu fördern, und konnte Niemand wegen deS Ergebnisse» anklagen. Greif war glücklich, seine» Bruders Herz gebrochen. Glück! Greif, in Wirklichkeit namenlos und ohne einen Heller im Vermögen, aber obn« Kenntniß de» grauenvollen Mißgeschicke», dem er entronnen, war von dem erborgten und befleckten Namen befreit und im Besitz eine» edleren und fleckenloseren al« der andere jemals gewesen, Gebieter von Wildenberg, Hilda'» Gatte und der Vater eine» neuen Geschlechtes. Was konnte «in Menschenherz noch mehr be gehren? DaS war, wa» Greis zu fein schien und wa» er, so viel er selbst wußte, auch war. Und da» — Rex nahm den Brief seines VaterS aus einem geheimen Versteck — das war der wirkliche Greif, wie niemand als Horst von Nieseneck ihn kannte. Er las den Brief wiederholt sorgfältig durch, lehnte sich in seinen Sessel zurück und blickte durch daS offene Fenster in dm fernen Wald. Endlich erhob er sich und zündete «ine Kerze an. Es würde vielleicht daS Beste sein, jetzt gleich zu sterben, aber dann mußte dieses Geheimniß mjt ihm be graben werden. Er hatte daS Schreiben nur für den Fall aufbewabrt, daß Greif sich weigerte, Hilda zu heirathen, und jetzt waren sie nicht nur verheiralhet, sondern ihnen auch ein Erbe geboren. Er hielt den Brief und den Brief umschlag über die Flamme, bis beides zu Asche verzehrt war, und der sommerliche Wind, der inS Zimmer wehte, sie hinweg gefegt hatte. Jetzt konnte das Geheimniß nie an den Tag kommen, dackte Rex, nickt ahnend, daß durch ein seltsames Zusammen treffen von Umständen rin anderer Brief unter demselben Dache von dem ehrlichen Bärbel sicher aufbewabrt worden war. „Greif ist geborgen", sagte sich Rex, das Schreib tischfach von Neuem öffnend, um noch einen anderen Gegen stand herauszunehmen. Er, Rex, würde keinen verrätheriscken, Näthsel lösenden Brief zurücklassen. Einiges Bedauern würde dem einsamen Manne folgen, wenn er geschieden sein würde, aber die Srinigen würden sich nimmer träumen lassen, daß er ihre Sicherheit mit seinem Leben erkauft hatte. Er legte die Waffe vor sich auf den Tisch. Ihre Sicherheit? Sicherheit bedingte Gefahr und welche Gefahr konnte sein armselige« Leben Hilda oder ihrem Gatten bringen? Der Gedanke, daß Hilda ibn jemals lieben könnte, war ungeheuerlich. Dieser strahlende Engel konnte eben so wenig seine stolze Reinbeit ver leugnen, wie eS ihm möglich gewesen wäre, DaS, was Gott so fleckenlos geschaffen batte, zu verunglimpfen. Er wollte sterben, aber um der Ehre willen, nicht um eines schnöden Unrechts willen, das er einem Mann oder einer Frau zugefügt hatte. Von dem Augenblick, in dem er die Wahrheit erkannt und gewußt hatte, daß er seine« Bruder» Frau liebte, batte er unerträgliche Qualen erduldet. Nicht rin süßer Gedanke an Hilda hatte Eingang gesunden in sein Gemütb, in den sich nur der brennende Schmerz seiner eigenen Tborbrit und das ätzende Bewußtsein, daß seine Tborheit in der be schämendsten aller Wahrheiten, der niederschmetternden Er- kenntniß dessen, was er sich zu träumen gestattet, endete. Damit batte er den Tod, zu dem er sich verurtbeilte, vollauf verdient. Um der Ehre zu genügen, mußte er sterben, wie konnte er leben und ibaen in» Gesicht sehen, auch wenn sie nicht wußten, wa« er sich vorzuwerfra batte? Es mußte «in Ende gemacht werden und für seine Leiden gab e? nur ein Ende. Er streckte seine Hand nach der Waffe auS. Was war die Ehre, daß er für sie sterben sollte? Außer an sich selbst, batte er in seinen vierzig Lebens jahren an so wenig geglaubt, aber er glaubte unverbrüchlich an die Ehre und hatte bei Allen, die ihn kannten, als ein Mann von tadelloser Ehrenhaftigkeit gegolten. Er hatte sein Leben oft genug für sie gewagt, aber jetzt sollte er sich um ihretwillen, ohne Gefahr, mit kaltblütiger Ueber- legung tödten, wie er ein wildes Thier niedergesckossen, ein giftiges Gewürm mit seiner Ferse niedergetreten haben würde. Was war dieses Ding? War die Ebre eine That- sache, ein Schatten, eine Idee, ein Hauch, ein Gott oder ein Teufel? Was war eS, für daS solche Thaten hatten ge schehen können, für daS der alte Greifenstein und Rieseneck seine Mutter getödtet und sich deS eigenen Lebens in solcher Hast entäußert hatten? Ein Mann darf sich billiger Weise fragen, wofür er zu sterben im Begriff ist, sagte sich Rex. Warum schien eS ihm niedrig, zu leben, obgleich zeder Augen blick seines Daseins dem Ausrotten dessen gewidmet sein würde, daS er so bitter haßte, und weshalb schien eS ihm edel und tapfer, zu sterben? Sterben war so leicht wie Athemholen, leben eine schwere und furchtbare Aufgabe. Aber die Ebre gebot zu sterben und überzeugt zu sein, daß man daS Rechte gctban habe. Wie er auch sann und grübelte, ihm blieb die Ehre eine Thatsache, nein, nicht eine Thatsache, ein höchstes Gesetz. Er hielt den Revolver in der Hand, bereit, loSzudrücken. An dem einen Ende de» stählernen Laufe« hing daS Leben mit all seiner Schmach, mit all seinen Qualen, daS Leben eine» ehrlichen Manne«, der seine« Bruder» Frau liebte und sich dafür haßte und verabscheute, an dem anderen Ende war der schnelle und sichere Tod, die Antwort auf all« Fragen, die Lösung für jedes Uebel, die Arznei für jede» irdische Leiv. Rex legte den Revolver wieder au« der Hand und zog sich ein wenig vom Tisch zurück. War e« möglich, daß er sich nur tödtete, um einem Zwie spalt, um Qualen zu entgehe», die ihm zu bitter waren? Dann war er ein Feigling und nickt der Ehrenmann, für den er sich gehalten hatte. Er erhob sich au» seinem Sessel und trat vor den Spiegel, fuhr aber zurück, al- er sich in dem selben erblickte. E« war, al» ob da« merkwürdig jugend lich« Aussehen, da» ihm so lange geblieben war, ibn plötzlich verlassen und einen alten Mann zurückgelasien hätte. Der rosige Schimmer seiner Wangen war verschwunden, die Augen waren tief eingesunken und die Stirn von tiefen Runzeln durchfurcht. Er sah sich näher an und wagte kaum, seinen Augen zu glauben. In den braunen Massen seines HaareS wurden ganze weiß schimmernde Locken sichtbar. Er batte sckon öfter von solchen plötzlichen Veränderungen ge hört, aber nie daran geglaubt. Schweigend starrte er sein Spiegelbild an. „Ich bin ein alter Mann", sagte er, sich abwendend. Er kehrte an den Tisch zurück, setzte sich wieder und stützte den Kopf in beide Hände. Voll Bitterkeit fragte er sich, ob irgend ein Schmerz in der Zukunft bitterer sein konnte, als waS er während dieser Nacht erduldet batte. Plötzlich stieg daS strahlende Bild Hilda's vor ihm ans, er konnte jede Linie ihres GesichlS, jede Flechte ihres goldenen HaareS sehen. Helles blendendes Licht strömte ihm von der Erscheinung entgegen, und er versenkte seinen Blick in die Tiefen ihrer wunderbaren Augen. Ein ungeahntes Entzücken zog in seine Seele ein, und doch fühlte er sich beschämt, daß er den Blick zu ihr zu erheben und sie zu lieben wagte. Mit übermenschlicher Anstrengung hob er die gesenkten Lider, um das grelle Tageslicht auf sich ein- wirken zu lassen. Die Erscheinung war verschwunden, aber e« war ihm klar, wa« er ohne daS leiseste Zeichen von Schmerz ertragen müßte, wenn Hilda in Wirklichkeit vor ihm stände. Und dennoch kannte er seine eigene Stärke. Hilda gegenüber würde er es vermocht haben, seine steinernen Augen zu stumpfer Schläfrigkeit und seine Züge zu gleick- giltiger Rübe zu zwingen und ihrer Mutter und Greis mit gewohnter Ruhe zu begegnen. Es würde ihm leichter sein. Alles zn erdulden, als sich der Möglichkeit zu berauben, Hilda jemals wiederzuseben, gestand er sich mit bitterer Selbstverachtung. Die Qualen hoffnungsloser Leidenschaft würden ihm nichts bedeuten der Freude gegenüber, Hilda zu sehen und ihre Stimme zu hören. DaS würde ibn für Alle», für da» Grauenvollste entschädigen, nur für eines nicht, aber diese» Eine wog alle» Uedrige auf. Die Gewißbeit, daß sein ganzes künftige« Leben ein beständiger Verralh an Greif sein müßte, drängte jede andere Er wägung zurück. Das war der Ebrenpunct, nach dem er gesucht hatte. Weder seiner selbst noch Hilda » willen mußte er die Welt so schnell verlassen, aber Greif'» wegen. Greif war sein Freund, Greis war sein Vetter, Greif war sein Bruder. Zu fühlen, was er für dieses BruderS Frau fühlte, war Verralh, gleichviel wie er diese Gefühle zu verbergen oder
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