01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.06.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970618015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897061801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897061801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-18
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Reklamen unter dem RedactionSstrich (-ge spalten) Ü0-H, vor den Familiennachrtchte» (6 gespalten) 40 Gröbere Schriften laut unserem Preis« verzrichnib. Labellarischer und Zifferosatz nach höherem Tarif, Extra - Beilage« (gefalzt), nur mit der Morgen«Ausgabe, ohne Poslbeförderua- 60.—, mit Postbefördrrung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- -Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 91. Jahrgang. Centrum und Socialdemokralie. L-Die„Germania" bezeichnet die Angabe, daß der klerikale Abgeordnete Fuchs den Vorschlag des Socialdemokraten Lütgen au, bei den nächsten Landtagswahlen die Bochumer drei nationalliberalen Vertreter durch ein freisinnig-social- demokratisch-klerikales Consortium zu verdrängen, für „er- wägenswerth" erklärt habe, als „leichtfertige Verdächtigung". Nach der „Germ." hat Abgeordneter Fuchs sich dabin geäußert: „daß die tiefe Kluft zwischen Centrum und Socialdeniokcatie nicht zu überbrücken sei. Im klebrigen erblicke er in der Rede des Herrn Lütgenau einen weiteren Beweis dafür, daß ein Tbeil der Locialdemokralie an Stelle der Verneinung ein positives Mitarbeiten treten lassen wolle. Betreffs der Frage des vom Vorredner angeregten Wahlbündnisses könne er nichts Be- stimm tes sagen, da darüber die Partei entscheide. Die Gegner möchten aus der Anregung den ganzen Ernst der Lage erkennen und namentlich rinsehen, wie unangebracht und gefährlich es fei, Hand an die Rechte Les Volkes zu legen." Die „Kreuzz tg." überläßt es dem Urtbeil der Leser, ob diese Auslassungen wirklich eine deutliche Abweisung des socialdemokratischen Vorschlages enthalten, nimmt aber dann „gern" von der nachstehenden Erklärung der „Germania" Act, gegen deren Bestimmtheit sich „füglich nichts einwenden lasse": „Selbstverständlich fällt cs dem Centrum so wenig bei den Landtags, wie bei den Reichstagswahlen ein, mit den Social- demokraten zu pactiren. Die Action der Socialdemokratie geht darauf hinaus, die Regierungsmajorität im Abgeordnetenhaus« zu sprengen. Wenn sie zu diesem Zweck ihre Wahlmänner anweist, nicht für die Cartellcandidaten zu stimmen, kann Niemand etwas dagegen haben. Aber ein Pactiren, um eventuell hier einen socia- listtschen Candidaten, dort einen Centrumsmann Lurchzubringen, wird es auch bei den Landtagswahlen nie und nimmer geben." Tie „Kreuzztz." mag die Bestimmtbeit dieser Erklärung für ganz einwandsfrei halten — auf nationalliberaler Seite wird man nicht so vertrauensvoll sein. Denn abgesehen davon, daß die „Germania" nicht die Instanz ist, die eine die Centrumspartei bindende Parole auszugeben vermag, liegt eine Reibe von Thatiachen vor, die das „Nie und Nimmer" der „Germania" sebr zweifelhaft erscheinen lassen. Diese Thatsachen bestehen in dem Verballen der CentrumS- Partei bei Stichwahlen. Bei Stichwahlen werden von der Ceiitrumspartei in der Reczel die Nationalliberalen unter allen Umständen als daS größte Nebel angesehen. Dieselbe Ebre widerfährt jenen „Auch-Katholiken", die bei wichtigem Principienstreit (Septennat und dergl.) dem Centrum entgegen treten, um die katholischen Wähler vom reichsschädlichcn Oppositionsstandpunct abzubringen. Zur Bekämpfung solcher Candidaten ist dem Centrum jede Bundesgcnossenschaft an genehm. Die nachstehenden Fälle, die in dem „Politischen Handbuch für nationalliberale Wäbler" zusammeuzestellt sind, beweisen das unwiderleglich. Wir lesen in dem genannten Werk: „In Solingen wurde 1890 der Socialdemokrat gewählt, weil die Kölner Parteileitung dem Centrumscomitö im letzten Augenblick Befehl ertbeilte, von einer Vereinbarung mit reu Mittelparkeien zurückzutrelen, wonach Laudosdireclor Klein als gemeinsamer Canbidat gelten sollte. (Klein gehörte zur Ceiitrumspartei, nur wollte er wegen seiner Stellung nicht der Fraktion beitrelen!) 1893 wurde wieder der Socialdemokrat mit ultramontaner Hilfe gewählt, diesmal in der Stichwahl gegen einen Nationalliberalen. In München I, Mannheim, Offenbach wurde l890, in Straßburg, München I, Offenbach, Mainz, Ober taunuskreis und, wie schon erwähnt, in Solingen, wurde 1893, in Dortmund 1895 in der Stichwahl der Social demokrat mit Hilfe deS CentrumS gewählt. Besonders interessant sind die Dortmunder Ziffern. Die Social demokratie batte daselbst 1893 wie 1895 dieselbe Stimmen- zabl (17 170, bezw. 17 182). Im Jahre 1893 waren ihr in der Stichwahl „nur" 4000 von den 14 000 Centrums stimmen zugewachsen und das reichte nicht ganz. Noch wurde der Nationalliberale mit 2l 589 gegen 21 525 Stimmen gewählt. Damit der Ausgang unter allen Umständen dem Social demokraten sicher sei, wurden ihm 1895 über 7000 Cenlrums- slinimen in der Stichwahl zugefübrt, und das genügte den» vollkommen. Der Nationalliberale brachte es wieder auf 21 500, aber sein Gegner auf 24 600 Stimmen. So wird's gemacht... In Hanau war 1890 der Conservative mit dem Socialdemokraten zur Stichwahl gelangt und nickt einmal dort, wo es obendrein auf die letzte Stimme ankam, sollten die Centrumswäbler dem Socialdemokraten in den Weg treten. Im „Hanauer Anzeiger" vom 27. Februar erschien eine Anzeige, die mit Riesenbuchstaben nichts weiter besagte, aiS: Centrums.Wähler!! Parole: Stimmenthalung. So »elegraphirt Windthorst. Der Abg. vr. Sattler versagte sich nicht, dieS am 11. März 1890 im Abgeordnetenhause dem Welfenführer vorzuhalten. Dieser vermochte seinen Einmischungsversuch nicht zu bestreiten; er sei sehr traurig über diesen Conflict gewesen, aber „wenn Sie in einer Wahl den Herrn Collegen Sattler auf Leben und Tod bekämpfen und er dann gegen Ihren Willen in die Stichwahl kommt, dann von Ihnen zu verlangen, daß Sie nun für ihn stimmen, das ist geradezu etwas Unerhörtes." In München hatte 1890 der CentrnmSabgeordnete für LandSbut, Gras Konrad Preysing, der in der Landeshaupt stadt seinen Wohnsitz bat, mit Eulrüstuug^bemerkl, wie die uUramontane Presse zur Stichwahl für den Socialdemokraten Birk gegen den Nationalliberalen Sedlmayr Stimmung machte. Er ließ dem leitenden Ccnlrumsblatt folgendes Telegramm zugeben: „An Redaction des „Münchener Fremdenblatt". — München. Ersuche was solgt zu veröffentlichen: Erklärung! — Ich will weder Lirect, noch indirekt die Wahl des Sociaidem traten in München I begünstigen. Darum stimme ich am Tage der Stichwahl für Sedlmayr. Konrad Graf v. Prey sing." DaS ultramontane Wablcomitä verheimlichte diese Erklärung, bis sie in den „M. Neuesten Nachrichten" gedruckt vorlag. Nun gab das „Fremvenblatt" den Empfang des Telegramms zu, jedoch mit dem Bemerken, daß die persön liche Erklärung für die Partei nicht maßgebend sei. In der Folge beschuldigte man sogar den Grasen des Mangels aller ParteidiSkiplin. Und nun wählten die Ultramoutanen „extra den Birk". Die„M. Neuesten Nachrichten" berichteten nach der Wahl: „Man kann vielfach hören, wie ultramontane Wähler selbst, sogar Geistliche, sich offen rühmen, für Herrn Birk gestimmt zu haben; in den Gesprächen am Biertisch oder beim Wcingla e sind, unter den gröblichsten Schmähungen gegen den Grafen Konrad Preysing und seine Gesinnungsgenossen, derartige Aeui.erungen von ultramontaner Seite in den letzten Tagen etwas ganz Gewöhnliches gewesen. Zu der indirekten Unterstützung des Socialdemokraten, welche das ultramontane WahlcomilS durch Stimmenenthaltunq anrieth, ist die directe Hilfe mit rund LOOO Stimmen gekommen. Thatsache ist und bleibt, daß der Socialdemokrat, Herr Bilk, nur durch die ausschlaggebenden Stimmen dec Centrumspartei gewählt ist, wofür Gegenleistungen in Augsburg, Speyer u. a. O. gezahlt wurden." Angesichts solcher Vorkommnisse müssen wir der Ver sicherung der „Germania", ein Pactiren der CentrumSpartei mit der Socialvcmokratie werke eS „auch bei den Landtags wahlen nie und nimmer geben", den lebhaftesten Zweifel ent gegen bringen. Deutsches Reich. * Leipzig, 17. Juni. Im Verlage von LipsiuS L Tischer in Kiel ist soeben eine zweite Schrift deS durch seine „Socialdemokratie in Theorie und Praxis" weithin bekannten Kieler Werftarbeiters Theodor Lorentzen erschienen. Für die nächste Berathung einer Marinevorlage dürfte diese Schrift, betitelt: „Der Reichstag und die Flotte", nicht ohne Bedeutung sein. Die Marinetadellen des Kaisers sind darin eingehend erläutert, die nur kurzen kaiserlichen Be merkungen weiter ausgeführt und die feindseligen Acußerungen der „Freisinnigen Zeitung" und der „Frankfurter Zeitung" so gründlich widerlegt, daß nach Durchsicht der Broschüre wohl kein einsichtiger Patriot mehr an dem Eugen Nichter'scben „Keinen Mann und keinen Groschen" festhalten kann, vielmehr zugebcn wird, daß die vom Reichstag leider zum größten Theil ab gelehnte diesjährige Marinevorlagc nur das forderte, was unbedingt nvthig war. Lorentzen widerlegt in seiner Schrift die so oft gebrauchten Schlagworte der Opposition von „Welt- machtflotte" und„uferlosenFlottenplänen" und weist überzeugend nach, daß unsere Flotte in den letzten 10 Jahren statt stärker nur schwächer und unbrauchbarer geworden ist, so daß sie zur Zeit nur ungefähr halb so stark ist, als sie nach dem 1873er Flottengrünkungsplan sein soll, wogegen die Flotten unserer Nachbarn in dieser Zeit bedeutend verstärkt und den An forderungen der Neuzeit entsprechend neu ausgerüstet sind. Eine Weltmachtflotte wollen wir und will auch Lorentzen nicht — wenn auch die Flottcngegner im Reichstag das immer wieder behaupten —; aber eine Flotte zweiten Ranges müssen und können wir unterhalten, denn wenn die Opposition be hauptet, eine bedeutende Verstärkung der Flotte würde Deutsch em!) zu Grunde richten, so hält Lorentzen dem entgegen,daß ja auck der „Militarismus", gegen den sich doch bereits vor 35 Jahren ähnliche Unkenrufe erhoben, Preußen und Deutschland nicht ruinirt hat, daß vielmehr Preußen-Deutschland nicht etwa trotz, sondern gerade durch den Militarismus zu hoher Blütbe gelangt ist. Jedem Patrioten können wir die Lektüre der Schrift, die für 50 zu beziehen ist, bestens empfehlen. Berlin, l7. Juni. Eine für die Entwickelung des deutschen RcchtSlebens sehr bedeutsame Frage wird in der „Deutschen Iuristen-Zeitung" unter der Ueberschrift: „Das Localis irungsprincip der deutschen Nechts- anwaltsordnunz" von dem Rechtsanwalt Böhm in Sagan einer Betrachtung unterzogen. Die Darlegungen beginnen mit einer zahlenmäßigen Aufstellung über die Vertheilung der deutschen Anwaltschaft auf die verschiedenen Ge richte, wie sie sich seil 1879 vollzogen hat. Beiläufig sei bemerkt, daß die Zulassung tes Rechtsanwaltes für ein bestimmtes Gericht erfolgt. Tie Gesammt- zahl der Rechtsanwälte wird auf 6137 berechnet. Davon wohnen außerhalb der Orte der Landgerichte 1875, also fast ein Viertel. Zu den OberlandeSgerickten zugelassen sind 792. Mehr als 1300 Anwälte sind ausschließlich auf die Tbäligkeit bei den Amtsgerichten angewiesen. Mit besonderer Strenge ist das „Localisirungsprincip", d. b. die Beschränkung eines Anwaltes auf ein Gericht, in Preußen durchgeführt, wo Zu- Feuilleton. Gemüse-Plauderei. Von K. Reichner. „Suche in Niemand einen Freund zu finden, der nicht einen Freund in dir gesunden hat!" Nachdruck verboten. Es ist alljährlich eine Art von Ereigniß im Leben der Hausfrau, wenn die ersten jungen Gemüse auf den Markt und als froh-bearüßte und gesunde, obwohl etwas thcuere Leckerbissen zu Tische kommen, und so wie heute hat seit lange man dem jungen Gemüse entgegen geharrt und gehofft, dessen alter Ruf und Ruhm — ewig-neu und neu-bewährt — zurückreicht bis in der Zeiten graue Nebelferne! Der Name „Gemüse" kommt von „Mus" her, in An betracht der meist breiartigen Zubereitung dieser beliebten Sprößlinae deS Pflanzenreichs, mit deren Zucht und Anbau sich der Mensch, in ahnungsvoller Erkenntniß ihres Werthes, befassen lernte, sobald er das unstäte Nomadenleben gegen eine feste Häuslichkeit vertauschte. — Schon im fernen Alter- thum gelangten Feld- und Gartengemüse aus Asien, ihrer eigentlichen Heimath, nach Griechenland und Rom, und trotz dem die Griechen in höherem Grade als die Römer Ver ehrer der Pflanzenkost gewesen sind, fehlte es ihr auch unter diesen nicht an Gönnern und Freunden. So Hal Lucullus sich das unbestrittene Verdienst erworben, mancherlei Küchen gewächse vom Orient nach Europa eingeführt und verpflanzt zu haben. Septimus Severus besaß eine specielle Lieb haberei für vegetabilische Speisen im Allgemeinen, Tiberius eine Passion für Gurken im Besonder», und Diocletian soll allerhöchst eigenbändig Lattichbeete in seinen Gärten ange legt und gepflegt haben. Im Mittelalter war eS namentlich Karl der Große, der den Anbau der Gemüse — voran die Hülsensrüchte — förderte; dennoch besaß man bis zum 14. Jahrhundert in Europa keine große Abwechselung an Pflanzenkost, und auch im 15. und 16. erschienen die besseren, feineren Gemüsesorten nur aus der Tafel der Fürsten und Vornehmen, um dann — allmählich minder exclusiv werdend — zunächst in Kloster gärten Asyl und feste Stätte zu finden, endlich aber überall daS Bürgerrecht sich zu erwerben. Was die Gesckichte der einzelnen Sprößlinge und Ab kömmlinge der mit der Zeit zu so großer Ausbreitung ge langten Familie der Gemüse anbetrifft, so waren Kohl und Rüben, Spargel und Bohnen zunächst und vor Allem im Alterthum in Europa schon bekannt, während dak nahrhafteste sämmtlicher Gemüse: die unscheinbar kleine Erbse, erst später durch dir Völkerwanderung mit eingewandert ist. Ein« be sonder« große Rolle spielte mehrere Jahrhunderte lang in Alt-Nom Freund Kohl, dessen Nährgehalt und anregenden Einfluß man damals bereits zu schätzen wußte, man dielt ihn für heilkräftig, wcöbalb kein Geringerer als Julius Cäsar ibn in Gallien, wie allerorts, wohin er seine kriegerischen Eroberungszüge lenkte, einzuführen suchte. Auch da« Sauer kraut, da« heut zu Tage in erster Linie für ein deutsche« National- und Leibgericht gilt, soll den römischen Soldaten ein nahezu unentbehrliches Nahrungsmittel gewesen sein. Wie der simple Kohlkopf, der gegenwärtig mit seinen vielverschiedenen Ab- und ZubereitungSarten als regulärer Sommer- und Winter-Tischgast sich bei uns festgesetzt hat, der ehrwürdige Stammvater unserer sämmtlichen feineren Kohlgemüse genannt werden kann, so ist mit demselben Recht die niedriggeborene Steckrübe, die gleichfalls längst einen Ehrenplatz sich zu erringen wußte, als Ahnfrau aller jetzigen Nübensorten zu betrachten. Ein französischer Domherr wünschte sie einst zum Symbol der Mäßigkeit und sogar zum Wappenbilde zu erheben; Karl der Große führte die Carotten ein, und von Ludwig XI. weiß man folgende hübsche Rübengeschichte zu erzählen. Dieser Herrscher ver schmähte eS als Dauphin nicht, auf der Jagd öfter bei einem armen Bauer Namens Conon als Gast von dessen Rüben mit zu essen. Nach seiner Thronbesteigung empfing er eines Tages den Besuch des Bäuerleins, welches auf den Natb seiner „besseren Hälfte" die Courage hatte, dem König von Frankreich schöne Rüben aus seinem Garten zum Geschenk zu bringen. Ludwig XI. empfing den früheren Gastfreund ebenso freundlich und erfreut wie die Gabe, obwohl dieselbe nur auS — einer einzigen großen Rübe noch bestand; die anderen hatte der arme Schlucker — hungerig und ohne Geld wie er war — sammt und sonders unterwegs selbst verzehrt. — Doch sein hoher Gönner lud dankbar ihn zur Tafel ei», und beglückte dann ihn mit einem Gegengeschenk von — 4000 Franken. Diese historische und jedenfalls theuerste aller Rüben veranlaßte noch ein Nachspiel dadurch, daß rin eigennütziger Höfling es dem treuherzigen Landmann nachmachen wollte und dem König ein schönes Roß verehrte. Die erwartete königliche Belohnung aber bestand in — der Rübe deS Bäuerleins! — „Sie hat 4000 Franken gekostet!" erklärte Ludwig XI. feierlich. Zu „hoher" Berühmtheit hat ferner der Rübe ein anderer Herrscher, deutscher Abkunft, geholfen: „Rübezahl" nämlick, der Herr deü Riesengebirges, der — wie die schwatzhafte Frau Base Sage wenigstens erzählt — diesen seinen all bekannten Spott- und Spitznamen ihr zu verdanken hat, be ziehungsweise seiner verspäteten Leidenschaft für eine schöne Erden-Prinzessin, der zu Liebe der alte Berggeist Rüben — ein ganze-Feld voll — säete, um zu ibrer, seiner Gefangenen, Unterhaltung, sie in Menschen und Tbiere zu verwandeln, bi» seine Angebetete ihn „Rüben zäb en" hieß, um indessen ungestört ibm durchzugehen. DeSbaib soll auch der mächtige Gebieter de» Riesengebirges den Neckruf: „Rübezahl!" bis heutigen TageS nicht gut vertragen können, sondern dem Uebermütbigen, der eS wagt, in seinem eigenen Revier ihn so zu nennen, zornig strafen, oder durch allerlei Schabernack ihn ärgern. Auf ihre alten Tage ist die Rübe — dem Zug de« Zeit geistes folgend — sogar unter die Industriellen noch gegangen, indem seit Ende des vorigen IahrbundertS eine ihres Stammes: die Runkelrübe, mit Glück und Erfolg der Zucker-Fabrikation sich zugewenbet hat. Eigentbümliche Wandlungen haben unsere heutigen ge schätzten Lieblinge: die Bodnen, durchgemacht, bevor sie auf den zetzigen Ehrenplatz gelangten. Im Alterthum und darüber hinaus, bestand ein gewisse- „Aber" gegen sie, da« tbeilweise daher kam, daß nach vorchristlicher Anschauung die Bohnen al« „Todtensveise" galten, das heißt den abgeschiedenen Schatten der Unterwelt zur Nahrung dienten. Die Egypier hielten sie sogar für „unrein", weshalb ihre Priester sie nicht einmal anschaueo, geschweige denn verspeisen durften. Außer- I dem war e- eine alte, bei den meisten Culturvölkern ver- I breitete Meinung, daß die Ausdünstung blühender Bohnen schlimme Einwirkung auf die Menschen habe, daß diese dadurch zu ausgelassener Narrbeit, tollen Streichen gestimmt würden. Aehnlick haben verschiedene Aerzte älterer Zeilen sich geäußert, welche über die „Bohnensucht", hervorgebracht durch Blüthe oder Frucht, sich in Wort und Schrift vernehmen ließen, — ja der berühmte Wellweise Pythagoras wollte das Bohnenesien sogar ausdrücklich verboten wissen, „weil eS schlimmer sei als Mord und Todtscklag!" — Sehr viel später erst, nachdem Karl der Große den fleißigen Anbau der Bohnen, die so hervorragenden Nährwert!) besitzen, daß damit allein sich der Mensch ernäbren könnte, befohlen hatte, begannen sie allmählich mehr und mehr sich einzubürgen. Von Deutschland aus verpflanzten sie (ich nach den Niederlanden, von dort aber nach Engl >nd, um festen Fuß zu fassen überall, wo man gutes, schmackhaftes Gemüse zu schätzen weiß, während die Blüthe dieser nützlichen Frucht seit Jahrhunderten bereits — besonders bei den Küstenbewohnern Calabriens und in Süd- Sicilien — als beliebtes BolkSmittel gegen Gicht und Nieren krankheiten Verwendung findet. Besonders hoch in Gunst stand bei den Alten schon der Spargel, in dem die Römer nicht nur eine Delikatesse, sondern auch eine Art von Symbol für rasches Vollbringen einer Sache erblickten, wegen der Leichtigkeit, mit welcher er gekocht und zubereitet werden kann. „Das wird geschwinder gekocht sein, als der Spargel!" pflegte deshalb Kaiser AugustuS zu äußern, um damit anzudeuten, wie schnell ihm irgend etwas zu erledigen scheine. Außer dieser gastronomischen und sprichwörtlichen Bedeutung aber besaß der Spargel in Alt-Rom, wie 300 Jahre vor Christi Geburt bereits in Egypten und Lydien, die noch wichtigere Mission, als gutes BlutreinigungS- und als Heilmittel zu dienen, das die Aerzte gegen Gicht, Wassersucht und Herzleiden verordneten. — Obwohl im nördlichen Europa der Spargel im Alterthum gleichfalls nicht ganz unbekannt gewesen sein soll, so wußten, heißt eS, unsere wackeren Vorfahren: die alten Germanen, leider keinen besseren Gebrauch von der wildwachsenden Pflanze zu machen, als sie — für Viebfutter zu verwenden. — Auch im Mittelalter sah's noch schlecht in Deutschland mit der Cultur deS SpärgelS aus, welcher erst Ende des 16. Jahr hunderts in dem „Kräuterbuch" deS berümten Botanikers RembertuS Dodonäus, Leibarzt der Kaiser Maximilian II. und Rudolf II., al» „heilkräftige Pflanze und von gutem Geschmack" Erwähnung und Beachtung findet. Andere „Kräuter-, Pflanzen- und Küchenbüchcr" folgten mit ähn lichen Bemerkungen und Empfehlungen im nächsten und vorigen Jahrhundert nach. Um die Mitte des 17. Jahr hundert» war der Spargel durch ganz Mittel-Deutschland, sowie auch in Frankreich verbreitet; in Berlin dagegen be- trachtete man eS 1768 noch als ein Ereigniß großen Stiles, daß in einer dortigen französischen Gärtnerei der erste Spargel — und sogar im Winter! — gestochen wurde, welchem „Schauspiel" der ganze Hof beiwohnte. — In Eng land nahm der Sparael, in Bouillon gekocht und mit Oel und Essig, Salz und Pfeffer vermischt, schon auf der Tafel der Königin Elisabeth eine bevorzugte Stelle ein, während im Hoden Norden von Europa: in Skandinavien und Ruß land, die Sparzelzucht erst Mitte des vorigen Jahrhundert« sich zu entsalten begann. Jedenfalls bat unter allen Gemüsen wohl just der Spargel von alterSher die meisten und begeistertsten Liebhaber „gezeitigt!" — Selbst der strenge, risentopfige LuxuS-Gegner Cato senior soll «m Spargel - Gourmand erster Classe ge wesen sein, dessen Methode und Rathschläge, den Spargel zu ziehen, jetzt noch, nach 2000 Zähren, befolgt werden. Columella, der praktische Ackerbauschriflsteller deS Alterthums, die römischen Schriftsteller IuvenaliS und PalladiuS, er wähnen seiner; TheophrastuS, der alt-griechische Philosoph, theilt mit, daß eine Spargelart wild in Griechenland und Italien wächst, und der große Römer Plinius, der sehr ge naue Angaben über Spargelbau, Schwarz auf Weiß, hinter ließ, sagt mit vorwurfsvollem Tadel in Bezug auf die Fein schmeckerei der Reichen: „Die Natur gab uns wilden Spargel, und in Ravenna wiegen drei Stück ein Pfund!" — Der leidenschaftlichste Spargelesser aller Zeiten aber wird ohne allen Zweifel wohl der berühmte französische Schriftsteller Herr von Fontenelle gewesen sein, der 1757 als Hundert jähriger starb, und deshalb so alt geworden sein will, weil er außerdem jeden Frühling noch eine Extra-Spargelcur ge brauchte; auch sein intimer Freund, der Cardinal und Minister Dubois, war ein specieller Spargel-Liebhaber, nur daß Ersterer die Zubereitung mit Oel und Essig, Letzterer eine weiße Sauce dazu vorzog. Als ein feines Gemüse, und als College de« Spargels zur Hemüseärmsten Htst IahreS ist auch der Spinat geschätzt, den einst die Araber nach Spanien brachten, und den ein Trifolium guter Eigenschaften beliebt gemacht: Nahrhaftigkeit nämlich, leichte Verdaulichkeit, und mühe loser Anbau. Das jüngste — nicht geringste — unserer jungen und beliebtesten Gemüse: die grüne Erbse oder Schote, bat ver- hältnißmäßig keine weit zurück reichende Vergangenheit zu verzeichnen, da sie nicht länger al- zwei Jahrhunderte als Menschenspeise dient, zuvor aber al« — Viebfutter verwendet wurde, bis durch Frau Mode sie zu Recht und Ehre kam! ES ist darum nicht ganz so schlimm, wie es klingt, wenn ei» französischer Finanzmann unter Ludwig XIV., zum Zwccke einer Milchcur, die einer von ibm angebeteten Künstlerin verordnet worden war, die betreffende Kuh mit grünen Erbsen füttern ließ! Schließlich sei — last not least — eines leider einstweilen noch sebr anonymen vegetabilischen Freunde» au« dem weiten Reiche der Natur gedacht, der wenig, viel zu wenig al« Ge müse noch gekannt und geschätzt ist: der Rbabarber! — Brrr? — Ja freilich hat dieser berühmte Asiat seit dem 4. Jahr hundert bereit« ein wodlbegründete« Renommöe al« blut- reinigendeS Purzirmittel sich erworben, doch diese purgirende Eigenschaft wohnt nur der Wurzel inne, während die dicken, fleischigen Blattstiele einiger Sorten, namentlich der.^Oueen Victoria", den ganzen Frühling hindurch bi« zum Sommer, also gerade zur Zeit größter Gemüse«Ebbe, ein gesundes, billiges, spargelartiges, und spargelähnlich-zubereitete« Gemüse und auch Üompot bieten. Die Nützlichkeit und den Wohl geschmack de» Rhabarbers weiß man besonder- in England und Amerika, sowie in mancher deutschen Seestadt, längst für Reich und Arm zu würdigen! Gilt nun im Allgemeinen auch der Süden al« Haupt land der Pflanzen und deren Gedeihen, so braucht man doch nicht just zur „Gemüse-Secte" der Vegetarianer zu gehören, um gleichfalls bei uns zu Land „Interessent" für die Ge schichte der jungen Gemüse, die im Grunde, wie man sieht, schon recht alte Gewächse sind, zu sein, und empfänglich für die frohe Botschaft, di« durch ihr Erscheinen sie alljährlich in jedes Hau- und bau-frauliche Herz tragen: „Nun ist vorbei die Zeit der Noth!" —
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