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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.06.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-06-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970623026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897062302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897062302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-06
- Tag1897-06-23
- Monat1897-06
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Anzeigeit'Prei- die Sgrspaltmc Petttzeile SO PfA Reklamen unter dem Rrdaettonßstrich (4aa» spalten) bO^, vor den Familteunachrichtr» (6 gespalten) 40 Gröbere Schriften laut nnserem Prais- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernfah nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförd«r»nz> 60-—, mit Postbesörderuug 70.—. AnnahmeschluK für Anzeige«: Abend-Ausgabe: BormittogS 10 Uhr. -borgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je »ine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition . zu richten. —c— Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 91. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 23. Juni. Wie gemeldet, hat das prcujztsche AdgcordnetrnhauS gestern die VcrktnSgesctznovcllc in der verfassungsmäßig nolh- wendigen wiederholten Abstimmung nach den Beschlüssen dritter Lesung angenommen, so daß der Gesetzentwurf an daS Herrenhaus gelangt. Die Sache wäre wohl anders gekommen, wenn man Klarheit darüber gehabt hätte, ob die Negierung, wie es auf conservativer Seite gewünscht wird, das Herrenhaus in der Absicht, die Regierungsvorlage wieder herzustellen oder ihr die von freiconservativcr Seite vor geschlagene Form eines kleinen Socialistengesetzes auf zuprägen, zu bestärken geneigt ist. In solchem Falle wäre die abermalige Annahme der Novelle zwecklos gewesen. Aber bei dem jetzigen Stande der „Regierung-- krisis" konnten die nationalliberalen Abgeordneten, von denen die Entscheidung abhing, auf eine klärende Regierungsäußerung nicht rechnen; sie handelten daher völlig corrcct, als sie bei ihrem in dritter Lesung abgegebenen Votum beharrten und dadurch die Bcralhung der Novelle auch im Herrenhause ermöglichten, wo vielleicht ein etwas helleres Licht auf den Curs fällt, den der „Mann der Zukunft" steuern will oder soll. Dieser Möglichkeit gegenüber fällt es nicht ins Gewicht, daß Demokraten, Socialdemokraten und Zentrum ihrem Grolle gegen die Nationallibcralen wegen dieser „Verschleppung" ter Entscheidung über die Novelle Luft machen werden; er macht sich Lust, auch wenn ihm keine besondere Gelegenheit geboten wird. Falsch wäre es gewesen, wenn sich die natioualliberale Fraktion von der aus dem Schoße der Socialdemokratie geborenen und vom Freisinn adoplirten Doctrin von der Perfassungswidrigkeit Lcö gewählten Vorgehens hätte beirren lasse». Das ein geschlagene Verfahren ist nickt rechtswidrig, das bat die Ne gierung erklärt und das Hal Herr Richter gestern selbst zu geben müssen; es ist auch von demokratischer Seite nicht an gefochten worden, als man »ock, ohne einen unerträglichen Zeitverlust herbeizuführen, den andern der beiden erlaubten Wege beschreiten konnte. Wäre gestern auch nur ein Bei strich an den Beschlüssen dritter Lesung geändert worden, so hätte daS Abgeordnetenhaus eine abermalige dreiwöchige Frist verstreichen lassen müssen, ehe die Sache an das Herrenhaus hätte weitergegeben werden können. Es war also formell wie materiell richtig, eS beim Alten zu lassen. Die Gründe für die Fernhaltung der Minderjährigen von politischen Vereinen und Versammlungen haben an Gewicht nichts verloren, und so lange die Aussicht, daß das Herrenhaus infolge eines sanften Druckes von oben durch Zustimmung zu den Beschlüssen des Ab geordnetenhauses diese Fernhaltung ermöglicht, nicht völlig ge schwunden war, durfte die nationalliberale Fraction nicht ihrerseits die Aussicht versperren. Im Gegentheil. Wenn die „Umbildung" der Negierung in den nächsten Wochen vor sich gehen sollte, so könnte es für Herrn I)r. von Miquel nur er wünscht sein, an einer Frage von principieller Tragweite zu zeigen, wie sein Programm nach einer gewissen Richtung beschaffen sein werde. Schließlich, und das ist sehr werth voll, hat die nationalliberale Fraction durch die Aufrecht erhaltung ihrer Beschlüsse abermals auf die unübersteigliche Schranke hingewiesen, die sie von den übrigen Gegnern der Regierungsvorlage trennt. Die Scenen, die Herr Richter gestern berbeiführie, indem er trotz der Abwesenheit aller der jenigen Minister, von denen eine Auskunft über den Stand der „Krisis" zu erwarten gewesen wäre, eine solche Auskunft zu provociren suchte nnd dabei in den unziemlichsten Witzeleien I sich erging, lassen eS doppelt willkommen erscheinen, daß! unsere Freunde nicht in dieser Gesellschaft gesehen werden, f Es würde, da das Haus von vornherein wußte, daß eine Auskunft über die „Umbildung" der Negierung nicht zu er langen war, überhaupt keine eigentliche Debatte stattgefunden haben nnd die Fraclionsführer hätten sich, wie der Abg. Ho dreckt, auf die Abgabe kurzer Erklärungen beschränkt, wenn nicht Herr Richter Lorbeeren hätte pflücken wollen. Das ist ihm nicht gelungen, er hat nur rasch verhallenden Lärm gemacht. Dem Minister v. d. Recke nachzuweifen, daß es größere Staatsmänner als ihn giebt, ist wahrlich keine Kunst, die Anspruch auf Lob hat. Herr Richter lobt sich in der „Freisinn. Ztg." aber doch. Vielleicht ist noch Graf Limburg mit ihm zufrieden, dem er Gelegenheit gab, die ungeheuerliche, an manchen Stellen aber gewiß gern vernommene Auffassung nochmals vorzutragen, mit dieser unüberlegten Vorlage habe die Regierung den Anfang zu einer energischeren und zielbewußteren Politik gemacht. Herr v. Zedlitz war natürlich derselben Ansicht. Der allein von allen Ministern erschienene Herr v. d. Recke hütete sich, die gute Meinung durch sein Eingreifen in Vie materielle nnd politische Erörterung zu ersckütleru, Soweit die Er örterung politisch war oder sein sollte, fand sie ein Nachspiel im Reichstage, der, wie wir schon gestern betonten, am wenigsten in der Lage und berechtigt war, Klarheit in daS Dunkel der Lage zu bringen. Herr Richter verlangte zwar die Absetzung der Handwerksvorlage, weil Herr v. Börtlicher sein Amt zu verlassen im Begriffe sei. Er bekam aber, wie er hätte voraussehen können, zur Antwort, daß ein Abschiedsgesuch dieses Ministers nicht cingereicht und überhaupt eine Minislerkrisis nicht vorhanden sei. Nun ist „die Lage geklärt". Ob der deutsche Botschafter v. Bülow nnr deshalb nach Berlin berufen worden ist, um den erkrankten Freiherrn v. Marschall während der Dauer seines Urlaubs zu ver treten, oder ob diese Berufung mit der von Herrn v. Boetticher abgelengneten „Ministerkrisis" zusammenhängt, daS weiß vielleicht nicht einmal Herr v. Bülow. Es wäre daher zwecklos, sckon jetzt auf die Probe», die dieser Diplomat von seiner Geschicklichkeit bisher gegeben hat, naher einzu gehen. Die Mehrzahl der Blätter enthält sich daher auch, soweit wir zu übersehen vermögen, jeder Betrachtung über Herrn v. Bülow und den Zweck seiner Berufung. Um so mehr beschäftigt man sich mit Herrn Or. von Miqncl und mit der Haltung, die er nack Abschluß der geplanten oder geplant gewesenen Veränderungen in den höchsten Ne gierungsämtern den Parteien gegenüber einnchmen werde. Von klerikaler Seite war die Ansicht laut geworden, daß das Eentrum in Herrn von Miquel einen Gegner zu erblicken haben werde. Demgegenüber ist eine der „Schlesischen Volks zeitung" zugegangene Berliner Correspondenz von Interesse, an deren Schluffe es heißt: „Wir glauben gerade nicht, daß Herr von Miquel eine Politik treiben wird, die das Centrum in den wesentlichsten Puncten sachlich be kämpfen muß; doch ist Sicheres darüber nicht zu sagen. Immerhin erscheint es nickt undenkbar, die zwischen ihm und dem Centrum bestehende Spannung zu beseitigen." Eine ähnliche Ansicht wurde schon von anderer Seite mit dem Hinweise darauf begründet, daß Herr Miquel als national liberaler Abgeordneter nicht nur Gegner des IesuitcngesetzeS ! war, sondern auch an dem Abbruch der preußischen Cultur- kampfgesetzc sich wesentlich betheiligte und dadurch wiederholt in Gegensatz zu seiner Partei kam. Das Icsuilengesetz, so wurde gesagt, das Herr Miquel seiner Zeit bekämpft habe, werde Herr v. Miquel gewiß beseitigen Helsen, wenn er könne. Das ist allerdings nicht unmöglich. Aber durch die bloße Hoffnung, das Centrum zufrieden stellen, es zur Betbeiligung an natio naler Arbeit und zur Abwendung von Welfen, Polen und anderen centrisugalcn Elementen bewegen zu können, läßt sich der kluge Politiker sicherlich nickt zu Cvncessioneu bewegen, die ihm zahlreiche Gegner schaffen würden. Er weiß, daß Fürst Bismarck bei dem Versuche, das Centrum vor den Wagen seiner Politik zu spannen, eine bittere Enttäuschung erlitten bat, und wird sich daher hüten, sich selbst eine gleiche Enttäuschung zu bereiten. Vielleicht aber hält er die Nölbe, in denen das Centrum sich befindet, für günstig zu dem Ver suche, es zu spalten. Er bat hochstehende Freunde selbst im Klerus, die mit der politischen Haltung des Centrums durch aus nicht einverstanden sind. Das weiß auch Herr Or. Lieber, der eben deshalb Herrn Or. v. Miquel trotz dessen Gegner schaft gegen das Iesuilengesetz mit seiner Feindschaft beehrt. Eine Spaltung dcS Centruins wäre eine Errungenschaft, die wohl eines Preises Werth wäre. AuS Kopenhagen wird der „Franks. Ztg." vom 18. Juni geschrieben: „Eine größere Anzahl dänisch sprechender Einwohner von Rordschlestvig Hal dieser Tage einen Ausflug auf dänisches Gebiet gemacht, wobei in der schönen Gegend von Silkeborg (Jütland) längerer Aufenthalt ge nommen wurde. Es erregte nun nicht geringes Aussehen, als man erfuhr, daß der dänische Kronprinz, der in der Abwesenheit des Königs mit der Regentschaft betraut ist, plötzlich mit seiner Familie eine Reise nach Jütland be schlossen habe, und zwar wurde der Neiseplan so entworfen, daß Silkeborg gerade während des Aufenthaltes der Nordschlcs- wiger daselbst besucht werden sollte. Die Reise wurde indessen unerwarteter Weise in Aarhus unterbrochen, wobei officiöS als Ursache der Unterbrechung angegeben wurde, daß die Eisenbahnverwaltnng infolge des Besuches der Nord- sckleswiger nicht über daS nöthige Material (d. h. zwei Waggons und eine Locomotive!) verfüge, um die krvn- prinzliche Familie befördern zu können. ES ist klar, Paß dies nicht der wahre Grund der plötzlichen Unterbrechung der Reise sein kann. In unterrichteten Kreisen glaubt man denn auch zu wissen, daß der Kronprinz nur deshalb seine Reise unterbrochen habe, weil der im Auslände weilende König, der von der Negierung über die Absicht des Kronprinzen benachrichtigt worden war, diesem die kategorisch: Weisung übermittelte, den Besuch in Silkeborg bis nach der Abreise der NvrdschleSwiger aufzuschieben. So geschah es denn auck." — Ob die inneren Vorgänge und Beweggründe in der Meldung der „Franks. Ztg." richtig dar gestellt sind, vermögen wir nickt zu constatiren. Zutreffend ist allerdings, wie die „Tägl. Nnndsch." beinerkt, daß „Äiid- jüten" und dänischer Kronprinz eigentlich zu fast gleicher Zeit batten in Silkeborg sein sollen, daß aber Ickließlich eine Begegnung nicht stattgefunden hat. Führer jencs politischen Agitation«- und DemoustrationsausflugeS waren die preußischen Abgeordnetenhaus-Mitglieder Gustav Johannsen und Hans Peter Hanssen, die es mit ihrem parlamentarischen Mandate vereinbar hielten, das Volk in Jütland in deutschfeindlichem Sinne zu haranguiren und zwar von Rednerbühnen aus, die mit Dannebroz- Flaggcn geschmückt waren. Doch hat das Blatt des Herrn Hanssen den ganzen Ausflug wohlweislich verschwiegen, daS beste Zeugniß eines schlechten Gewissens. Jetzt üben diese beicen politischen Gentiemen wieder ganz unbefangen ihre deutschen Parlament-Mandate aus. Obgleich die guten Aranzosen ihr Tbeil von dem eng lischen Regierungs-Jubiläum abbekommen haben, indem eine Anzahl fremder Fürstlichkeiten, darunter bekannt lich der Prinz von Neapel, den Weg über Paris nahm, verhalten sie sich doch im Allgemeinen dem Jubiläum gegen über viel indifferenter, als etwa die deutsche oder österreichische Presse. Und doch liegt in diesem Jubiläum eine gewisse Mahnung für Frankreich, die nur Einer beachtet hat und zwar der — Carricaturenzeichner Carau d'Ache. Er stellt ein Bild dar, auf dessen einer Seite die englische Regierung in den letzten 60 Jahren, auf dessen anderer die französische in demselben Zeiträume dargestellt ist. Auf der englischen Seite sieht man hoch oben das Portrait der jugendlichen Königin Victoria, dann führt ein langer Pfeil ganz nach unten zu dem Portrait der greisen Herrscherin. Auf der französischen Seite drängen sich die Köpfe. Erst kommt der gute Bürgerkönig Louis Philippe, dann die tugendhafte Republik von 1848, dann Napoleon al- Prinz-Präsident, dann derselbe als Kaiser, dann die Septemberrepublik, dann die Commune, dann Herr Thiers, dann der Hau degen Mac Malwn, dann der Biedermannskopf Grsvy's, dann der correcte Carnot, dann derpopuläre General Boulanger, dann der kurzlebige Präsident Casimir-Pärier, dann ver schöne Felix, dann kommen die Köpfe des orleanistischen und des bonapartistischen Prätendenten. Den Beschluß bildet ein viereckiger Raum, auf dem geschrieben ist: Dieser Raum ist frei sür die folgenden Männer und für — das Unvorher gesehene. Besser kann man allerdings den Gegensatz zwischen dem Conservali-mus Englands und dem ewigen Hin und Her- Frankreichs nicht illnslriren. Wenn die französische Presse heute mit Neid auf die Stellung Englands sieht, so mag sie daran denken, daß auf diesen Unterschied nicht zum kleinsten Theile die günstigere Stellung Englands in den fremden Erdtheilen zurückzuführen ist. Wie amtlich mitgetheilt ist, haben sich die fünf kleinen Republiken aus dem schmalen Festlande von vttttelamerika nach außenhin wieder zu einer einheitlichen Republik von Centralamerika zusammengethan. Bisher hatte rin solcher enger Bund nur für die drei mittleren Staaten Honduras, San Salvador und Nicaragua bestanden, jetzt sind auch Guatemala im Norden und Costarica im Süden hinzu getreten, und somit ist ein Zustand wieder hergestellt, wie er nach der LoSreißung der kleinen Staaten von Spanien im Jahre 1821 bereits einmal auf Grund der Bundesacte vom 1. Juli 1823 bestanden hatte, dann aber beseitigt worden war. Costarica hatte sich 1840 für unabhängig von der Union der Vereinigten Staaten von Mittelamerika erklärt, Guatemala 1847, die übrigen drei Staaten gleichfalls im Jahre 1840. Inzwischen hatten sich die drei mittleren Staaten bereits wieder zusammengesunden. Ob die AnnexionSgelüste Mexico- oder Englands, das mit seiner Colonie Honduras oder Balize gleichfall- an dem Landbesitze von Mittelamerika Theil nimmt, oder die panamerikanischen Bestrebungen, so wie sie in den Vereinigten Staaten jetzt immer schärfer zu Tage treten und auch bereits zu einem Einmischungsversuch in den Ausstand auf Cuba geführt haben, auf die Einigung von Feitilleton. Nanny Trauner. 1s Roman von L. Schroeder. Nachdruck verböte». 1. Capitel. Vier Uhr schlug es vom Thurm des Louvre und die gelang weilten Hüter der Kunstschätze athmeten auf. Mit wieder holtem ungeduldigen „Ou vs. fermer!« trieben sie das inter nationale Gewimnrel der Schaulustigen aus den Galerien hinaus. Der Letzte, sich von den Werken unsterblicher Meister im Salon Carrs zu trennen, war der Maler Franz Flemming, ein Jüngling an der Schwelle des ManneSalters, mit einem intelligenten, dunklen Kopf auf einer wohlgebildeten, mittel großen Gestalt. Unter dem Pavillon Sully in- Freie gelangt, schritt er schräg über den gepflasterten Hof, um sich den Au-gang nach der Quaiseite bin zu suchen. Sein Gang war leicht und! elastisch, sein Gesicht hatte etwas über seine Jahre hinaus,' Ernstes, dabei etwas Tiefäugiges, Hohlwangige-, da- viel-i leicht auf materielle Entbehrungen hätte schließen lassen, wäre die einfache Eleganz der Kleidung uicht gewesen. Nach dieser zu urtheilen, konnte eS Wohl nur ein geistiger Hunger sein, der an ihm zehrte. Dem Auge sah man es an, daß eS scharf beobachtete, kaum einen Gegenstand ungeprüft an sich vorüber ließ. Wenn e-, wie mit ¬ unter geschah, bei solcher Prüfung heiter aufblitzte und zu gleich unter dem dunklen Schnurrbart die weiße» Zähne sicht bar wurden, so bekam da- Gesicht etwas ungemein Anziehen de-. Eine hübsche Engländerin unter den Nachzüglern der Galeriebesucher machte diese Erfahrung und schenkte ihm daraufhin einen wohlgefälligen Blick. Leider aber vergeben«, denn Franz zeichnete in eben dem Moment den Begleiter der Dame, einen langen John Bull von Streicbholzdürre, mit breitrandigem Hut und fast nachschleppenden Nockschößen, in da- Buch seiner Erinnerung Auf den Stufen de« Pont de- Art« machte rin Verkäufer von Brioche- gute Geschäfte. Diese Küchelchen zweifelhafter Herkunft, die selbst von eleganten Damen nicht verschmäht wurden, reizten unseren Helden nickt und noch weniger thaten «H oben auf der Brück« dir Blumensträuße der keifenden, sich überschreienden Weiber, die alle, mehr oder weniger scharf ausgeprägt, den Stempel des Lasters im Gesicht trugen. Seine Stirn furchte sich bei ihrem Anblick. Eine schwarze Schattenseite des strahlenden Paris waren ihm die frechen Bettlerborden, durch die man sich zu jener Sehenswürdigkeit den Weg erst erkämpfen muß. Tie Verkommenheit des Ge sindel« beleidigte sein Auge fast noch mehr als seine Seele. Abgewandten Gesichtes warf er ein paar Kupfermünzen hin und dann trat er an da- Brückengeländer. Der kurze Decembertag hatte mit einem bellen Sonnen blick Abschied genommen und in der Erinnerung daran flammte der Himmel noch in Gold- und Purpurfarben. Alle Dächer, Thürme und Mauern schienen wie in dem warmen Lickt gebadet, die Fenster strahlten e« zurück nnd am glänzendsten gab die Seine eS wieder. Wie ein schimmern de- Goldband wand sie sich durch die prächtigste der Städte. Etwas störte unseren Helden in seiner Bewunderung — die Nähe eines der fatalen Blumenmädchen, nur ihre un mittelbare Nähe, denn sie machte keine Miene, sich ihm auf zudrängen, ahnte wohl seine Gegenwart kaum. Den Rücken gegen die Balustrade gelehnt, stand sie in sich zusammen geschmiegt, den Blick am Boden und mochte vorübergehen, wer da wollte, sie hob nicht ein einziges Mal die Wimpern, nicht rin einzige- Mal die Hand, ihre Vellchenstränßchen an- zubieten. „Ein Neuling auf dem schlüpserigen Pfad", sagte sich Franz ironisch. „Noch wagt sie so recht nicht den Fuß zu heben, aber warte nur, bald —I Die Schüchternen gehen schließlich immer am weitesten." Er wollte sich dem leuchtenden Panorama wieder zu wenden, doch seine Augen hatten sich unversehens in dem seinen Haargelock auf ihrer Stirn gefangen. Gegen dieses Gold war das am Himmel nur matt. Schade, daß man nicht mehr davon sah! Ein grobes Tuch verhüllte ihr Kopf und Schultern. Sie hielt es unter dem Kinn zu sammen und hatte so mit dem zarten Profil de- schmalen, gesenkten Antlitze-, mit dem leidvollen Zug nm den Mund etwa« von Carlo Dolce'- schmerzensreicher Madonna — stark in'S Jugendliche übersetzt, heißt da»; denn der un entwickelten Gestalt nach war sie kaum mehr als rin Kind. Wa« für Augen sich hinter den breiten Lidern bergen mochten? Franz fühlte, je länger er hinsah, desto stärker die Versuchung, ihr ein Geldstück in den Korb zu werfen, um sie zum Aufsehen zu zwingen. Allein er that eS nicht — nein, er besann sich, daß er dann derjenige sein werde, dem jungen Ding daS Betteln verlockend zu machen, und das wollte er nicht. Mochte es keinen Sou einnehmcn und gründlich enttäuscht heimkehren — da« war sein Wunsch und damit ging er die Stufen der Brücke hinunter, über den Quai ÄkalaquaiS durch die enge Rue Bonaparte in den Boulevard St. Germain. Er hatte den Kopf nicht wieder zurückgewandt, da- that aber auch nicht noth. Die Bilder, die sein Geist einmal erfaßt batte, hielt er fest. So sah er denn deutlich vor sich den schmalen Streifen Goldhaar, das feine Gesichtchen mit der durchsichtig weißen Haut, die breiten gesenkten Lider mit den dunklen Wimpern daran, allein die Augen sah er noch immer nicht. „Braun oder blau?" grübelte er bei jedem Schritt. „Braun oder blau?" An braunen Augen unter braunen Stirnlöckcben und in pikanten, braunen Gesichtcken hatte er sich vollständig satt gesehen die Tage >ec, aber braune Augen unter Gold löckchen, in einem Lilienantlitz mußten reizvoll wirken und doch vielleicht noch nicht so reizvoll wie blaue Augen, wenn sich allmählich, so ganz allmählich ein dunkler Wimperschleier darüber hob! „Braun oder blau?" fragte er sich nnd fand, daß er dem Künstler in sich einen schleckten Dienst geleistet, daß er über haupt ein Narr sei mit seinem abenteuerlichen Bemühe», ei» Pariser Proletarierkind auf dem Pfad der Tugend zu erhalten. DaS Almosen, das er zu spenden sich versagt, warf nun der Nächste, Beste hin und — der begnügte sich vielleicht nicht mit einem Blick unter die dunklen Wimpern. Er war schon vor seiner zeitweiligen Behausung in der Rue du Sommerard anaelangt, als der letzte Gedanke ihn umkehren machte. Hastig, immer hastiger schritt er nun den Weg zurück, den er gekommen. So war denn die Dunkelheit noch nicht vollständig herein gebrochen, als er den Pont des Art- erreichte. Der erste Blick bereitete ihm eine Enttäuschung, denn das Bettlervolk schien sich verlaufen zu haben, doch wie er näher hinsah, ent deckte er diejenige, die er suchte, noch genau an dem Fleck, wo sie gestanden hatte. Sie war nur nicht allein. Da« alte Weib, da- unter einem kleinen Zeltdach vor der Brücke Zeitungen feilgebalten hatte, war zu ihr getreten. „Was fehlt Ihnen, Kleine?" klang es schrill, doch nicht unfreundlich herüber. Als keine Antwort erfolgte, ward die Frage in viel rascherem Tempo wiederholt. Noch ein secundenlangeS vergebliches Warten, dann war eS mit der Allen Geduld-faden zu Ende — er ist den Französinnen inS- gesammt nur sehr kurz zugemessen. Ihr Mitleid schlug in beftigen Zorn um. Sie schalt, sie schimpfte, sie wäre der Apathie der Anderen gegenüber täthlich geworden, wen» Fran; sie nickt sanft bei Seite geschoben hätte. „Pardon, Madame! Sie werden mir gütigst erlauben —?" bat er mit demjenigen Nespect in To» und Miene, den in Paris jedes Fischweib zwar erwartet, aber auch dankbar anerkennt. Die Erboste lächelte sofort aus allen ihren Runzeln, trat willig zurück, faßte die Beiden, wie sie einander nun gegen über standen, in einen sonderbaren Blick zusammen, kicherte auf nnd humpelte zu ihren Zeitungen zurück. Franz sah jetzt erst, daß daS Mädchen weinte. Es war ein Weinen, wie eS zu dem ölutor-äoIorosa-Gesichte paßte. Schwere Thränen stahlen sich unter den gesenkten Lidern hervor und rollten langsam abwärts über die blassen Wangen. Keine MuSkel zuckte dazu und kein Schluchzen war hörbar. Man mußte an glühende Tropfen denken, die sich auS einer gequälten Seele loSrangen. Für Len Maler war dieser Schmerz schön, für den Menschen ergreifend. „Wollen Sie mir nicht sagen, was Ihnen fehlt?" fragte er, sich zu ihr niederbeugend. „Wer weiß? Vielleicht kann ich Ihnen Helsen?" Jetzt hatte er seinen Wunsch. Allmählich, ganz all mählich hoben sich die dunklen Wimpern und die Äugen, die durch funkelnde Thränen darunter hervorschimmerten, waren blau, vom tiefsten Himmelblau. Er sah «S mit Entzücken, er wußte eS auf einmal auch ganr genau — das pikantere Braun wäre in dem Madonrnantlitz unmöglich gewesen. Da« kindlich Hilflos« in ihrem Blick machte, daß er ihre Hand erfaßte und schmeichelnd wieder anhub: „Nun, was ist'-? Schnell — schnell, heraus damit!" Da preßte sie mit einem zitternden Seufzer in deutscher Sprache hervor: „Ach, ich verstehe ja nicht!" * Seit einer Woche befand er sich nun schon in Pari-, und dies war daS erste Mal, daß heimathliche Laute an sein Obr schlugen. Erfreut drückte er die schmale Hand, dir er noch immer hielt. „Sieh da! eine kleine Land-männin!" rief er nun auch auf Deutsch. „Wer hätte da- gedacht!" Ihre Thränen hörten auf zn fließen, auf ihren Lippen erschien ein mattes Lächeln. „Eine kleine Land-männin", wiederholte er, um in fast väterlichem Ton hinzuzusetzen: „Aber al- solche dürfen Sie
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