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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.05.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189705164
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18970516
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18970516
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-16
- Monat1897-05
- Jahr1897
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.05.1897
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Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsatz nach höherem Tarif. bxtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbefürderung SO.—, mit Postbefürderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen - Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen nnd Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an di« Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 247 Sonntag den 16. Mai 1897. SI. Jahrgang. Aus -er Woche. Die „Zugabe" zu der Zusage ist zu reichlich aus gefallen, al» daß aus dem Material am Ausgange des IS. Jahrhunderts in einer bürgerlichen Küche ein genießbares Gericht hergestellt werden könnte. Der § 8 des preußischen VereinSgesetzeS, obwohl er, wie wir ja auch an unserem sächsischen Leibe erfahren müssen, höchst lästig fällt, ist seit gestern das gleichgiltigste Ding von der Welt geworden. Man hat daS Versprechen, ihn zu besei tigen, zum Borwand eines Unternehmens genommen, das dem politischen Bedürfnisse, auS welchem heraus die Gestattung der VereinSverbindung gefordert und verbeißen worden war, schnurstracks zuwiderlauft. Statt eines kleinen Fortschrittes rin großer Rückschritt, und zwar um deS Gedankens des Rückschrittes willen. Die uns inzwischen zugegangenen ausführ licheren Betrachtungen gerade der gemäßigten Presse stimmen mit uns darin überein, daß man mit der lex Recke — memoirenschreibende Mitglieder des gegenwärtigen preußischen StaatSminifteriums werden sie vielleicht die lex Recke-Miquel nennen — eine .neue Aera" einzuleiten gedenkt. Mit der Reaktion allein ist aber den Unternehmern nicht gedient, wenigstens nickt allein. Man glaubt am Ende des vorgestern betretenen Weges eine blumige Aue zu finden, auf der außer dem Rittersporn auch Nutzpflanzen wachsen: Finanzreform und Befriedigung aller Wehrbedürfnisse des Reiches. Hier aber steckt der elementare Fehler, der dieser neuen Action eine verzweifelte Aebnlichkeit mit dem Zedlitz'schen Schulgesetz-Abenteuer verleiht. Wieder wird ein Gegensatz erzeugt oder verschärft zwischen Parteien, deren Zusammen wirken keine deutsche Regierung, sie mag heißen wie sie wolle, zur Erreichung nationalpolitischer Zwecke entbehren kann. Jene, Conservative und Nationnalliberale schärfer als je vorher scheidende Wirkung der Schulgesetz-Episode, obwohl sie nicht mehr war, macht sich heute noch, nach fünf Jahren, bemerkbar, ohne daß jedoch aus der damals künstlich ge bildeten Koalition zwischen Conscrvativen und Centrum der geringste Vortheil für den Staat, das Reich sich ergeben hätte. Mit der Vereins-Novelle hat man es weise dahin gelenkt, daß der uationalpvsitiven Partei pur excellonco, die zugleich zu den zuverlässigsten Truppen gegen die Umsturz bestrebungen gehört, die Fnhrerrollc in einem Kampfe zusälll, in dem die nationalpolitisch beharrlich versagende» bürger lichen Parteien und dazu noch die Socialdemokratie neben und hinter ihr gesehen werden. Der trotz ostelbischer Junkerherrsckaft natürlicken, weil eben unersetzlichen Gruppirung, die sich bei aller Gegen sätzlichkeit erst jetzt wieder bei der Marineforderung gebildet hat, ist also wiederum ein gewichtiges Hinderniß in den Weg gerollt und die bei der Wirrniß der miteinander kämpfenden Meinungen und Interessen obnehin schwache Möglichkeit, für die nächsten Wahlen eine den Reichstreuen gemeinsame Losung zu finden, ist in noch weitere Ferne gerückt. Dafür kräftigt dieser unglückselige Anschlag aus notbwendigc Freiheiten den Radikalismus an allen Stellen, selbstverständlich auch im Centrum. Vielleicht wünscht man da und dort für daS nächste Jahr den denkbar schlechtesten WahlauSsall und will durch die Vereins-Novelle daö Entstehen eines Zustandes beschleunigen, der als Nothstand im Sinne des Gesetzes außerordentliche Maßnahmen zu rechtfertigen schiene. An dem Frevel- mulhe, den eine solche Spekulation zur Voraussetzung hat, fehlt es nicht überall, wenn auch gewiß an den leitenden Stellen. ES giebt aber auch Kreise, enge, doch einfluß reiche, die im guten Glauben an die Nothwendigkeit und Möglichkeit eines irregulären Beginnens zum Handeln rathen. Sie irren schwer. Wenn man, waS wir nicht könnten, noch möchten, von allen rechtlichen, bundespolitischen und moralischen Bedenkens gegen eine Verfassungsvcrletzung absiehk, Eins muß Jedermann zugeben: ein Schritt, dem derRechtSboden fehlt, kann ohne sicheren Mißerfolg nur von Persönlichkeiten gethan werden, die von einem außerordentlichen Vertrauen breiter und gewichtiger Volksschichten begleitet werden. Solche Persön lichkeiten leben zwar, und sogar auf deutschen Thronen, aber sie kommen für einen Staatsstreich nicht in Betracht. An Stelle deS außerordentlichen Vertrauens ist hingegen mit einer im Reiche noch nie, in der preußischen Geschichte vielleicht nur ein einziges Mal dagewesenen Zurückhaltung zu rechnen. Wem diese Erscheinung bisher etwa nock entgangen sein sollte, der unterrichte sich über das, was in den NeichStagSerörterungen überMa je st ätsbelei digungen von Vertretern allerPartcicn gesagt oder verschwiegen worden ist. Dieser kurze Sitzungs bericht redet Bände. Man täusche sich nicht. Der Unzu friedenheit mit dem gegenwärtigen Reichstage, die der künftige womöglich noch steigern wird, steht keine politisch brauchbare Zuversickt auf andere Faktoren gegenüber. Wie in der erwähnten ReichStagsdebatte, so wird auch bei der parlamentarischen Berathung der Vereinsgesetz- Novelle der Kern des Gegenstandes kaum auögesckäll werden. Dessen bedarf es auch bei dieser Gelegenheit nickt. Der allgemeinen Lage entspricht energische, aber wortkarge Abweisung am besten. Vorläufig wird eS nicht für unmöglich gehalten, daß die ganze Angelegenheit Mitte nächster Woche von beiden Häusern des Landtags end- giltig erledigt sein wird. Das Ergebniß ist, wie schon erwähnt, nicht zweifelbaft. Man bat zwar richtig aus gerechnet, daß den beiden konservativen Fraktionen nur 8—9 Stimmen zur Mehrheit im vollbesetzten Hause fehlen, aber die Präsenz der Oppositionsparteien wird dieses für die Ablehnung ausreichende Stimmenverhältniß zu Tage treten lassen. ES müßte denn sein, daß ^Verhinderungen durch Krankheit oder Abwesenheit in weiter Ferne gerade zu ihren Ungunsten in die Wagschale fielen. Wie man jedoch hört, ist dies nicht zu befürchten. Ob die freiconservativcn Abgeordneten Mann für Mann sich an einem Acte be theiligen, mit dem sie ihre Vergangenheit verleugnen würden, muß abgewartet werden. Die „Post" gießt schon etwas Wasser in ihren Feuerwein. Von den zur Rücksichtnahme auf anti- semitiscke Wähler gezwungenen Conscrvativen — und deren Zahl ist nickt gering — dürste Wohl mancher fern bleiben. Die antisemitische Presse sprickt eine sehr energische Sprache gegen daS Gesetz und die Presse des Bundes der Land- wirthe erklärt sich wenigstens nock nicht dafür. Herr Liebknecht und Herr Richter wetteifern mit einander als KriegStheoretiker. Der freisinnige Napoleon, wir haben daS schon erwähnt, thut an dem Verlause des türkisch- grieckischen Krieges, „zur Evidenz" natürlich, die Schädlichkeit von Kriegsflotten für ihre Besitzer dar, und der socialdemo- kratische Moltke leitet von der Niederlage der Griechen die Lehre ab, daß stehende Heere im Kriege nichts nütze sind. Er findet, daS herrschende Militairsystem habe sich in Thessalien „blamirt". Daß die Türkei mit einem stehenden Heere siegte, berührt den Vorkämpfer der Miliz nicht Weiler. Ganz sicher ist er aber seiner Sache nicht, denn auf den Vorhalt, daß Griechenland thatsächlich mit einer Miliz gekämpft oder eigentlich nickt gekämpft habe, entgegnete er, von einem Kriege könne man überhaupt nicht reden, im Osten habe ein Kampf wie „zwischen Katze und Löwe" stattgefundcn. Da ver missen wir aber die Erinnerung an die Thermophlen und die Betonung deS „moralischen Elements", das nack social- demokratischer Behauptung der Miliz das Uebergewicht über das stehende Heer geben soll. Mit der Angelegenheit des Vereinsgesetzes concurrirt die der freien Vereinigung der Productenhändler in Preußen, denen der Handelsminister endlich den Charakter von Börsen ruerkannt hat. Inhalt und Fassung der Verfügung lassen jedoch die Absicht, den Grollenden einen ehrenvollen Rückzug zu ermöglichen, deutlich erkennen. Jedenfalls dürften die Getreidehändler in dem Punkte Entgegenkommen finden, wo sie sich mit Recht beschwert fühlen. Man bat zum Theile Landwirthe in den Börsenvorstand delegirt, die im Vordergründe deS Kampfes gegen den Getreidebandel überhaupt gestanden und mit Beleidigung des ganzen Standes nicht gekargt hatten. Diese werden wohl zum Rücktritte vermocht werden. Im klebrigen handelt eS sich für die Berliner Händler um die Wieder herstellung des börsenmäßigen Getreideterminhandels, den sie nicht durchsetzen werden, auch wenn sie ihre jetzige Ver einigung auflösen. Die freisinnige Presse sucht ihnen den Nacken zu steifen. Namentlich die „Voss. Ztg." ist darum bemüht, wobei daS ganze Börsengeschäft schlecht wegkommt. Aber man hat eS dort auch schon anders gelesen. So schrieb die „Voss. Ztg." am 24. April in ihrem HandeStbeile neben anderen, dem neuen Gesetze nicht ungünstige Bemerkung: „Außerdem hat sich gezeigt, daß auch das Emissions geschäft trotz der erschwerenden Bestimmungen wobl bestehen lann, und besonders die großen staatsfinanzieüen Geschäfte werden nach wie vor an der Berliner Börse einen ihrer Brenn- puncte finden, wofür die erwähnte russische Eisenbaduanleihe aufs neue Zeugnis; ablegt. Dagegen werden minderwerthige ausländische Staatspapiere jetzt wohl ganz von dem deutschen Markt ausgeschlossen bleiben, was immerhin ein durch das neue Börsengesetz bedingter Erfolg ist. Soweit also nicht die allgemeine Lage des Welthandels oder politische Constella- tionen vorübergehend hinderlich sind, werden die Banken auch zu künftig ihre» Aktionären angemessene Gewinne abwerten." Also die Börse wird nicht geschädigt und das Publicum genießt einen gewissen Schutz gegen Capitalverluste. Recknet man hinzu, daß die Prophezeiung, der hier verbotene Ge- treideterminbandel werde zum Schaden der deutschen Geschäftswelt nach Holland auswandern, ganz und gar unerfüllt geblieben ist, so kann man mit dem gemachten gesetzgeberischen Versuche wobl zufrieden sein. Deutsches Reich. U Berlin, 15. Mai. DaS Problem der staatlichen Arbeitslosenversicherung ist so alt, wie die staatliche Arbeiterversicherung überhaupt. Obwohl aber schon die ver schiedensten Köpfe an seiner Lösung sich versucht haben, ist es, ganz abgesehen von der finanziellen Belastung, die eine solche Versicherung für ihre Träger im Gefolge haben würde, nicht gelungen, auch nur einen Nahmen von Bestimmungen aus zustellen, welcher der Kritik Stand hielte. Wer den Versuchen auf dem Gebiete der Arbeitslosenversicherung theoretischer und praktischer Natur seine Aufmerksamkeit geschenkt hat, wird sich das selbst haben sagen müssen. ES ist aber verdienstvoll, wenn es auch vom wissenschaftlichen Stand punkte in umfassender Weise dargelegt wird, und dieses Ver dienst hat sich der Würzburger Professor Georg Schanz in dem vor Kurzem erschienenen Weik«: „Neue Beiträge zur Frage der Arbeitslosenversicherung" «Berlin, Carl Heymanws Verlag) erworben. Professor Schanz bringt für die Mangelhaftigkeit der staatlichen Arbeitslosenversiche rung die mannigfachsten Beweise. Wir erwähnen nur die Unmöglichkeit der völlig zutreffenden Unterscheidung zwischen verschuldeter und unverschuldeter Arbeitslosigkeit. Auch hat der Verfasser ganz Recht, wenn er betont, wie sehr die Ver sicherung die Neigung der Arbeitgeber verstärken würde, die Arbeiter bei schlecht gehender Conjunctur zu entlassen. Der Arbeiter würde dann auf allgemeine Kosten erhalten werden, statt daß ibm der einzelne Arbeitgeber den vollen Lohn auö seiner Tasche zahlte. Selbstverständlich läßt sich auch nicht entfernt von diesem Theile des Werkes in einer kurzen Abhandlung ein Bild geben. Er ist für Alle, die sich mit der Frage beschäftigen, durchaus beachtenSwerth. Wenn nun aber Professor Schanz seinen schon früher an Stelle der Arbeitslosenversicherung ausgestelltenPlan deS Sparzwanges der Arbeiter unter Zahlungsbetheiligung der Arbeitgeber in dem neuen Werke in ausgedehnter Weise verlheidigt, so wird er Wohl selbst nicht geglaubt baben, daß er hiermit eine Anregung erneuere, deren Durchführung in der Praxis in einer naben Zeit möglich sei. Es ist ganz unzweifelhaft, daß die deutschen Arbeitgeber infolge der bisherigen Arbeiter versicherung so stark belastet sind, daß ihnen weitere Opfer mindestens nicht eher zugemuthct werden dürfen, bis die concurrirenden Industriestaaten zur gleichen Fürsorge für ihre Arbeiter übergegangen sein werden. Wenn dies aber in einer noch absehbaren Zeit der Fall sein sollte, so würde wohl der Sorge um die Arbeitslosen, die ja zum größten Theile unverheirathet sind, die um die Wittwen und Waisen der Arbeiter vorangehen müssen. Aber vorläufig ist, wie ge sagt, nicht daran zu denken, daß den Arbeitgebern Deutsch lands irgend welche größere Lasten aus einer neuen Fürsorge für die Arbeiter aufgebürdet werden können. * Berlin, 15. Mai. Endlich nimmt auch die „Kreuzztg." zu dem Vereinsgesetzentwurf das Wort, und zwar in einer Weise, welche die Bedenken gegen den Entwurf durch aus rechtfertigt. Die „Kreuzztg." schreibt nämlich: „Nach unseren früheren Aeußerungen über diesen Gegenstand können wir nur unserer Genugthumig darüber Ausdruck geben, daß das Verbot der Theilnahme Minderjähriger an den Versammlungen politischer Vereine auch von der Staats- regierung nicht als ausreichendes Aequivalent für die Auf hebung deS Verbindungsvrrbotes betrachtet worden ist. In Frage könnte kominen, ob nicht außer den Repressivmaßregela auch Präventivmaßregeln vorzusehen sind. Ohne Zweifel wirkt das Verbot einer Versammlung auf die Betheiligten weniger un angenehm als die Auslösung. Tas Verbot hat auch dir weiteren Vortheile, daß eS in die Hände einer höheren Polizeibehörde gelegt und dieser ausreichende Zeit zur Erwägung deS Falles ge laßen werden kann, während die Entscheidung über die Auslösung meistens untergeordneten Organen überlassen und von diesen augenblicklich getroffen werden muß. Auch würde es möglich sein, die Fälle, in denen ein Verbot zulässig ist, im Gesetze so genau zu präcisiren, daß jeues nicht zur Auf hebung der Versammlungsfreiheit führen kann. Diese Erwägungen sind jedoch nach unserer Auffassung für die conservative Partei kein Grund, dem Zustandekommen des Entwurfs ihre Hilfe zu ver sagen. Andererseits werden sie sich auf wesentliche Abschwächungen nicht rinlassen können. Höchstens kann in Frage kommen, ob nicht hier und da eine bestimmtere Formulirung oder eine Abänderung der Strafmaße und der Voraussetzungen der Strafbarkeit anzustreben ist." Ueber die Aussichtslosigkeit dieses Gesetzentwurfs giebt sich das Organ der äußersten Rechten keiner Täuschung hin; es schreibt: „Am Montag wird voraussichtlich die erste Berathung des Entwurfs beginnen. Ueber den weiteren Verlaus der Sache wagen wir keine Vermuthung oufzustellen. Wir meinen aber, daß die Regierung, nachdem sie den Entwurf einmal gebracht hat, auf seiner sofortigen Durchberathung in beiden Häusern be stehen muß und ihn erst preisgeben darf, weun jede Hoff nung auf sein Zustandekommen in einer wesentlich unveränderten Gestalt geschwunden ist." Folgt schließlich ein nothdürftig verschleierter Versuch, die Regierung für einen Conflict „scharf" zu machen: „Man hat so oft beklagt, daß es der Regierung an Festigkeit und Zielbewußtsein fehle. Hier kann beides bettzütigt werden. Ge schieht das, so sehen wir den nächstjährigen Wahlen mit Ruhe entgegen. Wenn die Regierung zeigt, daß eS ihr Wille ist, mit fester Hand den Umsturzparteien eutgegenzutreten, würden die gutgesinnten Kreise des Volkes gern Heerrsfolge leisten. Unter jener Voraussetzung wird selbst ein ungünstiger Ausfall der Wahlen zu Besorgnissen wegen der Zukunft unsere» Vater landes keinen Anlaß geben." Die „Rübe", welche die „Kreuzztg." gegenüber einem ungünstigen Ausfälle der Wahlen in Aussicht stellt, wird auf weite bürgerliche Kreise nicht ansteckend wirken. tt. Berlin, 15. Mai. (Privattelegramm.) Im Reichstag ist gestern Abend der Antrag vertheilt worden, das im Juni v. I. schon einmal mit allen Stimmen gegen die der beiden konservativen Fraktionen angenommene „Rath gesetz" von Neuem zu beschließen, welches lautet: „In ländische Vereine jeder Art dürfen mit einander in Ver bindung treten. Entgegenstehent>e landesgesetzliche Be stimmungen sind aufgehoben." AlS Antragsteller fungiren die Abgg. Rickert, Ehni, vr. v. JazdzewSki, vr. Lieber, Richter, Singer, Werner. Da man die Namen der sämmtlicken Mitglieder der Fraktionen der Antragsteller unter den Antrag gesetzt hat, so sind es 225, also eine Mehrheit deS ganzen HauseS. Selbstverständlich ist dadurch aber nicht verbürgt, daß bei der für Dienstag in Aussicht genommenen Verhand lung auch nur die beschlußfähige Zahl anwesend sein und die Conservative« verhindert sein würden, durch Anzweiflung der Beschlußfähigkeit die Annahme deS Antrages zu ver eiteln. Die National-Liberalen werden, so weit die „Nat.-Ztg." unterrichtet ist, für den Antrag ebenso stimmen, wie sie es im Juni gethan. Unterzeichnet haben sie ihn nicht, wohl hauptsächlich deshalb, weil eS sich jetzt im Reichs- ^euilletsn. Lilder aus -er türkischen Armee. Bon L. Frhrn. v. d. Goltz. II. Allgemein wird der religiöse Fanatismus als die Haupt triebfeder für die Tüchtigkeit des türkischen Soldaten be zeichnet. Im gewöhnlichen Leben merkt man jedoch von Fanatismus nichts, sondern nimmt im Gegentheil sehr oft di« Zeichen einer weitgehenden Toleranz wahr. Abgesehen von ent legenen Bergdistricten, lebten, bis in die neueste Zeit, die Be kenner der verschiedenen Confrssionen friedlich neben- und durcheinander, ohne sich in der Ausübung gottesdienstlicher Verrichtungen zu hindern. Den Processionen uud ähnlichen kirchlichen Feierlichkeiten in Konstantinopel sehen die türkischen VolkSmassrn neugierig zu wie einem Theaterstücke, wohl erstaunt über den entfalteten Prunk, der ihrem sich in einfachen Formen haltenden CultuS ganz fremd ist, aber ohne Haß und Feindschaft. Türkisch« Militairmusiken begleiten solcheEeremonien, fowiechristlicheLeichrnbegängnisse, ohne daran den geringsten Anstoß zu nehmen, und ,ch wüßte mich aus der langen Zeit meine- orientalischen Aufenthalts keines Falle» zu entsinnen, wo Mohamedanrr die religiösen Uebungen Andersgläubiger gestört hätten. Aus Makedonien, Kurdistan ,c. hörte man dergleichen wohl; doch waren da« Ausnahmen. Wurde doch, abgesehen vom letzten Jahre, den Griechen an ihrem Osterfeste selbst daS Schießen in den Straßen gestattet, während eS nicht einmal dem türkischen Soldaten vergönnt ist, sein Gewehr zu regelmäßiger Uebung zu gebrauchen. Auch unser Gewährsmann aus dem türkisck-russischen Kriege sagt: „Im Allgemeinen beschränkt sich der türkische Fanatismus heutzutage auf Worte; thatsächlich wird so leicht kein OSmanli gegen einen Europäer vorgehen. Im Gegen- theil: der Muselmann ist mit der Zeit tolerant geworden; er läßt Jeden glauben, WaS er will; jeder untergebene VolkS- stamm hat seine Sitten, Gebräuche und Religion beibehalten. Daher ist auch der ottomanische Staat kein einheitliches GanzeS; der Bulgare ist Bulgare geblieben, träumt von seiner alten Zarenherrlichkeit und hofft, daß an Stelle de« Halbmondes in absehbarer Zeit daS bulgarische Kreuz von der Aja Sofia in Stambul auf ein neues Bulgarenreich herabblicken werde; der Armenier rechnet auf rin neue» Kaiserreich Kleinasien unter seiner Herrschaft, der Ottomanische Grieche sieht das Reich Alexander's des Großen wieder er stehen; kurzum: Walachen, Serben, Kurden, Tscherkeffen, BoSniaken, Tunesen, Aegypter, Tripolitaner, Araber — Alle träumen von einem eigenen Reich. Für den Islam ist die Religionsfreiheit ein Todesstoß gewesen." Bezüglich deS Schlußsatzes mögen die Meinungen auSeinandergehen; eS ist hier nicht der Ort, darüber zu streiten. Wir halten einstweilen an der Thatsache fest, daß auch dieser Beobachter selbst während der Erregung des FeldzugSlebenS Aeußerungen des religiösen Fana tismus nicht beobachtet hat. Gleiches wird heute auS Thessalien berichtet. Die letzten erschreckenden Vorgänge in Anatolien scheinen dem zu widersprechen. Wer sie aber auS einiger Nähe be obachtet hat, mußte auch hier sebr bald politische Beweg gründe und ein geplantes systematisch vorbereitete» Werk er kennen, für welche» nur eine beschränkte Anzahl von handeln de« Personen, nicht die Mass» de» Volke«, vor allen Dingen nicht die der Gebildeten, eine furchtbare Verantwortung trifft. Von einem spontanen Ausbruch religiösen Fanatismus war, nach den meisten Zeugnissen jedenfalls, keine Rede dabei, weit mehr noch von lang zurückgedrängtem Rassenhaffe. Die Religion spielt im alltäglichen Leben des türkischen Soldaten freilich eine bedeutende Rolle; sie ist Erziehungs mittel und Kitt für die Disciplin; denn fünfmal täglich ver sammelt sich die Truppe in der Djami*), und daS Fortbleiben vom Gebet wird, wenigstens in den Militair-Lehranstalten, weit strenger bestraft als daS Nichterscheinen zum Dienste oder arge Urlaubsüberschreitungen. Die religiösen Gewohn heiten sieht man überall wirken, von da bis zum Fanatismus ist aber noch ein weiter Schritt. Den ersten Platz unter den treibenden Kräften im Heere vermag ich diesem nicht einzu räumen. Weit eher ist er dem Herrenstolze zuzusprechen, welcher auch den niedrig gestellten Moslem nicht verläßt. Die Tradition der Eroberung lebt, trotz der Niederlagen der neueren Zeit, auch heute noch im ganzen türkischen Volke fort. Selbst der Geringste fühlt sich als Mitglied einer herrschenden Raffe inmitten deS Völker gewühl« und dünkt sich vornehmer als dieses. Sehr richtig sagt Feldmarschall Moltke: „Ein Türke räumt unbedenklich ein, daß die Europäer seiner Nation an Wissenschaft, Kunstfertigkeit, Rcichtbum, Kühnheit und Kraft überlegen seien, ohne daß ihm entfernt in den Sinn käme, daß um deswillen eia Franke sich einem Moslem gleichstellen dürfte." Ein solches Gefühl, welches oft den politischen Fehler der Willkür zeitigt, kommt dem Soldaten meist zu Statten. Der Glaube, etwa» Besonderes zu sein und zu bedeuten, erzeugt in ihm auch eine Empfindung von der Verpflichtung, etwas *) Djami — B«rsammlung»ort, Moschee. Besonderes zu leisten. Philiströse Objektivität gebiert keine hervorragenden Thaten. Sodann wird die MannS- und Kriegszucht durch die Familienerziehung sehr gefördert. Schon die Uniformität derselben ist von Nutzen. Das Kind des armen Bauern und Hirten wird genau zu denselben Umgangsregeln ange halten wie das deS Vornehmen. ES erlernt denselben Gruß, die gleichen Anreden, die nämlichen Antworten auf konven tionelle Fragen, Gebräuche, wie daS Erheben vor den Aelteren, daS Abwarten einer Aufforderung zur Tbeilnahme an der Unterhaltung, die äußere unerschütterliche Selbstbeherrschung. Achtung vor dem Alter und der Autorität, Unterwerfung unter den Willen des Mächtigen und Höherstehenden, ohne dabei ein gewisses Gefühl von gesellschaftlicher Gleichstellung und Gleichberechtigung zu verlieren, sind ferner nützlich, die Massen zu verbinden. Dieser Proccß wird durch eine heim ticke Empfindung, inmitten der umwohnenden Völker eine isolirte Stellung einzunehmen, noch verstärkt. Der Türke vermag daS Leben unter fremder Herrschaft, im AuSlande dauernd nicht zu ertragen; eS zieht ibn gewaltsam zu seinen Landsleuten und Volksgenossen zurück. Nack nnd nack verlassen die Mohamedanrr die verlorenen Provinzen, obschon es ihnen in den neuen Verhältnissen vielfach materiell besser ergeht als ehedem. Nur der russischen Herrschaft ist es bisher meist gelungen, neugewonnene mohamedaoische Unterthanen mit den veränderten Ver hältnissen auSzusöbnen und an die Scholle zu fesseln. Neuer dings hat Oesterreich ein ähnliches Ergebniß in Bosnien aufzuweisen. Endlich ist der ungeheuren Macht zu gedenken, welch« der Name de» Padischab auf die Gemütber auSübt, ganz gleich- giltig, ob der gerade regierende Großherr ein beliebter Fürst ist oder nicht. Seine Gebote sind dem Gläubigen Gesetz und
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