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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.07.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970702012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897070201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897070201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-02
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BezugS-Prel- di d«r Hauprrxpedttton od«r d« km Gtadd» b»»irk und den Vorort»« erricht»»,n Lu«» gab»st«llrn abgiholt: vt»rt»ljührltch^l4.S0, dri Zweimaliger täglich« Zustellung tu« Hau« L.d<). Durch di» Post b»zog«n für Drutschland und Oksterreich: »irrteljädriich 6.—. Lirecte täglich» Krritzbandirndung in» Au«land: monatlich 7.50. Di« Morgrn-An-gabe erscheint um '/,? Uhr. die Abend-Au-gabe Wochentag- um b Uhr. NeLartion und Ervedittou: Lohanne-gaffr 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filialen: ktto Klcmm'S Sorttm. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), LoniS Lösche. -aibar-nknstr. p,rt. «ad Sönig-plah 7. Morgen-Ausgabe. MiWM TaMM Anzeiger. AmLsklatL des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Mottzei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Uuzeigeu-PreiO die S gespaltene Petitzeile 20 Psg. Neclamen unter d»mRedaction-strich (4g» spalten) LO/ij, vor den Familiennachricht«» (6 gespalten) 40-^. Größer« Echrlften laut unserem Prri»- verzeichniß. Tabellarischer und Zissrrnjatz nach höherem Tarif. Eytra »Beilagen (gkfalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, oha» Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung >4 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Ab»nd«Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen «Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen j< ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz tu 2»ivzlg. 331. Freitag den 2. Juli 1897. S1. Jahrgang. Zur Organisation -er Feldartillerie. Don militairischer Seite wird uns geschrieben: Da nunmehr die Organisation der Infanterie durch Zusammen legung der Halbbataillone zu Dollbataillonen zum einstweiligen Abschlüsse gelangt ist und die Neubewaffnung der Feld artillerie immer näher heranrückt, erscheint es erforderlich, auch der Organisation der Feldartillerie die gebührende Aufmerksamkeit zuzuwenden. Diese Angelegenheit wird in militärischen Kreisen, vorab natürlich in artilleristischen, auf das Lebhafteste besprochen, und auch im „Militair-Wochenblatt" beschäftigte sich ein Artikel mit der Frage der Feldartillerie. Obgleich das Kriegsministerium die Behauptung zurück gewiesen hat, zu den einzelnen Artikeln deS „Militair- WochenblatteS" in Beziehungen zu sieben, so gehören doch seine Mitarbeiter fast ausschließlich der Kategorie der älteren, auch noch im activen Dienst befindlichen Officiere au, so daß man in den Artikeln meistens die Auffassungen wiedergegeben findet, die als in maßgebenden Kreisen bestehend angesehen werden können. Die zunächst erörterte Frage bei der Organisation der Feldartillerie besteht darin, ob die mit Schnellfeuergeschützen bewaffneten Batterien zu vier oder sechs Geschützen foruiirt sein sollen; diese Frage, welche von durchgreifendem Einfluß auf die Neugestaltung dieser Waffe ist, muß gründlich und ohne alle Voreingenommenheit geprüft werden und zwar nickt durch theoretische Erwägungen, sondern durch praktische Versuche. Nach dem gemachten Vorschläge soll die Batterie von sechs auf vier Geschütze herabgesetzt werden; die Versuche würden festslellen müssen, ob eine Batterie von vier Geschützen im Flügelfeuer ebenso schnell feuern würde, wie eine solche von sechs Geschützen. Da bei ist von der Voraussetzung ausgegangen, daß daS Flügelfener im Artilleriekampfe und auf Entfernungen über 1500 m die Regel bilden werde. Es giebt schon jetzt Schnell feuergeschütze mit großer Wirkung des Einzelschusses, die nach den in den Fabriken angestellten Versuchen 20 ungezielte bezw. 12—15 gezielte Schüsse in der Minute abgeben können. Selbst eine halb so große Feuerschnelligkeit würde mehr als genügen, um die Herabsetzung der Batterie auf vier Geschütze zu rechtfertigen. Die Frage ist nur, ob diese Feuerschnellig- leit auch aus längere Zeit und bei etwa eintretenden Ver lusten aufrecht erkalten werden kann, was sich nur durch Parallelversuche feststellen läßt. Die taktischen Grundsätze der Gegenwart besagen, daß es zur Erlangung der Feuer überlegenheit lediglich darauf ankommt, mehr Schütze als Scheibe zu sein. Ist aber die Feuerschnelligkeit so groß, daß auch in der Batterie von vier Geschützen ein regelmäßiges Flügelfeuer gesickert ist, so sind das fünfte und sechste Ge schütz eben nur Scheibe, nicht Schütze, weshalb cs richtig, ja geboten ist, sie an dieser Stelle fortzunehmen und durch anderweitige Verwendung wieder zu Schützen zu machen. Ohne Hinzurecknung der Lehrbatterien zählt die deutsche Feldartillerie augenblicklich 447 fahrende und 47 reitende, zusammen 494 Batterien. Nach dem Vorschläge würden 573 fahrende und 27 reitende, zusammen 600 Batterien herausspringen, nämlich: für 20 ArmeecorpS ü 24 fahrende --- 480, für 3 Divisionen (die 25., 32. und 5. bayerische) ü 12 --- 36, für 19 Armeccorps (ohne Garde) ü 3 — 57, zusammen 573 fahrende Batterien. Dazu treten unter der Annahme, daß 9 Cavallerie-Divisionen aufgestellt werden, 27 reitende Batterien. Bei dieser Aufstellung würde sich ein Ueberschuß von 656 Pferden ergeben; Mehrausgaben würden nur für Ofsiciere, Unterofficiere n. s. w. entstehen. Für den I Krieg ist folgende Organisation vorgeschlagen. Jede Infanterie-1 division erhalt eine Feldartilleriebrigade zu zwei Regimentern I zu je 6 Batterien (je 3 Batterien bilden eine Abtheilung); ledcs ArmeecorpS gegebenenfalls eine Haubitzabtheilung zu drei Batterien j jede Cavallerie-Division eine reitende Ab theilung zu drei Batterien. Für den Frieden wird folgende Organisation vorgeschlagen: Jeder Division wird eine Feld artillerie-Brigade unterstellt zu zwei Regimentern, so daß beim ArmeecorpS in der Regel vier Feldartillerie-Regimenter vorhanden sind. Außer den für daS mobile Verhältniß vor handenen zwei Abtheilungen zu je drei Batterien treten zu je einem Regiment der Brigade entweder eine Haubitzabtheilung oder eine Abtheilung zu drei Kanonenbatterien als Stamm für Neuformationen zu einem dritten Regiment oder auch zu einer reitenden Abtheilung. Für ven Fall, daß man sich nicht zur Ausgabe der Corpsartillerie entschließen kann, wird gleichwohl die Bildung von vier Regimentern bei jedem ArmeecorpS vorgeschlagen, von denen zwei Regimenter zu je neun Batterien den Infanteriedivisionen unmittelbar zu unterstellen wären; die beiden andere würden zu einer Brigade vereinigt werden, die vom Generalcommando ressortirte. Von diesen beiden Regimentern würde daS eine aus zwei Abtheilungen zu drei Kanonenbatterien bestehen; daS andere aus einer Haubitzabtheilung, einer Abtheilung zu drei fahrenden Batterien (Stämme für Neusormationcn) und gegebenenfalls einer reitenden Abtheilung. Bei der Mobilmachung würde dieses letztere Regiment als solches aufgelöst; die Haubitz- abtheilung würde als sebstständige Abtheilung zur Corps artillerie, die reitende Abtheilung zur Cavalleriedivision treten. Der Commandeur dieses Regiments würde das Commando über das zu bildende Reserveregiment übernehmen. Dies sind im Großen und Ganzen die Vorschläge, welche sich ohne jede Schwierigkeit durchführen lassen, soweit eS Mannschaften, Pferde und Material betrifft. Die be deutendste Mehrausgabe würde bei den Osficieren entstehen, da die Zahl der Brigade- und der Regimentscommandeure sich verdoppeln, die der übrigen Chargen sich erheblich ver mehren würde. Wünschenswerth kann eS aber nicht sein, bei einer Neuorganisation erst ein Uebergan^ßstadium ein treten zu lassen, wobei man die vier Regimenter deS Armee- corpS nur einem Brigadecommandeur unterstellt. Von dein bereits unerhört schlechten Avancement der Obersten der Feld artillerie zu letzterer Stellung ganz zu schweigen, hat die Erfahrung mit dem Uebergangsstadium der Halbbataillone zur Genüge bewiesen, daß unfertige Organisationen nahezu werthlos sind; sowohl aus diesem Grunde wie namentlich mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Feldartillerie als fechtende Waffe, welche selbst der Neichstagsabgeordnete Eugen Richter bei der Bewilligung der Mehrforderungen für die Feldartillerie anerkannt hat, muß die Neuorganisation der selben gleich in vollendeter Weise erfolgen. Deutsches Reich. X. Berlin, 1. Juli. Wenn die jüngsten Wahlerfolge in Torgau und Wiesbaden die Hoffnungen der Frei sinnigen auf den Ausfall der nächsten Wahlen gesteigert haben, so müßten sie andererseits einseben, daß diese Hoff- I nungen durch ihr Verhalten gegen einander fast illusorisch 1 gemacht werden. Wir haben schon wiederholt darauf hin- j gewiesen, daß freisinnige Volkspartei und freisinnige Bereinigung einander fast jeden Wahlkreis streitig machen. Einen drastischen Beweis dafür liefert wiederum der Kampf um den hinter- pommerschen Wahlkreis Schlawe-RummelSburg. Die freisinnige Volkspartei ist aufs Höchste darüber erbittert, daß die freisinnige Vereinigung in diesem Wahlkreise »inen zu ihr gehörigen Candidaten aufgestellt bat, während doch bei der letzten Wahl ein Candidat der freisinnigen Volks partei den Conservativen gegenübergestanden habe. Bedenkt man nun, daß der Wahlkreis seit langer Zeit der conser vativen Partei gehört und daß es höchst schwierig sein dürfte, ibn dieser Partei zu entreißen, so wird man eS geradezu lächerlich finden müssen, daß zwei Parteien, die Tag für Tag verkünden, man müsse die Macht des AgragrierthumS brechen, diesen Kampf damit beginnen, daß sie aufeinander loS- schlagen. Die beiden Parteien sollten sich doch sagen, daß sie sich durck ein derartiges Verhalten der Gefahr auSsetzen, nicht nur von den anderen Parteien, sondern auch von ihren Wählern mchl ernst genommen zu werden. Ul Berlin, 1. Juli. Der preußische Staat hat bekannt lich einen Anfang zur Lösung der Beamten- und Arbeiter-Wohnungsfrage mit Hilfe des zur Ver fügung gestellten Credits von 5 Millionen Mark machen können. Die bisherigen Anlagen haben insofern ein günstiges Erzebniß geliefert, als sich ihr Reinerträgniß auf 2,90 o/g des Anlagecapitals beläuft, waS wohl noch als eine angemessene Verzinsung angesehen zu werden verdient. Im Sinne einer im Juni 1896 vom Abgeordneten hause angenommenen Resolution ist von der Regierung auch die Frage einer nochmaligen Prüfung unterzogen, ob nicht das Einfamilien-Doppelhaus an Stelle der zwei- oder drei geschossigen Häuser, wie sie bisher angelegt sind, vorzuziehen sei. Man bat indessen von einer anderen Bauart absehen müssen, weil die Baukosten für die Wohnung im Einfamilien haus 35—40 Proc. mehr als für eine gleich große Wohnung in einem dreigeschossigen Doppelhause und rund 25 Proc. mehr als eine solche in einem zweigeschossigen Doppelhaus« betragen würden. Außerdem würden für Gelände und Neben anlagen, wie Straße, Entwässerung, Einfriedigung, durch die breitere Ausdehnung Mehrkosten entstehen. DaS Einfamilien haus kann nur unter besonderen Umständen ein Reinerträg niß von 3 Procent deS Anlagecapitals ergeben und zwar dann, wenn der Bodenwertb und die Baupreise gering sind und die Lohneinkünfle und die Gewöhnung der Arbeiter die Erhebung einer genügend hohen Miethe gestatten. Eber wird die Forderung vollständig getrennter Eingänge und Treppen für sämmtliche Wohnungen eines Hauses erfüllt werden können. Die Regierung verwendet die ihr zur Verfügung gestellten Gelder übrigens nicht bloS zum eigenen Bau von Wohnhäusern, sondern gewährt davon auch Baudarlebne au Ge nossenschaften. Von den zur Verfügung gestellten 5 Millionen waren nachdem letzten Berichte derRegierung zur Herstellung von Wohnungen rund 3 Millionen verwendet, wovon 2,7 Millionen auf den Bereich der Eisenbahnverwaltung, 125 000 auf den der Bau- und rund 200 000 auf den der Verg il. s. w. Verwaltung entfielen. Zur Gewährung von Bau darlehnen waren 735 000 verbraucht, so daß von dem ursprünglichen Fonds noch etwa 1,2 Millionen zur Ver fügung waren. * Berlin, 1. Juli. Unzweifelhaft hat die von uns wieder holt besprochene Schrift des katholischen Tbeologieprofessorö Schell in Würzburg über die „Rückständigkeit" der Katho liken in materieller und ideeller Beziehung in ultramontanen Kreisen eine lebhafte Bewegung hervorgerufen, die theilweise die Richtung hochmüthiger und intoleranter Ablehnung der Schell'schen Ansichten aufweist, zum Theil aber unter richtiger Würdigung der Motive, die Schell bei seiner Schrift geleitet, zu einer sachgemäßen Besprechung der gerügten Mängel führt. Zu den Kritiken letzterer Art gehört diejenige, welche der bekannte klerikale Führer Professor vr. von Hertling in Müncken der Schell'schen Sckrifl in den „Historisch-politischen Blättern" widmet. Die „Nat.-Ztg." entnimmt derselben einige Ausführungen über den Bildungsmangel bei Katholiken; Hertling schreibt: „Es fehlt in katholischen Kreisen nicht selten an der richtigen Werthschätzung der Wissenschaft. Ob und inwieweit dies auch von der Theologie gilt, lasse ich ununtersucht. Daß sich die übrigen gelehrten Berufsstände einer gleichen Gunst nicht zu erfreuen haben, findet seinen deutlichsten Ausdruck in der bekannten Thatsache, daß bei dem gläubigen Landvolke und in kleinbürgerlichen Kreisen das Interesse, das man bisher an dem Gymnasiasten oder Universitäts-Ltudeuien genommen hatte, mit dem Augenblicke erlischt, wo dieser dem theologischen Berufe untreu wird, der allein seinen Studien einen Werth zu verleihen schien. Dafür, daß der junge Mann Beamter oder gar weltlicher Gelehrter werden solle, hat man von voruherein wenig oder gar kein Interesse. Abhilfe und ein bessernder Einflust kann hier nur von Seiten des Klerus (!) erwartet werden, dazu aber ist erforderlich, dast dieser selbst sich von der ganzen Wichtigkeit der Aufgabe durchdringe, Katholiken in größerer Zahl als bisher in die weltlichen Berufe hineinzusühren. Welchen Einfluß der Zuwachs, der den letzteren aus den Söhnen der protestantischen Pfarrhäuser zu Theil wird, auf die confessionelle Verschiebung und das siegreiche Vordringen der Protestanten ausübt, ist mehrfach hervorgehobcn worden. Um so wichtiger wäre es, dast unsere Geistlichen aus dem Lande Ersatz hierfür lieferten, indem sie talentvolle Knaben, ganz unabhängig von der Frage, ob Liese Beruf zum geistlichen Stande haben, den Besuch der höheren Lehranstalten ermöglichten oder die Eltern veranlaßten, sie dahin zu schicken. Und ebenso sollte sich die gebildete Laienwelt überzeugen, daß es sich hier um die Abstellung eines geradezu beängstigenden Mißverhältnisses handelt. Es ist kein Zweifel, daß die hohe Werthschätzung, welche die profane Wissenschaft und ihre Vertreter in gebildeten protestantischen Kreisen genießen, zu den Factoren gerechnet werden must, welche den weiten Vorsprung der Protestanten auf diesem Gebiete be dingen. Herr Pros. Schell ist geneigt, diesen Vorsprung geradezu mit dem protestantischen Princip der freien Forschung und des selbstständigen VernnnftgebrauchS in Verbindung zu bringen. Eines kann Herrn Prof. Schell zugegeben werden. Selbstverständlich nicht das katholische Princip, wohl aber eine in der Unvollkommenheit der Menschen begründete psychologische Nebenwirkung ist an jenem Zurückbleiben und an der hervorgeho'oeucn Unterschätzung wissen schaftlicher Arbeit schuld. Nach Prof. Schell's Darlegungen könnte es scheinen, als ob jene protestantischen Gelehrten, denen die Profanwissenschasten ihre erfreuliche Förderung verdanken, zu ihren ausgezeichneten Leistungen dadurch vorbereitet und befähigt worden seien, baß sie gewohnt waren, der freien Forschung und dem selbst« ständigen Vernunftgebrauch den religiösen Wahrheiten gegenüber zu huldigen. Ein solcher Zusammenhang wird sich schwerlich nachweisen lassen. (?) Wohl aber gewinnen protestantische Ge lehrte den lebhaften und unermüdlichen Eifer für wissenschaft liche Forschung, der sie auszeichnet, aus der Atmosphäre, in der sie leben, aus dem Verständniß und der Anerkennung, welche ihre Be strebungen finden, und zuletzt gewiß auch aus dem unausrottbaren Verlangen nach Wahrheit, dem der angesonnene Verzicht auf end« giltige Befriedigung einen nur noch schärferen Stachel verliehen hat. Der KatholiciSmuS preist sich glücklich im Besitze übernatür licher, auf göttlicher Offenbarung beruhender, bei dem unfehlbaren Lehramte der Kirche hinterlegter Wahrheiten; hüten wir uns, Laß uns nicht, wie Lessing sagt, der Besitz stolz und träge macht, so daß l wir das ganze Gebiet weltlicher Wissenschaft als etwas Minder« werthiges bei Seite liegen lassen!" j Derartige Aeußerungen sind immerhin bemerkenswertste FeiriH-tsn. Der Cicerone. Bon Lothar Schmidt. Nachdruck vrrdotkn. Don Florenz kam ich und wollte nach Livorno. Von Livorno sollte die Reise zur See bis an die Nordküste von Afrika gehen. Ein paar Stationen vor Pisa überlegte ich: „Steigst du aus und siehst du dir die Stadt an oder nicht?" — Da war ich also wieder einmal schwankend in meinem Leben, schwankend zwischen zwei Entschlüssen, von denen rin jeder sein Wenn und sein Aber hatte. Ich wäre gern durchgefahren, doch ebenso gern hätte ich mich einige Stunden dort aufgebalten. WaS thun? Teufel noch cinS, an dem Dilemma war bloö das elende Iunggesellentbum schuld. Wäre ich z. B. verheirathet gewesen und meine Frau hätte mit mir im Coup« gesessen, so würde ich einfach gesagt haben: „LiebeS Kind" oder „Herz" oder „MauS", wollen wir in Pisa Station macken und uns die Stadt ansckauen? Es ist da zu sehen 1) der schiefe Thurm, 2) daö Baptisterium, 3) der Campo santo, 4) eine allerliebste kleine Miniatur kirche, 5) die u. s. w., u. s. w. Guck nur mal nach im Bädeker." Meine Frau würde dann antworten können mit einem einfachen „Nein" oder wie bei ihrer Hochzeit mit einem lauten, vernehmlichen „Ja". In dem einen wie in dem andern Falle wäre ich der Mühe Lberboben gewesen, selber zu wählen und ich hätte außerdem noch den Dortheil gehabt, au- der Noth eine Tugend zu machen, indem ich den rück sichtsvollen, nur um die Wünsche der Gattin bekümmerten Ehemann gespielt haben würde. In Ermangelung einer Lebensgefährtin nahm ich schließlich, al- mir nur noch fünf Minuten für die Entscheidung übrig blieben, zu den Knöpfen meines StaubmantriS Zuflucht und zählte: „Pisa ja — Pisa nein; — Pisa ja — Pisa nein; — Pisa ja — Pisa nein!" Nein? — gut also; da» Schicksal wollte nicht; schön, so würde ick eben durchfahren. — Hm, aber eigentlich, warum denn? Wa« war da- doch für eine Thorheit! Sollte mir wirklich die Zahl ei« paar lumpiger, schäbiger Perlmutter knöpfe Fingerzeig de« Schicksals sem? Eine Spielerei, wenn ich'« reckt bedachte, die eines aereiftrn Manne-, eine« Frei- dtnkrr«, ein»« Doctor« der Philosophie und Magister« der freien Künste und Wissensckaften unwürdig war! — „Pisa nein!" hatte der Staubmantel gesagt? Nun, so wollte ich „Pisa ja" sagen und jetzt gerade aussteigen, den Knöpfen zum Poffen. Der Zug ging lansamer, eS tutete — auf italienischen Bahnen tutet eS, anstatt zu pfeifen — wir hielten und ich verließ den Wagen. Ein Dutzend Hoteldiener und ebensoviele Fremdenführer stürzten auf mich zu, wollten mir das Gepäck auS den Händen reißen und mich partout hierhin und dorthin ver schleppen. Ich schüttelte heftig mehrmals hintereinander den Kopf und rief in einem fort: „Xiente — uieuts — niente!" Trotzdem ich anfangs so energisch die Freundlichkeit all dieser Leute ablehnte oder vielleicht gerade deshalb gab ich mich endlich einem langen Kerl mit rothem Backenbarte gefangen. Er wollte den oicvrous macken und verlangte fünf Franken für die Stunde. Ich bot ihm drei, wir einigten uns mit vier Franken. Der Mann schmunzelte. Offenbar hätte er eS um einen noch geringeren Preis auch gethan. Er brachte mein Gepäck irgendwo unter und dann zogen wir loS. Er zeigte mir den schiefen Thurm, welcher einem auf den Kopf zu fallen droht, den Campo santo, das Baptisterium, wo er seine schreckliche Stimme in ich weiß nicht mehr wievielsachem Echo wiedertönen ließ, die Universität und manches Andere, wonach ich verlangte und nicht verlangte. Zwei Stunden waren für den Rundgang projectirt gewesen. Mein Führer verstand eS, mit Geschick noch eine volle dritte Stund» herauSzuschinden. Nun wollte ich ihn entlohnen. Doch vor wurfsvoll blickte er mich an: ,Signors, Sie haben ja da» Allerinteressanteste von Pisa noch nicht in Augenschein ge nommen." Wa- da» wäre, fragte ich ärgerlich. „DaS ist, sagte er wichtig, die berühmte Osteria von GaSpare Mastucci." Also begaben wir uns in die Osteria von GaSpare Mastucci. ES war ein unscheinbare» HauS, in dem sich die noch unscheinbarere Weinstube befand. Sehr elegante- Publicum verkehrte hier nicht und auch der dicke Wirth, welcher in bloßen Hemdärmeln herumhantirte, batte kaum etwa- Verlockendes an sich. Ich merkte alsbald, mein Führer, der Hallunke, hatte mich in diese Kneipe gelockt, lediglich, weil er ein Trinkgeld zu bekommen schien für jeden Fremden, den er hier ablieferte. Der Padrone drückte dem Roth- bärtigen die Hand und begann mit ihm schnell im Dialekt zu reden, damit ich kein Wort von der Conversation verstünde. Ich verstand auch wirklich nicht- davon, nur da- hörte ich herau», daß di« beiden Kerl« «inaudrr duzten. Ich bestellte einen halben Liter vino di Toscana für mick und den Führer. Als GaSpare Mastucci sich wieder entfernt hatte, begehrte ich von meinem Cicerone zu wissen, wodurch denn eigentlich diese armselige Osteria berühmt sei. Der sah einen Augenblick gedankenvoll hinaus auf den schiefen Thurm, machte „hm", räusperte sich und meinte: „Hm ja, wodurch sie berühmt ist? ... Sehen Sie, Signore, die Osteria ist Wohl weniger berühmt, aber der Wirth, der Gaspare Mastucci " Er führte sein GlaS zum Munde und that bedächtig einen langen, langen Zug. Dann fuhr er fort: „Ich sagte berühmt, hm, das ist wohl nicht der richtige Ausdruck, doch bekannt ist er sehr, der GaSpare Mastucci . . . . wegen einer großen Dummheit, die er einmal be ging .... „Und deshalb muß ich in diese elende Kneipe gehen, weil der Wirth ein großer Dummkopf ist?" brauste ich auf. Höflich wartete der Führer, bis sich mein Zorn etwas gelegt batte. Darauf fragte er: „Darf ich Ihnen jetzt die Geschichte erzählen, Signore?" „Meinetwegen", gab ich unwirsch zur Antwort. Er erzählte: Zwei Pisaner, zwei Brüder Beppo und Marco Casalta, haben im vorigen Jahre den alten Gaspare um eine große Zeche geprellt. Gaspare war rasend und brachte die Sache zur Anzeige, aber die Gerichte haben den beiden nichts an- baben können und zum Schaden erntete der Wirth noch den Spott. GaSpare Mastucci pflegte nämlich seine Gäste immer zu Wetten nr animiren, welche dann bei ihm zum AuStrag gelangten. Eines Abends nun kommt er auS dem Keller, wo er soeben ein frisches Faß Wein abgezogen hat, und kört, wie sich Beppo und Marco laut zanken und streiten. Er tritt heran und erkundigt sich, was loS sei. „Ach", meint Beppo, „mein Bruder Marco muß immer recht haben; sag' ick weiß, so sagt er schwarz, sag' ich aber schwarz, dann können Sie sich darauf verlassen, daß er weiß sagt." „Worum handelt eS sich denn, Kinder?" „Worum es sich hier handelt, da» ist ganz gleichgültig, denn Marco ist stets anderer Meinung al» ich." „Ober du bist stet» anderer Meinung al» ich, wa» auf dasselbe berauSkommt", höhnte nun der Ändere zurück. „Schweig!" „Schweig du dock, ich will reden, soviel mit gefällt!" „Mein Gott, Kinder, seid doch nicht so ungemüthlich!" legt sich nun der Wirth ins Mittel, „ihr könnt dock die An- gelegenheit in Frieden und Freundschaft abmachen, wir r« sich für Brüder geziemt. Ich schlage vor, daß ihr wettet. Wer die Wette verliert, der zahlt ... na sagen wir zehn Flaschen Asti spumante." Asti spumante, Herr, ist uns nämlich daS, WaS den Franzosen ihr Champagner ist. Beppo und Marco erklärten sich einverstanden, nur verlangten sie, daß Gaspare inzwischen, bis entschieden sei, wer von beiden recht oder unrecht habe, die Zeche ankreiden sollte. Der Wirth ist mit tausend Freuden dazu bereit, er holte den Wein und wird aufgefordert, mitzutrinken. Die Pfropfen knallen, man zeckt wacker ein, zwei, drei Stunden, bis in die späte Nacht. Wie die letzte Flasche an die Reihe kommt, ruft Gaspare: „Na Kinder, nu vertraut mir mal an, was vorhin der Grund Eurer Zwietracht war; vielleicht kann ich ein unparteiisches Urtbeil sprechen." „Ich glaube nicht", sckmuMlte Beppo, „Ich auch nicht", erklärte Marco. Diesmal also waren sie durchaus einig. „So laßt dock hören!" drängt Gaspare. Wenn der schiefe Thurm von Pisa 'mal umstürzt, so fällt er nach Süden zu, behauptete der Beppo! „Jawohl und dabei bleibe ich auch." „Und ich", lachte Marco, „ich bleib dabei, daß er nach Norden hin purzelt." „Hallunken, gleich bezahlt ihr mir den Asti spumante!" Bepvo und Marco aber bezahlten nicht, sondern beriefen sich auf ihre Abmachung, und so hat Gaspare, obwohl er zum Richter ging und klagte, noch heute seinen Wein nicht bezahlt bekommen. „Ist die Geschichte nicht nett?" fragte der Führer. „Na, e» geht!" erwiderte ich. E» war Zeit, anfzubrechen, wenn ich zum nächsten Zuge, der nach Süden ging, zurecht kommen wollte. Ich zahlte dem Wirth und auch dem Cicerone. Doch der schüttelte den Kopf: „Zwölf Franken nur? . . . mein Herr, da- stimmt nicht!" Wie denn? . . . drei Stunden L vier Franken, da- macht doch l2 Franken? „Und die Geschichte, Herr, . . . die Geschichte?" Er holte ein schmutzige» Büchlein, worin eine Stempel marke ringekledt war, au« der Brusttasche: „Da H»rr, hier fthen Sie den Tarif. Für so ein« Geschichte bat der Improvisator laut Tax« einen Franken zu verlangen."
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