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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.07.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970712014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897071201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897071201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-12
- Monat1897-07
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Reclamen unter dem Redaction-strich (4ge- spalten) ÜOA, vor den FamiUennachrichtes (6 gespalten) 40 ^L- Vrößere Schriften laut unserem Preis- verzeichnih. Tabellarischer und Zifsernjatz »ach hoherein Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesördcrung 60.—, mit Postbeförderung X 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abeod-AuSgab«: Vorinittagt 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz dr Leipzig. UH. Montag den 12. Juli 1897. 91. Feriensreude. Plauderei von W. Egbert. Nachdruck verboten.^ Eine Göttin will ich auf ein Piedestal stellen zur all gemeinen Feier und Anbetung und ich bin gewiß, es giebt Niemand, der nicht bereit wäre, ihr zu huldigen. Selbst der düsterste Pessimist, der geflissentlich „daS Strahlende zu schwärzen liebt", läßt sich gern und dankbar von ihrem Hauch anwehen und sie vermag ein Lächeln über seine verbissenen Züge zu zaubern. Und nun erst gar die Durchschnittskinder der Menschheit, die ihr Schicksal schlecht und recht tragen wie die Pilger ihr Kreuz, wie fühlen sie ihre Bürde leichter werden, wenn die Holde sich naht, wie lächeln sie ihr ent gegen und strecken die Arme nach ihr aus! Schon erhebt sie sich vor Millionen Augen, noch halb von geheimnißvollen Schleiern umwallt, die ihre Reize nicht ganz verhüllen, licht, harmonisch, entzückend, mit träumerischen Augen, lächelnden, verheißungsvollen Lippen und Grübchen wangen, beseligend wie VenuS, berauschend wie Bacchus, sieghaft wie Pallas — meine Göttin: die Ferienfreude! In die blaue Ferne deutet ihre schwungvoll erhobene Hand und im Arm ruht ihr eine Leier, die verlockend tönt von rauschen den Wäldern und vom wogenden Meer, von den blauen Bergen und Silbersirnen, die Weiche Sehnsucht erregen und Kraft und Gesundheit bergen. Aber sie hat auch Töne zum Preise bescheidener Idyllen am lauschigen BachcSrand und vom blumigen Feldrain, wo daö Heimchen zirpt. Alt und Jung lauscht entzückt diesen Verheißungen und Alle kommen — ein endloser Zug — meiner Göttin zu huldigen. Voran die unermeßliche Schaar der Kinder. Wie losgekoppelte Füllen stürmen die Knaben einher, lustig jauchzend und nicht minder jubelnd und springend die Mägdlein. Dann kommt in geschloffenen Reihen und mit gemessenem Schritt die Schaar der Lehrer und Lehrerinnen, meist ernst und bleich, oft siech an Körper, aber mit frei- hcils- und schönheitsdurstiger Seele, die in Licht und Luft ihre Schwingen entfalten wird. Und nun der endlose Zug derer, die ihre Ferien Urlaub nennen und sich gleichfalls nicht wenig darauf freuen. Die überarbeiteten und ver ärgerten Beamten, die durch strengen Drill geplagten Sol daten und Alle, die im Kampf ums Dasein im täglichen Einerlei sich mühen, wie sehnsüchtig blicken sie meiner Göttin entgegen und streben ihr zu nahen. Nur einer steht von fern und ist von dem heitern Festzug ausgeschlossen wie in der Bibel aus dem Himmelreich: der Reiche! Ich meine den Reichen, der nicht arbeitet, sondern nur genießt und sich übersättigt. Wie es für ihn keinen Feier1asi giebt, da er alle Tage feiert, so giebt es für ihn auch keine Ferienfreude, da er beständig Ferien hat. Es sei denn, daß er selbst den Wechsel der Scholle und den Ein tausch »euer Genüsse sich auch als Ferienfreude anrechnet. Eine Rose nimmt meine Göttin von ihrer Brust als Preis für den, der sie am glühendsten anbetet. Wer wird die Rose empfangen? Würdig wären ihrer so viele, aber nnr einer kann Pe erhalten, nur einer kann sich am aller meisten auf die Ferien freuen! Viele Concurrenten sind es, die bei der Rosenspenderin zur engeren Wahl kommen. Seht dort das kleine, blaffe Fräulein, das ein Jahr lang im engen Hinterzimmer auf dem Comptoirschemel saß und beim Gas licht Zahlen und Namen in große Bücher eintrug, Stunde für Stunde, Tag für Tag, bis die Farbe der Wangen er blaßte, bis die Brust mühsam athmete, während das Herz flatterte wie ein geängstigtes Vöglein im Käsig und sich glühend hinaussehute und heim, wo die alten Eltern im grünumrankten Häuschen saßen und ihrer Jüngsten ge dachten, die so tapfer den Kampf um» Dasein auf sich genommen. Ob sie sich freut, wenn endlich, endlich die Ferien für sie gekommen, wo sie ihre Lieben und ihr grünes Heim wiedersieht? Unbeschreiblich! Seht nur, wie sich ihre Wangen färben, wie sich das strahlende Auge mit Frcuden- thränen füllt. Aber da ist doch noch Jemand, der ihr und allen liebenden heimstrebenden Kindern den Rang abläuft, der große Junge dort mit den tintenbeklexten Fingern, der, um seine mangel haften Gymnasialfähigkeiten zu unterstützen, in eine Extra- Schulpresse mit besonders strengem Oberhaupt gebracht ward und der nun ein mehrwöchentliches Aufalhmen und Ausloben zu Hause mit wahnsinnigem Jubelgeschrri begrüßt. Doch die lauteste Freude braucht darum nicht die größte zu sein! Da sehe ich einen mit ausgebreiteten Armen dem Walde zueilen, mit Jünglingsschritten, obschon sein Haar schon ge bleicht ist. Vielleicht gebührt ihm gerade die Rose, dem armen Kathedergelehrten, der da ewig lehren muß, was er selbst nicht glaubt: veraltete Dogmen, überwundene Theorien, die zu nichts nutz sind, als daß man sich erinnert, daß sie der einst geglaubt worden sind. Wit welcher Wonne wirft er all den staubigen Wust hinter sich, um sich im Schoos seiner lieben Mutter Natur als glückliches Kind zu bergen. Ob er sich freut! Und ob sie sich freut, die geplagte Haus mutter, die reisefertig ihre Corridorthür und mit ihr tausend häusliche Sorgen und Mühen abschließt und die arme Näherin, die einer Einladung aufs Land folgt, wo sie wie eine Lilie gedeiht, die der himmliche Vater ernährt, ohne daß sie spinnt und näht. Ob sie sich freut? Und der Soldat mit wunden Füßen, schmerzenden Muskeln und von Untrrofsicier-Apostrophen gedemüthigter Seele, der zu Muttern darf und der bleiche Bergmann, der auf Urlaub in die Welt wandert, um sich bewußt zu werden, daß die Sonne auch für ihn scheint und so viele, viele, die Anspruch auf die allergrößte Ferienfreude habe». Immer neue Gestalten tauchen auf und begehren die Rose. Holde Göttin Ferienfreude, da dein Reich jetzt beginnt, lächle ihnen Allen, segne sie Alle und überschütte sie mit Rosen I Thüringer Bürgen. (Nachdruck verboten.) I. „Auf den Bergen die Burgen, Jin Thale die Saale, Im Städtchen die Mädchen: Ist Alles so schön!" Alljährlich zieht es Tausende und Abertausende von sinnigen Naturfreunden, heiteren Musensöbnen, jugendlichen Handwerksgesellen, erholungsbedürftigen Groß- und Klein städtern, ernsten Geschichts- und Naturforschern hinaus in das ewig schöne, sagen- und märchendurchwobene Thüringen, um sich an all seinen Herrlichkeiten zu erfrischen» zu erholen. Insonderheit üben die zahlreichen Burg- und Klosterruinen, Schlösser und Capellen und sonstige Denkmäler einer längst entschwundenen Zeit, die meist von einem Kranze der Mythe, Sage und Dichtung umhüllt sind, eine überaus kräftige An ziehung aus. Dem eingeweihten Wanderer geben die Ueber- reste alterthümlicher Bauart und Kunst interessante Auf schlüsse, mit höherem Genüsse durchwandert er die gesegneten romantischen Fluren, Tbäler, Berge und Wälder des „Parkes von Deutschland", um von seinen Bergen und Burgen herab sich am Silberbande der Flüsse und Bäche, sowie ^an all den romantischen Scenerien, den schmucken Dörfern, Städten und Städtchen zu erfreuen. In den verfallenen und ver fallenden Burgen, Klöstern und Schlössern umrauscht ihn die Geschichte einer längst entschwundenen Zeit und predigt ihm die Vergangenheit. Vor seinem geistigen Auge erstehen Ge stalten von Begründern und Zerstörern, die in der Geschichte unseres Vaterlandes eine hervorragende Stelle einnahmen oder deren Nachkommen noch heute an leitender Stelle stehen. Die Wahrheit all dieser Behauptungen wird man zu gestehen, wenn man sich die Geschichte der Thüringer Burgen einmal näher ansiebt, was im Nachstehenden geschehen soll. Folge mir, lieber Leser, verehrte Leserin, auf einer solchen Wanderung! Den Anfang der Wanderung soll die Stamm burg der Wettiner, Vic Burg Wcttin, bilden. Sagenhaft, wie die Urgeschichte der meisten Burgen, ist auch die Geschichte der Burg Wettin. Nach alten Chronisten sollen die Römer die Erbauer der Burg gewesen sein, andere nehmen an, daß Herzog Wittekind der Erbauer sei; doch beide Annahmen sind in das Reich der Sage zu verweisen. Wettin (Witlin) ist ein wendisches oder slawisches Wort, daher kann von einer Gründung durch die Römer nicht die Rede sein. Geschichtlich tritt um die Zeit Kaiser Otto'S II. der erste bekannte Gras von Wettin als Dietrich I. auf, er fiel 082 bei Basentello und hinterließ zwei Söhne, von denen der eine Dedi, der andere Friedrich hieß, Dedi erbte Wettin, Friedrich die Grafschaft Eilenburg. Als Friedrich 10l7 kinderlos starb, vereinigte Dietrich II. Eilenburg wieder mit Wettin. Einer der sechs Söhne Dielrich'ü II. war Thimo, der 1090 Markgraf von Meißen ward, er nannte sich zuerst Graf von Wettin: 1288 kamen Salzmünde und Wettin durch Schenkung zum Erzstift Magdeburg, wodurch die schöne alle Burg dem sächsischen Königshause für immer verloren ging. Zur Zeit ist das ehemalige Burgamt eine königlich preußische Domaine, und die noch vorhandenen Burgräume dienen hauptsächlich landwirthschaftlichen Zwecken. Zu Anfang dieses Jahrhunderts weilte Prinz Louis Ferdinand von Preußen, der in dem unglücklichen Gefechte bei Saalfeld am 10. October 1806 fiel, oft und längere Zeit auf der alten Burg Wettin; sein damaliges Wohnzimmer ist bis heute erhalten. Von dem Prinzenzimmer hat man eine herrliche Aussicht auf die Stadt Wettin. Den ehemaligen Rittersaal bat man mit Kalk übertüncht, nur hier und da treten Theile von den Gemälden hervor, die Jagd- und Kriegsscenen zur Dar stellung bringen, man hat ihn durch einen eingeschobenen Boden getheilt, so daß er ergiebiger für die Landwirthschaft ausgenutzt werden kann. Der hohe feste Thurm, der sich inmitten der Burg fand, von den Burgleuten die „letzte Netirade" genannt, ist schon um 1697 abgebrochen worden, die Wallgräben sind ausgefüllt und in Gärten umgewandelt; der Burgthurm, vou dem einst der Burgwart mit spähendem Auge Umschau hielt, dient jetzt in seinem obersten Theile den friedlichen Tauben als sicherer Schlag. Schön, sehr schön wäre es, wenn die alte ehrwürdige Burg wiederum in Besitz Sachsens käme, wenn sie zu einer Stätte würde, von welcher neben der deutschen Flagge auch die sächsische wieder hinab in das gesegnete freundliche Saal thal wehte; friedlich könnte sich die Eroberung vollziehen, wenn nämlich in der alten Stammburg der Wettiner ein Fruilletsn. Der Aal. Novellette von Andrü Theuriet. Aus dem Französischen von G. Raschle. Nachdruck «erboten. „Sieh da, Freund Malapert," rief ich im Kalender blätternd. „Morgen wird der Fischfang eröffnet. Wirst Du Deine freien Sonntage wieder am Ufer irgend eines FlusseS verbringen?" „Nein", antwortete Malapert, „ich habe das Angeln abgeschworen." Ueberrascht blickte ich ihn an. „Das wundert Dich?" fragte er. „Ja . . . Vermuthlich haben die Fische nicht anbeißen wollen und das hat Dir die Lust am Angeln verleidet . . ." „Im Gegentheil, mein letzter Fang war wunderbar glücklich und gerade in Folge dessen habe ich dem Angeln Valet gesagt." Everest Malapert stützte die Ellbogen auf ein Actenbündel, zündete sich eine Cigarette an und begann: „Ich war, ohne mir zu schmeicheln, ein sehr geschickter, geübter Angler und hatte eine ziemlich glückliche Hand. Seit meinem zwölften Jahre hatte ich diesem Sport gehuldigt und kannte alle Eigenschaften und Tücken der Süßwasserfische. Ich war ein Meister in der Wahl der Angelplätze, im Locken, im Sondiren der Tiefe und wußte genau, welches die bevor zugte Lockspeise der einzelnen Fische ist. Nur gewährten mir meine Bureaustunden gar wenig Mußestunden, höchstens so viel Zeit, um am Ufer der Oise Hand an ein paar kleine Barden oder andere kleine Fische zu legen. Das befriedigte weder meine» Ehrgeiz noch meine Eigenliebe. Ich träumte davon, meiner überraschten Familie irgend ein Prachtexemplar, einen fetten Karpfen, einen köstlichen Lachs, einen zappelnden Aal nach Hause zu bringen, und der Fang eine« solchen seltenen, einzigen Exemplar-, daS sich appetitlich von dem frischen Gras des Körbchens abheben würde, war mein höchstes Ideal. Wenn ich, über meine Aktenstücke gebeugt, arbeitete, sah ich die ersehnte Beute vom Sonnenstrahl vergoldet mit rosigen Kiemen und zitternden Flossen durch die Wellen gleiten. NachtS träumte ,ch davon, daß der phänomenale Fffch an meiner Angel zapple, und fuhr mit einem solchen lauten Freudenruf aus meinem Traum empor, daß meine Frau erschrocken aufwachte. Aber dazu war in erster Reihe die unmittelbare Nähe eine- Flusses erforderlich, an dessen Ufer ich frühmorgendlich auf der Lauer sitzen konnte. So entschloß ich mich denn vorige- Jahr, als der Fischfang eröffnet wurde, zu einem materiellen Opfer und miethele für den Sommer ein Land haus im Jerrethal. Da- Hän-chen lag unmittelbar am Ufer de- an Krümmungen reichen Flusses, der ob seiner Aale berühmt ist. Wohl war die Wohnung selbst ziemlich ungemüthlich und un bequem, die Wände schimmelig und der Garten förmlich mit Fröschen gepflastert. Aber bei sinkender Nacht schlich ich die abschüssigen Ufer entlang, sprang in mein kleines, an einem Weidenstamm be- frstizteSBoot und war mit zweisRuderschlägen mitten im Strom. Dort wählte ich mir einen geeigneten Platz, verstreute reichliche mit Lehm gemengte Lockspeise, legte meine Angeln aus und begab mich, vom Chorgesang der Frösche begleitet, ins Schlaf gemach zurück. Aber mein Schlaf war nur ein wacher Schlummer, denn fortwährend dachte ich an meine Angeln. Wenn irgend ein Fischdieb daS Dunkel der Nacht dazu benützen würde, mir zuvorzukommen und mir meinen Fang wegzustibitzen! DaS Fieber packte mich bei diesem Gedanken, und ehe noch der Morgen graute, war ich schon auf den Beinen, warf meine Kleider über und zündete meine Blendlaterne an. Meine Frau schlief den süßen Schlaf eines unschuldigen Gewissens mit halbgeöffneten rothen Lippen, zwischen denen sich ein leiser Athemhauch hervorstahl, und ihre dunklen Wimpern, die, nebenbei bemerkt, wirklich wundervoll sind, beschatteten die rosigen Wangen. Um ihren Schlummer nicht zu stören, schlich ich mich leise wie ein Dieb aus dem Zimmer. Welch herrliche Sommernächte waren das! DaS Wasser rauschte mit leisem Plätschern, durch die dichtbelaubten Aeste ergoß sich schimmerndes Sternenlicht, und durch eine Lücke des Geästes funkelte mir die Gruppe der Plejaden wie ein glitzerndes Sternenbouquet zu. Zunächst ward ich enttäuscht, aber eines schönen Juli morgens fühlte ich etwas sehr Schweres und entsetzlich Lebendiges an meiner Angelschnur zappeln. Das Herz hämmerte mir zum Zerspringen. Dieses Mal mußte ich einen phänomenalen Fisch aufgespießt haben. Langsam hob ich die Angel, deren Zucken das Wasser aufrauschen ließ und schleuderte meinen Fang in den Fischbeutel. Ach Wunder über Wunder! Ein herrlicher ellenlanger Aal, dick wie meine Faust. Aufgeregt eilte ich mit meiner Beute inS HauS, warf sie vorläufig in einen mit Wasser ge füllten Bottich und kehrte triumphirend in mein Schlafgemach zurück. Ungeduldig, meiner Frau den heutigen Triumph mit- zutheilen, rüttelte ich sie aus dem Schlaf. „WaS? WaS giebt'S? Brennt'S?" schrie Bertha, sich aufrichtend. „Nein, liebes Kind. Aber ich habe einen wunderbaren Fang gethan. Ich habe einen herrlichen Aal nach Hause gekrackt." „Einen Aal! Oh Gott, wie schrecklich! Hoffentlich hast Du ihn doch nicht hierhergebrackt?" „Nein, sei beruhigt, der Aal ist gut aufgehoben", erwiderte ich, etwa- ärgerlich über den Mangel an Begeisterung bei meiner Ehehälfte. Brummend drehte sich Bertha auf die andere Seite, legte den Kopf auf ihren rechten Arm und schlief weiter. Abge spannt von der nächtigen Aufregung, schlief auch ich auf meinen Lorbeer« ein. Gegen 7 Uhr weckte unS ein durchdringender Angstruf aus dem Schlaf. „Oh du meine Güte", stöhnte Bertha, „WaS ist ge schehen ?" Mit einem Sprung war sie aus dem Bette. Sie im Unterrock, ick im «chlafaewand, stürzten wir auf den Corri- dor und erblicken die Köchin, die zitternd wie Espenlaub und bleich wie der Tod aus einem Schemel steht, die Röcke hoch ausgeschürzt, und aus den Treppenstufen kauern unsere Kleinen, auch im Hemdchen, und weinen, ohne zu wissen warum. „Gnädiger Herr", ruft unsere Köchin mit erstickter Stimme, „eine Schlange ist in der Küche." „Dummes Ding", sagte ich lachend, „das ist mein Aal, der entschlüpft ist." Aber weit entfernt davon, meine Leute mit dieser Er klärung beruhigt zu haben, steigert sie die allgemeine Panik. Meine Frau stößt ein lautes Geschrei aus und erklärt, sie würde in Ohnmacht fallen, wenn man das „gräßliche Thier" nicht sofort einsangen würde und die Kinder fingen laut an zu heulen. „Rosa", befahl ich der Köchin, „fangen Sie den Aal und tödten Sie ihn." „Ich, gnädiger Herr! nimmermehr. Nicht einmal wenn Sie mir doppelten Lohn geben, rühr' ich das Un geheuer an." „Gut", rief ich, die Geduld verlierend, „so laßt mich machen." Ich stürzte in die Küche, wo der Aal herumrutschte, und rückte ihm an den Leib. Ein schweres Stück Arbeit, denn das verdammte Geschöpf glitt mir immer in dem Moment zwischen den Fingern durck, wenn ich's schon zu fassen glaubte. Es flüchtete unter die Schränke, versteckte sich hinter die Geräthe und ich rutschte ibm auf den Knieen nach. Endlich gerieth es in eine Ecke, mit Hilfe eines Staubtuches nahm ich's fest und steckte es in einen wohlverwahrten Korb. Dann ging ich mit Hellen Schweißtropfen auf Stirn und Wangen meiner Frau anzeigen, der Aal sei eingefangen. „Höre, Mann", rief das lhörichte Weib, „wenn Du das Haus nicht sofort von diesem Ungethüm befreist, so werde ich daS Haus verlassen." Hierauf folgte eine Scene: Ich wisse Wohl, sie verabscheue alles kriechende Gethier, und der Doctor habe mir aufge tragen, ihr jede noch so kleine Aufregung zu ersparen. Aber ich habe weder Tact noch Zartgefühl.... „Aber um Gottes Willen", rief ich ganz verzweifelt, „WaS soll ich mit dem Aal anfangen?" „Was Du willst Nimm ihn hinein nach Paris. Gieb ihn einem Deiner Freunde. Es giebt ja Leute, die so WaS essen. Trage ihn zu den Vignerons. Wir haben neulick bei ihnen gespeist, so wird das die Revanche sein. Oder gieb ihn Deinem Freund Fleurichand .... Er hat Dich dem Minister zur Beförderung empfohlen und wird diese Auf merksamkeit Deinerseits sehr gerne sehen." Seit Wochen hatte ich mich darauf gefreut, so einen herr lichen Fisch ä la IrutLro bereitet auf meinem Tisch zu sehen, aber was thut man nicht alles um deS lieben Friedens willen .... Mit großer Mühe gelang eS mir, den Fisch in eine Serviette einzukuüpsen und so nahm ich denn daö zappelnde Bündel mit nach Paris. Im Coups wandte ich das Auge keinen Moment von dem Bündel ab, dessen fortwährendes Zucken von der zähen Lebensfähigkeit de« Aale» zeugte und dachte voll Angst: «Wenn'ö ihm nur nicht gelingt, zu entwischen " Schon sah ich ibn im Geiste im Coups Herumgleiten und sich unter den Röcken der Damen verbergen. Endlich fuhr der Zug in Paris ein und ohne Aufenthalt est ick zu den Vigneron« an'S andere Ende der Stadt. Eckauderhaftes Pech. Vignerons sind auf « Land gefahren. Nun, so laufen wir also zu Fleurichand. Fleurichand wohnte in der Rue de Lille, im vierten Stock. Keuchend kletterte ich binauf, je vier Stufen überspringend, denn der Gedanke, die Bureaustunden zu versäumen, gab mir Flügel. Ich klingelte heftig, und seine Wirthschafterin steckt den Kopf zur Thür heraus. „Herr Fleurichand zu Hause?" „Nein!" „Ich bringe ihm einen Aal, den ich selbst geangelt habe." „Er wird sehr bedauern. Er ist in der Schweiz." „Das ist aber mehr als Pech", brummte ich, die. Treppen hinabsteigend. „Ich kann doch nicht von Thür zu Thür mit meinem Aal heruuihausiren. Ach was, ich werde ihn meinem Bureauchef zum Präsent machen." Ueber dem vielen Hin- und Herrennen war es Mittag geworden, bis ick die Stufen zum Bureau hinaufeilte. Als ich die Thür öffnete, stand ich meinem Chef gegen über, der ungeduldig im Zimmer auf- und abging. „Herr Malapert", sagte er trocken, „Sie müssen trachten, pünctlicher zu sein. Seit einer Stunde warte ich schon, nm mit Ihnen über eine dringende Angelegenheit zu spreckcn, die mir ein Senator ans Herz gelegt Hal ... . Diese Ver spätung ist in jeder Hinsicht zu bedauern. Ich werde ge zwungen sein, den Generaldirector davon in Kenntniß zu setzen." Schöner Anfang das! Wie soll ick jetzt meinem Cbef den in meiner Serviette zappelnden Aal überreichen. Da hätte den Anschein, als wollte ich nur sein Stillschweigen erkaufen. Nein, meine eigene Würde und der Anstand ver bieten es mir, mich zu Gunsten dieses strengen Vorgesetzten meines Fisches zu entledigen. Ich verschluckte also mein grcß- müthiges Anerbieten, legte mein Bündel behutsam nieder und vertiefte mich in das Studium der „dringenden Angelegenheit". Aber während ich das Schriftstück abfaßle, das dazu bestimmt war, die Ungeduld deS unglückseligen Senators zu dämpfen, körte ich den Aal in seinem Versteck hcrumrascheln. Tas verdammte Thier wollte nicht sterben. Und melancholisch grübelte ich: „Wie werd' ick ihn los werden?" Der Nachmittag schien kein Ende nehmen zu wollen. Endlich schlug eS sünf, ick stieg mit dem Aal uinerm Arm die Treppen hinab und ging die Rivolistraße entlang, das Bündel mit mir schleppend, das zu einer Centnerlast an zuschwellen schien. Wohin sollt ich's tragen ? Alle unsere Bekannten wohnten, wo der Teufel gute Nacht sagt, und daun ist eö zweifelhaft, ob sie überhaupt in Pari« sind. Nach Hause fahren und mit dem Aal vor meine Frau hin treten, unmöglich! Ich war ganz nervös, erschöpft und aufgeregt. Plötzlich bemerkte ich vor dem Portal der St. Paulkirche einen Bettler, der mir flehend seinen Hut entgegenstreckle und eine wunderbare Idee fuhr wie eine Erleuchtung durch meinen Kopf. „Freund", sprach ich den Zerlumpten an, „essen Sie gerne Aal?" Der Bettler sah mich erst erstaunt, dann zornig an. „Weiß nicht", brummte er endlich mürrisch j,hab noch keinen gegessen." „Da haben Sic einen zum Nachtmahl", ries ich, ent knotete meine Serviette und warf ihren Inhalt in den Hut des Bettlers. Dann stürzte ich eilig davon, ohne den Dank des verblüfften Bettlers anznhören. Leichte« Fuße« und Herzen- eilte ick auf den Bahnbos und fuhr nach Hause. Aber den Fischfang habe ich seitdem abgeschworen.
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