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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.07.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970712024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897071202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897071202
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- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-12
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Da» Leben de» Kaiser» steht ja überall in Gottes Hand, aber nicht überall sind die Gefahren, die ihn bedrohen, die gleichen; deshalb ist der Wunsch ost angedeutet worden, der Kaiser möge die gerade ihn bei seiner rastlosen und aufreibenden Thätigkcit so nöthige Erholung da suchen, wo die wenigsten Gefahren ihm umlauern. Fürst BiSmarck hat sich nicht gescheut, seinen kaiserlichen Herrn zu mahnen, im KriegSgetümmel sein Leben nicht in eine Gefahr ru bringen, die zugleich eine Gefahr für da» ganze Vaterland sein würbe. Der Vorfall, der ans Obde gemeldet wird,wird,daher aufs Neue den Wunsch rege machen, der jetzige erste Rathgeber unseres Kaisers möge nach dem Beispiele seine» großen Vorgängers handeln und seine» kaiserlichen Herrn daran erinnern, daß jede ihm drohende Gefahr eine Gefahr für daS Reich ist. Diese Gefahr ist um so größer, je mehr da» Regiment eines Herrschers ein persönliches ist und je weniger daher auch nur auf kurze Zeit seine leitende Hand entbehrt werden kann. Als Kaiser Wilhelm I. von seinem Schmerzenslager, auf das ein fluchwürdiges Attentat ihn geworfen, seinen Sohu mit der Stell vertretung betraute, sand dieser ein feste- Regierungs programm vor, das ihm und seinen Berathern zur Richt schnur diente und die Politik Preußens und des Reiches vor jedem Schwanken bewahrte. Ein ernster Unfall, der jetzt, da so Vieles im Ungewissen sich befindet und der Entscheidung des Monarchen harrt, sich ereignete, würde einWirrsal herbeisühren, besten Folgen unübersehbar wären. Vielleicht mahnt der Unfall, der ihn betroffen, den Kaiser daran, daß ein klares und festes RegierunaSprvgramm seinem Stellvertreter und dessen Räthen fehlen wurde, wenn der Unfall weniger unbedeutend gewesen wäre. Entschlösse er sich infolgedessen, das Programm eines leitenden Ministers anzunehmen, so würde er selbst beruhigter allen Zwischenfällen entgegensehen können und das tröstliche Bewußtsein haben, daß ein ernster Unfall das deutsche Volk nicht nur mit treuer Sorge um seine Person, sondern obendrein mit Bangen vor Störungen der innern und äußeren Politik erfüllen würde. Die vom Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg herbeiaeführten abermaligen Friedensverhandlungen zwischen den Berliner Äetretdchändlern und den Vertretern der brandenburgischen LandwirthschaftSkammcr sind wiederum gescheitert. Herr v. Achenbach erklärte zwar am Schluffe ter dreistündigen Debatten, er seinerseits wolle nicht alle und jede Hoffnung auf eine Verständigung aufgeben, aber diese, wie man sieht, recht schwache Hoffnung hat zunächst keine Aussicht auf Erfüllung. Die Verhandlungen drehten sich lediglich um die Zusammensetzung beS Börsenvorstandes. Die Vertreter der Landwirthschaft beharrten auf ihrem Standpunkte, daß die LandwirthsckaftSkammer Landwirtbe in den Vorstand zu delegiren haben sollte, während die Kaufleute einmüthig daran festhielten, daß nur der Börsen- corporation angehörige Landwirthe und diese nur durch die Eorporation gewählt werden dürften. Keiner der beiden Parteien scheint eS sonderlich Ernst mit der Einigung gewesen zu sein, namentlich aber den Kaufleuten nicht. Aber auch Letzteres ist er- klärlick. Eö handeltesich umdieZusammensetzung tesVorstandes der, richtiger: einer Berliner Productenbörse. Die Producten- händler sind aber noch nicht gerichtlich vor bie Wahl zwischen der Börse und dem Nichts gestellt. Die oberverwaltungögericht- liche Entscheidung, ob die aufgelöste Feeupalast Versammlung als Börse zu betrachten sei ober nicht, steht noch aus. So lange ein Schimmer der Hoffnung besteht, das Erkeuntniß werbe verneinend auSfallen, haben die Kaufleute natürlich geringe Lust, Frieden zu schließen; denn der als legitim erklärte Feeupalast würde ihnen für spätere Verhandlungen eine überaus günstige Position bieten, während ei» zu ibren Ungunsten gefälltes Urtheil ihre Lage so beließe, wie sie jetzt ist. Daß man, ehe die Verhandlungen abgebrochen waren, die Versammlungen im Feeupalast mit Schließung bedrohte, obwohl auch ohne diese Maßregel die gerichtliche Entscheidung angerufen werden konnte und auch thatsächlick angerufen war, ist der Stellung der Productenhänbler gleichfalls zu Gute gekommen. Der völlig unnütze behördliche Schritt Hal ihnen moralischen Succurs gebracht. Wie den» überhaupt die preußische Negierung gegenüber der Berliner Probuctenbörse eine un glückliche Hand gezeigt hat. Der Widerstand ter Kaufleute, darüber kann kein Zweifel bestehen, gilt dem Börsengesetz. Ungeachtet dieses Umstandes bat man ihnen eine Börsen ordnung octrvyirt, die in verschiedenen Angriffspuncten will kommenen Anlaß bot, den Kampf gegen bas Gesetz in der Form des Widerstandes gegen bie Verordnung auszunehmen. Ueber- dies waren von der Behörde in den Börsenvorstand Land wirthe delegier worden, die in der Tbat über kaufmännische Ehre sich in einer Weise ausgelassen hatten, bie auch außer halb des Kreises des Berliner Getreidehanbels und des Getreidehandles überhaupt als verletzend empfunden worden ist. Einer dieser Herren führt in den lanbwirth- schastlichen Kreisen der Provinz Brandenburg daS große Wort, cs läßt sich wohl annebmen, daß er auf die Land- wirthschaftskammer bestimmenden Einfluß übt. Da ist es denn nicht zu verwundern, daß die Weigerung der Pro- ductenhändler, von dieser Eorporation Aufsichts personen über sich setzen zu lassen, auf gewisse Sym- pathie stößt. Das extreme Agrarierthuiu hat aber auch Pier in das eigene Fleisch, oder, da für viele Vertreter dieser Richtung die Hetze gegen den Handel lucrativ ist, in das Fleisch der Landwirthschaft geschnitten. Indessen, diese Ausschreitungen dürfen nicht dazu führen, daß die Extremen der anderen Seite mit ihren Versuchen, die Börse, wie sie vor dem neuen Gesetze war, als unschuldsvollen Engel zu malen, im Lande Erfolg haben. Und noch viel weniger darf es dahin kommen, daß aus der wachsenden politischen Miß stimmung, die sich zum großen Theil und mit Recht auch gegen gewisse als Sachwalter der Landwirthe maSkirle preußische Machtpolitiker richtet, ein geschäftliches Gebahren Vortheil zieht, das selbst von einem orthodoxen Manchestermann wie Lasker und von zahllosen angesehenen Kausleuten als gemeinschädlich gebrandmarkt worden ist. Das Börsengesetz mag sich an dem einen oder dem andern Puncte vielleicht nicht bewähren, das muß sich aber aus der Erfahrung ergeben. Vorläufig läßt sich, wenigstens was die ein schneidendste Bestimmung, das Verbot des börsenmäßigen Getreideterminhandels, angeht, über die Wirkung noch nichts sagen. Drei, vier Monate nach der Einheimsung des Getreides wird sich vielleicht die Grundlage für einen objektiven Gedankenaustausch vorfinden. DaS Heran nahen der Ernte hat, wie bei dieser Gelegenheit erwähnt sein mag, einigen Eindruck auf Herrn v. Ploctz gemacht. Während seine Presse bis vor Kurzem jedes Termiugesckäsl in Getreide für ungesetzlich erklärt hatte, meint sie jetzt, daß handelsrechtliche Termingeschäfte und ihre Notirunz „zulässig und vielleicht Wünschenswerth" seien. Die Zulässigkeit soll freilich von der „Prüfung des Verfügungsrechtes des Anbieters" abhängig gemacht werden; aber durch diese Einschränkung würde die Zahl dieser Ge schäfte eine so geringe werden, daß die Landwirthschaft an ihnen kein Interesse hätte. Es wirb also bie Anfsassung richtig sein, baß bie „Bedingung" ter Ploctz'schen Presse nur zur Verhüllung eines Rückzuges erfunden worben ist. Bei den Engländern scheint nun doch wegen der indischen Unruhen daS Gewissen sich zu regen, kenn sie beginnen daran zu denken, einige der schlimmsten Uebelstänbe in Indien zu beseitigen. Bekanntlich war einer der Gründe der Unruhen in Pvona, daß die englisch-indischen Soldaten nickt einmal die Tugend der Frauen schonten. Diese Rohheit ist um so ärger, als bei einer Bcrathung. an der u. A. der Viceköniz von Indien und der Generalissimus derenglisch-indischen Armee theilnabnien, festgestelll wurde, baß im Jahre 1895 von 68 000 europäischen Soldaten 36 000, also mehr als 50 Proc., wegen der Folgen ihrer Ausschweifungen daS Hospital hätten anfsucken müssen. Das ist allerdings ein Zustand, der der Armee eines culti- virten Volkes im höchsten Maße unwürdig ist. Es sollen nun endlich Maßnahmen getroffen werden, um eine Besserung dieses Zustandes herbeiznführen. Wenn freilich der Vice könig in einer höcksl salbungsvollen und von eng lischer Heuchelei strotzenden Rede als eines der Mittel empfahl, bie Soldaten darauf aufmerksam zu machen, daß derartige Vergehungen wackerer Soldaten eben so unwürdig seien, wie Verrath oder Feigheit, so zweifeln wir nicht daran, baß dieses Mittel kaum verfangen wird. Mit moralischen Reden kann man allenfalls auf ein Volks heer wirken, nicht aber auf ein Heer zusammeugeworbener Leute, deren Ehrgefühl obendrein durch bie rohe Be handlung, die ihnen von ihren Vorgesetzten zu Theil wird, herabgedrückt wirb. Uebrigens bat bie indische Bevölkerung auch einen materiellen Grund, sich über diese Zustände in der Armee beschwert zu fühlen. Die indische Bevölkerung muß bekanntlich die schweren Kosten für bie Unterhaltung des Heeres aufbringen, unv es wird ganz mit Recht gesagt, daß eS etwas zu viel vom indischen Volke verlangt hieße, wenn ihm zugemuthet würde, den Sold eines Heeres zu bezahlen, von dem mehr als die Hälfte viele Wochen im Jahre im Lazareth liegt. Ob wohl das „noble englische Volk" so viel Anstandsgefühl haben wird, die Kosten für die britischen Landsleute, bie dem Namen wenig Ehre machen, dem durch Hungersnoib und hohe Steuern gepeinigten indischen Volke abzunehmen'? Wir glauben es nicht. Dagegen wird es sicherlich damit einverstanden sein, daß bie Indier wieder, wenn sie sich gegen so viel Ungerechtigkeit empören, vor die Kanonen gebunden und in die Luft geblasen werden. Lange Wochen hindurch haben die türkischen Angelegenheiten die Ebre, an der Spitze des allgemeinen Interesses zu stehen, an andere Ereignisse abtreten müssen. Zn der letzten Woche aber hat sich die Aufmerksamkeit denn doch wieder den Dingen im Orient in erhöhtem Maße zugewendet. Die Türkei hat sich nicht damit begnügt, wie in den voran gegangenen Wochen die Friedensverhandlungen nach Mög lichkeit binzuzicheu, sondern sie Hal sich mehr decouvrirt, indem ne Lurch allerlei Kanäle hindurchsickern ließ, die Pforte würde keines falls von Bedingungen abgehen, bie daS Maß des von den Mächten Zugestanteuen erheblich überschritten. Das war den Mächten denn doch zu viel und von allen Seiten erhielt die Pforte ziemlich deutliche Winke, daß die Großmächte bock auck etwas milzurebeu hätten. Am Entschiedensten ge halten ist bei aller Verbindlichkeit der Form taS von bem österreichischen Kaiser an den Sultan gesantle Telegramm, und daß dieses Telegramm von der österreichischen Regierung sehr prompt veröffentlicht worben ist, erhöht natürlich noch sein Schwergewicht. Die Griechen, die, und von ihrem Standpuncte aus nicht mit Unrecht, unaufhörlich darüber klagen, baß die lange Hin zögerung der Friebenöverhandluugen ihre letzten Kräfte aufreibe, werben wohl mit den jetzt unternommenen Schritten der Mächte zufrieden sein. Sie werden zugleich seben, baß es thöricht von ihnen war, allein die Engländer für ihre Freunde zu ballen und bie anderen Mächte als Partei gänger der Türken zu verdächtigen. Gerade die Engländer werben ihnen jetzt am allerwenigsten energisch keifen können; denn das stolze Albion wird in der nächsten Zeit möglicherweise mit seinen eigenen Angelegenheiten gerade gering zu thun haben. Wesentlich nützen wird ihnen, daß sich nicht nur bie Regierungen, sondern auch bie Staats oberhäupter selbst augenfällig um den Frieden beim Sultan bemühen. Kaiser Wilhelm hat, wie gemeldet würbe, auf einen Brief des Sultans diesem geantwortet, baß er mit den anderen Mächten durchaus im Einvernehmen sei, baß also auf seine Hilfe für einige Lanbesvortheile bie Türkei nicht rechnen tonne. Ans einer römischen Depesche der „Agenzia Stefani" geht übrigens hervor, daß ter Sultan auch noch Briese anderer Monarchen als Kaiser Wilhelms und Franz Josef s erhalten hat, kenn das genannte osficiöse Bureau meldet, daß „die Antworten der Staatsoberhäupter, an welche sich der Sultan telegraphisch gewandt hat, im Wesentlichen darin übereinstimmen, daß sie den Abschluß des Friedens unter den von den Botschaftern ausgestellten Bedingungen empfehlen." Vielleicht hilft eS nun. Es ist übrigens eine sehr seltene Erscheinung, daß Souveraiue anderen Souverainen gute Nathschläge ertheileu. Man kann daraus ersehen, wie-wichtig die Briefe sind und wie sehr den Monarchen der Frieden am Herzen liegt. Uebrigens soll die Nachricht, daß Izzet Bey seinen verderblichen Einfluß imAildiz Kiosk wieder erlangt habe und bei den FriedenSverhandluugen eine große Rolle spiele, durchaus falsch sein. Die Functionen des SecretanS des Padischahs, welche Izzet an sich gerissen batte, würben fast ausschließlich von Tahsin besorgt und an benBerathungen nehme Izzet nicht Tbeil. Man behauptet, baß es insbesondere Tewsik Pascha gewesen sei, welcher Len Einfluß dieses Günstlings auf die äußere Politik gebrochen habe. Es ist bekannt, daß Izzet Bey bie Seele der türkischen Kriegspartei ist. Zwar sind mit seinem Ausscheiden aus dem politischen Schachspiel die Schwierigkeiten noch nicht überwunden, denn schon wird in Konstantinopel ein bedeutender Zuzug von Sofias aus der Provinz wahrgenommen, welche angeblich im Falle eines ungünstigen Friedensschlusses manifestiren wollen. Die Regierung Hal deshalb an die Provinzbehörden die Auf forderung geschickt, derartigen Zuzug nach der ReichSbaupt- stadt zu verhindern. Nun wird das signalisirte sckarfe (nicht, wie in der heutigen Depesche gedruckt, schwache) Auf treten Rußlands das Uebrige thun. Feirilleton. Nanny Trauner. 17j Roman von C. Schroeder. Nachdruck v«rtkt«n. „Hm! Das ist immerhin schon etwas", meinte der Ober förster, „mehr werben wir auch wohl vorläufig kaum erreichen, Herr Professor. Nanny's Grundsatz ist's nun einmal, selbst von den verdächtigsten Leuten daS Allerbeste zu glauben, bis sie als entlarvte Bösewichter vor der ganzen Welt dastehen. Sie werden nur leider nicht Alle entlarvt. Die da drüben zum Beispiel" — er machte eine verächtliche Kopfbewegung nach der Richtung hin, in der daS Schloß liegen mochte — „ist viel zu schlau, um sich fangen zu lassen. — WaS wollte sie denn eigentlich von Dir, Kleine?" „Sie fürchtete sich und da sollte ich sie ein Stückchen Weges begleiten." „Fürchtete sich — bei Hellem Tage — sie, die bei Nacht und Nebel allein im Wald herumstreicht? Wenn dahinter nur nicht schon von vornherein eine Teufelei steckt!" „Onkel, sie hatte sich ein bischen verlaufen, war in daS Gebüsch da vor unserem Hau» gerathen. Hier, so scheint eS nun, lag ein zerlumpter Mensch versteckt. Der Strolch, von dem ich Dir sagte —" „Sieh' einmal an! Des noblen Fräulein» Weyen hätte ich mich demnach vorhin so abgehetzt? Na, daS hätte ich wissen sollen!" „Aber ein Strolch kann doch auch ein Einbrecher sein, der bie Gelegenb-it abwartet —" „Schon gut! Nur weiter! Der Strolch lag also da, oder lag auch nicht da —" „Er lag ganz gewiß da, Onkel! Du hättest nur die Todes angst sehen sollen, die ihr Gesicht auSdrückte — und kein Wunder! Sie hatte gehört, der Anton sei wieder im Lande und nun, vom Schrecken verwirrt, hielt sie den fremden Mann für Jenen." „Aba! Da« böse Gewissen! Den Schrecken gönne ich ihr, gönne ich ihr von Herzen!" ries der Alte, sich die Hände reibend. „Kennen Sie bie Anton-Episode, Herr Professor? Nein? Dann merken Sie auf! Ist bören«- werth! Du, Nanny, magst Dich mittlerweile nach dem Kaffee umsehen, fällst mir sonst bei jedem dritten Wort in bie Rede!" Nanny hatte sich erhoben, bevor noch der Alte den Wunsch ausgesprochen hatte. Wenn er die „Anton-Episode" zum Besten gab, so hielt sie sich am liebsten fern. Erstens war seine Auffassung derselben grundverschieden von der ihrigen und dann entschlüpften ihm auch mitunter im Eifer der Rede Ausdrücke, die gar zu kräftig waren für Frauenohren. Also ging sie, und wie ihr schon in der Hinterthür die Christ! mit dem Kaffeegeschirr begegnete, nahm sie ihr dieses ab, setzte es auf den Tisch im Hausflur nieder, zog sich einen Schemel daneben und lockte die Dachsbündchen aus ihrer Schlummerstatt unter der Treppe hervor, die Waldmanns Frau ihnen vor noch nicht langer Zeit bescheert batte. Lächeln mußte sie, wie sie unter weiser, mütterlicher Führung daher gekollert kamen und wieder lächeln, wie sie anfingen, an ihrem Kleide Kletterversuche zu machen und Uber ihren feinen Fuß drollige Purzelbäume zu schlagen, doch mit ihren Gedanken war sie nicht bei den Thierchen, sondern — bei dem Maler. Was für ein sonderbarer Mann er war — entschieden der sonderbarste, der ihr je vorgekommen! Er mochte sie ja nun einmal nicht leiden; denn, wenn er sich auch mitunter Gewalt anthat, die meiste Zeit stand dies doch deutlich genug auf seinem Gesicht zu lesen — konnte es ihm da nicht voll kommen gleichgiltig sein, ob sie sich (eine komische Idee übrigens!) an gefundenen Handschuhen vergiftete, vollkommen gleichgiltig, mit wem auf der Welt sie verkehrte? Und nun hatte er ihr den Handschuh geradezu entrissen und sie mit einem Blick beschworen, den Umgang mit Anna von Hell bronn zu meiden, mit einem Blick, der ihr durch und durch gegangen war, der ihr förmlich Herzklopfen gemacht batte. Gut, daß Anna von Hellbronn den Blick nicht gesehen hatte! Geärgert bätte sie fick jedenfalls darüber und ge- wundert auch. Die ganze Männerwelt — die alte wie die junge — schwärmte für sie, und diesen Maler, der sich eigentlich schon von Beruf-Wegen für ihre Schönheit hätte begeistern sollen, ließ sie kalt! Nun, am Ende mußte eS auch von dieser Regel Aus nahmen geben — so eine dann und »wann — damit man eS nicht ganz und gar vergaß, daß doch der Geschmack gott lob noch verichieden war! Gottlob? Warum gottlob? Sie (Nanny) freute sich Wohl gar, daß jene einen Triumph weniger zu verzeichnen hatte? — „Pfui! welch' ein Gedanke! Sie sich freuen, Neid empfinden? Neid auf Anna von Hellbronn? Neid oder nicht, das Gefühl, daS sich da auf dem Grunde ihres Herzens regte, war der Freude merkwürdig ähnlich! Freude, woher aber? Freude, worüber in aller Welt?; Nanny sann und sann, stand endlich achselzuckend kauf und murmelte: „Thörickte Grübelei! Ter Kaffee wird darüber kalt." „Daß ihr mir hübsch wieder schlafen geht!" malmte sie die Hündchen mit warnend erhobenem Finger, nahm die Platte mit dem Geschirr und trug sie hinaus. Aus der Schwelle der Hinterthür stockte ihr Fuß. Ein Lachen schlug an ihr Obr, ein hartes, höhnisches Lachen. Wenn daS von dem Professor kam, dann halte sie ihn schon einmal lachen gehört — vielleicht in seinen Fieberphantasien. „Ja, ja, die Messalinen sterben nicht aus", sagte er jetzt mit bitterer Verachtung im Ton ; „der arme Bursche hat meine ganze Sympathie." Der arme Bursche? Tas klang ja fast, als sei man mit dem Anton noch nicht fertig. „Onkel", meldete sich Nanny mit lauter Stimme, „ich bringe den Kaffee! Komme ich zu früh?" „I bewahre!" lautete die Entgegnung. „Nur so rasch als möglich heran, Kleine! UnS klebt die Zunge am Gaumen, so haben wir Deine neueste Bekanntschaft durch- gehechelt." „So rasch wie möglich? Der Onkel hat gut reden", dachte Nanuy, als sie sich beim ersten Schritt» den sie vor wärts that, von der ganzen kleinen Dachselfamilie um ringt sah. „Heda! Wollt ihr wohl, ihr Schlingel!" rief der Ober förster, ihre Notb gewahr werdend, allein sein Rufen, sowie sein Pfeifen blieb ohne Wirkung auf die jugendlichen Hundr- gemüther. Ebe» wollte er mit einem „Na, warte nur, ich lehr' euch Respect!" von seinem Stuhl in die Höhe, da meinte Nanny: „Ach!" laß' nur, Onkel, es wird schon gehen!" Und eS ging wirklich. Mit der einen Hand hielt sie die Platte bock, mit der anderen die Falten ihre« hellblauen Cattunkleide« zierlich zurückgerafft. So, das Antlitz lächelnd gesenkt, die kleinen Füßchen behutsam setzend, damit sie keine- der »äppisck um sie berumbüpfenden Gescköpfchen berührte, kam sie daher und batte keine Ahnung von dem reizenden Bilde, da- sie dem Malrrauge unter der Linde bot. „Das war fast so gut wie ein Eiertanz", empfing sie der Oberförster, „aber was fangen wir nun nut Len Kerlen an ?" „Die werden erst gestraft und dann (gefüttert", entschied Nannn, breitete eine weiße Damastdccke über den Tisch, schenkte mit anmuthiger Gewandtheit Kaffee ein und kniete endlich im Grase am Wegrand nieder. ES war auch ein Bild, wie sie die Hündchen an sich lockte, eines nach dem anderen in eine reuige Positur brachte und es zwang, ihr mit braunem Pfötchen Besserung zu geloben: es war ein Bild, das dem Oberförster Thränen der Heilec- keit-entlockte, nach dem aber der Maler gar nicht hinsab. Die Augen in seine Kaffeetasse gesenkt, mied er die Ver suchung, und der Alte, der ihn bin und wieder verstohlen von der Seite anblinzelte, dachte wie heute Mittag mit innigem Behagen: „So ein Maulwurf — so ein stockblinver Maul Wurf!" Nanny aber errötbete heftig, als sie, zufällig den Bl n hebend, die ernsten Züge streifte. Sie laS strengste Miß billigung darin und ihre vierundzwanzig Jahre sielen ihr schwer auf das Gewissen. Den Hündchen ein Stück Kucken hinwerfend, erhob sie sich hastig und nahm bedrückt am Tiscke Platz. - . . „Hast Du's gehört, daß wir Deinen Schützling durchgehechett haben?" erkundigte sich der Oberförster. „Ja, Onkel", antwortete sie, ohne auszusehcn. „Der Professor —" die- sagte er mit einem etwas ver dächtigen Augenzusammenkneifen und Blinzeln — „hat kein gute« Haar an ibr gelassen". In Wirklichkeit batte sich der Professor darauf beschränkt, am Ende von des Alten Erzählung die Bemerkung zu macken, die Nanny gehört hatte; aber er widersprach mit keiner Silbe. In Nanny wollte sich wieder die Freude von vorhin regen, allein weil sie sich so gar nicht besinnen ließ und deshalb dock gehässigen Ursprungs sein mußte, kämpfte sie sie tapfer nieder, nahm sogar, ihrer momentanen Scheu vor dem Maler zum Trotz, für die Angegriffene Partei. „Anna von Hellbronn", sagte sie, freilich mit leise bebender Stimme und mit gesenkten Lidern, „hat dagegen von Ihnen, Herr Professor, sehr freundlich gesprochen". „Ich bin ihr ganz unendlich verbunden!" Ohne den schneidend spöttischen Ton der Entgegnung zu beachten, wiederbolte Nanny: „Sehr freundlich! Sie bat sich nach Ihrem Befinden erkundigt, sich gewundert, daß man de- Verbrechers noch nicht habhaft geworden sei und — ja,
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