02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.07.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970713026
- PURL
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- LDP: Zeitungen
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-13
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Erobere Schriften laut unserem Pr«i«- verzeichnih. Tabellarischer und Ztffernfas nach höherem Tarif. (kxtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderunzi 60.—, mit Postbrsörderuog 70.—. Zllluahmeschlu- für Äuzeigea: Abend-Au-gabe: vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. vei den Filialen und Annahmestellen je eia« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Erpehitto» zu richten. Druck und Verlag von S. Polz in Leipzig 352. Politische Tagesschau. * Leipzig, 13. Juli. Am Sonnabend baden wir an dieser Stelle darauf hin gewiesen, daff die konservative Presse angesichts des Vor gehens der Antisemiten und des Bundes der Land wirt he in dem durch die Ernennung des Generals von PodbielSki zum Staatssecretair des Reichspostamts er ledigten Reichstagswahlkreise Westprignitz und in anderen Wahlkreisen alle Ursache habe, ihr schroffes Auftreten gegen die Nationalliberalen zu mäßigen, um nicht völlig isolirt zu werden. Heute zeigt es sich, daß selbst in die Seele der „Kreuzzeitung" ein Bangen vor den Absichten der bündlerischen „Freunde" — den Antisemiten traut das Blatt längst nicht mehr — sich einschleicht. Die „Hannov. Post", ein Blatt, das in gleicher Weise den Antisemiten wie den Extremen des Bundes der Landwirthe dienstbar ist, bringt nämlich die Meldung, der neue Director des Bundes, der Abgeordnete Or. Hahn, habe es in einer Rede in Friesack direct für einen Fehler erklärt, daß der Bund die conser- vativen Candidaten bevorzugt habe. Dazu bemerkt die „Kreuzzeitung": „Sollte sich der Abgeordnete vr. Hahn wirklich so ausgcdrückt haben, so hätte die conservative Partei mit einer Aende- rung der bisherigen Taktik des Bundes der Land- wirt he zu rechnen." Wenn man bedenkt, daß die Taktik des Bundes der Land wirthe in erster Reihe Herr v. Ploetz, Mitglied der conser- valiven Fractionen des Reichstags und Les preußischen Ab geordnetenhauses und häufig Wortführer der Eonservativcn in beiden parlamentarischen Körperschaften, bestimmt, so be greift man die Empfindungen, die sich der „Kreuzztg." bei dem Gedanken bemächtigen müssen, die conservative Partei werde mit einer aus ihren eignen Reihen heraus bewirkten oder wenigstens beabsichtigten Aenderung der bisherigen Taktik des Bundes zu rechnen haben. Um so unbegreiflicher wird der Fanatismus, mit dem die Kreuzzeitungspotiliker gegen die Gemäßigtliberaten zu Felde ziehen. Das Scheitern der Verhandlungen zwischen branden burgischen Laudtvirthcn und Berliner ProSnctenhänd- lern hat die Berliner agrarische Presse mächtig erregt, namentlich die „Kreuzztg." Dieses Blatt bezeichnet etwaiges weiteres Verhandeln als ein Verbrechen gegen die Landwirth- schaft und giebt die Parole aus: „Feste um sich bauen." Es will uns aber nicht klar werden, ob die „Kreuzztg." die laute Sprache führt aus Muth, oder um sich Muth zu machen. Sie nennt von den Schritten, die nun zu thuu wären, zuerst ein Vorgehen gegen den Berliner Früh- markt. Seine Thätigkcit sei „behördlich unter die Lupe zu nehmen" und es seien „ungesäumt die entsprechenden Maß nahmen zu treffen". Die „Kreuzztg." muß also hoffen, die Besichtigung mit der Lupe werde zeigen, daß der Früh markt einen börsenmäßigen Charakter habe. Behält das Blatt Recht, so darf die Regierung, nachdem sie den Feen palast geschlossen, mit dem Erlaß einer Börsenordnung für diesen Markt nicht säumen und muß mit der Auf hebung Vorgehen, falls der Frühmarkl sich nicht fügt. Ist der Markt eine Börse, so verlangt das Gesetz ein Einschreiten. Die Regierung könnte nur im Interesse der Landwirthschaft zögern, und nun kommt es darauf an, zu prüfen, ob die „Kreuzztg.", die Presse des Bundes der Dienstag den 13. Juli 1897. 81. Jahrgang. Landwirthe und die „StaatSbürgerztg." in der Thai die Wünsche und wohlverstandenen Interessen der Landwirthschaft vertreten, wenn sie die Beseitigung des einzigen Berliner Getreidemarktes fordern. Die gleiche Erwägung hat Platz zu greifen gegenüber dem weiteren Verlangen der „Kreuz zeitung" nach behördlicher Einführung von Sonder märkten für Getreide und Fourage Die „Kreuz zeitung" selbst verhehlt sich nicht, daß auf diesen Märkten „zu Anfang die Anzahl der Verkäufer über wiegen dürste", was allerdings in der Zeit nach der Ernte eine recht bedenkliche Sache wäre — wegen der Preisbildung. In der That würde diese Maßregel nur durchführbar sein, wenn sich zugleich die Zufuhr von Mehl oder Getreide local oder provinziell begrenzen ließe. Wenn nun aber die Besitzer mittlerer Mühlen in der Provinz mit den Grundbesitzern zu vereinbarten Preisen abschließen und dann wieder den Bäckern ihres Bezirkes im Verhältniß zu diesen Preisen das Mehl abgeben, so wird diese Preisbildung sofort hinfällig gemacht, sobald die großen Mühlen, die mit den Getreidehändlern in Verbindung stehen, Mehl zu billigeren Preisen nach der Provinz werfen. Das wird kaum unterbleiben; denn daß die Getreidcbändlcr sowobl aus materiellen Gründen, wie aus dem Hasse, der durch diesen ganzen Kampf gesteigert worden ist, Alles daran setzen werden, schließlich den Siez zu erringen, darauf kann man sich verlassen. Und sie haben den meisten Vortheil, da auf ihrer Seite die Macht deö Capitals steht. Die Wohlhabenderen unter ihnen können es jahre lang aushalten, nichts zu verdienen, und für die minder wohlhabenden ist bekanntlich schon ein „Streikfonds" aufge bracht worden, der sicherlich gegebenen Falls erhöht, bezw. ergänzt werden würde. Der Landwirth aber, der bald nach der Ernte Geld braucht, wird es kaum abwarten können, bis die Sondermärkte gebildet sind, und wird vollends verloren sein, falls die Sondcrmärkle sich als ein Fehlschlag Heraus stellen. Was die „Kreuzztg." sonst vorschlägt, liegt auf dem Gebiete der Selbsthilfe, die aber in der nächsten Zeit wohl auch nickt sehr viel wird leisten können, am wenigsten, wenn eine veränderte Taktik des Bundes der Landwirthe gegen die Conservative» diese nöthigt, auch ihrerseits die Taktik gegen den Bund zu ändern. Der Protest des Herrn Bergraths Krabler, des zweiten Vorsitzenden deS Vereins für die bergbaulichen Interessen im Oberdergamtsbezirk Dortmund, gegen die Behauptung, daß „der gesammte Bergbau" die Annahme der Beschlüsse des preußischen Herrenhauses zur Vercinsgcsclznovcllc wünsche, hat bewirkt, daß jene Behauptung jetzt sogar auf Veranlassung des ersten Vorsitzenden» dem sie zugesckriebeu worden, desavouirt wird. Ein Dortmunder Blatt, welches sich nach Kräften bemüht bat, der Düsseldorfer Kundgebung für die Herrenhausbeschlüsse eine Bedeutung beizulcgen, die ihr nicht zukommt, schreibt in Folge der Krabler'schen Erklärung: „Wir sind in der Lage, mittheilen zu können, daß der ersle Vor sitzende den ihm bekannten Urheber der Berliner Meldung bereits vor dem Erscheinen der Krabler'schen Berichtigung aus die in der betr. Stelle enthaltene Unrichtigkeit aufmerksam gemacht hat. Der erste Vorsitzende war nicht als solcher in der Versammlung, sondern als Vorsitzender des Direktoriums der Firma Krupp; auch hat sich der Vorstand des Bergbau-Vereins mit der Frage bisher nicht befaßt. Die unterstellte Erklärung konnte daher weder abgegeben werden, noch ist sie abgegeben worden. I Der erste Vorsitzende des Bergbau-Vereins war weit entfernt,! die Behauptung aufzustellen, daß der ganze Kohlenbergbau geschlossen ! dem Vereinsgesetz zustimme, wenngleich er Grund hatte znr An nahme, daß maßgebende Personen im Bergbau seinen Wunsch aus Annahme des Gesetzes theilen." DaS mag Wohl sein; aber jedenfalls beweist die vor stehende Auslassung, daß die angebliche „Kundgebung der rheinisch-westfälischen Industrie" nichts weiter war, als die Meinungsäußerung einer nicht besonders großen Anzahl zur rheinisch-westfälischen Industrie gehöriger Personen, bei denen es überdies sehr fraglich ist, ob sie mehr im Interesse ihrer Industrie, als in dem ihrer freiconservativen und conser- vativen Freunde sich geäußert haben. Jedenfalls würden sie von ihrer Voreingenommenheit für die Herrenhausfassung der Vcrcinsgesetznovelle sehr bald geheilt werden, wenn diese angenommen würde. Denn sckon nach kurzer Zeit würde sich Herausstellen, daß ein solches Gesetz, das die social demokratische und anarchistische Hetzpresse nicht trifft und nicht treffen kann, ein Schlag ins Wasser wäre, der dieses erst recht ausrühren müßte. Man ist zwar in dem nun seit länger als zwei Jahren wülhenden Kampfe zwischen den Tpanicrn und den Culinncrn daran gewöhnt, daß den spanischen Siegesmeldungen wenig zu trauen ist, aber in der letzten Zeit ist den Nachrichten von spanischen Siegen die sie in das Gegentheil verwan delnde Dementirung regelmäßig mit einer unheimlichen Schnelligkeit erfolgt. Vor einigen Wochen wurde gemeldet, General Weyler sei aus Havannah abgereist, um die letzten Reste der Aufständischen zu vernichten, bald darauf aber erfuhr man, daß die Aufständischen bis dicht in die Nähe der Hauptstadt vorzudringen wagten. Vor einigen Tagen wurde wiederum gemeldet, daß die Spanier große Vvrtheile errungen hätten. Die Aufständiscken hätten eine große Anzahl von Todten und Verwundeten, sowie von Gefangenen verloren; darunter befänden sich auch mehrere hervorragende Führer. Nu» aber dringen wiederum Meldungen in die Oeffentlichkeit, nach denen cs um die Spanier recht schlecht steht. Von dem ganzen Bündel von Hiobspostcn, das durch den „Heraldo de Madrid" veröffentlicht wird, ist vielleicht am bedenklichsten die Mel dung, Laß LebenSmittel knapp würden, weil die Lieferanten nicht bezahlt würden. Der vor 200 Jahren getbane Aus spruch Mvntecuccolis', daß zum Kriegführen Geld, Geld und wiederum Geld gehöre, bat noch heute seine Richtigkeit. Nun ist es Canovas del Castillo zwei Jahre hindurch mit bewun- dernswertber Kunst gelungen, die Mittel für die Kriegführung zu beschaffen, aber in den letzten Monaten bereits mußte die spanische Regierung zu schlimmen Mitteln greifen. So er hielten die armen Invaliden, die von Wunden und Fieber geschwächt in die Heimath zurückkehren mußten, bei der Abfahrt aus Cuba ihren rückständigen Sold nicht in baarem Gelde, sondern in Assignaten ausgezahlt, für die in Spanien kein Mensch einen Pfennig geben mochte. Die armen Teufel wären verhungert, wenn sich nickt die spanische Presse ihrer energisch angenommen und die Negierung zur Bezahlung der Assignaten gezwungen hätte. Keine Löhnung und keine Lebens mittel, dafür aber das Fieber und die stete Gefahr vor Uebcr- fällen: wenn unter solchen Umständen die spanischen Truppen auf Cuba demoralisirt werden, so kann man sich nicht darüber wundern. Ein Fünftel der spanischen Truppen in Cuba liegt bereits in den Spitälern, und dabei hat die sieberbringende Regenzeit kaum erst begonnen. Berücksichtigt man, in wie verzweifelter Lage die Spanier sich auch ohne das Eingreifen der Vereinigten Staaten auf Cuba befinden, so hat man vielleicht den Schlüssel dafür, daß die Vereinigten Staaten nock immer keinen entscheidenden Schritt thun, obwohl ihnen an Cuba sicherlich viel mehr liegt, als an Hawaii, und ob wohl die Besitzergreifung von Cuba ihnen kaum größere Schwierigkeiten veranlassen dürfte. Je mehr sich die Spanier auf Cuba verbluten, desto geringere Opfer an Menschen und Geld brauchen die Vereinigten Staaten zu bringen, wenn sie schließlich die Hand nach der Insel auSstrecken. Da die Tabaks- und Zuckerpflanzungen zu etwa sechs Siebenteln bereits zerstört sind, so kann die wirthschaftliche Lage bei einer längeren Fortdauer des Krieges kaum noch schlimmer werden, als sie jetzt ist. Die Furcht davor, die Insel in ruinirtem Zustande zu überkommen, braucht also die Amerikaner nicht zu sofortigem Eingreifen zu ver anlassen, da der Ruin bereits vorhanden ist. Möglicherweise wird das Eingreifen der Vereinigten Staaten überhaupt überflüssig. Denn es ist kaum abzusehen, wie die Aus sichten sich für Spanien günstiger stellen sollen. Die Be schaffung von Geld zur Besoldung der Truppen und der Ersatz für den Ausfall bei den Truppen wird natur gemäß immer schwieriger. Selbst wenn im Herbst 20 000 Mann nach Cuba abgehen, so wird damit nock kaum der Efsectivbestand erreicht, der im vergangenen Wmter zu Operationszwecken vorhanden war. Es ist also keine größere Aussicht als damals vorhanden, die Aufständischen durch Truppenmacht niederzuwerfen. Wohl könnten sich Optimisten unter den Spaniern darauf be rufen, daß auch die vorige Revolution auf Cuba erst nach zehnjährigem Kampfe beendet wurde, aber es ist doch ein Unterschied vorhanden. Denn damals waren die Spanier durch den gleichzeitig in Spanien wüthenden Carlistenkrieg an der vollen Entfaltung ihrer Kräfte behindert; nach der Beendigung deS Krieges in Spanien selbst wurde auch der cubanische Aufstand verhältnißmäßig rasch niedergeworfen. Diesmal aber herrscht volle Ruhe in Spanien, und der Aus stand ist, obwohl nun bereits seit einem Jahre ein so zahl reiches Heer auf Cuba ist, wie es Spanien Wohl kaum je aufgebracht hat, nock keineswegs niedergeworfen. Kein Wunder, daß die Aufständischen guten MutheS sind. Der verbotene Volks tag von Eger scheint in Lester- reich der Ausgangspunkt einer großen nationalen Be wegung zu werden, und es ist dabei von Bedeutung, daß der deutsche Volkstag von Klagenfurt und die Versamm lung deutsch-böhmischer Großgrundbesitzer in Wien zeitlich damit zusammenfällt. Das Verbot deS VolkstagS führte in Eger zu Scenen, die beinahe revolutionair waren, die man durchaus nicht billigen kann, die aber die Entschuldigung und Begründung für sich haben, daß das deutsche Volksthum aufs Aeußerste durch die Maßnahmen der Regierung verletzt war. Am Vormittag aber muß eS ein erbebender und begeisternder Anblick gewesen sein, als die deutschen Abgeordneten aller Parteien an der Spitze von mehreren tausend Bürgern, von lautem Jubel begrüßt, mit Blumen überschüttet, durch die Stadt zogen und vor dem Schieß bause noch einmal den Versuch machten, die Bewilligung zur Abhaltung des VolkStages zu bekommen. Als ihnen diese Erlaubnis nicht ertheilt wurde, gingen sie nach alter Sitte ins Stadthaus von Eger. Im Hofe dieses Stadt hauses spielte sich eine Scene ab, so feierlich und großartig, daß ihre Schilderung überall die Herzen ergreifen wird, wo Deutsche wohnen. Der Abgeordnete Funke, wahrlich kein jugendlicher Brausekopf, sondern ein Mann in vor- Feuilleton Nanny Trauner. I8j Roman von C. Schroeder. Nachdruck verboten. „Sind Sie mit mir zufrieden?" fragte er. Sie nickte eifrig bejahend. „DaS mußte ich doch erst wissen", sagte er, „und ohne Abschied wollte ich auch nicht gern fort, deshalb wartete ich hier ein Weilchen, bis Sie kamen. Und nun —" er griff nach ihrer Hand und umschloß sie mit festem, fast krampf- haftem Druck — „leben Sie wohl, meine gütige Pflegerin, mein Engel der Barmherzigkeit, mein —" Er brach ab und sie erhob ganz erschreckt die Lider. Seine Stimme batte so verändert geklungen, so erregt, so unsicher auf einmal und jetzt — was war daS für ein Blick, mit dem er sie ansah? Ein langer, ernster Blick — mehr als ernst! — ein Blick, der die Trauer malte, den Sckmerz, den tiefsten Seelenschmerz und der trotzdem — trotzdem etwas wie Jubel in ihr weckte! — Jubel? Oh nicht dock, daS Herz zog sich ihr ja zusammen, die Thränen wollten ihr ja in die Äugen! Nun hatte er ibre Hand fallen lassen! Nun war er gegangen. Sie aber stand noch, mit ihren Tbränen kämpfend, und dachte an jenen Blick und was er Wohl gefühlt haben mochte dabei. Sicher wieder das Nirgendhingebören auf der Welt, von dem er gesprochen hatte, das völlige Alleinsteben unter den Menschen. Der Arme, — der Unglücklichei Wie leid — wie furchtbar leid er ihr that! Und ihm da« nicht zeigen zu können, in keiner Weise zeigen zu — halt! hatte sie ihm nickt Blumen geben wollen? Die pflückte sie jetzt sogleich und schickte sie ihm durch die Christi! Diesem Entschlüsse folgend, setzte Nanny ihren Korb aus den Tisch im Hausflur nieder und eilte hinaus an das Asternbeet. Der Oberförster, der nunmehr einsam auf der Bank unter der Linde seine Pfeife rauchte, sah dem eifrigen Han- tiren seiner Nichte eine Weile lächelnd zu. Dann ries er neckend hinüber: „Lass' auch ein paar Blümchen für morgen übrig!" .Ja, Onkel," nickte sie und pflückte unbeirrt weiter. „Wer soll den Riesenbusch eigentlich haben?" erkundigte er sich wieder nach einer Weile. „Der Herr Professor!" „Ha ha ha! Es lohnt sich auch der Mühe, dem Blumen zu pflücken!" „Er machte sich viel daraus, Onkel, besonders aus Astern!" „Aber aus Dir, Kleine, macht er sich gar nichts. Eine regelrechte Antipathie — ha ha ha! — habe mich davon überzeugt heute Nachmittag. That ihm im Genick Weh, wenn er den Kopf nach Dir hindreben mußte; vermied es, wo er nur konnte. Und hernach, als Du fort warst — ha ha ba ha! —" Nanny kniete noch immer vor dem Asternbeet, aber sie regte die fleißigen Hände nicht mehr, sondern hielt sie krampf haft um den Strauß in ihrem Schooß gefaltet. Was der Onkel da sagte, war, was sie selbst längst wußte, waS sie sich und ihm ein dutzend Mal wiederholt batte. Warum traf eS denn auf einmal wie Messerstiche? Warum bäumte sich ihr ganzes Innere dagegen auf, brannte eS ihr in der Zungen spitze, die Wahrheit als Lüge zu bezeichnen? „Als Du nämlich fort warst, Kleine", Hub der Ober förster, nachdem er sich ausgelackt, wieder an, „schlug er mir vor, mein Bild zu malen. Hm! Was sagst Tu dazu? Dein alter Onkel von Meisterhand portraitirt! Nickt übel — WaS?" „Du gingst darauf ein, Onkel?" murmelte Nanny. „Wollt' mich hüten! Stundenlang stocksteif sitzen und in eine Ecke glotzen — daS ist mir meine Fratze denn doch nickt Werth. Nein, ich erklärte mich nur sehr geschmeichelt und meinte, mit so alten Kerls wie ich sei wenig Ebre einzu legen; an die jungen, hübschen Mädchen sollte er sich halten. Ich hätte da — er wüßte e« wohl auch — eine kleine aller liebste Nichte —" „Onkel!" Da« klang fast wie ein Jammerschrei. „War ja bloß Sckerz, Kleine! Wollte ihn ein bischen auf dir Probe stellen. Kam denn auch genau, wie ich erwartet hatte. Herr Professor Flemming zog ein lange-, ernste« Ge sicht, bedauerte, daß DamenportraitS durchaus seine Spe- cialität nicht seien, befürchtete, daß eS ihm deshalb kaum gelingen werde, Deinem Lärvchen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen u. s. w. u. s. w. Kurz und gut — gemalt wird nicht und wenn ich an Deiner Stelle wäre, so bedielte ich meine Blumen selber oder schenkte sie Einem, der sie besser zu würdigen verstände. Fische, die einmal nicht anbeißen wollen —", hier lächelte der Oberförster und blinzelte schlau — reizt auch der schönste Köder nicht." So war er nun, der Alte. Die väterlich innige Zuneigung, die ihm seine Nichte einflößte, machte sich mit Vorliebe in Neckereien Lust, die zu Zeiten in wenig geschmackvolle Späße ausarteten. Nanny pflegte die Neckereien läckelnd hinzu nehmen und die Späße zu überhören. „Er ist ja so gut und kennt mich, wie ich ihn kenne" — in diesem Gedanken blieb sie seelenruhig. Jetzt auf einmal aber war eS ihr, als kenne er sie gar nicht, als traue er ihr Ungeheuerliches zu. „Anbeißen — Köder —" die gräßlichen Worte trafen sie wie Peitschenhiebe in s Gesicht. Sie flog in die Höhe, sie stand vor ihm mit glühenden Wangen und flammenden Augen. „Onkel", stieß sie außer sich hervor, „wie darfst Du eS ausjprcchen — wie darfst Du eS glauben? Ich — ick un bedeutendes Geschöpf mich so hoch versteigen? O mein Gott! Tu weißt doch, daß er ein Künstler ist — einer, den die Welt mit Ehrfurcht nennt, aber Dir — Dir ist gar nichts heilig! Du —" Zorniges Schluckzen hinderte sie am Weitersprechen. Sie schleuderte ihm mit leidenschaftlicher Geberde die Blumen vor die Füße, schlug die Hände vor daS Gesicht und stürzte davon. Förmlich betäubt blieb der Oberförster zurück. Er faßte sich an die Stirn, er sah sich um mit blöde fragenden Augen. War das noch sein eigener Garten — dies hier sein eigener Tisch, seine eigene Dank? Na, dann muffle die junge Furie, die eben vor ihm gestanden hatte, wobl auch seine eigene Nichte gewesen sein. Nanny, die sanfte Nanny, cS war fast zum Lachen und doch — Jawobl, eS war zum Lacken, zum Todtlachen! So ein albernes Ting! WaS batte er denn gethan in aller Welt? Einen dummen Witz losgelassen; weiter doch nicht«! War sie daS etwa nickt gewohnt von ihm? Pflegte er sich vielleicht zimperlich auszudrücken, wenn eS sich um den jungen Doctor, des Verwalter« Ferdinand und alle die übrigen schmachtenden Anbeter handelte? Hm! DaS waren am Ende lauter Fische, die anbeißcn wollten, die keinen Köder nöthig hatten. Köder? Dahinter steckte es gewiß! Köder, ein etwa« derbes Wort freilich! Aber daS gleich so übel zu nehmen! Wußte sie denn nicht, wie er es meinte? Glaubte sie denn im Ernste, er halte sie der Koketterie für fähig — der Koketterie mit dem Maulwurf — ha ha ba? Kleine Thörin! Lag ja aus der Hand, daß sie sich nichts aus ihm machte. Nahm ja Reißaus, wo er sich zeigte — der Künstler, den die Welt mit Ehrfurcht nannte! Ver- theidigte ihn natürlich nur aus Gerechtigkeitsgefühl gegen Leute, denen gar nichts heilig war — Hm! Daß ihm (dem Oberförster) die Malkunst übertriebenen Respect einflöße, konnte er nicht behaupten — verstand eben blitzwenig davon — aber daß ihm gar nichts heilig sein sollte, gar nichts — Na, man dürfte am Ende ihre Worte nickt auf die Gold waage legen, hatte er es ja — leider Gottes — mit den eigenen auch nicht gethan. Köder — Köder? Verdammt häßlicher Ausdruck! Alter Grobian, der er war! Schämen mußte er sich! Die Thränen waren dem armen Ding über die Wangen gelaufen, als es seine Blumen dahingeworfen, seine LieblingSblumcn, die eS selbst gepflanzt, gehegt und ge pflegt hatte! Sehr stattlich und rüstig erschien er ja noch für seine Jahre, der Herr Oberförster, aber wiederholte rheumatische Anfälle hatten ihm die Gelenke ein biscken gesteift. Knie beugungen waren deshalb eigentlich seine Sacke nickt, nun aber plötzlich entschloß er sich doch zu einer solchen. Sich mit der Linken an die Tischplatte klammernd, ließ er sich unter Aechzen und Stöhnen bis in den Staub deS Weges nieder und griff mit der Rechten so viele von den verstreuten Astern zusammen, wie er erreichen konnte. Als er dann mühsam wieder in die Höbe getaumelt und ein unangenehmes Flimmern vor den Augen und Brausen in den Ohren glücklich loS- geworden war, stampfte er — die Blumen zum größten Theil stielaufwärtS in die Faust geklemmt — dem Hanse zu. Behutsam auftretend, damit der Küchendrache nichts merkte, schlich er sich über den Flur bi« an seiner Nichte Kammcrthür. Erst kaum vernehmbar, dann — als drinnen alle« still blieb — klopfte er ein klein bischen lauter an. „Wer ist da?" klang es matt herau«. „Ick, Kleine! Mach auf!" „Ich kann nicht, Onkel!" war die Entgegnung, der ein leises Schluchzen folgte. „Komm, sei vernünftig! Sieh, ich habe Dir auch Deine Blumen gebracht". „Die nimm nur wieder mit, Onkel!" „Nanny!" „Um Gotteswillen, nimm sie wieder mit, Onkel und bitte — bitte, lass' mich allein!" Einen Moment stand der Alte noch mit einem gequälten
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