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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.07.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970719029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897071902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897071902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-19
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Größere Schriften laut uuserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und gisfernsatz »ach höherem Taris. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit de» Morgen «Ausgabe, ohne Postbrsbrderunz, ^l 60.—, mit Postbesörderuug 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abeud«?lu»gabe: vormittags 10 Uhr. vtorge n.Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eia* halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Hxpeditio« zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig Montag den 19. Juli 1897. 383. Die Solinger Rede. L Wenn e» Herrn l)r. von Miquel darum zu thun war, Gewißheit darüber zu verbreiten, daß die Kunst deS Herrn vr. von Boetticher, die Zuhörer zu fesseln, ohne ihnen etwas Faßbares zu sagen, auch dem nun mehrigen Vicepräsidenten deS preußischen Staatsministeriums nicht fremd sei, so konnte er nichts Zweckmäßigeres tdun, als seine Solinger Rede halten. Aber diese Absickl wäre nicht ver ständlich. Einmal genießt der preußische Finanzminister schon bisher, namentlich seit seiner Rede über den russischen Handelsvertrag, nach dieser Richtung den Ruf eines unüber troffenen und von seinem Vorgänger im Vicepräsidium nickt ein mal erreichten rednerischen PrestibiaitateurS. Dann aber ist das Bedürfniß nach parlamentarischenDiplomaten in der Negierung bei der Bevölkerung gar nicht vorhanden und wir fürchten, Herr v. Miquel hört auf, seine Zeit zu verstehen, wenn er glaub», von Ast zu Ast hüpfend und nach jeder Seite ein an sprechendes Lied zwitschernd, eine befriedigt lauschende Ge meinde um sich zu versammeln. Diese Methode gewinnt vielmehr nachgerade die Eignung, in den patriotisch besorgten Kreisen Unwillen zu erregen. Wir leiden unter einer Verworrenheit unserer politischen Zustände, die gewiß mehr als eine Ursache hat, und Keiner von uns wird sich vermessen, den Pnnct zu bestimmen, von dein aus Alles ins Licht gesetzt werden könnte. Aber eS ist nicht die Art, Männer zu beruhigen, wenn man durch Feuerwerkerkünste um dunkles Gewölk einen rosigen Schein zaubert. Und wer sich doch der optischen Täuschung gefangen giebt, der wird durch die unausbleibliche Enttäuschung nicht besserer Stimmung werden. Herr v. Miquel vermeinte die Schwierigkeiten der innern Lage zu verhüllen, indem er eine Rede hielt, in die Jeder ihm Willkommenes hineinlegen kann. Er hat in Solingen der Landwirthschast, der Industrie, dem Mittelstand und auch dem Handel Wechsel ausgestellt, die keine Valuta enthalten. Die Agitatoren werden die Papiere nach ihren Bedürfnissen aussüllen und bei der Präsen tation wird Herr v. Miquel durch seine Revegabe vielleicht noch ein paarmal Verlängerungen erwirken, schließlich muß er sich aber zahlungsunfähig erklären. Man sagt, eS seien unanfechtbare Wahrheiten, Gemeinplätze, die in Solingen ausgesprochen worden sind. Jawohl, aber sie sind von einem in neue, leitende Stellung gelangten Minister ausgesprochen worden und zwar säst unmittelbar nach einer Rede des Monarchen, die zwar ein faßbares Programm auch nicht enthält und Wohl auch nicht enthalten sollte, die von der Demagogie aber als der Markstein einer neuen Aera gefeiert worden ist. Zn dieser zeitlichen Aufeinanderfolge liegt das Gefährliche der Miquel'schen Kundgebung. Sie wird im Lande für die Declaration des „Bielefelder Programms", die aus ihr berauSgelesenen Verheißungen werden als Verheißungen Les Monarchen ausgegeben werden, und wenn dann Land- wirthschaft und gewerblicher Mittelstand nicht erhalten, was ihnen von den Agitatoren als in der Solinger Rede verbrieft gezeigt werden wird — und daö kann ihnen kein Gott geben —, und wenn von Industrie und Handel größere Opfer für die anderen Stände, als cö nach den für sie gesprochenen Sätzen Miquel'S schien, gefordert werden müssen, dann erscheint die Krone wieder engagirt, wie sie infolge der Erlasse vom 4. Februar 1890 engagirt schien, lind daß diese Erlaste nicht dem Frieden im Lande, sondern dem Unfrieden gedient, die große Wirkung einer opferreichen Socialpolitik abgeschwächt anstatt verstärkt haben, darüber hat sich doch nahezu Uebereinstimmung herausgebildet. Herr v. Miquel konnte sich nickt verhehlen, daß die Um stände seiner Rede eine über das Maß unverbindlicher wohl wollender Redewendungen hinausreichende Bedeutung beilegen würden, und diese seine Einsicht mußte ihm verbieten, einen Satz wie den auszuspreckcn: die landwirthschaftlichen Distrikte Härten wenig Aussicht, durch eigene Kraft in ihrer schwierigen Lage Wandel zu schaffen, ohne Be stimmung des Grades der Hilflosigkeit und ohne Bezeichnung der Art der möglichen staatlichen Hilfe. So, wie seine Worte ins Land gegangen sind, laßt sich jeder Anspruch auf sie gründen. Die in zwischen erhobene Forderung des Bundes der Landwirthe, die Einfuhr aller ausländischen Brovfrucht auf ein halbes Jahr zu verbieten, wird Herrn v. Miquel belehrt haben, daß die extremen Agrarier durch seine Berufung zum Nach folger des Herrn v. Boetticher in Preußen nicht anspruchsloser geworden sind. Die agrarische Presse bringt eS auch fertig, in den so bunten Strauß der Solinger Rede noch ein Blümchen zu binden, das der Finanzminister selbst gar nicht gepflückt Hal. Sie läßt ihn vomMittelstande u u d der Landwirlh- sckafl als den gewerblichen Kreisen reden, die,weil unter besonderer Ungunst der Zeiten leidend, vor Allem auf staatliche Fürsorge angewiesen seien. Herr v. Miquel hat aber die Landwirth- sckaft nickt neben den Mittelstand, sondern, was auch Len Verhältnissen entspricht, in den Mittelstand hinein versetzt. Er sagte: „Eine objektive und gerechte Beurtheilung wird nicht leugnen, daß heute die Mittelklassen in Stadt und Land, daß vor Allem die landwirthschafttreibende Bevölkerung zu letzteren (den besonders leidenden) gehören." Die Federn deS Herrn v. Ploetz aber lassen mit anerkennens- werther Geistesgegenwart den Finanzminister die Landwirth- schaft auS dem Mittelstände berausbeben, damit der Groß grundbesitz des OstenS unter den besonderer staatlicher Fürsorge und besonderer Opfer der anderen Stände bedürftigen Classen figuriren könne. Dieses Tasckeuspieler- kunststück giebt einen Vorgeschmack von dem, wozu diese Rede gebraucht werden wird. Wenn im Eingänge dieser Betrachtung im Hinblick auf die allzu geschickte Gruppirung wirthschaftspolitischer Selbstverständlichkeiten in der Solinger Kundgebung aus gesprochen werden mußte, Herr v. Miquel beginne daS Ver- ständniß für seine Zeit zu verlieren, so sehen wir unS in dieser Befürchtung bestärkt durch daS, waS der sonst so scharf beobachtende Politiker über die politische Stim mung im Laude bemerkt hat. Er irrt in dem Glauben, daß die Aeltercn, die noch die Zeil vor Aufrichtung des Reiches geseben, mit Vertrauen in die Zukunft blicken. Diese fühlen sich vielmehr noch bedrückter, als die Jüngeren, die nickt auS eigener Erfahrung die Zu stände kennen, in die uns die herrschende Zersetzungspolitik zurückzuwerfen droht. Herr v. Miquel möge sich einmal auf eine Woche in die bayerische Pfalz begeben, deren Bevölke rung er in vieljähriger enger Berührung als eine unüber troffen reichstreue und zugleich als dem Pessimismus wenig zugängliche kennen gelernt hat. Er würde eS dort verlernen, zu sagen, wir Deutscken sähen „nur mit Stolz und innerer Freude" auf die Entwickelung des letzten Jahrzehnts zurück. Diese» Wort ist fünf Jahre zu spät gesprochen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 19. Juli. Die vom Vorstande des Bundes der Landwirthe beim Reichskanzler erhobene Forderung, „ein sofortiges Ein fuhrverbot gegen ansländischcs Brovgetrci-e zunächst für die Dauer von sechs Monaten zu erlassen", geht, kurz gesagt, von der Anschuldigung aus, der Handel habe das deutsche Getreide boycottirt. Klipp und klar wird Liese Anschuldigung in folgenden Sätzen erhoben: .... Hierzu hat sich in neuester Zeit offenbar das in seiner Wirkung direct auf die Landwirthe berechnete Bestreben gesellt, die Verwerthung deS inländischen Getreides zu erschweren, ja diese Verwerthung, wenn möglich, überhaupt zu verhindern. Man scheint entschlossen, die alten Verbindungen, den Mangel der erforderlichen neuen Organisation und vor Allem die Macht des Capitals gegen das wirlhschaflliche Interesse der Landwirthschast und dadurch auch des deutschen Volkes wirken zu lassen. Daß der Versuch nach dieser Richtung gemacht wird, zeigen zunächst zahl reiche Mittheilungen auS den Kreisen unserer Bundesmitglieder. Für die außerordentlich großen Vorräthe, die nothwendiger Weise nach Obigem noch heute bei den Producenten lagern, wird in neuerer Zeit vielfach vergeblich Absatz gesucht. Wäre eine solche Boycottirung erfolgt oder im Werke, so würden die Regierungen selbstverständlich zu entschiedenen Gegenmaßregeln zu schreiten haben und sich dabei von der öffentlichen Meinung durch eine Empörung über die Schul digen, die dauernde nacktheilige Folgen für diese nach sich ziehen könnte, unterstützt sehen. Indessen die Herren v. Ploetz, I)r. Rösicke und Dr. Hahn, die den Antrag unterzeichnet haben, sind weder Autoritäten auf dem Gebiete des Getreide handels, »och auch sonst so vertrauenswürdige Persönlich keiten, daß man ihnen aufs Wort glauben könnte und müßte. Dem Reichskanzler liegt eS ob, ihren ziemlich spärlichen Angaben und ihren Schlußfolgerungen nackzugehen. Sie stützen die Behauptung, daß man entschlossen scheine, „die alten Verbindungen, den Mangel der erforderlichen neuen Organisation und vor Allem die Macht des Capitals gegen das wirthschaftliche Interesse der Landwirthschast und dadurch auch deS deutschen Volker wirken zu lassen", zunächst auf „zahlreiche Mittheilungen auS den Kreisen unsrer Bundes mitglieder". So lange man aber diese Mitglieder nicht kennt und daher nicht prüfen kann, ob ihre Mittheilungen nicht soufflirt sind, hat dieser Hinweis nicht den geringsten Werth. Wenn für die Vorräthe, „die noch bei den Produ centen lagern, in neuerer Zeit viefach vergeblich Absatz gesucht wird", so genügen einige Citate auö der „Voss. Ztg." und der „Franks. Zlg.", die sich ja allerdings wie Aufforde rungen zum Boykott anhören, noch keineswegs, um dar- znthun, daß die Händler, die Geld verdienen wollen, sei es an inländischem, sei eS an ausländischem Getreide, den Verruf der deutschen Waare ins Auge gefaßt haben. Im Gegentheile ist cs glaublich, wenn von anderer Seite gesagt wird, daß der Mangel an Preisnotirungeu den Einkauf er schwere. WaS die Petition dagegen vorbringt, ist zunächst nicht überzeugend, immerhin bedarf es einer genaueren Unter suchung der von den Petenten uachgewiesenen Erscheinung, daß gegenüber einer beträchtlichen „Aufnahmefähigkeit deS Berliner Handels und bei den noch vorhandenen großen Be ständen der Producenten im Jnlande dock einerseits der Verkauf deS inländischen Getreides schon jetzt auf wesent liche Schwierigkeiten stößt, während andererseits — wie 81. Jahrgang. die Transportberichte erweisen — ein flotter Import auS dem Auslande stattsindet". So lange aber die Voraus setzungen der Petenten in der Luft schweben, hat es keinen Zweck, sich gegen eine Verfebmung deS heimischen Ge treides überhaupt und über den Antrag auf sechsmonatige Grenzsperre insbesondere zu äußern. Ob ein Boycott zu den „schwerwiegenden Gründen" zählen kann, aus denen die Handelsverträge vollständige Einfuhrverbote zulasten, ist eine schwer zu entscheidende Frage. Wären der deutsche Bundes rath und der Reichstag etwa geneigt, diese Frage zu be jahen, so würde sie von den anderen Vertragsländern jeden falls verneint werden. Diese würden erklären, der deut schen Reicksregierung blieben noch andere Mittel als ein Ein fuhrverbot übrig, um dem deutschen Handel die Boycottirung deS deutschen Getreides zu verleiten. Die Kundgebung fast der gesammten deutschen Universitätsprofessoren zu Gunsten der bedrängten Tcntschcn i» Oesterreich ha: den Beifall der „Germania" ebensowenig gefunden, wie den der „Kreuzztg." Während diese Len Unterzeichnern das Erstaunen der Wiener Regierung in erschreckende Aussicht stellt, zieht daS ultramontane Organ in Zweifel, daß die Professoren ein Recht dazu gehabt haben, ihrer Ueberzeugung in der von ihnen gewählten Form Ausdruck zu geben. Merkwürdig! Den deutschen Katholikentagen schreibt die „Germania" das Recht zu, die ohne kriezerijche Verwickelungen unmögliche Wiederherstellung der weltlicken Macht LcS Papstthums zu verlangen, und den deutschen Professoren möchte sic das Recht aberkennen, ihre Prager College» durch Sympathiebeweise zum AuSharren in einem mit gesetzlichen Mitteln geführten Kampfe gegen will kürliche Bedrückung anzufeuern! Freilich vermag die „Ger mania" von einer Bedrückung nichts zu sehen, viel weniger von Willkür. Dasselbe Blatt, das in jeder Maßregel der preußischen Regierung zum Schutze des DeutschthumS in den polnischen Provinzen gegen polnische Ueberfluthung eine brutale Vergewaltigung deS PolenthumS erblickt, urtheilt über die Sprachenverordnungen des Grasen Badeni folgender maßen: „Es handelt sich doch nur um die zwei Millionen Deutscher in Böhmen, und «uch diesen wird keineswegs zugemuthet, ihr deutsches Volksthum preiszugrben. Nie und nimmermehr I Dieselben sollen nur neben der deutschen Sprache auch die tsche- chische lernen (!I), wenn sie in öffentlichen Aemtern verwendet werden wollen. Ist das eine Bedrohung des deutschen Volks- thums? Das faste, wer fasten kann. Daß diese Auffassung auch von den Deutschen Oesterreich» durchaus nicht getheilt wird, beweist schon der Umstand, daß die hervorragendsten öster reichischen Katholiken, welche ihr Drutschthum stet» sehr hock gehalten haben, an den Sprachenverordnungen nicht nur nichts auszusetzen gehabt haben, sondern dieselben als Segen empfinden, weil durch dieselben auch den Deutschen die Möglichkeit geboten wird, durch Kenntniß der tschechischen Sprache eine Menge von Stellungen zu bekleiden, welche ihnen bisher verschlossen blieben. Die Bewegung gegen die Sprachenverordnungen leidet an einer bedauerlichen Einseitigkeit, an einem vollständigen Mangel an großen Gesichtspunkten, an einem Mangel an Gerechtigkeitssinn; um so bedauerlicher erscheint es, daß auch die deutschen Universitätsprofessoren diesen Rummel mttzumachen für gut befunden haben!" Wen, so fragen mit Recht die „Derl. N. N", will denn die „Germania" mit dieser Argumentation täuschen? Der Fall liegt genau so, als wenn in Posen von Len Deutschen verlangt würde, daß sie, um im Staatsdienste Verwendung zu finden und vor den Behörden ihr Recht zu suchen, sich die Fertigkeit im Gebrauch der polnischen Sprache aneignen Ferrrlleton. Nanny Trauner. 23) Roman von E. Schroeder. NaLdruS «»rkotra. Den 9. October. ES jagt mich nicht mehr ruhelos herum, eS bannt mich die endlosen Stunden immer an denselben Fleck am Fenster. Da sitze ich, die Arbeit in der Hand, aber ich nähe nicht, ich Lenke immer nur an daS Glück, daS hätte sein können. Ich walte als seine Hausfrau drüben im Schlößchen, ich reise mit ihm in ferne Länder, sehe durch seine Augen alle Schönheit der Welt, und wenn dann plötzlich Jemand herein tritt und mich anredet, so fahre ich wie aus einem Traume in die Höhe und muß mich erst ein Weilchen darauf be- siunen, baß ich ja nur Oberförster« Nanny bin und auch ewig bleiben werde. Dem Onkel und der Susanne macht's bange — ich merke e« Wohl. Sie schilt, zankt und kocht mir meine Lieblingsspeisen — schilt und zankt wieder, wenn ich sie nicht essen kann. Er neckt mich nach wie vor, aber mit einer ängstlichen Falte auf der Stirn und einem trüben Blick in den Augen. „AuS dem ewigen Juden, sckeint'S, ist so was wie ein Säulenheiliger geworden", spottet er, „allein Maßhalten ist gut in allen Dingen, Jungfer Nanny, und wenn ich an Deiner Stelle wäre, ich sehe mich heute einmal wieder nach der Liese um mit ihrem Rheumatismus." Da» habe ich denn auch gethan, gleich nach Tisch bin ich zu der Armen gegangen, lsie lag im Bette und hatte mir eine lange, lange Leidensgeschichte zu erzählen. Ich preßte die Hände krampfhaft im Sckoß gegen einander und wollte mich zwingen, nach ihr hinzuhören, aber plötzlich war ich doch wieder mit ihm auf der Reise nach Spanien. Wir sahen uralte Städte, Königspaläste und prächtige Kathedralen, wir wanderten durch die Wundersäle der Alhambra, blickten auf daS blühende Thal von Granada hinunter und waren so glücklich, so selig, da — brach Liese schluchzend ab. „Es ist eine schleckte Welt", klagte sie, „und wenn über haupt Glück darauf ist, so ist's nicht für Unsereinen!" Ich sah mich anS der Märchenherrlichkeit in daS arme Stübchen zurückversetzt, ich dachte nicht an sie, nur an mich. ,,Nein, nein — gewiß nicht!" rief ich, während die Thranen mir über die Wanzen stürzten. Sie sah mich gerührt an. „Wenn Sie'S ändern könnten, Fräulein Nanny, Sie thäten eS", sagte sie, „denn Sie haben ein Herz für arme Leute." Die Gluth der Scham schlug mir in daS Gesicht. Ich drückte ihr die Hand und ging — ich mochte nicht weiter heucheln. Den 12. October. Ja. daS Unglück macht selbstsüchtig, macht schlecht. Der gute Onkel hat mir beute den ganzen Morgen geopfert zu einem jener langen Spaziergänge über Land, die ich sonst so liebte. Ich habe eS ihm gar nicht Dank gewußt, bin nur ungern mitgegangen, habe zu den drolligen Geschichten, die er mir erzählte, nicht ein einzige» Mal recht lachen können. Auf halbem Wege war ich auch schon müde. DaS wollte ihm gar nicht einleuckten. „Liefst ja sonst mit den Rehen um die Wette!" brummte er. Ihm zu Gefallen that ich nun noch einige hundert Schritte, da ward mir'» dunkel vor den Augen, ich schwankte und er konnte mick nicht schnell genug aus einen gefällten Baumstamm niederziehen. In ungeheuere Aufregung versetzte ihn dies, ich glaube fast, er fürchtete, ich werde ihm unter den Händen sterben. „ES ist ja gar nicht-, Onkelcben", suchte ich ihn zu be ruhigen. „Laß' mich nur fünf Minuten still hier sitzen, dann können wir weitergehen." „Weitergehrn? Er wolle sich hüten. Ein Esel sei er ge wesen, mich so weit zu bringen. Gott wolle er danken, wenn er mich erst glücklich wieder zu Hause habe." So ereiferte er sich und zwischendurch erkundigte er sich wohl rin Dutzend Mal, ob ich mich nicht schon ein bischen besser fühle. Ich nickte nur immer mechanisch, mir war e« wie im Traume, ich hatte etwa« wie einen durchsichtigen grauen Schleier vor den Augen, die müde in die Ferne starrten. Auf einmal aber zerriß der Schleier jäh und ein Schrei von meinen eigenen Lippen weckte mich au« dem Traum. „Was giebt'S?" fuhr der Onkel auf und suchte meinem Blicke zu folgen. Da hinten, ganz hinten am Saum des Moores entlang, ging — Jemand. Er batte eine Flinte über der Schulter, einen Hund auf den Fersen, allein ich erkannte ihn im Moment. Der Onkel mußte länger Hinsehen, dann ward er dunkelroth im Gefickt und ballte die Faust. „Auch gut", brummte er wie in grimmiger Befriedigung in den Bart, „auch gut! Wäre schon längst gern 'mal auf das Thema gekommen." Und sich mit einem Ruck zu mir wendend: „Daß Du's nur weißt, Kleine: Heute, spätestens morgen, mache ich dem berühmten Herrn Maler meine aller- unterthänigste Aufwartung, theile ihm höflichst mit, daß wir uns an seiner werthen Physiognomie vor der Hand voll ständig satt gesehen haben und ersuche ihn, sie uns gesälligst auf ein Weilchen aus den Augen zu rücken, möglichst bis nach Afrika hin." „Onkel!" stieß ick außer mir hervor, „das wolltest Du? Und mit welchem Recht?" „Na", entgegnete er achselzuckend, „am Ende sind wir's gewesen, die ihn nach seinem Unfälle zusammengeflickt und wieder auf die Beine gestellt haben"! „Also auf seine Dankbarkeit würdest Du speculiren? Onkel, daS sähe Dir wabrlich nicht ähnlich, und — und er hat Dir ja auch nichts gethan"! „Oho"! machte er mit seinem wütheudsten Gesichte. „Wenn er Dich hetzt und Dir nachstellt, ist daS etwa nichts"? „Wer sagt Dir —" „Dumme Frage! Hab' meine Augen im Kopfe so gut wie andere Leute, und WaS ich nicht geseben. Las habe ich gehört und zwar aus seinem eigenen Munde. Jawohl, 'S ist noch keine vierzehn Tage her, da lief er mir eines schönen Morgens in den Weg. „Teufel noch einmal, Herr Professor?" rief ich und prallte ordentlich einen Schritt zurück. „Ich meinte, Sie säßen in Spanien unten?" Da gestand er'« denn gleich ein, daß er gar nicht hingereist sei, und ließ auch ziemlich deutlich merken, weshalb nicht. Na, ich erlebte mein blaue« Wunder! Mein stockblinderMaulwurf,derauf einmal so unheim lich scharfsichtig geworden war! Leid that er mir übrigens in dem Moment — befand sich nämlich gerade in gewaltiger Aufregung, war in unserem Hause gewesen, wie'S schien, und hatte Jungfer Nanny nicht zu sehen gekriegt — Leid that er mir ernstlich, und weil ick ihm eine Demüthiguna «rjparen wollte, deshalb machte ich'« ihm gleich auf der Stelle klar — sonnenklar, daß er sich von Dir nur einen Korb holen werde, aber — wie die verliebten Narren nun einmal sind —" mißmuthig die Achseln zuckend, brach er ab. „Onkel", sagte ich, mich mühsam beherrschend, „Du kannst jetzt ganz ruhig sein, er wird unser Haus nicht wieder betreten." „DaS wollte ich ihm auch grrathea haben!" fuhr er zornig auf. „Ist, weiß Gott, schon schlimm genug, daß er die Gegend unsicher macht, Dich am Ausgehen hindert." „Am AuSgehen — mich? —" „Na, natürlick! Wagst ja keinen Fuß mehr vor die Thür zu setze», auS Furcht, ihm zu begegnen!" „Onkel, Du irrst!" „Unsinn! Ich weiß, WaS ich sage, und weil ich's weiß, deshalb begebe ich mich noch heute am Tage zu dem Herrn hin und —" „Wenn Du eS thätest, Onkel, ich würde eS Dir nie vergeben!" Ich war aufgesprungen, ich — ja, ich stampfte mit dem Fuße den Boden, und ich glaube wohl, daß meine Augen flammten, so bis auf's Blut gereizt war ich. „Heda, Mädel!" machte der Onkel, mich förmlich ver blüfft von der Seite ansehend. Dann wollte er mir etwas Beschwichtigendes sagen, aber ich war noch nicht fertig. „Daß er mir seine Hand angeboten", stieß ich mit leiden schaftlich bebender Stimme hervor, „damit hat er mir die höchste Ehre angethan und wenn Du ihu deswegen be leidigen wolltest, das — das wäre schändlich!" So, nun saß ich wieder und wollte mir die Seele aus weinen. Eine ganze Weile erschöpfte der arme Onkel alle seine TrosteSworte vergeben-, aber endlich gelangte ich doch beschämt zu der vernünftigen Einsicht zurück, daß eS Wohl im Grunde kein Mensch auf der Well bester mit mir meine, als er. Da reichte ich ihm die Hand hin und schluchzte: „Verzeih' mir meine Heftigkeit, aber WaS Du vorbaitest, da« thnc nickt — ich bitte Dich, Onkel, thue eS nicht"! „I, wie werde ich denn", brummte er, „wenn eS Dir so bart ankommt? Aber ein curiose« Mädchen bist und bleibst Du. Eine Andere an Deiner Stelle —" „Nun, Onkel?" Er warf einen prüfenden Blick auf mein Gesicht und mochte finden, daß meine Thränen noch nicht lange genug versiegt seien. „Wollen unS jetzt mit der Sache nicht weiter aufregen", entschied er, „sondern einmal darüber Nachdenken, wie wir wohl am besten nach Haus« kommen. WaS meinst Du, wenn ich rasch hinliefr und Dir den Friedrich mit dem Wagen sckickte?" „Als ob ich nicht längst wieder gehen könnte, Onkel!" rief ich. „Na, na!" zweifelte er. Ich stand auf und bewies e» ihm durch die That, aber
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