02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.07.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970721024
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- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897072102
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-21
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Miquel demnächst im preußischen Landtage Stellung zu der neuesten Forderung des Bundes der Landtvirthe — sechsmonatige Getreidegrenz sperre — zu nehmen genöthigt werden sollte, so würde er sich sehr kurz fassen können, denn daS preußische Ministerium und mit ihm die Reichsregierung ist bereits der Mühe überboben, zu prüfen, ob wirklich, wie der Bundesvorstand zur Begründung seiner Forderung behauptet, der Berliner Getreidegroßhanbel das deutsche Brodgetreide boycottirt habe oder zu boycottiren beabsichtige. Die dahin gehende Behauptung der Herren von Ploetz, vr. Rösicke und vr. Hahn schwebt nicht mehr in der Luft, sie liegt platt am Boden. Kein einziges größeres conservaliveS oder agrarisches Organ, das nicht vom Bunde abhängt, ist der Bundesleitung zu Hilfe gekommen. „Kreuzztg.", „Post", „Reichsbote", keines von ihnen getraut sich, von einer Verrufscrklärung zu sprechen. Ausdrücklich zuzugesteben, daß eine solche nicht erfolgt ist oder droht, wird den meisten Blättern dieser Richtung aller- dings zu sauer. Sie kleiden daher ihre Ablehnung des An trags des Bundes in recbtliche Auseinandersetzungen, aus denen die Unzulässigkeit eines Einfuhrverbotes hervorgebt, im Uebrigcn suchen sie mildernde Umstände für das Unter fangen des Herrn v. Ploetz und seiner Berufsgenosseu bei zubringen. Die „Kreuzztg." insbesondere meint, die Eingabe sei gewiß ein Zeichen der landwirthscha^tlichen Roth: „So weit gehende Maßregeln verlangt kein Stand und keine Partei ohne zwingende Gründe." Die „Kreuzzeitung" vergißt, daß die „Eingabe" nicht von einem Stande, sondern von drei Herren herrührt, denen der Vorrath an Agitations stoff auszugehen droht. Die letztere Sorge hegt die „Kreuzzeitung" für ihre Partei übrigens auch. Sie greift deshalb auf den — Antrag Kanitz zurück; die Regierungen müßten ihre Stellung zu diesem „revidiren". Die Begründung ist einzig: „Daß der Streit (zwischen Händlern und Land- wirtheu) den Absatz der deutschen Ernte erschwert und ver zögert, ist unbestreitbar. Bundcsrath und Reichstag können also (!) nicht verkennen, daß ihre Gesetzgebung dre land- wirtbschaftliche Krisis äo facto zeitweise verschärft hat, und es liegt diesen Factoren auch die Verpflichtung ob, das Mögliche zu thun, um die bauernde Gesundung zu beschleunigen." „Also" — das Börsengesetz zieht den Antrag Kanitz nolhwendig nach sich. Die Börsenpresse wird sich dieser Deduktion jubelnd bemächtigen und wohl auch fragen, ob vielleicht die Eonservativen diese Eonsequenz voraus sahen, als sie die Negierung zu einer Börsen gesetzgebung drängten, und ob diese letztere nur als Mittel zum Zwecke gedient habe. Wir für unfern Theil wollen nur darauf ansmcrksam machen, daß nicht das Börsengesetz, sondern eine Verordnung der preußischen Negierung von den Berliner Productenhändlern als der Anstoß zum Streite bezeichnet wird. Es läge also näher, die Revision dieser Verordnung zu empfehlen, als diejenige der Stellung zum Antrag Kanitz, der — beiläufig bemerkt — alle jene völkerrechtlichen Bedenken herausfordert, die die „Kreuz zeitung" dem neuen Verlangen der Bundesleitung ent gegensetzt. Außerdem: „BundeSrath und Reichstag" haben nur in Preußen und nur für einen Theil der Monarchie „die landwirthschaftliche Krisis cis facto verschärft". Bei uns z. B. ist, wie aus dem Berichte der Leipziger Handelskammer hervorgeht, die Durchführung des Börsengesetzes glatt verlaufen. Will man vielleicht durch Herrn v. d. Recke und die „Nordd. Allg. Ztg." die Zulässig keit einer preußischer Particular-Iox Kanitz barthun lassen? Die durch das Herannahen der, hoffentlich letzten, Abstim mung über daS Vereinsaesetz, sowie durch die neueste „Ein gabe" des Bundes der Landwirthe noch gesteigerte politische Erregung zeitigt in der Presse Wahlbctrachtungcn, die ihrem Ursprung angemessen sind: sie haften an der Oberfläche. So ergeht sich die „Köln. Ztg." in einer „Eugen Richter" über schriebenen Erörterung, in welcher diesem Herrn persönlich seine politische Verblendung zum Vorwurf gemacht, imUebrigen aber ausgesührt wird, daß Nationalliberale und Frei sinnige Vereinigung nicht schwer ein Einvernehmen unter sich Herstellen könnten und daß diese beiden Parteien, um bei den nächsten Wahlen „gegen die agrarischen und junkerlichen Ansprüche" mit Erfolg anzukämpfen, eine „gewisse Weit- berzigkeit" zeigen müßten. Sie hätten nämlich „den Kreis Derer, die sich gegen die Vergewaltigung zusammen schließen, möglichst weit zu ziehen und selbst solche Elemente, wie das Centrum» in ibn aufzunehmen, die man an sich sicher nicht als liberal bezeichnen kann." Mit Ausnahme der Ostelbier, die ihren Weizen blühen sähen, so wird zur Empfehlung des Vorschlages ausgesührt, herrsche in allen Dolksclassen stärkste Unzufriedenheit, und selbst solche Männer, die man als recht maßvoll und geduldig kennzeichnen könne, wollten nicht mehr mitmachen, sondern seien durchaus geneigt, sich der herrschenden Strömung entgegenzustellen. Hierauf beruhe die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit „eines antiagrarischen Wahlerfolges", aber nicht hierauf allein, sondern auch auf der Uneinigkeit zwischen Eonservativen, Antisemiten und Bund der Land- wirthe. Die zwei letzten Namen zeigen schon, daß der Plan eines auf die allgemeine Unzufriedenheit begründeten „antiostelbischen" Cartells nicht sehr tief durchdacht ist. Der Bund ist ganz im ostelbischen Sinne geleitet und die Antisemiten rechnen vor Allem aus den Osten; daß sie beide zufrieden wären, läßt sich aber nicht wohl behaupten. Davon abgesehen, was soll man sich unter einem „anti agrarischen Wahlersolge" vorstellen und wie ist vom Standpunct eines „Anliagrarierthums" der jetzige Reichstag zu beurtheilen? Er ist antiagrarisch, denn er hat mit sebr großer Mehrheit den Antrag Kanitz ab gelehnt. Er ist aber auch agrarisch, denn die Anträge des Bundes der Landwirthe aus einschneidende Verschärfungen deS Margarinegesetzes haben seine Zustimmung ge funden. Da bat sich eben das Eentrum, mit dem National liberale und Freisinnige behufs Erzielung antiagrarischer Er folge nach dem Wunsche der „Kölnischen Zeitung" pactiren sollen, sich hochagrarisch gezeigt. Und sind etwa die Nationalliberalen, die in beiden Abstimmungen zu den Ab lehnenden zählten, in dem Sinne antiagrarisch, wie es die Freisinnige Vereinigung mit ihrem Herrn vr. Barth ist? Eine Reibe wichtiger parlamentarischer Entscheidungen ver neint diese Frage für die Vergangenheit, und waS die Zukunft angeht, so können wir immer wieder nur an Herrn Bueck erinnern, der in der Frage des Zollschutzes für land wirthschaftliche Erzeugnisse einen von der Presse der Frei sinnigen Vereinigung heftig angegriffenen „agrarischen" Standpunct unter ungetheilter Zustimmung seiner im Uebrigen jetzt gerade nicht sehr mit ihm zufriedenen nationalliberalen Parteigenossen eingenommen hat. Die „Köln. Ztg." weiß also offenbar selbst nicht, WaS sie mit Mitteln erreichen will, deren Anwendung auch nicht dis- cutirbar wäre, wenn ein klare- Ziel gezeigt worden wäre. DaS rheinische Blatt räumt ein, das Centrum sei nichts weniger aber liberal. Es ist aber auch nicht national, sondern anti national, und eö gehört ungeheuere Empfänglichkeit für Augenblickseindrücke dazu, um, wie die „Köln. Ztg." es thut, den Nationalliberalen ein Bündniß mit den Ultra montanen mit der Redewendung zu empfehlen, daß „man zielbewußt größeren Zwecken vor großen den Vorzug geben müsse", lieber das Zielbewußtsein des beweglichen Organs haben wir unS schon ausgesprochen — im Uebrigen ist für uns, daS heißt für die nationalliberale Partei, daS Nationale nach wie vor das Größere, daS Größte. DaS ist auch der Standpunct des letzten DelegirtentagS ge wesen, auf dem das — nicht von heute datirende — Co- quettiren der „Köln. Ztg." mit dem UltramontaniSmuS rückhaltlose Verurteilung erfahren hat und zwar von Parteigenossen aus dem Rheinlands. Ueberall in der Partei ist man einig darüber, daß die Krankheit unserer öffentlichen Zustände durch nichts mehr verschärft werde, als durch die ausschlaggebende Stellung des Centrums im Reichstage. Wenn die Nationalliberalen sich dazu hergäben, den Einfluß deS „Reichsregenten" Lieber zu steigern, würde man sich ver gebens nach dem Grunde ihrer weiteren Existenzberechtigung fragen. In England fängt man jetzt an, ernstlich von einer völligen Aenderung der Zollpolitik zu reden. Die Verhandlungen Chamberlain's mit den Ministern der Colonien ließen etwas wie eineZollunion durchblicken, und erst als Mr. Reid aus Neu-Südwales in der Londoner Handelskammer diesen Gedanken von sich wies, gab sich die öffentliche Meinung zufrieden. Zum Ueberflusse bezeichnete Chamberlain die Ver handlungen auch noch als rein private, so daß eine weitere Beunruhigung nicht eintrat. Da kommt jetzt plötzlich die Nachricht aus London und das „Berl. Taaebl." macht sich zu ihrem Verbreiter, der Vorkämpfer der Zollunion Englands mit seinen Colonien, der Premierminister von Canada, Wilfried Laurier, kehre in seine Heimath mit der schriftlichen Versicherung der englischen Regierung zurück, daß Großbritannien beschlossen habe, die Han delsverträge mit Deutschland und Belgien zu kündigen. Diese Entscheidung, so meldet daS Blatt, wurde am 12. Juli getroffen. Ganz unvorbereitet trifft unS ja die Nachricht nicht. In der englischen Presse waren in den letzten Tagen schon Stimmen laut geworden, die einen solchen Schritt befürworteten. Nach den „Daily News" soll sogar der Cobden-Club dafür sein. Im Grunde ge nommen will Canada nur die Aufhebung der Meist begünstigungsklausel, aber man giebt sich in England selbst keiner Täuschung darüber hin, daß die Beseitigung derselben die Lösung der Verträge zur Folge haben würde. Die Bedeutung der geplanten Maßregel ist vorläufig noch nicht abzusehen; wenn man aber bedenkt, daß wir im Jahre 1894 nach Großbritannien für 634 Millionen Mark ausgeführt und für 608 Millionen Mark eingesührt haben, wenn wir in Betracht ziehen, daß dieses der größte Handelsumsatz in Vergleich zu anderen Ländern (Oesterreich-Ungarn 401 Millionen Mark Ausfuhr, 581 Mil lionen Mark Einfuhr, Rußland 194 Millionen Mark Aus fuhr, 544 Millionen Mark Einfuhr, Vereinigte Staaten 271 Millionen Mark Ausfuhr, 532 Millionen Mark Einfuhr) ist, so fällt die Bedeutung der Vertragsfrage für uns und für England ins Auge. Aber auch nach der englischen Zollstatistik ist für Großbritannien selbst die Aenderung der Zollpolitik schwerwiegender Natur. Einfuhr und Ausfuhr von und nach Deutschland halten sich mit 27 Mill. Lstrl. ebenso die Waage, wie die Handelsbilanz mit Belgien im Betrage von 17 Mill. Lstrl. auf Activ- und Passiv seite. Der Handel Englands mit Deutschland wird wesentlich nur von dem mit Frankreich (43 Mill. Lstrl. Einfuhr, 47 Mill. Lstrl.) Ausfuhr übertroffen. Sollte aber trotzdem Großbritannien zu einer Aenderung derZollverträze schreiten, so ist durch die Anwendung der UrsprungSbill für Deutsch land in gewissem Sinne vorgesorgt. Das „Llacke in 6cr- many" Hal unsere Maaren so gut bekannt gemacht, daß wir schließlich auch des britischen Zwischenhandels ganz entbehren können und uns immer mehr direct an consumirende Staaten wenden können. Die serbische Regierung, die bekanntlich in letzter Zeit jeden „Hammelconsiict", der sich an der türkischen Grenze zwischen ihren Unterlhanen und den benachbarten Albanesen abspielte, zum Gegenstände einer diplomatischen Action machte, beginnt ernste militairische Vorbereitungen zu treffen. Der König selbst hat dies den Abgeordneten der Skupschtina, welche kürzlich im Konak erschienen waren, in einer Ansprache angekündigt. „Wie Ihnen bekannt ist", sagte König Alexander, „waren im Laufe des ersten Semesters dieses Jahres die politischen Verhältnisse der Balkan- Halbinsel trüber und gespannter Natur. Damit die Ereignisse uns nicht unvorbereitet sinken, haben ich und meine Regierung, die mein volles Vertrauen genießt, ver schiedene Maßregeln ergriffen,welche auf Stärkung unserer Militair macht und bessere Instandsetzung der materiellen Bereitschaft der Armee abzielten. Ich hege die Ueber- zcugung, daß Sie die Nothwendiakeit dieser Maßnahmen an erkennen werden. Ich empfehle ähnen daher, alle hierauf bezüglichen Vorlagen, welche meine Regierung unterbreiten wirb, ernst zu prüfen und im Vereine mit ihr einer Erledigung zuzuführen." Zu gleicher Zeit kündigte der König den Skupschtinaren an, daß die im Manifeste vom 9. Mai 1894 versprochene Verfassungs-Reform, so lange die aus wärtigen Angelegenheiten ungeordnet bleiben, absolut nicht in Angriff genommen werden könne. Nach diesen Worten könnte man glauben, daß Serbien am Vorabend irgend einer großen That stehe. Die endliche Ordnung seiner ver worrenen inneren Angelegenheiten wäre für Serbien viel dringender als die Verwirklichung gewisser Phantasien, welche die Störung deS Friedens Europas zur Folge haben würden. Die serbische Regierung möge sich daS Schicksal Griechenlands vor Augen halten und sich auch der Warnung erinnern, welche Oesterreich und Rußland vor wenigen Wochen an die thatendurstigen Balkanstaaten rich teten. Die Verhältnisse und insbesondere die freundschaft lichen Beziehungen zwischen den Cabineten von Wien und Petersburg haben sich seit jener Zeit nicht geändert. Im Uebrigen befinden sich auch die Finanzen Serbiens in einem so wenig günstigen Zustande, daß dessen Regierung viel mehr im Interesse des Landes handeln würde, wenn sie ihre Auf merksamkeit der Ordnung derselben zuwenden würde, anstatt durch kostspielige Rüstungen Ziele anzustreben, die eS ohne Einwilligung Europas nimmer wird erreichen können. Wenn die Meldung richtig ist, daß der Präsident der Vereinigte» Staaten Mac Kinley unserem Landsmanne Karl Schurz den Gesandtschaftsposten in St. Peters burg angeboten bat, so liegt dem Verfahren des Präsidenten wohl die Absicht zu Grunde, die Deutschen in Amerika wieder versöhnlich zu stimmen. Ohne die Hilfe der Deutschen wäre Nanny Trauner. L5j Roman von T. Schroeder. Nachdruck vertotrn. „Und ich gerieth, nachdem ich Sie am anderen Ort vergebens gesucht, durch eiuen bloßen Zufall dorthin. Sehr stark in meiner Eitelkeit verletzt war ich durch Sie, aber als ick, hinter allerlei exotischem Gebüsch verborgen, meine gute Freundin gewahrte — der ich mein Herz auSgeschüttet — wie sie Ihnen in coquetter Absicht eine kleine Komödie vorspielte, die ihres vollen Erfolges gewieß schien, da richtete sich mein Hauptzorn doch gegen sie. DaS Blut schoß mir siedend in die Stirn. Um ein Haar wäre ich hervor gestürzt und hätte ihr ihre Falschheit in die Zähne geworfen. Die Furcht, meine eigene Thorheit zu verrathen, hielt mich zurück. Wie ich mick ihrer schäme jetzt — dieser Thorheit — und wie die Scham den Haß in mir schürte! Es waren schlimme Minuten, die ich verlebte da hinter meiner Lorbeer hecke, und die Stunden, die Tage, die folgten, waren nicht viel besser. Man sorgte dafür, daß ich die schlau eingefädelte Jntrigue im Auge behielt. Meine Jungfer, die mir die plötzliche Abneigung gegen dir frühere Freundin anmerktn mochte, wußte mir von geheimen Zusammenkünften zwischen Ihnen und ihr nicht genug zu erzählen. WaS bei diesen Zusammenkünften gesprochen wurde, sagte sie mir nicht, aber ich dachte mir's hinzu. Immerfort — immerfort hörte ick die Falsche Ihnen von meiner sentimentalen Schwärmerei verspotten, hörte ich Eie dazu lachen, bis ich's nicht länger ertrug, bi» ich in der Absicht, mich zu rächen, die Feder nahm und — ja, nun kommt's, nun schaudern Sie nur! — und — und einen Brief schrieb — einen anonymen!" „Den ich nie erhalten habe!" „Er war auch nicht an Sie adressirt, Herr Professor, sondern an den heimlich Verlobten der Vrrrätherin." „Ab so! An Günther. — Er hat mir nicht gesagt, WaS ihm die Augen öffnete, Gräfin, aber wenn e» Ihr Brief war, dann kann ich Ihnen nicht genug dafür danken." „Wie? Da- sehen Sir ein?^ „Gewiß." „Ja, haben Sie denn auch gar kein Bedauern mehr — in jener Richtung?" „Nicht das allergeringste." „Aber — mein Gott — wenn Sie die Sache so vernünftig auffaflen, warum gehen Sie dann herum, wie der Ritter von der traurigen Gestalt?" Gräfin Irma rief's in Hellem Erstaunen, wartete secunden- lang vergebens auf Antwort und gelangte lackend zu dem Schluffe: „Künstlerlaunen! Ha! ha! ha! Kttnstlerlaunen! Unser neuestes Meisterwerk will nicht ganz so, wie wir wohl wollen, und das macht uns unzufrieden mit Gott und der Welt! — Hätte ich da meine Beichte uur wieder! Aber nein — Sie mögen sie nur behalten! ES ist mir doch eine Last von der Seele, denn ein anonymer Brief, mein Herr Professor — Sie ahnen nicht, wie schwer der wiegt. — Und nun — nun meinte ich, sollten wir machen, daß wir aus „dem dunklen Loch," wie Sie eS nennen, hinauSkommen. Fritz neigt ein bischen zur Eifersucht, und wenn er unS hier entdeckte —" „Pardon, daß ich Sie unterbreche, Gräfin, aber — darf man eigentlich gratuliren?" „Bewahre! Noch nicht. Gönnen Sie doch dem Papa die Freude, Ihnen bei Tisch eine kleine Ueberraschung zu bereiten!" Ein leichtes Anflachen, ein Rauschen von schweren Brokatkleidern — daun hatte sich hinter Beiden die Thür geschloffen. Im nächsten Momente war ich draußen auf dem Corridor, flog ich schon dir Treppe hinunter. In der Ein gangshalle stieß ich fast gegen die Tante. „Ich begreife, daß Dir die Geduld auSaehen mußte", ver sicherte sie athemloS, „aber wenn Du wüßtest, wa» für Mühe ich gehabt habe, «inen Wagen zu bekommen!" Ich segnete im Geiste diese Mühe; denn wäre sie vor zeitig zurückgekehrt — verrathen und verloren wäre ich ja gewesen. „In diesen vornehmen Häusern", fuhr sie, die Stimme zum Flüstertöne dämpfend, fort, „giebt'« wohl Bedient«, aber keine Bedienung. Dem Han-Wurst im gelben Tressen rock da an der Thür war'- um seine weißen Strümpfe leid, und hätte sich nicht endlick ein Küchenjunge meiner erbarmt, ick hätte wahrhaftig selbst in Schmutz und Regen nach dem nächsten Fiakerstandplatz geben müssen!" Um mir die innere Entrüstung vom Gesicht zu lesen, bob sie den Blick, stutzte und rief fast erschrocken: „Aber Du bist ja wie verwandelt auf einmal — hast ordentliche Farbe bekommen!" „Mir geht's auch besser, Tante", mußte ich da Wohl bekennen. „Ja, bliebst Du vielleicht lieber hier?" preßte sie ein bischen enttäuscht heraus. „Nein, nein!" entgegnete ich und zog sie nach der Garderobe hin. 16. Januar. Irma war bei mir. Sie kam, um zu sckelten, wie sie be hauptete, aber sie brachte kein zorniges Wort heraus. Ich hätte ihr auch keines geglaubt — die Augen lachten ihr so seelensroh aus dem Gesichte. Ein reizendes Gesicht — das ist mir heute so recht erst klar geworden — und ein glückliches — glückliches Menschen- kind! Thränen kamen mir in die Augen, als ich ihr zu ihrer Verlobung mit dem Grasen Friedrich von Dohna Glück wünschte. Sie nannte mich ein rührendes Geschöpf, schloß mich in die Arme und küßte mich. Nun duzen wir uns, aber wie viel Selbstsucht in meinen Thränen war, davon hat sie keine Ahnung. 2. Februar. Im Auftrage der Tante war ich heute Morgen bei der Wäscherin gewesen, da — gerade als ich den Rückweg antrat — fubr mir ein heftiges Schneegestöber entgegen. Ich faßte meinen Schirm mit beiden Händen und hielt ihn mir vor das Gesicht. So blindlings vorwärtsdrängend konnte eS gar nicht fehlen, daß ich plötzlich gegen Jemanden stieß. „Verzeihung!" stammelte ich. „Verzeihung!" rief er und der Klang seiner Stimme machte, daß ich blitzschnell meinen Schirm sinken ließ. Da — za, da standen wir einander gegenüber — seit langer Zeit zum ersten Mal wieder und — und die lange Zeit mochte wohl Schuld sein, daß ich wie fortgewischt schien aus seinem Gedächtniß. So fremd sah er mich an, so forschend. Dann ging eS wie ein Zucken durch seine Züge, seine Stirn furchte ^sich, er griff an den Hut und — war vorüber. 3. Februar. Ja, als die Erinnerung ihm kam, da ward auch gleich der Zorn in ihm wach. Tiefer als daS Herz habe ich wohl damals den Stolz in ihm verletzt. 10. Februar. Sie nennen die Stadt schön — ich kann eS nicht fassen! Mir ist's zum Ersticken in den engen Gassen, zwischen den bimmelhoben, düsteren Häusern. Alles in mir schreit nach Licht, nach Luft. Ich habe Heimweh — furchtbares Heimweh nach meinem Walde. 20. Februar. Nun noch acht Tage, dann kommt der Onkel, mich heim zuholen. XX. Capitel. „Schasskopf von einem Doctor! Mit dem Stadtqualm und -Dunst hat er ihr glücklich den letzten Blutstropfen aus demGesichte wegcurirt!" Das war beim Wiedersehen des Ober försters erster grollender Gedanke. Dann nahm er das schmale Antlitz seiner Nichte zwischen seine beiden Hände, drehte es nach dem Lichte hin und murmelte vorwurfsvoll: „Konntest Du mir denn nicht den Gefallen thun und wieder gesund werden, Kleine? Zeit dazu habe ich Dir doch wahrhaftig gelassen." „Aber Onkelchen, ich bin ja gesund — ganz gesund! Glaube mir'S doch nur", protestirte Nanny. „Meinst, daß ich blind wäre?" brummte er und ließ deu Blick an der zarten, überschlanken Gestalt hinabgleitcn. „Lösest Dich ja bald in gar nichts auf." Dann erschrak er über den eigenen Ausspruch, und ganz weit zurück in seiner Erinnerung sah er auf einmal ein junges Schwesterchen, das ihm an der Schwindsucht gestorben war. Es glich sonst Nanny in keinem Stück, aber es blickte aus gerade so stillen, resignirten Augen in die Welt — nein, schon über diese Welt weg in eine andere. Die Augen folterten den Alten wäbrend der ganzen Reise. Nanny konnte ihn nicht ansehen, ohne daß eS ihm einen Stich durch das Herz gab. „Mädel, so sei doch vernünftig, sag' doch endlich, wo's Dir fehlt!" beschwor er sie einmal über das andere. „Nirgends, Onkel", versicherte sie ganz gewiß, „nirdendS." „Nun, dann sitz' nicht so stumm vor Dich bin!" forderte er ungeduldig. „Sei doch ein bischen lustig! Erzähl' mir was oder — sieh Dir wenigstens die Gegend an! Da! die Berge — hast ja immer dafür geschwärmt." „Ja, sie sind schön, Onkel", murmelte Nanny, aber um ihre Lippen zuckte eS webmüthig, und ibr Blick verschleierte sich. „Fehlt nur noch, daß Du vor lauter Bewunderung weinst!" grollte er. „Onkel —" „Ack waS! Früher war da» ander». Da tanzten Dir die Äugen im Kopf vor Freude, da klatschtest Du in die Hände, da —" „Man wird dock älter, Onkelchen." Ja, das sah er seufzend ein, vor ein paar Monaten noch hätte ihr Keiner ihre vierundzwanzig Jahr« zngegrbtn, jetzt
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