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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.07.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970722025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897072202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897072202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-22
- Monat1897-07
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V39S seine Ursache in folgendem Umstand: Die in Tophane ver sammelten Botschafter erwarteten vergebens die Ankunft des Minister« de- Aeußern und entfernten sich schließlich, um im österreichisch-ungarischen BotschastSpalaiS eine Versammlung unter sich abzubaltrn. Kurz darauf erschien der Minister de- Aeußrrn, Trwfik Pascha, der in Ailviz aufgrhalten worden war, mit vielen Entschuldigungen, welche jedoch nicht vollkommen befriedigten. Nach den von türkischer Seite bei dieser Sitzung abgegebenen Erklärungen acceptirte die Pforte wohl den westlichen Theil der fixirten Grenze bi- Metzow, hielt jedoch die frühere, am 15. d M. bereit- auf gegebene PeneioS-Lmie al- Ostgrrnze aufrecht. Diese neuer dings aufgestellte Forderung wurde von allen Botschaftern einstimmig und energisch zurückgewirsen und eS wurde eine schriftliche Erklärung bezüglich der principiellen Annahme der strikten Grenz« verlangt. Der Ministerrath hat nach längerer Ueberleguna die von den MilitairattachsS der Machte fixirte strategische Grenze angenommen, und der Sultan hat dem Beschlüsse seiner Minister durch ein Jrade zugestimmt. Somit sind die Friedens verhandlungen um ein ganz bedeulrudeö Stück gefördert. Die Pressionen haben also geholfen. Deutsches Reich. * Berlin, 21. Juli. Am 22. Juli d. I. begeht Fürst Bi-marck, wie die „Berl. N. N." in Erinnerung bringen, in der stillen Zurückgezogenheit deS Sachsenwaldes den Tag, der ihn vor emem halben Jahrhundert mit seiner ihm vor nahezu drei Jahren entrissenen Gemahlin vereinte: „Der 22. Juli 18S7 wäre der goldene Hochzeits tag diese- fürstlichen Ehepaares geworden, daö in einer nie erschütterten gegenseitigen Liebe und Treue ge meinsam den wunderbaren Lebensweg von dem kleinen pommerschen Herreuhause bis zum ReichSkonzlerpalaiS in Berlin und von dort in die stille ländliche Zurückgezogenheit durchmessen bat, auch in dieser Zurückgezogenheit noch unausgesetzt Gegenstand der höchsten Verehrung aller patriotisch fühlenden Deutschen, der größten Achtung deS Auslandes. Dem Fürsten Bismarck, dem so Vieles und Große- im Leben geglückt ist, sollte eS nicht heschieden sein, diesen Tag der goldenen Jubelfeier gemeinsam mit der langjährigen Gefährtin seiueS sturmvollen Leben« zu begehen, aber die unauSfüllbare Lücke ihm Weniger fühlbar zu machen, ist die Liebe und dank bare Verehrung vieler Millionen Deutscher bemüht geblieben, denen eS zum Bewußtsein gelangt ist, was die Fürstin in un ermüdlicher treuer, aber stiller uad geräuschloser Fürsorge ihrem Gemahl gewesen ist, Freud und Leid mit ihm in schlicker Seelen große tragend, von keinem Glanze des Lebens je beirrt, demülhig rn sonnenhellen, tapfer und unverzagt in stürmischen Tagen. MilliovenDeutsche theilen die Empfindungen, die an diesem Tage den ehrwürdigen Schöpfer des deutschen Reiches in trauernder Erinnerung an ein lange genossenes und ihm doch viel zu früh entrissene- HLuSlicheS Glück beseelen. Liebe um Liebe, Treue um Treue war da- Band» da- sieben und vierzig Jahre hindurch den Fürsten und die Fürstin ViSmarck aneinander knüpfte, durch da- gleiche Band bleibt er dem deutschen Volke bis in die fernsten Zeiten und Geschlechter verbunden." * Berlin, 21. Juli. Unter der Ueberschrift: „Ein Buddhist — Ooetor iuris utrjusquo" bringt heute die „Germania" folgenden Erguß: „Bisher war eS üblich, nicht christlichen Juristen nur den voetor legum zu geben und dir Würve des DoctorS der Kirchenrechte für Christen zu refervirrw. Die Universität Berlin will von diesem alten Gebrauch abweichen. Am 22. d. M., Nachmittags 2 Uhr, wird an der Univrrsitä» der Javaner F. Senga, ein Shinto- Buddhist, al- Doctor beider Rechte promovircn. Bemerkt zu werden verdient, daß dem Japaner das deutsche Recht (Systematik und Geschichte) vollständig erlassen ist. Die Dissertation behandelt die Consular-JuriSdiction in Japan, für der» Fortfall und die Gleichstellung der Buddhisten mit de« Christen im Völkerrecht der Candidat eintritt. Eine der vier Thesen behandelt die Frage der Souverainetät des Papste«, die der Candidat als unberechtigt ablehnt. An der Berlmer Universität ist früher, wie wir aus eigener Erfahrung wissen, von Lehrern deS Völkerrechts der Grundsatz docirl worden: „Der Papst ist Gouverain, ist Souverain geblieben trotz der Occupation Rom« am 4. September 1870." Das haben wir Mitte der siebziger Jahre vom alten Professor vr. Hessler, wie von Professor vr. Dambach selbst gehört. Ob Herr Professor vr. Habler, welcher vom CultuSministerium Falk zur Universität überging, anderer Ansicht ist und den gegen- theiligeu Grundsatz docirt, ist uns nicht bekannt, wenngleich einige sehr abfällige Bemerkungen dieses Falk'schen General stäbler« über Vie Domherren und über dir Tonsur der Priester un« gelegentlich zu Ohren gekommen sind. Oder ^llte Herr Professor vr. Hübler oder einer der anderen Professoren der Berliner Universität gegen die These: „Der Papst ist nicht Souverain" zu opponiren vorhaben? E« ist bekannt, daß Fürst Bi-marck selbst die Souverainetät de- Papste« ausdrücklich anerkannt hat, besonder« als er Herrn v. Schlözer al» preußischen Gesandten beim Papst nach Rom entsandte. Und »un muß da ein japanischer Buddhist kommen, um in der deutschen Reich-Hauptstadt da« Gegenteil der Anschauung deutscher BölkerrechtSlehrer als wissenschaftliche von der Berliner juristische» Facultät appro biere These aufzustellrol Uad dieselbe Berliner juristische Facultät ernennt nach einer solchen These einen Buddhisten zum Doctor der Kirchenrechte für die Christen! Ist nun das christliche Gefühl, oder ist die geistige Bewer thung deö Doctortitels, nachdem der Doctorand seine Gebühren bezahlt hat, so tief in Deutschland gesunken, daß man eS einem japanischen Voetor juris utriusquo nicht übel nehmen könnte, wenn er in seiner ostasiatische» Heimath und vor seinen buddhistischen Glaubensgenossen darüber den ganzen Spott über deutsche Universitäten und Christenthum ergießen würde?" (vr. zur. utriusque Senga wird vermuthlich „den ganzen Spott" für die „Germania" reserviren. Red. des „L. T/J — Der bisherige Botschafter in Washington Freiherr von Tbielmann tritt am 22. d. M. mit dem Dampfer „Fürst Bismarck" die Reise von New «ach Deutsch land an. — Eine recht erfreuliche Erscheinung ist eS, daß die Gerichte, durch das Gesetz über den unlauteren Wett bewerb angetrieben, in jbrer Rechtsprechung dem Geiste desselben nachdrücklichen Einfluß gewähren. So hat z. B. in einer gegen einen Berliner Kaufmann verhandelten Klage sache das Schöffengericht entschieden: „Die Waaren müssen zu den im Schaufenster verzeichneten Preisen und zwar auf Verlangen der Kunden in jeder nachweislich vorhandenen Menge verkauft werden." Während früher fast alle in solchen und ähnlichen Fällen von ge täuschten Käufern angestrengten Klagen zu Gunsten des Ver käufers ausfielen, baden diese jetzt einen viel schwereren Stand, da die Gerichte Ausreden, wie z. B. die Sachen könnten nicht aus dem Schaufenster entfernt werden, sie seien nur in geringer Menge vorhanden oder dürften zu solchen Preisen nur an die Stammkundschaft abgegeben werden, als „beweislose Einwendungen" behandeln." — Die Maßregel gegen die Verbreitung ansteckender Krankheiten, wonach die Eltern verpflichtet werden, die von Cholera, Pocken, Ruhr, Masern, Scharlach, Dipblherie, FlecklyphuS, UnterleibSlyphuS, cvntagiöser AuHeneutzüudung, Keuchhusten u. s. w. befallenen Kinder vom Schulunterricht fernzuhalten, wird jetzt auch vielfach auf den Confir- manbenunterricht ausgedehnt. Es kann nur gewünscht werden, daß diese Ausdehnung überall vorgeuommen werbe. — Die Bäckerinnung „Germania" will gleich der „Concordia" eine Mehlbörse eiurichten, die zweimal wöchentlich stallfinden und Preisnotirungen veröffentlichen soll. — Die Verrufserklärung der Maurer und Zimmerer über den neuerrichteteu Arbeitsnachweis der Unter nehmer ist bisher wirkungslos gewesen. — Heute hat der neue deutsche Ministcrresident in Luxem burg Gras Henckel v. Donnersmarck dem Grohherzvg jein Beglaubigungsschreiben überreicht. * Aus Schleswig-Holstein, 20. Juli. Die Dänisch gesinnten in NorvschteSwig haben in den letzten Tagen wieder gezeigt, wie gut sie organisirl und wie eifrig sie bemüht sind, das Terrain zu behaupten. Am letzten Sonnabend hielt in HaderSleben der, Nord schleswigsche Wähler» ereiu" feine Jahreöversauiniluug ab, welche von 150 Mitgliedern besucht war. Die Mitgliedsbciträge deS letzten Jahres haben 2765 betragen, 808 sind noch rückständig. Man schob die Schuld für diese Rückstände zum Theil auf die Ver trauensmänner, denen man Flauheit und Gleichgiltigkeit vorwarf. Wenn dieser Tadel berechtigt ist, so trifft er jedenfalls nur einen kleinen Theil. Im Ganzen sind 431 Vertrauensmänner thätig, fast jede Gemeinde ist durch einen Vertrauensmann vertreten. Im Ganzen zählt der Verein über 2200 Mitglieder. In ihm Haden die Dänen von allen Parteien der Provinz die beste Organisation, welche bei allen Wahlen eingreist. -- An demselben Tage, au welchem der Wäblerverein versammelt war, hielt der Abgeordnete GustavJohannsen im HaderSlebener Theater einen Vortrag, Len man als eine Aufforderung zum Kampfe, zum geistigen nationalen Kampfe bezeichnen muß. Johannsen'« Reden hatten ihrem Hauptinhalte nach unverändert vor 30 Jahren gehalten werden können. Die größte Rolle spielt darin das auf Grund deS Art. V des Prager Friedens gewonnene „Volk-recht". Daneben werden Aeußerungen der alten dänischen Vorkämpfer Ahlemann, Krüger und Junz- green angeführt, die sich alle in daS eine Wort zusammensasfen lassen: „Wir sind Dänen und wollen Dänen bleiben." — Der dänische „Sprachverein" hielt am Sonntag seine Jahresversammlung in Apenrade ab. Der Verein, welcher im letzten Jahre wieder 173 Mitglieder gewonnen hat, hat überall in Nordschleswig Volksbibliothekeu eingerichtet, die verhältniß- mäßig glänzend ausgestattet sind. Daneben vertheilt er all jährlich Tausende von Büchern. Im letzten Jahre hat der Verein 4200 Bände an die Leihbibliotheken geliefert, 3800 Bände, meistens Lese- und Bilderbücher, sind gratis vertheilt, außerdem sind an die Mitglieder deS Verein- 3000 Exemplare von Carl Bloch'- Zeichnungen und Bildern verschickt. Die Ausgabe de- Verein- für die Beschaffung von Büchern hat im letzten Jahre 5812 Kr. betragen. Diese systematische Arbeit des dänischen Sprachverein- ist von außerordentlicher Be deutung. (Wes.-Z.) § Dortmund, 21. Juli. Der dem westfälische» Bauern verein nahestehende „Westfale", also ein gut agrarische- Blatt, macht zu der neuesten Leistung der Herren vo» Plötz und Genossen die folgenden Bemerkungen: „Wir werden die Eingabe deS „Bunde« der Landwirthe" dem Wortlaut nach bringen, da in dem Dokument manche« Richtige und Stichhaltige vorgebracht wird. Wa« jedoch den Treffpunkt der Ein- gäbe anlangt, den Erlaß eines Einfuhrverbot-, so halten wir die Erfüllung dieses Wunsches für unmöglich, weil der klare Wortlaut der bestehenden Handelsverträge dem widerspricht. ES ist eben wieder rin bloßer AgitatiouSantrag, wie der Bor- schlag de« Grafen Kanktz e« war. Wir bedauern da« Vorgehen des Herrn v. Plötz und de« vr. Hahn, der führenden Geister im Bunde, um so mehr, al« die gegenwärtige Wandlung der Diuge In der Berliner Regierung für die Wünsch» der Landwirthschast besser« Tag« hoffen und erwarten läßt. Die gegeutheiltgen Einflüsse bei Hofe werden nicht müssig sein, diese Blöße, welche Herr v. Plötz den Agrariern mit seinem unmöglichen Vorschlag muthwilliger Weise giebt, nach Kräften auszunutzen. Man wird in der manchesterlichen Presse in den nächsten Tagen »inen großen Entrüstungs-Spectakel erleben über die Frechheit und Maßlosigkeit der Agrarier; wir prote- stiren darum von vornherein im Namen der Land- wirthschast gegen das unkluge Vorgehen de« Herrn v. Plötz — denn hauptsächlich ihm messen wir die Schuld bei — und stellen fest, daß die Action allein auf da» Conto de« Bundes vorstandes zu schreiben ist." Aus diesem Conto hat sich mit der Zeit erheblich mehr Schaden al« Nutzen für unsere Landwirthschast anfgehäusk und es sind gerade die ehrlichsten und wärmsten Freunde unserer Landwirlbschaft, die dies mit immer größerer Deut lichkeit auszusprechen sich genökhigt scheu. DaS Wasser, daS jetzt wieder durch dieses Verlange» nach einem vollständigen Einfuhrverbot ans die Mühle der Gegner unseres Bauern standes getrieben wird, ist nicht in einem Meere aufzufangen. v. Gotha, 21. Juli. Der Landtag hat die Abänderung deS Volks schulg esetzeS nach der Regierungsvorlage mit einigen Abänderungen der Commission angenommen. Die GehaltSscala beträgt ». in den Lauvorte» für widerruflich angcstellte Lebrer: neben freier Wohnung 1000 bis zum Enve dcs 5. Dicnstjabrcs, 1200 vom 6.—10. Dienstjahre, l400 -L vom 11.—15. Dienstjahre, 1700 vom 16. bis 20. Diensijabre, 1900 vom 21,—25. Dienstjahre unv 2100 vom 26. Diensijabre ab; d. in den Slädten Gotha, Ohrdruf und WalterSbausen beträgt daS Gebälk 1300 und steigl in gleicher Weise wie bei den Landlehrern bis 2400 „L Auf Antrag der Commission strich der Landtag die auf den Kirchendienst Bezug habenden Vorschriften. Ein von dem Abg. Bock gestellter Antrag, Schulgeld für die Volks schule nicht zu erheben, wurde gegen die sieben Stimmen der Sociaidemvkraten abgelehnt. v. Weimar, 2l. Juli. Nach einer Bekanntmachung der großberzoglichen StaatSrcgieruug erlischt das der königlich sächsischen LandeSkotterie ertheilte Privilegium mit dem Ab lauf der jetzt im Gange befindlichen 132. Lotterie am 22. No vember d. I. Loose der letzteren dürfen dann im Bereiche des GroßberzoglhumS, der Herzogthümer Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sacksen-Coburg-Gokha, Anhalt und der Fürsteulbümcr Schwarzburg-Sondershausen, Schwarzburg- Rudolstadt und Schaumburg-Lippe nicht mehr vertrieben werden. Die neu errichtete Thüringisch-Anhaltische StaatS- lotterie tritt am 1. Januar 1898 in Wirksamkeit. Sitz der Direction ist bekanntlich Gotha. * Heidelberg, 2l. Juli. Eine hier abgehaltene Ver sammlung der Vertrauensmänner des Bundes der Land- wirlhe faßte den Beschluß, bei der bevorstehenden Land tagswahl in Heidelberg-Land in erster Linie den Candidaten der Antisemiten, Laudwirth Mampel in Kirchheim, kräftig zu unterstützen. * Karlsruhe, 20. Juli. Auf dem hier abaehaltenen XVII. deutfchenGlasertage,auf dem zahlreiche Innungen vertreten waren, wurde betreffs der Organisation veS Handwerks betont, daß das Gesetz in seiner jetzigen Fassung nur einen kleinen Theil der Wünsche der Handwerker erfülle. Man werde deshalb weiter kämpfen müssen für die Reckte, die dem Handwerk und speciell dem Glaserstand zustehen. Da man annehme, daß unter der jetzigen Regierung noch Vieles zur Unterstützung des Handwerks gethan werde, so werde man daö bereits Erkämpfte auch vortheilhaft für die Innungen nutzbar machen. * Straßburg, LI. Juli. Der katholische Geistliche und Gym- nasialprosessor Wilhelm Bunkofer in Wertheim ver öffentlicht in der „Straßburger Post" eine länger« Erklärung, wonach er in einem Schreiben an daS erzbischöfliche Capitel in Freiburg seinen Austritt aus der päpstlichen Kirche angezeigt habe. Es sei dies die letzte Consequenz einer über rin halbes Menschenalter zurückreichende» schwere» geistigen GemüthSarbeit, die ihn genöthigt habe, Stein für Stein abzubrechen von einem Bau, der in der ersten Hälft« seine« Leben- nach einschließlich römischen Princlpien und daher mit ungenügen dem Material aufgeführt worden sei. Nur die völlige Los sagung vom neuen Testament und der Geschichte der ersten Jahrhunderte deS Christenthum« mache e« möglich, sich noth- dürflig in die letzte Gestaltung der römisch-kirchlichen Verhält nisse zu finden. Bestimmend sei für ihn u. A. dir Wahrnehmung, wie dem sich in Alle« fügenden braven katholischen Volk« durch die öffentlichen Gottesdienste mehr und mehr die HerzenSsprach« mit seinem Gott abgewöhnt werde und man ihm zumuthe, unverstandene Laute für Vernünftiges zu halte»; fernerfdte Wahrnehmung, wl« di» öffentlichen Andachtübungeu fortwährend mehr veräußerlichend wirken und der Cultu« de« Ablässe« Dimensionen annehme, die einen gebildeten Katholiken »mp0r»n «üff»n. Die groß« Gäad« de« Jahres 1870 trage ihre gerechte Strafe in sich selbst, an der die Kirche zu Grunde gehen müsse, indem gauz von selbst der Abso lutismus den Knechtdienst und di» Unfähigkeit zücht», also die ganze bildung-fähig» Welt, die auf Freiheit und Wahrheit uiemal« ver zichten könne, mehr und mehr von sich stoße. * München, 21. Juli. Die „Aug«burger Abendzeitung" meldet, der Besuch des Kaisers in Tegernsee sei neuer dings wahrscheinlich geworden. (F. Z.) Oesterreich-Ungar«. * Wien, 21. Juli. Die „Neue Fr. Pr." schreibt: „Für die Deutschen in Oesterreich ist eine Stärkung ihres Selbstgefühls, zu wissen, daß die guten Wünsche des ganzen deutschen Volke« sie in ,hrem schweren Kampfe begleiten, aber daß dir zu einem unvergleichlichen Kranze vereinigten Blüthen der Nation Zeugniß für die Gerechtigkeit ihrer Sacke ablegen, daS ist geradezu eine Beruhigung ihres Gewissen-, und wenn das von allen Seiten angerufene Recht wirklich entscheidend wäre, so hätten sie damit schon gesiegt. Mit ge recktem Stolz dürfen darum die Männer, die den Widerstand der Deutschen gegen die über sie verhängten Maßregeln organisirl haben, auf die Adresse der deutschen Universitäten blicken. Sie ist ein Document, wie eS deren nur wenige giebt und daS ihnen bezeugt, daß sie auf dem reckten Wege sich befinden. Freilich wäre es thöricht, zu glaube», daß die Feinde des DeutschthumS sich dadurch werden bestimmen lassen, auch nur um eine Linie von der gewalttbatigen Forderung zurückzuweichen, daß die Deutschen in Böhmen in ihren Wohnsitzen, bei ihren zu ständigen Gerichten und Behörden zur Doppelsprachigkeit gezwungen werben müssen, um dem böhmischen SlaatSrechte Reverenz zu erweisen. Allein der moralischen Wirkung, die eS auf alle unbefangenen Beurtheiler au-übeu muß, wenn die Autorität nahezu der gesammten deutschen Wissenschaft sich dagegen ausspricht, wird sich Niemand, werden auch die deutsch-feindlichen Parteien auf die Dauer sich nickt entziehen können. Der Kampf ist längst über die Grenzen hinausgewachsen, innerhalb deren Rührigkeit der Agitation, Geschicklichkeit in der Wahrnehmung der Umstände, Gunst oder Abgunst der augenblicklichen Macht haber entscheidend sind. Die Majorität im Parlament mag sich so oder so zusammensetzen, die Regierung mag Baden, oder anders heißen, eö siebt ein- für allemal zur Entscheidung, ob die Politik in Oesterreich fortgesetzt werden kann, io welcher jeder nationale Anspruch Berücksichtigung findet, nur der jenige der Deutschen nicht. Da ist eS von unschätz barem Wert he, daß die Adresse der deutschen Hochschulen unS und aller Welt sagt, da- Recht sei auf Seite der Deutschen. Der Ausgang kann nicht zweifelhaft sein, denn die gerechte Sache ist unüberwindlich." * Pest, 21. Juli. (Telegramm.) Abgeordnetenhaus. Fortsetzung. Gras Apponyi richtet in seiner weiteren Rede die Bitte an die Majorität, ihre Rechte maßvoll zu gebrauchen sowie zur Beruhigung des Landes alle kleinlichen Eitelkeiten au« Lein Spiele zu laßen. Auö demselben Grunde möge auch die Regierung ihren Antrag fallen lassen. Der Abgeordnete Stefan TtSza weist daraus hin, daß der Antrag aus Beriängrruug der Sitzungen schon öfter angenommen worden ist und daß die Majorität ebenso sehr unter einer solchen Verlängerung zu leiden habe, da sie für die Beschlußfähigkeit de« Hauses sorge» müsse. Redoer erkennt dir Berechtigung eines Compromiffe« au, hier sei aber nur von einem Handel di« Rede. „Wenn dieser Handel zu Stande kommt, werden Sie alle gegen uns erhobene Anklagen fallen lassen." (Lärm links, Eljen- rufe recht«.) Der Weg der Opposition führe zum ConcurS des Parlament«. Dir Opposition könne wählen, habe aber auch die Verantwortung zu tragen. Wenn sie sich für dir Obstruction er kläre, werde die Majorität mit Anspannung aller Kräfte für die Vertheidtgung des Parlament« eintretea. (Stürmischer Beifall rechts.) Graf Apponyi erwidert darauf, wo« das Vorgehen der Lpposilion betreffe, so übernehme er mit Stolz die Verantwortung und erkläre sich mit ihrem bisherigen Verhalten vollständig solidarisch. Belgien» Streik. * Brüssel, 21. Juli. Etwa 1000 Arbeiter sind gestern im Borinage wieder angefahren, so daß man mit der vierten Woche auch die Beendigung des Ausstandes erwarten kann. Die Leute umstehen vielfach die Zechen, theil- um einen günstigen Augenblick abzuwarten, um anzufahren, theil- leider auch, um die Anfallenden abzuhalten. So sind gestern an mehreren Punkten Arbeitsstörungen vorgekommen, wobei die Gendarmerie eingreisen mußte. Die Socialistcn wühlen gegen die Wiederaufnahme der Arbeit. Pepin »uS PLturages will die Leute dazu bringen, auch dann nicht anzufahren, wenn die Grubenordnunzen aufgehoben werden, denn alsdann müsse «ine Lohnerhöhung durchgesryt werden. Der Bürgermeister von Hornu hat Versammlungen im Freien untersagt; der socialistische Abgeordnete Brenez will die Regierung in der Kammer darüber zur Rede stelle». Derselbe Brenez befand sich gestern in Len« im Pas-de-CalaiS und berieth mit dem französsscheu Abgeordneten Lamendin über Grldunterstützungen. Bier BorainS gehen in den Arbeitercitss des französischen KohlenbezirkeS mit Sammellisten für die Ausständischen um. Schweiz. * Ende Juni ist die ArbritSlosen-Bersicherung der Stadt St. Gallen nach kurzer Dauer zu Ende gegangen. Die Indolenz der Arbeiter, welche sich, so führt „Nun, und wenn e?S wäre?" deutete der Alte mit gleich- mütbigem Achselzucken an. Das trieb ihr da- zornige Blut in die Stirn. „Pfui, Onkel I" sagte sie. „Kleine", entgrgorte er ihr von der Höbe seiner siebenzig- jährigeu Erfahrung, „durch ein schlechte- Weibsbild ist schon mancher bessere Manu verächtlich geworden." „Meinetwegen!" stieß st« gefoltert hervor. „Aber »Da für Beweise hast Du, daß er —" „Nun hört doch alle- auf!" lachte er. „Gestern Abend erst hat sie selbst da- Frauenzimmer unter seinem Fenster schmachten sehen!" „Uud die- ist Dein einziger Beweis?" rief sie staunend, fast schon triumphirend. „Onkel, den lasse ich nicht gelten." „Gut, dann wende Dich an die Frau Amtmann, sie hat einen ganzen Sack voll, die Dir einleuchtender sein mögen. Der Klatsch ist schon ziewlich weit herum in der Gegend; wohin man kommt, wird «au daraus augeredet. Und — wa- ,ch noch sagen wollte — Du fragtest, wann er zurückgrkehrt wäre. Na, damit Du'S denn weißt, au ein und demselben Tage mit ihr. Wenn da- Zufall ist, so iss- doch em verteufelt merk würdiger — wat?" Die antwortete nicht. Sie batte sich halb abgewendet von ihm, die Brust hob «ud senkte sich wie unter einer schweren Last. „Lass' Di?- nur 'mal im Kops herumgehen, wirst schon »och zv demselben Schluß gelangen wie andere Leute", weinte er zuversichtlich. Dann seine Uhr consultirend, rief er: „I da soll denn dock gleich! Es geht wahrhaftig schon auf zehn. Gott beföhle«, Kleine! Ich muß jetzt endlich machen, daß ich »u den Tagedieben von Holzhauern komme!" Da schritt er hm — leicht und elastisch wie ein Jüng- ling. Bevor er um die nächste Waldeck« bog, nickte er noch einmal zurück. Sie sah e- nicht, stand, die Augen am Boden, dumpf vor sich hinbrütend. Plötzlich raschelte e« im Gebüsch und quer über ihren Pfad lief «in Eichhörnchen. Sir schrak mfammen uud damit kam Bewegung in ihre Füße. Mechanisch einen vor de» anderen setzend, waudrrte st« nun weiter, immer weiter in de» Waid hinein, des Wege halte sie nicht Acht. Wo sich ihr ein Wirrniß von Dorn- gestrüpv und Unterholz entgegen stellte, brach sie sich mit einem ungeduldigen Seufzer Bahn. Was hatte das dumme Busch werk sie in ihren Gedanken zu stören — solch tödtlich bittere Gedanken wie es schon waren?! Sie hatte doch gelitten — hatte doch bereits furchtbar gelitten die Zeit her, aber wenn da- Wahrheit war, was der Onkel behauptet hatte, dann sing heute ihr Leiden erst an. Ach! sie wollte eS ja nicht leugnen, eine jede — auch die würdigste — Nebenbuhlerin wäre ihr verhaßr gewesen, aber Anna vcu Heilbronn als Nebenbuhlerin — in der Vorstellung war die Hölle selbst. Ein so schlechte» — o Gott! ein so furchtbar schlechte- Geschöpf! All ihr Sinnen und Trachten lief ja auf Lug und Trug, auf Tücke und Hinterlist hinaus. Wie in Vic Welt gesetzt war sie, einen Menschen unglücklich zu machen. Warum aber nicht einen Menschen von ihrer eigenen abscheulichen Sorte, warum gerade ihu — ihn, der — Und da redeten sie von himmlischer Gerechtigkeit! Bah! Die himmlische Gerechtigkeit faß droben gleichmükhig auf ihrem Thron und ließ die Leute blindlings m ihr Verderben laufen. Nein, blindlings doch nicht in diesem Falle. Die Augen waren ihm geöffnet gewesen. Ihre Schlechtigkeit hatte er erkannt — die Verachtung, die sie ihm einflößte, offen aus- gesprochen, und dennoch — dennoch. — E- war nicht zu be- greifeai Und doch! Die Natur hatte ihn als Künstler erschaffen, daß er die schöne Form suchen, sich an ihr entzücken mußte, wo er sie fand. Die schöne Form aber, die wie bestimmt schien zum Kleid für die edle Seele, die thrilte die Natur auch an Unedle au». So kam eS, daß eS ihn zu ihr binzog uud von ihr abstieß, um ihu wieder mit verdoppelter Gewalt zu ihr hinzu wa» war daS? Nanny zuckte zusammen, stand wie angewurzelt. Gelacht hatte r- plötzlich — laut unv höhnisch hiocingrlacht in ihre quälenden Gedanken. Ja, war den» wirklich Jemand in der Nähe oder hatte ihr nur die Phantasie einen Streich gespielt? Vang« hob sie den Blick, ließ ihn suchend umberirren und — wie mit eiskalter Hand griff ihr der Schrecke» an - Herz, denn nickt zehn Schritte von ihr entfernt, auf einem Eichen stumpf, saß — Antou Hartmann, der Müllerssohn, der weg gejagte Reitknecht! Der Unglückliche! ein Wunder noch, daß sie ihn erkannte. Er war jetzt nicht viel mehr wie ein Knochengerüst, um das zerfetzte, beschmutzte Kleider schlotterten. Als hätte er Tag und Nacht im Wald verbracht, so sah er aus. Wie schwer vom Morgenthau sielen ihm die langen, wirren Haarbüschel in die Stirn. Mit hohnverzerrtem Gesichte starrte er in emen abgegriffenen Band, der ihm aufgeschlagen auf den Knien lag. Gottlob, daß er la-, daß er sich ihrer Gegenwart noch nicht bewußt war! Wenn sie jetzt leise, leise den Fuß hob, sich vorsichtig hinter da- nächste Gebüsch stahl, dann kam sie vielleicht noch unbemerkt davon — so hoffte Nanny, aber bei der ersten Bewegung, die sie machte, heftete sich eine Dorn ranke an den Saum ihre- Kleide-. Ein laute- Rascheln in dem dürren Laube uud — der Kopf de- Lesenden fuhr herum. Für den Moment schien eS, al- sollte sich die SchreckenS- scene von damals wiederholen. Halb hatte sich der Irr« schon von seinem Baumstumpf erhoben uud unter de» buschigen Brauen hervor funkelte er Nanny an, wie mit Raubthier- augen. Plötzlich aber ließ er sich auf feinen Sitz zurücksioken. „ES ist die Andere," murmelte er, dann sich seitwart- wendrnd wie gegen einen unsichtbaren Jemand, in lautem, heftig herauSforderudem Ton: „Meinst, ich wußte eS nicht, daß e- die iwdere ist?" Nun la» er wieder. Ob e- ihr jetzt gelang, sich sachte au- dem Staub« zu machen? Wenn doch ihre Kar« nicht so gezittert hätten, wenn doch die dumme Dornrauke — wie mit hundert Häkchen hatte sie sich in da- Kleid gekrallt uud hier gelöst, heftete sie sich dort wieder fest. E« war zum Verzweifeln, «S — es war auch schon zu spät! Gott! er la« ja nicht mehr — stierte ja wieder herüber — hielt sie wie an die Stelle gebauat unt seinen fürchterlichen Auge». „E- ist ein Pack von Lügen!" warf er ihr grollend zu. „Es ist ein Pack von Lügen!" wiederholte er laut und schrill, eine Entgegnung heischend. „Ja!" stieß sie au- ihrer Tode-angst hervor. Er nickte. Daan mit irrem Lache»: „Uud steht doch in der Bibel — ha ha ha! — und steht doch in der Bibel — in der Bibel — ha ha ha!" Es schüttelte sie bei dem Lachen, sie machte ein Wendung wie zur Flucht. „Sie glaubt mir nicht!" schrie er, erbost in die Höhe fahrend. „Ja dock — ja!" stammelte sie und stand wieder regungs los, kaum zu athmen wagend. „DaS dumme Weibervolk", knurrte er, immer noch miß trauische Wuth in den Augen, „es will Alle- besser wissen!" Und die geballte Faust auf daö Buch niederschmetternd: „Ni ob ich- hier nicht schwarz auf weiß hätte!" Noch ein höhnischer Seitenblick auf Nanny, dann plötzlich begann er zu lesen. „Erste» Buch Mose, ncununddreißigsteS Capitel. Josef ward hinab in Egypteu geführt und Potivhar, ein egyptischer Mann, de» Pharao Kämmerer und Hofmeister, kaufte ihn von den J-maeliten, di« ihn hiaabbrachten rc." Mit einer seltsam ungelenken Zunge, die jetzt ganze Sätze lallend ineinander jagte, jetzt stockend und stammelnd vor einem Worte inaehielt, um e- endlich — wie von der eigenen Schwerfälligkeit erbost — überlaut und schrill i» den Wald hinein zu schleudern, la- er und Nanny stand dabei, am ganzen Körper bebend. „Wenn doch der Onkel kommen — wenn doch irgend eine Menschenseele sich meiner erbarmen wollte!" dachte sie und flocht die Finger krampfhaft ineinander und ließ die Blicke angstvoll schweifen. E- half ihr nichts. Kein lebendes Wesen zeigte sich. Die war und blieb allein mit dem Wahnsinnigen. Doch — er schien so vertieft — schien ihre Anwesenheit vttgefsrn zu haben. Wenn sie e- nun wagte — sich rasch von dem Dornzweig befreite und dann — ach! sie hatte ja nicht einmal Zeit sich zu bücken! „Da uahm ihu sein Herr und legte ihn in» Gefängniß —" hier angelaagt, stockte der Lesende, bog den Kopf in den Nacken und schlug eine schauerliche Lache auf, „da nahm ihn sein Herr uad legte ihn ins Gefängniß", wiederholte er höhaend, wüthend fuhr er von seinem Sitze in dir Höhr, war mit einem Sprunge bei Nanny und stich ihr die Bibel fast i»S Gesicht. (Fortsetzung folgt.)
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