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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.07.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970723027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897072302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897072302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-23
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V418 „seiner UeberzeüMg von der Nothwendigkeit, der Social demokratie ein Ende zu machen, in gewohnter entschiedener Weise Ausdruck gegeben habe". Wir baden schon bei der ersten Ankündigung der Dazwischenkunft Miquel s hervorgehoben, daß dieser Politiker der denkbar aussichtsloseste Vertheidiger eines Ausnahmegesetzes ist, weil er im Jahre 1890 den Kaiser in der damaligen Abneigung gegen die Wiederherstellung des — ledig lich durch die Einwirkung des Monarchen gefallenen — SocialistengesetzeS bestärkt hat. Wir wollen übrigens noch bemerken, daß das BiSmarck'sche Socialistengesetz nicht ent» fernt so weit ging, wie die Herrn v. Miquel neuerdings gegebene Direktive vorzeichnet. Er wollte — ausgesprochener maßen, wie auS der Begründung hervorging und von Regierungs mitgliedern mündlich bestätigt wurde —keineswegs „der Social demokratie ein Ende machen", sondern die g e m e i n g e f ä h rl i ch e n Bestrebungen der Socialbemokratie bekämpfen. Damals gestattete man sich in der Politik noch den Luxus deS Ueber- legenS und AbwägenS, kam aber trotz dieser Verschwendung weiter, als bei der heutigen Asketik. Die vom Telegraphen bereits gemeldete Erklärung des „Reichsanzeigers", das vom Bunde d-r Land- wirthe beantragte zeitweilige Getreide - ILinsuhrvcrbot würde mit den bestehenden Handelsverträgen nicht vereinbar sein und es werde dem Anträge „schon die ser- halb" nicht stattgegebcn werden können, ist jedenfalls in der Sitzung deS preußischen Staatsministeriums vereinbart worden, die unter dem Vorsitz des neuen Vice präsidenten Or. v. Miquel gestern Nachmittag stattsand. Sie ist kurz und ohne jene Schärfe, auf die man durch die gestern mitgetheilte Auslassung der „Berl. Polit. Nachr." vorbereitet worden war. Aber der Hinweis darauf, daß der Antrag „schon dieserhalb" nicht annehmbar sei, deutet an, daß die Antragsteller, sofern sie von der Erklärung des „Reichsanzeigers" noch nicht abgeschrcckt sind und im preußi schen Abgeordnetenhause eine eingehendere Auslassung der Regierung provociren, eine Antwort erhallen werden, die außer den Handelsverträgen noch andere Thatsachen aufsührt, die dem Anträge entgegenstehen, von seiner Begründung mit hin nicht viel übrig lassen und deshalb eine Zurückweisung von genügender Schärfe bedeuten. Daß man in den maßgebenden Kreisen der übrigen deutschen Staaten über das neue Verlangen des Bundes nickt anders denkt, als in Preußen, ergiebt sich aus den Auslassungen der Regierungsorgane, die ohne Ausnahme dieses Verlangen zurückweiseu. Mit be sonderer Schärfe geschieht dies in der amtlichen „Karls ruher Zeitung", deren Auslassung um so bemerkenS- werther ist, je weniger die badische Regierung dem Ver dachte ausgesetzt ist, 'ein Verständnis für die Lage der Land- wirthschaft zu haben. In vieser Auslassung heißt eS: „Das Verlangen des „Bundes" ist in Wahrheit nicktS weiter, als der Versuch einer Aufstachelung desjenigen Theiles unserer heimischen producirenden Kreise, der unter der Ungu '.st der Ver hältnisse leidet, gegenüber anderen weiten Volksichichten, ein Versuch, der die entschieden st «Gegnerschaft aller ernst denkenden Vaterlands- freunde heraussordert, die in der Wahrung des Wohles der All gemeinheit im Gegensatz zur Bevorzugung einzelner Stände die Grundbedingung der Erhaltung des Staates erkennen. Wenn nun gar dieser Bevorzugung an gegebenen Thalsachen ihre natur- gemäßen Grenzen gezogen sind, wenn diese Grenzen nur mit Ver letzung der aus Treu und Glauben begründeten inter nationalen Beziehungen umgangen werden können, und wenn schließlich die Anreger von Vorschlägen, wie sie soeben vom „Bunde der Landwirthe" ausgehen, nach ihrer politischen Vorbildung und socialen Stellung sich von vornherein über die Aussichts losigkeit derselben klar sein müssen, trotz alledem aber von ihrer Verbreitung im Volke nicht abstehen, dann darf man mit Fug und Recht von einer künstlich in dir Massen verpflanzten Aufreizung sprechen." An die konservativen Bundesmitglieder und die übrigen Conservativen könnte kaum eine eindringlichere Mahnung, sich nicht zu Handlangern der Bundesleitung her zugeben, gerichtet werden. Die belgische Kammer hat bekanntlich im Lanfe der jetzigen Tagung einen Gesetzantrag der vlämischen Abgeordneten an genommen, wonach die Gesetze in beiden Landes sprachen zur Berathung gestellt werden müssen. Bislang gilt die Gepflogenheit, daß die Gesetze in französischer Sprache beratben und erlassen, dann erst bei der Ver kündigung inS Niederländische übersetzt werden. Eine Gleich berechtigung ist also nicht vorhanden. Praktisch würde sie den Nutzen haben, daß der niederländische Text ebenso gut amtlich wäre, wie der französische, waS dem Studium und der Rechtspflege in der Sprache der Vlamen förderlich wäre und auch auf die Verwaltung in einem den Vlamen günstigen Sinne wirken müßte. Der Senat brach auf Antrag des früheren Justizministers Lejeune dem Entwürfe die Spitze ab, indem er beschloß, die Abstimmung über Texte in beiden Sprachen nur statthaft, nicht verbindlich zu machen. Der Entwurf mußte also verändert an das andere HauS zurück gehen, dessen Ausschuß nunmehr einen Bericht erstattet hat, der den früheren Standpunct festhält: Dir Gesetze werden in französischer und niederländischer Sprache zur Abstimmung gebracht, vollzogen und verkündigt; Regierungsentwürfe sind m beiden Sprachen einzubringen, Gesetzanträge aus den Häusern in beiden Sprachen oder in der Sprache ihrer Ur heber, wobei in letzterem Falle der Vorstand vor der weitern Behandlung eine Uebcrsetzung veranlaßt; Besserungsanträge, die im Laufe der Verhandlungen gestellt werden, können in nur einer Sprache zur Abstimmung gebracht, müssen aber, wenn angenommen, vor der endgiltigen Annahme (eS muß zweimal abgestimmt werden) übersetzt werden. Die Schlußabstim mungen müssen über beide Texte zugleich stattfinden. Bei der Auslegung der Gesetze soll e- bei den bisherigen Ge pflogenheiten sein Bewenden haben, ohne daß ein Text den Borrang über den andern haben könnte. Die Angelegenheit, die nunmehr einen Conflict zwischen beiden Kammern dar stellt, wird in der gegenwärtigen Tagung nicht mehr zur Verhandlung kommen. Anläßlich des Beginns der Verhandlung deSProcesse« Boitsckew sucht die dnlgarische Regierung sick von dem Borwurfe reinzuwaschen, daß sie dabei eine Sckuld treffe. Für den fürstlichen Hof sei eS natürlich sehr bedauerlich, daß ein so unwürdiger Mensch zu seiner engsten Umgebung gehört habe, aber das sei nun einmal ein Unglück persönlicher Art, das noch dazu dadurch erklärlicher gemacht werde, daß man in einem jungen Staate wie Bulgarien in der Auswahl der Personen mit viel größeren Schwierigkeiten zu kämpfen habe. Das Alles ist richtig, aber immer bleibt dabei das — man kann wobl sagen — fürchterliche Bild, daß ein junger Officier, dem eine Geliebte unbequem wird, sich vertrauensvoll an die Polizei wendet und diese mit einer unverkennbaren Selbstverständlichkeit zu ihrer Ermordung auffordert. Genau ebenso kennzeichnet cS sick, daß ein Polizei chef den Auftrag ohne sonderliches Erstaunen anniiumt und daß schließlich ein Gendarm ohne weiteres Bedenken den Befehl des Vorgesetzten ausführen hilft. Hält man damit die durch die Voruntersuchung zu Tage geförderte Thatsache zusammen, daß Boitsckew vorher schon mit mehreren Droschkenkutschern verbandelt und sie zur Ermordung der Anna Simon hat verleiten wollen, so bleibt der Eindruck bestehen, daß jetzt in Sofia die Ermordung einer miß liebigen Person gar keine so auffallende Sache ist und Laß die dabei betheiligten Personen keineswegs besondere Furcht vor Entdeckung und Bestrafung zu haben scheinen. Wenn man bedenkt, daß Bvitschew seinen Mordauftrag den Polizisten gegenüber auf einen Befehl des Fürsten stützte und daß die Polizisten dieser Angabe allem An schein nach wirklichen Glauben schenkten, so zeigt LaS eine moralische Verwirrung schlimmster Art. Wir glauben selbstverständlich, daß Bvitschew, als er diesen Auftrag vor schützte, gelogen hat, aber daß ihm überhaupt geglaubt werden konnte, das ist eben das Schlimme und leider nicht unerklärlich, wenn man sich erinnert, daß die schmähliche Hinschlachtung Stambulow's ebenfalls ohne Sühne ge blieben ist, daß die bekannten Mörder frei unter den Augen der Negierung in Sofia umherlaufen konnten und daß nach diesem Verhalten ein Mord in den Augen vieler Bulgaren als entschuldigt und als Ausbilfsmittcl in peinlichen Lagen gerechtfertigt erscheint. Solche Rechtlosigkeit muß vergiftend wirken. Daß und in welchem Grade sie eS thut, kann man jetzt am Proceß Bvitschew sehen. Deutsches Reich. — Berlin, 22. Juli. Auf die Auslassung der „Eons. Corr." über daö Vcrhältniß zwischen Conservativen und Bündlern antwortet die „Corr. d. Bund. d. Landw." sehr entschieden. Die Aufforderung, nicht so kurzsichtig zu sein, müsse entschieden zurückgewicsen werden, denn das höre sich an, als ob der Bund eine „Commandite der conservativen Firma" sein solle. ES heißt dann in der Erklärung: „Die „Eons. Corr." erhebt aber nock neue Angriffe gegen uns. Sie behauptete zunächst, „unleugbar" besiehe der bei Weitem größte Theil der zur Bundescasse steuernden Mitglieder aus Conservativen. Das conservative Organ ist ja über unsere Interna besser orientirt als wir selber; will es nns nicht gütigst seine Statistikausmachen?... Und zum Schluß fordert die „Conj. Corr." die conservativen Bundesmitglieder auf, das nicht länger gleichmüthig hinznnebmen! Wir verstehen, aufrichtig gesagt, diese Aufforderung nicht, sind uns außerdem aber unserer conservativen Mitglieder so sicher, daß wir glauben sagen zu dürfen, sie würden unbedingt zum Bunde halten, falls es einmal zu Differenzen zwilchen „bündlerisch" und „gouvernemental" — wohlverstanden nicht zwischen „bündlerisch" und „konservativ" — kommen sollte I Was das Verhalten des Bundes gegenüber Antisemiten und Conservativen anlangt, so müssen wir aus das zurückgreifen, was wir schon so und so oft ausgesprochen haben: Wir können uns in Kämpfe zwischen beiden Parteien nicht ein mischen, unsere Auf gabe muß es sein, sie um möglichstes Friedenhalten zu ersuchen. Bei Wahlkämpfen in den einzelnen Wahlkreisen haben lediglich unsere Mitglieder in den betreffenden Wahlkreisen darüber zu befinden, welchen agrarischen Caudidaten, ob den conservativen oder den antisemitischen, sie unterstützen wollen. Ein Eingreifen von Berlin aus aber hat die Bundesleitung bisher stets vermieden." Was den letzten Passus anlangt, so bat die „BundeS- correspondenz" entweder ein recht kurzes Gedächtniß, oder sie ist auffallend schlecht unterrichtet. Wir erinnern zunächst an Eisenach, wo bei der Neuwahl 1895 unter Vorschiebung eines Häufleins Conservativer von Berlin auS die Candi- datur des zweiten Bundesvorsitzenden, vr. zur. Nö ficke, „gemacht" und mit diesem Eingriff direct Stellung gegen die Antisemiten genommen wurde. Wir erinnern ferner an Plauen (23. sächsischer Reichstagswahlkreis), wo dieselbe Berliner Bundesleitung sich in geradezu einzig dastehender Art in den Wahlkampf im Mai 1894 einmischte. Der „Bund der Landwirthe" im Plauener Wahlkreise batte sich mit überwältigender Mehrheit für eine Unterstützung der von der conservativen und nationalliberalen Partei aufgestellten Candidatur Uebel ausgesprochen. Da gegen verbreitete die Berliner Leitung des Bundes ein in Berlin (bei Wilhelm Jßleib) gedrucktes Flugblatt, gez. von Plötz, vr. Rösicke, vr. Suchsland, A. Landmann und Oswin Schmidt, aus daS zur Wahl des Antisemiten Schubert aufforderte, also gegen die wohlerwogene Entscheidung der eigenen Bundesmitglieder im Kreise und gegen die Conser- vativen Stellung nahm. Obwohl der KreiSdelegirte Kreller und die Hauptdelegirten Mühlmann und Kasten hiergegen öffentlich und in schärfster Form Stellung nahmen, beharrte die Berliner Bundesleitung bei ihrer daS Gegeu- tbeil von „Friedfertigkeit" bethätigenden Einwirkung und lieferte durck die Unterstützung der gänzlich aussichtslosen Candidatur Schubert in Gemeinschaft mit den Herren Lieber mann von Sonnenberg, Ullrich-Chemnitz, Leuß und Anderen den seit 1870 zäh vrrtheidigten Wahlkreis an die Social demokratie auS. Berlin, 22. Juli. Bei dem Verbot der Arbeit schul pflichtiger Kinder in Fabriken und den Verpflichtungen, die mit der Beschäftigung jugendlicher und weiblicher Arbeiter verbunden sind, war eS natürlich, daß die Arbeiter- sckutzgesetzgebung eine Verschiebung gerade auS diesen Arbeiter kategorien in die Hausindustrie zur Folge batte, die, der Gewerbeaufsichl nicht unterstellt, in der Bestimmung der Arbeitszeit und Ausnutzung der Arbeitsräumlichkeiten und Arbeitskraft volle Freiheit hat. In Folge dessen ist seit dem Bestehen der Arbeitersckutzbestimniungen der Gedanke erwogen worden, den staatlichen Arbeitsschutz auch auf die Hausindustrie auSzudcbnen. Mit Recht hat man indeß bei den großen Schwierigkeiten auf diesem Gebiet gegenüber dem Andrängen radikaler Socialpolitiker darauf bestanden, zuerst sichere Er fahrungen zu gewinnen, um nicht zugleich mit der Be- schräntung der in der Hausindustrie in Erscheinung tretenden AusbeulnngSformen auch die Betriebe zu benachtheiligen, die sich als nothwendige Arten des Hausfleißes und Familien gewerbes charakterisiren. ES ist natürlich, daß auch die Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamtcn sich besonders eingehend diesem Gegenstand widmen. Man kann dies um so mehr verstehen, als die Aufmerksamkeit der Beamten dort am meisten sich angeregt fühlt, wo die Nothwendigkeit eines staat lichen Eingreifens sich ihnen aufdrängt, zugleich aber die Un möglichkeit, eingreifen zu können, sich der guten Meinung hindernd in den Weg stellt. So kann es auch nicht Wunder nehmen, daß in verschiedenen Aufsichtsbezirken nicht blos die Anwendung bereits bestehender Schutzbcstimmungen für dringend notbwendig empfohlen wird, sondern direct die Anregung auflritt, so bald als thunlich besondere, neue Vor schriften für die Hausindustrie zu schaffen. Dies empfehlen die GewerbeaufsicktSbeamten in Düsseldorf, Minden, Hannover und Posen; der Gewerberath für Minden beruft sich dabei direct auf die Zustimmung einer großen Anzahl wohlwollender Fabrikanten. — Der Kaiser hat, wie man der „T. R." mittheilt, aus seiner Privatschatulle für die hagelbeschädigten Gemeinden des Elsaß 10000 gespendet. — Der StaatSsecretair deS Rcichsschatzamteö Freiherr von Thiclmann wird dem Vernehmen deS „Hamb. Corr." nach in den ersten Tagen des August aus Washington hier eintreffen. — Im Anschluß an die auch uns zugegangeue gestrige Meldung, daß StaatSsecretair Frhr. von Marschall im Reichsvienste verbleiben werde, erfährt die „Voss. Ztg.", daß er als StaatSsecretair des Auswärtigen Amts sein Entlassungsgesuch eingereicht habe. Wann daS ge schehen sei, darüber sagt die „Voss. Z." nichts. — In der „Post" lesen wir: „Nach der Polizei-Ver ordnung vom 10. October 1896 dürfen bekanntlich während der Charwoche weder öffentliche, noch private Lustbar keiten und M usi kaufs übrungen stattfinden, sofern sie nicht einen ernsten Charakter tragen und in Concertsälen stattfinden. Diesen §12 der Verordnung sollte der Gast- wirth Emil Köpnick am Abend des 12. April d. I. dadurch übertreten haben, daß sein unmündiger Sohn das Musikstück I^os clock>68 cku monsstöl'6 (Die Klosterglocken) auf dem Clavier übte. Ein patrouillirender Schutzmann hielt dies für eine Musikaufsührung und zeigte den Gastwirth an. Das Schöffengericht verurtheilte ihn auch zu einer Mark Geldstrafe. Vor dem Landgericht kam heute die Sache zur nochmaligen Verhandlung. Der Vertheidiger betonte: Es bandle sich um die ersten Lernversuche des kleinen Sohnes des Angeklagten; das zweifellos stümperhafte Spielen deS Knaben könne wohl schwerlich als Musik aufsührung betrachtet werden. Da außerdem die Weise des Stückes eine ernste sei, müsse sowohl aus rechtlichen, wie tat sächlichen Gründen die Freisprechung erfolgen. Der Staats anwalt beantragte die Verwerfung der Berufung. Der Gerichtshof ließ es dahingestellt sein, ob das Stück eine Musikaufsührung sei und ob der Sohn zu Lern- oder andern Zwecken gespielt habe. Thatsächlich stehe aber die unwider legte Behauptung fest, daß der Sohn nicht gespielt habe, um die Gäste zu unterhalten, weshalb auf Freisprechung zu erkennen sei. — Herzog Johan» Albrecht, Regent von Mecklenburg- Schwerin, ist heute Mittag aus Muskau hier eingetroffen und im Hotel „Reichshof" abgcstiegen. — Generalfeldniarschall Graf Blumenthal weilt zur Zeit auf seiner Besitzung Quellendorf bei Köthen. Es ist unsicher, ob er sein bevorstehendes Dienstjubiläum in Berlin feiern oder in stiller Zurückgezogenheit auf seinem Ruhesitze begehen wird. Das Befinden des greisen Marschalls ist in der letzten Zeit nicht ganz günstig ge wesen. Er hat aus eine projectirte Schweizer Reise anscheinend vorläufig verzichtet und legt sich zur Zeit noch eine gewisse Schonung nach einer überwundenen Unpäßlichkeit auf. Sein nach Quellendorf zu einer Conjultation berufener Hausarzt ist wieder nach Berlin zurückgekehrt. — Der kaiserliche Generalkonsul Schmid t-Leda in Uokohama hat einen Urlaub nach Europa angetreten, während dessen Dauer die Geschäfte des Gcneralconjulats von dem Viceconsul Kallen wahrgenommen werden. — Nachdem der Verweser de« kaiserlichen Sonsukat- fit Louren?o-Marqnez Graf Pfeil einen Urlaub angetreten, werden die Geschäfte deS Consulats von dem dorthin entsandten Viceconsul Walter wahrgenommen. — Der dänische Gesandte v. Bind hat Berlin mit längerem Urlaub verlassen. Als Geschäftsträger sungirt inzwischen der Legationssecretair v. CarsteaSkjold. * Altona, 23. Juli. Die Blättermeldung, daß gegen den Bürgermeister Thomsen in Elmshorn daS DiSciplinar- verfahren eingeleitet sei, wird von den „Elmshorner Nach richten" als unwahr bezeichnet. * Hildesheim, 21. Juli. Dem Club „Georg Wil helm" zu Hildesheim wurde bei der letzten Langensalza- Feier vom überwachenden Polizeibeamten verboten, das Lied „Unserm Ernst August Heil!" zu singen. Auf die bei der dortigen Polizeidirection eingereichte Beschwerde ist, der „Deutschen Volkszeitung" zufolge, dem Vorsitzenden des Clubs „Georg Wilhelm" folgende, vom Polizeivirector vr. Gerland unterzeichnete Antwort zugcaangen: „Ich bin nicht in der Lage, Ihnen zu gestatten, das Lied „Unserm Ernst August Heil" zu siugen. Dies der Nationalhymne nachgebildete Lied läßt die Deutung zu, als wenn Sie einen Landesherrn ErnstAugust hätten, dem Sie zu huldigen verpflichtet und berech tigt wären. So gern ich die pietätvolle Erinnerung an vergangene Zeiten anerkenne — und ick thue dies um so mehr, als ich selbst einer der einverleibten Provinzen angehöre —, so kann ick doch keine Demonstrationen dulden, welche die schwersten Mißdeutungen und dadurch Verirrungen auf der Seite von Unterthanen Seiner Majestät unseres Kaisers und Königs hervorzurufen geeignet sind. Ich habe deshalb auch schon andere Lieder zu singen untersagt und muß bei dem hier von Ihnen angefochtenen Verbot gleichfalls beharren. Ueberhaupt kann ich dem Club „Georg Wilhelm" nur ernstlich empfehlen, in seinen Aeußerungen sich sehr zu mäßigen, damit ich nicht gezwungen bin, Bestrafungen wegen der immer maß loser werdenden Agitationen herbeizuführen, vr. Gerland." * Detmold, 22. Juli. Der zum CabinetSminister ernannte Negierungsrath Karl Gustav Miesitzscheck von Wisch kau trat zu dem jetzigen Regenten von Lippe- Detmold 1889 als Landrath in Wongrowitz in nähere Beziehung. Er gehörte der freiconservativen Partei an. — Prinz Adolf zu Schaumburg-Lippe und seine Gemahlin, die gegenwärtig bei der Fürstin-Mutter in Bad Homburg weilen, haben in Detmolder Zeitungen folgenden Dank erlassen: „Bei unserem Scheiden aus Detmold nicht nur, sondern auch aus unserer Reise bis über die Landesgrenze hinaus sind uns so viele Kundgebungen warmer Anhänglichkeit und treuer Gesinnung zugeganuen und gehen uns noch bis aus den heutigen Tag zu, daß wir aus diesem Wege allen Denjenigen, welche unserem Herzen so überaus wohl gethan haben, unseren würmsteu und aufrichtigsten Dank aussprechen. Bückeburg, 13. Juli 1897. Adolf, Prinz zu Schaumburg.Lippe, Victoria, Prinzessin zu Schaumburg.Lippe, Prinzessin von Preußen." * Köln, 22. Juli. Die Abteilung Köln der Deutschen Colonialgesellschaft hat sich dem Borgeben der Ab- theilung Coblenz über den Togovertrag, deren Eingabe wir nntgetheilt haben, angeschlossen. Dem geschäfts führenden Bicepräsidcnten, Geheimratb Sachse, ließ sie gestern die dringende Bitte zugehen, womöglich bei der Reichs regierung eine Veröffentlichung des Togo-Abkommens oder doch eine Vorlage desselben an den Colonialrath vor der Genehmigung zu erwirken. (Köln. Ztg.) * München, 22. Juli. Die Correspondenz Hoffmann schreibt ofsiciöS: „Die durch einen Theil der Presse laufende Nachricht, daß eine Besteuerung deS Fahrrades im Finanzministerium beschlossene Sache sei, ist unrichtig. Seitens der k. Staatsregierung ist die Einführung einer staatlichen Velocipedfteuer in keiner Weise in Aussicht genommen." Oesterreich Ungarn. * Wien, 22. Juli. Nach dem jetzt festgestellten Pro gramme trifft Kaiser Wilhelm am 10. September in Toits ein, wo er mit Kaiser Franz Joseph und König Albert von Sachsen im Esterhazyschlosse wohnt. Bis zum 15. dauern die Manöver, darauf werden die Monarchen zu Erzherzog Friedrich zu fünftägigen Hochwildjagden im Baranyer Comilat und am 20. September nach Pest fahren, wo verschiedene Festlichkeiten geplant sind. — Goluchowski, der Sonnabend seinen Urlaub nach Frankreich antritt, empfing gestern den aus seiner Sommerfrische Guttenbrunn hier eingetroffenen russischen Botschafter Kapnist. — Nach polnischen Blättern will Badeni am 1. August nach Wien zurückkehren, den ReichSrath jedoch erst Mitte October be rufen. — Der Krakauer Gemeinderath beschloß zehn Stipendien, je zu 100 Gulden, für daS schlesische Polo- nisirungsgymnasium in Teschen. — Die Abgeordneten der deutschen Fortschrittspartei sandten der Stadt Eger eine Sympathiekundgebung. — In Linz wurden 47 Kaiser jäger wegen Aufsässigkeit gegen ihren Hauptmann zu dreimonatigen bis zweijährigen Kerkerstrafen verurtheilt. * Pest, 22. Juli. Der heute stattgehabte Ministerrath soll sich dem Vernehmen nach mit der parlamentarischen Lage befaßt haben. Es sind Gerüchte über vertrauliche Conferenzen wegen eines Compromisses mit der Opposition im Umlauf. Ein Erfolg ist jedoch noch nicht sichtbar geworden. Italien. * Rom, 22. Juli. Die auswärts verbreitete Nachricht, der italienische Minister des Aeußern Marquis Visconti- furchtbare Ewigkeit blieb er ihr da zur Seite — wollte und wollte nicht hinter sie Weichen! Dann daS Parkgitter — bis in die Unendlichkeit dehnte eS sich. Und drüben konnte der Schuß gleich fallen — war er vielleicht schon gefallen. Nein, nein, sie konnte — sie wollte es nicht glauben — eS war ihr Tod, wenn sie'S glaubte! Vorwärts — nur vorwärts! Daß sie um Gottes Willen den Weg nicht verfehlte! So recht war er ihr nicht mehr im Gedächtniß. Vor ein paar Jahren hatte ein wandernder Handwerksbursche in der Ruine des alten Klosters eine Unthat verübt — seither hatte ihr gegraut vor dem Ort und sie war nicht wieder hingekommen. Vier Pfade, die sich kreuzten! Welchen nun wählen? Den rechten — den linken — den. der geradeaus in die Tannen lief? Daß Gott sie erleuchtete dies eine Mal nur! Es lag ihr etwas von Tannen im Sinn. Nein, Föhren waren eS gewesen, Lurch die man von Weitem schon daS alte Gemäuer hatte liegen sehen können. Freilich! erst Tannen, dann Föhren! Nur weiter — nur schnell! An jeder verlorenen Secunde dingen zwei Menschenleben. Sie stürzte, sie flog! Wie Schatten fuhren rechts und links die Tannen an ihr vorüber, aber in der Ferne wollten keine Föhren auftauchen — immer und immer keine Föhren! Wenn sie falsch gewählt hätte — großer Gott! wenn sie falsch gewählt hätte — nun noch wieder umkehren müßte, wenn — Nanny's Fuß stockte und momentan ihr Herzschlag auch. Bei einer Biegung des Weges hatte sie den Irren erspäht. Er ging in derselben Richtung wie sie, war ihr kaum hundert Schritte vorauf. Ein rasches Aufathmen, dann batte sie oen Pfad ver lassen und war links in das Tannendickicht geschlüpft. Gottlob, daß eS ein Tannendickichl war und kein laubloses Buchen- und Eichengestrüpp! Aber sick hindurchzuzwängen, hielt schwer — sehr schwer, eS lautlos zu thun, denn das leiseste Geräusch konnte des Unglücklichen Aufmerksam keit erregen und erblickte er sie, dann war sie verloren und ihr Plan vereitelt. Ihr Herz klopfte, ihre Glieder bebten. Ein paarmal hielt sie erschöpft inne, um dann mit ungeduldigen Thränen im Auge wieder einzudringen auf die starre Nadelwand. Endlich spaltete diese sich selber, weiter auseinander wichen die Tannen, aber damit wuchs die Gefahr des Gesehenwerdens, denn nun lief deutlich sichtbar der Pfad neben ihr hin. Im nächsten Moment konnte dort der Irre auftauchen und wenn er dann nur den Kopf ein bischen seitwärts wandte — er hatte eS nicht gethan — Gott, ewig Dank! er hatte eS nicht gethan, war gar zu beschäftigt mit seinem Revolver gewesen. Hoch in der Luft geschwungen hatte er diesen und in der Sonne blitzen lassen. Horch! jetzt lachte er und — nun fing er gar an, zu singen mit schauerlicher Fröhlichkeit! Solch' große Eile wie anfangs schien er auch nicht mehr zu haben, sein Schritt war viel langsamer geworden, ohne Mühe konnte sie den Vorsprung, den sie hatte, verdoppeln, verdreifachen. Und sie that es, durcheilte fliegenden Fußes die Tannen, sah einen mächtigen Föbrendom sich über ihr wölben, sah jenseits desselben die graue Ruine im Sonnenscheine liegen, erreichte den weiten Plan, der jene umgab, und wäre auf den ersten gestürzten Säulenschaft fast ohnmächtig hingesunken. Doch sie nahm sich zusammen, ließ nur da« wilde Glocken geläute erst auSkliugen in ihrem Ohr, nur den schwarzen Schleier zerflattern vor ihrem Auge, dann stand und ging sie auch schon wieder. Langsam ging sie, die Hand auf dem Herzen, vor Schwäche zitternd und noch mehr vor Angst — denn WaS konnte der näckste Moment ihr nicht Qualvolles offenbaren? Die Säulen, die theil« zertrümmert am Boden lagen, theil« zwecklos in die leere Luft hinaufstarrten, hatten ehemals die Decke deS Refektoriums getragen, dessen eine Mauer noch emporragte. In dieser zeigte sick zwischen dicken Epheuranken eine niedrige, fensterartige Oeffnung, durch die man ohne Mühe in ein kellerartiges Gewölbe gelangte, daS wiederum durch eine lose in ihren Angeln Hangende Thür mit einem engen, moderduftenden Gang in Verbindung stand, auS welchem Gang endlich eine gut erhaltene Wendeltreppe auf wärts führte bis zu der Höhe eioeS Thurmes. Bon oben hatte man, wie Nanny sich erinnerte, eine weite Rundsicht, von dort, meinte sie, müsse man auch den Blick frei baben in das größtentheils dacklose Innere der Ruine. Die Wendeltreppe stieg sie also hinan. Allein auf der kleinen Plattform angelangt, erlebte sie eine Enttäuschung. Zwischen dem alten Mauerwerk war im Lanfe der Jahrhunderte so viel Busch und Baumgestrüpp emporgcwachsen, daß von einem freien Ueberblick der Klosterreste nicht die Rede war. Ein Dutzend Menschen konnten da unten sitzen und malen — konnten da unten sitzen und — Liebesworte tauschen — hier oben sah und hörte man nicht«! Nanny hatte den Fuß schon wieder auf der Treppe, da war e« ihr plötzlich, als bewege sich etwas hinter einem der mächtig aufstrebenden Pfeiler in der Kirche drüben. Wie der Wind hatte sie den Fuß zurückgezogen, den Kopf weit über die Brüstung gebeugt. Hinter den Pfeiler vermochte sie nicht zu spähen, aber nicht drei Schritte von diesem entfernt stand ,a am Boden ein Feldstuhl — wie batte ihr der nur entgehen können? Gerade gegenüber dem schönen gothischen West fenster stand er, das sein durchbrochenes Spitzenwerk so prächtig auf den blauen Himmel zeichnete. Gar kein Zweifel, hier hatte Franz Flemming gesessen und gemalt und jetzt gleich trat er hinter dem Pfeiler hervor und — Nein — Nanny schrak zusammen und fuhr herum — nicht hinter dem Pfeiler trat er hervor, sondern auS dem Walde! Ein dürrer Zweig hatte geknackt unter Menschenschritten und wie sie den Anton zu erblicken glaubte, da war eS — Franz Flemming. Gemüthlich schlendernd, kam er daher, die Hände in den Taschen, die Cigarre im Munde. Er mochte sich ein Ruhe stündchen gegönnt haben und nunmehr im Begriffe sein, an die Arbeit zurückzukehren. Ein einsam ragendes Portal schien ihm vorerst noch einiger Beachtung Werth, dann warf er die Cigarre bei Seite, bog link« um da« alte Gemäuer herum, trat in die Kirche und — Al« sei der Blitz vor Nanny in den Boden gefahren, so taumelte sie zurück, denn hinter dem Kirchenpfeiler war r« plötzlich hervorgesprungen und stand nun dem Maler im Wege — schelmisch lachend wie ein Kind, daS einem mit Erfolg bange gemacht hat. DaS Kind aber war Anna von Hellbronn. Liebeständeleien! Kleine geplante Ueberraschungen! Fröh liche Zusammenkünfte mitten im einsamen Walde. Nanny's Herz füllte sich mit ungeheurem Weh. Keinen Blick that sie mehr rechts, noch links, den Kopf auf die Brust gesenkt, fing sie an, die Treppe hinabzusteigen. Durch den engen Gang war sie bald wieder in die Küchenräume gelangt. Jetzt eilte sie zwischen den Säulen deS Refektoriums hm, hatte den Zweck ihres Kommens total vergessen, trachtete nur, fort zu gelangen aus den Mauern, die daS Glück jener Beiden um- fchlossen. Plötzlich tauchte vor ihr am Waldsaume der Irre auf. Erst trat sie ihm gedankenverloren noch ein paar Schritte entgegen, dann — als er über das ganze Gesicht grinste bei ihrem Anblicke und, mit dem Revolver in der Luft herumfuchtelnd, nach der Ruine hinbeutete — ward wie mit einem Schlage die Erinnerung in ihr wach. Einen Angstschrei auSstoßend, fuhr sie herum, im Nu war sie zwischen den Säulen heraus, flog sie auf dem Wege dahin, den der Maler genommen. Aber ihre Eile spornte den Irren an, er schien zu glauben, eS handelte sich um einen Wettlauf. Hinter ihr drein gestürmt kam er, näher und immer näher. Jetzt hörte sie sein heiseres Lachen — jetzt meinte sie schon seinen glühenden Athem zu fühlen, da — batte sie die Klosterkirche erreicht! Voll Angst schrie sie: „Fort! Fort! Der Anton kommt, er will —" Da stand der Irre auch schon neben ihr, den Revolver in der erhobenen Hand. Für den Moment vergaß sie Alles — Alles, dachte nur, daß er schon Gnmal fehlgeschoffen hatte und sich in wahnsinniger Angst auf den Geliebten werfend, umschlang sie ihn mit den Armen, deckte sie ihn mit ihrem Körper. Dann ein Schuß, ein markerschütternder Schrei und dann — lFortsetzung folgt.)
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