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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.07.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970726021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897072602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897072602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-26
- Monat1897-07
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Größere Schriften laut unserem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und gtffernjar nach höherem Tarif. Extra »Beilagen (gefalzt), nur mit d« Morgen»Au«gab», ohne Postbeförderua^ 60.—, mit Postbesörderuag 70.—^ Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: vormittag« 10 Uhr. 7siorge n»Au«gabe: Nachmittags 4 Uhr. vei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. - » Lruck und Verlag von E. Polz in Leipzig. SÜSS Montag den 26. Juli 1897. 81. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 20. Juli. Mit nur 209 gegen 205 Stimmen hat am Sonnabend da« preußische Abgeordnetenhaus die VcrcinSgesct;- novelle abgelehnt, während bei den früheren Abstimmungen des HauseS mit 206 gegen 193 und mit 205 gegen 188 Stimmen die freiconservativen Anträge, die ungefähr dasselbe enthielten wie die jetzt verworfenen Herrenhaus beschlüsse, abgelehnt worden waren. Die Freunde der Vorlage hatten also ihre Stimmen um ein Dutzend Stimmen verstärkt, die Gegner nur um 3 Stimmen. Es wird hierdurch begreiflich, daß die Regierung nicht auf den Versuch verzichten mochte, doch noch eine geringe Mehrheit im Abgeordnetenhanse für das „kleine preußische Socialfftengesetz" zu erzielen, und gar leicht hätte der Zufall daS Gelingen dieses Versuches herbeiführen können. Herr v. d. Recke hat allen Anlaß, sein Geschick zu. preisen, das ihm eine Probe auf die Prophezeiung erspart hat, die Bestimmungen der von Herrn v. Stumm abgeänderten Vorlage würden wenigstens berbeisühren, daß mit dem Augenblicke der gesetzlichen Kennzeichnung der socialdemokratiscken Bestrebungen ein großer Theil der Bevölkerung sofort von diesen sich zurückzieben werde. Mit Recht brach bei dieser Voraussage ein Theil des Hauses in stürmische Heiterkeit aus, und der Herr Minister stellte den Lachern alsbald das Zeugniß aus, daß er ihnen vollen Anlaß zu ihrem Verhallen gegeben habe, denn er berief sich auf die in anderen Staaten bestehenden und dem von ihm geforderten Gesetze ähnlichen Bestimmungen, die nirgends (s. Sachsen) die Wirkung äußern, die er von der preußischen VcreinSgesetznovelle zu erwarten behauptet batte. Wäre sein Wunsch in Ersüllung gegangen und die Novelle angenommen worden, so würde wohl schon heute die bange Besorgniß ihn beschleichen, daß Preußen mit dieser Novelle genau dieselben Erfahrungen machen werde, die man anderwärts mit ähnlichen Gesetzen gemacht hat, und daß mithin seine Voraussage kläglichen Schiffbruch erleiden werde. Wenn die Fraktionen nicht ichon vor der Abstimmung am Sonnabend feste Stellung genommen hätten, so hätte wahr scheinlich die Rede des Herrn v. d. Recke die Zahl der Gegner der Novelle noch verstärkt, denn mit gröberen Widersprüchen und durchsichtigeren Scheinargumenten ist kaum jemals eine Vorlage von einem Minister vertheidigt worden, als am Sonnabend dieVereinsgesetznovelle von dem preußischen Minister des Innern. Es ist daher auch begreiflich, daß einige Blätter die Vermuthung äußern, Herr v. d. Recke habe am Sonnabend seinen „Schwanengesang" gesungen. Herrn vr. v. Miguel wird eS jedenfalls nicht entgangen sein, daß sein College des Innern nicht der rechte Mann ist, der in der nächsten Land- tagSsession eine neue Vereinsgesetznovelle mit Aussicht auf Erfolg vertheidigen könnte. Ob er selbst — Herr v. Miguel — nach einer solchen sich sehnt, ist aus der Rede, mit der er Herrn v. d. Necke beisprang, ebenso wenig klar zu ersehen, wie so manches Andere. Allerdings deutete er auf die Nothwendig- keit verstärkter Schutzmaßregeln gegen die Socialdemokratie in Preußen hin, aber er sprach diplomatischer, als je. Einmal war ihm seine Aufgabe durch Herrn v. der Necke sehr er schwert worden — ein so kluger Mann wie Herr v. Miguel konnte doch unmöglich auS der Fruchtlosigkeit anderwärts bestehender Gesetze auf die Wirksamkeit eines ähnlichen Gesetzes in Preußen schließen, oder aus der Thatsache, daß die Socialdemokraten nur durch Flug» und andere Schriften auf das Heer zu wirken suchen, eine Hoffnung auf Sicherung des Heeres gegen socialdemolratische Einflüsse durch Ein schränkung des Vereins- und VersammlungSrechtes gründen — und andererseits empfand er sichtlich das Bedürfnis, seine in der Opposition befindlichen früheren Parteigenossen zu „sammeln", statt sie vor den Kopf zu stoßen. So klang seine Rede, soweit sie sich auf die Novelle bezog, mehr einer Entschuldigung, alS einer Verteidigung ähnlich, und wer eine Action entschuldigt, statt sich zu vertheidigen, bedarf jedenfalls eines starken äußeren Anstoßes und eines kaum minder starken Ruckes deö inneren Menschen, bevor er zur Wiederholung dieser Action sich entschließt. Wer weiß übrigens, ob nicht bis zu dem Zeitpuncte, da eine neue Action möglich wäre, die ganze politische Situation sich so verschiebt, daß ganz andere Fragen in den Vordergrund treten, als die der Bekämpfung des Umsturzes lediglich auf preußischem Boden. Der Wortlaut der Rede, mit der am Freitag im preußischen Abgeordnetenbause der Vicepräsident des Ministeriums vr. v. Miquel die Frage des Abg. Rickert, ob das, was am Donnerstag Abend der „NeichSanzeiger" über die neueste Forderung des Vorstandes des Bundes der Landwirthe (sechsmonatiges Getreide-Einfuhrverbot) gesagt, Alles sein solle und ob Herr v. Miguel nicht noch ein kräftiges Wort gegen diesen „Unfug" sagen werde, liegt jetzt im „NeichSanzeiger" vor. Nach seiner Miltheilung sprach Herr v. Miguel: „Ich habe die Rede des Herrn Abg. Rickert nicht ganz gehört. Wa« ich aber verstanden habe, scheint dahin zu gehen, an die Staatsregierung das Verlangen zu richten, die Ausdrucksweije und die Tonart, die Heftigkeit im Ausdruck, die die Parteien gegen einander gebrauchen, sich selbst anzueignen. Tas muß ich aber entschieden ablchnen. (Heiterkeit.) Meine Herren, die Eingabe ist, wohin sie gehört, an den Herrn Reichs kanzler gerichtet. Ob der Herr Reichskanzler Veranlassung nimmt, auf diese Eingabe des Bundes der Landwirthe wegen Ein» sührung einer zeitweiligen Sperre der Grenzen gegen die Einfuhr von Getreide officiell überhaupt zu antworten, weiß ich nicht. (Abg. Rickert: Hört! hört!) Tenn es nicht üblich und ist sonst nicht geschehen, daß die Staatsregierung auf einzelne Hingaben von Privaten, die den Wunsch auS- drücken, auf die Gesetzgebung in irgend einer bestimmten Weise rinzuwirkcn, oder Anträge in Beziehung auf Abändc» rung bestehender Gesetze stellen, eine Antwort giebt. Wohin würde daS auch führen, meine Herren? Tann würde ja die Slaatsrcgierung in eine vollständige Correspondenz und Hin» und Herrede mit allen einzelnen Privaten gerathen, denen es einsällt, einen Wunsch auf Abänderungen von gesetzlichen Bestimmungen an sie zu richten. Tas ist doch etwas ganz Undurchführbares; das ist auch in Preußen nie üblich gewesen und wird auch bei dieser Gelegenheit wahrscheinlich nicht beliebt werden. Tie prrußischeStaatsregierunghatnochgar keine Veranlassung genommen und nehmen können, über diesen Antrag Beschluß zu fassen. Ich glaube aber, soviel allerdings sagen zu können, Laß der Herr Reichskanzler die Meinung vertreten dürste, wenn er Gelegenheit nehmen sollte, sich selbst darüber zu äußern, daß die bestehenden Handelsverträge die Genehmigung dieses Antrages ausschließen, und ich meine, das ist genügend. (Sehr richtig!) Es ist gar keine Veranlassung, hier »och weiter über andere Motive, die für oder gegen den Antrag sprechen, Namens der Staatsrcgierung sich ausznsprechen, und ich kann dem Wunsch des Herrn Abg. Rickert, diesen Antrag für einen Unfug zu erklären, meinerseits nicht ent» sprechen. Die Ausgabe der Staatsregicrung geht vielmehr dahin, meine Herren, eine Politik der Sammlung zu führen, eine Politik der Ausgleichung der Interessen (sehr richtig!) rechts, und nicht ihrer seits die Gegensätze durch Annahme Les Tons des Herrn Abg. Rickert noch zu verschärfen. (Bravo! rechts.)" Hieraus geht unwiderleglich hervor, das erstens die am Donnerstag Abend im „NeichSanzeiger" abgegebene Erklärung nicht vom preußischen Slaatöministerium ausgegangen ist und mithin vom Reichskanzler ausgegangen sein muß, daß zweitens Herr v. Miguel sie entweder am Freitag Nachmittag noch nicht kannte, oder sie ignoriren zu sollen und zu dürfen glaubte. Hat er sie nicht gekannt, so wirft das nicht nnr aus die „Einheitlichkeit" der „umgebildeten" Regierung ein seltsames Lickt, sondern beweist zugleich, daß Herr Or. v. Miquel sich berechtigt glaubt, dem Reichskanzler Directiven über die Art zu geben, wie die Eingabe des Bundes der Landwirthe zu beantworten sein werde. Hat er sie gekannt, so liegt in seinen Worten eine sehr abfällige Kritik der Erklärung, die nach seiner Ansickt nicht am Platze war und allenfalls in einer parlamentarischen Körper schaft, nickt aber im „NeickSanzeiger" hätte abgegeben werden sollen. Jedenfalls erhält man von der Aus lassung des Viccpräsidenten des preußischen Staats- ininisterinmS Iden Eindruck, daß er als Herr der Situation sich fühle und mit einer langen Amtsdauer des Fürsten Hohenlohe nicht rechne. Seine programmatischen Reden verstärken diesen Eindruck. Zunächst wird man, da nun auch der preußische Landtag geschlossen ist, schwerlich erfahren, wie Fürst Hohenlohe über die Ansicht seines Stell vertreters in Preußen denkt, es liege keine Veranlassung vor, auck über Motive, die außer den Handelsverträgen gegen den Erlaß eines Getreive-Einfuhrverbotes sprechen, sich zu äußern oder gar das Verlangen des Bundes als Unfug zu bezeichnen. Die Reform des belgischen Heeres ist das Schmerzens kind der belgischen Patrioten. Wenn die Armee in ihrer derzeitigen Verfassung nicht entfernt den Aufgaben genügt, welche sie im Ernstfälle zum Zwecke der Landesvertheidigung zu erfüllen haben würde, so gilt das erst recht von der Bürgerwehr. Da der herrschende Älerikalismus nun einmal für Einsübrung der allgemeinen Wehrpflicht nicht zu haben ist, versucht er durch legislatorische „Reformen" der Bürgerwehr die öffentliche Meinung zu captiviren, zeigt aber hier ein solches Ungeschick, daß selbst seine auf richtigsten politischen Freunde stutzig werden. Unter Anderm soll daS erste Aufgebot der Bürgerwehr so organisirt werden, daß es im Stande ist, der Armee als Reserve zu dienen. Das ist natürlich nur eine pro torma getroffene Bestimmung, um sagen zu können, daß alle Belgier vor der „Blut steuer" gleich seien, und um unter diesem Vorwande die Ein führung der allgemeinen Wehrpflicht im Heere zu vertagen. Nun haben aber die Socialdemokraten den schwachen Punct des klerikalen Bürgerwehrgesetzes alsbald erkannt, das ist der § 11 des Entwurfs, welcher jedem Belgier das Recht ein räumt, als Freiwilliger in der Bürgerwehr zu dienen. Schon fordern sccialtemokratische Preßorgane die Genossen auf, in Masse von diesem Rechte Gebrauch zu macken und so das Gewehr, welches gegen sie gerichtet werden solle, selbst in die Hand zu nehmen. Da die Bürger- webr berufen ist, in Zeiten der Unordnung und der hoch gehenden Leidenschaften für Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung zu sorgen, so kann man sich ungefähr denken, was für Zustände herauskommen würden, wenn in dieser Truppe die Socialbcmokralie das Ucbergewicht oder auch nnr ein nennenswerthcs Contingenl von Wehrmännern besäße. Es würde nichts übrig bleiben, als in kritischen Zeitkäufen dieBürger- wehr consignirtzu halten, wie es scyon jetzt mit derArmee geschieht. um zu Verbindern, daß zahlreiche Elemente mit denRuhestörern gemeinsame Sache machen. Diese Bedenken theilen in Belgien alle einsichtigen Leute, und besonders sind die besseren Officiere, die allerdings von der Negierung mit Vorliebe kalt gestellt werden, Gegner einer Reform, die nichts weniger als dies ist und nur ein Auskunftsmittel der klerikalen Partei darstellt, um dem Verlangen nach einer Reform scheinbar gerecht zu werden. Am Sonnabend hat sich die Kammer mit der Vorlage be schäftigt und bei der Berathung der Vorlage über die Re organisation der Bürgergarde den ersten Artikel der Re gierungsvorlage angenommen, wonach die Bürgergarde damit beauftragt wird, für die Aufrechthaltung der Ordnung und Gesetze unter Bewahrung der Unabhängigkeit des Landes zu wachen. Ebenso wurde Artikel 2 der Vorlage an genommen, welcher die Bürgergarde dem Ministerium des Innern unterstellt. Wenn man einen Rückblick auf die bisherige Thätigkeit der italienischen Kammer, die sich vor Kurzem bis zum Herbste vertagt hat, wirft, hat man keinen Anlaß, ihr besonderes Lob zu spenden. Es wurden die Budgets und die Vorarbeiten zu einer Anzahl von Gesetzesprojecten erledigt, die im Herbste zur Berathung gelangen sollen, — das war so ziemlich die ganze Arbeitsleistung der neuen Kammer während ihrer ersten Tagung. Es läßt sich nicht bestreiten, daß Marchese die Rudini die allgemeinen Wahlen zu ungelegener Zeit vornehmen ließ; nachdem jedoch die neue Kammer einmal da war, wollte sie der Minister präsident erst genau kennen lernen, bevor er klare Stellung zu ihr nahm. Aus diesem Grunde hat er der Kammer die in seinem Wahlmanifcste angekündigte wichtigste Vorlage, nämlich jene, betreffend die Wahl- und die Verwaltungs reform, noch nicht unterbreitet, seine ganze Geschicklichkeit viel mehr daraus verwendet, die dem Ministerium Rudini- Brin ergebene Majorität auch unter de» neuen Verhältnissen fest zusammenzuhalten. Das ist dem Ministerpräsidenten auch gelungen, unv nur ein einziges Mal, nämlich bei Gelegenheit der Debatte über das Budget des Ministeriums des Innern, schien es, als ob ein Theil der Majorität von der Regierung abfallen wollte. Bei diesem Anlasse bat sich die wahre Zusammensetzung der Kammer in der klarsten Weise gezeigt. Es stellte sich nämlich heraus, daß die Majorität in mebrere Gruppen zerfällt, wovon die Rechte, auö 100 bis 120 Abgeordneten bestehend, dem Marchese di Rudini Gefolgschaft leistet, gegen 60 Abgeordnete Anhänger Zanardelli's sind, während 50 Deputirte zu den Freunde» Giolitti's zählen. Der Rest der Majorität besteht aus Abgeordneten von nicht ganz bestimmter Partei stellung. Die Dinge stehen demnach genau besehe» derart, daß die Rechte den Gruppen Zanardelli-Giolitti das Gleich gewicht hält und die Gruppe Zanardelli ungefähr dieselbe Stärke wie die Gruppe Giolitti besitzt. Keine dieser Gruppen allein wäre daher im Stande gewesen, den Ausschlag zu geben, sie bleiben demnach aus Klugheit innerhalb der Majo rität, um sich^ ihren Einfluß zu bewahren. In gewissen parlamentarischen Kreisen herrscht jedoch die Meinung vor, daß die bisher vermiedene Spaltung innerhalb der Mazorität im Herbste zu erwarten sei. Es dürsten sich nach Ansicht der betreffenden Kreise alsdann unter der Führerschaft des Herrn Zanardelli sämmtlicke Fractionen der Linken, die An hänger Zanardelli's, Giolitti's, Crispi'S, Fortis' und Bac- celli'S, zu einer Partei vereinigen und der Rechten gegenüber treten. Eine derartige Concentration der Linken könnte nämlich nur dann auf Erfolg rechnen, wenn sie der Unter stützung deS BaronS Sidney - Sonnino sicher wäre. DaS Feuilleton Nanny Trauner. L9j Roman von E. Schrorder. Na-drnck vrrbotoi. Bis jetzt hatte sie ihr glühendes Antlitz nur sehr tief gesenkt gehalten, jetzt brauchte sie plötzlich beide Hände, um eS zu bedecken. Mit einem Ruck hatte sie ihre schmale Rechte auS der seinen befreit. Wie ein Freudenschein huschte es über sein Gesicht, und wenn eS in seiner Stimme noch bebte, eS frohlockte auch schon darin, als er nun fortfuhr: „Ich mag ja ein furchtbar eingebildeter Geck sein, aber neulich in der Ruine, Fräulein Nanny, da kam mir's Plötzlich in den Sinn, daß eS vielleicht nicht so ganz unmöglich wäre, Sie — Sie hätten mir damals mit mir selber bange gemacht!" O, der entsetzliche Moment! Und daß sich die Erde nicht auftbun wollte unter ihr und — Ha! da fiel ihr etwas ein! „Anna von Hellbronn?" stieß sie hervor. Der Name war wie eine Waffe, wie ein Schild, hinter den sie sich flüchtete. „WaS ist's mit der?" fragte er. „Man sagt, Sie seien verlobt mit ihr, man —" „Man lügt!" fuhr er entrüstet auf. „Ich — ich sah Sie doch selber zusammen im Kloster —" „Nur durch Zufall, Fräulein Nanny, ich schwört eS Ihnen — nur Lurch den allerfatalsten Zufall!" Ihre Hände sanken herab. „Und Sie haben sie nie ge liebt", murmelte sie, „niemals?" Jetzt war es sein Ange, da« sich langsam ihrem angstvoll forsckenden Blick entzog. Eine Pause entstand, die fast eine Minute dauerte, dann wollte sie lautlosen Schrittes an ihm vorüber, aber er wehrte ihr mit flehend erhobener Hand. „Sie haben mich anaeklagt", sagte er, „nun müssen Sie auch meine Ber- tbeidigung hören — e« ist nur Gerechtigkeit, Fräulein Nanny!" Sie zögerte noch einen Moment, dann leistete sie dem bittenden Blicke Folge, mit dem er die Bank wieder streifte. Die Hände krampfhaft im Schooß gefaltet, bang auf» horchend, saß sie nun da, während er in dumpfem, fast! grollendem Tone begann: „Ick kann eS wohl nicht leugnen, daß ich sie geliebt habe. Nein, obgleich — kennen Sie das Wort, Fräulein Nanny: „Wenn ich Dich liebe, was geht's Dich an?" DaS soll, so wie ich mir's verdolmetsche, heißen: „Was ich an Dir liebe, ist etwas Namenloses, etwas, das wie eine Glorie von Dir auSstrahlt, etwas, von dem Du selber nichts weißt, und niemals etwas wissen wirst." Aber diese Glorie, die wir sehen, Fräulein Nanny, ist mitunter gar nicht vorhanden, ist nur eine Sinnentäuschung, ein Blendwerk, von unserer Phantasie erschaffen und von dieser hartnäckig festgehalten, oft noch lange, nachdem das Herz seinen Irrthum erkannt. Doch zu meiner Geschichte, denn eS ist eine ganze Ge schichte, die ich Ihnen zu erzählen habe. Der Anfang datirt zehn — jetzt Wohl schon elf Jahre zurück. Damals geschah eS, daß ich an einem Decemberabend in Paris über den Pont deS Art» — was ist's, Fräulein Nanny? Will Ihnen der Geduldsfaden schon reißen? Ack, üben Sie doch ein Weilchen Nachsicht, ich fasse mich ja so kurz, wie ich kann!" Nanny war plötzlich von ihrer Bank in die Höhe gefahren. AlS wolle sie ihm mitten in seiner Erzählung davonlaufen, so hatte eS geschienen. Jetzt saß sie wieder, aber mit todt- bleichem, abgewandtem Gesichte und eine ungeheuere Angst in den weit geöffneten, starren Augen. „Also", fuhr er hastiger sprechend fort, „ich schritt über den Pont des Art« und gewahrte dort unter den Weibern, die — nicht nur ihre Blumen feilbieten, ein junge« Geschöpf, um da- mich'S verdroß. „So ein halbes Kind noch", dachte ich und ging angeekelt vorüber. Allein ich gelangte nicht bi« nach Hause. E« war etwas in dem Gesicht des Kindes gewesen, daS mich verfolgte und endlich zurückzog — un widerstehlich. Da stand eS im Dunklen allein auf der Brücke und weinte. Ich hatte Mühe, seinen Kummer auS ihm brran«- zubekommen, aber endlich klagte eS mir in deutscher Sprache, daß eS der kranken Mutter daheim an dem Nöthigsten mangle. Die arme Klein«! Nur auS Liebe zur Mutter hatte sie sich also zum Betteln erniedrigt. Ich fühlte mich mit meinem schwarzen Verdacht plötzlich ganz tief in ihrer Schuld und konnte ihr nicht rasch genug ihre Veilchen ab kaufen. Wie sie dann aber so innig dankbar zu mir aufsah mit den schönen, blauen Kinderaugen, da mußt« ich diese Kinderaugen küssen und — damit scheuchte ich sie fort. Im Nu war sie von der Brücke verschwunden, kein Rufen brachte sie zurück." „Wie ich mich schalt hinterher wegen meiner Unverschämt heit! Da quollen mir die Veilchensträuße auS allen Rock taschen und ich, als ob ich für mein bischen Geld noch nicht genug gehabt, hatte noch Küsse mit in den Kauf haben müssen! Abbitten wollte ich's der Kleinen, sobald ich sie wiedersah, und dann sollte sie mich zu ihrer kranken Mutter führen. Mein Möglichstes wollte ich für die Aermste thun und — nun ja, lauter schöne Pläne, die nie zur Ausführung gelangen sollten, denn ich sah daS Mädchen nicht wieder — nein, so oft ich in der nächsten Zeit auch nach der Brücke kam. All mein Suchen, mein Hoffen und Sehnen lief auf nichts hinaus als auf eine leidenschaftliche Liebe, die ich mit mir nahm, als ich Paris verließ." Nanny hatte sich hastig umgedreht. „Liebe?" stieß sie, außer sich, hervor. „Ja", entgegnete er mit einiger Selbstverachtung im Tone. „Ich war eben noch sehr jung und leickt entzündbar damals. Die blauen Augen batten mir's angethan und daS — das Betteln für die kranke Mutter." „DaS Betteln gar?!" Nanny schien vor Erstaunen gar nicht wieder zu sich kommen zu können. „DaS fast noch am meisten. Es füllte mich mit Rührung, mit Bewunderung, denn eS ward — dem Anscheine nach — ihrem Stolze so sauer. Da sah ich denn gleich das Weib in seiner edelsten Form in ihr — das Weib, daS sich aus Liebe opfert. Sie'dürfen mit dem jugendlichen Unverstand nicht zu scharf inS Gericht gehen, Fraulein Nanny!" Nein, streng richterlich schaute sie gar nicht drein, sondern ganz freundlich — mehr als freundlich! Es lag fast etwas wie selige Verklärung auf dem nun wieder abgewandten Antlitz, da« die scheidende Sonne mit zartrosigem Scheine überfluthete. „Mit diesem Liebesballast", Hub er nach einer Pause ironisch wieder an, „mußte ich mich schleppen — die Jahre hindurch. Ganz unmöglich, ihn abzuschütteln. Dulcinea von Toboso, die ich nur einmal auf ein paar flüchtige Momente gesehen, war und blieb für mich die herrlichste ihres Ge schlecktes — bis ein gnädiger Zufall mir die Augen öffnete über sie." Bei Erwähnung Dulcinea « hatte ein schalkhaftes Lächeln Nanny'S Lippen umzuckt, jetzt erstarb eS auf einmal. Eine seine Angstfalte grub sich zwischen ihre Brauen, athemlos horchte sie auf. „Dies geschah leider Gotte« erst im vergangenen Früh jahre", fuhr er fort. „Im Winter, auf dem Maskenbälle in der Residenz hatte ich sie wiedergesehen —" „Aber — daS ist ja nicht möglich!" fiel ihm Nanny blitz schnell herumfabrend in's Wort. „Weil von Paris bis N. ein weiter Weg ist, meinen Sie!" „Nein", stammelte sie heftig erröthend, „weil — weil — sie jenen Maskenball gar nicht besucht hat." „Fräulein von Hellbronn nicht?" Nanny zuckte zusammen. „Fräulein von — ach! jetzt verstehe ich", murmelte sie. „In ihr glaubten Sie das Mädchen von damal« zu erkennen?" „Sie war es", nickte er. Sie sah ihn an mit einem langen, eigentbümlichen Blick. „Verzeihung," sagte sie, „aber — Sie müssen ein merk würdig gutes Gedächtniß haben. Nach zehn Jahren noch so genau zu wissen —" „In den Augen konnte ich mich nicht irren", versicherte er. „Nicht? Nun, blaue Augen sind ja auch so selten", meinte sie spöttisch lächelnd, sprang hastig auf und trat an den Gartenzaun. Es war Hobe Zeit, daß sie ihm den Rücken kehrte, denn ein Paar zornige Thränen hatten sich unversehens an ihre Wimpern gehängt. „Werden Sie doch nur nicht schon böse, Fräulein Nanny", flehte er. „Böse? Oh! durchaus nicht! Ich sehe nicht die aller geringste Ursache, ich — ich —", jetzt ward ihr gar die Stimme untreu. „Fräulein Nanny!" Sein Ton war herzbeweglich, aber einen gnädigen Blick erlangte er nicht damit — aus guten Gründen. „So erzählen Sie doch weiter", stieß sie ungeduldig her vor. „Ick bin sehr begierig — ich — da« heißt — bah! ich kann mir das Ende vom Liede schon denken. Da« Fräu lein fand sich ohne Mühe in seine Rolle — war mit Ihrer Liebe wohl zufrieden — ließ sich auch freundlich herbei, sie zu > erwidern, und —" „Und ihren Verlobten schmählich zu hintergehen", vollendete I er. „Ja, da« war da« End« vom Lied«."
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