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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.07.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970727015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897072701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897072701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-27
- Monat1897-07
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Größere Schriften laut unserem Vrei»» verzeichniß. Tabellarischer und Zijfernsatz nach höherem Tarif. Extra-Veilagen (gesalzt), nur mit der Morgen»Ausgabe, ohne Postbeförderuna SO —, mit Postbrförderung ^l 70.—. Zinnahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Margen-Au»gabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ei« halb« Stunde früher. Anzeigen sind stet» an di« Expedition zu richte». Druck und Verlag von E. P olz in Leipzig, 3?7. Dienstag den 27. Juli 1897. 91. Jahrgang. Die Lage nach -er Verwerfung der preußischen VereinsgesehnoveUe. K Wie wahrend de- ganzen Verlaufe» der Angelegenheit de» preußischen Vereinsgesetzes, so ist auch am Tage der endgiltigen Entscheidung scharf und unverkennbar die Linie markirt worden, welche die preußischen Nationalliberalen von den übrigen Gegnern der Novelle getrennt hat. Weder die Doctrin, daß die Gleichheit vor dem Gesetze auch Dem jenigen zugebilligt werden müsse, dessen letztes Ziel die Zer störung des Gesetzes ist, noch der Irrthum, daß diese Tendenz nicht oder nicht mehr die der deutschen Socialdemokratie sei, hat die Haltung der Nationalliberalen bestimmt. Sie haben auch keinen Anlaß zur Schadenfreude über den Fall der Vorlage, sondern zu dem Bedauern darüber, daß dir erste deutsche Regie rung einen vernünftigen Zweck mit einem ungeeigneten Mittel — das war die Beschränkung de« Ausnahmegesetzes auf das Vereinsrecht — und auf ungeeignetem Boden — dem der Particularaesetzgebung — verwirklichen wollte, richtiger ver wirklichen lassen wollte. Denn die preußische Regierung batte ursprünglich a.n ein Socialisten- und Anarchistengesetz nicht gedacht und war noch eine geraume Weile stumm ablehnend gegenübergestanden, als der Gedanke ihr entgegengebracht worden war. Wäre die Abstimmung deS 24. Juli anders ausgefallen, so hätte Preußen nicht nur ein Ausnahmegesetz schlechthin, sondern ein improvisirtes, von der Regierung vorher in seinen Wirkungen nicht durchdachtes Ausnahmegesetz. Das „leichte Herz", zu einer so geschwinden principiellen Gesetzgebung die Hand zu bieten, haben wir mit Genugtbuung bei unseren Parteigenossen in Preußen vermißt. Die Zeiten sind wahrlich nicht dazu angethan, um den Einfall eines Politikers von der Art des Frbrn. v. Stumm unbesehen zu verwirklichen. Allerdings, die Nationalliberalen haben auch der von der Negierung beantragten gemeinrechtlichen Regelung deS Vereinswesens in wesentlichen Punkten die Zustimmung ver sagt. Das geschah aber nicht aus der Auffassung heraus, daß die Vereinsgesetzgebung, weil sie in Art. 4 der Reichsverfassung dem Reiche zugewiesen sei, diesem auch unbedingt Vorbehalten werden müsse. Das Berliner Blatt, das gegen diese Anschauung polemifirt, tritt eine offene Thllre ein. Die Nationalliberalen sind von ihr keinen Augenblick ausgegangen. Sie hätten im andern Falle ja auch der Aufhebung des CoalitionsverboteS für Vereine, sowie der Fernhaltung von Minderjährigen von politischen Vereinen und Versammlungen nickt zustimmen dürfen. Maßgebend für die Ablehnung der Artikel I und III der Regierungsvorlage war der Umstand, daß deren Bestimmungen den Polizeibeamten Befugnisse einräumten, die vielfach weit über die hinausgingen, die die Umsturzvorlage den Gerichten beilegen wollte. Hier war von den auf gewalt samen Umsturz gerichteten Bestrebungen die Rede, dort lag eine Fassung vor, die gegen jede bürgerliche Partei auszu beuten gewesen wäre. Dem gegenüber war die Vertrauens frage aufzuwerfen, und sie wurde bis tief in die conservativen Kreise hinein in einem für die gegenwärtige preußische Verwaltung ungünstigen Sinne beantwortet. Herr von Miquel, der seit dem Antritt seines neuen Amtes überhaupt Wohlgefallen an dem Aussprechen von Binsenwahrheiten zu finden scheint, hat am Sonnabend gesagt, die Möglichkeit deS Mißbrauches eines Gesetzes dürfe das Votiren für dasselbe nicht ausschließen. Selbstverständlich. Aber dieser anerkannte Satz hat doch nur jenen Mißbrauch im Auge, den die Schwachheit der menschlichen Natur unvermeidlich macht. Wenn vvrausgesehen werden muß, daß ein Gesetz bewußt gegen Bestrebungen angewendet werben wird, die der Gesetzgeber selbst nickt treffen will, so gebieten Klugheit und Nespect vor der Autorität der Gesetze, daS Votum ru unterlassen. Diese Befürchtung war den preu ßischen Behörden gegenüber vollauf berechtigt. Wo vollkom men klare politische Gesetze gebeugt werden, macht man nicht neue, die ihrem Wesen und Zwecke nach von Dehnbarkeit nicht frei bleiben können. Herr v. Miquel hat zwar erklärt, man denke nicht an eine Parteiherrschaft, und er bat auch von Abgeordneten Dank für diese Zusage geerntet. ES ist aber sehr unwahrscheinlich, daß er sie werde einlösen können. Er ist schon seit Wochen Vicepräsident des preußischen Staatsministeriums, welchem ein starker politischer Einfluß gebührt, nach Lage der Personalverhältnisse der stärkste in Preußen. Die ärgerlichen Cbikanirungen des Bauernvereins Nord-Ost, die schon so viel dazu beigetragen hatten, der Vereinsgesetznovelle einen üblen Empfang zu bereiten, dauern aber fort. Jetzt giebt sogar ein streng conservativeS Blatt, die „Pomm. Reichspost" in Stettin, zu, daß es in seiner Provinz arg getrieben wird. Es schreibt über die wiederholt vom Bürgermeister verfügte und vom Landrath veranlaßte Verhinderung einer Versammlung der Freisinnigen Vereinigung in Schlawe: „Wir wissen wirklich nicht, welche Erfahrungen die betreffenden Herren (Beamten) von einem solchen Vorgehen, das nur Erbitterung erzeugt und die Betreffenden zu politischen Märtyrern stempelt, sich eigentlich versprechen. Sollten die betreffenden Amtspersonen etwa der conservativen Partei angehören, so thäte die letztere sehr gut, ausdrücklich ihre Mißbilligung über ein solches Verhalten aus» zusprechen, damit nicht, wie das schon vielfach geschieht, ihr selbst jene Fehler zur Last gelegt werden." Die Amtspersonen gehören natürlich der conservativen Partei an —- der von der „Pomm. Reichspost" geäußerte Zweifel ist einfach komisch — und sie glauben mit ihren Cbikanen und ungesetzlichen Maßregeln ihrer Partei zu dienen. Das Stettiner conservative Blatt ist hinsichtlich der Zweck mäßigkeit anderer Ansicht, die Rechts- oder Unrechtsfrage verursacht auch ihm keine Kopfschmerzen. Wenn aber schon ein preußisches conservativeS Blatt — übrigens in Ueber- einstimmung mit der „Post", dem Organ des Herrn von Stumm und des Redactors des Ausnahme- VereinsgesetzeS von Zedlitz — feststellt, daß die preu ßische Verwaltung durch die Verfolgung von Gegnern der conservativen Partei Erbitterung erzeugt, so dürfen es die gesinnungsverwandten Blätter in Sachfen glauben und die Thatsache bei der Bcurtbeilung des Verhaltens der preußischen Nationalliberalen in Betracht ziehen. Mau wollte eben, wie schon gesagt, Beamten, die in der Sache ungerecht und in der Form verletzend verfahren, weitere Machtmittel nicht in die Hand geben. Wie man in Preußen „distinguirt", dafür findet sich heute eben ein kleines aber bezeichnendes Beispiel. Vor Kurzem hat ein pommerscher Landrath dem Vorsitzenden eines liberalen Vereins in einem Bescheide die Anrede „Herr" vorenthalten. Mit dieser Thatsache vergleiche man den Ton deS kürzlich (s. Abend-Ausgabe vom Freitag) mitgetheilten Schreibens des Hildesheimer PolizeidirectorS an einen dortigen Welfen-Club. Niemand wird den Anhängern des Herzogs von Cumberland die Höflichkeit der Sprache, die der Beamte sie genießen läßt, mißgönnen, aber der Vergleich mit der erwähnten Unterlassung des pommerschen Landrathes sowie mit dem Briefe eines seiner Collegen, in dem in wegwerfendstem Tone von einem bürgerlichen Reichstags- und Landtagsabgeordneten gesprochen worden ist — „der Rickert" — zwingt den Blick auf den Umstand, daß die Welfen — abgesehen von der Hauptsache — konservativ gerichtet sind und daß das adelige Element unter ihnen das führende ist. Das sichert diesen Feinden Preußens und des Reiches eine bessere Behandlung durch preußische Beamte, als sie dem unzweifelhaft königstreuen, für die Verstärkung der Flotte eintretenden,Bauernvereine Nord-Ost, in der Provinz Hannover übrigens auch Nationalliberalen, zu Theil werden darf. Ob man dieses Verhalten der politischen Beamtenschaft in Preußen als Symptome der Reaktion bezeichnen kann oder nicht, darüber braucht man mit Herrn v. Miquel nicht zu streiten. Er erinnert sich gewiß, welche Sprache und Be handlung er als nationalliberaler Abgeordneter und Ober bürgermeister in Osnabrück von den Regierungsbeamten ge fordert hat und welche Schlüffe er aus der Versagung seiner Forderung in voller Oeffentlichkeit gezogen haben würde. Jedenfalls wirkt es erbitternd und rechtfertigt das Miß trauen, über das die preußischen Behörden zetzt quittiren dürfen. Die Person des Herrn v. Miquel bietet trotz seiner Vergangenheit keine Gewähr einer Besserung nach dieser Richtung und hinsichtlich des aus den wirthschaftspolitischen Gegensätzen herausgewachsenen inneren Haders befürchten wir von ihm nachgerade eine Verschlimmerung. Er hat wie in Solingen so auch in den beiden Parlamentssitzungen sich .n Wendungen bewegt, mit .deren Hilfe die Demagogie un erfüllbare Hoffnungen in den Massen nähren kann. Herr vr. Hahn hat mit Grund dem Minister gedankt, allerdings nicht als Vertreter der Landwirthschaft, der er nicht ist, wohl aber unter dem Gesichtspunkte seines privat- wirthschaftlichen Interesses. Wenn der Stellvertreter des preußischen Ministerpräsidenten, der zugleich deutscher Reichs kanzler ist, es für nothwendig erklärt, „daß die Zahl der Angehörigen der Mittelparteien nicht blos erhallen, son dern vermehrt werde", so muß er die staatlichen Mittel, die er zur Erreichung dieses Zweckes in Aussicht genommen hat, bezeichnen. Denn sonst reden die Hahn und Liebermann der Menge nicht von seiner Centralgenoffenschastscasse, den Kleinbahnbauten, den Silos, den Ausgaben zur technischen Hebung deS Handwerks, sondern sie sagen: Herr v. Miquel ist ein Mann der „großen Mittel", der Bund der Landwirthe muß ihm nur helfen, die Minister, die „nicht Helsen wollen", unterzukriegen. Der Vicepräsident deS preußischen StaatsministeriumS wird bei den nächsten Wahlen einen ungeheueren mit seinen Worten getriebenen Mißbrauch erleben; sie fordern eine scrupellose Agitation förmlich dazu heraus. Wie eS den Anschein gewinnt, wird die „Umbildung" der Regierung den „Dresdner Nachrichten" Unrecht geben, welche schreiben: „Der innere Wirrwarr kann kaum noch größer werden, als er bereits ist". Er kann und wird es, wenn das bisherige plumpe „Fortwursteln" zu einem rasfinirten wird. Um so bitterer freilich wird sich darum die gouverne- mentale Verbreitung von Illusionen rächen und da« Dresdener Blatt dürfte vielleicht bald gestehen, geirrt zu haben, als es glaubte, der Kampf gegen die Social demokratie bilde „das nächste und wichtigste Erforderniß der inneren Politik". Nein, das nächste Erforderniß sind preußische Minister, die diesen Namen verdienen. Können sie nicht kommen und bleiben wir nach wie vor auf Executorrn an gewiesen, so ist jener Kampf überhaupt unmöglich, da der Boden für ihn nicht vorbereitet werden kann. Wir schreiben heute nicht 1878. Deutsches Reich. * Leipzig, 26. Juli. In Bezug auf die Verwerfung der Vereinsgesetznovelle durch die preußischen National liberalen ist die „Leipziger Zeitung" der Ansicht, „bei einer Auflösung des Abgeordnetenhauses in diesem Momente würden von ihren jetzigen Abgeordneten verwünscht wenig wiederkehren." Dagegen schreiben die „Berl. N. N." die sehr lebhaft für die Vereinsgesetznovelle eingetreten sind: „Eine Neuwahl des Abgeordnetenhauses muß aus verschiedenen Gründen als inopportun erachtet werden, auch würde sie aus diesem Anlaß vermuthlich so ausfallen, daß das neue Haus keine besseren, sondern womöglich noch ungünstigere Chancen böte." Die „Kreuzzeitung" scheint derselben Ansicht zu sein, denn sie sagt kein SterbenSwörtlein von Auslösung, bezeichnet da gegen den sofortigen Schluß der Session al« die „selbst verständliche Folge" der Sonnabend - Abstimmung. — Die „Leipziger Zeitung" schreibt ferner zum Ausschluß deS Abg Schoos ans der nationalliberalcn Partei: „Weshalb sich unter besagten Umständen der Abg. Krause ia der vorgestrigen Sitzung so sehr über die Beschuldigung Les Herrn Diederich Hahn ausrcgte, daß die übrigen nationalliberalen Abgeordneten bei ihrer Abstimmung nur dem Fractions» zwange folgten, ist uns nicht recht klar geworden. Herr Schoos „fliegt" doch nur deswegen, weil er dem Fraktionszwang nicht folgte. Daß ev sich vorher zum Festhalten an seiner ersten Abstimmung verpflichtet hatte, scheint uns daran Nichts zu ändern." Der Ah Wardt des preußischen Abgeordnetenhauses wird erfreut sein, zu hören, daß die „Leipz. Ztg." über Wortbruch und parlamentarischen Anstand genau so denkt wie er. Die nationalliberalen Abgeordneten aber werden aus demselben Grunde sich nicht darüber „aufregen", daß di« «Leipz. Ztg." die Beschimpfung deS Abg. Hahn wiederholt, desselben Abg. Hahn, dem die „Leipz. Ztg." am Freitag daS Prädicat eines FauiHaton. Indische Verbrechersecten. Von Georg Biel. Nachdruck vertotrn. Niemand kann sagen, ob die Unruhen, die der Telegraph jüngst au» Indien meldete, nur eine locale Feuersbrunst oder ob sic das Sturmsignal einer allgemeinen Volksbewegung sind. Denn obgleich die Europäer nun bereit« Jahrhunderte in diesem alten Wunderlande weilen, so liegt doch für sie über dem eigentlichen Leben und Empfinden deS indischen Volkes noch immer ein dichter Schleier. Die Masse der Indier bat sich scheu in sick zurückgezogen, und nur ab und zu tritt jäh und überraschend ein Stück ihres Lebens zu Tage, das dann für uns ein geheimnißvolles Räthsel bildet. DaS größte dieser Räthsel sind wohl jene Verbrechersecten, die das ganze indische Leben durchsetzen und, ganz besonders wegen ihrer religiösen Färbung, einen steten Zündstoff darstellen, dessen Existenz daS plötzliche Entstehen eine- allgemeinen Brandes leichter erklärt. Man erinnert sich vielleicht noch de« sensationellen Auf sehens, daß in den 20er und 30er Jahren die Entdeckung der Mördersecte der Thug's hervorricf. Achnliche Fäll« waren in der Geschichte nicht ganz unbekannt. Seneca erzählt von der egyptischen Serie der „Liebloser", die ihre Opfer unter Umarmungen strangulirten. In der Zeit der Kreuzzüge widmeten sich die Affasstnen dem religiösen Morde, und England kannte die Mordepidemie der burlcers, die aus Ge winnsucht Morde begingen. Aber der TbuggiSmus über traf all diese Erscheinungen bei Weitem. Religiöser Fanatis mus und Gewinnsucht vereinten sich bei ihm und hatten seit Hunderten von Jahren — denn schon Thrvenot im 16. Jahr hundert erwähnt die Tbug — zu einer geradezu großartig ausgebildeten. daS ganze weite Land umfassenden, unheim lichen und fast allmächtigen Organisation geführt, deren Mitglieder ihr blutige« Gewerbe in hohen Ehren hielten. Di« indisch« Regierung hat zur Bekämpfung deS ThuggiSmu» und der Raubanfälle ^cialcoltle») ein eigenes Amt gegründet, dessen energischer Thätigkeit der Erfolg nicht versagt blieb. Aber damit war, wie sich gezeigt hat, von einem mächtigen Baume nur ein Ast, wenn auch der giftigste, abgehauen. Da« secten- und berufsmäßige Berbrecherthum steht zwischen dem Himalaya und dem Cap Comorin noch heut in großer Blüthe, und noch heut zieht eS au« religiösen Anschauungen seine meiste Kraft. E« giebt eine Gottheit, deren Name schon in den Tbug- Protokollen genannt wird und die noch heut von allen Ver- brechersccten verehrt wird. E« ist Dewi, die Göttin der Zer störung, die Menschenopfer heischt und daher den Mord be schützte, zugleich aber die Patronin alles unholden Werke« ist. Wir wissen z. B. von den Lungotee Pardhi, einem alten Räuberstamme, daß sich in jedem ihrer Häuser eine silberne Dewi befindet und mit höchstem Eifer verehrt wird. Keine ihrer Frauen darf einen Fußring von Silber oder etwas RotheS tragen, weil daS Götterbild von Silber ist und auf einem rotben Tuche »u stehen pflegt. Auf gewissen Möbeln darf kein Pardhi schlafen, weil man annimmt, daß Dewi sie zur Ruhestätte benutzt. Regelmäßig werden ihr unter großen Festlichkeiten Opfer bargebracht. Diese Göttin wird fast von allen Verbreckerstämmen verehrt, und unter mannigfachen Ceremonien wird sie vor dem Antritte einer verbrecherischen Expedition um Schutz angefleht oder um ihren Willen befragt. Fällt ihre Antwort verneinend aus, so wird die geplante Expedition unweigerlich unterbleiben. Ueberhaupt kennzeichnet sich das indische Verbrecherwesen dadurch, daß die Beschäftigungen und die Bräuche jedes einzelnen Stamme« ganz genau festgesetzt sind und diese Be stimmungen absolut nie übertreten werden. Die Bhampta üben nur Eisenbahndiebstahl, die Gopaul sind fast nur Viehdiebe, die Bunjara stets Dakoits, d. h. Räuber. Die Sunaria, einer der gefährlichsten indischen Diebesstämme, müssen einen Eid bei Dewi schwören, nie Straßenraub oder Einbruch zu verüben. Die Kolbatee haben es noch beute nicht vergessen, daß sie, die früher gewaltsamen Straßenraub übten, jetzt zu Einbrechern „herabzesunken" sind, — der beste Beweis dafür, cwie sacrosanct die besondere Art deS Ver brechens bei jedem Stamme festgehalten wird. Ebenso ist die Ausführung genau ritualisirt. Der Kadu (Häuptling) einer Bowrie-Bande zum Beispiel wird immer mit den Füßen voran durch das Loch, daS in der Mauer gemacht ist, ein schlüpfen und stets einen Zauber, der den Verfolger fern halten soll, zurückhalten. Die Keikaren, höchst routinirte Einbrecher, werden zu ihren Zwecken nie ein anderes Instru ment als den zu Zeiten von ihnen göttlich verehrten eisernen, mit Stahl beschlagenen villa lcolvo gebrauchen. Derartige Gesetze regeln auch bei jedem Stamme die Theilnahme der Weiber. Bei den Bowrie ist es strenge Regel, daß kein Weib die Bande begleite; bei den Keikaree sind die Frauen stets mit, die Marwaren Kunjurs sckicken sie als Sängerinnen und Tänzerinnen aus, um von ihnen Informationen zu er halten, di« Bbampta lassen sie in den FrauencoupsS di« Diebstähle auSsühren, die sie selbst bei den Männern vor nehmen, und bei de« Mang GarodeeS endlich nehmen die Weiber mit geradezu fanatischer Leidenschaftlichkeit an dem Treiben der Männer Theil. Kommen Polizisten inS Lager, um etwa nach gestohlenem Gute zu suchen, so fassen sie in ihrer Raserei ihre kleinen Kinder bei den Knöcheln, schwingen sie hastig im Kreise herum und versichern, die armen Wesen auf diese Weise tödten zu wollen, wenn die Beamten nicht aufhörten. Oder sie werfen plötzlich die Kleider ab und erklären, Klage erheben zu wollen, daß die Polizisten den Anstand verletzt hätten. Es ist unzweifelhaft, daß durch die Thätigkeit der britischen Polizei die Mördersecten abgenommen haben. Aus gerottet aber sind sie nicht; und gerade in neuester Zeit ist ein merkwürdiges professionelles Giftmischerthum zu be sonderer Blüthe gelangt. Diese Verbrecher sind allerdings meistens nicht, wie eS sonst ganz allgemein ist, bandenmäßig organisirt, sondern sind einzeln lhälig, vermuthlich weil ihr Geheimniß zu gefährlich ist, um es Anderen mitzutheilen. Sie üben ihr schändliches Gewerbe in einer ganz eigenthüm- lichen Art. Sie kommen als reisende Kaufleute in einem Dorfe an und wünschen einen Wagen und zwei Ochsen zu miethen. Der Vertrag wird geschlossen und eine kleine Summe angezahlt. Unterwegs freundet sich der Verbrecher mit dem Führer des Wagens an, speist mit ihm, wenn die Kasten zugehörigkeit dies nicht verhindert, oder schenkt ihm Süßig keiten. Dabei giebt er ihm dann das Gift. Den Leichnam fährt er oft viele Meilen mit sich, einmal, um in einen anderen Polizeibezirk zu kommen, sodann, weil der Körper, der halb verdeckt auf dem Wagen liegt, natürlich kaum Ver dacht erregt, während der einmal ausgesetzte Leichnam bald entdeckt wird. Ein Verbrecher dieser Art rühmte sich mit Stolz, 18 solche Unthaten vollbracht zu haben. Dies System wirft ein grelles Licht auf die fürchterliche Unsicherheit, in die die Verbrechersecten das ganze indische Leben versetzen. Man begegnet auf der Landstraße einem Schwarm religiöser Bettler, wie sie die Wege massenhaft beleben: es ist eine Bande von Bowrie, die mit großem Geschicke diese Verkleidung angenommen haben, auch alle Gebete und Gebräuche solcker frommen Tagediebe sorgfältig verrichten und auf diese Weise ihren Zweck, einen großen Einbruch zu verüben, verhüllen. Auf der Eisenbahn trifft man einen überaus wohlgekleibeten, ersichtlich reichen Hindu: es ist ein Bhampta, der stet« in dieser Ausstattung auf den Eisen bahndiebstahl ausgeht. Am Wege sitzen ein paar friedliche Männer mit ihrer Mahlzeit beschäftigt; ist der Reisende zur Stelle, so springen sie plötzlich auf und verlangen seine Habe und weigert er sich, so tauckcn von allen Seiten hinter Busch und Felsen gefährliche Gestalten auf. ES sind die Ramosee, die dies Verfahren befolgen. ES ist unglaublich, welch listige Techniken die einzelnen Stämme ausgebildet haben, nach denen sie unwandelbar immer wieder verfahren. Die Sunaria zum Beispiel benutzen die Sitte, daß wohlhabende Männer und Frauen, während sie baden, ihre Kleider und Kost- barkeiten Jemandem lam Ufer aufzubewahren geben. Der Sunaria naht sich und verliert anscheinend eine Münze. Der Kleiderhüter geht fast regelmäßig sie ausheben. Durch dieses Atalante-Manöver lockl ver Sunaria den Mann weg, bi« sein Gefährt« gute Gelegenheit hat, mit den Sacken fortzurrnnen. Die Keikaree locken unter dem Vorwande, gestohlene Sachen verkaufen zu wollen, einen Mann in ihr Lager; wenn er nach erledigtem Geschäft geben will, fordern sie ihm da« schon einmal bezahlte Geld nochmals ab, und wenn er sich weigert, so fallen sie über ihn her und plündern ihn au«; bei der Polizei kann sich der Mann begreiflicher Weise nicht beklagen. Nimmt man zu dieser subtil auS gearbeiteten Verbrechertechnik die oft geradezu großartig ent wickelte Organisation der Secten und den Umstand hinzu, daß viele von ihnen Indien ganz oder zu erheblichem Thrile stetig durchwandern, so wird man sich von der Bedeutung des Unwesens einige Vorstellung machen können. Die Organisation der Verbrecher verdient noch einige Worte. Meist theilen sie sich in Banden, deren Ches un bedingte Autorität hat. Bei den Einen leitet er nur die Expedition und zieht die Erkundigungen ein, bei Anderen muß er selbst das Entscheidende dabei thun. Jedenfalls sind die Rollen aller Tbeilnehmer aufs Genaueste festgesetzt. Für die Rettung res Chefs wird Alles gethan und wenn nöthig, Gewalt angewandt; auch nimmt dann wohl irgend einer aus der Bande seine Thaten freiwillig auf sich. Die Ver pflichtung, einander treu zu sein, ist überall sehr streng. Ist ein Takenkar bei einer Expedition getödtet worden, so eilt noch im Dunkel der Nacht ein Genosse zu seinem Hause und wirft den Zweig eines gewissen Baumes (uesw) aufs Dach oder vor die Thür. Dann weiß sein Weib und seine Familie von dem Tobten nichts, selbst dann nicht, wenn er — bereits recoanoscirt — ins Haus gebracht wird. Jeder Bande ist im Allgemeinen ein fester ThätigkeitSbezirk zugetheilt; oft suchen sie sich ihre Opfer in Entfernungen von vielen Meilen, damit sie in einen Polizeibezirk kommen, wo man sie nicht kennt. Die Geschicklichkeit, mit der die Beute in derselben Nacht weithin verbracht wird, ist geradezu verblüffend. Die Gbopal haben lange Linien von Colonien angelegt, und das gestohlene Vieh wandert sofort so schnell durch diese Linie zum Verkaufe, daß Entdeckung fast unmöglich ist. DaS Verbrccherwesen ist die einzige Einrichtung, bei der Hindu und Muhammedaner in schöner Eintrackt zusammen wirken. Freilich giebt es ausschließlich Hindu- und aus schließlich muhammedanische Seelen. Zu den letzteren gehören die falschmünzenden Fakire, die in Jungeln versteckt auf primitive Weise falsches Geld fabriciren und eS dann beim Wechseln in der Art unterbringen, daß sie die ihnen ge gebenen echten Geldstücke geschickt mit den gefälschten ver wechseln und diese als unecht zurückweisen. Ein Fakir bat auf diese Weise an einem Tage nachweislich 11 Rupien „gemacht". Sind nun diese und ähnliche Secten verhältniß- mäßig friedlich, so darf man sich doch darüber nicht täuschen, daß in diesem ganzen Srctenwesen eine unausgesetzte Gefahr gewaltsamer Ausbrüche liegt. Die meisten Secten begehen, wenn die Sache schlimm steht, unbedenklich Mord, viele sind ohnehin bei ihrem Thun gewohnheitsmäßig grausam. Reli giöser Fanatismus und Habgier vereinigen sich in diesem Verbrecherthume mit dem alten, so sich Luft machenden Jnstinct gegen die eigentlichen und wahren Feinde, und all' diese Räuber, Einbrecher und Diebe werden dann die gefähr lichsten Schürer und Träger eine« allgemeinen Aufstande«.
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