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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.07.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970728023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897072802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897072802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-28
- Monat1897-07
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Di« Morgen-Nu-gabe erscheint um '/,? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um ü Uhr. Nk-aciion und Lrveditio«: IohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöflnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: ktl« Klemm'- Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 lPaulinum), LoniS Lösche, Katharinenstr. 14, Part. und kSnigSplat 7. Bezugs-PreiS in brr Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten AuS- aabestellen ab geholt: vierteljährlich ^>4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung inS Haus >li 5.b0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^l 6.—. Directe tägliche Kreuzbandiendung int Ausland: monatlich 7.ö0. Abend-Ausgabe. NWM.. TagMatt Anzeiger. Ämtsökatk des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Auzeigeu-Prei- die 6 gespaltene Petit-eile 20 Pfg. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4gm spalten) üO^L, vor den Familiennachrichtr» (6 gespalten) 40/ij. 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Die „Post", die der Anschauungs weise deö Licepräsidenten des preußischen Ministeriums jedenfalls näher steht als die „Kreuzztg.", kann sich erst recht nicht unklar darüber sein, daß Herr von Miquel weit tieser als die Ablehnung der Borlage eine noch schärfer hervortretende Gereiztheit zwischen den Parteien beklagen würbe, aus deren Sammlung er das größte Gewicht legt. Und doch giebt sich das sreiconservative Blatt alle Mühe, diese Sammlung zu erschweren, indem es die nationalliberale Fraction Les Abgeordnetenhauses mit ungerechtfertigten Vorwürfen überhäuft. So schreibt die „Post", daß der Abg. Schoos wegen seiner Abstimmung für daS Vereinsgesetz aus der Fraction ausgeschlossen worden sei, und unter drückt, nachdem sie daraufhin in Hannover Stimmung gegen die dortigen Nationalliberalen zu machen gesucht, vollständig die Erklärung der Fraction, worin ausdrücklich gesagt ist, daß so verfahren werden mußte, weil Herr Schoof, sein durch seine Zustimmung zur Hobrecht'schen Er klärung gegebenes Wort nicht gehalten und sich auch nicht rübrte, als der Abg. vr. Hahn am Sonnabend, aus Schoof sich berufend, dessen Fractions- und Berufsgenossen aus Hannover in schwerster Weise hinsichtlich ihrer Ueber- zeugung verdächtigte; die „Post" verschweigt also, daß bei der Ausschließung lediglich Voraussetzungen in Betracht kamen, die für ein vertrauensvolles Zusammenwirken in jeder Gemeinschaft für unerläßlich gehalten werden. Daß nicht seine Abstimmung für die Novelle Herrn Schoof ver- hängnißvoll wurde, sondern lediglich sein Wortbruch, geht sonnenklar daraus hervor, daß die Herren Bueck und v. Sanden, von denen der Erstere am Sonnabend gleich Herrn Schoof für die Novelle stimmte, während der Letztere sich der Abstimmung enthielt, aus der Fraction nicht aus geschlossen wurden. Sie hatten eben die Fraction vom ersten Augenblicke an von ihrer abweichenden Auffassung in Kenntniß gesetzt, und die Fraction hat der Ueberzeugung der Herren, die vom Anfang bis zum Schlüsse festgehalten und auch zum Ausdruck gebracht worden ist, bevor der Abg. Hobrecht seine bekannte Erklärung abgab, die Achtung ent gegengebracht, auf welche die Ueberzeugungstreue bei jeder politischen Auffassung, gleichviel welcher Partei, berechtigten Anspruch hat. Es mag ja sein, daß die „Post" an einem Wortbruche wie der, dessen Herr Schoof sich seiner Partei gegenüber schuldig gemacht hat, nichts sonderlich Schlimmes findet, aber daraus kann sie nicht das Recht herleiten, der nationalliberalen Fraction für die Ausschließung Schoos'S Motive unterzuschieben, die nachweislich nicht ausschlaggebend gewesen sind. Geschieht diese Unterstellung trotzdem, so beweist die „Post", daß cs ihr auf Das, was Herrn v. Miquel daS Wichtigste und Erstrebenswerlheste erscheint, gar nicht an kommt und daß es ihr nicht um Sammlung der staatS- erhaltenden Parteien, sondern lediglich um Stimm ungs- macherei mit unredlichen Mitteln zum Zwecke des Stimmenfanges in n a t i o n a l li b e r a l e n Wählerkreisen zu thun ist. Und bei solchem Thun, bei solchem Ignoriren Dessen, was vr. v. Miquel im Namen der jetzigen Preußischen Regierung als ihr wich tigstes Ziel und als daS dringendste StaatSbedürfniß binstellt, giebt sich die „Post" den Anschein, lediglich in heißer Sorge um das Staatswohl zu brennen! Weiter kann man die politische Heuchelei kaum treiben. Doch ja, daß es geht, beweist ein Blatt, daS bei jeder Gelegenheit dem neuen und dem neuesten Curse den alten als Knüppel zwischen die Füße zu werfen versucht, Minister wiederholt in der giftigsten Weise angegriffen und angeschwärzt und sogar durch Ver breitung und Vertheidigung der bekanntermaßen nur zum Zwecke der Verhöhnung eines Leichtgläubigen erfundenen Nachricht von dem beabsichtigt gewesenen, aber durch Machinationen hintertriebenen Reise des Zaren nach FriedrichSruh die höchsten Kreise zu verdächtigen und zu diScreditiren versucht hat; ein solches Blatt findet jetzt mit einem Male, daß die Nationalliberalen durch Ver werfung der Vereinsgesetznovelle der preußischen Regierung eine für diese verhängnißvolle Niederlage beigebracht, eine Verstärkung der Socialdemokratir herbeigeführt und somit eines schweren Vergehens sich schuldig gemacht haben! Wir wollen ganz davon absehen, daß in diesem Borwurfe die komische Doctrin enthalten ist, die Parteien hätten zu Allem Ja und Amen ru sagen, was die Regierung vorschlägt, um ihr eine Niederlage und der Socialdemokratie eine Freude zu sparen. Aus dem Munde eines sreiwillig-gouvernemenlalen Blattes läßt man sich auch solche Lehren gefallen. Spielt sich aber plötzlich ein Blatt, das principiell jede Regierung, die nicht genau im Fahrwasser des allen Curses segelt, zur Freude der Socialdemokratie als blind, minderwerthig und curslos erscheinen zu lassen sucht, plötzlich als Engel mit dem Flammenschwerte auf, der die Opposition gegen eine Regierungsvorlage in die Wüste zu Social demokraten unv Anarchisten fagt, so ist das der Gipfel der Heuchelei. Daß zwischen einem Theil der konservativen Partei und der Leitung des Bundes der Landwirthe nicht „Alles in Ordnung" ist, zeigt sich immer von Neuem. So hat dieser Tage Herr v. d Gröben-Arenstein, bisher Leiter des ostpreußischen Provinzialverbandes des Bundes, bei einem Festmahl, welches ihm anläßlich seines Rücktritts von dieser Stellung gegeben wurde, in seiner Dankrede u. A. Folgendes bemerkt: „Wollen Sie mir gestatten, daß ich an der Hand von Er- sübrungen, die ich in meiner langjährigen Praxis als Provinzial führer des Bundes gemacht habe. Ihnen darlege, wie nothwendig es ist, von allen politischen Sonderbestrebungen ab zusehen, welche fernab von unserem Programm liegen, und in ein beliebiges bundessreundliches Gewand gebullt, in letzter Zeit verschiedentlich versucht haben, sich in den Bund Ein gang zu verschaffen und einen bestimmenden Einfluß zu gewinnen. Dieses muß auf unsere Organisation vernichtend wirken, unsere Mitgliederzahl schwächen und die Ziele des Bundes verdunkeln." Gleichzeitig wird in einer Zuschrift an die „Nordd. Allg. Ztg.", welche aus die gegen die Bundesleitung gerichtete Bro schüre eines „alten (Konservativen" Bezug nimmt und von der „anmaßlichen Einmischung" der Correspondenz des Bundes in die Interna der konservativen Partei spricht, eine Erinnerung aufgefrischt; im October v. I. habe die „Schles. Ztg." Folgendes berichtet: „Die Bestrebungen, aus dem Bunde der Landwirthe eine politische Reformpartei zu bilden, die sich den vielgewandten Antisemiten angliedern würde, sind durchaus noch nicht überwunden. Den vorigen Winter hatte dieser Plan schon so bestimmte Gestalt angenommen, daß man bereits die Namen der jenigen Agrarier nannte, die gegebenenfalls aus der conserva- tisven Partei secessioniren wollten. Man rechnete, die neue Resormpartei werde einschließlich dieser Secessionisten und einiger Wilden nebst der Fraction der deutsch-socialen Resormpartei etwa dreißig Mann stark austreten können. Dieser Plan ist Dank der Wachsamkeit des conservativen Parteivorstandes vorläufig zu Wasser geworden." Dazu bemerkt der Einsender jetzt: „Die „Correspondenz des Bundes der Landwirthe" hat damals geschwiegen, die „Deutsche Tageszeitung" hat damals nach meiner Erinnerung nur lau widersprochen und den Bundesvorstand — der als solcher gar nicht in Frage steht — in Schutz genommen. Klarheit in dieser Sache würde sofort geschaffen werden, wenn die Herren vr. Hahn, v. Liebermann und v. Ploetz erklären wollten, Laß in Bundessitzungen oder vertraulichen Besprechungen ein Plan, wie ihn der alte Conservative in seiner Broschüre an gedeutet und wie er auch in der „Schlesischen Zeitung" und „Kreuz- zeitung" erwähnt war, niemals erörtert und auf feine Opportunität geprüft worden sei, und daß man auch für die Folge entschieden davon Abstand nehmen will, den Bund politisch selbstständig zu machen. Es sollte mich aufrichtig freuen, falls diese Erklärung abgegeben werden könnte und würde." Angesichts derartiger Erörterungen in der Oeffentlichkeit, denen ohne Zweifel ähnliche hinter den Coulissen entsprechen, ist eS erklärlich, daß das Bundesorgan plötzlich seine An hänger dringend zur Einigkeit mahnt und „ernstlich daran erinnert, wie nothwendig es sei, daß das gesammte Vorgehen in landwirthschaftlichen Fragen sich gruppire um die Organi sation, die denn doch nun im öffentlichen Leben als die Trägerin der agrarischen Wirthschaflspolilik gilt und gelten muß." — DaS scheint nicht überall anerkannt zu werden. Es sollen in neuerer Zeit Tausende von Mitgliedern, namentlich auch in den östlichen Provinzen, aus dem Bunde ausgetreten sein, die nur nothdürftig durch die Anwerbung neuer Mitglieder ersetzt werden können; diese Werbethätigkeit nimmt einen großen Theil der Arbeit der „Organisation" in Anspruch, welche Len Bund'esmitgliedern jährlich eine halbe Million Mark kostet. Die Verhandlungen des rnglischcn Unterhauses haben so geendet, wie jeder Politiker voraussah. Chamberlain gehr als ein Ehrenmann aus der Untersuchung deS südafrikanischen Ausschusses hervor, — wenigstens in den Augen der Mehrzahl seiner Landsleute. Ein kleiner Theil der Engländer und daS Ausland dürften allerdings anderer Meinung sein, und dieser Theil dürfte die Begründung seiner Ansicht in der Thatsache finden, daß, als das Kreuzverhör auch mit ihm losgehen, als auch er Labouchöre's spitzfindige und kniffliche Fragen beantworten, als er selbst zum An geklagten gemacht werden sollte, Chamberlain und die Majo rität des Ausschusses die Verhandlungen für beendet erklärten. Genau dasselbe, waS im Ausschuß vorging, das wiederholte sich Montag Nacht im Unterbaust. Wenn man im Ausschüsse verhinderte, daß sehr belastende Umstände ans Licht ge zogen wurden, wenn selbst die Mitglieder der liberalen Partei, Sir William Harcourt, Ellis und Buxton, keine Eile zeigten, irgend etwas öffentlich vertäuten zu lassen, WaS sie vielleicht schon im Geheimen wußten, so mußte auch in der öffentlichen Verhandlung des Unter hauses das Ansehen Chamberlain's unter allen Umständen gewahrt werden, nicht des Partcimannes, sondern des eng lischen Politikers, der im Schachspiel um die Erweiterung des Reiches remis machte. Durch die Abstimmung ist Chamber lain nicht weiß gewaschen, aber er ist auch nicht positiv belastet, und somit geht er stolzer denn je aus den Verband lungen hervor. Wie lange er freilich noch die politischen Geschicke lenken wird, das ist eine andere Frage. Es giebt Leute, auch im conservativen Lager, die Cbamberlain gern loS sein möchten, da er ein Mann ist, der seine Hand in alle Ge schäfte steckt und besonders auf dem Gebiete der Socialpolitik feine Parteigenossen mit einer Strenge und Rücksichtslosig keit erzieht, die seit den Tagen deS Benjamin Disraeli den Tories nicht mehr vorgekommen ist. Ja, er ist ein gefährlicher Mann, dieser Joseph Chamberlain; aber viel gefährlicher wäre er außerhalb, als im Schoße des Ministeriums — das wissen die Tories und bebalten ihn. Was die Afrikander zu dem Erfolge Cbamberlain's sagen, das dürfte unschwer zu errathen fein. Wenn sie bis her die unverfrorene Behandlung mit Ruhe ausgehaltcn haben, so ist dies allein der versöhnlichen Haltung des Prä sidenten Krüger zu verdanken. Die Rede Chamberlain's wird nicht dazu beitragen, die Gegensätze in Süd afrika auszugleichen. Daß ein Schiedsgericht zur Beilegung der Streitfragen zwischen England und Transvaal, wie es von Pretoria aus vorgeschlagen ist, von der englischen Regierung gewünscht werden sollte, möchten wir trotz aller schwebenden „Erwägungen" bezweifeln. Das Unrecht ist zu sehr auf Englands Seite, als daß es darauf rechnen könnte, vor einem unparteiischen Forum gut abzu schließen. Für das Afrikanderelement liegt die Sache, trotz allen Entgegenkommens der Südafrikanischen Republik, genau so, wie vor einem Jahre. Und da Rhodes aus den Ausführungen Chamberlain's nur eine Ermuthignng zu neuen „patriotischen Verdiensten" schöpfen wird, handeln die Buren verständig, wenn sie ihren Patronenvorrath recht zeitig verdoppeln. Eine friedliche Lösung der südafrikanischen Frage wäre nur denkbar, wenn das holländische Element be dingungslos vor den unberechtigten englischen Ansprüchen capitulirte. Durch die beschleunigte Fortsetzung der Friedensverhand lungen scheint die Türkei etwas gelitten zu haben. Nicht nur, daß Griechenland wieder vorlaut wird, auch einzelne Mächte müssen hinter den Coulissen etwas zu sehr die Partei der griechischen Regierung genommen haben. Anders ist wohl die folgende präcise deutscheKundgebung nicht aufzufassen, die sich in der „Kölnischen Zeitung" findet und die durch ihre Verbreitung durch Wolffs Bureau zu einer mehr als ofsiciösen gestempelt wird. Die Kundgebung richtet sich gegen die guten Tanten und Basen, die jetzt am Goldenen Horn dem europäischen Störenfried für seine Ungezogenheiten, die beiden Reichen eine Menge Tobte und Verwundete kosten, die Strafe versüßen wollen. Die deutsche Politik hält aber dafür, daß Strafe sein muß und daß Griechenland den Becher des Unglücks auch auskoste, den eS in seiner Selbsttäuschung mit Blut gefüllt habe. DaS genannte Blatt läßt sich nämlich aus Berlin schreiben: Uebcr den Fortgang der Friedensunterhandlungen laufen augenblicklich die verschiedensten Meldungen durch die Presse. Richtig an ihnen dürfte sein, daß die Verhandlungen seit einigen Tagen ein schnelleres und erfolgversprechenderes Aussehen angenommen haben. Die Grenzsrage ist bis auf die Feststellung technischer Einzel- Hellen, die an Ort und Stelle geregelt werden sollen, erledigt, und auch die Frage der Kriegsentschädigung ist dahin entschieden worden, daß den Türken etwa vier Millionen türkische Psund zugebilligt werden. Da- Ferrrlleton „Harmonieen". 1) Roman von A. Fischer-Löher. Alle Rechte Vorbehalten. Erstes Capitel. Es war der allerniedlichste Rococosalon, der sich denken ließ. Alles darin war capriciös, verbogen und geschweift. Ueberall gab eS willkürliche Ecken, an dem Stuck, an den Thüren und an den Möbeln. Auf den lichtfarbenen Tapeten tanzten zwischen Laubgewinden und Fruchtscknüren rosenrolhe und himmelblaue Cavaliere mit reifröckigen Damen im Grase zum Spiele der Guitarre, und auf dem Kaminschirm und den Teppichen hüpften kokette Schäfer und Schäferinnen. Die großen gewirkten Blumen in den seidenen, bernsteinfarbenen Ueberziizen der Polster hatten entzückende Farbenlöne. Im ganzen Raume gab eS nichts Gerades, nichts Ebenmäßiges. Ueberall sah man nur ge schwungene Linien, an jedem Tischchen und an jeder Console, an den Nippes, an den Vasen und an den Simsen, als gäbe cs auf der Welt nirgends eine Schranke für ein freies, capriciöseS Schalten. Zn einer Ecke dieses RococosalonS kauerte mit verdrieß licher Miene Comtesse Renate Eberstein. Sie langweilte sich unzweifelhaft in ihrer stummen Umgebung, für die sie jedoch wie geschaffen erschien. Sie gehörte ihrer äußeren Erscheinung nach in diesen Rococosalon hinein wie nur je eine Marquise aus dem Frank reich vor der großen Revolution. An Comtesse Renate war alles echt Rococo, von den zier lichen AtlaSschuhen an bis zu dem silberschimmernden, asch blonden Haar, das hochfrisirt rin ovales Gesicht mit licht- granen Augen umrahmte. Auf der rechten Wange neben dem Grübchen saß ihr ein kleiner brauner Fleck, der ebenso echt war wie die köstlich weiche Sammetbaul auf Gesicht und Hals. Dazu bauschte sich großgeblümter blauer AtlaS um ihre Gestalt, und den Oberkörper umschloß ein langes silber- gestickteS Mieder. Ueber den tief entblößten Hals fielen einige Lockenringel bis auf die Brust herab. Comtesse Renate hatte diesen für einen Hellen Sommer nachmittag sonderbaren Staat zum Arrger ihrer gesammtrn Familie angelegt mit dem bestimmten Hintergedanken, auch den damit zurückzuscheuchen, der ihr beute von den Ihrigen als künftiger Gatte vorgestellt werden sollte. Wie sie diesen Plan verabscheute! Sie haßte Alle, die ihr eine solche abgekartete Heirath zumuthen wollten. Gewiß, sie war eine obstinate Seele, die nicht dem Vater und den lieben Verwandten für die unerwünschte Fürsorge die Hände küßte. Sie hatte den Muth, ihre Ansichten und Wünsche Allen in der Familie entgegenzusetzen, die sie zum willenlosen Gehorsam herabdrücken wollten. Dadurch batte sie zwar nicht durch gesetzt, über sich allein zu verfügen, doch ein Compromiß erzwungen. Man überrumpelte sie nicht mehr mit Befehlen, sondern man kündigte ihr solche vorher an. Die Noth hatte Renate erfinderisch gemacht, diese Befehle oft im Keime zu ersticken, wenn sie ihr zuwider waren. Sie hatte eine große Geschicklichkeit darin erlangt, die Wünsche der Familie ganz unauffällig so zu beeinflussen, daß sie die Form annahmen, die sie wollte. So war eS ihr meistens ohne offenen Widerspruch gelungen, zu thun, was ihr beliebte. Der geplanten Heirath mit dem Fürsten Schwarzenburg war leider bis jetzt in keiner Weise beizukommen gewesen. Man hielt starr an dem Project fest. Das hatte Renate empört. WaS ging sie der Fürst an? Was seine Erbschafts ansprüche an die MajoratSgüter der Eberstein? Schloß Eberstein war nie ihre Hrimath gewesen. Der Inhaber des Majorat- der Familie, der Bruder ihres VaterS, war ihr in seiner eisenfesten Oberherrlichkeit als Familienoberhaupt ein sehr unsympathischer Verwandter, mit dem sie unausgesetzt in stillschweigender Fehde lebte. Aeußerlich ging der Verkehr zwischen ihr und dem Onkel glatt und voll aristokratischer Rücksichtnahme vor sich. Aber innerlich bäumte sie sich zuerst blindlings gegen jede Maß regel auf, die er als Familienoberhaupt traf. In seinem Kopfe war der Plan gereist, daß sich die letzte Trägerin deS Namens Eberstein-Greiffeld dem künftigen MazoratSherrn vermählen sollte zum Tröste der Familie und zum Ausgleich der Unbegreiflichkeit der Weltregierung, die eine so alte Herrschaft durch Versagung der LeibeSerben in andere Hände brachte. Im Uebrigen vereinfachte die Heirath auch alle Erbschafts angelegenheiten sebr, da in diesem Falle Renates Vater, der um mehrere Jahre jüngere Bruder deS Grafen Lothar Eberstein, des Majoratsherrn, auf di« Uebernahme deS Majorats als nächster Erbe verzichtete, falls er seinen Bruder überleben würde, WaS bei seiner Kränklichkeit allerdings kaum anzunehmen war. Jedenfalls ergab sich durch diese Heirath der Comtesse Renate eine gewisse Befriedigung für alle Betheiligten, nur nicht für die Comtesse selbst. Sie verneinte mit derselben Entschiedenheit, mit der Graf Lothar befahl. Ihre Einwürfe, daß sie den Fürsten nicht kenne und sicherlich nie Liebe für einen ausgedrungenen Gatten empfinden werde, prallte an der Behauptung ab, daß Fürst Schwarzen burg ein Cavalier von tadellosem Ruf und schönem Aeußeren sei. Es wäre als ein großes Glück anzusehen, daß er geneigt sei, seine Hand der letzten Gräfin Eberstein zu reichen, und es zeuge von der edelsten Gesinnung. Comtesse Renate dachte anders darüber. Der Edelmuth des Fürsten kam ihr etwas lächerlich vor. Er brachte dem Fürsten, der sonst nicht über große Reichthümer zu verfügen hatte, den Genuß der wahrhaft fürstlichen Erbschaft ver- muthlich früher, als es ohne diese Verbindung der Fall ge wesen wäre. Der jetzige MajoratSherr war 7l Jahre alt. Ihr eigener Vater, dessen Bruder, war volle acht Jahre jünger. Er kränkelte zwar viel, doch geschah dies schon seit Jahren, ohne daß sein Zustand je besorgnißerregend gewesen wäre. Es lag kein Grund vor, an einen frühen Erbantritt zu denken. Fürst Schwarzenburg konnte bis dahin iu die Jahre kommen. So kam es, daß die Comtesse ihn trotz allen Familien zornes abzuweisen gedachte. Aus Berechnung wollte sie nicht geheirathet sein. Dagegen sträubte sich ihre ganze Natur, und daher war ihre Achtung vor dem Fürsten nicht groß. Wie konnte er seinen Namen, seine Ehre und sein eigenstes Ich einer Frau in die Hand geben wollen, die er nicht kannte? Hielt er so wenig von der Ehe, oder war ihm das Weib eine Bagatelle? Etwas, was man doch nicht ernst nimmt? Die geplante Heirath wurde ihr immer verhaßter» je mebr sie sich in Fragen über den ihr aufgedrungenen Gatten erging. In ihrem angeborenen UnabhängigkeitSdrange schwärmte sie nicht nur für die Frauenemancipation, für die Rechte deS Individuums, sondern sie strebte danach zu leben. Durch daS Vermögen ihrer seligen Mutter war sie selbstständig reich. Seitdem sie mündig war, bezog sie ihre Einkünfte uneingeschränkt und huldigte ihrem Geschmack und ihren Launen in ihrer ganzen Lebensführung ziemlich rücksicht-lo», sobald sie einem Widerspruche begegnete, der ihrer Eigenart zu nahe trat. Vollends wollte sie ganz allein Wählerin ihres Gatten sein. Diese ganze Angelegenheit ging nach ihrer Meinung die Verwandtschaft nur insofern etwas an, als sie sich sträuben konnte, einen Mann wegen eines moralischen Mangels in die Familie aufzunehmen. Mehr nicht. Sie selbst war kein halt loses Mädchen, daS nur nach der Wahl ihrer Sippe glücklich zu werden hatte. Ihre Vorliebe für das Rococo sand nicht den Beifall ihres Vaters und ihres Onkels. Trotzdem hatte sie sich nach und nach eine ganze echte Saloneinrichtung dieses Kunststils in den Antiquitätenläden zusammengesucht und sich mit vielem Geld und Kunstgeschmack ihren Salon in ein getreues Rvcoco- nest umschaffen lassen. Hier lud sie sich zuweilen einige Freundinnen und junge Herren auS ihrem Umgangskreise ein, und Jeder war ver pflichtet, zu diesen Theestunden im Costüm des Rococo zu erscheinen. Eine solche Einladung hatte sie für heute ergehen lassen und erwartete nun ihre Gäste. Das Warten hatte sie in eine gelangweilte Stimmung gebracht. Die zuckenden Lichter der durch das Fenster Hereinsallenden Sonnenstrahlen kuschten über den Teppich bis an die blauen AtlaSfalten des Kleide- der Comtesse. Renate, die in sich versunken vor sich hingestarrt batte, löste die um ein Knie verschlungenen Hände, als der wirbelnde Sonnenstrahl an ihr binaustanzte, und legte die Hände in das Licht. Es war eine schlanke, charaktervolle Hand, über die nun Licht und Schatten in quirlender Bewegung huschten. Der Wind draußen mußte mit den Blättern deS wilden Weines spielen, der seine Ranken über das breite Fenster getrieben batte. Wie Renate dessen inne wurde, ließ sie die Hände fallen. Sie wollte den Luftzug genießen, der das Weinlaub bewegte. Sie stand von ihrem Sitz auf und machte einige langsame Schritte dem Fenster zu. Plötzlich blieb sie stehen. „Ach! — ach!" entfloh eS ihren Lippen. Sie empfand auf einmal ein höchst sonderbares Gefühl, ein körperliches Unbehagen, welches sich einzustellen pflegt, wenn beabsichtigte außergewöhnliche Handlungen große Folgen nach sich riehen können. ES fiel ihr zum ersten Mal ein, daß der Fürst vielleicht auch nur wie sie unter der Vermeidung eines direkten Neins handelte, einem gesell»
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