Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.07.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970729020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897072902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897072902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
- Tag1897-07-29
- Monat1897-07
- Jahr1897
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Vl« Morgen^LuSqab« «rschelnt um '/,7 Uhr, di« Abmid-Nu-gab« Wochentag* um S Uhr. Letacliofl «nd LrpeLitto«: Lohanne-saffe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh S bis Abend- 7 Uhr. Bezugs-Preis D» hur HandtexpedMo« oder den da GtabS- veztrk und den Vororten «dichteten Aus- aavesteven ab geholt: vierteljährlich ^lS.KO, bei «veimaliarr täglicher Luft» llang in» Hau» H.H6. Durch hj, Post bezoaen für Drutschland und Oesterreich: virrtestäbrttch ^l st,—. Directr tägliche Kreuzbaudsendung dE Ausland: monatlich 7ckO- Filialen: vtt« Klemm's Sorti«. tAlfreh -adn), Universitätsstraß» 3 tPauliau»), L-nt, Lösch«. Katharstwnftr. Ist. vart. und Königsplad 7. Abend-Ausgabe. MpMer TagMaü Anzeiger. ÄmtsvkaLt -es Hömgtichen Land- und Ämlsgerichtes Leipzig, des Ruthes und Nokizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. AnzeigeuPreiS di- 8-espalteae Petttzeile SS Pfg. Necla men unter dem Rrdaction-strich lst»- spalten) by-st, vor den Yamilieanachricht», (S gespalten) 40^. Gröber« Schriften laut unsere» Prrts- verzeichniß. Tabellarischer und Mer ass tz nach höher«« Tarif. tztrq-Vetla-en (gefalzt), nur «st da. vrocgen-Ausaabe, ohne Postdesörderumi ^l SS.—, mit Post befördern»- ^l 70.—», Annahmeschlnß siir Anzeige«: Abeud-Ausgobr: vormittag» 10 Uhr. -lrorgen-Au-gabe: Nachmittag- »Uhr. vet de» Filialen und Annahmestellen je ein« halb« Vtuod« früher. Anzeige« sind stets an di« Orpedttisa zu richte«. Druck «nd Verlag von E. Polz in Leipzig. 382. 91. Jahrgang. Donnerstag den 29. Juli 1897. Politische Tagesschau. * Leipzig, 29. Juli. Die „Sammlungs-Rede" de» Herrn vr. v. Miquel bat sogleich nicht den Eindruck einer faßbaren Programm- kundgrvung hervorgebracht; je mehr man sich mit ihr be schäftigt, namentlich nach dem stenographischen Berichte, desto nebelhafter erscheint sie. An welcher Stelle immer man etwa» ConcrrteS Haschen will, stet» greist man in die Lust. Die relative Befriedigung, welcher der Abg. Kraus« Au-druck gegeben hat, ist denn auch in der ganzen nationalliberalen Presse der Auffassung ge wichen, daß man so klug sei „wie zuvor". E- läßt sich eben über das, wa- die „umgebildete" Regierung will, kein WaS und kein Wie herauölesen. Demselben Unvermögen begegnen wir in der Presse anderer Parteien, und eS ist für unS gerade keine erhebende Empfindung, vollkommen mit einem Blatte wie die „Germania" überrinstimmen zu müssen, wenn e- schreibt: „Wir glauben heut zu Tage überhaupt an kein Regierungs programm, weil wir an keine Negierung glauben ... Das Miquel'sche Programm betrachten wir, so lange Herr v. Miquel nicht positive Vorschläge macht, nicht anders als einen Versuch, durch schöne Worte, wenn dieselben auch jedes concreten Inhalt- entbehren, eine enpwtio beoovoleutlas nach allen Seiten auSzuüben, eine Art „Schonzeit" für den neuesten CurS zu erlangen, um bei den nächsten Wahlen — wir nehmen an, daß dieselben schon in einigen Monaten stattfinden werden — die zur „Sammlung" berufenen Freunde und Mitläufer deS neuesten CurseS zu gewinnen. Die Herren v. Ploetz, vr. Nvsicke und vr. Hahn glauben schon das Heft in Händen zu haben, und Herr v. Miquel bemüht sich, ihnen Bor- spann zu stellen. Der politisch gebildete Mittelstand wird sich aber dazu nicht hergeben. Wie soll man einer Regierung Vertrauen schenken, die nicht einmal den Muth findet, ein Wort der Ab- Mahnung an die Bündler und die herrschsüchtigen Conservativen zu richten? Salbungsvolle Worte von „Sammlung" und dabei Thaten, die zerstreuen und erbittern!" Wie gesagt, ganz unserer Meinung. Herr v. Miquel mochte die Parteien im Nebelglanz in und durch die nächsten Wahlen — ob sie schon in einigen Monaten statlfinden sollen, lassen wir dahingestellt — führen. Wenn es ihm dabei gelänge, einen Reichstag zusammrnzubringen, der eine entsprechende Flottenverstärkung bewilligte, in dem im Uebrigen aber Alle- beim Alten bliebe, so würden wir für unser» Theil in Anbetracht der Trost losigkeit der Verhältnisse uns zufrieden erklären können. Es ist aber, wenn nicht noch etwas Unerwartetes geschieht, mit Sicherheit vorherzusagen, daß die Politik der luftigen Verheißungen nach allen Seiten die Wahl eine- Parlaments begünstigt, das in allen Dingen, auch auf dem Gebiete der Marinefragen, unbrauchbarer sein wird, als alle vorauS- gegangenen. Die Mißstimmung in Süddeutschland und in Preußen wächst zusehends und Herr v. Miquel ist viel zu wenig kantig, um ihre Quelle verstopfen zu können. Er hat ja wohl, als sein Eintritt in den Neichsdienst in Frage gekommen war, auf die Notbwendigkeit der Durchführung gewisser constilutioneller Grundsätze hingewiesen, aber sein — wenn auch gewiß nicht feurige« — parlamentarisches Ein treten für die Vereinsgesetznovelle beweist, daß auch er seine Einsicht einem höheren Willen unterzuordnen gewillt ist. Es gab gewiß Biele, die sich von jenem Gesetzt, sei eS I in der Fassung der Regierung, sei eS in der de- Herren hauses, etwas gegen die Socialdemokratie, und Manche, die sich von einer Annahme etwa» für die Sammlung der staat-treuen Elemente versprachen. Daß aber Herr v. Miquel wenigstens nicht zu den Letzteren zu rechnen ist, geht auS seiner ganzen Veranlagung und — falls man diese al« jeder Beurtheilung sich entziehend ansiebt — auS seiner in den Jahren 1889 und 1880 eingenommenen Stellung zum Socialisteugesetze hervor. Ein für die nächsten Reichstag-Wahlen lebrreiches Beispiel liefern die Wahlvorbereitungen im Wahlkreise Flensburg. Dort will bekanntlich der gegenwärtig den Wahlkreis ver tretende Abg. Iebsen nicht mehr candidiren. Man hat deshalb schon jetzt daran gedacht, einen Ersatz für ihn zu finden, und hat für die Mittelparteien einen freiconserva- tiven Bewerber aufgestellt. Gleichzeitig verlautete, daß der vorher bereit» ausgestellte Candidat der Anti semiten, der bekannte Hamburger Führer der anti semitischen Partei Raab, zu Gunsten des freiconservativen Bewerber» zurücklrete» würde. Da- konservative Organ von Flensburg meldet jedoch neuerding-, daß diese Nachricht nicht zutreffe und die Candivatur Raab aufrecht erhalten werde. Nun liegen die Verhältnisse im Flensburger Wahlkreise eigen- thümlich. Die Mitlelparteien, die Radikalen, die Social demokraten und die Danen haben etwa gleichviel Stimmen hinter sich. Wird neben dem mittelparteilichen Candidalen ein Antisemit aufgestellt, so ist die Wahrscheinlichkeit nickt gering, daß weder der Mittelparteiler, noch der Antisemit, sondern zwei der anderen Parteien in die Stichwahl gelangen. ES ist also nickt au-geschlossen, daß durch die anusemitische Sondercandivatur ei« Social demokrat oder, was kaum weniger unerfreulich wäre, ein Däne im Wahlkreise Flensburg-Apenrade gewählt wird; war doch der Wahlkreis bereits dänisch vertreten. Im Jahre 1881 siegte in der Stichwahl der Däne mit mehr al- 800 Stimmen Mehrheit gegen den national liberalen Bewerber. Daß die Sache deS Dänenthums einen gewaltigen Aufschwung in der Nordmark gewinnen würde, wenn neben dem immer dänisch vertretenen Wahl kreise Hadersleben auch der Wahlkreis Flensburg von den Dänen erobert würde, versteht sich von selbst. Eine Partei, die da« Deutschthum nicht nur jederzeit im Munde führt, sondern soeben erst angesichts der Borgänge in Oesterreich den Beweis geliefert hat, daß ihr die Erhaltung und Kräftigung deS Deutschthum« am Herzen liegt, sollte deshalb auch nicht einmal zu der Möglichkeit eine« dänischen Sieges beitragen. Indessen würde das Verhalten der Antisemiten im Wahlkreise Flensburg keineswegs vereinzelt dastehen. Wir erinnern nur daran, daß sie wiederholt in dem sehr gefährdeten Wahlkreise M e s e r i tz - B o m st neben einem freiconser- vativcn Bewerber einen eigenen Candidaten aufgestellt hatten und dadurch beinahe den Sieg de« polnischen Bewerber- herbrigeführt hätten. Diejenigen Elemente der Partei, die da» Wohl des Vaterlandes über den Partei- vortheil stellen, sollten daher nachdrücklich bei der Partei leitung und bei den Gesinnungsgenossen dabin zu wirken suchen, daß in Wablkreisen, in denen da- Deutschthum be droht ist, die Aussicht de- Sieges eines deutschen Eandidaten nicht durch Zersplitterung verringert werde. Abermals sckickt Teutschlanp sich an, bei der Losung de« pricchischelürkischcn Problems ein entscheidende« Wort zu sprechen, indem eS die Eon t r ol e über die griechisch en Finanzen zur Bedingung seiner Mitwirkung bei der Her stellung deS Friedens im Oriente macht. Daß die deutsche Regierung auf diesem Slandpuncte steht, ergiebt sich u. A. daraus, daß zwei Blätter, die in Bezug auf auswärtige Angelegen beiten von der Regierung insormirt zu werden pflegen, die „Köln. Zeitg." und der „Hamburg. Correspondent" daS Verhalten der Regierung in einer fast gleichartigen Weise motiviren. Die deutsche Regierung findet hierbei die ge- sammte öffentliche Meinung auf ihrer Seite. Von der „Kreuzztg." bi« zur „Voss. Ztg." wird ihre Stellungnahme al« im Interesse de« Friedens und der Gerechtigkeit liegend bezeichnet. Die Stellung der deutschen Regierung ist keines wegs lediglich als Wahrung der finanziellen Rechte der Gläubiger Griechenland« und de« neuen Gläubiger-, der Türkei, berechtigt. Sie ist auch von eine»» höheren politischen Slandpuncte aus correct. Würde Griechenland von der Bezahlung der Kriegsschuld ebenso leicht freikommen, wie e« durch die Hilfe der Mächte die Rückerlangung von Thessalien erwirkt Hal, so würden die anderen Staaten auf der Balkanbalbinsel gar zu sehr ermuthiat werden, es den Griechen an Unruhestifter» gleichzuthun. In dieser Beziehung ist ein Interview lehrreich, da- ein Mitarbeiter des „Figaro" mit dem Fürsten von Bulgarien und einem hervorragen den bulgarischen Staatsmanne gehabt hat. Man hat e« dem Interviewer gegenüber für nöthig gehalten, sich auf jede Weise zu entschuldigen, daß man nicht ebenso wie Griechenland den Frieden frivol gebrochen hätte. Man hat aber darauf gleichzeitig bingewiesen, daß man keineswegs gesonnen sei, die Hände in den Schooß zu legen. Wenn erst die griechische Frage erledigt sei, dann wolle man schon der Türkei mit der makedonischen Frage über den Hals kommen. Bulgarien verlange unter allen Umständen die Befreiung der Makedonier. Fürst Ferdinand und sein Staatsmann haben ja wohl den Franzosen gegenüber rin wenig ausgeschnitten, aber daß die Bulgaren um so früher geneigt sem werden, die makedonische Frage anzuschneiden, je weniger Griechen land für sein Verhalten zu büßen braucht, darf wohl als zweifellos angesehen werden. Es ist aber auch nicht abzu- jeben, wie aus eine andere Weise, als dem deutschen Vorschläge entsprechend, die Frage der Kriegsentschädigung gelöst werden kann. Zu verlangen, daß die Türkei auf «in bloße« Versprechen Griechenland« hin Thessalien räumt, wäre unbillig. Andererseits wäre e- wieder fast unmöglich, daß Griechenland die Kriegsschuld bezahlt und zugleich auch nur seine nvth- wendiasten Verpflichtungen bestreitet, wenn die Türken die beste Provinz des Lande« besetzt halten. Man würde sich also in einem fehlerhaften Kreise bewegen, wenn man nicht versuchen würde, die Türken möglichst rasch aus Thessalien berauSzubringen und ihnen zugleich für daS ihnen auf diese Weise entgehende Faustpfand eine andere Garantie zu geben. Diese Garantie kann nur gegeben werden durch die Einrichtung der europäischen Finanzcontrole über Griechenland. Wohl äußern sich die griechischen ExaltadoS, daß man lieber Thessalien aufgeben, al» sich eine Stellung unter Vormundschaft gefallen lassen solle, aber so wenig politische Reife auch da- griechische Volk bewiesen hat, so glauben wir doch nicht, daß eS in seiner Mehrheit dieser exaltirtcn Auffassung zustimmen wird. ES wird ja dock auch von der Finanzcontrole das griechische Volk keinen Schaden, sondern nur Vortheil haben. Nachthril davon werden nur die Beamten haben, die bisher vorzüglich in ihre Tasche zu wirtbschaften verstanden. Wenn diesen Leuten das Handwerk gelegt wird, so wird das ein weiteres Verdienst der Haltung der deutschen Regierung sein. Die Angriffe, die der Prinz Heinrich von Lrleans bei Gelegenheit seiner Reise nach Abessinien gegen die vom Neaus Menelik gefangen gehaltenen Italienischen Officiere gerichtet, werden ein Nachspiel haben, das zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Frank reich und Italien jedenfalls nicht beitragen kann. General Albertone hat an den Prinzen bereits eine Herausforderung gerichtet, und andere italienische Officiere sind bereit, seinem Beispiele zu folgen. Die römische „Tribuna" veröffentlicht auch noch ein Schreiben, aus dem erhellt, wie ungerechtfertigt die Angriffe deS orleanistischen Prinzen waren. Es ist dies ein Schreiben des französischen Abbö Oudin, der seiner Zeit von einem römischen Damen- comitö mit Unterstützungen für die italienischen Gefangenen nach Schoa entsendet wurde und dort sieben Monate zu brachte. Der Abbs erklärt, daß die Briefe de- Prinzen noch mehr Widerwillen als Entrüstung erregen müssen; sie seien vom Anfang bi» zum Ende nicht» al» ein Haufe von Lügen, die durch den leidenschaftlichsten Haß und die dümmsten Vorurtbeile eingegeben wurden. Hierauf widerlegt der Abbö Punct für Punct die Behauptungen deS Prinzen, indem er die von demselben entstellten Thalsachea aufklärt. Die bemerkenswertheste dieser Richtigstellungen betrifft die an geblichen Toaste italienischer Officiere auf König Menelik. Der NeguS, so erzählt der Abbs, habe die italienischen Officiere fast jeden Sonntag zu einem Diner geladen. General Albertone sei hierbei manchmal aufgefordert worden, auf das Königspaar zu trinken, habe dies aber beharrlich abgelebnt. Nach dem Friedensschlüsse fanden keine derartigen Diners beim NeguS mehr statt; dagegen habe General Albertone rin solches am 21. November an läßlich deS Geburtstages der Königin Margherita, den ita lienischen Ossicieren gegeben. Bei diesem Diner, welchem auch abessinische Notabilitäten, darunter Ato Joseph und Ato Gabriel, beiwohnten, trank der General aus die Königin, die königliche Familie, sowie auf das äthiopische Herrscher paar. Herauf antwortete Ato Gabriel mit einem Toaste auf den Kaiser und die Kaiserin von Aetbiopien, sowie auf das italienische Königshaus. Die Behauptung, daß italienische Gefangene sich am Jahrestage der Schlacht bei Adua beim Abgeben der Geschützsalven betheiligt hätten, sei vollständig erfunden. Einer der italienischen Officiere habe sich persönlich davon überzeugt, daß die Geschütze aus schließlich von Abessiniern bedient worden sind. Zum Schluffe deS sehr eingehenden Schreibens erklärt der Abbö, daß der Prinz durch seine Leichtfertigkeit, und dessen Gewährsmann, der ihn in böser Absicht falfch insormirte, die Ehre Frank reichs empfindlich schädigen. Man betrachtet eS in Italien natürlich al- sehr werthvoll, daß eine so vernichtende Wider legung der Angriffe des Prinzen Heinrich von Orleans von einem Franzosen ausgegangen ist. Der von dem enqltfcheu Parlamentsausschuß zur Untersuchung deS Iameson-EinfalleS unterdrückte Bericht des königl. CommissarS Sir Richard Martin über die Mißwirt schaft der Ebartered Company in Rhodesia giebt auch über raschende Ausschlüsse über den Ausbruch und dieVerbreitung der Rinderpest in Lüdaftafrtka. Der Bericht schildert, wie „Harmoniken". 2j Roman von A. Ftscher-Löh«r. Alle Recht« Vorbehalt«». Die Entgegnung klang schroff und sicher an sein Ohr. Aus der Stimme der Comtesse war bei diesem Nein alle melodische Weichheit, die ihr so eigenthümlich war, und die den Fürsten entzückt hatte, verschwunden. Sie machte dazu ein Gesicht, daß deutlich erkennen ließ, ihre Antwort war wohl überlegt. In ihrer Unterhaltung trat eine Pause ein, die der Fürst dazu benutzte, seine Augen im Salon umherwanvern zu lassen. Ein leichter Aerger war doch in ihm aufgestiegen über die deutlich erkennbare Absichtlichkeit in dem Benehmen der Comtesse. Es verstimmte ihn, und er brauchte ein wenig Zeit, um darüber hinweg zu kommen. Renate sah indessen erwartungsvoll den Fürsten an. Sie war gespannt auf DaS, waS ihn ihr schroffe- Nein erwidern ließ. Daß gar nicht« erfolgte, verwirrte sie. Einen Moment senkte sie die Augen und suchte sich einzureden, ihr Gast sei nicht sehr gewandt in der Unterhaltung. Oder suchte er sich jetzt gleich ein Urtheil über sie zu bilden? Zn ihren Gunsten siel e« gewiß nicht au«! Die Comtesse hob langsam wieder den Kopf und blickte »um Fenster hin. Ihr Mienenspiel wurde lebhafter, «S verschwand die Enttäuschung au« ihrem Gefickt. Der Drang, herauSzubekommen, wa« der Fürst eigentlich von ihr dachte, erregte, je heftiger er wurde, in ihr alle sprühenden Lebensgeister. Sie blitzten ihrem Gegen über au- ihren leuchtenden Augen entgegen. Sein Blick streifte sie und blieb an ihr hängen. „Sie ist ein wunderbares Mädchen", dachte er. „Sie hat Meeresauacn. E- glitzert und flimmert darin genau so, wie wenn ein Sonnenstrahl über di« graue, bewegte Welle gleitet. Wie sie blenden, wenn man in sie hineinschaut." Trotzdem blickte er unverwandt in sie hinein, die offen auf ihn gerichtet waren. Es war ein gegenseitige- stumme-, kampffrohes Prüfen. ES wich keiner von ihnen dem Blick deS Anderen nur durch rin Wimpernzuckcn au«. Jeder trat voll für sich ein. Zweite» Capitel. Gleich darauf trat der General Gras Adolf Eber stein, der Vater der Comtesse, zu ihnen herein. Er und seine Tochter hatten wenig Aehnlichkeit mit ein ander. Alle-, wa- an Renate licht, schimmernd und eigen artig war, war an dem General farblo- und nüchtern. Er hatte trotz seiner strammen, militairischen Haltung und seines grauen, spitzgedrehten Schnurrbarte- da- Aussehen eines Manne« ohne hervorragende Energie. Er begrüßte den Fürsten, der von seinem Sessel auf gesprungen war, sprach einige Worte der Entschuldigung über den Irrthum de» Diener- und bat den Fürsten, Platz zu behalten. Nun erst nahm «r Notiz von dem auffallenden Anzug der Tochter, di« sich in ihrem Sessel, unbekümmert um die BegrüßungSscene, zurückgelehnt hatte. „Renate, wa- soll die Ma-kerade?" fragte er «rollend. „Ich erwarte Gäste zum Thee, Papa, Falkenstein, Bertuch, Bictoir« Schleiden, den Marquis Bernier und noch mehrere Andere", gab sie gleichmüthig zu. Ich habe Dich nicht davon in Kenntniß gesetzt, da Du meinem Rococothee doch immer fern bleibst." Der General kaute an seinem Schnurrbart, wa- er jedes mal zu thun pflegte, wenn er wüthend über etwas war, ohne den Muth zu finden, die Ursache seines AergerS sort- zusch<Fen. „Du weißt, daß Onkel Lothar heute sich angemeldet hat, und daß er die Extravaganz nicht liebt", sagte er grämlich. Statt zu antworten, zuckte Renate mit den Schultern, wa» deutlich genug hieß: Der Onkel Lothar könne da halten, wie er wolle, sie selbst ließ« sich darum nicht ab halten, zu thun, wa- ihr gerade Spaß machte. Fürst Schwarzenburg, der mit einigen Höflichkeitsfloskeln seinen Platz wieder einginommen hatte, dachte an da« Ge spräch zurück, welche- er vor wenigen Minuten mit dir Comtesse geführt hatte, während Vater und Tochter Rede und Gegenrede tauschten. E« drängt« sich ihm der Gedanke auf, daß r- allerdings schwierig sei, eine Harmonie zwischen zwei so ungleichen Naturen, wie Vater und Tochter auf wiesen, herau-zufindea. Trotzdem, wo in der Welt gab «S engere Beziehungen, natürlichere vaod«? E» fehlte Wohl der Will« »um Iaeinanderleben. „Verzeihung, Herr General", begann er, um den Aerger desselben abzulenken, „eine Ueberrasckung, wie sie Comtesse Renate heute bietet, ist interessant. Ihr Costüm fesselt schon durch die historische Treue, die man sehr selten so zum Aus druck gelangen sieht." Der General brummte etwas vor sich hin. Doch ehe er verstanden wurde, rief Renate plötzlich: „Da kommen meine Gäste." Ueber die Schwelle de« Salon« schritt in diesem Augen blicke eine Dame, geleitet von zwei Herren, die dem Fürsten al« Comtesse Clarissa Falkenstein nebst Bruder und Marquis Bernier genannt wurden. Sie trugen alle drei nicht minder treue Rocococostüme wie Renate, die Herren in gestickten AtlaSröcken mit Allongeperrücke und Galanteriedegen, die Comtesse Clarissa Falkenstein ein Kleid in meergrünen Farben mit rothen Rosen, die einen zarten Schimmer über ihre etwa» blaffen Wangen legten. „Ein paar ganz verschiedene Mädchen, die einander zur Folie dienen können", dachte der Fürst, al« er sie neben einander stehen sah. „Brunhild und Chrimhild, nur haben sie die Farben ausgetauscht. Da- ist an ihnen schon un sagbar reizvoll. Comtesse Falkensteia ist eine dunkeläugige Chrimhild mit braunem Scheitel, mit dem weichen Schmelz zarten, weiblichen Liebreize«. Ein süße- Geschöpfchen, da nur von Glück und Liebe träumt. Renate Ederstein wird trotz ihrer hochblonden Haare nicht« weniger als eine ver träumte Natur sein, die passiv bleibt. E« steckt Nerv und Feuer in ihr, »u handeln. Ah —" Der Au-rus de- Erstaunen- galt einigen neu eingetretenen Gästen der Comtesse, die mehr grotesk al- zierlich in ihren Rocococostümen steckten. Der Fürst kam eigentlich im Verlauf de« ganzen Nach- mittags nicht au- dein Erstaunen und heimlichen Entzücken heraus. Grade, daß «r sich al» Zuschauer in seinem schwarzen modernen Anzuge zwischen diesen farbenschillernden Costümen befand, verdoppelte den Reiz de» Ganzen für ihn. Costüm- feste an sich waren ihm keine Neuheit. Er batte genug al« Theilnebmer mitgemacht. Sie waren aber stet- in großen, vom Licht der Ga-kronen und Kerzen strahlenden Prunksalen abgebalten worden. Noch nie hatte er Gelegenheit gehabt, den Effect deS Hellen Sonnenlichte- dabei zu beobachten. Da» Tag«»licht ließ die« kleine originelle Fest Hier so echt erscheinen, so einheitlich treu in der Wiedergabe de« Ge schmackes eine« langst begrabenen Zeitalter«, daß e« dem Fürsten schwer wurde, an der Täuschung über rin Jahrhundert hinweg sestzuhalten. Er hatte neben Clarissa Falkenstein in einer Fensternische Platz genommen und unterhielt sich lebhaft mit ihr. Nächst Renate Eberstein interessirte sie ihn am meisten von allen Damen im Salon. Sie war unstreitig eine der lieblichsten Erscheinungen, die er je gesehen. Clarissa Falkenstein hatte dem Fürsten erzählt, daß jede von den anwesenden Damen manchmal eine costümirte Thee- gesellschaft um sich versammele, jede verschieden von ter anderen, nach der eigenen Liebhaberei. Aber bei jeder Gast geberin harmonire die Ausstattung de« Gesellschaft-raumes mit der verlangten Tracht. „Die Comtessen Bertuch zum Beispiel verlangen die Tracht deS Empire-, in dessen Gesckmack ihr Salon bi- ins kleinste Detail eingerichtet ist. Gräfin Pahlen besitzt eine echte persische Einrichtung, und man erscheint zu ihrem Thee in der persischen Kleidung. Baronesse Schiereuthal hat ein japanisches Zimmer und verlangt ein Costüm auS dem Reiche deS Mikado , plauderte Clarissa. „E- ist sicherlich eine geniale Art, Kenntnisse und Geschmack zu erweitern, die Idee der Kunstgewerbemuseen praktisch durch einheitlich durchgeführte Darstellung zeitlich und räumlich un« fern liegender Eulturepocken zu verwerthen, ganz abgesehen davon, daß diese Liebhabereien die specielle Charakterneigung eine- Menschen zu enthüllen im Stande sind", meinte der Fürst. „Die zwingende Schablone des TageSgeschmackeS fällt hier fort. Zu irgend einer historischen Zeit oder in irgend einem fremden Lande findet bei freier Wahl wohl jede charakteristische Eigenart einen prägnanten Ausdruck. Zum Beispiel wird keine Dame von friedfertiger, stiller Natur und weichem Gemüth sich von einem Ncccco- salon besonder- angezogeo fühlen. Dazu gehört rin eigen willige-, genial beanlagtr» Wesen mit ringender Phantasie unv intensiver Lebenslust." Clarissa hatte ein paar serlrnvolle, dunkle Augen. Sie schaute damit in offener Bewunderung zu dem Sprecher aus. „WaS Sie für ein Talent besitzen, Menschen zu begreifen", gab sie zur Antwort. „Ja, ja, so ist Renat«, ganz so. Wir alle, die wir sie seit Jahren kennen und sie lieb haben, nennen sie genial und unberechenbar. Sie ist so ganz ander» als wir, aber sie giebt den Ton an. Sie beherrscht un», und ohne sie würben wir recht einförmig leben." „Sie lieben Comtesse Eberstein?" fragte der Fürst und suchte diese mit den Augen. „O ja", kam e- offen über Clarissa'« Lippen. „Sie ist nur ein Jahr älter al- ich, doch weit klüger. Ich frage sie
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite