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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.08.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-08-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970814028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897081402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897081402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-08
- Tag1897-08-14
- Monat1897-08
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Wie eine dauernde Hilfe gewährt werden soll, ist, gerade Regierungsorgane haben das betont, nicht so schnell zu übersehen. Zudem ist eS zweifellos, daß, wenn die Regierung in welcher Zeit, in der der Landtag nicht zu tagen pflegt, also bis zum November oder December, Summen für die Unterstützung der Ueberschwemmlen auf wenden will, der Landtag dafür Indemnität ertheilen wird. Eine plötzliche Einberufung deS Landtages wäre also um so weniger gerechtfertigt, als man nach der ungebühr lich lang ausgedehnten Session dem preußischen Landtag Wohl eine angemessene Zeit der Ruhe gönnen sollte. Thatsäcdlich wünscht die „Post" auch nur, daß der Landtag unter dem Vorwande einer HilfSaction für die Ueber- schwemmten einberufen werden, damit er die eben erst gescheiterte Vereinsgesetznovelle nunmehr votire. Die Veranlassung zu diesem Wunsche bietet das Attentat auf den spanischen Ministerpräsidenten Canovas. Die „Post" und ihre Hintermänner hoffen, daß die Entrüstung über die ruchlose Tbat eine größere Anzahl von National liberalen veranlassen werde, anders zu votiren, als vor drei Wochen. Die „Post" führt denn auch al» Parallele das Jahr 1878 an, in dem das zweite Attentat auf denKaiserWilhelm eine derartige Erregung hervorrief, daß das ursprünglich abgelehiite Socialisten- gesetz von dem neu gewählten Reichstage votirt wurde. Der Vergleich ist ganz verfehlt; denn es ist nicht angängig, die Erregung, die sich jedes guten Deutschen bemächtigte, als zweimal kurz hintereinander ein bübischer Anfall auf den hoch verehrten Kaiser Wilhelm ausgeübt wurde, mit dem Bedauern zu vergleichen, das man über die Ermordung des spanischen Minister präsidenten empfindet. So schlecht begründet die Forderung der „Post" nach einer zweiten Auslage der BereinSgesetz-Aclion ist, so unheilvoll kann sie wirken. Man hat doch gerade in den drei Wochen, seit die Vereinsgesetznovelle zu Falle ge kommen ist, sehen können, welche Entzweiung durch sie :m Lager der nationalen Parteien entstanden ist. Das Unglaub lichste an dem Verlangen der „Post" aber ist der Wunsch, daß der Landtag, wenn er wieder die Vereins gesetznovelle ablehnt, aufgelöst werde. Als vor einigen Wochen von conservativer Seite der Gedanke der Auflösung ventilirt wurde, sprach sich, wenn wir nicht irren, auch die „Post" dagegen auS, weil von dieser Maßregel kaum ein Erfolg zu erwarten sein würde. Die „Post" scheint jetzt zu glauben, daß die Ermordung Zanovas' einen völligen Umschwung in der Stimmung der Bevölkerung hervorgerufen habe. Das beißt denn doch die Erregung, die durch die Mordthat in Deutschland hervorgerufen worden ist, auf daS Erheblichste überschätzen. Es giebt für das Reich wahrlich wichtige Angelegenheiten genug, die im nationalen Sinne nur durch das Zusammenstehen der nationalliberalrn und der conservativen Parteien erledigt werben können. Wir erinnern nur an unser handelspolitisches Verhältniß zu den Vereinigten Staaten, an die Kündigung des englischen Handelsvertrages, an die Militairstrafproceßreform und an die nächste Marinevorlage. Sind Diejenigen wirklich ihrer politischen Verantwortlichkeit sich voll bewußt, die immer wieder einen Keil zwischen die nationalen Parteien zu treiben nicht müde werden? In Süddeutschland — so schreibt unser L2-Mit arbeiter —, wo man immer ein bischen mehr Zeit hat, als sonst im Reich, vergnügt man sich jetzt damit, auS der Rumpelkammer, in die 1870 die partieula- ristischen Kostbarkeiten gestellt wurden, die eine und die andere Antiquität hervorzuzieben. Ein Stück, das der wackere antisemitische Reichslagsabgeordnete Köhler wieder ans Licht gestellt hat, mutbete un- zuerst an wie ein alter Bekannter, dem wir dreißig Jahre hindurch nicht begegnet waren. Bei genauerem Hinsehen ergab sich aber, daß der Gegenstand nicht echt war, wenigstens nicht ganz echt, daß Herr Köhler das „Alterthum" für seinen Gebrauch umgemodelt hat. Er sprach nämlick von dem „in Süddeutschland vertretenen wirklichen (nicht slawisch untermischten) Deulschthum". Verzeihung, das ist nicht richtig. Es muß heißen, das in Süd Westdeutschland vertretene reine Deulschthum. Die Schwaben hatten in der „guten alten Zeit" auch den Bayern und Franken das reine Deulschthum nicht zuerkannt, nur sich und den alemannischen Vettern und Ersteres mit Fug, denn — von den Kelten ganz ab gesehen — in den bayerischen Adern rollt viel sorbisches Blut und in den fränkischen desgleichen. In der Oberpfalz, in der sogenannten fränkischen Schweiz und anderwärts zeugen nicht nur Familiennamen von slawischer Mischung. Und von Hessen, dem „Vaterlande" des Herrn Köhler, war in jenen Tagen suevisck-alemannischer Exclusivität als von einem rein deutschen Lande noch viel weniger die Rede. Es wurde zn Mitteldeutschland gerechnet, nicht zu Süddeutschland, geschweige denn zu Südwestdeutschland. Mir Ihrer deutschen Reine, Herr Köhler, steht es schleckt! Da kommen außer Slawen auch Romanen in Be tracht! Doch — es fällt uns hart, die bittere, aber freilich uralte Wahrheit auszusprechen — auch die „Süd westdeutschen" haben mit nickten einen gegründeten An spruch, als germanische Reinculturen angesehen zu werde». Auch hier von den keltischen Ureinwohnern abgesehen. Der römische Krieger, der an „eine Jungfrau CbattenlandS sein Herz verbandelt", tritt bei den Schwaben und Alemannen in sehr vermehrter Zahl auf. Und jene „gemischten Ehen" wurden nicht nur zwischen römischen Männern und deutschen Frauen geschlossen, sondern auch umgekehrt. Es gab eben dort, wo heute die anheimelnden Zisch- und Gutturallaute erklingen, eine starke romanische Bevölkerung, die allmählich sich mit den Deutschen amalgamirte. Das schwarze Haar, bas sich so häufig unter den ursprünglich „rotbrn" Schwaben findet, ist nicht etwa gestohlen. Auch unverfälschte Römer köpfe kann man wenigstens in der Nachbarschaft finden. Wenn die Niedersachsen, die Friesen wollten, so könnten sie den von Herrn Köhler hervorgesuchtea allen Spieß umkehren. Sie sind aber wohl zu verständig dazu. Die sübwestdeutsche oder süddeutsche Spielerei ist ja ganz ungefährlich, sie hat im Gegentbeil sogar etwas Plaisirliches. An der Ethnologie des Herrn Köhler wird daS Deutsche Reich nicht zu Grunde gehen. Mit der Abreis e deS österreichisch-ungarischen General- consu ls Baron Cab aus Sofia ist die zwischen dem Donau- kaiserlbum und Bulgarien bestehende Spannung in ein neues Stadium getreten. Osficiell heißt eS, daß Baron Cab eine längere — Urlaubsreise angetreten habe. Wie der „Pester Lloyd" mittheilt, hat das Wiener Auswärtige Amt ursprünglich schärfere Maßregeln gegen Bulgarieu ge plant. Dieselben nachher aber abgeschwächl, offenbar weil man hoffte, daß die bulgarische Regierung einlenken und die unqualificirbar beleidigenden Aeußerungen die Ministerpräsident Stoilow einem Corresponbenten deS „Berliner Local-Anz." gegenüber gethan batte, formell zu keSavouiren und weil man wünscht, daß dies geschehe. Geschieht auch jetzt nichts von Sofia aus, so werden zweifellos weitere Schritte folgen, d. h. dann wird Oesterreich die diplomatischen Beziehungen mit Bulgarien tbatsäcklick und vollständig ab- brecken. In diesem Fall würde zwischen Oesterreich-Ungarn und dem kleinen Balkanstaat jener Zustand geschaffen werden, der Jahre lang zwischen Rußland und Bulgarien bestand und schließlich letzteres zwang, sich zu unterwerfen. Oesterreich- Ungarn verfügt über Mittel genug, um den kleinen bulga rischen Gernegroß seine Ungebühr entgelten zu lassen. Man ist daher in Wien noch immer überzeugt, daß Bulgarien nackgeben werde und die ofsiciöse Wiener „Reichswehr" läßt fick schon aus Pest melden, der Rücktritt Stoilow's stehe bevor. Der Minister habe bereits vor der Reise nach Kon stantinopel sein Entlassungsgesuch überreicht, sei jedoch mit Rück sicht auf die Aufwartung beim Sultan noch auf seinem Posten verblieben. Darüber, was die bulgarische Provokation bezwecken soll, ist man fick allerseits noch völlig im Unklaren. In Sofia muß man koch wissen, daß gerade im gegenwärtigen Augenblick nickt nur die persönlichen Beziehungen zwischen Kaiser Nikolaus und Kaiser Franz Josef, sondern auch die ossi- ciellen Beziehungen zwischen Rußland und Oesterreich die denkbar besten sind, fo daß man in Petersburg gleichfalls ras herausfordernde Auftreten der bulgarischen Machthaber nicht billigen wird, und zwar um so weniger, als sich der rilterticke Kaiser Franz Josef durch die Bemer kungen Stoilow's persönlich verletzt sieht. Auf die Türkei kann sich Bulgarien auch nicht stützen, denn wenn der Fürst auch soeben in Konstantinopel sehr „herzlich empfangen worden ist, so ist der Sultan dock sicher nickt gewillt, in irgend einer Frage Stellung gegen Oesterreich zu Nehmen. Nur in Frankreich nimmt mau sich des Bulgaren fürsten an. Der „Figaro", der in äußeren Fragen als Regierungsorgan gilt, bringt nämlich einen äußerst gehässigen Artikel gegen Oesterreich und fordert den Fürsten zu ener gischem Widerstande auf. Dies ist um so ausfallender, als Goluchowski vor Kurzem eine ganze Woche in Paris geweilt und mit Hanotaux, wie man sagt, über weitgehende gemein same Pläne im Orient, verhandelt hat. Man scheint also zu einer Einigung — gewisse Bläiter sprachen schon von einem geheimen Bündniß — nicht gekommen zu sein. Prinz Heinrich von Orleans versteht es sehr gut, nickt nur für sich, sondern auch für seine Freunde die Trommel zu rübren. So hat er kurz vor seiner Ankunft in Paris einen Artikel veröffentlicht, in dem hervorgcboben ist, wie außerordentlich dankbar die Franzosen dem Herrn Leontiew, den Menelik zum Gouverneur einer Provinz er nannt bat, sein müßten. Der Prinz verrätb, daß Leontiew in seiner Provinz als europäische Beamte lediglich Franzosen anstellen und daß er seine Lieferungen fast ausschließlich aus Frankreich beziehen werde. Tie Franzosen würden dadurch nickt nur wirthschaft- lichen, sondern auch politischen Vortheil haben. Es wäre nicht sehr schön von Herrn Leontiew, wenn er auS lauter Zu neigung zu Frankreich seine russischen Lankslcute ganz ver geßen wollte. Im Uebrigen ist Menelik nicht der Mann, um die Ausländer in einem Theile seines Reiches einen allmäch tigen Einfluß gewinnen zu lassen. „Prinz Boulanger" bat wohl hierbei ebenso geflunkert, wie bei seinen gehässigen An griffen auf die italienische Armee. In letzterer Hinsicht wird nun wiederum gemeldet, daß der Neffe (nickt, wie gemeldet, Enkel) des Königs von Italien, der Graf von Turin, den Prinzen zum Zweikamps herausfordern werde. Hierüber wird der „Köln. Ztg." aus Paris, 13. August, berichtet: Die Zeugin des Prinzen Heinrich von Orleans und des Generals Alberione Haden heute eine Unterredung gehabt, die jedoch nur einige Augenblicke dauerte, da alle Zeugen mit einer Vertagung ihrer Verhandlungen einverstanden waren. Diese Vertagung wird der Einmischung einer hohen italienischen Persönlichkeit zugeschrieben. Der Berichterstatter der „Stampa" will wissen, daß dieie geheimnißvolle Persönlichkeit kein Geringerer sei, als der Gras von Turin, der in Begleitung seines Flügeladjutanten nach Frank reich gereist ist. Man könne sich also daraus gesagt machen, daß der General Albertone vor einem Prinzen des italienischen Hauses zurücktrelen müsse. Es wäre wirklich zu wünschen, daß der Graf von Turin mit seiner Reise einen andern Zweck verbände, denn die ganze Duellasfaire kommt dem Orleans als Reclame für sich und sein Prätendententbum nur höchst willkommen. Das Letztere zu fördern, hat aber Italien keinen Anlaß. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß sowohl die Kämpfe in Tschitral, wie auch der jüngste Angriff auf ein Fort in der Nähe von Pes chawur auf afghanische Ein flüsse zurückzufübren sei. Diese Auffassung wird jetzt durch die „Times" bestätigt. Die afghanische Regierung unterstützt offenbar den Ausstand in derselben Weise, wie die russische Regierung im Jahre 1876 Len Auf stand der Serben und Montenegriner gegen die Türken unterstützt hatte. Der Emir von Afghanistan wird damit seiner im Jahre 1893 gegebenen Zusage, sich in die Angelegenheiten des Swatlhales und der Tichitrallandschaften nicht eiuzumischen, nickt gerecht, aber nach ihren Erfahrungen in den Jahren 1879 und 1880 könnten die Engländer wohl wissen, daß sie sich auf Zusagen der Afghanen nicht verlaßen dürfen. Die Gefährlichkeit der Situation wird auch von den Engländern wohl erkannt, da sie -schleunigst die Truppen an der afghanischen Grenze zu verstärken suchen. Trotz alledem könnten ihnen aber sehr wohl schlimme Ueber- raschungen bevorstehen, wenn die Afghanen von der bloßen Unterstützung aufständischer Bergstämme zum Kriege gegen die Engländer übergingen. Die Niedermetzelung der britischen Gesandtschaft in Kabul im Iabre 1879 und die Niederlage des Generals Burrow im Iabre 1880 haben den Engländern gezeigt, wie gefährliche Gegner die gleichermaßen treulosen und tapferen Afghanen sind. Deutsches Reich. * Berlin, 14. August. Dir „Berl. Pol. N." schreiben: Wenn von Zeit zu Zeit Betrachtungen darüber angeslellt werden, ob in der nächsten Tagung die beiden unerledigt gebliebenen Versicherungsnovellen dem Reichs tage wieder werden vo> gelegt werden, so ist darauf hinzuweiseu, daß gegenwärtig Entscheidungen über den ArbeilSstoff des Reichstages in ter nächsten Tagung Feuilletsn» „Harmonieen". 16j Roman von A. Fischer-Löher. Alle RkLte Vorbehalte«. Mit verschränkten Armen blieb er vor dem Fenster stehen. Eine wunderliche Leere saß ihm im Gehirn, und darüber beobachtete er die beiden Dachshunde, die Lieblinge der Gräfin, die sckwanzwedelnd im Hellen Mondschein am Teich rande unten standen. Vermutblich witterten sie eine Wasser ratte, deren ausgesprochene Feinde sie beide waren. „Titus, was hast Du?" fragte Clarissa herüber, die eine gewisse Scham zu der Frage zwang, nachdem sie das Schweigen ihres ManneS wirklich durckgesetzl batte. „Nicht«, mein liebe» Kind. Mich unterhalten Schlüpfer und Waldmann, die sich gleich auf eine Wasserratte stürzen werden." Trotz der einfachen Antwort wurde sie nicht klar Uber ibn. Sie stand auf und kam zu ihm an- Fenster. Sie schob ihre Hand durch seinen Arm und sah zu ihm auf. Ihre Augen hatten einen flehenden Au-druck. „TituS!" „Nun?" Er wandte sich ihr nicht zu. „Sei nicht böse!" „Gewiß nicht, Clarissa, wie sollte ich!" Wie konnte er auch böse sein, daß sie nicht über ihre Natur hinaus konnte. Ein Weilcken bleiben sie schweigend nebeneinander stehen und sahen Beide den Hunden zu. Aber e» langweilte Clarissa sichtlich. Sie war keine große Thierfreundin. Sie löste deshalb wieder ihren Arm au» dem ihre» ManneS und schritt zu ihrem kleinen Schreibtisch, der an dem zweiten Fenster vorgerückt stand. „Ich habe sür Dich eine Auswahl unter unseren Photographien getroffen. Wir wollten dock eine von den neuesten Renate geben, ehe sie abreist", begann Clarissa »un. „Komm' her, Titu», ich finde, daß die» Bild hier von un» am vortbeilbaftestrn ist." Sein Bild für Renat«! Sein« Brust hob und senkte sich unter ein paar kräftigen Alhemzügen. „So, Du hast eine Photographie ausgesucht", erwiderte er, ohne sich zu rühren. Clarissa kam mit dem Bilde in der Hand zu ihm hin. „Sieh her! Ich meine, dies hier, auf dem unsere beiden Köpfe so eng zusammen sind, wird Renate am liebsten haben wollen." Er nahm ihr da- Bild aus der Hand und vertiefte sich in den Anblick. Sein und seiner Gattin Kopf waren darauf mit der Stirn aneinander gelehnt. Der Frauenkopf schaute voll aus dem Bilde heraus, während er sein Gefickt mit dem seit wärts gewandten Blicke geneigt hielt. „Eine dumme Haltung", sagte er plötzlich laut. „Tante Luisa fand sie neulich sehr hübsch." „So? Nun, das ist Geschmackssache", klang e» rauh aus seinem Munde. „Renate wird eS nicht schön finden." Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. Kamen die wahnwitzigen Gedanken wieder über ihn? Hatte selbst die Gegenwart seines WeibeS keine Gewalt mehr über ihn? „Mach', wa» Du willst", stieß er heftig heraus und reichte ihr da» Bild zurück. Clarissa schaute ibn einen Augenblick ganz entsetzt an, so verzerrt war sein Gesicht. War er krank? Sie warf da» Bild aus der Hand und schmiegte sich be sorgt an ibn. „Fühlst Du Dich nicht wohl? Bitte, sage e» mir", drängte sie. Er raffte sich auf. „Ich bin zu weit geritten, ich bin übermüdet." Sie zog ibn vom Fenster zurück und drückte ihn, der jetzt willenlo» geworden war, mit sanfter Gewalt in »inen Sessel. „Jetzt ruhst Du Dich au», armer Mann. Ich werde Dich pflegen, wie Du mich immer pflegst." Da» war etwa«, was ihr zusagte. Sie war ordentlich glücklich darüber, etwa» für ibn tbun zu können, um den Eindruck de» Vorangegaagenen in ihm zu verwischen. Sie wollte ihm gewiß gern ibre Liebe beweisen, nur mußte e» in der Form sein, di« sie für die geeignete dielt. Während fir ibm «in Kissen in den Nacken schob und »ine Decke über sein« Knie» breitete, schloß er die Augen. Eine tiefe Entmutdigung kam über ibn. WaS seine Gattin ihrem innersten Wesen nach ihm sein konnte, da» war sie ibm wohl in diesem Augenblick«. Er war «in Tbor, mehr von ihr zu verlangen, al» sie im Stande war, zu geben. Der Irrthum und die Disharmonie fielen auf ihn allein zurück. Er sprana auf. „Ick will lieber in mein Zimmer gehen und mich dort binlegen. In einer halben Stunde werde ich dann wiedel frisch sein und bei Dir den Thee nehmen", sagte er schleppend. „Wenn Du willst", entgegnete sie ein wenig betrübt. Doch gleich hellte sich ihre Miene wieder auf. „Ich gehe mit Dir", entschied sie. „Ich bin in meiner Abspannung keine angenehme Unter haltung sür Dich", wehrte er sie raub ab. Bei seiner Abweisung zuckle sie leicht erschreckt zusammen. Er beobachtete es. Wie brutal mußte er gewesen sein! Er trat Vicht an sie heran und streichelte ibre Wangen. „Du hast beute einen reckt unzurechnungsfähigen Gatten, mein Lieb. Strafe ihn damit, daß Du ihn laufen läßt", fügte er wehmütbig hinzu. Sie lächelte und schüttelte den Kops. „Wenn ich nur wüßte, wa» Dir so recht gut thun würde! — Ab, ich weiß —" Sie sah ihn geheimnißvoll an — mit den eckten Clariffa- Augen, würde Renate gesagt haben — träumerisch, glücklich und verheißungsvoll, mit einem Blicke, dem ein Mann selten widersteht. Der Fürst unterlag ihm gern. Wie es die Sehnsucht in ibm dämpfte! Er sträubte sich nickt mebr gegen ibre Begleitung. Er ließ sich von ihr zu seinem Divan führen, aus den er sich ausstrecken mußte. Sie deckte ibn zu, zog den Vorhang vom Fenster zurück, daß der breite Mondstrahl hereinfluthete, und verlöschte die Lichter. Dann kniete sie neben ibm nieder, legte ihren Mund an sein Ohr und flüsterte etwa» Abgebrochenes, Stammelndes hinein von Hoffnungen, Zukunft und Mutterfreuden. Er lag ganz still und rührte sich nickt. Er batte nur das Haupt seiner Gattin fest an seine Wange gedrückt, al» sie verstummte, und blickte in da» weiße Mondlickt. Er spürte, wie sich langsam in ibm etwa« löste, von ihm sich absonderle. Eine unendliche Erleichterung empfand er allmählich in jedem Nerv und jedem Puleschlag. Er schloß dann die Augen und schlief ein. Neunzehnte» Capitel. E» war nun nicht mebr die Rede von einer Uebersiedelunz des Fürsten nach Schwarzenburg. Der Erbe sollte in Eber stein geboren werden. Für Clarissa kam jetzt eine Zeit, wie sie sie schöner kaum geträumt hatte. Ihr Gatte erschöpfte sich in Rücksichten gegen sie, und eS gab für sie auch gar keinen Zwang mebr. Tas Leben im Schlösse floß dahin wie ein Strom der Ebene, glatt und gleichmäßig. Selbst der Fürst hatte sich in seiner Bewegung so weit eingeschränkt, als es sich mit seiner Tbätigkeit und den ge selligen Pflichten irgend vereinigen ließ. „Sckwarzenburg's werden Trappisten", hieß es in der Gesellschaft. „Sie graben au ihrem eigenen Grabe täglich. Es kann doch kein Mensch alt werd-n bei dieser Stagnation." „Ich reite nickt mehr hinaus", erklärte Graf Falkenstein. „Begreife meinen Herrn Schwager ein Anderer. Er ist ein Panioffelbelv, wie er im Bucke steht. Er wird nächstens seine faule Frau noch spazieren tragen, damit er ihr auch daS Einsteigen in den Wagen erspart." „Sv verliebt ist er noch? " fragte man. „Unglaublich", gab Graf Kalkenstein zur Antwort. „Man füttert wobl die Frauen mit Zuckerbrot, aber man nascht dock nickt selbst daran. Ich sage, wenn Schwarzen bürg nicht endlich einmal zur Besinnung gebracht wird, damit er inne wird, daß er noch Kräfte bat, wird er ein kolossaler Wasch lappen." DaS Wort batte gezündet! Ten Fürst zur Besinnung bringen, damit er sich auf sich selbst besann. Schloß Eberstem mit seinem Reichtbum, seinem Ansehen war eS der Landschaft unk im Anschlüsse daran dem Husarenregiment in der Stadt schuldig, etwa« au» sich zu macken. In dem Erben durfte eine andere Ansicht sich gar nicht festsetzen. Er mußte einfach einscheu lernen, daß man nicht für sich allein auf der Welt ist. Eine großartige Verschwörung wurde in Scene gesetzt. Eines schönes Tage- erhielt der Fürst einen ganzen Stoß Einladungen zugleich mit dem Bemerken, daß der Absender heute selbst kommen würbe. Ter Fürst lackte. Er zäblte zusammen. Zehn, zwölf Ein ladungen, also ebenso viele Gäste. Zu ändern war da nichts. Er kam jedoch gleich dahinter, daß die Sache verabredet war. Am Enke war ihm diese Ueberrascvung nicht zuwider. Man kam dock merkwürdig in- Phlegma hinein, wenn man sich aus« Festsiyeu kressirie. Und eine wirkliche Dressur war eS, die er mit sich vorgenommen, seit die Familie Eber stein fort war, rin Abrichten für eine Lebensführung, die
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